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Samhain - Der Feind meines Feindes

Magister Magicae 10
von

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Die dubiose Villa

Victor hatte sich vorübergehend in einen Raben verwandelt und Kreise über dem Gebiet gezogen. Erst nach einer ganzen Weile landete er wieder neben Urnue auf dem Hausdach und kehrte in seine menschliche Gestalt zurück. Die mit dem langen Ledermantel und den schulterlangen, schwarzen Haaren. Er wirkte immer noch skeptisch.

"Und? Hast du was gefunden?", wollte Urnue wissen.

"Nichts. Keine offizielle Polizei. Nichtmal Bettler, die auffallend in den Straßen rumlungern und getarnte Sicherheitskräfte sein könnten."

Urnue hielt vielsagend sein Handy hoch. "Shaban hat mich vorhin nochmal angerufen. Er sagt, Vladislav ist gerade irgendwo in dieser Straße da unten unterwegs."

"Ja. Ich hab ihn schon gesehen. Er bewegt sich direkt auf uns zu."

Urnue atmete schwer durch. "Dann Showtime, was?"

Victor griff sich ins Genick und fummelte den Verschluss einer Halskette auf, die er trug. Als er sie samt dem kleinen Anhänger aus seinem T-Shirt-Ausschnitt gezogen hatte, drückte er sie dem Wiesel-Tiergeist in die Hand. "Tust du mir einen Gefallen und hebst die für mich auf? Wenn Vladislav nicht völlig dumm ist, wird er mir alles wegnehmen, was ich in den Taschen und am Körper trage. Aber die Kette brauch ich noch."

"Ist gut."

"Wenn du willst, kannst du sie so lange selber tragen. Die Magie auf dem Anhänger verhindert, dass Gedankenleser restlos alles auslesen können, was dir so durch den Kopf geht."

Urnue nickte einverstanden.

Victor schob beide Hände erst in die Manteltaschen, dann in die Hosentaschen, als würde er etwas suchen, und ließ den Blick schließlich auf seiner linken Hand ruhen. Er schien zu überlegen. Nach kurzem Zögern nahm er auch noch einen Ring ab, den er dort trug, und hielt ihn Urnue ebenfalls hin. "Hier. Da du selber kein Fluch-Magier bist, wird der dir vielleicht auch nützlich sein. Der wehrt simplere Flüche und Verwünschungen ab. Dass du mal an jemanden gerätst, der dir wirklich hardcore-Flüche an den Hals hetzen will, ist wohl eher unwahrscheinlich."

"Dragomir ...", meinte Urnue in leicht protestierendem Tonfall, auch wenn er den Ring dennoch annahm. "Hör auf damit. Du gibst mir gerade das Gefühl, dass ich dich nie wiedersehe."

Der Russe lächelte amüsiert. "Du sollst nur meinen Krempel für mich aufbewahren, damit Vladislav mir das Zeug nicht wegnimmt."

"Ja-ja ... So klang das aber gerade nicht."

"Hör zu, Urnue", meinte Victor, wieder deutlich ernster. "Ich weiß, du bist absolut nicht begeistert von der Aktion. Wirst du dich trotzdem an den Plan halten, wie wir ihn abgesprochen haben?"

"Ja."

"Ich muss mich auf dich verlassen können. Versprichst du mir das?"

Urnue nickte ernst. "Versprochen."

Victor zog ihn in eine kumpelhafte Umarmung. "Danke ... Freund."

"Viel Erfolg. Und lass dich gefälligst nicht umbringen, wenn du so gnädig wärst."

"Mal sehen, was ich tun kann. ... Man sieht sich", meinte Victor und nahm erneut die Gestalt des Raben an, um schneller vom Hausdach runter auf die Straße zu kommen. Der Weg über die Feuerleiter und das Treppenhaus hätte jetzt zu lange gedauert.
 

Waleri trottete lustlos und auch ein wenig grummelig die schwach bevölkerte Fußgängerzone entlang. Links und rechts säumten Verkaufsstände den Weg. Er selbst hatte kein Interesse an den Waren, aber Vladislav hielt ungerührt hier und da an, um zu schauen. Waleri war etwas sauer auf ihn. Dafür, dass sie gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen und vermutlich schwer gesucht waren, erfreute sich Vladislav ziemlich sorglos seines Lebens. Es wäre Waleri lieber gewesen, wenn sie in Deckung geblieben wären. Wenigstens die erste Zeit, bis sich alles wieder beruhigt hatte. Wohl darum war er auch nicht sonderlich aufmerksam. Er wünschte sich förmlich, wieder von irgendwem aufgegriffen und ins Gefängnis zurückgebracht zu werden, einfach nur um seinem hochmütigen Schützling einen Denkzettel verpasst zu sehen.

Er wandte sich von einem Straßenstand ab, schlenderte geruhsam weiter, sah dabei wieder nach vorn und ihm entschlüpfte ein schockiertes "Wow!", als er fast in eine Person mit schwarzem Ledermantel hineinrannte.

Victor Akomowarov, der Waleri im gleichen Moment seinerseits bemerkte und erkannte, erstarrte mit schreckgeweiteten Augen, und konnte sich ein "Oh!" ebenfalls nicht verkneifen.

Waleri reagierte schneller. Er packte Victor am Mantelaufschlag und setzte seinen Zeitpuffer ein. Die Welt um ihn herum gefror zum Standbild, und Victor mit ihr. "Vladislav! Tu was!", presste er dabei auffordernd durch die Zähne. Seine Zeitpuffer-Fähigkeit einzusetzen, kostete ihn jedes Mal körperliche Anstrengung, besonders wenn er einzelne Personen davon ausnehmen musste.

Vladislav, der gerade noch damit beschäftigt war, sich zu wundern, warum er in einen plötzlich erstarrten Passanten hineingerannt war, schaute herum und hatte nicht minder mit einer kurzen Überforderung zu kämpfen. Das war wirklich Victor Akomowarov! Unglaublich. In Vladislavs Kopf überschlugen sich die Optionen. Er war drauf und dran, die Knarre zu ziehen und Victor einfach umzulegen. Aber sie waren hier in einer Fußgängerzone. Zeitpuffer hin oder her, es gab viel zu viele Zeugen, derer sie nachher nicht mehr Herr werden würden. Kurzentschlossen zückte er Zettel und Stift und schmierte schnell einige Zeichen darauf, um eine Bannmarke herzustellen. "Gut, lass los!", trug er Waleri auf.

Der Schutzgeist ließ seine Fähigkeit erleichtert fahren, glücklich, der körperlichen Kraftanstrengung endlich nachgeben zu dürfen.

Im gleichen Moment pappte Vladislav Victor den Bannzettel auf die Brust und fing ihn auf, als der augenblicklich bewusstlos in sich zusammensackte. "In den Hinterhof mit ihm!", kommandierte Vladislav weiter. Er deutete mit dem Kinn auf eine große, doppelflügliche Durchgangstür in der Häuserfront, kaum 5 Schritte von ihnen entfernt.

Waleri öffnete ihm die glücklicherweise unverschlossene Tür und krachte sie hinter Vladislav wieder zu, als der seine Geisel hindurchgezerrt hatte. In der Passage waren sie allein. Drinnen sanken beide erschöpft und erleichtert in sich zusammen, gemeinsam mit ihrem ohnmächtigen Opfer. Sie hofften einfach mal, mit ihrer Aktion nicht allzu viel Aufsehen erregt zu haben. Hier konnten sie sich in Ruhe überlegen, wie es weitergehen sollte.

Vladislav warf dem Muskelprotz einen bösen Blick zu. "Ein toller Schutzgeist bist du, dass du Victor so nah an uns rankommen lässt. Hätte er uns eher bemerkt, hätten wir beide tot sein können!", maulte er.

Anbetracht der Tatsache, dass Vladislav ihn ja ebenfalls nicht eher gesehen hatte, zog Waleri sauer die Augenbrauen zusammen. "Und du bist ein echt toller Magier, wenn dir nichts besseres einfällt, als Victor einfach schlafen zu legen", hielt er uneinsichtig dagegen. "Überleg dir lieber, was du jetzt mit ihm machen sollst! Wir werden ihn wohl kaum bewusstlos durch die Straßen schleppen können."

"Vorsicht, Freundchen! Nicht in diesem Tonfall!", verlangte Vladislav düster. "Der Schutzgeist ist immer noch deine Rolle, vergiss das nicht! Also tu deinen Job!"

Zähneknirschend hielt Waleri die Klappe. Er wusste nur zu gut, was von Vladislav zu erwarten war, wenn der sich ungerechtfertigt angemacht fühlte.

Vladislav sah wieder auf den jung wirkenden Kerl im schwarzen Ledermantel und überlegte. "Gut, ich sag dir, was wir tun werden. Du gehst jetzt los und beschaffst einen Lieferwagen. Und dann laden wir ihn ein. Ich warte so lange hier bei ihm."

"Das hier ist ne Fußgängerzone!"

"Und? Was glaubst du, wo die vielen Läden hier ihre Lieferungen herkriegen? Mit dem Handwagen vielleicht?"

Waleri seufzte missmutig. "Schon gut. Ich gehe." In Gedanken grübelte er bereits, wo er auf die Schnelle einen Transporter hernehmen sollte. Ein paar Straßen weiter hatte es früher mal eine Autovermietung gegeben. Vielleicht existierte die noch. Oder er lieh sich beim nächstbesten Autohaus einen für eine angebliche Probefahrt aus. Ihm würde was einfallen. Mehr Bedenken hatte er bei dem Umstand, seinen Schützling solange allein lassen zu müssen. Das war gefährlich und ein absolutes No-Go für Schutzgeister, wenn sie ihre Schützlinge in dieser Zeit nicht zumindest in der Obhut eines anderen, vertrauenswürdigen Genius lassen konnten.
 

"Waleri", meinte Victor, halb erkennend, halb grüßend, aus der Ecke seiner Zelle. Offenbar war er gerade damit zugange, die aus Natursteinen gemauerten Wände auf Schwachstellen abzuklopfen. Er klang nicht überrascht, dem Glatzkopf hier zu begegnen.

Waleri schaute kurz ziemlich dumm aus der Wäsche. "Du bist wieder wach?"

"Scheint so. Sollte ich das etwa nicht sein?"

Waleri wandte sich kopfschüttelnd wieder ab, da er mit Victor weder reden wollte noch sollte, und widmete sich stattdessen den Pappkartons, wegen denen er hergekommen war. Abgesehen von der Kerkerzelle wurde dieser Keller tatsächlich auch ganz zweckentsprechend zum Lagern von Sachen genutzt. Waleri suchte nach einem bestimmten Stehordner mit Unterlagen und war selbst ein wenig erstaunt, dass die Polizei seit ihrer Verhaftung hier nicht längst alles auf den Kopf gestellt hatte. Wussten die wirklich nichts von diesem Haus? Das konnte er sich gar nicht vorstellen.

"Sag mal, wo sind wir hier eigentlich?", wollte Victor aus seiner Zelle heraus wissen.

"In Vladislavs Villa. Ihm gehört das Anwesen", brummte Waleri nur knapp zurück. Er glaubte nicht, damit schon zuviel verraten zu haben. Was wusste Victor schon von irgendwelchen Villen? Und selbst wenn, würde er diesen Ort so oder so nicht lebend wieder verlassen. Es spielte keine Rolle mehr, ob Victor hiervon wusste oder nicht. Mit Schwung stapelte er einen Karton um, damit er an den darunterliegenden herankam.

Ungläubig sah Victor sich um. "Vladislav hat in seiner Privatvilla eine Gefängniszelle im Keller? Das sagt echt ne Menge über ihn aus ..."

Der Muskelprotz nickte zustimmend. "Du bist der erste, der da drin steckt. DAS sollte dir Gedanken machen, mein Bester", befand er und zog endlich den gesuchten Ordner hervor. Dann machte er sich zurück auf den Weg nach oben, raus aus dem Keller. Er war hier erstmal mit allem fertig.

"Warte mal, wie lange habt ihr mich schlafen lassen?", rief Victor ihm hinterher. "Ist immer noch Dienstag?"

"Es ist Mittwochmorgen", brummte Waleri tonlos, dann war er weg.
 

Als Waleri etliche Stunden später das nächste Mal in den Keller kam, saß Victor auf dem Fußboden, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, die Beine überkreuz geschlagen, die Hände im Schoß. Er wirkte gelangweilt. Waleri musterte ihn kurz prüfend. "Du heckst doch nichts aus, Kumpel, oder?"

"Was meinst du?", fragte Victor irritiert zurück. "Mache ich diesen Eindruck denn?"

"Solltest du nicht einen Haufen Terz machen und uns bedrohen und beleidigen?"

Victor wog kurz abwägend den Kopf hin und her. "Wenn ihr das wünscht, tue ich das", meinte er nüchtern. "Aber eigentlich wäre es mir lieber, wenn Vladislav einfach mal runterkäme und ganz unvoreingenommen mit mir reden würde."

"Wünsch es dir nicht. Der wird sich noch früh genug um dich kümmern", kommentierte Waleri, bevor er sich wieder den Kartons mit Unterlagen zuwandte und zu kramen begann.

"Was beschäftigt ihn denn so sehr, dass er mich nicht sehen will? Ich hätte nicht geglaubt, dass für ihn irgendwas mehr Priorität haben könnte, als die Rache an mir."

Waleri warf ihm einen nachdenklichen Blick zu, als würde er überlegen, ob er Victor wirklich Auskünfte dazu geben sollte. Es folgte ein rückversichernder Blick zur Treppe. Was sollte es, Victor war eh bald tot und konnte mit der Info sowieso nichts mehr anfangen. "Vladislav macht Bestandsaufnahme, was vom Kartell noch übrig ist, und trommelt die verbliebenen Leute wieder zusammen. Er hat in den letzten Tagen schon etliche Mitglieder persönlich abgeklappert, bevor du uns ins Netz gegangen bist."

"Prima ...", befand Victor deprimiert. "Er will die Motus ernsthaft wieder aufleben lassen?"

"Ja, und zwar z.z.: ziemlich zügig. ... Und jetzt halt die Klappe", trug der Schutzgeist ihm auf. Abermals wühlte er suchend in den Kartons herum.



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