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Beautiful Behavior

von

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Begegnung

Jodie beobachtete den Haupteingang des Friedhofs. Von James fehlte bislang jede Spur, aber vielleicht war er auch schon dort. Vielleicht hatte er auch einen der anderen Ein- und Ausgänge genommen. Vielleicht würde er auch gar nicht kommen. Es gab viele Möglichkeiten und je länger Jodie die Begegnung hinauszögerte, desto wahrscheinlicher war es, dass sie James gar nicht erst antraf. Dabei war es das zweite Mal, dass sie an diesem Tag am Friedhof war.

Die ganze Nacht über hatte sie nicht schlafen können. Andauernd wälzte sich die junge Frau von einer Seite auf die andere. In ihrem Kopf lief dauernd ein Film mit verschiedenen Szenarien, was passieren würde. Es begann ganz harmonisch, James schloss sie in seine Arme und freute sich, dass sie wieder da war. Sie sprachen über Sharon Vineyard und begannen gemeinsam zu recherchieren. Am Ende brachten sie die Schauspielerin sogar hinter Gittern. Doch dann änderte sich ihr Traum schlagartig. James Blick wurde finster, als er sie sah. Statt sie zu umarmen und sich zu freuen, stieß er sie von sich weg, beschimpfte sie und war wütend. Dann brüllte er sie an und sie erkannte die Verachtung in seinen Blicken. Und dann wiederholte sich dieses Szenario. Immer und immer wieder, bis Jodie schließlich aufstand und sich fertig machte. Da sie davon ausging, dass James am frühen Morgen den Friedhof aufsuchen würde, hatte sie dort gewartet. Zwei ganze Stunden. Aber von James gab es keine Spur. Jodie mutmaßte, dass er an einem dringenden Fall arbeiten musste. Und so war sie schließlich wieder gegangen und hatte sich in der Detektei verschanzt. Ein Fehler. Sie hatte sowohl Zeit zum Nachdenken als auch die Möglichkeiten eine detaillierte Suche durchzuführen. Und genau das tat Jodie.

Nach all den Jahren hatte die junge Frau endlich ein Bild vor Augen, wenn sie an die Mörderin ihrer Eltern dachte. Trotzdem fühlte es sich komisch an. 20 Jahre waren eine lange Zeit. Die fremde Frau war nun keine gesichtslose Hülle mehr. Ihre Identität war bekannt. Aber sie war weiterhin auf freiem Fuß und lebte ein glückliches Leben. Was sollte Jodie auch tun? Es gab nur die Aussage eines kleinen Mädchens, verängstigt, traurig und auf sich allein gestellt. Wer sollte ihr glauben? Welche Beweise hatte sie schon? Nur der Satz allein würde nie und nimmer vor einem Gericht standhalten. Die Beweislage war dünn, fast gar nicht vorhanden. Dass Ed ihr überhaupt glaubte, war ein großer Vertrauensbeweis. Doch konnte sie James und das FBI auch so einfach überzeugen? Alleine hatten sie und Ed keine Chance, Sharon Vineyard zu überführen. Zu groß waren die Möglichkeiten der Schauspielerin. Deswegen musste sie selbst mit James sprechen. Zuerst James und dann Roy. Nach all den Jahren des Versteckens musste sie endlich das Richtige tun. Dazu gehörte es, die Menschen denen sie etwas bedeutete, nicht weiter zu verletzen. Sie hatte James schon mehrfach zufällig getroffen, sich aber immer wieder versteckt und ihn dann beobachtet. Auch wenn sie nicht miteinander redeten, spürte sie seinen Schmerz. Es war für keinen von Beiden einfach. Zu viel war geschehen. Und wenn Jodie ehrlich zu sich selbst war, verfluchte sie sich mittlerweile für ihre damalige Entscheidung. Könnte sie sie rückgängig machen, sie würde die Chance nutzen. Leider konnte sie nicht einmal behaupten, dass es eine Kurzschlussreaktion war, dafür hatten sie und Roy das ganze viel zu gut geplant und sich abgesichert. Und als sie mit Ed wieder nach New York zurückkam, hatte sie sich gegen die weitere Lüge nicht widersetzt. Ganz im Gegenteil. Tag für Tag lebte sie sie und hatte sich mit ihrem neuen Leben angefreundet – stellenweise sogar genossen. Trotzdem war es Zeit dem ganzen endlich ein Ende zu setzen. Sie würde sich mit James treffen und hoffen, dass sich ihr Traum nicht bewahrheitete.

Jodie recherchierte über Sharon Vineyard. Sie setzte sich mit dem Leben der Schauspielerin auseinander, sah sich Videos und alte Interviews an und versuchte hinter das Geheimnis ihres Talentes zu kommen. Ihre Verkleidungskunst war nicht ohne und Jodie bezweifelte, dass sie die Frau überhaupt erkennen würde. Sie hatte sich sogar gefragt, ob Sharon nicht auch häufiger in ihrem Leben auftauchte und sich anschaute, was aus ihr wurde. Allein bei dem Gedanken bekam Jodie eine Gänsehaut. Leider hatte sie seitdem auch das Gefühl, dass sie andauernd beobachtet wurde. Deswegen sah sie sich außerhalb ihrer Wohnung und der Detektei besonders aufmerksam um. Trotzdem musste Jodie mit der Situation irgendwie klar kommen.

Ihre Beine zitterten, als sie den Haupteingang durchquerte und zum Grab ihrer Eltern ging. Immer wieder ließ sie ihren Blick in der Umgebung herum schweifen, beobachtete die Menschen und ging in ihrem Kopf die Worte durch, die sie James sagen wollte. Aus Angst das falsche zu sagen oder zu schweigen, hatte sie alles genauestens einstudiert. Als sie dem Grab näher kam, fühlte sich ihr Kopf leer an. Sie hatte das Gefühl, nichts mehr zu wissen, aber ihre Beine bewegten sich wie von selbst.

Es war noch hell, aber für die meisten Menschen hatte der Feierabend bereits bekommen. Jodie sah auf den Grabstein und las die Aufschrift. „Mom…Dad…“, murmelte sie leise. „Ich bin wieder da.“ Sie versuchte zu lächeln, aber an ihrem Gesichtsausdruck änderte sich nichts. „Happy Birthday, Daddy. Ihr wundert euch sicher, weil ich heute Morgen schon da war. Es tut mir leid, dass ich nichts sagen konnte, aber…es fällt mir immer noch schwer.“ Jodie wischte sich die aufkommenden Tränen weg. „Ich habe…einen Hinweis darauf, wer euch getötet hat. Ich…ich kann sie…zur Rechenschaft ziehen. Es wird…alles wieder gut. Ich bin…mir sicher…aber dafür brauch ich…die Hilfe von James. Ich bin…mir sicher, dass…euer Tod nicht umsonst gewesen sein wird…“, fügte sie leise hinzu. „Ich vermisse euch. Ich vermisse euch so sehr…manchmal stelle ich mir auch vor, wie mein Leben gewesen wäre, wenn ihr nicht gestorben wärt. Das wünsche ich mir…so sehr…aber ich…komme klar. Irgendwie krieg ich das schon hin. Macht euch…um mich keine Sorgen.“

Ein Stück Holz knarzte. Sofort sah sich Jodie um. Ein Eihörnchen lief über mehrere Gräber und kletterte anschließend an einem Baumstamm hoch. Die junge Frau atmete erleichtert auf und schüttelte dann den Kopf. Doch es knarzte erneut. Auch wenn sie annahm, sich wieder lächerlich zu machen, drehte sie sich um. Und dann sah sie ihn. Nicht James. Es war……ein Japaner, schoss es Jodie durch den Kopf. Sie blickte in seine tiefgrünen, kalten Augen. Jodie schluckte. Ein Japaner! Dann drehten sich auch schon die Räder in ihrem Kopf. Sharon Vineyard lebte in Japan, sie hatte dort Freunde und möglicherweise auch Verbündete. Vielleicht gab sie sich auch selbst als Japaner aus. Vielleicht hatte Sharon aber auch jemanden auf sie angesetzt. Vielleicht sollte er jetzt das tun, was Sharon damals nicht geschafft hatte.

Jodie machte einen Schritt nach hinten. Das war eine Falle, sagte sie zu sich selbst. Sie war sich sicher und in diesem Augenblick konnte sie keinen anderen Gedanken fassen. Die Flucht war nun die einzige Möglichkeit. Aber die Angst überkam sie.

„Jodie“, hörte sie ihren Namen. Doch es war zu spät. Die junge Frau lief los.

„Warte! Jodie!“, vernahm sie noch. Aber sie blieb nicht stehen. Sie wollte nur noch weg. Zu James. Zu Ed. Nach Hause. Hauptsache nicht in seiner Nähe.

Shuichi seufzte. Er war ebenfalls am frühen Morgen am Friedhof, hatte Jodie aber knapp verpasst. Danach war er bei ihrem alten Haus und wartete dort. Anschließend hatte er wieder das Grab aufgesucht und in seinem Wagen gewartet. Als er eine Frau sah, die auf Jodies Beschreibung passte, war er ausgestiegen und ihr gefolgt. Der Agent versuchte so behutsam wie möglich zu sein und ließ ihr erst einmal einen Augenblick mit ihren Eltern. Wenn Akai ehrlich war, hatte er sich das Aufeinandertreffen mit Jodie viel leichter vorgestellt. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass Jodie vor ihm Angst hatte. Er wollte sie aufhalten, als sie die ersten Anstalten machte, wegzulaufen, aber er hatte zu spät reagiert. Auch wenn nur wenige Sekunden vergangen waren, ehe er ihr folgte, hatte er sie noch nicht eingeholt.

Jodie lief und lief. Sie war schon häufiger am Friedhof und kannte die Wege auch besser als er. Trotzdem blickte sie sich andauernd um und versuchte den Abstand zum Japaner auszubauen. Zudem hoffte sie, dass er über einen Ast oder auf dem unebenen Boden stolpern würde. Irgendwas, Hauptsache er folgte ihr nicht mehr.

Aber Shuichi gab nicht auf. Bei seinem ersten Besuch auf dem Friedhof hatte er sich den Plan nicht nur angesehen, sondern auch eingeprägt. Er kannte sämtliche Ein- und Ausgänge, die Wege und Abkürzungen. Shuichi nutzte sie und holte auf. Gerade als er glaubte, schon nach ihr greifen zu können, vergrößerte Jodie den Abstand zwischen ihnen.

Immer wieder rief er ihren Namen. Rief, dass er ihr nichts tun wollte. Rief, dass er ihr helfen wollte. Rief, dass er nicht der Feind war. Aber vergebens. Entweder Jodie hatte ihn nicht gehört, wollte ihn nicht hören oder sie glaubte seinen Worten einfach nicht. Als sie einen der Ausgänge passierte, wusste Akai, dass er sie im schlimmsten Fall gänzlich aus den Augen verlor. Dann würde er sich erneut auf die Lauer legen müssen. Und Jodies Reaktion nach zu urteilen, würde sie akribisch drauf achten, nicht gefunden zu werden.

Shuichi lief weiter. „Bitte warte“, versuchte er es erneut. „Ich tu dir nichts.“

Aber es war zu spät. Jodie lief über die Straße, bog in eine andere Straße ein, wechselte wieder die Straßenseite, bog wieder ab, lief und lief und als er die Strecke ebenfalls absolvierte, war sie verschwunden. Es gab eine Weggabelung und der Agent konnte nicht sagen, welche Richtung Jodie einschlug.

Für einen Augenblick blieb er stehen. Selbst wenn er jetzt wieder zurück lief und seinen Wagen holte, er hatte sie verloren. Und jetzt hatte sie auch noch die Gunst der Stunde genutzt und verschiedene Möglichkeiten um zu entkommen. Shuichi ballte die Faust. „Verdammt“, murmelte er. Er hatte es verbockt. Er hatte Jodie gefunden und wieder verloren. Und jetzt war es zu spät. Wie sollte er das nur James erklären?

Akai seufzte. Trotzdem sah er sich beide Wege an und mit einem Mal fiel es ihm wie die Schuppen von den Augen. Er kannte die Gegend. Er war bereits dort gewesen und hatte versucht mit dem Privatermittler Edward Sherman zu sprechen – jenem Mann, der von James damit beauftragt wurde, Jodie zu finden. Er hatte sich nicht nur den Standort der Detektei angesehen, er war sogar dort gewesen und versuchte an die Akten zu kommen. Allerdings wurde er von der Tochter des Detektivs in seine Schranken gewiesen und weggeschickt. Ohne die schriftliche Bestätigung des Auftraggebers würde man ihm keine Auskunft geben. Mit so viel Hartnäckigkeit hatte der Agent nicht gerechnet, es aber akzeptiert. Vorerst. Von James lag bereits die schriftliche Bestätigung vor, aber Shuichi musste zuerst andere Dinge erledigen. Dass ausgerechnet das Büro des Privatermittlers in der Nähe lag, konnte kein Zufall sein. Und als FBI Agent glaubte er schon lange nicht mehr an Zufälle.

Akai lächelte. Es war noch nicht vorbei und er hatte immer noch die Chance Jodie zu treffen und mit ihr zu reden. Der Agent zog eine Schachtel mit Zigaretten heraus und zündete eine an. Er rauchte und ging zum Büro des Detektivs. Mittlerweile war sich Shuichi sicher, dass Edward Sherman etwas mit Jodie zu tun hatte. Vielleicht deckte er ihr Verschwinden. Vielleicht half er ihr auch. Vielleicht wohnte sie sogar bei ihm. Was es auch war, er war involviert und er hatte Black belogen.

Shuichi war schon gespannt, welche Geschichte ihm der Privatermittler erzählen wollte. Als er vor dem Gebäude stand, entsorgte er seine Zigarette und blickte auf das Schild. Die Detektei war bis 19 Uhr geöffnet, Termine außerhalb der Öffnungszeiten konnten nach Absprache vereinbart werden. Akai sah nach oben. Es brannte Licht, weswegen er zu dem Schluss kam, dass mindestens eine Person in der Detektei war. Shuichi drückte die Tür auf und ging die Treppen nach oben. Vor der Bürotür betätigte er die Klingel und der Summer ertönte. Auch diese Tür drückte er auf. Milena Sherman kam in den Flur und beäugte den Agenten kritisch. „Guten Abend. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich möchte mit Ed Sherman sprechen“, sagte Shuichi.

„Haben Sie einen Termin?“

„Nein“, antwortete Akai. „Aber er wird mich sicher empfangen wollen. Es geht um Jodie Starling.“



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