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Another Side

Another World, another Wesker 1.5
von

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Kapitel 8: Ruh dich etwas aus


 

Jill sah so blass und zerbrechlich aus, wie sie auf ihrem Bett lag. Man hatte ihnen versichert, dass es ihr gut ging, ihre Werte alle normal waren, sie sogar einmal kurz wach gewesen war, und man nun nur noch warten müsste, bis sie richtig wach wurde, was aber bis zum nächsten Tag dauern könnte. Sie lag inzwischen in ihrem Einzelzimmer, das Albert für sie organisiert hatte – das von Chris war sogar direkt nebenan. Deswegen blieb er am längsten an Jills Bett stehen, neben Albert, der ohnehin vorhatte, auf dem Sofa zu schlafen, das dieses Zimmer zu bieten hatte; er würde Jills Seite nicht verlassen, bevor sie nicht aufgewacht war. Die anderen waren bereits gegangen, um sich endlich hinzulegen. Lediglich Claire war auf dem Weg in Chris' Apartment, um ihm neue Kleidung zu bringen, die er unbedingt benötigte.

Jill atmete tief, manchmal zuckte eine ihrer Hände. Der Verband um ihren Kopf ließ sie so krank wirken, dass es Albert schmerzte. Er wünschte sich so sehr, dass sie aufwachte – als seine Jill –, wieder mit ihm redete, ihm zuhörte und ihm das Gefühl gab, an einen Ort zu gehören. Aber noch mussten sie warten.

»Hey, Al.« Chris' Blick war weiter auf Jill gerichtet, in seinen Augen schien ein eigentümliches Feuer zu brennen, das Albert nervös machte. »Ist irgendetwas mit Jill passiert, während ich weg war? Sie wirkte so anders, als wir im R&D Center waren.«

Bestimmt war sie unerschrocken gewesen, in der sicheren Überzeugung, dass sie aus dieser Situation wieder herauskäme, weil sie schon Schlimmeres erlebt hatte. Er konnte das Chris nicht erzählen, das wäre Jills Aufgabe, deswegen zuckte er mit den Schultern. »Vielleicht hat dein Verschwinden sie dazu gebracht, sich noch mehr anzustrengen als sonst.«

»Nein, das glaube ich nicht. Sie war komplett anders. Du musst doch wissen, was ich meine.«

Chris hatte es sofort gemerkt und war nicht gewillt, ihre neue Persönlichkeit irgendwelchen Erlebnissen zuzuschieben, anders als Albert. Vielleicht kannte Chris sie einfach besser als er.

»Natürlich weiß ich es. Aber ich kann dir nicht sagen, was mit ihr ist.«

Er wandte sich Albert zu, das Feuer in seinen Augen glühte stärker. »Ich hab den Eindruck, du willst es mir nicht sagen. Das ist okay, ich werde dich nicht mehr fragen. Sag mir nur, ob es ihr gut geht. Das ist alles, was mich interessiert.«

Er war froh, dass Chris nicht weiter nachbohren wollte, schließlich könnte er ihn nicht lange anlügen oder ihm derart ausweichen. Allerdings wusste er auch nicht, ob es seiner – ihrer – Jill gut ging, er konnte nur hoffen. Dennoch wollte er Chris nicht bedrücken, deswegen nickte er. »Sie ist in Ordnung. Mach dir keine Sorgen.«

Das darauf einsetzende Lächeln ließ das Feuer in seinen Augen erlöschen. »Dann bin ich erleichtert. Danke, dass du dich um sie gekümmert hast.«

Die Worte trafen ihn erneut direkt in seine Brust. Sobald Jill wieder wach wurde und erst einmal Chris gesehen hatte, war er selbst mit Sicherheit abgeschrieben. Hätte er gewusst, wie kurz die Zeit zwischen ihnen beiden war, hätte er sie mehr ausgekostet. Aber er wollte ihnen auch nicht im Weg stehen, wenn sie zusammen sein wollten. Chris war ein guter Mann, er würde sich gut um Jill kümmern, darauf kam es an.

»Tja«, sagte Chris, nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen hatten, »ich denke, ich gehe dann mal ins Bett. Ich bin echt ziemlich müde und so, du weißt ja.«

»Nein, warte.« Sie waren gerade unter sich, also sollte er diese Gelegenheit nutzen, bevor er nicht mehr dazukäme – das war jedenfalls Alberts Gedanke, als er ihn aufhielt.

Chris sah ihn wieder eigenartig erwartungsvoll an. Sicher wartete er noch auf eine Entschuldigung, die Albert ihm auch sofort lieferte: »Es tut mir leid, dass ich dir nicht zugehört habe. Du hattest die ganze Zeit recht, und ich hätte dir einfach glauben sollen. Selbst wenn ich anderer Meinung war, hätte ich mir deine Beweise zumindest ansehen müssen. Hätte ich das alles getan, dann wäre dir der letzte Monat bestimmt erspart geblieben.«

Chris blinzelte, fast wirkte er enttäuscht. »Mann, Al, denkst du da echt drüber nach?«

»Natürlich.« Es kränkte ihn ein wenig, dass Chris ihn nicht ernstzunehmen schien. »Ich habe seit deinem Verschwinden ein schlechtes Gewissen deswegen.«

»Das sieht dir ähnlich. Aber dafür gibt es keinen Grund. Ich meine, hey, das kam von mir. Und ich kann nicht mal Kreuzworträtsel lösen. An deiner Stelle hätte ich mir wahrscheinlich auch nicht geglaubt, vor allem nachdem Umbrella sich ja schon rausgeredet hatte. Und inzwischen weiß ich ja auch, wie du aufgewachsen bist, also ...«

Ein wenig hilflos hob er die Hände. »Ich will eigentlich nur noch eines von dir wissen. Wenn du mir da die Wahrheit sagst, verzeih ich dir alles, was du willst.«

Etwa auch, dass er sich für Jill interessierte und sie geküsst hatte? Das würde er ihm lieber erst ein andermal erzählen, für heute nickte er einfach nur.

»Du hast wirklich keinen Kontakt mit Alex, oder?«

Gut, das war zumindest etwas, was er ihm wirklich ganz einfach beantworten konnte: »Absolut keinen, in welcher Form auch immer. Ich war überrascht, dass sie noch lebt.«

Chris atmete auf. Lächelnd klopfte er ihm gegen die Schulter. »Okay, dann mach dir jetzt keine Gedanken mehr. Ich trage dir nichts nach, mir geht es gut, alles ist super.«

Er wollte ihm das gern glauben, aber er wusste selbst schon, dass er sich noch mehr als einmal entschuldigen würde. Das müsste Chris wohl aushalten.

»Dann geh ich mal ins Bett. Pass du weiter auf Jill auf.«

Albert wünschte ihm eine gute Nacht. Chris tippte sich zum Abschied an die Stirn, dann verließ er das Zimmer. Er sah seinem besten Freund hinterher und atmete tief durch. Er war am Leben und sagte, er verzeihe ihm. Alles war besser gelaufen, als Albert es sich zu träumen gewagt hatte. Es fehlte nur noch, dass Jill aufwachte. Er hoffte, dass es seine Jill wäre, aber auch die andere würde ihn zumindest schon beruhigen.

Inzwischen war es Nacht geworden und die Müdigkeit machte sich auch bei ihm bemerkbar. Er zog sein Jackett aus und legte sich auf das Sofa, so dass er aus dem Fenster blicken konnte. Die Stadt war so hell, dass keine Sterne zu sehen waren, aber da er schon immer hier gelebt hatte, kümmerte ihn das nicht einmal wirklich. Er fand den undurchdringlich schwarzen Nachthimmel beruhigend, genau wie die Lichter der Großstadt. Zufrieden schloss er die Augen.

Und als er sie wieder öffnete, blickte er in die vermummten Gesichter mehrerer Ärzte, die sich über ihn beugten. Sein Arm schmerzte, er hörte sich selbst leise schluchzen, dazwischen die Stimmen einiger Männer, die sich im Hintergrund unterhielten: »Er hat viel Blut verloren.«

»Aber die Infektion breitet sich nicht aus.«

»Wir brauchen eine Bluttransfusion.«

»Es ist erstaunlich. Liegt das in der Familie?«

»Sorgt dafür, dass er still ist, dieses Geweine geht mir auf die Nerven.«

Ein kurzer Schmerz brannte in seinem rechten Arm, breitete sich in ihm aus, dann wurde alles wieder dunkel und still.

Es klopfte an der Tür. Albert öffnete die Augen. Sonnenlicht fiel in den Raum, also musste er eine ganze Weile geschlafen haben. Er fühlte sich dennoch erschlagen, was aber sicher auch von dem seltsamen Traum herrührte. Unwillkürlich griff er sich an den rechten Arm, dem es gut ging, keine Schmerzen, keine Verletzungen, nichts. Anders als seine Rippe, die wegen des ungemütlichen Sofas protestierte. Vielleicht sollte er die nächste Nacht doch lieber zu Hause schlafen.

Es klopfte erneut. Albert stand auf, warf einen kurzen Blick auf die immer noch schlafende Jill, dann öffnete er die Tür. Zu seiner Freude stand Barry davor, mit zwei Blumensträußen, die bereits in Vasen steckten.

»Guten Morgen«, grüßte Barry ihn, offensichtlich nicht überrascht, ihn hier vorzufinden.

Albert ließ ihn herein. Barry sah ebenfalls zu Jill. »Sie ist also noch nicht wieder wach?«

»Nein, aber sie ist schon weniger blass. Bestimmt dauert es nicht mehr lange. Denk dran, sie hat einen echten Dickschädel.«

Barry nickte lächelnd. Er stellte die Vasen auf dem Nachttisch ab. »Kathy wollte, dass ich ihr und Chris einen Blumenstrauß bringe. Claire hat mir den für Chris direkt abgenommen – und den anderen hier hat mir eine Schwester in die Hand gedrückt.«

Albert angelte die Karte aus diesem unbekannten Strauß und las sie sich durch. »Ah, der ist von Oliveira. Ihm tut wohl leid, dass er ihr nicht sofort geglaubt hat.«

»Was wird er jetzt wohl machen?«, fragte Barry nachdenklich. »Er kann ja schlecht bei Umbrella bleiben.«

»Er wird schon irgendwo unterkommen. Jemand mit seinen Fähigkeiten findet bestimmt etwas.«

Falls er auf die Idee käme, S.T.A.R.S. beitreten zu wollen, würde sicher auch Enrico ein besonders gutes Wort für ihn einlegen. Aber wahrscheinlich fand Carlos vorher eine für sich interessantere Anstellung.

Da er nun die Blumen nicht mehr trug, bemerkte Albert, dass Barry eine Zeitung unter seinen Arm geklemmt hatte. Er nickte in diese Richtung. »Ist die von heute?«

Barry hatte sie vor lauter Blumen offenbar auch vergessen, denn sein Gesicht hellte sich plötzlich auf. Er reichte Albert die Zeitung. »Es wird dir gefallen.«

Der Hauptbericht – von Alyssa Ashcroft – handelte von Umbrellas Verstrickungen in den Arklay-Vorfall, von der Korruption, die sich durch die ganze Stadt zog und auch von den Experimenten, die Umbrella geheimzuhalten versuchte. Er endete mit der Explosion des R&D Centers, stellte aber Gespräche mit anderen Zeugen in Aussicht, die noch mehr beitragen könnten. Bestimmt hatten Kevin und Brad ihr wegen der neuen Beweise Bescheid gesagt – und vielleicht würde Chris auch mit ihr sprechen.

»Im Radio reden sie über nichts anderes«, führte Barry aus. »Sogar die Regierung hat sich bereits eingeschalten, um das zu untersuchen und ein paar Funktionäre sind schon abgehauen. Da kommen sie nicht mehr raus.«

Albert atmete auf. »Das ist eine echt gute Nachricht.«

Nach dem letzten Monat hatten sie es sich auch verdient, eine Weile nur gute Nachrichten zu bekommen. Für ihn konnte das ruhig so bleiben.

Da Barry ihm versicherte, dass er die Zeitung behalten könnte, legte er sie auf das Sofa, um den Bericht später noch einmal genauer zu lesen und es zu genießen.

»Ach ja, ich hab da noch was.« Barry holte etwas aus seiner Tasche und drückte es Albert in die Hand. »Die von Umbrella willst du ja bestimmt nicht, deswegen hab ich dir andere Schmerzmittel gekauft. Letzte Nacht schienst du dich ziemlich zu quälen.«

Albert seufzte glücklich. »Barry, du bist ein echter Lebensretter. Ich danke dir.«

Er salutierte locker. »Immer gern, Captain. Brauchst du sonst noch etwas? Sonst geh ich zu Chris rüber, um Jill nicht zu stören.«

»Geh ruhig zu ihm. Er braucht ein wenig Gesellschaft.« Wenn er sich nicht derart viele Sorgen um Jill machen würde, hätte er Barry begleitet, aber so müsste Chris eben warten. »Wenn sie wach ist, sag ich euch Bescheid.«

Diesmal war es Barry, der sich bedankte und dann das Zimmer verließ. Nach über einem Monat hatte er Chris bestimmt eine Menge Dinge zu erzählen, und diesem ging es umgekehrt sicher genauso. Bei Gelegenheit müsste er dafür sorgen, dass Chris einen guten Therapeuten bekam, den könnte er nach diesem Monat brauchen.

Ein leises Seufzen lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Bett. Er trat näher und erkannte, dass Jill wieder wach war. Fragte sich nur noch, welche der beiden es war, deswegen zügelte er seinen Enthusiasmus erst einmal. Sie lächelte, aber ihr Blick hatte weiterhin etwas Misstrauisches. »Hey.«

»Gleichfalls hey. Wie fühlst du dich?«

»Groggy. Hast du das Kennzeichen von dem Laster, der mich überfahren hat?«

»Dein Humor ist wenigstens noch intakt. Also kann es dir nicht so schlecht gehen.«

Es zeigte ihm außerdem nur noch einmal, dass sie nicht seine Jill war. Sie hätte nach den gestrigen Ereignissen keinen solchen Witz gebracht. Wahrscheinlich wäre sie eher verwirrt gewesen.

Er half ihr, sich aufrecht hinzusetzen, dann erklärte er ihr, was nach ihrem letzten Ohnmachtsanfall geschehen war, beruhigte sie aber auch direkt damit, dass laut den Ärzten alles in Ordnung wäre. »Du brauchst jetzt etwas Bettruhe, dann sollte es dir bald wieder besser gehen.«

»Was ist mit deiner Verletzung?«, fragte sie.

»Ach, nur eine angebrochene Rippe.« Er spielte die Verletzung lieber ein wenig herunter, damit sie sich nicht zu viele Sorgen machte. Außerdem war sie nicht seine Jill, da war es nicht so schlimm, wenn er ein wenig log, wie auch beim nächsten Punkt: »Ich habe jede Menge Schmerzmittel intus, um nichts mehr zu spüren. Ich darf keine anstrengenden Arbeiten verrichten oder schwere Dinge heben. Also erst einmal keine Aktenarbeit mehr für mich.«

Er schmunzelte. Sie atmete dagegen auf. Gut, es war die richtige Entscheidung gewesen, ihr nicht die ganze Wahrheit zu sagen – und er würde die Schmerzmittel ja sofort nehmen, wenn er die Gelegenheit bekäme.

Sie sah zu den Blumensträußen, er erklärte sofort, dass einer von Kathy war, der andere von Carlos. »Er sagte, du sollst ihn als Entschuldigung sehen, weil er dir nicht sofort geglaubt hat und du deswegen einiges mitgemacht hast. Aber ich glaube dir ja, daher kannst du es mir sagen: Kann es sein, dass du ihn aus deiner Welt schon kanntest und ihm deswegen eine so wichtige Aufgabe gegeben hast? Das hätte nämlich echt schief gehen können.«

Sie lächelte schelmisch. »Ja, tatsächlich. Er sieht anders aus, aber ich hab Carlos getroffen, als ich damals aus Raccoon City geflohen bin. Wir haben uns gegenseitig geholfen, um zu entkommen. Darum wusste ich, dass er eigentlich ein guter Kerl ist.«

Aber was hätte sie getan, wenn Carlos doch kein guter Kerl gewesen wäre? Sie das zu fragen war unsinnig, denn es war bereits vorbei und es war gut ausgegangen. Doch er konnte nicht anders, als sich deswegen Sorgen zu machen.

»Was ist mit den anderen?«, fragte sie. »Geht es allen gut?«

Er lächelte ihr beruhigend zu. »Ja, keine Sorge. Billy und Brad durften nach einer ambulanten Behandlung direkt nach Hause, die anderen sind mit Schrammen davongekommen. Chris liegt im Zimmer nebenan. Dafür, dass er so lange bei Umbrella war, hat er sich echt gut gehalten.«

»Ja, das habe ich auch schon gedacht.«

»Wenn Dr. Hamilton später die Erlaubnis gibt, sorge ich dafür, dass alle dich besuchen kommen. Jeder von ihnen hat sich Sorgen gemacht.«

Die anderen waren bestimmt auch glücklich, wenn sie sehen könnten, dass es Jill gut ging. Er könnte eine kleine Feier mit ausreichend Essen organisieren, besonders Chris bräuchte das bestimmt.

Sie nickte und stellte eine andere Frage, die sie interessierte: »Was ist jetzt mit Umbrella?«

Er ging zum Sofa und holte Barrys Zeitung, die er ihr reichte. »Ist heute rausgekommen. Alle sind in heller Aufregung deswegen.«

Während Jill den Bericht las, hellte sich ihr Gesicht immer mehr auf. Er wartete geduldig, bis sie fertig war und ihn wieder ansah. »Umbrella ist erledigt. Da können sie sich nicht mehr rausreden, sogar die Regierung hat bereits angekündigt, sich der Sache anzunehmen. Einige der Funktionäre sollen schon das Land verlassen haben.«

Sie atmete auf und legte sich wieder hin, sichtlich ermüdet nach dieser Erleichterung, die ihre ganze Anspannung gelöst haben dürfte.

»Die Narkose wirkt vermutlich noch nach«, sagte Albert. »Ruh dich etwas aus, ich bleibe hier. Dir wird nichts passieren.«

Sie bedankte sich bei ihm, was er direkt abwehrte. »Du hast uns so viel geholfen, da ist dies das mindeste.«

Ohne sie wäre Chris vermutlich nie gerettet worden und Umbrella könnte auch auf unbestimmte Zeit in der Zukunft weiter ihre Experimente durchführen. Aber dank der Jill aus der anderen Welt war das alles vorbei. Und vielleicht hatten sie sogar früh genug eingegriffen, um den extremen Bio-Terrorismus aufzuhalten, von dem die andere Jill gesprochen hatte.

Sie schloss die Augen und war innerhalb kürzester Zeit wieder eingeschlafen. Diesmal wirkte sie zufrieden und friedlich, weniger zerbrechlich.

Er war froh, dass sie aufgewacht war – und gleichzeitig war er enttäuscht, dass es nicht seine Jill war. Zumindest hatte sie nicht direkt darauf bestanden, zu Chris gebracht zu werden. Aber dennoch … wenn seine Jill nicht zurückkäme, würde für immer etwas fehlen. Ihm blieb nur, weiter zu hoffen.

Er nutzte die Zeit, während sie schlief, um seine Schmerzmittel zu nehmen und sich den Bericht noch einmal in aller Ruhe durchzulesen. Nachher müsste er unbedingt Chris beglückwünschen, dass er derart gute Arbeit geleistet hatte. Irgendwann sollte er ihn dann auch fragen, wie er an all die Beweise gekommen war.

Plötzlich meldete sich sein Pieper. Die Nummer auf dem Display sagte ihm nichts, aber bei allem, was gerade vor sich ging, musste er unbedingt zurückrufen. Um Jill nicht zu stören, verließ er das Zimmer und suchte die Münztelefone auf. Er wählte die Nummer und war nicht sonderlich überrascht, als Detective Briscoe sich am anderen Ende meldete.

»Mr. Wesker, gut, dass Sie zurückrufen. Ich hätte gern persönlich mit Ihnen gesprochen, aber-«

»Ist schon okay«, unterbrach Albert ihn. »Sagen Sie mir einfach, was Sie sagen wollen.«

Das war Briscoe offenbar auch recht: »Wie Sie sicher wissen, haben Ermittlungen gegen Umbrella begonnen. Die haben zutage gefördert, dass Sie der Bruder einer leitenden Forscherin sind.«

Er ahnte bereits, worauf das hinauslief. Also müsste man ihn nicht mal wegen seiner eigenmächtigen Handlung, das R&D Center zu infiltrieren suspendieren. Briscoe bestätigte auch gleich seinen Verdacht: »Da S.T.A.R.S. an den Ermittlungen beteiligt werden soll, haben wir beschlossen, Sie vorerst von Ihrem Posten zu entbinden.«

Der Treffer saß und er sorgte für Schmerzen in seiner Magengrube. Gerade als ihm bewusst geworden war, dass S.T.A.R.S. eine große Familie war, löste man ihn aus dieser heraus. Es war einfach typisch für sein Leben.

»Ich verstehe«, sagte Albert tonlos. »Dann wird Enrico Marini übernehmen, sehe ich das richtig?«

»Korrekt.«

Das war gut. Er hatte kein Problem damit, Enrico die Truppe zu überlassen, denn er würde sich gut um sie alle kümmern und ihn vielleicht auch auf dem Laufenden halten, zumindest in einem Umfang, den Enrico für vertretbar hielt.

»Okay. Muss ich irgendetwas unterschreiben?«

Briscoe blieb einen Moment still, als wartete er eigentlich auf einen Wutausbruch oder Rechtfertigungen. Aber Albert konnte ihm nichts davon bieten. Er verstand die Entscheidung und hätte sie vielleicht genauso getroffen.

»Nein«, sagte Briscoe schließlich. »Mit diesem Anruf sind Sie davon in Kenntnis gesetzt. Wir werden es Mr. Marini mitteilen, sobald er wieder ins Büro kommt.«

Bis dahin hätte Albert es ihm schon gesagt, aber dann könnte er es noch aus offizieller Quelle hören. Außerdem musste die Innere Abteilung ja nicht wissen, dass sie privat Kontakt hielten.

Briscoe verabschiedete sich wieder von Albert und legte auf. Erst dann wagte auch Albert, den Hörer einzuhängen, schließlich hätte ihm im letzten Moment noch etwas einfallen können. Er starrte auf das Telefon, das schon wesentlich bessere Zeiten gesehen hatte.

Dass er suspendiert werden würde, war ihm die ganze Zeit bewusst gewesen, aber es zu hören, war doch eine ganz andere Hausnummer. Er müsste das den anderen noch erklären, was die Schmerzen bestimmt noch stärker werden ließ. Aber das wäre dann eine seiner letzten Aufgaben als Captain, bis Alex gefasst war, also musste er da durch.

Er wandte sich gerade ab, als ein übermüdeter Hamilton in sein Blickfeld trat. »Mr. Wesker, gut, dass ich Sie treffe. Ich wollte die Ergebnisse mit Ihnen besprechen.«

»So schnell?«

Hamilton nickte. »Bei der Durchsicht Ihrer Akten ist mir etwas aufgefallen, deswegen habe ich gebeten, die Analyse so schnell wie möglich durchzuführen. Ich erkläre Ihnen das genauer in meinem Büro.«

Was konnte an seinen Krankenhausakten so ungewöhnlich sein, dass sogar Hamilton Interesse daran entwickelte – und dafür dann die Nacht durchmachte, so wie er aussah?

Neugierig folgte er dem Arzt in dessen Büro und setzte sich Hamilton gegenüber. Dieser griff nach einer Akte, auf der Alberts Name stand, schlug sie auf und drehte sie ihm wortlos hin. Albert beugte sich etwas vor – und runzelte die Stirn. Fast die gesamte erste Seite war vollkommen geschwärzt, abgesehen von seinen grundlegenden Daten, wie Geburtstag und -ort.

Er hob den Blick, um Hamilton anzusehen, der bedächtig nickte.

»Ich war genauso erstaunt«, sagte der Arzt. »Wenn Sie weiterblättern, sehen Sie noch mehr Schwärzungen.«

Albert tat genau das. Hamilton hatte recht, bei all seinen Untersuchungsprotokollen waren einzelne Sätze oder ganze Absätze unkenntlich gemacht. Irgendjemandem war es sehr wichtig, dass man nicht zu viel über ihn erfuhr – und auf der letzten Seite entdeckte er zumindest einen Hinweis darauf: Zugriff auf die vollständige Akte von Wesker, Albert wird nur mit einer Autorisierung von Dr. J. M. gewährt.

Wer war das nun schon wieder? Hamilton war da offenbar genauso ratlos, denn als Albert ihn fragte, zuckte er mit den Schultern. »Es muss ein hochrangiger Umbrella-Mitarbeiter sein. Ich kenne mich in dieser Firma aber nicht aus.«

Er sich auch nicht, aber es wurde wohl Zeit, dass er sich genauer einlas. Vielleicht gab es auch einen Hinweis in den von Chris' gesammelten Beweisen, der ihm bislang nur entgangen war. Ein erneuter Blick schadete jedenfalls nicht.

»Danke, Doktor. Aber was ist nun mit den Ergebnissen?«

Hamilton griff nach einem anderen Umschlag. »Die waren auch sehr interessant. So sehr sogar, dass ich mir dann auch die aktuellen Ergebnisse Ihrer beiden stationären Kollegen näher angesehen habe.«

Albert hielt unwillkürlich die Luft an. Hatte er Chris und Jill und vielleicht noch die anderen Mitglieder doch angesteckt? Waren sie wegen ihm gefährdet? Wortlos starrte er Hamilton an, der direkt eines seiner schlechten Gefühle bestätigt: »Sie sind mit einem uns gänzlich unbekannten Virus infiziert.«

Der zweite Tiefschlag an diesem Tag, auch dieser kam nicht unerwartet, war aber dennoch schmerzhaft. Albert rieb sich über die brennenden Augen. Glücklicherweise fuhr Hamilton fort: »Aber Sie haben Antikörper gebildet, die den Virus nicht nur im Schach halten, sondern es auch geschafft haben, ungefährliche Teile dieses Virus in ihren Körper zu integrieren.«

»Wie kann das funktionieren?«

Hamilton neigte den Kopf ein wenig. »Soll ich Sie wirklich mit Fachtermini oder ausführlichen Theorien langweilen?«

Er überlegte, ihn darauf hinzuweisen, dass er eine Weile Chemie studiert hatte und dadurch einiges sicher verstehen könnte, aber dafür fehlte ihm tatsächlich die Geduld. Deswegen schüttelte er mit dem Kopf und entschuldigte sich für die Unterbrechung.

»Wir müssten ein paar Tests dazu durchführen, wenn Sie mal Zeit dafür haben, aber laut den Ergebnissen sieht es danach aus, als wäre Ihr Immunsystem wesentlich ausgeprägter als das von anderen Menschen. Einer meiner Kollegen und ich gehen davon aus, dass es mit diesem unbekannten Virus zusammen hängt.«

Albert dachte darüber nach, wie lächerlich das eigentlich klang. Aber gleichzeitig könnte das die Erklärung sein, warum er in seinem Leben noch nie wirklich krank gewesen war, egal welche Krankheiten durch das Waisenhaus oder den Rest der Stadt gezogen waren. Bislang war ihm das nie wichtig erschienen, hatte es rein auf Glück geschoben – aber vielleicht steckte ja doch mehr dahinter.

Er sah auf seinen rechten Arm hinab, in den sich dieses Hundemonster damals verbissen hatte. »Kann der Virus auch eine erhöhte Regenerationsrate auslösen?«

»Das ist eine gute Frage«, sagte Hamilton. »Ich möchte die Heilung Ihrer gebrochenen Rippe gern näher beobachten, um das zu klären.«

Möglicherweise könnte er damit auch das Rätsel lösen, warum an seinem Arm nichts zu sehen war, wenn es am Ende doch kein Traum gewesen war. Er neigte einfach zu wenig zu Verletzungen, um es anders beobachten zu können.

Aber wie sah es nun mit Chris und Jill aus? Waren sie auch infiziert?

Hamilton schüttelte mit dem Kopf, als er fragte. »Absolut nicht! Wir konnten auch bei den beiden die gleichen Antikörper beobachten. Bei Mr. Redfield allerdings bedeutend weniger als bei Ms. Valentine. Wissen Sie, was das heißt?«

Albert hatte eine schwache Ahnung, aber sie war zu unglaublich für ihn. Deswegen ließ er Hamilton die Theorie aussprechen: »Allein Ihre Anwesenheit, Mr. Wesker, sorgt für eine Immunität gegen gewisse Viren, zu denen auch dieses T-Virus gehört, das im Arklay-Labor erforscht wurde. Die verlängerte Abwesenheit von Mr. Redfield ließ die Antikörperanzahl in seinem Blut beträchtlich sinken. Also ist es ein aktiver Prozess.«

Alberts Augen weiteten sich bei der Erkenntnis. »Also kann ich niemanden anstecken?«

»Im Gegenteil«, bestätigte Hamilton. »Sie sorgen passiv dafür, dass die anderen immun sind. Wahrscheinlich ist es nur Ihnen zu verdanken, dass von den überlebenden S.T.A.R.S. keiner dem T-Virus erlegen ist.«

Also hatte er schlussendlich doch etwas getan, um ihnen allen zu helfen, vielleicht sogar Chris während des Monats im R&D Center, wo er immerhin auch nicht infiziert worden war. Albert war die Heilung, nicht die Krankheit. Selbst wenn er vorläufig nicht der Captain der Einheit war, selbst wenn Jill sich für Chris entscheiden sollte, er war wichtig für sie alle, sie konnten nicht auf ihn verzichten – und er würde weiter für sie da sein, damit ihnen nichts geschah, während sie gegen Umbrella vorgingen. Er hatte weiterhin eine wichtige Aufgabe.

All die schlechten Nachrichten des Tages waren schlagartig vergessen. Unter diesen Voraussetzungen war sogar seine Suspendierung egal. So könnte er auch problemlos die Feier organisieren, um Chris gebührend willkommen zu heißen und sich bei der anderen Jill zu bedanken – und alle finsteren Gedanken müssten ihn dann erst ein andermal wieder interessieren.
 



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