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Beautiful Behavior

von

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Schuld

Als Vermouth den Schuss hörte, stellten sich die Härchen auf ihren Armen auf. Sie bekam eine Gänsehaut und wusste, dass irgendwas nicht stimmte. Etwas an ihrem Plan war schief gegangen. Doch die Schauspielerin war auf solche Situationen vorbereitet und konnte auch Improvisieren. Sie konnte sich selbst schützen, sei es nun mit einer Waffe oder durch Selbstverteidigung. Vermouth hielt ihre Waffe vor sich und verließ das Kinderzimmer. Kinder waren so eine Sache in ihrem Leben. Sie konnte sich zwar eine Familie vorstellen, wollte aber nicht, dass sie die Organisation in die Finger bekam. Wenn es ging, versuchte sie das Leben von Kindern zu verschonen und dafür zu sorgen, dass sich diese nicht in der Nähe befanden. Ging es aber nicht anders, machte sie keine Ausnahmen. Ihr schlechtes Gewissen hatte sie schon vor Jahren ganz tief in ihrem Inneren verschlossen. Und so war es vorherbestimmt, dass Jodie Starling ein Kollateralschaden werden würde. Doch sie würde es kurz und schmerzlos machen; wenigstens das hatte das Mädchen verdient.

Allerdings schien es, als wäre die ganze Situation aus dem Ruder gelaufen. Vermouth sah sich auf dem Flur um. Es war leise, eigentlich viel zu leise. Die Atmosphäre war aufgeladen, aber die Schauspielerin ließ sich nicht beirren. Sie stieg die Treppenstufen nach unten und blickte zu der Leiche von Frau Starling. Ihr Blick folgte den Blutspuren und sie konnte sich fast denken, was passiert war. Vermouth folgte den blutigen Spuren und kam im Wohnzimmer an. Sie war in schwarz gekleidet, das Haar hochgesteckt und das Gesicht durch eine schwarze Mütze verborgen. Sie erkannte sofort, dass auch Agent Starling nicht mehr am Leben war. Sie begutachtete Jodie, dann Agent Starling und dann wieder Jodie. Das Mädchen saß schluchzend auf dem Boden und hielt ein Stück vom Hemd ihres Vaters fest. Ihr Nachthemd hatte sich bereits verfärbt und sog die rote Flüssigkeit auf, die sich mittlerweile auf dem Boden verteilte. Sie schien die gesamte Situation noch nicht gänzlich verstanden zu haben, schien aber zu wissen, dass ihre Eltern nicht mehr am Leben waren. Trotzdem fand Jodie keine Kraft um aufzustehen, Hilfe zu rufen oder wegzulaufen. Sie war nun einmal ein kleines Kind – schwach und verängstigt. „Papa…“, flüsterte sie leise.

Jodie hatte nicht bemerkt, dass Vermouth das Wohnzimmer betreten hatte. Sie wusste auch nicht, dass die Schauspielerin die Situation bereits genauestens analysierte und argwöhnisch wurde. Zwar wollte Sharon mit ihrer Stimmimitation den Agenten herauslocken, wäre aber nie auf die Idee gekommen, dass das Mädchen ihren Vater erschießen würde. Aber so war es nun einmal mit Kindern, sie sorgten für unvorhergesehene Situation. Sofort überkam sie die Wut. Sie war um ihre Rache gebracht worden und jetzt wo Starling tot war, musste sie sehen wo sie blieb. Allerdings gab es immer noch die Akten, um die sie sich kümmern musste. Vermouth biss sich auf die Unterlippe und versuchte Ruhe zu bewahren. Niemand durfte je in Erfahrung bringen, dass ihr Plan durcheinandergebracht wurde. Aber wer sollte es schon ausplaudern? Selbst wenn sie von der Organisation beschattet wurde, es würden nie alle Details ans Licht kommen. Und letzten Endes hatte sie ihren angeblichen Fehler aus der Welt geschaffen.

Vermouth atmete tief ein, dann aus. Atemübungen machte sie bereits seit Jahren – seit sie mit der Schauspielerei angefangen hatte und neben dem Sport auch noch Yoga vollzog. Man musste sich schließlich fit halten und den Anforderungen der Filmbranche genügen. Langsam kehrte in ihr Ruhe ein. Schließlich wurde ihr klar, dass sie zwar nicht die perfekte Rache bekam, aber es hatte sich trotzdem gelohnt. Vermouth stellte sich vor wie alles abgelaufen war: Agent Starling musste die Leiche seiner Frau gefunden haben, wollte dann sein Töchterchen in Sicherheit bringen und war ihr ins Wohnzimmer gefolgt. Dort hatte das Mädchen dann ausversehen und aus Furcht ihren Vater erschossen. Sie war das Letzte was er gesehen hatte und er würde nie wissen, wie ihr Leben weiterging. Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Damit konnte sie leben und sie ließ es sich nicht nehmen, eine kleine Siegestrophäe mitzunehmen. Vermouth beugte sich zu dem Agenten und nahm seine Brille an sich. In wenigen Minuten würde es vorbei sein. Sie musste nur noch die Akten vernichten, die der Agent über sie und die Organisation führte und ihre Spuren im Haus auslöschen. Es würde schnell gehen. Vermouth steckte ihre Waffe in den Bund ihrer Hose. Noch einmal blickte sie zu dem Agenten und zu Jodie. Ihre Blicke kreuzten sich. Jodie hatte aufgehört zu weinen, sah aber immer noch sehr mitgenommen aus. Vermouth blieb ruhig, sie durfte jetzt nicht panisch reagieren, sondern musste besonnen sein. Aus diesem Grund wartete sie erst einmal ab. Wer auch immer den ersten Zug machte, entschied über Sieg und Niederlage.

„Wer…wer sind Sie?“, wollte das kleine Mädchen wissen und stand langsam auf.

„Das ist ein großes Geheimnis. Ich kann es dir leider nicht verraten, aber merke dir eines: A secret makes a woman woman“.

Jodie sah zur Hand der Schauspielerin. „Das ist die Brille von meinem Daddy.“

Vermouth schaute zu ihrer Trophäe. Es war schade darum, aber scheinbar hatte sie keine andere Möglichkeit. „Oh, Entschuldige“, entgegnete sie und reichte dem Mädchen die Brille. „Nimm sie.“

Jodie nahm die Brille und hielt sie fest. In ihrer anderen Hand hielt sie noch ihren Teddy. „Was ist mit meinem Papa?“, fragte Jodie. „Ist er eingeschlafen?“ Mit einem Mal wurde ihre Stimme traurig. „Dabei hat er mir doch eine Gute-Nacht-Geschichte versprochen.“

Die Schauspielerin begriff, was mit dem Mädchen los war. Um sich selbst zu schützen, hatte sie die Wahrheit verdrängt und fokussierte sich nun auf etwas Anderes. Vermutlich glaubte sie sogar was sie sagte. „Wenn du möchtest, kannst du an seiner Seite warten.“

„Ja“, antwortete Jodie und setzte sich zu ihrem Vater.

Auch wenn sich an Vermouths Gesichtsausdruck nichts veränderte, widerte sie die Situation an. Aber welche Wahl hatte sie schon? Sollte sie das Mädchen in ihr Zimmer schicken oder aus dem Haus? So war es für alle Beteiligte am besten. „Machs gut, Kleine.“

Vermouth verließ den Raum und ging nach oben in das Arbeitszimmer. Sie verteilte im gesamten Raum Benzin und legte eine Spur in den Flur und von dort in den Keller. Anschließend machte sie sich auf den Weg nach draußen. Nachdem alles mit Benzin getränkt war, holte sie eine Packung Streichhölzer heraus. Sie zündete eines an und betrachtete die Flamme. Anschließend warf sie das Stückchen Holz auf die Benzin-Lache und sah zu, wie sich das Feuer ausbreitete. „Tut mir leid, Kleine, aber so ist es für uns alle am Besten.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen ging Vermouth zu ihrem Wagen und fuhr weg.

Jodie spielte mit ihrem Teddybären, doch schnell wurde ihr das Spiel monoton. Das junge Mädchen blickte zu ihrem Vater und stand wieder auf. Sie lief in die Küche und suchte nach dem Lieblingssaft ihres Vaters. Die Leiche ihrer Mutter im Flur sowie das Glas mit dem Saft auf dem Küchentisch realisierte sie nicht. „Papas Saft ist leer. Aber er trinkt ihn doch so gerne nach dem Aufstehen“, murmelte sie und lief zurück ins Wohnzimmer. „Papa, ich geh ganz schnell Saft kaufen“, erzählte Jodie und öffnete die Tür zur Terrasse. Immer wenn es schnell gehen musste und sie eine Abkürzung nehmen wollten, verließen sie das Haus über diesen Weg. Jodie wusste, dass sie das Haus eigentlich nicht ohne ihre Eltern verlassen durfte oder nur dann, wenn es mit ihren Eltern abgesprochen war. Aber sie machte nun eine Ausnahme, um ihm eine Freude zu machen. Außerdem kannte sie den Weg. Schon früher durfte sie alleine zum Laden und ein Päckchen Saft kaufen, allerdings ging ihr ihre Mutter meistens heimlich hinterher.

Es war bereits dunkel geworden und Jodie war kalt. Trotzdem trug sie nur ihr Nachthemd und hatte keine Schuhe an. Jener Abend hinterließ ein Trauma, welches Jodie noch nicht bewältigen konnte. Als Jodie vor dem Laden stand, stellte sie fest, dass bereits geschlossen war. Trotzdem versuchte Jodie die Türklinke herunterzudrücken und rein zu kommen. Es klappte nicht. Traurig blickte sie zu ihrem Bären. „Was mach ich denn jetzt? Ich kann Papa den Saft nicht mitbringen.“

Jodies Teddybär gab keinen Ton von sich. Das kleine Mädchen sah sich um. Sie traute sich nicht alleine weiter zu gehen. Die Strecke war sie bislang noch nicht einmal mit ihren Eltern gegangen. Außerdem begann sie sich zu fürchten. „Dann gehen wir wieder nach Hause, Teddy“, sprach sie zu diesem und machte sich langsam auf dem Weg.

Langsam spürte Jodie die Kälte und begann zu frösteln. Zum Glück war es nicht mehr so weit bis nach Hause. Als ein Wagen neben ihr anhielt, erschrak sie und drückte ihren Teddybären an sich. Das Fenster wurde heruntergekurbelt und im Wageninneren das kleine Licht angeschaltet, welches sonst nur anging, wenn man die Tür öffnete. „Jodie? Was machst du denn hier?“

Jodie erkannte James und lächelte. „Onkel James“, fing sie an. „Ich wollte Saft kaufen gehen, aber der Laden ist zu und jetzt kann mein Papa nach dem Aufstehen keinen Saft trinken.“

James war irritiert. Er wusste, dass Jodie nicht alleine raus gehen durfte – besonders nicht um diese Uhrzeit. „Wissen deine Eltern, dass du hier bist?“, wollte er wissen.

Jodie schüttelte den Kopf. „Ich hab es Papa gesagt, aber er schläft im Wohnzimmer. Mama schläft auch.“ Jodie dachte nach. „Und die Frau ist auch schon gegangen.“

Der Agent wurde hellhörig. Für heute Abend war nur ein Treffen geplant und das war das mit ihm. Bei einem außerplanmäßigen Treffen wäre er informiert worden, selbst wenn es sehr spontan war. Hierfür hatten sie einen geheimen Code entwickelt, den sie in Nachrichten verwenden konnte. James entschied, dass er Jodie nicht beunruhigen wollte und lächelte. „Na komm, steig ein, ich fahr dich nach Hause.“

„Und was ist mit dem Saft? Papa trinkt ihn doch immer so gerne.“

„Ich erkläre ihm, dass der Laden geschlossen war und ihr morgen früh Saft kaufen geht, in Ordnung?“

Jodie überlegte einen Augenblick, nickte dann aber. „Ja, ist gut.“

„Warte kurz, ich stelle den Wagen so hin, dass du einsteigen kannst.“

Das Mädchen nickte. James startete den Motor und wendete. Dann entfernte er seinen Sicherheitsgurt und stieg aus. Er ging zur Beifahrerseite und öffnete diese für Jodie. Das Mädchen stieg ein und griff nach dem Sicherheitsgurt. Nachdem sie diesen zu fassen bekam, schnallte sie sich an. Der FBI Agent ging wieder zur Fahrerseite. Er stieg ein und legte den Sicherheitsgurt um sich. Erst im Inneren des Wagens bemerkte er, dass Jodies Nachthemd rot verfärbt war und sie in keinem guten Zustand war. Er schluckte, wusste aber nicht, welche Fragen er stellen konnte oder wie weit er gehen durfte. „Wir fahren jetzt nach Hause.“

Jodie nickte und hielt ihren Teddybären in der einen, die Brille ihres Vaters in der anderen Hand. „Du? Onkel James? Wacht mein Papa wieder auf?“

James schluckte erneut. Die Frage schnürte seine Kehle zu. Jodies Anblick und ihre Aussage zur fremden Frau hatten bereits dafür gesorgt, dass er eine vage Vermutung hatte. Doch jetzt war er sich nahezu sicher, dass etwas Schlimmes passiert war. Jetzt musste er nur noch die passenden Worte finden. „Was auch immer mit…deinem Vater ist…er wird dich immer lieb haben.“

„Ist das wahr?“

„Natürlich. Du bist für deine Eltern das Wichtigste auf der Welt. Sie lieben dich, immer und egal was auch passiert.“

Jodie lächelte. „Ich liebe sie auch.“

Der Agent war froh, dass sie nicht weiter nachhakte. Doch je näher er dem Haus der Familie Starling kam, desto mehr Spannung lag in der Luft. James wusste, dass irgendwas vorgefallen war. Er wusste aber nicht, ob er Jodie zum Ort des Geschehens mitnehmen konnte. Ehe er allerdings eine Entscheidung treffen konnte, bemerkte er den Tumult in der Straße. Einige Menschen standen draußen, blickten schockiert drein und tuschelten. Überall sah er Blaulicht und die Feuerwehr fuhr gerade von der anderen Straßenseite in die Einfahrt.

Jodies Augen weiteten sich, als sie ihr Elternhaus sah. Es stand in Flammen. „Mama und Papa sind noch da drin.“

„Jodie“, begann James ruhig. „Die Feuerwehr hat alles unter Kontrolle.“

„Aber Mama und Papa…“, wisperte sie. Jodie entfernte den Sicherheitsgurt und öffnete die Tür. Sie lief nach draußen und auf das Haus zu.

Sofort folgte James ihr und hob sie vom Boden hoch. Er drückte sie an sich. „Es wird alles wieder gut.“ Er sah sich um und hoffte, Starling und seine Frau zu sehen. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass sie nicht mehr am Leben waren.

Jodie begann wieder zu schluchzen. „Ich bin…Schuld. Mama und Papa sind…Es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid…“ Sie hielt sich an James fest, zitterte und wiederholte erneut diese vier Worte. Es war das Ende ihrer Kindheit.



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