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Entschlossenheit

von

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Entschlossenheit - Teil 1

Unsicher trat Yuri auf der Stelle. Sie blickte immer wieder zur Seite, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtete. Yuri wusste, auf der belebten Einkaufsmeile schenkt ihr keiner der Passanten großartig Beachtung. Dennoch konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass sie jemand beobachten, gar verurteilen würde. Immer wieder fuhr sich Yuri mit den Fingerspitzen über den Nacken, um sich Linderung zu verschaffen. Es gab ihr die falsche Sicherheit, das unangenehme Gefühl von sich wischen zu können.

Ihr Blick wanderte zurück auf das Schaufenster, vor welchem sie seit geraumer Zeit stand. Wie schon mehrere Male zuvor studierte sie die Schaufensterpuppen und ihre Kleidung, die diese an ihren Kunststoffkörpern trugen. Der Unterschied zwischen den beiden war wie Tag und Nacht.

Während die eine ein tiefschwarzes Kleid trug, mit weißen Applikationen und Rüschen, waren die Farben bei der anderen Puppe umgekehrt. Der Schnitt war der gleiche, auch teilten sie sich die Art der Applikationen und auch das Material, aus welchem sie bestanden. Yuri trat einen Schritt näher, nur um sich sofort wieder mehrere Schritte von dem Schaufenster zu entfernen. Unsicher hob sie ihre linke Hand an die Brust, ihr Herzschlag hatte sich erhöht und sie fühlte sich mehr denn je beobachtet.

Das Gefühl des Unwohlseins wurde intensiver, und Yuri unterdrückte das Bedürfnis, sich am Nacken zu kratzen. Stattdessen krallte Yuri ihre Finger in die Haut, biss sich auf die Unterlippe und wünschte sich, sie könnte ihre Beine bewegen. Sie wünschte sich, sie könnte Distanz zwischen sich und dem Geschäft vor sich bringen. Doch die unsichtbaren Richter würden sie auch dafür verurteilen. Dessen war sie sich bewusst. Es würde keine Rolle spielen, wofür sie sich entscheiden würde, im Grunde hatte sie bereits verloren.

Yuri zuckte zusammen, als sie auf ihrem anderen Arm eine Berührung spürte. Eine kleine Hand lag darauf und als sie einen Blick zur Seite riskierte, erblickte sie ein pinkes Paar Augen, welches sie neugierig ansah.

„Oh, du bist auch hier? Was für eine Überraschung“, sagte Natsuki und nahm ihren Arm wieder herunter. Yuki dagegen blickte noch immer auf die Stelle, an welcher Natsuki sie zuvor berührt hatte, und legte ihre eigene Hand darauf.

„Ja, was für ein Zufall, ich habe gar nicht damit gerechnet“, sagte Yuri und versuchte so locker wie möglich zu klingen. Dass es ihr nicht gelang, war beiden von ihnen schmerzlich bewusst.

„Das ist doch großartig, ich meine, sonst sehen wir uns ja immer im Club und in der Mittagspause“, sagte Natsuki, um die Stimmung aufzulockern.

„Es freut mich, auch mal jemanden zu treffen, den ich auch tatsächlich mag und mit dem es Spaß macht abzuhängen. Sonst treffe ich nur meine ehemaligen Freunde hier und dann ist es alles andere als spaßig …“

Natsuki verschränkte die Arme von der Brust, ihre Wangen färben sich dezent rosa. Ihr Blick wanderte von Yuri zur Seite, auf das Schaufenster, welches sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Wolltest du da etwa reingehen? In dieses Geschäft?“, fragte Natsuki und blinzelte Yuri überrascht an. Die Augenbraue hochgezogen, wirkte das jüngere Mädchen nun wieder viel selbstbewusster.

„Nun, ja, ich denke, ich hatte vor, in dieses Geschäft zu gehen“, stammelte Yuri vor sich hin und spielte mit einer Haarsträhne herum. Zwar wusste sie, dass das schlecht für ihre Haare war, dass sie drohte diese dabei zu beschädigen. Andererseits konnte Yuri es nicht bleiben lassen. Immerhin waren ihre Haare dick genug, um nicht sofort daran zu zerbrechen.

„Verstehe. Und dann hattest du vor, dir eins dieser Kleider zu kaufen, oder nicht?“, fragte Natsuki und deutete mit dem Finger auf die zwei Schaufensterpuppen. Nun war es Yuri, die rosa anlief und ihrem Gegenüber nicht mehr in die Augen sehen konnte.

„Also, nein, ich meine ja, also…“, sagte sie und wickelte die Strähne immer wieder um ihre Finger herum.

„Ich habe mir die Kleider nur angesehen, ich meine, es ist nicht so, als würde mir sowas gefallen… rein theoretisch, ich habe sie mir nur angesehen, mehr nicht.“

Als sie zurück in Natsukis Gesicht sah, hatte dieses einen wütenden Ausdruck angenommen. Erschrocken begann Yuri zu schlucken. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Sie wusste, dass Natsuki gerne eine kurze Lunte hatte und schnell unzufrieden war. Yuri war davon ausgegangen, dass sie in der Zwischenzeit gelernt hatte, derartige Luntenzünder zu vermeiden.

Und doch stand Natsuki vor ihr, die Arme verschränkt und mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck.

„Komm schon, Yuri, du kannst ehrlich zu mir sein. Wie lange müssen wir uns denn noch kennen, damit du offen zu mir sein kannst? Das ist doch ätzend“, sagte Natsuki und wurde mit jedem Wort ungeduldiger. Das konnte Yuri an der Art, wie Natsuki sprach, deutlich heraushören.

Sie warf einen kurzen Seitenblick auf das Schaufenster, den Ort des Verbrechens, bevor sie laut vor sich hin seufzte.

„Du hast ja recht… ich sollte keine Geheimnisse vor dir haben. Immerhin sind wir Freunde und wir sollten immer offen und ehrlich zueinander sein.“

Natsuki nickte energisch, behielt jedoch, was auch immer sie am liebsten sagen wollte, für sich. Yuri sah, wie sich Natsukis Mund immer wieder öffnete. Daher nutzte sie selbst die Gelegenheit, um ihren Vorsatz in die Tat umzusetzen.

„Um ganz ehrlich zu sein, ich bin hier, weil ich ein neues Outfit für unser Club-Wochenende kaufen wollte. Da hatte ich spontan die Idee, dass ich vielleicht mal etwas Neues ausprobieren sollte. Immerhin werden nur wir vier dort sein, also nicht allzu viele Leute, die mich dafür schräg ansehen könnten…“

Yuri bemerkte, wie ihre Stimme immer leiser wurde, je länger sie sprach. Als läge es außerhalb ihrer Kontrolle, wie ihr Körper reagierte.

Die dunkle Aura um Natsukis Körper nahm weiter zu und Yuri wusste sofort, dass die Jüngere mit ihrer Antwort alles andere als einverstanden war.

„Du musst verstehen, das hier ist ein großer Schritt für mich. Was, wenn es mir nicht gefällt oder steht? Wenn ich mich lächerlich darin mache? Oder wenn ich overdressed bin, während ihr alle in Schuluniform oder normalen Klamotten erscheint? Dann mache ich mich doch vollkommen lächerlich…“

Wäre ihr Haar in der Lage gewesen, Geräusche von sich zu geben, es hätte vor Schmerz laut aufgeschrien. Yuris Griff um die einzelne Strähne festigte sich immer stärker, doch es gab ihr kein Gefühl der Erleichterung. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Ein Cocktail aus Schmerz, Scham und Traurigkeit brodelte in ihrem Magen und Yuri wünschte sich, sie hätte das Haus an diesem Tag nicht verlassen.

Yuri konnte ein wütendes Schnauben vor sich vernehmen und blickte blinzelnd auf Natsuki zurück. Nun war sie es, die sich auf die Unterlippe biss und deren Augen stark glänzten. Natsuki mied ihren Blick und Yuri konnte es ihr nicht verdenken.

„Du bist doof“, sagte sie nach wenigen Sekunden voller Schweigen und Missgunst.

„Genauer gesagt, du bist nicht doof. Aber deine Einstellung ist es.“

Yuri sah sie betroffen an, legte sich die nächsten Worte zurecht, die sie darauf erwidern könnte, doch ihr Kopf war mit einem Mal blankgefegt worden. Was könnte sie darauf nur sagen? Yuri wusste es nicht.

„Ich finde es dumm, wenn man seine Interessen im Schrank verstecken muss, nur, weil man anderen gefallen möchten. Weil andere einen für seine Interessen verurteilen könnten,“ sagte Natsuki, bevor sich ihr Blick in Yuris Augen bohrten. Yuri wusste sofort, worauf Natsuki mit ihren Worten anspielte.

„Aber weißt du, was noch dümmer ist? Wenn man nicht den Mut hat, sich trotzdem für seine Interessen einzusetzen und das zu tun, was auch immer einem gefällt. Solange dabei niemand zu Schaden kommt… ich meine, es sind doch nur Kleider und Handschuhe und solches Zeugs, das schadet keinem. Wenn jemand einen dummen Kommentar abgibt, dann beachte die Person nicht, die hat halt keine Ahnung.“

Natsuki kaute für ein paar Sekunden auf ihrer Unterlippe herum, ihr Blick wurde sanfter und ihre Wut schien auch bereits abzukühlen.

„Ich finde es nur mies, was du uns da unterstellen möchtest. Wir sind doch deine Freunde, nicht wahr? Wie lange sind wir jetzt in diesem Club? Gut, erst seit mehreren Wochen, dennoch solltest du uns mittlerweile gut einschätzen können. Langsam solltest du wissen, dass dich niemand für deine Interessen verurteilen würde.“

Natsuki blinzelte den feuchten Glanz aus ihren Augen und blickte zur Seite.

„Monika würde eine vorbildliche Präsidentin sein wollen und nur gute Worte für dich übrighaben. Sayori würde alles gefallen, was du trägst. Und auch für mich würde es keine Rolle spielen. Solange du es gerne trägst und es dir Spaß macht, ist das die Hauptsache. Außerdem, woher weißt du denn, ob die anderen sich nicht auch herausputzen werden? Eben, du weißt es nicht“, nahm Natsuki ihr die Antwort vorweg.

„Siehst du, was ich damit sagen möchte? Es gibt keinen Grund für dich, weshalb du dich für deine Interessen schämen müsstest. Oder dich vor uns verstecken. Unser Club, der Raum, das alles ist ein sicherer Platz, wo ich jederzeit ich selbst sein kann. Warum solltest du es nicht können?“

Das war zu viel für Yuri, den Kopf abgewandt, konnte sie die eine oder andere Träne nicht aufhalten. Ein Damm war in ihr gebrochen und ihr Kopf brannte vor Scham. Ein Taschentuch schob sich in ihre Sicht und als Yuri es sich genauer ansah, konnte sie das aufgestickte Häschen darauf erkennen.

„Hier, nimm es, du brauchst es grad eher als ich“, sagte Natsuki peinlich berührt und auch sie hatte den Kopf weggedreht, wie Yuri erkennen konnte.

„Vielen Dank“, sagte sie, nahm das Taschentuch an sich und wischte vorsichtig ihre Tränen vom Gesicht.

„Du hast ja recht. Ich meine, du weißt ganz genau, wovon du hier sprichst. Ich wünschte nur, ich wäre so mutig wie du…“

„Ich bin nicht mutig und das weißt du ganz genau“, sagte Natsuki trotzig, aber mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Offenbar hatten Yuris Worte sie auch auf positive Art erreichen können.

„Wie dem auch sei, die Katze ist nun aus dem Sack, also konzentrieren wir uns lieber darauf. Du musst mir das Tuch nicht zurückgeben, jedenfalls nicht sofort.“

Überrascht sah Yuri sie an, dann musste auch sie lächeln.

„Wenn du es waschen möchtest, bitte nicht mit Bleiche behandeln. Das wäre nicht gut für das Häschen. Das war ein Special-Extra zum 15. Band von Parfait Girls. Ich bin dafür extra früher von zuhause weggegangen, um ihn vor der Schule kaufen zu können.“

Natsuki war die gesamte Situation unangenehm, es stand ihr quer über das Gesicht geschrieben. Yuri konnte sich allzu gut vorstellen, was in ihrem Kopf vorging.

„Danke, ich werde es dir am Montag zurückgeben, wenn wir uns im Club wiedertreffen. Ist es in Ordnung, wenn ich es bügle?“

Natsuki, welchen ihren Kopf zur Seite gedreht hatte, schwieg für einen kleinen Augenblick.

„Ja, ich denke, das sollte in Ordnung sein. Pass nur einfach darauf auf, ja?“, sagte Natsuki, blinzelte mehrere Male und ging an Yuri vorbei. Drei Schritte, vier Schritte, fünf Schritte. Dann blieb sie stehen, drehte sich auf der Stelle und sah Yuri mit erwartungsvollem Blick an.

„Perfekt! Dann werden wir dir ein ordentliches Outfit zusammensuchen, mit dem wir die anderen beindrucken können. Aber nicht da drin“, sagte Natsuki und blickte kurz auf den Laden, den Yuri die ganze Zeit versucht hatte zu besuchen.

„Glaub mir, die Qualität der Stoffe ist da drin lange nicht so gut, wie man am Ende dafür bezahlen darf. Ich kenne einen Laden, da kosten die Sachen halb so viel, sind aber doppelt so gut. Außerdem haben die viel mehr Auswahl und sind nicht so oberflächlich.“

Ungeduldig tippte sie mit der Schuhspitze auf dem Boden herum, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt. Das war eine Aussage, mit der Yuri ganz und gar nicht gerechnet hatte, doch es überraschte sie positiv. Verlegen, aber glücklich verschränkte sie die Hände hinter ihrem Rücken.

„Danke, das wäre mir eine Freude, Natsuki.“

Ohne darauf näher einzugehen, drehte Natsuki sich schnell wieder um und machte sich auf in die Richtung des angesprochenen Geschäfts. Yuri musste das Lächeln, dass sich verschüchtert auf Natsukis Gesicht geschlichen hatte, nicht sehen. Sie konnte es sich denken und das reichte ihr.

 

 

~

 

Natsuki hatte ihr nicht zu viel versprochen, weder in Bezug auf die Preise noch auf die Qualität der Waren. Wobei Yuri den Namen des Geschäfts als sehr irreführend empfand.

„Ich muss zugeben, unter Sweet and Sour hätte ich mir eher ein Geschäft für Süßigkeiten vorgestellt, oder für eingelegtes Gemüse. Auf einen Laden, der sich auf verschiedene Lolita Varianten spezialisiert hat, wäre ich dagegen wohl nie gekommen.“

Natsuki sah sie an und zuckte mit den Schultern.

„Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich weiß auch nur von dem Geschäft, weil Sayori mir davon erzählt hat. Sie war ganz enttäuscht darüber, dass es hier keine Süßigkeit gibt, jedenfalls keine essbaren. Wer weiß, am Ende hätte sie mit Sicherheit irgendwelche Haarspangen oder Hüte angeknabbert.“

Die Vorstellung daran, dass die stets hungrige Naschkatze an einer Plastikkirsche oder einem Stoffapfel nagte, brachte Yuri zum Kichern.

„Wenn Monika mit dabei gewesen wäre, hätte sie alle Hände voll zu tun gehabt, auf Sayori aufzupassen. Wie bei einem kleinen Welpen, die nehmen auch alles in den Mund“, sagte Yuri und beobachtete Natsuki, um deren Reaktion zu studieren. Mit dem breiten Grinsen, welches diese nun trug, hatte Yuri allerdings nicht gerechnet.

„Das kannst du laut sagen, das wäre ein sehr lustiger Anblick gewesen.“

Natsuki schüttelte ihren Kopf, und auch Yuri musste sich ein kleines Lachen unterdrücken. Es dauerte nicht lange, bis sich beide wieder beruhigt hatten und auf das konzentrieren konnten, weshalb sie in erster Linie das Geschäft betreten hatten.

„Gut, dann werden wir uns hier umsehen. Hier haben sie die beste Auswahl, wie ich neulich feststellen durfte und ich bin mir sicher, dass wir für dich fündig werden können. Gibt es eine bestimmte Richtung, die du gerne mal ausprobieren möchtest?“

Yuri blickte sich neugierig um, sie konnte die Augen nicht von den unzähligen bunten oder dunklen Kleidern nehmen, die an verschiedenen Ständern aufgehängt worden waren. Eine unendlich große Auswahl, die sie schon fast zerdrückte. Sie war sich sicher, allein hätte sie sich überfordert gefühlt und sofort den Laden wieder verlassen.

Dass sich nun Natsuki an ihrer Seite befand, dass sie das nicht allein machen musste, war für Yuri eine sehr große Stütze.

„Wenn du mich so fragst, ich fand den düsteren Stil schon immer faszinierend, ich habe mir nur leider nicht merken können, wie er heißt … mit vielen dunklen Kleidern und Make-up“, versuchte Yuri es zu umschreiben. Natsukis Augen leuchteten auf, sie wusste offenbar sofort, was Yuri damit meinte.

„Gothic Lolita also? Alles klar, dann habe ich schon mal die Richtung, in der ich suchen muss. Vorhin, in dem Schaufenster waren zwei verschiedene Kleider, die dem Stil sehr ähnlich sind. Trotzdem war ich mir nicht sicher, welches der Kleider dich interessieren würde. Wenn du meine ehrliche Meinung wissen willst, der Stil passt zu dir.“

Als Natsuki ihre Hand nahm und mit schnellen Schritten durch den Laden zog, überlegte Yuri, welche Bedeutung Natsukis letzte Worte besaßen. Wollte sie sich damit über Yuri lustig machen? Oder war es ein Kompliment?

Nachdenklich betrachtete sie Natsukis Hinterkopf, auf den Zopf, der bei jedem ihrer Schritte wippte und rief sich in Erinnerung, welche Art von Mensch die Jüngere war. Natsuki war die Sorte Mensch, die das Herz auf der Zunge trug und Ehrlichkeit schätzte. Folglich musste das, was ihre Lippen verlassen hatte, ein Kompliment sein, schlussfolgerte Yuri.

So nahm Yuri sich die Zeit, sich bei Natsuki zu bedanken, kaum hatten sie eine hintere Ecke des Ladens zum Stehen erreicht.

„Wofür bedankst du dich?“, fragte Natsuki verwirrt und ließ Yuris Hand los. Sie blieb neben mehreren dunklen Kleidern zum Stehen.

„Dass du gesagt hast, der Gothic Lolita Stil würde zu mir passen“, sagte Yuri und spielte wieder nervös mit ihrer Haarsträhne herum. Als einzige Reaktion darauf schüttelte Natsuki mit dem Kopf.

„Dafür musst du dich nicht bedanken, baka. Wir sind doch Freunde, nicht wahr? Da sollte man auch ehrlich zueinander sein, besonders wenn es um aufrichtige Komplimente und Meinungen geht.“

Schnell drehte Natsuki ihren Kopf zur Seite und ließ Yuris Hand wieder los. Yuri spürte, dass sie das Thema an dieser Stelle nicht vertiefen sollte, allein Natsukis verkrampfte Körperhaltung sprach Bände.

 Daher nahm sie jeden Mut, den Yuri in ihrem Körper finden konnte und begann tief Luft zu holen.

„Sollen wir uns die Kleider, die hier hängen, einmal näher ansehen? Oder hast du bereits eine Vorstellung davon, was mir stehen könnte?“

Natsuki, ihr Gesicht wieder leicht errötet, sah zu ihrer Freundin zurück. Der Ausdruck in ihrem Gesicht wirkte erst überrascht, dann nachdenklich.

„Um ehrlich zu sein, nein, das habe ich noch nicht. Aber ich bin mir sicher, dass wir etwas für dich finden werden. Sieh du dich bei dem Ständer dort drüben um und ich schaue, was ich hier finden kann. Welche Kleidergröße hast du? Und welche Länge soll es ungefähr haben?“

Yuri gab ihr die gewünschten Angaben und Natsuki nickte zur Bestätigung.

„In Ordnung, dann machen wir uns mal ans Werk. Wäre doch gelacht, wenn es hier nichts für dich geben würde … ach ja, ganz vergessen. Wie hoch ist ungefähr dein Budget?“

Dies wurde Yuri nun doch sehr peinlich, da sie nur höchst ungern über Geld sprach, besonders mit anderen Menschen als ihrer Bankberaterin. So musste sie sich mehrfach wiederholen, was ihr noch unangenehmer war. Sie schaffte es nicht, die Summe verständlich über die Lippen zu bekommen.

Anstatt der erwarteten Verurteilung, stemmte Natsuki stattdessen die Hände in die Hüfte und sah sie beeindruckt an.

„Ja, mit der Summe lässt sich definitiv arbeiten, damit können wir sogar nach einem Accessoire für die Haare und nach Schuhen schauen. Mach dir also keine Sorgen, ich werde dich nicht arm machen.“

Natsuki begann mit diesen Worten zu grinsen und Yuri wusste, dass die Jüngere das nur tat, damit sie sich besser fühlte. Sie schätzte diesen liebgemeinten Versuch sehr.

„Das können wir machen“, sagte Yuri mit einem Hauch eines Lächelns und begann, sich auf die Kleider vor ihr zu konzentrieren.

 

Yuri hätte nicht gedacht, dass sie so viele verschiedene Kleider im Stil der Gothic Lolita zu sehen bekommen würde. Hin und wieder warf sie einen Blick auf diverse Preisschilder. Natsuki hatte nicht zu viel versprochen, die Kleider lagen tatsächlich in einer sehr akzeptablen Preisklasse. Die Stoffe, die sie beim Durchschauen zu spüren bekam, fühlten sich nicht billig oder schlecht verarbeitet an. Auch die Schnitte sahen für sie als Laie vollkommen in Ordnung aus.

Kleider mit Motiven, vollkommen blanke oder welche die mit besonderen Schnitten spielten: Yuri wusste nicht, welches sie davon als erstes probieren sollte. Natsuki schien es ähnlich zu gehen, immer mal wieder hob sie ein Kleid hoch, welches Yuris Geschmack nicht komplett zu treffen schien. Genauso, wie Yuris Vorschläge bisher bei Natsuki keinen Anklang gefunden hatten.

Gerade, als Yuri sich ein Kleid ansah, welches wie eine Mischung aus Kimono und Ballonrock aussah, bemerkte sie, wie Natsuki sich ihr von der Seite näherte. Dennoch gab sie einen erschrockenen Laut von sich.

„Hier, halte das man an deinen Körper“, konnte sie Natsuki sprechen hören, während sie ihr ein Kleid reichte. Es war schwarz, mit diversen weißen Schmetterlingen auf dem kompletten Stoff verteilt. Unter schwarzen, kleinen Puffärmeln kamen lange, weiße Ärmel zum Vorschein. Komplettiert wurde das Kleid durch Rüschen an der unteren Seite wie auch eine weiße Schleife auf Bauchhöhe und einem weißen, rüschenreichem Kragen.

Yuri konnte nicht anders, als das Kleid interessiert von oben herab zu betrachten, während sie es über ihren Körper hielt. Das untere Ende schien ihr knapp über das Knie zu gehen, sie konnte sich das kitzelnde Gefühl der Rüschen auf ihren Unterschenkeln deutlich vorstellen.

Natsuki sah sie dagegen mehr als nachdenklich an.

„Es ist zwar nicht so lange, wie du es haben wolltest, aber ich denke, es würde gut an dir aussehen. Du hast doch nichts gegen Schmetterlinge, oder?“, fragte Natsuki einen Ton zu scharf, was ihr selbst nicht entging.

„Also, ich meine, sie würden dich nicht stören?“

Yuri schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf.

„Absolut nicht, Schmetterlinge sind sehr schöne Tiere. Es gibt sie in allen Farben, Formen und Kulturen. Sie alle haben wundervolle Motive auf ihren Flügeln, die ihnen eine natürliche Eleganz verpassen. Gleichzeitig sind sie auch sehr zerbrechlich. Einmal ist ein Schmetterling auf meiner Hand gelandet und hat mich mit seinem Rüssel abgetastet, das war ein magischer Moment.“

Die Erinnerung erwärmte ihr Herz und ohne, dass sie es verhindern konnte, legte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ein größeres, als es ihr lieb war.

„Verstehe. Das hätte ich gerne gesehen, damit sahst du bestimmt aus wie eine Prinzessin!“

Erschrocken riss Yuri ihre Augen auf, doch ehe sie eine Antwort von sich geben konnte, lenkte Natsuki ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Kleid zurück.

„Möchtest du es anprobieren? Ich bin mir absolut sicher, dass es dir stehen wird. Und auch gefallen. Natsuki-Ehrenwort!“, sagte Natsuki mit solcher Bestimmtheit in der Stimme, dass Yuri nicht anders konnte, als es zumindest zu versuchen.

„Ja, ich kann es zumindest anprobieren“, sagte sie und suchte die nächstbeste Umkleidekabine. Kaum hatte sie ihre eigenen Sachen abgelegt und war in das Kleid hineingeschlüpft, betrachtete sie sich im Spiegel. Ihr Haar fiel locker über das Kleid und unter dem hellen Schein der Lampe kamen die Schmetterlinge auf dem Stoff noch deutlicher zum Vorschein.

Sowohl der Stoff des Unterrocks als auch der Ärmel fühlten sich trotz des körpernahen Schnitts bequem und angenehm an. Den Blick stets auf den Spiegel gerichtet, betrachtete sich Yuri aus allen Augenwinkeln, die ihr möglich waren. Je länger sie das Kleid betrachtete, desto mehr verliebte sie sich in es.

Natsuki hatte Recht, das Kleid stand ihr ziemlich gut, und Yuri wollte es sie unbedingt wissen lassen. Diese Zuversicht gab ihr einen ordentlichen Schubs. Noch während sie das Kleid trug, verließ Yuri die Umkleidekabine und begann, mit den Augen nach Natsuki zu suchen. Immerhin sollte sie aus erster Hand erfahren, wie gut ihre Einschätzung gewesen war. Mit einer raschen Handbewegung rief Yuri ihre Freundin zu sich herüber.

Kaum sah Natsuki sie, ließ sie einen Pfiff über die Lippen gleiten. Sie schien von Yuris Anblick beeindruckt zu sein.

„Wahnsinn! Das sieht um Wellen besser, als ich es mir ausgemalt hatte“, sagte Natsuki und ging um Yuri herum, um sie genauer betrachten zu können. Dass es ihr unangenehm war, entging der Jüngeren ganz dezent.

„Denkst du… denkst du das auch? Das freut mich“, sagte Yuri unsicher und wollte wieder nach ihrer Strähne greifen, als Natsuki wieder in ihrem Sichtfeld erschien.

„Natürlich, sonst hätte ich es ja nicht gesagt. Ich halte nichts davon, das eine zu denken und das andere zu sagen, davon hat am Ende niemand was. Was du manchmal denkst.“

Natsuki verschränkte die Arme und zog eine Schnute, doch Yuri kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, wann sie die Verletzte nur spielte.

„Auf jeden Fall bin ich dir dankbar, dass du mir dieses Kleid herausgesucht und gezeigt hast. Preislich liegt es auch vollkommen im Rahmen, ein weiterer positiver Pluspunkt. Das muss ich dir wirklich anerkennen.“

Die Schnute schrumpfte ein wenig, bevor sie vollkommen von Natsukis Lippen verschwand.

„Natürlich und gern geschehen! Immerhin weiß ich, was ich da tue, wenn ich mich hier drin umsehe. Wie dem auch sei, ich habe auch schon die ideale Idee, was wir mit deinen Haaren machen können!“

Aus Gewohnheit griff Yuri nach ihrer Haarsträhne und sah sie sich genauer an.

„Mit meinen Haaren? Ich verstehe nicht ganz, was möchtest du damit machen?“

Natsuki nahm die Arme wieder herunter, doch anstatt eine Antwort zu geben, gab sie Yuri lediglich ein Zeichen, für einen kurzen Moment auf sie zu warten. Dann verschwand sie in einen der vielen Gänge und kam wenige Sekunden später mit zwei schwarzen Gegenständen in ihrer Hand wieder zurück.

„Probiere die zwei hier an. Die sehen bestimmt gut aus, mit den zwei Strähnen, die du ohnehin die meiste Zeit vorne trägst“, sagte Natsuki, ihre Hand in Yuris Richtung ausgestreckt.

„Oh, danke, dann werde ich sie gleich mal anprobieren.“

Mit den Worten drehte sich Yuri wieder zur Umkleidekabine um, positionierte sich vor dem Spiegel und sah sich die zwei Gegenstände genauer an. Es waren schlichte Haarklammern, auf welchen jeweils ein großer, schwarzer Schmetterling befestigt war. Ein absoluter Kontrast zu den weißen Schmetterlingen auf ihrem Kleid und doch gefiel Yuri die Idee.

Schnell brachte sie eine Klammer nach der anderen an ihrem Haar an und drehte sich sofort am, als sie ungeduldige Geräusche hinter ihrem Rücken hören konnte. Natsuki hatte bereits zu grummeln begonnen. Welches sofort endete, als sie auf Yuris Haare zu starren begann.

„Das Werk eines Genies, nichts weniger als das. Die habe ich zufällig gefunden, als ich mir die Kleider angesehen habe und ich dachte mir, dass sie gut mit dem Kleid zusammenpassen würden. Dir stehen sie auch sehr gut, ist mal was anderes als die schlichte Haarklammern, die du sonst immer verwendest.“

Natsuki sah sie zufrieden an, als wäre sie ein Kunstwerk auf einer Leinwand. Vermutlich war sie das auch, doch Yuri ließ es mit sich machen. Zumal das Ergebnis ihr selbst auch sehr gut gefiel.

„Ich hätte mich ehrlich gesagt nie getraut, so etwas auffälliges in meine Haare zu tun. Aber es hat etwas Elegantes an sich und den Aspekt finde ich sehr, sehr schön.“

Yuri drehte sich um und betrachtete sich im Spiegel. Mit einem Mal kam ihr die Angst, mehr aus ihrer Frisur zu machen als üblich, lächerlich vor. Auf der anderen Seite würde sie damit nur unnötig auffallen und das war das letzte, was sie gebrauchen konnte. Noch mehr Leute, die sie anstarrten und mit ihren Blicken verfolgten. Dass im Augenblick nur Natsuki sie sehen konnte, war Yuri mehr als genug.

„Siehst du? Wenn du dich nur traust, dann kannst du richtig großartige Dinge mit einen Haaren anstellen!“

Natsuki grinste, als Yuri sich zur ihr umdrehte und ins Gesicht sah. Die Hände in die Hüften gestemmt, wirkte sie deutlich selbstbewusster, als Yuri sich im Augenblick fühlte. Sie wünschte sich, sie könnte sich von diesem Selbstbewusstsein eine Scheibe abschneiden.

„Danke, ich denke, ich habe einen kleinen Schubs in diese Richtung gebraucht. Sag mal“, begann Yuri, um von sich abzulenken. „Ich kann mir auch gut vorstellen, dass dir eine süße kleine Spange auch gut stehen würde. Vielleicht kleine Haarbänder, die wie Kirschen aussehen, die würden gut zu deinen rosa Haaren passen.“

Ein weiteres Mal fiel es ihr schwer, ihrer Clubkameradin in die Augen zu sehen. Doch das war auch nicht notwendig. Die angespannte Körperhaltung, in welche sich Natsuki augenblicklich versteift hatte, sprach bereits eine deutliche Sprache

„Es tut mir leid, verzeih mir, ich hätte nicht so forsch sein dürfen…“, sagte Yuri und wurde mit jedem Wort, dass sie aussprach, immer leiser. Sie hatte eine Grenze übertreten, was wurde ihr schmerzlich bewusst.

Zu ihrer Überraschung begann Natsuki damit, ihren Kopf zu schütteln.

„Nein, es ist schon in Ordnung, ich weiß, dass du mir nur ein Kompliment machen wolltest. Danke dafür“, sagte Natsuki und es fiel nun ihr schwer, den Augenkontakt längerfristig zu halten.

„Es ist nur… lass uns nicht darüber reden, ja? Schauen wir lieber, dass wir dein Outfit fertigbekommen, immerhin brauchst du noch Schuhe und Socken. Vielleicht noch was Kleines und Unauffälliges für deine Hand…“

Natsuki klang deutlich nachdenklicher als noch wenige Sekunden zuvor, musste Yuri feststellen. Es war ihr mehr als recht, immerhin war es für sie ein deutliches Zeichen, dass Natsuki ihr den Fauxpas verziehen hatte. Daher fiel es ihr auch nicht schwer, als ihrer beider Aufmerksamkeit nun wieder auf ihr ruhte.

„Ich muss nur wissen: Magst du eher lange oder kurze Socken? Und kannst du mit Absatzschuhen laufen? Für den Anfang würde ich dir keine allzu steilen Absätze empfehlen, am Ende haut es dich nur hin und das möchtest du nicht. Vor allem, nicht mit deiner Größe.“

Peinlich berührt begann Yuris Gesicht zu brennen.

„Nun, darauf zu landen ist auch sicherlich alles andere als angenehm…“, stammelte Yuri und wunderte sich, wie die Jüngere nun von allen Themen ausgerechnet auf dieses kommen konnte.

„Also… das habe ich doch gar nicht gemeint!“, sagte Natsuki entrüstet wie auch ebenfalls stark peinlich berührt.

„Jetzt mal ernsthaft, ich hatte deine Körpergröße gemeint! Menschen, die eine hohe Körpergröße haben, fallen länger und haben eine größere Chance sich schwer zu verletzen als Kinder oder Menschen mit einer geringen Körpergröße. Hier ging es nicht um irgendwelche sinnlosen Vergleiche.“

Natsuki begann zu schmollen, ein Anblick, den Yuri fast schon als niedlich empfand. Ein Gedanke, den sie lieber für sich behielt. Sie kannte Natsukis Reaktion, wenn diese davon erfahren sollte.

Daher ging Yuri lieber auf die Fragen ein, die die Jüngere ihr gestellt hatte.

„Nun, Socken, da habe ich keine bestimmte Länge, die ich bevorzuge. Kürzere Socken könnten sicherlich eine nette Abwechslung sein, das kann ich nicht so genau sagen. Und was die Schuhe angeht, ich hätte nichts gegen Stiefel mit Absatz, oder Schuhe, die in eine derartige Richtung gehen würden. Aber allzu viel Erfahrung habe ich damit nicht.“

Natsuki schien über Yuris Worte nachzudenken.

„Gut, dann hätte ich eventuell schon ein paar Socken für dich im Hinterkopf. Ich bin mir sicher, dass sie dir gefallen werden. Warte hier, ich bringe sie dir“, sagte Natsuki und verschwand wieder in den Tiefen des Geschäftes. Yuri fand es faszinierend, was für einen gewaltigen Unterschied sechzehn Zentimeter machen konnten. Während sie selbst gerade noch so über die Regale und Kleiderständer des Ladens schauen konnte, verschwand Natsuki darin wie in einem Labyrinth.

 

Und für einen kurzen Augenblick hatte Yuri den Eindruck gewonnen, dass Natsuki tatsächlich verloren gegangen sein könnte, da sie sich deutlich mehr Zeit ließ als noch zuvor. Yuri wollte schon nach ihr sehen, als ihre rosafarbenen Haare hinter einer Regalreihe zum Vorschein traten.

„Bitte schön, hier sind kurze Socken. Die Rüschen passen gut zu denen vom Kleid“, sagte Natsuki und reichte Yuri ein paar kurzer, weißer Socken. Die Rüschen gefielen ihr, von der Größe her waren sie nicht anders als normale Standardsocken. Kürzer als die Kniestrümpfe, die sie sonst immer in der Schule trugen. Doch allein schon mit dem Kleid übertrat Yuri sämtliche Grenzen, was ihren Kleidungsstil anging. Kürzere Socken fielen da nicht mehr allzu sehr ins Gewicht.

„Außerdem habe ich noch hier gefunden. Ist das deine Schuhgröße? Ich habe vergessen dich zu fragen und musste raten“, sagte Natsuki, als Yuri das Paar Schuhe entdeckte, dass sie unter ihrem linken Arm trug.

„Die hier haben einen recht geraden Absatz, aber auch nicht zu hoch, um die sechs oder sieben Zentimeter, ich denke, das sollte für einen Anfänger wie dich sehr leicht zu tragen sein. Darin solltest du problemlos laufen können.“

Yuris Blick überflog sowohl die Socken als auch die Schuhe und nickte zufrieden.

„Nein, nein, das ist vollkommen richtig, du hast mit deiner Schätzung eine Punktladung getroffen. Das ist genau die richtige Schuhgröße, die ich benötige.“

Yuris Augenbraue hob sich, der Zweifel stand ihr quer über das Gesicht geschrieben.

„Ist das auch wirklich wahr? Oder willst du nur nett sein?“

Yuri schüttelte langsam, fast schon anmutig, ihren Kopf.

„Nein, ich lüge dich nicht an, davon hätten wir beide nichts. Zumal es ungesund ist, sich Kleidung überzuziehen, die einem nicht passt. Ganz besonders, was Schuhe angeht.“

Wieder blickte Yuri auf die Schuhe zurück, achtete dieses Mal jedoch auf die Verziehungen, und weniger die aufgedruckte Zahl im Schuhinneren.

„Mit den Schleifen hier sieht das wirklich sehr nett aus“, sagte Yuri und konnte es kaum erwarten, die Schuhe anzuprobieren.

„Siehst du! Ich dachte mir doch, dass es dir gefallen könnte. Sie passen damit optisch super zum Rest deines Outfits!“

Natsuki hatte von der einen Sekunde auf die anderen wieder ihr komplettes Selbstvertrauen wiedergefunden, eine Eigenschaft, die Yuri schon länger an ihr bewunderte. Sie selbst brauchte dagegen viel länger, bis sie sich von derartigen Dingen erholt hatte.

„Ich werde diese beiden Sachen schnell anprobieren gehen!“, sagte Yuri und schritt zurück in die Umkleidekabine, in welcher sie sich sofort an den Füßen umzog. Kaum hatte sie die neuen Schuhe an, musste sie Natsuki in Gedanken recht geben. Gedanken, die auch sofort ihren Weg in die Welt fanden, kaum, dass Yuri wieder vor Natsuki stand.

„Du hattest vollkommen recht. Ich bin zwar mehrere Zentimeter Höhe, aber es ist nicht sonderlich anstrengend, in den Schuhen herumzulaufen. Sobald ich mich daran gewöhnt habe, werde ich ganz normal in ihnen gehen können.“

Zufrieden nickte Natsuki sie an, dann zückte sie ihr Handy und machte ein Foto. Yuri erschreckte sich und verdeckte beschämt ihr Gesicht.

„Das… wirst du doch nicht den anderen zeigen, oder?“, fragte sie nervös und Natsukis Grinsen wuchs auf eine beunruhigende Größe heran.

„Nein, keine Sorge, das ist nur für dich. Damit du schon einmal ein Erinnerungsfoto haben kannst. Und damit du dich auch mal mit anderen Augen siehst. Das Outfit steht dir ausgezeichnet… so, ich habe es dir geschickt“, sagte Natsuki, während sie auf ihrem Handy herumgetippt hatte. In der gleichen Sekunde konnte Yuri ihr Handy vibrieren hören und ging zu ihrer Tasche herüber, um es herauszuholen.

Auf dem Foto, welches Natsuki ihr geschickt hatte, konnte sie sich selbst sehen, direkt am Eingang der Umkleidekabine. Das viele dunkle Schwarz an ihrem Körper war ein ungewohnter, aber auch schöner und geheimnisvoller Anblick. Es gefiel ihr und je länger sie das Bild sah, desto positiver wurde ihre Meinung darüber.

„Du siehst stark aus, das musst du mir glauben! Fühl dich geehrt! Denn solche Komplimente verteile ich nicht einfach so für lau. Die muss man sich verdienen und das hast du heute getan“, sagte Natsuki, wie immer die Arme vor der Brust verschränkt. Glücklich lächelte Yuri sie an.

„Vielen Dank, dass du mir geholfen hast, das Outfit zusammen zu stellen. Und dass du mir den Mut gegeben hast, das auch durchzuziehen. Wer weiß, ohne dich würde ich immer noch vor diesem Geschäft stehen und mich nicht hineintrauen.“

Yuri nahm tief Luft, bevor sie den nächsten Satz aussprach, der ihr auf der Zunge brannte.

„Du bist eine gute Freundin, tief in dir drin, auch wenn du es niemals offen zugeben würdest.“

Natsuki drehte augenblicklich ihren Kopf zur Seite, peinlich berührt sah sie die Kleider an, die neben ihr an einem Ständer hingen.

„Keine Ursache. Und ja, wir sind Freunde, sowas machen Freunde nun mal! Sie unterstützen und helfen sich, wo sie nur kennen, ohne irgendwelche Hintergedanken. Nur, um jemanden eine Freude zu machen. Das ist doch normal!“

Wieder musste Yuri lächeln. Sie wusste, dass Natsuki aus reinem Selbstschutz dieses harte Auftreten an den Tag legte und wünschte sich, sie könnte es zumindest für den Club ablegen. Gleichzeitig wusste sie, wie schwer es war, festgesessene Handlungsgewohnheiten loszuwerden. Es war ein fast täglicher Kampf gegen ihre inneren Dämonen.

„In Ordnung“, sagte Yuri, um die Situation ein wenig zu entspannen.

„Dann werde ich mich umziehen gehen und wir können zur Kasse, wenn du möchtest.“

Die Rückkehr des Grinsens bestätigte Yuri, dass ihr Entspannungsversuch von Erfolg gekrönt war.

„Das solltest du lieber machen, allein schon für mich. Ich kann es mir nicht erlauben, zusammen mit dir beim Ladendiebstahl erwischt zu werden“, sagte sie in dem neckischen Ton, den Yuri bereits sehr gut von ihr kannte.

„Da musst du dir wirklich keine Sorgen machen“, zwinkerte Yuri ihr zu und zog den Vorhang der Umkleidekabine zu, bereit, wieder in ihre eigene Alltagskleidung zurückzukehren.

 

~

 

„In Ordnung, lass uns nochmal alles durchgehen“, sagte Natsuki, kaum hatte Yuri die Umkleidekabine wieder verlassen. Das Kleid trug sie über dem Unterarm, den Rest hielt sie mit ihren Händen fest.

„Wir haben ein schönes Kleid, süße Haarspangen wie auch passende Schuhe und Socken. Dennoch, ich werde das Gefühl nicht los, dass wir etwas vergessen haben.“

Nachdenklich kaute Natsuki an der Spitze ihres Daumens herum, und auch Yuri dachte darüber nach, was sie alles besprochen hatten. Ihr fiel es wie die Schuppen vor den Augen.

„Du meintest, ein nettes kleines Accessoire wäre vielleicht nett“, erinnerte sich Yuri an den Vorschlag.

„Vielleicht kleine Handschuhe oder einen kleinen Ring, etwas in der Art hattest du vermutlich im Sinn.“

Natsukis Verwirrung wich einem kleinen, aufgesetzten Lächeln, das sie von sich gab.

„Natürlich kann ich mich noch daran erinnern, ich wollte dich nur testen, ob du es auch noch weißt!“, sagte sie in einem übertrieben schnellen Tempo, bevor sie sich umdrehte und wegging. Yuri blickte sie verdutzt an, dann lief sie ihr hinterher, um sie nicht zu verlieren.

Es dauerte nicht lange, bis sie Natsuki gefunden und wieder eingeholt hatte. Sie war vor einer langen Anreihung von Schaufensterhänden stehen geblieben. Sie alle trugen Handschuhe, Ringe und anderen Schmuck, welcher einen elenganten Eindruck machte. Von der Auswahl überfordert sah sich Yuri jede einzelne beschmückte Hand an.

„Handschuhe würde ich dir nicht empfehlen, du hast bereits längere Ärmel, daher würde dir ein Ring oder zwei besser stehen. Dann hast du eine schöne Verzierung an der Hand, aber ohne zu viel von dir zu verdecken. Das würde merkwürdig aussehen, zumal deine Beine dafür sehr frei sein würden.“

„Ich habe nichts dagegen, wenn meine Beine frei sind“, murmelte Yuri in ihren nicht-vorhandenen Bart hinein. Leise genug, damit Natsuki es nicht hören oder zumindest gut verstehen konnte.

Dann sah sie ich noch ein weiteres Mal um, immer wieder blieb ihr Blick auf einer Kombination aus Armband und Ring haften. Beide Schmuckteile waren durch eine schwarze Kette verbunden. Auch besaßen sie beide einen kleinen, schwarzen Stein, von dem Yuri sofort wusste, dass es sich höchstens um Plastik handeln konnte. Aus dem gleichen Metall, aus welchem der Rand bestand, hatte man auch noch einen kleinen Schmetterling geformt. Sein Körper schmiegte sich an den falschen Edelstein, als würde er sich darauf nur kurz ausruhen. Das Armband dagegen war geklöppelt. Wenn man es um den Handgelenk legte und verschloss, bildeten beide Enden zusammen einen Schmetterling.

Zögerlich deutete Yuri mit dem Finger darauf. Zumindest hätte sie es gerne getan, wenn ihr Hände frei gewesen wären. So blieb ihr nichts anderes übrig, als mit einer der Schuhspitzen auf das Objekt ihrer Neugierde zu zeigen.

„Schau doch mal, Natsuki, was denkst du? Das dort drüben sieht doch schön aus, dieser Ring, der mit dem Armband durch ein Kettchen verbunden ist“, schlug Yuri vor, während sie noch immer darauf deutete.

Natsuki folgte ihrem Blick und ihre Augen blieben an dem Schmuck haften.

„Ah, das mit dem Schmetterling als Verschluss ist eine sehr gute Idee. Du hast ein großartiges Auge für solche Details, hat dir das schon jemand mal gesagt?“

Sie nahm den Schmuck vorsichtig von der Schaufensterhand herunter und sah ihn sich genauer an.

„Eine Handkette also – das hatte ich ehrlich gesagt nicht im Hinterkopf. Du überraschst mich, Yuri. Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet du dich für Handketten interessieren könntest.“

Nachdem sie die Kette ausgehend betrachtet hatte, drehte sie sich zu Yuri um.

„Leg mal die Socken und Schuhe ab, ich will wissen, ob dir das passt.“

Da das Kleid auf Yuris Arm ihre Bewegungsfreiheit einschränkte, nahm ihr Natsuki einen Gegenstand nach dem anderen ab und legte sie auf einem Regal ab.

„Gib mir deine Hand“, sagte Natsuki in einem bestimmenden Ton und Yuri gehorchte. Sie reichte der Jüngeren ihre Hand und diese steckte ihr den Ring an, bevor sie das Armband um das Handgelenk legte.

Anschließend trat Natsuki einen Schritt zurück und sah sich das Gesamtbild mit prüfendem Blick an.

„Fühlt es sich gut an? Ist das Armband zu eng oder der Ring zu kratzig?“, fragte Natsuki, während sie weiterhin auf die Armkette starrte. Yuri folgte ihrem Blick.

„Nein, ich kann mich nicht beschweren. Es fühlt sich weder zu eng noch zu kratzig an, oder stört mich auf eine andere Art und Weise. Es würde gut zu meinem Outfit passen.“

Prüfend hob Yuri ihre Hand und betrachtete das Schmuckstück von allen Seiten.

„Es wäre auch nicht zu übertrieben, nur ein netter, kleiner Bonus.“

Zufrieden verschränkte Natsuki die Arme vor der Brust und lächelte Yuri an.

„Gut, dann haben wir ja alles, was wir für dich benötigen. Und wenn ich das richtig zusammengerechnet habe, dann müsste es noch deutlich unter dem Budget liegen, dass du vorhin genannt hattest. Können wir dann zur Kasse gehen?“, fragte sie voller Vorfreude. Yuri nickte sie nur stumm an.

„Dann lass uns gehen, hier hält uns nichts mehr!“

Zusammen trugen sie die Einkäufe zur Kasse, um den Kauf so schnell wie möglich abzuwickeln. Während Yuri ihren Geldbeutel wieder verstaute, verpackte die Verkäuferin mit höchster Sorgfalt jeden einzelnen Gegenstand, bevor sie alles in eine große Plastiktüte legte.

„Vielen Dank für Ihren Einkauf“, sagte die Verkäuferin und verneigte sich freundlich vor Yuri. Yuri tat es ihr gleich, bevor sie der Angestellten einen schönen Tag wünschte. Kaum hatte sie den Kassenbon in die Plastiktüte gesteckt, machten die beiden sich auf den Weg, um das Geschäft zu verlassen. Dabei begann Yuri ein wenig zu lächeln. Heute war ein herrlicher Tag und sie war froh, Natsuki über den Weg gelaufen zu sein.

 



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