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Brandnarben

von

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Die Streichholzschachtel zittert in meiner Hand, als ich sie aus der Schublade nehme.

Es ist dunkel draußen, und es regnet, bereits seit Stunden tut es das. Ein beruhigendes Geräusch, das Prasseln der Regentropfen auf dem Fensterglas…

Es kratzt leise, als ich die Streichholzschachtel öffne. Während ich mich wieder setze werfe ich einen Blick in die Packung, entdecke auf den ersten Blick drei Hölzer, deren Köpfe noch rot sind anstatt schwarz verkohlt.

Drei.

Das ist nicht schlecht. Doch bedeutet es auch, dass ich mir neue besorgen muss…

Die Erwachsenen achten penibel darauf, derlei Dinge von mir fernzuhalten. Keine Streichhölzer, keine Feuerzeuge. Keine Kerzen, keine Teelichter, kein brennender Kamin. Kein offenes Feuer jeglicher Art, als könnte der bloße Anblick bereits bewirken, dass ich bei lebendigem Leib verbrenne.

Dabei gibt es nichts anderes, was mir derart das Gefühl gibt, am Leben zu sein…

„Es könnte ihn retraumatisieren, Feuer zu nahe zu kommen.“, hatte der Arzt damals gesagt, als ich nach Wochen endlich das Krankenhaus verlassen durfte. „Möglicherweise tut das bereits der Anblick, oder der Geruch. Sie sollten dafür sorgen, dass er professionelle Hilfe bekommt…“

Ich verstehe diesen Verdacht, die Annahme, dass Flammen und Rauch mich zurückversetzen in jene Situation, in der mein Leben beinahe geendet hätte. Auf gewisse Weise hat es das auch…ebenso, wie es auf gewisse Wiese stimmt, dass Feuer die Erinnerung an damals wiedererweckt.

Mir alles deutlich zurück ins Gedächtnis ruft, die Bilder, die Gerüche, die Geräusche. Die Angst, die ich damals empfunden habe.

Die Angst ist auch jetzt da, als ich das erste Streichholz aus der Schachtel nehme und es betrachte.

Sie beschleunigt meinen Puls und lässt mein Herz stärker schlagen, meinen Atem schneller gehen. Aber das ist nichts Schlimmes. Im Gegenteil.

Die Angst fühlt sich gut an.

Der Streichholzkopf gleitet über den Rand der Verpackung, einmal, zweimal. Das Zittern meiner Hand ist stärker geworden, macht es mir schwer, es weiterhin festzuhalten, geschweige denn, es zu entzünden. Ich weiß es wäre leichter mit einem Feuerzeug… aber das ist nicht das Gleiche. Ich brauche den Geruch nach Schwefel, um mich wirklich gut zu fühlen, den gewünschten Effekt zu erzielen. Die Erinnerungen wieder aufleben zu lassen, sie lebendig vor mir zu sehen - das, wovon der Arzt behauptet hat, es wäre etwas Schlechtes.

Warum sollte das so sein? Was sollte es Negatives daran geben, dass ich meine Eltern wiedersehen kann? Für eine kurze Zeit vergessen kann, dass sie damals nicht so viel Glück hatten wie ich?

Glück.

So haben sie es genannt, sie alle.

Der Polizist, der mich befragt hat, die Leute, die sich im Krankenhaus um mich gekümmert haben.

Die Psychologin, der Staatsanwalt, die Richterin.

Die Berichterstattung in den Medien, der Strafverteidiger. Die Zeugen, die Jury, und die beiden Menschen, die heute von mir verlangen, dass ich sie als meine „neue Familie“ bezeichne…

Ich hatte Glück, denn ich habe überlebt.

Aber so fühlt es sich nicht an. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, in dem ich mich bewusst darüber gefreut hätte, dass ich nicht gemeinsam mit meinen Eltern im Qualm erstickt bin, darüber, dass die Feuerwehrleute es geschafft haben, mich rechtzeitig aus dem Haus zu holen, mich mit Verbrennungen 4. Grades ins Krankenhaus zu schicken, lange, bevor sie die verkohlten Leichen von Mom und Dad aus dem Obergeschoss bergen konnten.

Damals mit ihnen zu sterben wäre nicht angenehm gewesen, nein.

Aber es wäre schnell gegangen.

So hingegen habe ich seit Jahren das Gefühl, vor mich hin zu siechen. In einem Zustand zwischen Leben und Tod festzuhängen, in Agonie, ohne in der Lage zu sein, mich daraus zu befreien. Nicht vor, nicht zurück.

Ich kann atmen, aber nie genug, um mich lebendig zu fühlen. Als käme bloß ein Bruchteil des Sauerstoffs in meiner Lunge an.

Und wieder bin ich abgeschweift. Hocke da wie eingefroren, in einer Hand die Streichholzschachtel, in der anderen das Zündholz. Als hätte ich mein eigentliches Vorhaben vergessen, während ich in den Gedanken über meine Existenz versunken bin.

Vier weitere Versuche benötige ich, bis das Streichholz endlich Feuer fängt.

Fasziniert beobachte ich die kleine Flamme, während das Gefühl in mir wächst, das ich so sehr herbeigesehnt habe. Diese Mischung aus Furcht und Erregung. Die Wärme auf meiner Haut wird immer intensiver spürbar, je weiter sich die Flamme das Holz entlang frisst, hinter sich alles verkohlt zurücklässt.

Erst, als die Hitze schmerzhaft wird, lasse ich los.

Der, nun zum Großteil schwarz gefärbte Stab, fällt.

Landet auf dem Haufen alter Zeitungen, die ich aus dem Altpapier gefischt und zusammengeknüllt in den Topf geworfen habe, der nun hier in der Mitte meines Zimmers steht.

Einen Augenblick lang flackert die Flamme protestierend auf, droht, bedingt durch den Luftzug beim Fallen, zu erlischen … dann stabilisiert sie sich wieder.

Wie gebannt betrachte ich, wie das Papier beginnt, sich zu verbiegen. Sich bräunlich verfärbt, anfängt zu glühen, und sich schließlich das erste Loch hineinfrisst, dessen schwelende Ränder sich beeindruckend schnell ausbreiten.

Mehr Flammen lodern auf, verwandeln den rostigen Kochtopf in einen Feuerkorb, verleihen ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Grill, der unten auf der Terrasse steht.

Ein seltsamer Gedanke, der mich zum Lächeln bringt.

Dann strecke ich einen Arm aus. Halte meine Hand über den Topf, so tief, wie es gerade noch zu ertragen ist, und schließe die Augen.

Das Knistern des Feuers, das das Papier zerfrisst, der Geruch, die Wärme… das alles wirkt so verdammt beruhigend.

Es ist paradox, ich weiß, denn eigentlich sollte ich rennen; fliehen vor diesem unkontrollierbaren Element, das meinen Eltern das Leben gekostet hat.

Ein Teil von mir will auch genau das tun.

Doch dieser Teil ist schwach, leise, hat der anderen Seite in mir nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. Der Seite, die von den Flammen angezogen wird wie eine Motte vom Licht.

Eine ganze Weile lang sitze ich so da.

Lasse die Gedanken schweifen und versuche, mir vorzustellen, ich wäre nicht hier, nicht in diesem Zimmer, in diesem Haus, in dieser Stadt, die mir auch nach Jahren immer noch derart fremd ist, als wäre ich gerade erst hier hergezogen.

Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so.

Als ich die Augen wieder öffne, ist da nur noch das Feuer. Die Umgebung ist verschwommen, kaum noch zu erkennen, und das wiederum bedeutet, dass sie austauschbar ist.

Es ist nicht mehr der karge Raum, in dem ich mich zuvor befunden habe, nein.

Ich bin zuhause.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Drachenprinz
2021-02-06T23:53:25+00:00 07.02.2021 00:53
Okay, jetzt muss ich es irgendwie hinkriegen, meine Gedanken zu ordnen - wie schon gesagt, ich bin gerade irgendwie wirr und absolut nicht fixiert. :'D Jaaa, ich sitz hier jetzt auch schon ewig und hab nur den einen Satz bisher geschrieben. XD
Nein, aber jetzt ernsthaft. Konzentration!!
War zwar bisher nur das erste Kapitel (ich glaub, so lang wird das hier ja auch gar nicht insgesamt?), aber ich fand das schon sehr aussagekräftig. Ein bisschen was hattest du mir über Jonnys Vergangenheit ja schon erzählt, aber wow... Das mit dem Feuer wusste ich ja noch nicht, glaube ich. Und ich kann mir auch voll gut vorstellen, wie er sich damit fühlt. Am Anfang hab ich irgendwie noch nicht richtig kommen sehen, worauf das hinausläuft, aber in der Situation... ja. Kann ich mir wirklich vorstellen, dass sich das für ihn auf so eine absurde und beängstigende Weise irgendwie gut anfühlt. Vertraut eben. Das tut mir ja einfach total leid, wie er seine Eltern vermisst und dass er mit seiner 'neuen Familie' ja offenbar nicht klarkommt... q_q
Ich fand das auch wieder alles sehr lebendig beschrieben, mit diesem Geruch des Feuers, und dass es alles so verschwimmt und für ihn wie sein Zuhause aussieht. Ach Mann, ey. ._.
Allerdings hast du an einer Stelle wieder den Fehler mit dem Punkt in der wörtlichen Rede gemacht, der da eigentlich als abschließendes Satzzeichen nicht kommt, wenn danach ein Komma folgt. xD („Es könnte ihn retraumatisieren, Feuer zu nahe zu kommen.“, hatte der Arzt damals gesagt, als ich nach Wochen endlich das Krankenhaus verlassen durfte.)

Bin, wie immer, gespannt auf mehr! ^_^
Antwort von:  ReptarCrane
07.02.2021 01:00
Jaaa es ist auch auf jeden Fall schon wieder länger als ich ursprünglich geplant hatte x'D

... ich dachte, dass mit dem Feuer hätte ich erzählt... kann mich aber auch irren xD wird auf jeden Fall nur noch schlimmer... x'D
Freut mich auf jeden Fall dass alles wieder gut rüberkommt qwq

... und diese Scheiße mit der wörtlichen Rede. Ich Krieg das nie wieder raus, danke für nichts an meine Lehrer Ey x'D
(Wobei ich mir Grad nich sicher bin ob ich das nich nur beim abtippen reingehauen hab; das war ja ursprünglich alles handschriftlich xD)

Hat du denn diesmal dran gedacht zu favorisieren damit du das mitkriegst? xDD
(Boah ich Kling voll arrogant, Yo!)
Antwort von:  Drachenprinz
07.02.2021 01:08
Das kennt man ja. XD

Oh, hast du...? Ich erinnere mich grad nur, dass du sagtest, seine Eltern wären tot und dass er dann halt bei anderen Leuten aufgewachsen ist und... noch was, aber das sag ich jetzt nicht, weil alles andere ja wohl ein Spoiler wäre. xD Aber kann ja auch sein, dass ICH das nicht mehr auf dem Schirm hab!

Lehrer bringen einem manchmal einfach falsche Dinge bei, ganz schlimm. :'D (Aber wahrscheinlich reden die trotzdem nicht so viel Schwachsinn wie meine Endokrinologin. x'DD)

Stimmt! JETZT hab ich es favorisiert. XD Und Quatsch, du hast ja Recht damit, mich daran zu erinnern, ich will ja auch mitkriegen, wenn es weitergeht. :D
Antwort von:  ReptarCrane
07.02.2021 01:15
Nah, du erinnerst dich for gewöhnlich ja besser an Sachen als ich... x'D ich weiß zum Beispiel auch nicht was was ich dir NOCH erzählt hatte xDD
Antwort von:  Drachenprinz
07.02.2021 01:18
Jaaaa, mein Gedächtnis. :'D
Also, du hattest noch was über Jonnys Familie erzählt, sowohl über die alte als auch die neue. xD
Antwort von:  ReptarCrane
07.02.2021 13:32
Ich habe grad nachgeschaut, den Fehler bei der wörtlichen Rede hab ich wirklich nur beim Abtippen gemacht und nich im Handschriftlichen Original, immerhin xDD
Antwort von:  Drachenprinz
07.02.2021 14:25
Manche Sachen sind aber auch schwer sich richtig abzugewöhnen, wenn man die so lange gemacht hat. xD


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