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Sirius, der Muggelbeauftragte

oder auch: Berufsberatung in Hogwarts
von

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Eine schicksalhafte Berufsberatung

Es war ein wirklich schöner Tag – oder es hätte zumindest ein wirklich schöner Tag sein können. Nach den Osterferien war der Frühling endgültig in Hogwarts angekommen und ließ die Ländereien in satten Farben aufleuchten. Draußen strahlte die Sonne auf den großen See hinab, der im Licht verheißungsvoll schimmerte wie ein Saphir. Von Zeit zu Zeit tauchte ein langer saugnapfbewährter Arm aus seinen Tiefen auf und spritze alle Schüler am Ufer nass. Der Vorgeschmack auf den Sommer lag in der Luft und lud förmlich dazu ein, sich nach draußen zu stürzen, eine Runde auf dem Besen zu fliegen oder im Schatten der großen Eichen zu faulenzen.

Sirius jedoch sah den anderen bloß wehmütig aus einem Turmfenster dabei zu, wie sie ihre Freizeit genossen. Dass ausgerechnet er seinen Termin zur Berufsberatung am Nachmittag, nach dem Unterricht hatte, schien ihm keinesfalls Zufall zu sein. Vermutlich war McGonagall noch immer sauer wegen der Sache mit dem Stachelschwein. Als wenn es nicht reichte, dass er jeden Samstag im März deswegen hatte nachsitzen müssen.

Remus, der Vorzeigeschüler, hatte jedenfalls eine unsägliche Stunde Zaubereigeschichte verpassen dürfen, während Sirius nun den ganzen Spaß am großen See verpasste. Und das alles nur, damit seine Hauslehrerin ihn daran erinnerte, dass er immer noch nicht wusste, was nach der Schule aus ihm werden würde. Merlin, er wusste ja nicht einmal, wo er die Sommerferien verbringen sollte, wie konnte er sich da für einen Beruf entscheiden, der ihn sein ganzes Leben verfolgen würde? Das war entschieden zu viel Endgültigkeit, um diesen Entschluss jetzt zu treffen.

Statt sich länger mit diesen trübseligen Gedanken herumzuschlagen, lehnte er den Kopf gegen die kühle Steinmauer neben dem Fenster und fantasierte vor sich hin, welchen Streich die Rumtreiber als Nächstes spielen könnten. Ihre Liste war lang, länger als das Schuljahr, das hieß, das kommende große Ding musste sorgfältig ausgewählt werden. Schließlich sollte niemand das Ende ihres fünften Jahres in Hogwarts vergessen.

Zum Einen wäre da ihr Vorhaben, den Riesenkraken mit einigen Raketen von Dr. Filibusters nasszündendem Feuerwerk auszustatten, um die Schülermeute an einem heißen Sommertag mal so richtig aufzumischen. Oder aber der Plan, die Decke der großen Halle für einen Tag echten Schnee herabrieseln zu lassen. Letzteres wollte Sirius sich allerdings lieber für die ZAGs aufheben. Falls es wirklich schlecht lief, könnte er so zumindest einer Klausur entkommen. Vielleicht sollte er den anderen vorschlagen, dass sie besser einen ganzen Blizzard verursachten, damit die Prüfung in jedem Fall unterbrochen wurde.

Die Vorstellung von Remus, der trotz eisigem Schneesturm verbissen über einem Pergament kauerte, um seine Klausur zu beenden, ließ ein Grinsen auf Sirius Gesicht erscheinen. Sein Freund wäre sicherlich nicht begeistert, gestört zu werden, solange er alles aufschrieb, was er über die verfluchten Koboldaufstände von wann auch immer wusste.

Leider konnte er den Gedanken nicht weiter verfolgen, denn die Tür zum Büro von Professor McGonagall öffnete sich und Marlene McKinnon kam herausstolziert.

»Na endlich«, grummelte Sirius und schnappte sich seine Schultasche. »Man könnte meinen ihr habt da drinnen eine gemütliche Teestunde gehabt.«

Marlene reckte das Kinn und sah ihn geringschätzig von oben herab an. Es machte Sirius wahnsinnig, dass sie mindestens einen halben Kopf größer war als er und das schien sie zu wissen. »Kann halt nicht jeder in fünf Minuten fertig sein, weil nur die Arbeit als Flubberwurmpfleger in Frage kommt.« Sie kicherte spöttisch und drehte sich um. »Viel Erfolg, Black. Vielleicht hast du ja Glück und qualifizierst dich doch noch als Sicherheitstroll!«

Sirius beschwor schon eine Verwünschung herauf, die er ihr hinterherwerfen konnte, da streckte seine Hauslehrerin den Kopf aus ihrer Bürotür. »Mr. Black, wo bleiben Sie? Brauchen Sie erst eine persönliche Einladung?«

Er beschränkte sich darauf, Marlene McKinnon einen bösen Blick hinterherzuwerfen, und trat dann in das runde Turmzimmer. Die Tür hinter ihm schwang von alleine zu. Augenblicklich kehrte eine angespannte Stille ein, während die Professorin seine Akte aus einem Stapel auf ihrem Schreibtisch herausfischte.

Die Anwesenheit der Hauslehrerin hatte es an sich, dass Sirius sich plötzlich viel kleiner fühlte. Immerhin hatte Professor McGonagall ihn schon mehr als einmal wie ein feuerspuckender Drache angefunkelt und ihm Nachsitzen aufgebrummt. Von ihren Standpauken ganz zu schweigen. Auch wenn er ihre Rumtreiber-Streiche niemals bereute – ihr erzürnter Blick ließ einen auf der Stelle zusammenschrumpfen.

»Setzen Sie sich.« McGonagall deutete auf den einzigen, storchenbeinigen Stuhl vor dem überladenen Tisch.

Sein Mund wurde staubtrocken, als er sich setzte und darauf wartete, dass sie ihm die Leviten las. Natürlich hatte er die Faltblätter zur Berufswahl gelesen, die im Gemeinschaftsraum ausgelegt worden waren. Zumindest hatte er sich die bewegten Bilder angesehen. Ihm war jetzt schon klar, dass er kein Gringotts-Banker werden würde und auch kein langweiliger Ministeriumszauberer im Nadelstreifenumhang. Nur würde das seiner Lehrerin sicher nicht gefallen. Aber anlügen war genauso wenig eine Option. McGonagall schien ihm jede Unwahrheit an der Nasenspitze ablesen zu können.

Wie befürchtet, ließ sie ein Seufzen hören und sah ihn über seine Akte hinweg scharf an. »Also, Mr. Black. Haben Sie irgendwelche Vorstellungen bezüglich Ihres Traumberufs?«

Den Blick auf das Stück blauen Himmels hinter dem einzigen Fenster im Raum gerichtet, zuckte Sirius mit den Schultern. »Ich glaube, den gibt es nicht.«

Er konnte schwören, dass die Verwandlungslehrerin ein neuerliches Seufzen unterdrückte. »Da sind Sie nicht der Erste an diesem Tag.« Sie blickte hinab auf ein Blatt Pergament, das anscheinend sein letztes Zeugnis war. »Dabei stehen Ihre Chancen nicht einmal schlecht. Insgesamt sind Ihre Noten anständig, Mr. Black. Wissen Sie denn wenigstens, welche Fächer Sie bis zum UTZ belegen wollen?«

»Verteidigung gegen die dunklen Künste.« Die Antwort kam so schnell aus Sirius geschossen, wie ein Klatscher über das Quidditchfeld raste. Darin waren die Rumtreiber sich schon länger einig – sie mussten vorbereitet sein für die Welt da draußen, in der es von Todessern und schwarzer Magie nur so wimmelte.

Professor McGonagall hob leicht einen Mundwinkel und schaute rasch wieder in ihre Unterlagen. »Das dürfte kein Problem sein, immerhin haben Sie derzeit ein Erwartungen übertroffen in diesem Fach. Nur Merlin weiß, wer das Fach nächstes Jahr unterrichtet, aber diese Leistung wird in jedem Fall ausreichen für den UTZ-Kurs. Was ist mit weiteren Fächern?«

Unter ihrem Adlerblick rutschte Sirius unbehaglich auf seinem Stuhl herum. »Wenn’s sein muss, die Fächer mit den besten Noten, schätze ich.« Er fuhr sich durch die dunklen Locken. »Nur keine Zaubereigeschichte bitte.« Remus mochte das Fach spannend finden, aber für ihn war es seit dem ersten Tag eine Folter der Langweile.

»Nun, Ihre Leistungen in Verwandlung sind ebenfalls recht erfreulich. Wenn Sie sich noch ein wenig anstrengen«, und bei diesen Worten sah sie ihn über ihre Brille hinweg ernst an, »dann erreichen Sie hoffentlich noch ein Erwartungen übertroffen in Ihren ZAGs. Sollte sich allerdings eine Sache wie das mit dem Stachelschwein wiederholen –«

Schnell schüttelte er den Kopf. »Wird es nicht, Professor.« Es war zumindest nicht vollends gelogen. Die Sache mit dem Stachelschwein war gründlich schief gegangen, das würden sie nicht wiederholen.

Die Lehrerin zog eine Augenbraue in die Höhe, besann sich dann aber wieder auf das eigentliche Thema. »Gut, also ich sehe ein gewisses Potential für Verwandlung und würde mich freuen, Sie in meinem UTZ-Kurs begrüßen zu dürfen. Ansonsten ...«, ihr Finger glitt die Reihe an Noten entlang, »in Zaubertränke und Astronomie sind Ihre Ergebnisse ebenfalls erfreulich. Damit würden Ihnen auf jeden Fall einige Türen offenstehen, wenn Sie sich entscheiden sollten, diese Fächer weiterzuverfolgen. Und bei den Wahlfächern – Sie haben ein Ohnegleichen in Muggelkunde.« Diese Entdeckung schien sie zu überraschen und er spürte die unausgesprochene Frage in ihrem Blick. Kein Wunder, es belegten meist nur eine Handvoll Schüler überhaupt dieses Fach. Die übrigen Rumtreiber hatte er mit seltenen Schokofroschkarten bestechen müssen, damit sie sich ihm anschlossen.

Sirius schnitt eine Grimasse und sah wieder zum blauen Himmel hinter Professor McGonagall. Jetzt wünschte er sich noch mehr, draußen bei den anderen zu sein. Vielleicht eine kleine Runde mit dem Besen zu drehen. Dann musste er wenigstens nicht daran denken.

»Also belegen Sie das auch weiter, Mr. Black?« Erwartungsvoll sah sie ihn an.

»Das habe ich eigentlich nur gewählt, um meine Familie zu ärgern«, gab er voller Bitterkeit zu. Ihm war bewusst, wie sehr seine Mutter es hasste, Muggelkunde in seinem Zeugnis zu sehen. Umso mehr, weil es seine beste Note war. Ganz anders als bei ihrem hochgelobten Regulus, der nur in ‚vernünftigen‘ Fächern Glanzleistungen vollbrachte. »Schätze, dafür lohnt es sich. Die übrigen Fächer belege ich meinetwegen auch.«

Seine Hauslehrerin ließ das Zeugnis sinken und betrachtete ihn einen Moment stumm, ehe sie den Deckel einer schottengemusterten Dose abnahm und diese Sirius zuschob. »Nehme Sie sich einen Keks«, forderte sie ihn auf.

Verdutzt starrte er in die Tiefen der Schachtel, die randvoll mit Ingwerkeksen war. Sein Magen grummelte leicht, das Mittagessen lag schon eine Weile zurück. »Ahhh ... danke?« Irgendetwas sagte ihm, dass er ihr Angebot besser nicht ablehnte.

»Macht Ihnen das Fach Spaß?«

»Bitte?«

»Haben Sie Spaß an Muggelkunde, Mr. Black?«

Sirius zuckte mit den Schultern und knabberte an seinem Keks. Zu seiner Überraschung war er ziemlich gut, wie die selbstgebackenen Kekse, die Peter manchmal von seiner Mutter geschickt bekam. Unwillkürlich fragte er sich, ob McGonagall wohl selber backte. Er konnte sich die strenge Hauslehrerin nicht einmal in der Küche vorstellen, geschweige denn beim gemütlichen Kekse backen.

»Nehmen Sie das Fach nur auf sich, um Ihrer Familie eins auszuwischen?«, ließ sie nicht locker.

»Jep«, entgegnete er lustlos. »Außerdem ist es nicht so schwer wie Alte Runen oder Arithmantik. Es ist zumindest unterhaltsam, was sich die Muggel so alles einfallen lassen, um ihr Leben erträglicher zu machen. Wenn meine Mutter sagt, dass alle Muggel dumm und faul sind, fallen mir jetzt wenigstens zehn Gründe ein, warum das nicht so ist.«

McGonagalls Nasenflügel blähten sich auf und ihre Augen wurden schmal. Sirius befürchtete schon, eine Predigt zu hören bekommen – irgendwas darüber, dass er seine Schulfächer ernster nehmen sollte vielleicht – doch nichts dergleichen kam. Stattdessen angelte sie sich selber einen Ingwerkeks und biss geräuschvoll hinein, mit einer Miene wie nach dem Stachelschweinvorfall. Obwohl – eventuell war sie noch grimmiger.

»Ich verstehe Sie.«

Sirius sah zu seiner Lehrerin auf, in dem Glauben, sich gerade verhört zu haben. Hatte ihr jemand einen Verwechslungszauber aufgehalst?

»Mit einer Familie, die sich derart auf – nennen wir es ‚alte Traditionen‘ – beruft, kann ich es Ihnen nicht verübeln. Und ich bin stolz auf Sie, dass Sie in der Tat anders denken – und dass Sie in meinem Haus sind, Mr. Black.«

Hustend verschluckte Sirius sich an seinem letzten Bissen Keks. Tränen traten in seine Augen und er klopfte sich auf die Brust. Jetzt musste er sich wirklich verhört haben. Er war es gewöhnt, als Unruhestifter bezeichnet zu werden, als Plage für die Schule und nervtötend wie Peeves, aber nicht als Stolz für Gryffindor.

»Trotzdem«, fuhr Professor McGonagall ungerührt fort, »oder gerade deswegen, müssen Sie auch an Ihre Zukunft denken. Was nützt Ihnen ein Fach, dass Sie vielleicht nicht mögen, wenn es darum geht, eine Arbeitsstelle zu finden? Sobald Sie mit der Schule fertig sind, steht Ihnen alles offen. Und auch wenn es schwerfällt, aber an dieser Stelle müssen Sie eine Entscheidung treffen – für sich.«

Er starrte seine Hauslehrerin an wie ein zweigehörntes Einhorn. Ihre ersten Worte gingen ihm noch immer nicht aus dem Kopf. Sie verstand ihn? Sie war stolz auf ihn? Ihm fiel nicht einmal ein, ob schon jemals irgendwer, abgesehen von den übrigen Rumtreibern, stolz auf etwas gewesen war, das er getan hatte. Vor allem wegen einer Sache, die kein Streich war. Seine Eltern waren es jedenfalls nicht. Das hatten sie erst in den Osterferien deutlich zum Ausdruck gebracht.

Unangenehm berührt zuckte er wieder mit den Schultern. »Spielt das überhaupt noch eine Rolle?«, murmelte er. »Wir sind im Krieg. Wenn es nach meinen Eltern geht«, er spuckte das Wort beinahe aus, »dann sollte ich ein Todesser werden.«

Die Erwähnung der schwarzen Zauberer ließ seine Lehrerin kaum merklich zusammenzucken. Sie fing sich schnell wieder und lehnte sich über ihren Schreibtisch ein Stück näher zu ihm. »Aber Sie sind nicht wie Ihre Eltern, Mr. Black. Und Merlin bewahre, Sie müssen ganz sicher nicht in Ihre Fußstapfen treten.«

Sirius ertrug es nicht länger, das Mitgefühl in ihren Augen zu sehen und sah wieder zum blauen Himmel. »Das hatte ich sowieso nicht vor. Sobald die Schule vorbei ist, trete ich in den Orden ein! Wenn ich erstmal siebzehn bin, kann mich niemand daran hindern. Was soll ich mit einem lahmen Bürojob, solange da draußen ein Krieg tobt?«

Professor McGonagall schloss kurz die Augen und richtete sich dann wieder kerzengerade auf. »Mr. Black, ich verstehe das. Aber Krieg ist keine Zukunftsperspektive!«

»Wie kann es eine Zukunft geben, wenn jeden Tag Familien von Todessern angegriffen werden?« Seine Stimme wurde lauter und er sprang auf, ohne es zu merken. »Sie wissen nicht, wie es ist, mit einer Familie wie meiner! Die werden nicht aufgeben, also werde ich es auch nicht! Ich weiß, was der Orden tut, und ich will helfen!«

Mit einem tiefgehenden Seufzen sank seine Hauslehrerin in ihren Stuhl zurück und massierte sich die Schläfen, ehe sie seine Akte zuschlug.

Nun, da sein Ausruf verhallte, kam Sirius sich reichlich albern vor. Er befürchtete, dass sie ihn nach seinem Ausbruch hinaus schmeißen würde, aber sie nahm sich bloß einen weiteren Keks, ehe sie die Dose noch ein Stück auf ihn zuschob. »Bitte, Mr. Black.«

Mürrisch ließ er sich zurück auf den zierlichen Stuhl sinken und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Lust auf Kekse war ihm gründlich vergangen.

»Ich weiß, dass es nichts mit der Berufsorientierung zu tun hat, aber ich habe das Gefühl, wir sollten zuerst über Ihre Familie sprechen. Wenn Sie möchten. Als Ihre Hauslehrerin bin ich dafür verantwortlich, dass es Ihnen gut geht. Und falls nicht, können wir eine Lösung für Sie finden.«

Ihre Stimme hatte das strenge, belehrende verloren und erschien Sirius auf einmal viel weicher, wie es sich vielleicht für eine richtige Mutter gehört hätte. Zumindest erinnerte es ihn an die Eltern seiner Freunde und wie diese mit ihren Söhnen sprachen.

Jetzt nahm er sich doch einen Keks. Von dem Streit in den Osterferien hatte er nicht mal den Rumtreibern erzählt, auch nicht Remus, der sonst über fast alles im Bilde war. Weshalb wusste er nicht so genau. Was sollte er ihnen schon erzählen?

Er konnte schlecht bei einer gemütlichen Partie Zauberschnippschnapp einfach davon anfangen. »Hey, wisst ihr was? Meine Eltern sammeln alle Berichte aus dem Tagespropheten über die Angriffe auf Muggelgeborene. Lustig, oder? Ach und mein Bruder, der soll sich den Todessern anschließen, um die Familienehre zu retten. Tja und ich – ach, man hat mir bloß gedroht, in den nächsten Ferien meine Lippen mit einem Dauerklebefluch zu versiegeln, damit ich nicht mehr so viel Schwachsinn rede. Wirklich lustig das alles!«

»Ich komme schon klar«, sagte er abwehrend. Wenn er es seinen Freunden nicht erzählen konnte, dann erst recht nicht seiner Lehrerin.

Doch zu seiner Überraschung lächelte Professor McGonagall nachsichtig. Es lief anscheinend nichts so, wie Sirius es erwartete. »In Ordnung. Lassen Sie mich nur eines sagen: Nicht jeder hat die Blutsverwandten, die er verdient. Aber ich verrate Ihnen etwas – man kann sich jederzeit aussuchen, wer zur eigenen Familie zählt.«

Sirius entfuhr ein unwilliges, trockenes Lachen. »Ja, meine Mutter kann mich aus dem Stammbaum hexen, dann bin ich nicht mehr ihr Sohn. Das habe ich schon öfter gehört.«

»Das meinte ich nicht, Mr. Black. Sondern Ihre Freunde. Auch wenn Sie vier mir ständig Ärger bereiten und das Schloss auf den Kopf stellen, kann ich nicht von der Hand weisen, dass Sie mehr sind, als bloß Klassenkameraden. So gute Freunde findet man nicht oft. Und vielleicht können sie auch Ihre Familie sein.«

Er spürte die Wahrheit in ihren Worten, wusste allerdings nicht, wie ihm das helfen konnte.

»Das ändert aber nichts an meiner richtigen Familie.« Er verschränkte die Arme vor dem Bauch. »Ich hab’s mal versucht, Remus einzuladen, aber ...« In seinem Hals bildete sich ein dicker Kloß und er schluckte schwer. »Ich will das niemandem antun. Es reicht, wenn ich das aushalten muss. Wenn Sie mir unbedingt helfen wollen, können Sie mich nicht einfach die Ferien hierblieben lassen?«

Professor McGonagall seufzte schon wieder. »Mr. Black, ich wünschte wirklich, ich könnte Ihnen das anbieten. Glauben Sie mir, ich will genauso wenig wie Sie, dass Sie zu Ihren Eltern zurückkehren müssen. Aber leider können wir es keinem Schüler erlauben, die Sommerferien hier zu verbringen.«

Ihre Stirn hatte mittlerweile so viele tiefe Furchen, wie er es nur von ihr kannte, wenn mal wieder jemand einen Zauberknaller in ihrem Unterricht hochgehen ließ. Statt zu schimpfen, nahm sie noch einen Bissen von ihrem Keks.

»Haben Sie einmal daran gedacht, bei einem Ihrer Freunde unterzukommen? Vielleicht wäre einer von Ihnen bereit, Sie zumindest vorübergehend aufzunehmen? Für danach finden wir dann auch noch einen Weg.«

Sirius schüttelte den Kopf. »Nein, hab ich nicht.« Wenn er näher überlegte, wusste er nicht einmal, warum er es bisher nicht getan hatte. Er war oft genug bei den Potters zu Gast. Sie hatten ein großes Anwesen mit einer Menge Platz und waren immer freundlich zu ihm. Und doch sträubte sich etwas in seinem Inneren wie eine wilde Katze.

»Nun, ich werde mit dem Schulleiter sprechen«, versicherte Professor McGonagall ihm. »Es wird sich eine Lösung finden.«

Auch wenn Sirius nicht gedacht hätte, dass er es jemals sagen würde, sah er doch zu seiner Hauslehrerin auf und tat es: »Vielen Dank, Professor.«

Das kleine Lächeln von vorhin kehrte auf ihr Gesicht zurück. »Jederzeit, Mr. Black.« Sie öffnete seine Akte erneut. »In der Zwischenzeit widmen wir uns besser wieder der Berufsberatung. Ich kann Sie nicht aufhalten, dem Orden beizutreten, sobald Sie alt genug sind. Aber auch die Mitglieder des Ordens brauchen einen gewöhnlichen Beruf. Also, wie gut gefällt Ihnen Muggelkunde?«

Er konnte sich ein kleines Seufzen nicht verkneifen, doch es lag Erleichterung darin. »Schon irgendwie.« Vage zuckte er mit den Schultern. »Ihre Erfindungen sind ziemlich spannend. Ich versteh‘ bloß nicht wirklich, wie zum Beispiel diese Motorräder funktionieren. Professor Sekunda konnte es auch nicht so recht erklären.«

Amüsiert blitzten die Augen von Professor McGonagall hinter ihrer Brille auf. »Das scheint mir ein ‚ja‘ zu sein?«

Sirius nickte. Je länger er überlegte, desto mehr spannende Aspekte fielen ihm an dem Fach ein.

»Also, haben Sie je darüber nachgedacht, zum Beispiel in der Abteilung für Muggelangelegenheiten zu arbeiten? Dort hätten Sie die Chance, wirklich etwas zu verändern. Es mag nicht der heldenhafte – oder zumindest gefährliche – Beruf eines Auroren sein, aber glauben Sie mir, die Arbeit dort ist ziemlich ... abwechslungsreich. Es gibt viele Außeneinsätze, bei denen Sie gefährliche Magie dingfest machen müssen. Und Sie könnten etwas tun für eine Gesellschaft, in der der Blutstatuts keine Rolle mehr spielt.«

Nein, Sirius hatte nie darüber nachgedacht. Wenn sie ihn danach gefragt hätte, ob er sich vorstellen konnte, ein Auror zu sein, dann schon eher. Aber dafür hatte er einfach nicht die Noten und außerdem hasste er Zaubertränke viel zu sehr.

»Ist das nicht –«

»Langweilig?« McGonagall zwinkerte ihm zu. »Ich habe gehört, man kann dort einige ziemlich interessante Muggelerfindungen ausprobieren. Vielleicht ja sogar ein Motorrad? Das Ministerium mag sicherlich oft langweilig und voll schrecklicher Wichtigtuer sein«, gab sie zu, »ein Grund, warum ich inzwischen lieber hier unterrichte. Aber es wird sich nie etwas ändern, wenn keiner anfängt, die Dinge anders anzugehen. Überlegen Sie, was Sie alles bewegen könnten.«

»Oder ich kämpfe einfach direkt gegen die Todesser«, hielt Sirius trotzig dagegen. Er war nicht bereit, diesen Traum aufzugeben. Er konnte sich schlicht nichts anderes vorstellen für sein Leben nach Hogwarts.

»Wünschen Sie sich das nicht, Mr. Black. Ich habe genug von diesem Krieg gesehen, um zu wissen, was er sie kosten wird. Das ist nicht wie eine Schulstunde Verteidigung gegen die dunklen Künste.«

Ausnahmsweise war es an ihr, die Augen abzuwenden. Für einen Augenblick schien es Sirius, als würde ihr Blick den Raum verlassen und etwas ganz anderes sehen, anstelle des schlichten Büros. Ihn erschreckte, wie müde sie auf einmal aussah.

»Versuchen Sie es wenigstens, in Ordnung?«

»Sind Sie sich denn sicher, was die Motorräder angeht?«, hakte er vorsichtig nach. »So eins würde ich wirklich gerne mal ausprobieren. Aber ich hasse es, hinterm Schreibtisch zu sitzen.«

»Ziemlich sicher.«

»Dann kann ich es mir ja mal überlegen«, murmelte Sirius und grinste leicht. »Schaden kann es wohl nicht. Und meine Familie würde es hassen.« Ihm entwich ein einzelner bellender Lacher. »Sirius Black, der Muggelbeauftragte. Klingt großartig.«

Dieses Mal war er sich sicher, dass McGonagalls Mundwinkel zuckte.

Als er wenig später endlich das Schloss verließ, fühlte sein Herz sich ein ganzes Stück leichter an. Die Frühlingssonne wärmte nicht bloß seine Haut, sondern schien in jede Faser seines Körpers einzudringen und die Kälte, die seit Ostern in ihm vorgeherrscht hatte, schwand langsam dahin. Er nahm sich fest vor, den anderen von seinen Ferien daheim zu erzählen.

 

***

 

Sirius tauchte von tief unten aus seiner Erinnerung auf, wie einer dieser verrückten Apnoe-Taucher, von denen Lily ihm mal erzählt hatte. Beinahe konnte er noch den warmen Sonnenschein auf seiner Haut spüren und die glücklichen Rufe von Hogwartsschülern in der Ferne hören.

Damals war ihm das Leben mit einem Mal wieder so simpel erschienen. Wenn er nur geahnt hätte, wie recht Professor McGonagall mit ihrer Warnung haben sollte. Aus dem Krieg war ein brennendes Inferno geworden und wo auch immer er hinging, begleitet ihn sein Schatten. Was damals wichtig gewesen war, spielte keine Rolle mehr. Wen interessierte schon, ob seine Familie sich noch über ihn ärgerte? Die Rumtreiber hatten sie längst ersetzt. Immerhin etwas Gutes.

Heute wie einst fielen Sonnenstrahlen durch die einfach verglasten Fenster des Schlosses hinein, doch im Gemäuer steckte eine gewisse Kälte, die Sirius nicht abschütteln konnte. Der See sah nicht länger aus wie ein strahlender Edelstein, sondern eher wie ein dunkles, bodenloses Loch. Alles war anders und diese Erkenntnis schmeckte so bitter wie Asche.

Hogwarts war ihm immer wie das Paradies vorgekommen. Keine Eltern, die einen anschrien und mit Flüchen drohten, nur er und seine besten Freunde. Jetzt, nach ihrem Abschluss, hatte es etwas Ernüchterndes, wieder in diesen Fluren zu stehen, um für den Orden Bericht zu erstatten. Die Wärme, die er hier verspürt hatte, war verschwunden. Ob aus den Mauern des Schlosses oder aus seinem Inneren, konnte er nicht sagen.

Hinter sich hörte er Schritte den Korridor entlang kommen. »Sirius? Kommst du? Die anderen warten schon.« Lilys Stimme spiegelte seine Bedrückung perfekt wieder. Trotzdem hatte sie ein kleines Lächeln im Gesicht, als er sich zu ihr umdrehte. Das schätzte er an ihr, sie blieb immer optimistisch. »Bringen wir es hinter uns.«

»Ja.« Mit einem letzten Blick auf die Ländereien wandte er sich vom Fenster ab. »Schon komisch«, sagte er zu ihr, während sie Seite an Seite den Weg zu Dumbledores Büro zurücklegten, »das war immer, was ich mir früher gewünscht habe. Ein Mitglied des Phönixordens zu werden. Und jetzt, wo es so weit ist, muss ich wieder an meine Berufsberatung denken. Was ohne Krieg hätte sein können.«

»Was hätte denn sein können?«

Er lachte auf. »Das wirst du mir nie glauben.«

Lily sah ihn aus schmalen Augen von der Seite an. »Jetzt will ich es erst recht wissen!«, forderte sie.

»Hey, das habe ich nicht mal den anderen erzählt.«

Sie funkelte ihn vorwurfsvoll an. »Dann hättest du auch nicht davon anfangen sollen.« Schwungvoll warf sie sich das Haar über die Schulter, wie nur sie es konnte, und legte einen Schritt zu.

»Na schön, Evans«, zog er sie auf. »Weil du es bist.«

Im Gehen drehte sie sich zu ihm um, ein triumphierendes Grinsen im Gesicht. »Ich höre?«

»Was hältst du von Sirius Black, dem Beauftragten für Muggelangelegenheiten?«

Ihre Augen wurden groß und der Mund klappte ihr auf, aber dann kicherte sie. »Du nimmst mich auf den Arm!«

Sirius sah mit einem Seufzen gen Decke, doch auch er konnte nicht verhindern, dass sich ein Grinsen auf seine Lippen stahl. »Siehst du, deswegen erzähle ich es niemandem!«

»Du meinst das wirklich ernst?« Lily musste sich sichtlich zusammennehmen, um das Kichern zu unterdrücken.

Er schenkte ihr einen strengen Blick in bester McGonagall-Imitation. »Klingt es so abwegig?«

Sie blieb stehen und sah ihn prüfend an. »Vielleicht ein wenig. Merlin, ich wusste nicht einmal, dass du das Fach belegt hast. Ihr Jungs seid immer wieder gut für eine Überraschung.«

»Alles nur, um meine Eltern zu ärgern. Aber was soll ich sagen, am Ende hat’s Spaß gemacht. Ohne die Berufsberatung wäre ich allerdings nie auf diese Idee gekommen. Ich glaub, McGonagall war damals echt verzweifelt, was sie für mich aufschreiben sollte. Mir war alles egal, Hauptsache ich konnte Mitglied im Orden werden.«

Lily seufzte. »Ich weiß, was du meinst. Manchmal muss ich auch daran denken, was sein könnte, wenn wir nicht jeden Monat in einem anderen Versteck wohnen würden. Weißt du, mir hat sie empfohlen, Zaubertränke zu studieren. Meinte sogar, ich hätte das Zeug zur Lehrerin.«

»Das glaube ich sofort. Du konntest schon damals hervorragend meckern«, platzte es aus Sirius hervor.

»Hey!«, sie knuffte ihn in die Seite. »Ich wäre streng, aber fair!«

»Hahaha, ja, genau. Nach dem Stachelschweinvorfall hatte ich mehr Angst vor dir als vor McGonagall!«

Dafür bekam er gleich noch einen zweiten Seitenhieb. »Wir werden ja sehen, Tatze. Du weißt nie, was die Zukunft bringt. Vielleicht bist du ja eines Tages unser großer Muggelbeauftragter.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich fänd’s klasse.«

»Und du wärst sicher auch eine wunderbare Lehrerin.«

Das normale Leben, was ihm damals so langweilig vorgekommen war, schien plötzlich viel verlockender. Ein Teil von ihm konnte es kaum erwarten, bis es so weit war.



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