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Die Sonne scheint für alle

von

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XXV.

 

Maos, Alciels und ja, auch Lucifers allererster Gedanke ist, dass irgend etwas Furchtbares geschehen sein muss, aber ihnen wird schnell klar, dass Chihos hochrotes Gesicht, die unordentlichen Zöpfe, der leicht derangierte Aufzug und ihr heftiger Atem nicht einer ordinären Panik geschuldet sind.

Du verdammter Freak! Ich hasse dich!"

Ohne ihren geliebten Mao-sama auch nur eines Blickes zu würdigen, stürzt sie sich sofort auf den verdutzten Lucifer und gibt ihm einen heftigen Stoß vor die Brust, der diesen nach hinten stolpern lässt. Im letzten Moment kann Alciel ihn auffangen.

„Au! Du kleine Bitch!"

„Sasaki-san!“ Entsetzt starrt Alciel sie an, während sich sein Griff um Lucifers Brustkorb unwillkürlich festigt. Sein Beschützerinstinkt flammt auf und durch den plötzlichen Adrenalinschub haben sich seine Finger wieder in Krallen verwandelt, die sich nun sehr nachdrücklich in Lucifers Oberkörper bohren.

„Chi-chan!“ japst Mao zur selben Zeit. „Was soll das?" Auch er verspürt den überraschenden Drang, sich schützend zwischen Lucifer und die Teenagerin zu werfen - nein, sich auf sie zu werfen und sie bei lebendigem Leib zu zerfleischen. Geschockt über seine eigenen blutdürstigen Instinkte, erstarrt er erst einmal an Ort und Stelle.

Was das soll? Ich werd euch zeigen, was das soll!" schreit sie und hält plötzlich den Laptop in den Händen.

Sie hebt ihn hoch über ihren Kopf und schleudert ihn dann mit aller Wucht zu Boden. Plastik, Glas und Metall splittern und Lucifer gibt ein waidwundes Aufheulen von sich.

Neeeeeeiiiiin!"

Bei diesem Schrei spürt Mao, wie sich ihm alle Haare sträuben und nicht nur aus seiner Kehle löst sich ein dumpfes Knurren. Auch Alciel klingt plötzlich wie ein gereizter, an die Kette gelegter Wachhund.

Die Luft um sie herum scheint sich aufzuheizen und zu verdichten, doch Chiho bemerkt nichts davon.

„Da!" Wie von Sinnen springt die Fünfzehnjährige auf das lädierte Gerät und trampelt darauf herum. „Da! Jetzt weißt du, wie das ist, wenn man jemanden etwas wegnimmt, das man liebt!"

Du Bitch bist doch nicht ganz dicht!"

Lucifer macht einen Satz nach vorne, um sich auf sie zu stürzen und ihr seine Finger in den Hals zu graben, doch Alciels Griff um seine Brust bleibt unerbittlich. Er wird nicht zulassen, dass sich sein Engel wegen eines dummen Görs wie Chiho ins Unglück stürzt.

Chiho!"

Maos Stimme ist ein einziger, scharfer Befehl. Es ist eine Stimme, die ganze Armeen erschüttert hat, doch die tiefrote Wolke der Wut und des Hasses, die Chihos Verstand vernebelt, durchdringt sie nicht.

Von Alciel selbst kommt nur wieder ein heiseres Knurren, ansonsten ist er viel zu sehr damit beschäftigt, den wutschnaubenden Lucifer zu bändigen.

Chiho!"

Plötzlich steht Emi im Raum.

Sie packt Chiho am Arm und zieht sie schnell außer Reichweite. So sehr sie Chihos Wutanfall auch schockiert, die Kleine hat es nicht verdient, von einem tobenden Ex-Engel in der Luft zerfetzt zu werden. Noch nie in ihrem Leben war sie so froh, dass Lucifer im Moment nur ein ganz normaler Teenager ist. Der mörderische Ausdruck in seiner Miene erinnert sie nur zu gut an jenen Dämonengeneral, den sie in Ente Isla nur mit knapper Mühe und Not besiegen konnte.

Sie ist sich sicher – hätte er noch seine Magie, wäre es um Chiho geschehen.

Shinjimae!!“ schleudert Chiho ihm immer wieder und wieder entgegen und er verflucht sie in einer Sprache, die Emi noch nie zuvor gehört hat.

Auch Mao und Alciel werden zunehmend lauter und es schleicht sich zunehmend Frustration in ihren Tonfall, weil es ihnen einfach nicht gelingen will, Lucifer zu beruhigen.

Die Luft heizt sich zunehmend auf – oder kommt ihr das vielleicht nur so vor, weil sie geradezu zusehen kann, wie sich ihre dämonischen Auren verdichten? Maos Rot und Alciels Grün und darunter wieder dieser goldglitzernde Staub …

Und zu allem Überfluß auch noch eine geifernde Chiho, die sie nur mit größter Mühe daran hindern kann, sich wieder auf Lucifer zu stürzen. Würde sie nicht Chiho genauso festhalten wie die beiden Dämonen Lucifer, würde dies zweifellos in einer Katastrophe enden.

Emi fühlt sich zunehmend überfordert, sie kann mit Dämonen kämpfen, aber sie hat keinen blassen Schimmer, wie sie eine Amok laufende Teenagerin beruhigen soll. Noch schlimmer allerdings ist das Gefühl der Schuld, das sich in ihrem Magen breit macht.

Aber hätte sie Chiho belügen sollen? Sie hat ein Recht auf die Wahrheit, auch wenn diese für sie schwer zu verdauen ist.

Chiho ist fünfzehn, Herrgott nochmal! Sie hat ein normales Leben verdient und sollte sich Mao endlich aus dem Kopf schlagen!

Konnte ja niemand ahnen, dass Chiho deswegen hier einen auf Berserker macht.

„Was ist hier los?" Angelockt durch den Lärm und den plötzlichen Anstieg dämonischer Energie, steht auf einmal auch Crestia Bell im Eingang. Sie bekommt zwar keine Antwort, erfasst die Situation aber mit einem einzigen Blick.

„Emi, bring Chiho nach Hause."

Dieser einfache Befehl lässt die Heldin zu ihrer üblichen Selbstsicherheit zurückfinden.

„Es tut mir leid. Und ich bin sicher, Chiho tut es auch leid, wenn sie sich beruhigt und darüber nachgedacht hat“, entschuldigt sie sich, während sie die fluchende und sich sträubende Teenagerin entschlossen am Oberarm mit sich aus der Wohnung zerrt.

Leise schließt Crestia die Tür hinter ihnen und dreht sich dann wieder um. Zu sagen, sie sei schockiert, wäre untertrieben. Sie hat Chiho noch nie so aufgebracht erlebt. Was hat sie nur dazu bewogen, derart gewalttätig zu reagieren? Mutwillige Zerstörung passt gar nicht zu ihr.

Und Emilia war eindeutig genauso schockiert wie sie – das deutlichste Anzeichen dafür war ihre Entschuldigung, denn normalerweise würde sie sich niemals freiwillig bei den Dämonen entschuldigen, ganz egal, wie angebracht es wäre.

Auf leisen Sohlen tapst Crestia näher. Kaum hat Emi mit Chiho die Wohnung verlassen, ist ihre dämonische Energie in sich zusammengefallen und nun stehen Mao und Alciel nur noch als ganz normale Männer vor ihr (soweit dies bei ihnen möglich ist).

Schock, Wut und Zorn weichen langsam einem Ausdruck der Sorge in ihrer Mienen, während ihre Blicke auf dem Dritten in ihrem Bunde ruhen. Der kniet inzwischen auf dem Fußboden und starrt aus tränennassen Augen auf das Puzzle, das vor nicht mehr als einer Minute noch sein Lieblingsspielzeug war.

Mit zitternden Händen durchsucht er die verschiedenen Bruchteile.

„Die Festplatte scheint noch heil zu sein", murmelt er, während er das betreffende Teil einer genaueren Untersuchung unterzieht.

„Das ist gut, oder?" vorsichtig hockt sich Alciel neben ihn. Zögernd streckt er die Hand aus und berührt ihn tröstend an der Schulter.

Aber Lucifer schüttelt ihn ab und wirft ihm einen eisigen Blick zu.

„Ohne Computer kann ich das nicht überprüfen", ist seine schnippische Antwort.

„Oh."

„Und jetzt haben die Geschäfte schon geschlossen."

„Wir kaufen dir gleich morgen früh einen neuen", verspricht ihm Mao.

Alciel zuckt zusammen und wird etwas blasser, nickt aber tapfer.

Nachdenklich legt Crestia den Kopf schief. Die Dynamik zwischen den dreien hat sich eindeutig verändert. Sie scheinen näher zusammengerückt zu sein.

Lucifer atmet einmal tief durch und versucht, seine Fassung wieder zu gewinnen. Noch vor zwei Minuten war alles in Ordnung und jetzt fühlt er sich, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Und das Schlimmste ist – wieder mal scheint ihn niemand zu verstehen. Er fühlt sich furchtbar allein.

„Darum geht es nicht...“, knurrt er, auf der verzweifelten Suche nach einem Quäntchen Verständnis. „Aber sie kann nicht einfach hier reinstürmen und meine Sachen kaputt machen."

Das ist Kindergartenniveau. Aber vor allem beweist es ihm, wie wenig er als Person respektiert wird. Diese Teenagerin gesteht ihm nicht einmal ein Mindestmaß an Achtung zu, als besitze er keine Rechte. Oder keine Gefühle. Als wäre er ein Nichts.

Und das kommt ihn so bekannt vor.

„Stimmt“, nickt Mao, „das passt gar nicht zu Chi-chan."

Alciel wirft seinem König von unten her einen besorgten Blick zu. „Ich hoffe, Emilia kann Sasaki-san beruhigen.“

„Das hoffe ich auch.“

„Das ist ja mal wieder typisch!“ Lucifer wischt sich mit dem Handrücken über die Augen – verfluchte Teenagerhormone, seit wann ist er so nah am Wasser gebaut? - und funkelt sie dann an. „Diese Bitch macht meine Sachen kaputt und ihr macht euch Sorgen um sie! Was ist mit mir, heh?"

Alciel zuckt unwillkürlich zusammen und streckt wieder die Hand nach ihm aus.

„Lucifer..."

Doch der schnaubt nur, schiebt die Überreste seines Laptops zusammen und macht eine gleichmütige, wedelnde Handbewegung Richtung Tür.

„Schon gut. Lauft ihr hinterher. Tröstet sie. Das wollt ihr doch. Ich komme klar. Ich brauch euch nicht. Hab ich noch nie."

Er hat recht. Chiho hinterher zu rennen war Maos erster und stärkster Impuls, nachdem sein eigener Schock sich gelegt hatte, aber jetzt ist er froh, es nicht getan zu haben. Denn genau dieses Verhalten hat ihn ja erst in diese Situation gebracht, nicht wahr?

„Lucifer..." beginnt er hilflos, doch es ist überdeutlich, dass dieser ihm gar nicht mehr zuhört. Langsam, Stück für Stück, legt er die Einzelteile seines Laptops auf den niedrigen Tisch. Seine Miene ist völlig blank, doch in seinen Augen irrlichtert es. Alciel, der ihm am nächsten ist, sieht es ganz deutlich, setzt sich direkt neben ihn und legt seine Hand auf eine dieser rastlosen Hände.

Lucifer stockt und wendet ihm das Gesicht zu. Alciel wartet, bis sich dieser unstete Blick auf ihn eingependelt hat, bevor er ihre Finger miteinander verschlingt und ein aufmunterndes Lächeln wagt.

„Niemand läuft ihr hinterher.“

Lucifer starrt ihn einen Moment lang einfach nur an, nickt und beginnt dann, die Bruchstücke ziellos hin und her zu schieben. Er befindet sich ganz eindeutig in seinem ganz individuellem Schockzustand.

Mao betrachtet ihn kurz mit gerunzelter Stirn und dreht sich dann zu ihrer Nachbarin um.

„Vielen Dank für deine Hilfe, Suzuno.“

Diese nickt und läßt sich dann ohne Protest von ihm Richtung Tür führen. Doch im Eingangsbereich bleibt sie noch einmal stehen.

„Wieso war Sasaki Chiho so wütend?“ Sie hat nicht viel von dem mitbekommen, was geschehen ist, bevor sie die Wohnung betrat und sie ist neugierig. Sie wird aber nicht auf einer Antwort bestehen, sollte ihr der Dämonenkönig ausweichen. Zu ihrem Glück ist Mao durchaus bereit, ihre Neugier zu befriedigen.

„Genau weiß ich es nicht, aber ich schätze, das liegt an dem, was ich ihr heute gesagt habe. Ich ...“, er räuspert sich einmal und schenkt ihr ein verunglücktes Lächeln, „habe ihr zu verstehen gegeben, dass sie sich mich aus dem Kopf schlagen soll, weil Urushihara schon mein Ehemann ist.“

Crestia blinzelt einmal. Unwillkürlich rutscht ihr Blick zu den beiden anderen Dämonen im Raum hinüber, die ihnen immer noch den Rücken zuwenden.

„Seit wann?“ will sie schließlich nur wissen.

„Seit zweihundert Jahren.“

Sie nickt bedächtig. „Ich verstehe.“ Sie zögert einen Augenblick und stellt dann etwas irritiert fest: „Emilia erzählte mir das von Suzuki Rika. Sie sagte mir auch, Alciel und Lucifer seien ein Paar.“

Sie versucht, so neutral wie möglich zu bleiben, weil sie niemanden ohne Beweise der Lüge bezichtigen will. Doch Maos Antwort überrascht sie.

„Das stimmt“, gibt er unumwunden zu. „Ashiya ist ebenfalls Urushiharas Ehemann. Jeder von uns beiden ist durch einen Blutschwur an ihn gebunden.“

„Ich verstehe.“ Sie kennt nicht alle Blutschwüre, schon gar nicht die der Dämonen, doch sie bezweifelt nicht deren Stärke und Macht. Und trotz allem ist Lucifer immer noch ein Erzengel und als solcher gehört seine Magie zu einer der Stärksten neben der Gottes. Selbst seine Verbannung aus dem Himmel und die Verderbnis durch die negative, dämonische Energie ändert nichts an dieser Tatsache. Wenn er einen Blutschwur leistete, gehört dieser unzweifelhaft zu einem der Machtvollsten. Mit so etwas spielt man nicht leichtfertig herum.

Arme Sasaki Chiho. Sie hatte von Anfang an keine Chance.

„In der Tat ist das eine Neuigkeit, die von einem naiven Charakter wie Chiho nicht leicht zu verstehen ist.“

„Das ist kein Grund, sich an meinem unschuldigen Laptop zu vergreifen!“ schimpft Lucifer aus dem Hintergrund.

„In der Tat“, stimmt sie ihm da ruhig zu und an Mao gewandt: „Es war offensichtlich.“

„Was?“ verwirrt runzelt dieser die Stirn.

Sie schenkt ihm ein strahlendes Lächeln. „Seit Lucifer aus dem Fenster sprang, sind eure Gefühle für ihn offensichtlich. Ihr habt euch viel Mühe gegeben, euch nichts anmerken zu lassen, aber dass ihr euch sehr zugetan seid, spiegelt sich in jeder kleinen Geste wieder. Immerhin ist der Ruf vom Dämonenkönig Satan, seiner rechten Hand Alciel und seiner linken Hand Lucifer sogar bis zur Heiligen Kirche vorgedrungen. Eure Namen wurden nur furchtsam geflüstert und niemals einzeln genannt. Ihr seid die unheilige Trinität.“

„Njaaa...“ verlegen kratzt sich Mao im Nacken. „Ich schätze mal, da hat deine Kirche nicht ganz unrecht.“

Aus Lucifers Richtung kommt ein Geräusch, das wie eine Mischung aus verächtlichem Schnauben und Lachen klingt, doch da Crestia solche Reaktionen von ihm gewohnt ist, sobald sie von der Heiligen Kirche spricht, achtet sie nicht weiter darauf.

Sie verabschiedet sich mit einer höflichen Verbeugung, läßt sich von Mao galant die Tür aufhalten und geht dann hinüber zu ihrem eigenen Apartment. Auf ihrer Stirn bilden sich kleine, nachdenkliche Falten. Vielleicht haben ihr ihre Augen einen Streich gespielt, aber für einen Moment schien es ihr, als habe sie inmitten all dieser finsteren Energie goldglitzernde Funken gesehen...

 

 



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