Die Nachmittagssonne scheint sanft durch die Bäume auf den Schulhof der Nanyo-Grundschule. Conny hat sich in der Nähe des Schultores postiert und wartet auf Amy.
„Auf Wiedersehen Conny!“ verabschieden sich ein paar Klassenkameradinnen, die an ihr vorbei gehen.
„Bis morgen!“
Sie sitzt auf dem hüfthohen Geländer und lässt gedankenverloren die Beine baumeln. Ein paar Spatzen baden im Sand zu ihren Füßen. Während sie ihnen zusieht, stiehlt sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Gregor war…. verrückt. So sehr und laut wie gestern hatte sie schon lange nicht mehr gelacht. Selbst jetzt, wenn sie sich an seine Gesänge erinnert, muss sie wieder kichern. Es war befreiend gewesen, einfach nur zu lachen. Sie hatte ihn nicht ausgelacht, keineswegs, sie hatte mit ihm gelacht. Und je mehr sie gelacht hatte, umso mehr hatte es ihn angespornt weiter zu machen. Er hatte den Wettbewerb nicht verschwinden lassen können, aber es hatte sie einen Abend lang abgelenkt.
Plötzlich stieben die Spatzen auf und auseinander. Conny blickt auf. Amy steht vor der Tür des Schulgebäudes und ruft ihren Namen. Sie steigt vom Geländer.
Er hat gesagt, er würde sich freuen, wenn sie dieses alberne Lied für ihn spielen würde. Wann hatte das zuletzt jemand zu ihr gesagt? Dass er sich einfach nur freuen würde, wenn sie spielte?
Ohne Druck, perfekt sein zu müssen.
Ohne Ziel, etwas besonders anspruchsvolles zu spielen.
Ohne irgendeine Leistung abliefern zu müssen.
Einfach nur freuen.
Bei dem Gedanken daran spürt sie, wie es in ihren Fingern kribbelt.
„Jetzt bin ich da.“ kommt Amy keuchend angelaufen, „Stell dir vor, Frau Yamada wollte mich einfach nicht gehen lassen, bevor ich mir nicht auch noch die Werke der Parallelklasse angesehen habe.“
„Schon gut.“ Conny schließt die Augen und lächelt. „Lass uns gehen.“
„Eins, zwei, eins, zwei…“ Viktor hört das erschöpfte Stöhnen und Schlurfen hinter sich. Es war ein besonders warmer Tag gewesen und er hatte seine Mannschaft trotzdem die lange Runde laufen lassen. Gerne hätte er sie ein paar Mal die lange Treppe im Park hinaufgescheucht, aber dort trainierten heute die Kickers.
„Nicht nachlassen! Gleich sind wir da!“ ruft er nach hinten, als die Nanyo-Schule in seinem Blickfeld erscheint.
„Puh, endlich.“ jammert Eric.
„Bin ich froh, wenn’s vorbei ist.“ keucht Steve.
Viktor hebt den Blick und schaut zum Schultor. Er blinzelt. Im Tor erscheinen zwei Gestalten. Die eine davon erkennt er sofort. Es ist niemand anderes als seine Schwester. Doch das Lächelt auf seinem Gesicht erstarrt, als er die zweite Person erkennt. Amy. Er zieht scharf die Luft ein, sieht sich rasch um, stemmt die Füße in den Boden und biegt abrupt rechts vor dem Tor in eine Seitenstraße ein.
„Käpt‘n!“, „Käpt‘n, was?“, „Warum?“ Verständnislos stolpern seine Jungs hinter ihm her.
„Wir drehen noch eine kleine Extra-Runde.“
„Was?“, „Och nöö.“, „Wir waren doch schon fast da!“
——-
„So, Schluss für heute“ wiederholt Mario und greift nach seiner Tasche. „Kommst du auch?“
Gregor klemmt sich den Ball diesmal sicherheitshalber unter den Arm und folgt Mario zur großen Treppe. „Bin schon da!“
Gemeinsam steigen sie gemächlich die endlosen Stufen hinab.
„Und Käpt’n, was sagst du zu Sascha?“
„Hmm,“ Mario blinzelt unter seiner Schirmmütze ins Licht der untergehenden Sonne.
„Er wird besser.“ antwortet er nachdenklich.
„Also ich finde, er macht tolle Fortschritte. Heute hat er kaum noch einen Ball verfehlt.“
„Das ist es nicht, Gregor.“
Mario erntet einen fragenden Blick. „Nicht?“
„Sascha muss seine Einstellung ändern.“ erklärt er. „Er trainiert viel. Und das ist auch gut. Aber eigentlich geht es um etwas anderes. Er muss mehr Selbstvertrauen entwickeln.“
Gregor bleibt verdutzt stehen. „Selbstvertrauen“ murmelt er in sich hinein.
Mario nickt.
„Sieh dir Philipp an. Er spielt seit Jahren Klavier, doch er glaubt, er muss mehr üben um bei dem Wettbewerb gegen seine Konkurrenten bestehen zu können. Aber das ist es nicht. Sein eigentlicher Gegner ist er selbst. Wenn er nervös ist, Fehler macht, dann versagt er. Und diese Angst davor, die lässt ihn schwach sein. Egal wie gut er im Training ist. Mit Sascha ist es ähnlich. Er glaubt, er ist nicht gut und darum spielt er schlecht. Und darum müssen wir sein Selbstvertrauen aufbauen.“
Gregor starrt seinen Käpt’n an, in seinem Kopf rattert es. Er denkt an jemand anderen. Jemanden mit leuchtenden Augen und einem herrlichen Lachen.
„Darum habe ich gesagt, dass du mit ihm trainieren sollst.“ fährt Mario fort, „Ich hoffe, dass dein Selbstvertrauen auf ihn abfärbt. Denn wenn du etwas hast, dann Selbstvertrauen.“
„Äh…“ Gregors Hand fährt mal wieder in seine Haare. „Wenn du das so sagst Käpt’n.“
Mario lacht. „Du hast sogar so viel Selbstvertrauen, dass du Dinge tust, für die du tatsächlich noch etwas mehr trainieren solltest. Fallrückzieher zum Beispiel.“
„Ich probiere es halt einfach.“ murmelt Gregor, der gar nicht weiß, was er mit dem Kompliment anfangen soll. „Aber Mario, du hast doch auch Selbstvertrauen. Sonst könntest du gar nicht unser Käpt’n sein.“
„Du hast Recht.“ Stimmt Mario ihm zu. „Um eine Mannschaft zu führen und klare Ansagen zu machen braucht man ebenfalls Selbstvertrauen.“
Sie sind auf den untersten Stufen angekommen, als sie eine Mädchenstimme begrüßt: „Oh hallo, seid ihr auch auf dem Weg nach Hause?“
„Elsa!“ begrüßt Gregor seine Schwester überschwänglich, „Ja sind wir. Du auch? Dann können wir ja zusammen gehen, oder Käpt’n?“ erwartungsvoll sieht er Mario an, der immer noch wie angewurzelt auf der letzten Treppenstufe steht.
„Ähm…. Ich…ähm… ja…ähm … nein…“ stottert er. Sein Gesicht ist ganz rot geworden. Krampfhaft versucht er an Elsa vorbei zu sehen. „IchmussindieandereRichtung.“ platzt er heraus, verbirgt sein Gesicht hinter seiner Mütze und sprintet los in den Park hinein.
Elsa, die ebenfalls einen leichten Rotschimmer auf den Wangen hat, sieht ihm fragend hinterher. „Meinst du, es ist alles in Ordnung mit ihm?“
Auch Gregor schaut irritiert seinem Käpt’n nach. „Das Selbstvertrauen scheint sich bei ihm auf Fußball zu beschränken.“ stellt er fest und greift mal wieder mit der Hand an seinen Hinterkopf.