Es ist noch immer stockfinster, er schüpft aus dem Bett und lässt mich zurück, nicht aber ohne mir einen sanften Kuss auf die Stirn zu hauchen.
Er denkt, ich schlafe, er denkt immer, dass ich schlafe. Auch als er vor ein paar Wochen diesen Anruf bekam und seit dem Stunden lang für diesen dahergelaufenen Wildfang zu arbeiten begonnen hatte.
Die Tür fällt zu, ich seufze, denn ich weiß, es ist fast zu spät. Eine Träne kullert meine Wange hinunter.
Halt!
Ruckartig richte ich mich auf. Nein, ich halte ihn nicht auf, er hat seine Entscheidung in dieser Angelegenheit bereits getroffen, davon kann ich ihn nicht abhalten.
Diese kleine Schlacht ist verloren, aber ich habe ja auch noch gar nicht gekämpft.
Sofort breitet sich ein siegessicheres Grinsen auf meinen Lippen aus.
Ich werfe die Decke zur Seite, auch wenn sie noch nach ihm riecht und mir Geborgenheit schenkt, und schwinge mich rasch aus dem Bett, wenn ich jetzt nicht anfange zu Handeln, dann gibt's zukünftig keine Geborgenheit mehr von ihm, dann gibt's bald keinen Geruch mehr, der mich in Sicherheit wiegt.
Meine Schritte führen mich unweigerlich in das angrenzende Badezimmer des Masterbedrooms. Beinahe erschrecke ich vor meinem eigenen Spiegelbild. Ein kehliges Lachen kommt mir über die Lippen. So selbstsicher habe ich mich selten gesehen, dass ich schmunzeln muss. Ich analysiere mein Spiegelbild, meine amnetistfarbenen Augen, die auch mein kleiner Bruder hat, doch weit nicht so tief, nicht so klar und erst recht nicht so angriffslustig wie meine jetzt.
Hach, würde man mich so nur reden hören...
Man würde meinen, ich wäre eifersüchtig und würde diesen drittklasigen Geschäftsmann mit allen Mitteln ausschalten wollen.
Nun... das war nicht immer so...
Ich seufze. Mir ist ja klar, warum das alles so ist, wie es nun mal ist.
Während ich Dusche, mich fertig mache und mich auf den Tag vorbereite, werde ich unentwegt von Erinnerungen geplagt, von Eingebungen, Erkenntnissen, die mir klar machen, dass das alles so laufen musste, auch wenn ich eine glückliche komplikationslose Ehe bevorzugt hätte, aber wem spiele ich hier etwas vor?
Ich habe Seto Kaiba geheiratet, Komplikationen stehen bei ihm stets an, allerdings auch immerzu Lösungen. Diese aber liegt an mir, denn diese Komplikation kam von mir.
Damals, als ich mit meinem dunkelblauen Hosenanzug auf meiner ersten Weihnachtsfeier der Kaiba Corporation aufgetaucht bin. Mein Haar trug ich offen, hab meiner Frisörin aufgetragen, mir etwas mehr Pepp reinzumachen und sie sahen dadurch verdächtig wie das Haar eines jungen Mannes aus, den ich damals auf dem Luftschiff das erste Mal gesehen habe. Ein damals noch so unbedeutender Kerl... ach hätte ich ihn doch damals schon...
Nein, das bringt alles nichts. Ich Falle wieder in meine Erinnerung...
Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter und folge unweigerlich dem Druck der meinen Blick direkt in diese atemberaubenden blauen Augen lenkt. Mein Herz schlägt für eine kurze Weile schneller, ich merke nicht einmal, wie überrascht er ist, mich zu sehen, wenn ich so darüber nachdenke, war dies schon sowas wie mein Nexus-Vorfall, das Ereignis, das alles verändern soll. Aber ich denke ja gar nicht so weit und lasse mich auf ein ungezwungenes Gespräch ein.
Irgendwann merke ich, dass er es nicht bedauert, mich angesprochen zu haben, wo er doch so klar jemand anderes erwartet hatte.
Was solls, ich hatte Spaß damals.
Auch bei weiteren Treffen hatte ich Spaß, bis es mit meinen Gefühlen durchging, aber ich spüre es schon eine Weile, es lässt ihn auch nicht kalt, zumindest nicht so kalt, wie er es scheinen lassen will.
Ein Spiel beginnt, er wirbt um mich, bemüht sich um meine Aufmerksamkeit und ich schenk sie ihm, aber nicht vom ersten Moment an, nicht bedingungslos.
Er muss sich schon etwas ins Zeug legen.
Als ich daran denke, wie er mir damals aus dem KC Tower raus nachgelaufen ist. Ich war da wegen einer belanglosen Besprechung, er wollte eine Ausstellung sponsoren, so wie die damals, die ich geleitet habe, als ich ihn das erste Mal angesprochen habe, oh es fiel mir ja damals so leicht, meine Kette hatte mir keinerlei Vorwarnung gegeben, welch hohen Stellenwert dieser junge Bursche von damals noch in meinem Leben einnehmen würde.
Zu sehr war ich festgefressen in meine Pläne, meine Hoffnung, Marik retten zu können, den Pharao, die Welt.
Aber das ist alles Schnee von gestern. Genauso wie dieses Fling, das er mit diesem Spieleentwickler hatte.
Hatte? Ist er denn nicht gerade am Weg zu ihm? Ihn womöglich aus irgendeiner dreckigen Gasse der Straßen New Yorks in seine Arme zu ziehen?
Ich könnte kotzen... ja, es hat mich lange nicht gestört, ganz im Gegenteil, irgendwie fand ich es süß. Als er von dieser verfänglichen Weihnachtsfeier zurück kam, war er so aufgekratzt, positiv aufgekratzt. Irgendwie fand ich es ja schade, dass ich nicht dabei war, aber Marik war zu Besuch über die Weihnachtsfeiertage und er wollte keiner öden geschäftlichen Feier beiwohnen, wer konnte ihm das verübeln? Immer dieses adrette Auftreten, stets seine Fassung behalten und das Gesicht bewahren. Da war unser gemeinsamer Abend in der City sehr viel angenehmer.
Außerdem kam ja mein geliebter Gatter mit einer Umschwänglichkeit nach Hause, die man so nicht von ihm kannte, nun ja, ein Außenstehender hätte nie bemerkt, dass sich Seto Kaiba anders verhält als sonst, aber als liebende Frau, wie konnte ich es nicht merken?
Er war mir gegenüber auch ehrlich und zu meiner eigenen Überraschung war ich ihm nicht böse, ganz im Gegenteil, ich war froh, dass dieses heimliche To-Do endlich angehakt hatte, dass es so lange Folgen mit sich ziehen würde, das ahnte ich ja nicht.
Natürlich habe ich gemerkt, wann diese Tage, diese Termine stattgefunden haben, wo er ihn gesehen hat. Oh, er hat ihn ja so viel mehr als nur gesehen, aber das ist in Ordnung, immerhin weiß ich um seine Neigung, außerdem, wer konnte es ihm verübeln, der schnucklige Spieleentwickler war auch tatsächlich ein Prachtstück von einem Kerl, nicht mein Typ, was Männlichkeit angeht, aber wahnsinnig süß, wenn man auf kleine Fische stand, Seto hatte immer schon eine Schwäche für ihn, das hab ich ihm schon lange angesehen, er selbst wollte es nie wahrhaben. Oh, als ich ihn das eine Mal darauf angesprochen habe. Ich muss sofort lachen, bei dem Gedanken daran. So aufgebracht habe ich ihn noch nie gesehen. Wahrscheinlich hat er damals erst gemerkt, dass er vor allem sich selbst belügt. Er ging seinem Trieb nach, das war auch total in Ordnung, immerhin hatte ich nachdem er sich mit dem Wildfang vergnügt hatte, noch viel unbeschreiblichere Nächte mit meinem Mann, er versöhnte sich auf seine eigene Art und Weise. Oh wenn er mit Otogi nur halb so intensiv umging wie mit mir, dann konnte ihm der arme Mann ja nur vollends verfallen.
Hatte ich Mitleid? Mit Otogi? Ja ein bisschen. Vor allem, als ich ihn damals auf dieser Kickoffveranstaltung gesehen habe.
Ein böses Schmunzeln ziert meine Lippen im Spiegel.
Er war so geknickt, geknickt war gar kein Ausdruck. Es war seine Veranstaltung, für sein Spiel und er verschwand fast augenblicklich. Er hatte ja keine Ahnung, dass Seto und ich da eine unausgesprochene Abmachung haben. Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich nicht einmal, ob Seto es weiß. Hmm... bestimmt, er ist ein kluger Mann, natürlich weiß er das.
Ich verdrehe direkt meine Augen, dass ich auch nur einmal an Setos Auffassungsgabe zweifle, wie närrisch von mir. Aber mit diesem Mitleid ist es nun vorbei, jetzt wo er Setos ganzes Mitgefühl und seinen gesamten Tatendrang hatte.
Sowie dieser Wildfang in dieser Klinik ist, werde ich mir meinen Mann ein für alle Mal zurückholen. Er wird wieder ganz mir gehören.
Sorgfältig trage ich dunklen Lippenstift auf und ziehe die Konturen meiner Augen mit Kajal nach, tusche meine Wimpern und übe meinen verführerischten Blick. Seto hab ich mir damit noch immer gefügig gemacht, in Kombination mit meinen zwei Süßen hier - mein Blick fällt auf mein Dekoltée, das gerade nur mit einem Handtuch bedeckt ist. Aber lange wird es nicht mehr hier sein. Doch zuerst das Haar.
Zügig entferne ich den Handtuchturban und föhne meine schwarze Mähne, der Grund, warum Seto Kaiba erst an mich herangetreten war, und verabrede mich dann mit einer lieben Freundin. Wir müssen shoppen, zum Frisör und Pläne schmieden. So leid es mir tut, dass Otogi in ein so tiefes Loch gefallen ist, weiter als einfach nur wieder heraus, würde Seto ihn nicht ziehen. Dafür werde ich schon sorgen.
Mit einem arglistigen und selbstsicheren Grinsen setzte ich am Vorzimmerspiegel meine dem Winter gerechte Sonnebrille auf und verlasse die Villa.
Game on Bitch
