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Die Sonne scheint für alle

von

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II.

II.

 

Ein neuer Morgen bricht über dem Shibuya Bezirk in Tokyo an und noch liegt das Gebäude, das von seiner Besitzerin „Villa Rosa Sasazuka“ getauft wurde, in frühmorgendlicher Ruhe. In der kleinen sechs-Tatami-großen Wohnung mit der Nummer 201, von den Bewohnern liebevoll „Devil's Castle“ genannt, sitzen zwei dieser Bewohner friedvoll am Frühstückstisch.

Friedvoll – aber alles andere als sorgenfrei.

Alciel, ein Dämon aus dem Clan der Iron-Scorpion, hier aber als Ashiya Shiro bekannt, großgewachsen, hellblond, selbsternannter Hausmann und daher auch fürs Budget zuständig, macht sich, kaum wach, sofort Gedanken um ihre Schulden. Es grenzt an ein Wunder, dass er überhaupt ruhig schlafen konnte. Andererseits waren die Ereignisse in den letzten Tagen sehr nervenaufreibend und erschöpfend.

„Im kleinen Tante-Emma-Laden um die Ecke suchen sie eine Aushilfe. Ich werde mich heute da bewerben. Das wäre perfekt, weil es so nah ist. Da muss ich Urushihara nicht so lange allein lassen und könnte auch in der Pause nach dem Rechten sehen.“

„Klingt gut“, noch nicht ganz wach, reibt sich der Dämonenkönig Mao Jakobu, hier als Mao Sadao bekannt, die rötlichen Augen, streicht sich einmal durchs verwuschelte, dunkle Haar und rollt dann mit seiner rechten Schulter, in der es vernehmlich knackt. Die Aushilfsarbeit auf der Baustelle ist doch anstrengender, als er dachte. Diese menschlichen Körper halten wirklich nichts aus.

In solchen Momenten wünscht er sich zurück in die Dämonenwelt. Da hatten sie wenigstens keine Geldsorgen, weil Geld dort genauso unbekannt ist wie essen, trinken oder schlafen. Na ja, zumindest besteht nicht die körperliche Notwendigkeit dazu – nicht, sobald sie ausgewachsen sind. Dann trinken, essen und schlafen sie nur noch aus Vergnügen. Die dunkle Energie ihrer Heimat sorgt für alles andere.

„Uns fehlen noch 35.000 Yen...“, bemerkt Alciel bitter. Waren ihre Finanzen früher schon klamm, bewegen sie sich jetzt in Richtung chronisch pleite.

„Ashiya, bitte. Lass uns wenigstens beim Frühstück nicht über unsere miserablen Finanzen reden.“

Sofort senkt Alciel so demütig den Kopf, dass ihm seine blonden Haarsträhnen tief ins Gesicht fallen. „Ich entschuldige mich, Mylord.“

Mao nickt nur und greift nach der Schale mit seiner Miso-Suppe.

„Uru-“ beginnt Alciel ihren dritten Mitbewohner zum Frühstück zu rufen, unterbricht sich jedoch, als Mao hastig die Hand hebt.

„Nicht, bitte. Es ist gerade so schön ruhig hier.“

Gehorsam klappt sein General den Mund wieder zu und beläßt es dabei, nur den Wandschrank, in dem es sich der letzte ihres Trios gemütlich eingerichtet hat, mit seinen Blicken zu töten.

Er wundert sich, wo dieser kleine Parasit bleibt. Normalerweise kriecht er aus seinem Loch hervor, sobald er das Essen riecht, aber heute ist es dort drinnen wirklich verdächtig still. Ein Teil von ihm begrüßt dies genauso sehr wie Mao, aber der andere, der größere Teil, der gelernt hat, den Namen Urushihara mit ihrem ständig schrumpfendem Haushaltsbudget in Verbindung zu bringen, befindet sich in nervöser Alarmbereitschaft.

Unwillkürlich rutscht sein Blick hinüber zu dem kleinen Tisch vor der Wand und er atmet sichtlich auf, als er den Laptop dort liegen sieht. Sehr gut. Wenigstens im Moment sind sie vor exzessivem Onlineshopping also sicher.

„Mylord“, beginnt er betont laut, damit es der Bewohner des Wandschranks auch ganz bestimmt hört, „ich habe darüber nachgedacht, Urushihara während meiner Abwesenheit zu fesseln und zu knebeln. Auf diese Art wäre sichergestellt, dass er keinen Unsinn anstellt.“

„Das klingt verlockend, Ashiya“, erwidert Mao in gespieltem Ernst und in derselben Lautstärke. „Oder wir versuchen es mit Beruhigungsmitteln.“

„Mylord, das können wir uns nicht leisten.“

„Schade.“

„Ein Schlag auf den Kopf vielleicht?“

„Oder-“

In diesem Moment wird die Wohnungstür mit Schwung aufgerissen und ein weiß-schwarz-violetter Blitz stürmt herein und an ihnen vorbei, reißt die Tür zum Wandschrank auf, stürzt sich selbst hinterher und wirft die Tür dann lautstark wieder hinter sich zu.

Die beiden brauchen fünf geschlagene Sekunden, um sich von ihrer Überraschung zu erholen und dann noch einmal drei, um diesen Blitz als ihren Mitbewohner zu erkennen.

„Urushihara?“ beginnt Mao dann verdattert. Er war draußen? Er war außerhalb der Wohnung?

Entgegen Maos ausdrücklichen Befehls?

Die Tür des Wandschranks öffnet sich einen Spaltbreit, eine schmale, helle Hand wird sichtbar und wirft etwas auf den Tisch. Dann schließt sich die Tür wieder.

Mao blinzelt einmal. Zweimal. Dreimal.

Alciel blinzelt sogar viermal.

Dann langt Mao nach dem zusammengerollten Bündel Geldscheinen und betastet es ungläubig.

„Urushihara?“

„100.000 Yen“, kommt es gedämpft aus dem Schrank. „Nicht gestohlen, ich schwör's.“

Mao zählt nach und sieht dann seinen General an. Alciel sieht aus, als schwanke er zwischen Wut und Entsetzen hin und her. Letztendlich überwiegt die Wut.

Urushihara! Du wagst es, den Befehl unseres Königs zu mißachten und das Castle zu verlassen? Du bist ein gesuchter Schwerkrimineller!“

Aus dem Schrank antwortet ihm nur Schweigen und das ist ungewöhnlich. Normalerweise würde er jetzt so etwas wie „setze Diebstahl nicht mit Mord gleich“ oder „Dramaqueen“ entgegnen.

„Urushihara!“ Am Ende seiner Geduld springt Alciel auf, doch noch hält er sich zurück und ballt nur die Fäuste. Es ist offensichtlich, wie schwer es ihm fällt, den gefallenen Engel nicht regelrecht aus der Wand zu kratzen. Doch solange sein König im Raum ist, wird er ihm die Führung überlassen.

Mao erhebt sich, innerlich seufzend. Einem Teil von ihm ist es schnurzpiepegal, woher das Geld stammt, solange dieser Unglücksrabe nicht wieder in die Fänge eines dubiosen Vertreters geraten ist und sich unnütze Dinge aufschwatzen ließ.

Geld ist Geld und sie können es wirklich gut gebrauchen.

Aber der größere Teil von ihm ist alarmiert. Lucifer hat die Wohnung in der Nacht unbemerkt verlassen! Dafür musste er sich an ihnen vorbei schleichen und sie haben einfach weitergepennt? Und seit wann ist Lucifer so leichtsinnig?

Auch wenn es knapp vier Monate her ist, dass er zusammen mit Olba all diese Raubüberfälle begangen hat - für Olba das Geld und den Schmuck und für Lucifer die Furcht der Opfer, die seine Magie auflud – können sie sich nicht sicher sein, ob die Polizei nicht doch noch hinter ihm her ist.

Das ist der Grund, wieso Mao es ihm untersagt hat, die Wohnung zu verlassen.

Und der andere ist schlicht und einfach der, dass Lucifer Menschenansammlungen nicht erträgt. Auf Maos Frage, wieso er damit keine Probleme hatte, als er ihn und Alciel auf offener Straße angriff, rümpfte Lucifer nur die Nase und meinte in einem Tonfall, als sei das doch sonnenklar:

„Weil ich geflogen bin.“

Mao bezweifelt, dass er jetzt geflogen ist, also, was hat ihn dazu getrieben, über seinen eigenen Schatten zu springen und raus zu gehen?

Mit ein paar entschlossenen Schritten steht Mao vor dem Wandschrank und öffnet die Tür.

„Geh weg“, knurrt es ihm sofort ungnädig entgegen.

Mao stutzt, schluckt die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, wieder herunter und mustert seinen ehemaligen General irritiert. Lucifer hockt mit dem Rücken an der Seitenwand des Schrankes gelehnt, mit um die angezogenen Knie geschlungenen Armen und hält den Kopf so tief gesenkt, dass nur seine violette Haarmähne zu sehen ist. Aber was Mao am meisten erstaunt ist die Tatsache, dass er seine Flügel manifestiert hat. Rabenschwarz, mit einem Hauch von Violett, umgeben sie ihn wie ein Schutzschild.

Für einen Augenblick ist Mao wie erstarrt. Er liebt diese Schwingen. Sie sind wunderschön. Mao, dessen eigene Flügel nur denen von Fledermäusen ähneln, hat ihn immer um diese eleganten Schwingen bewundert.

Und dann steigt Mao dieser Geruch in die Nase. Lucifer stinkt nach Magie, aber sie ist eher schwach, also sieht Mao darüber hinweg. Er kann gerade mal seine Flügel manifestieren, außerdem … erinnert er Mao in diesem Moment mehr denn je an einen zierlichen Teenager. An einen zitternden, zutiefst verstörten Teenager. Mit wunderschönen Rabenflügeln.

Aller Ärger ist sofort verflogen.

„Urushihara“, behutsam spricht Mao ihn an.

Unter dem Vorhang violetten Haares blitzen ihn zwei ebenfalls violette Augen trotzig an.

„Geh weg. Nimm das Geld und laß mich in Ruhe. Ich habe nichts Unredliches getan, okay?“

Mao mustert ihn eindringlich. Sind das da Tränenspuren auf Lucifers Wangen?

Lucifers Flügel ziehen sich noch ein paar Millimeter enger um ihn zusammen, geben gerade noch so viel von seinem Gesicht frei, dass Mao sehen kann, wie sich seine Miene zu einer Mischung aus Furcht und Wut verzerrt.

„Nichts Kriminelles, okay? Ich schwör's! Meine Güte, da mache ich mich mal nützlich, wie Alciel es immer von mir will und dann ist es euch auch nicht recht?“

„Entschuldige“, erwidert Mao schnippisch, „wenn wir nach deiner letzten Aktion mißtrauisch sind.“

„Woher hast du so viel Geld?“ schaltet sich jetzt Alciel hinter Mao ein. „Und nenn mich gefälligst bei meinem japanischen Namen!“

„Ihr seid ja nur neidisch, weil ich in einer Nacht mehr Geld verdient habe als Mao in einem halben Jahr als Burgerbrater!“

„Schichtleiter“, berichtigt ihn der Burgerbrater trocken.

„Was auch immer.“

„Lucifer. Ich frage dich zum letzten Mal: woher kommt das Geld?“

Bei der Nennung seines richtigen Namens zuckt der Engel sichtlich zusammen.

„Spielhalle?“ murmelt er schließlich zögernd.

„Und das soll nicht illegal sein?“ schreit Alciel „Du bist minderjährig!“

„Ich bin älter als ihr zwei zusammen!“

Hier nicht! Und du benimmst dich auch nicht so!“

Lucifer verschwindet vollends unter seinen Flügeln. Nur seine nackten Füße und seine Knöchel sind noch zu sehen.

„Dein verantwortungsloses Benehmen ist eine Schande für alle Generäle unseres Königs! Ich kann es nicht glauben, dass du einst Mao-samas größte Armee befehligt hast! Deine Nutzlosigkeit entehrt Ihre Hoheit! Entschuldige dich sofort bei Mao-sama!“

Aus der Federkugel vor ihnen antwortet ihm nur Schweigen.

Alciel holt tief Luft und öffnet den Mund, um ihm noch mehr an den Kopf zu werfen, doch Mao bringt ihn mit einem schnellen Blick zum Schweigen.

Leise schließt er die Tür und führt den großen blonden Mann am Arm ein paar Schritte weiter. In der Küchenzeile lässt er ihn wieder los. Die Wohnung ist klein, also zieht er seinen General zu sich hinunter und flüstert ihm ins Ohr:

„Laß es gut sein, Ashiya. Er wird es uns nie sagen, wenn wir ihn dazu zwingen. Und, ehrlich gesagt, kaufe ich ihm das mit der Spielhalle nicht ab.“

Alciel, für den es einem Sakrileg gleichkommt, Mao zu belügen, schnappt entsetzt nach Luft.

„Ich entschuldige mich in seinem Namen, Mao-sama. Ich als sein gesetzlicher Vormund übernehme volle Verantwortung für diese Respektlosigkeit.“

Mao ist versucht, ihn darauf hinzuweisen, dass vor allem sein Name auf den Papieren steht, hält sich dann aber doch zurück. Alciel sieht es nun einmal als seine Aufgabe, Mao den Rücken freizuhalten und dazu gehören auch unliebsame Pflichten, wie zum Beispiel, die Verantwortung für einen gewissen, faulen Engel zu übernehmen.

Also winkt er nur ab und versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Alciels Eifer manchmal nervt.

„Sieh das Positive“, vielsagend wedelt er mit dem Bündel Geldscheinen vor Ashiyas Nase herum. „Weder du noch ich brauchen jetzt noch einen Nebenjob. Wir sind nicht nur nicht mehr im Minus, sondern haben auch ein sattes Plus auf unserem Konto. Und...“ er zieht das Wort mit einem triumphierenden Grinsen in die Länge, „weil ich nicht mehr auf der Baustelle arbeiten muß, habe ich noch drei freie Tage, bis ich wieder zurück zu MgRonald's muß. Lass uns chillen, Ashiya, wir haben es uns redlich verdient.“

Alciels goldbraune Augen leuchten für einen Moment vergnügt auf, doch dann zieht er wieder eine ernste Miene.

„Sehr wohl, Mylord. Dann gestattet mir, zur Bank zu gehen und das Geld auf unser Konto einzuzahlen.“

Grinsend zieht Mao drei zehntausend-Yen-Scheine aus dem Bündel und drückt ihm dann den Rest in die rechte Hand. Die adreißigtausend aber gibt er Alciel in die linke Hand mit den Worten:

„Und davon kaufst du uns etwas Schönes zum Essen, okay? Und mit dem Rest mach, was du willst.“

Alciels Augen bekommen einen schwärmerischen Ausdruck.

„Ein neuer Reiskocher“, zählt er auf, während er glücklich Richtung Wohnungstür schwankt. „Neue Handtücher. Passende Staubsaugerbeutel. Richtiges Porzellangeschirr. Richtiges Besteck. Und vielleicht einen Ventilator?“

Schmunzelnd sieht ihm Mao nach, wie er in seine Schuhe schlüpft und dann mit zunehmend sicherem Schritt aus der Wohnung eilt. Er lauscht ihm hinterher, wie er die Außentreppe hinunterpoltert und setzt sich dann wieder an den Tisch, um sein Frühstück zu beenden.

„Urushihara?“

Schweigen.

„Fühl dich frei, da herauszukommen und mit mir darüber zu reden, wann immer du willst.“

Wieder Schweigen.

„Das war ein Angebot, kein Befehl. Noch nicht.“

Aus dem Schrank kommt ein leises Rascheln, dann ist es wieder still. Eine Minute vergeht, in der Mao geduldig wartet und erst seinen Rest der Miso-Suppe und dann den von Alciel verspeist.

Dann, langsam, zögernd, öffnet sich die Schranktür, zwei nackte Füße erscheinen und dann folgt der Rest des gefallenen Engels. Seine dunklen Schwingen immer noch um sich gefaltet steht er mit gesenktem Kopf da und erinnert Mao unwillkürlich an ein verlorenes Rabenküken.

Er holt einmal tief Luft und für einen Moment sieht es aus, als wolle er etwas sagen, doch dann wendet er sich nur zur Seite und verschwindet im Badezimmer.

Mao runzelt die Stirn, wartet und spitzt die Ohren. Als das Geräusch der Dusche ertönt, glaubt er noch etwas anderes unter dem Wasserrauschen zu hören. Es ist schwach und in Verbindung mit Urushihara eigentlich unmöglich, also verschwendet er einen Teil seiner geringen Magie, um auf seinen dämonischen Hörsinn umzuschalten. Und ja, da ist es: ein ersticktes Schluchzen.

Maos Miene verdüstert sich.

Ja. Von wegen Spielhalle.

 

 

Zitternd liegt Lucifer in seinem Schrank, umhüllt von angenehmer Dunkelheit und schmiegt sich fester an seine Federn. Scheiß-Teenagerhormone. Es ist nicht fair, dass er in diesem Körper gelandet ist. Wieso sind Maos und Alciels menschliche Körper biologisch älter als seiner? Sie sind tausende von Jahren jünger als er, verdammt nochmal!

Seine Augen brennen noch immer von seinen Tränen. Er weiß gar nicht, wieso er geheult hat. Dafür gibt es keinen logischen Grund.

Er ist wieder Zuhause (so gut man dies hier ein Zuhause nennen kann) und sogar Mao ließ ihn, als er aus dem Bad kam, unbehelligt zurück in seinen Schrank klettern.

Letztendlich war es ihm also doch egal, wie er zu diesem Geld kam. All dieses Nachbohren war nichts weiter als eine einzige große Machtdemonstration.

Lucifer, du bist eine Wanze, ich zertrete dich unter meinem Ziegenfuß wann immer ich will, vergiß das nie.

Nicht, dass er das je gesagt hätte, aber das braucht er auch nicht. Lucifer sieht es in jeder Geste, jedem Stirnrunzeln, jedem Blick.

Und Alciel ist keinen Deut besser. War er noch nie. Er hat schon immer auf ihn herabgesehen, und hier auf der Erde spielt er sich auf, als wäre er seine Mutter oder so.

Bah, soll er doch glücklich werden mit dem Haushaltskram, den er sich von Lucifers schwer verdientem Geld kauft.

Wer ist hier jetzt der Parasit, he?

Grummelnd rollt er sich noch etwas enger zusammen.

Ich hab's geschafft, huh? Um seine Lippen zuckt ein triumphierendes Lächeln. Ich hab's tatsächlich geschafft. Zuerst dachte ich, ich pack das nicht, aber es stimmt, was man hier so sagt: es ist nur beim ersten Mal schwer.

Und nach der Dusche spürt er nicht mal mehr ein Echo auf seiner Haut.

Lucifer war nie gut mit anderen Engeln. Oder Dämonen. Oder Menschen. Mit ihnen außerhalb eines Ziels, einer Aufgabe zu interagieren, bereitete ihm schon immer Schwierigkeiten. Er war noch nie ein geselliger Typ. Mit je mehr Leuten er sich in einem Raum befindet, desto erschöpfter fühlt er sich am Ende. Ihre lauten Stimmen bereiten ihm Kopfschmerzen. Ungefragte Berührungen sind wie Feuerspuren auf seiner Haut. Er bleibt lieber für sich. Zieht lieber sein eigenes Ding durch. Hält sie sich ganz einfach vom Leib.

Es ist seltsam, aber im Kampf, auf dem Schlachtfeld, hatte er damit niemals Probleme. Vielleicht liegt es daran, daß er dann immer ein Ziel vor Augen hat, auf das er sich ganz und gar konzentrieren kann. Schlimm wird es erst wieder, wenn das Adrenalin seinen Körper verläßt. Wo andere lautstark zur Siegesfeier zusammenfinden, sucht er sich eine stille Ecke und versucht, das Zittern unter Kontrolle zu bekommen. In der Dämonenwelt, während andere sich gegenseitig auf die Schultern klopften und mit ihren Taten prahlten, entfaltete er seine Schwingen und flog in den Himmel hinauf. Hoch und hoch und immer höher und weiter und weiter und wieder zurück, bis sich sein innerer Aufruhr irgendwann löste.

Oh, wie sehr er es liebt zu fliegen!

Seine Flügel sind das Stärkste an ihm, sie tragen ihn bis ans Ende der Welt und trotzen jedem Sturm. Sie halten ihn warm in kalten Nächten und sind ihm ein Trost an schlechten Tagen.

Er vermisst es, zu fliegen.

Es fühlt sich an, als hätte man ihn amputiert.

Aber es gibt hier nicht genug Magie, es kostet ihn viel Energie, sie überhaupt zu manifestieren. Aber sind sie erst einmal draußen, will er sie nie wieder hergeben.

Sein Körper ist erschöpft und müde von dieser Nacht, aber er will noch nicht schlafen und kämpft tapfer weiter gegen diese bleierne Schwere an. Er will es noch ein wenig genießen. Darin schwelgen. In dieser kleinen Menge an Magie, die er heute unerwarteterweise ergattern konnte.

Niemand war darüber überraschter als er. Aber wer konnte denn ahnen, dass es neben Furcht und Verzweiflung noch eine andere Emotion gibt, an der er sich laben kann?

Genug, um seine Flügel wieder zu einem Teil von ihm werden zu lassen. Auch wenn sie noch zu schwach sind, um ihn zu tragen.

Er vermisst es so sehr zu fliegen!

Er weiß nicht, wie Mao und Alciel das ertragen, aber andererseits flogen sie nie nur um des Fliegens Willen wie er.

Ich will wieder fliegen. Nur so, aus Spaß. Nicht, weil es nötig ist, weil wir gerade wieder gegen irgendwen kämpfen.

Wenn ich nur noch ein klein wenig mehr Magie sammeln könnte...

Mehr … nur ein kleines bisschen mehr...

Ganz egal, wieviele Berührungen und andere … Dinge ich dafür ertragen muss.

Ich. Will. Wieder. Fliegen.

 



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