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Eine Begegnung verändert alles

Daryl und Matt
von

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Rede und Antwort


 

Matt
 

Wer glaubt, Motorräder seien heute verzichtbar,

hat noch nie so ein Tier zwischen den Beinen gespürt.

Franz Hubmann

 

Ich bin mit meinem Motorrad unterwegs, fahre einfach durch die Gegend um … um zu verstehen. Und um zu vergessen. Das Rasen hat mir schon immer geholfen, den Kopf frei zu bekommen. Einfach alles einige Zeit hinter mir zu lassen; weit weg. In gewisser Weise einfach von den Dingen davon zu fahren.

Es ist inzwischen einige Tage her, trotzdem lässt mich das alles nicht los. Mia, Juri, Daryl. Die Ereignisse an dem Abend als sie bei meinem Bruder aufgetaucht ist, und das, was zuvor passiert war zwischen ihr und mir. Mein Herz wird schwer bei dem Gedanken an Daryl. Ich bin am nächsten Tag gleich früh zu ihm gefahren um zu sehen wie es Mia und Juri geht. Angekommen sah ich sofort das etwas nicht stimmte. Der goldgelbe BMW war nicht mehr da gewesen. Und mein Bruder saß da und starrte in den Pool.

Ich habe ihn noch nie so gesehen. Es war, als hätte ich einen Zombie vor mir. Ich wollte von ihm wissen was los ist, was passiert war, aber nichts. Kein Wort kam über seine Lippen. Ich bin fast wahnsinnig geworden. Ich konnte mir auch so gar keinen Reim darauf machen, was los sein könnte, was passiert sein könnte.

Irgendwann hob er den Kopf und sah mich an, als hätte er gerade eben erst registriert, dass ich überhaupt da war. Seine Augen waren leer, traurig und verloren. Mein Herz zersprang in tausend Teile. Ich weiß, dass Daryl nicht der harte Hund ist, der er immer vorgibt zu sein, aber so zerstört habe ich ihn ehrlich noch nie erlebt. Noch nie! Und er hat schon viele wirklich schlimme Sachen erlebt.

„Ich habe sie rausgeschmissen. Es ist besser so“, war alles was er sagte. Keine Erklärung, keine Details. Seine Stimme war dumpf und brüchig.

Mehrfach hatte ich versucht ihn zum Reden zu bringen. Mit Liebe, mit Wut, mit Angriffen … Nichts. Er hat mich einfach ignoriert, so getan, als wäre ich nicht da.

Gegen Abend tauchten dann plötzlich die ersten Autos und Gäste auf. Es wurde emsig gewerkelt, Boxen aufgebaut und Getränke ausgeladen.

Daryl und seine verdammten Partys! Ich bin ausgeflippt und habe ihn angebrüllt, ob er glaubt, dass das seine Probleme lösen würde. Er hat abgewunken und mich förmlich rausgeschmissen.

Ich bin mir bewusst, dass für ihn diese Partys das sind, was für mich das Fahren mit dem Motorrad ist. Ablenkung, den Kopf freimachen; den ganzen Scheiß einige Stunden vergessen. Und trotzdem war ich nicht der Meinung, dass es ihm unter den Umständen und seinem Zustand wirklich helfen würde. Aber wie immer hat er nicht auf mich gehört.

Wutentbrannt habe ich sein Grundstück verlassen. Seitdem herrscht Funkstille zwischen uns.

Mal wieder.

Es ist nicht das erste Mal; und wird wohl auch nicht das letzte Mal sein. Wir sind Brüder, wir sind uns nah. Manchmal auch einfach zu nah und dann explodiert es zwischen uns. So war es schon immer, so wird es wohl auch immer bleiben. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir irgendwann auch ohne Notsituationen einander nah sein werden. So wie früher, als wir noch Kinder waren …

Dann dachte ich an Mia. Ich hatte gehofft, dass sie mir sagt, was passiert ist, aber ich konnte sie nicht erreichen. Entweder sie ging nicht ran oder ihr Handy war aus. Meine Nachrichten hat sie auch nicht beantwortet.

Ich drehe am Gashahn und der Motor unter mir heult auf. Das Geräusch lässt mich immer lächeln, egal wie es in mir aussieht. Der Wind rauscht an mir vorbei, zieht an meinen Schultern und kriecht unter meine Jacke. Die Straße wird schmaler, genau wie die Landschaft, je schneller die Hayabusa mich voranbringt. Mein Herz klopft aufgeregt und das Adrenalin rast durch meinen Körper, wie ich über den Asphalt.

Freiheit, pure Freiheit. Es ist wenig Verkehr auf der Schnellstraße und ich kann mich richtig austoben. Ich schieße an Autos vorbei, lege mich in die Kurven und genieße es in vollen Zügen. Es gibt nichts Großartigeres wie das hier!

Als ich an einem Laster vorbei schieße sehe ich etwas im Augenwinkel. Sofort nehme ich das Gas weg und wechsle zur Sicherheit die Spur. Ein gelber Pfeil donnert brüllend die Auffahrt hoch und schnippt kurz vor dem LKW rüber, der wütend Dampf ablässt und lautstark hupt. Der Motor des Autos heult auf und es schießt davon.

Mir stockt kurz der Atem, und der Herzschlag auch. Dieses Auto ist einmalig. Von der Sorte gibt es kaum welche und in der Farbe gleich gar nicht.

Mia!

Ich beschleunige und nehme die Verfolgung auf. Sie fährt schnell und aggressiv, als wäre der Teufel hinter ihr her. Trotzdem wirkt es kontrolliert und präzise. Mir fällt wieder ein, dass Daryl erzählt hatte, dass er sie bei einem Streetrace getroffen hatte. Er meinte zwar, sie wäre wohl zum Fotografieren dort gewesen, aber das was ich hier sehe, lässt mich stark vermuten das sie auch an welchen teilnimmt … oder -nahm.

Mein Instinkt sagt mir im letzten Moment, dass ich vorsichtig sein sollte. Mein Bruder wird seinen Grund gehabt haben sie rauszuschmeißen und vor dem Hintergrund wo sich die beiden begegnet sind, sollte ich lieber vorsichtig sein.

Ich hefte mich weiter an ihre Fersen, halte aber Abstand. Es geht die Schnellstraße entlang, die in einem Bogen um die Stadt führt. Sie nimmt rasant eine Abfahrt und ein Blick auf das Schild verrät mir, das wir zum Containerhafen fahren.

Ich folge ihr, nehme aber zunehmend Tempo raus und bin verwirrt. Ein ungutes Gefühl überkommt mich. Was will sie hier nur?

Wir fahren auf das Gelände, zwischen den Metallschluchten hindurch. Emsig wuselt es überall. Gabelstapler, Laster, Menschen – alles bewegt sich und geht seiner Arbeit nach. Niemand scheint Notiz von ihr und mir zunehmen.

Ich sehe, wie der BMW um eine Ecke fährt und verschwindet. Ich stoppe unschlüssig. Was tue ich hier überhaupt?! Habe ich wirklich das Recht sie zur Rede zu stellen? Ich will zwar wissen, was passiert ist, aber geht mich das überhaupt etwas an? Daryl war extrem abweisend und das mit Sicherheit nicht grundlos. Außerdem ist da ja noch die Sache mit dem armen Juri. Von den One-Night-Stands ganz zu schwiegen. Ich starre vor mich hin und weiß nicht so recht, da vibriert plötzlich mein Handy.

Genervt von der Störung setze ich meinen Helm ab und lege ihn auf den Tank. Ich krame mein Smartphone aus der Innentasche meiner Jacke und bekomme direkt Panik als ich sehe wer mich anruft. Meine Hände werden schwitzig und mein Herz beginnt zu rasen.

Hastig gehe ich ran. „Daryl?“, frage ich zittrig, ohne zu wissen, warum ich direkt vom Schlimmsten ausgehe. Wahrscheinlich weil er mich nie so zum Spaß anruft. Außer das letzte Mal; da wollte er reden. Und das ist ja letzten Endes auch nicht gut ausgegangen.

„Nicht ganz“, antwortet eine dunkle Männerstimme die ich nicht kenne.

Alles in mir verkrampft sich. Wer ist das und warum hat er das Telefon meines Bruders? Warum konnte ich nicht ein einziges Mal falsch liegen?! Schreckliche Bilder flitzen vor meinem inneren Auge durch. „Wer bist du?!“, brüllen ich ungehalten ins Telefon. „Wenn du meinem Bruder …“, drohe ich direkt.

„Keine Sorge“, unterbricht mich der Unbekannte arrogant und kühl. „Daryl geht es gut. Etwas zerkratzt vielleicht, aber nichts Gravierendes.“

Ich fluche und kann mich nur schlecht beherrschen. Ein unbändiges Bedürfnis auf etwas einzuschlagen überkommt mich. Warum nur passiert das meinem Bruder immer wieder?

„Ich bin auf der Suche nach jemandem“, erklärt der Mann süßlich.

Mir schläft das Gesicht ein. Es gibt natürlich tausend Möglichkeiten, aber irgendwie … Mein Blick wandert wie automatisch zu der Stelle, wo der Z3 verschwunden ist. Ist es möglich das …?

„Eine kleine hübsche Frau. Blaue Augen, hellbraune Haare, hört auf den Namen Mia. Klingelt da was?“, fragt der Unbekannte, als ob er die Antwort bereits kennt.

Ich habe das Gefühl mich übergeben zu müssen. Daryl ist mein Bruder, er ist mein Leben. Wenn man ihn bedroht, bedroht man auch mich. Aber Mia ist … unschuldig? Gute Frage. Ich weiß nicht, was der Typ von ihr will, warum er auf der Suche nach ihr ist. Mir kommt Juri wieder in den Sinn. War er so zugerichtet, weil er in Kontakt mit der Kleinen stand? Ich kenne sie immerhin kaum … trotzdem sträubt sich irgendetwas in mir diesem Fremden in die Karten zu spielen, egal was er von ihr will.

Allerdings geht es hier gerade womöglich um das Leben meines Bruders. Ich weiß einfach nicht, was richtig und was falsch ist. Was soll ich jetzt tun?! Es hilft nichts, ich muss mich jetzt erst einmal auf Daryl konzentrieren. „Sie ist nicht bei mir“, sage ich mit fester Stimme ins Telefon.

„Schade … für deinen Bruder.“

Ein Schuss ist zu hören. Ein Schrei.

Ich brülle panisch ins Telefon und weiß nicht weiter. Soll ich zu ihm fahren? Mia suchen? Meine Gedanken überschlagen sich, während um mich herum das Leben ungerührt weiterläuft.

„Ich rate dir sie ausfindig zu machen und her zu bringen. Sonst sitzt der nächste Schuss“, erklärt der Unbekannte eisig.

Ich höre noch das Schmerzstöhnen und Fluchen von Daryl, dann ist die Leitung tot. Mechanisch packe ich das Handy weg. Adrenalin schießt durch meinen Körper, genauso wie Angst. Ich setze den Helm wieder auf und gebe meinem Bike die Sporen.

Keine Ahnung was hier los ist, aber Mia wird mir Rede und Antwort stehen! Ich muss meinem Bruder helfen! Die Frage ist nur, wie weit ich bereit bin dafür zu gehen. Während ich um eine Ecke fahre, frage ich mich, ob Daryl irgendetwas wusste und sie deshalb rausgeschmissen hat. Plötzlich taucht der BMW direkt vor mir auf und ich lege eine Vollbremsung hin. Das Hinterrad bricht aus und das Motorrad legt sich auf die Seite. Mein Kopf knallt auf den Boden und trotz Helm ist der Aufprall so stark, dass mir kurz schwarz vor Augen wird.

Ich bin benommen und verwirrt. Dumpf höre ich eine Frauenstimme, die meinen Namen ruft. Meine Sicht wird langsam wieder besser und registriere, wie mein Visier hochgeklappt wird. Zwei hellblaue Augen sehen mich erschrocken und besorgt an.

„Scheiße, Matt. Was machst du hier?“, fragt mich Mia vorwurfsvoll.

„Du … Daryl …“ Mein Schädel brummt und meine Gedanken lassen sich im ersten Moment nicht ordnen.

„Daryl?“, hakt sie angefressen und hörbar sauer nach.

„Daryl … der … der Mann …“, stottere ich immer noch benommen. Ich setze mich mit ihrer Hilfe auf und sehe sie an.

„Welcher Mann?“ Die Stimme der Kleinen ist argwöhnisch. Sie scheint zu ahnen, um welchen Mann es sich handelt.

„Ein Mann ist bei Daryl. Er … bedroht ihn …“ Wut packt mich und ich sehe Mia an. „Der Kerl will dich“, fauche ich.

Es bricht mir fast das Herz. Ihre Augen werden trüb und feucht. Ihr zartes Gesicht verzieht sich, als hätte sie fürchterliche Schmerzen. „Es tut mir leid“, flüstert sie und legt sich die Hand auf die Stirn. Ihr Blick geht gen Boden. „Ich hätte nicht gedacht … Ich … Scheiße …“ Einen Augenblick scheint sie Verzweiflung zu übermannen, doch plötzlich packt sie etwas Anderes. Sie sieht mich an, entschlossen und mit einer unglaublichen Stärke. „Wir müssen los“, sagt Mia schlicht und steht auf.

Sie kennt den Typen und dann dieser Stimmungsumschwung … Ich bin verwirrt. Aber das ist egal. Wir müssen los, und damit hat sie völlig Recht.

Ich gehe zu meinem Bike und hebe es auf. Die Kleine verschwindet in Windeseile in ihrem Auto. Wir wechseln noch einen Blick, dann fahren wir los. In Höllentempo donnern wir über die Schnellstraße. Ich fahre voraus und Mia folgt. Schon nach wenigen Minuten höre ich auf in den Seitenspiegel zu schauen ob sie noch da ist und Schritt hält. Sie ist eine exzellente Fahrerin, das muss ich gestehen.

Als wir in die Straße einbiegen, in der Daryls Haus steht, gibt mir die Kleine Lichthupe und hält am Straßenrand. Ich halte ebenfalls und warte, was sie vorhat.

Mia steigt aus dem Auto und kommt zu mir gelaufen. Ich nehme den Helm ab und steige vom Motorrad. Sie kommt vor mir zum Stehen. Ihr Blick ist schuldbewusst und entschuldigend. Trotzdem steht dahinter eine unfassbare Entschlossenheit, die mir Mut macht. Keine Ahnung was hier los ist, aber ich schöpfe Hoffnung, dass alles gut wird.

„Matt … Ich … Es tut mir wirklich aufrichtig leid. Ich hätte nicht gedacht, dass er meiner Spur bis zu deinem Bruder folgt. Ich … Es war nie meine Absicht euch in Gefahr zu bringen“, erklärt sie mit fester Stimme.

Ich sage nichts, sehe sie nur an, lang und intensiv. Ich versuche zu sehen, was dahinter ist; hinter diesem blauen Eismeer das sich gerade vor mir erstreckt. Da ist ein Schmerz in ihren Augen, der mir merkwürdig bekannt vorkommt; und auch ein Panzer, der sehr vertraut wirkt.

„Ich weiß, dass ist jetzt viel verlangt, aber du musst mir vertrauen.“ Mia geht los. Ihre Schritte sind fest und entschlossen. „Ich weiß was ich tue.“

Ich hoffe es, um meines Bruders Willen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Überarbeitet 22.10.21 Komplett anzeigen

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