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Die Götter hassen mich

von

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Stummer Beobachter

Die Sonne berührte bereits den Horizont, als Hicks endlich sein Notizbuch zuklappte und sich auf den Rückweg machte. Eigentlich hätte er gern noch den Sonnenuntergang beobachtet, aber dann hätte er seinen Heimweg im Dunkeln finden müssen und darauf war er nicht besonders erpicht.

Gewissenhaft verstaute er Buch und Schreibutensilien in seiner Tasche, streckte sich einmal und lief zum Rand der Lichtung.

Er war kurz davor unter das Blätterdach des Waldes zu treten, als eine seltsame Silhouette zwischen den Ästen seine Aufmerksamkeit erregte.

Reflexartig stolperte Hicks ein paar Schritte zurück.

Die Strahlen der tiefstehenden Sonne gelangten bis unter die dichten Baumwipfel und beleuchteten so einen Hybriden mit schwarzen Flügeln, der mit dem Rücken gegen den Baumstamm gelehnt auf einem der dickeren Äste saß und allem Anschein nach dort eingeschlafen war. Eines seiner Beine lag auf dem Ast, während sein Schwanz und das andere Bein davon herunterhingen und dadurch nah genug waren, das Hicks sie hätte anfassen können, wenn er gewollte hätte.

Sein erster Impuls hätten sein sollen um sein Leben zu rennen, doch anscheinend hatte selbst Hicks' eigener Überlebensinstinkt ihn mittlerweile aufgegeben.

Neugierig betrachtete er, was er von dem Drachen im schwindenden Sonnenlicht erkennbar war. Hicks konnte diese einmalige Gelegenheit schließlich nicht einfach ungenutzt verstreichen lassen. Er hatte die Chance einen Nachtschatten aus der Nähe zu sehen und mit dem Leben davon zu kommen, und er würde sie nutzen.

Trotz seiner Aufregung und einem gewissen Maß an Angst zwang Hicks sich dazu, flach zu atmen und möglichst wenig Geräusche von sich zu geben, während er sein Buch wieder hervorzog und flüchtig einige schnelle Notizen und Skizzen machte. Dabei entging ihm auch die seltsam asymmetrische Schwanzflosse des Hybriden nicht.

An der einen Seite konnte Hicks trotz der immer schlechter werdenden Lichtverhältnisse noch die kläglichen Reste von dem erkennen, was wohl mal die zweite Membran gewesen war.

'Seltsam', schoss es ihm durch den Kopf als er die Wunde betrachtete und keine Spuren von Klauen oder Zähnen fand, die auf einen Kampf unter Drachen als Ursache hingedeutet hätten. 'Wenn jemand aus dem Dorf es geschafft hätte, einen Nachtschatten zu verletzten, hätte er oder sie im ganzen Dorf damit geprahlt und jeder hätte davon gewusst. Also woher...' Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. ER war der Grund für die Verletzung. Das hier war höchstwahrscheinlich der Drache, den er beim letzten Angriff auf das Dorf vom Himmel geschossen und verwundet hatte.
 

Ängstlich machte er einige Schritte zurück. Wenn der Nachtschatten das wusste, war es gut möglich, dass er es auf Hicks abgesehen hatte. Drachen hegten laut Grobian schnell einen Groll und waren im allgemeinen recht nachtragend.

Hicks hatte dieses Verhalten auch selbst schon ein paar mal beobachtet. Denn wenn ein Wikinger einen Drachen im Kampf schwer verletzte aber nicht tötete, kam es nicht selten vor, dass er beim nächsten Angriff wieder auf den selben Drachen traf.

Doch es half nichts. Hicks musste an dem Nachtschatten vorbei um von der Klippe weg und zurück nach Hause zu kommen, also nahm er all seinen Mut zusammen und machte den ersten Schritt in seine Richtung.

Mit rasendem Herzen versuchte Hicks sich unter dem Ast, auf dem der Hybriden schlief, hindurch zu schleichen ohne seine angst-geweiteten Augen auch nur für eine Sekunde von der schwarzen Silhouette zu nehmen. Und wie immer schlug sein Pech im schlimmstmöglichen Moment zu.

Er war nur circa einen Schritt vom Stamm das besagten Baums entfernt, als seine Tasche sich im Gestrüpp verfing, mit dem Riemen darin hängen blieb und so bei Hicks' nächster Bewegung seine Habseligkeiten geräuschvoll auf dem Waldboden verstreute.

Sofort ging ein Ruck durch den Hybriden und im nächsten Moment war er auch schon von seinem Ast gesprungen und gezielt auf Hicks gelandet.

Die Wucht des Aufpralls und das Gewicht des Drachens pressten die Luft aus Hicks' Lungen, der nun rücklings auf dem Boden lag und seine ewige Neugierde verfluchte.

Hicks' angsterfüllte Augen trafen auf die grünen des Hybriden und erneut durchzuckte es Hicks wie ein Blitz. Eine Welle von Sinneseindrücken und Emotionen, die nicht zusammenpassten prasselten auf ihn ein. Es war wie in der Arena mit Sturmpfeil, nur weitaus intensiver.

Von der ganzen Situation überfordert kniff Hicks die Augen zusammen und brach so nicht nur den Blickkontakt, sondern auch die Verbindung ab.
 

Erschrocken fuhr Ohnezahn zusammen, ließ von dem Menschen ab und brachte etwas Abstand zwischen sie. Er hatte den Jungen trotz seiner Schläfrigkeit allein an dessen Augen erkannt, aber das war nicht der Grund für seine heftige Reaktion.

Der Junge hatte mit ihm gesprochen – oder zumindest hatte er es versucht.

Im Gegensatz zu Menschen kommunizierten Drachen größtenteils nicht über Sprache miteinander, sondern indem sie Emotionen, mentale Bilder oder andere Sinneseindrücke miteinander teilten.

Dazu nutzten sie eine geistige Verbindung, die sie in den meisten Fällen mittels direktem Augenkontakt herstellten.

Aber Menschen konnte diese Verbindung nicht aufbauen. Genauso wenig wie ein Drache die Worte eines Menschen verstehen konnte.

Also warum konnte dieser Junge mit ihm sprechen? Wobei Ohnezahn beim besten Willen nicht verstanden hatte, was er ihm hatte mitteilen wollen.

Natürlich half es seinen Gesprächspartner zu kennen um seine Nachricht leichter interpretieren zu können – immerhin war diese Art der Kommunikation sehr vieldeutig – aber auch fremde Drachen hatte Ohnezahn bisher immer zumindest grob verstehen können.

Was er von dem Jungen erhalten hatte, war allerdings völlig wirr und zusammenhangslos gewesen.

Dennoch hatte er sich seltsam verbunden mit ihm gefühlt.

War es vielleicht möglich, dass der Junge... Nein. Nein nein nein. Das konnte nicht sein und das durfte auch nicht sein.

Paratei waren immer beides Drachen. Anders funktionierte es ja auch gar nicht. Wie sollte man den seine wahre Drachen-Gestalt finden, wenn der einzige Partner, den man dabei hatte, überhaupt kein Drache war?

Außerdem hätte Ohnezahn ihn ansonsten längst als seinen Paratei erkannt. Er hatte bereits das Alter erreicht ab dem Hybride ihr Gegenstück beim Aufbauen einer Verbindung als solches erkannten. Das war eben nicht passiert, also war alles in Ordnung, oder?

Seine Sinne hatten ihm bestimmt nur einen Streich gespielt nachdem er so unvermittelt aus dem Schlaf gerissen worden war.
 

Bedacht darauf keine hektischen Bewegungen zu machen, stand Hicks vom Boden auf und ließ den Drachen dabei keine Sekunde aus den Augen. Der wiederum schien seinem Blick auszuweichen, machte aber keinerlei Anstalten ihn anzugreifen.

Irgendetwas schien er von Hicks zu wollen, aber einen Groll wegen der verletzten Schwanzflosse schloss er als Grund aus.

Der Nachtschatten musste ihn schon die ganze Zeit auf der Klippe beobachtet haben und war trotzdem weder geflohen noch zum Angriff übergegangen, obwohl er mehr als genügend Gelegenheiten dazu gehabt hatte.

Zögerlich machte Hicks einen Schritt auf ihn zu und schien damit – wie gewöhnlich – genau das Falsche zu tun.

Sofort wandte sich der Hybrid um, stieß sich leichtfüßig von einem der umstehenden Bäume ab und verschwand mit unglaublicher Zielsicherheit im Zwielicht des Waldes.

Überrascht sah Hicks ihm nach und stutzte. Der Drache hatte seine Flügel auf der Flucht zwar verwendet, aber nur um damit Schwung zu nehmen oder einzelne Flügelschläge zu machen.

Er hatte die Vermutung schon gehabt, als ihm die zerfetzte Membran aufgefallen war, aber nun war er sich sicher, dass der Nachtschatten nicht fliegen konnte.

Und Hicks war Schuld daran.

Mit schlechtem Gewissen und dröhnenden Kopfschmerzen sammelte er seine Habseligkeiten wieder ein und bemühte sich darum, es noch vor Sonnenuntergang wieder ins Dorf zurück zu schaffen.
 

Fast die ganze Nacht über bekam Hicks kein Auge zu. Seine Gedanken kreisten ununterbrochen um die Ereignisse des Abends und dazu noch kamen die schrecklichen Kopfschmerzen, die er seither hatte und die nur langsam schwächer wurden. Schlaflos starrte er an die hölzerne Zimmerdecke.

Was war nur mit diesem Nachtschatten? Was war so anders an ihm? Und warum tauchte er schon wieder in seiner Nähe auf ohne ihn anzugreifen?

Sein Leben lang hatte er gelernt, dass Drachen immer darauf aus waren zu töten. Also warum war Hicks sich so sicher, dass dieser eine Hybrid ihm nichts tun würde?

Vielleicht entsprach doch nicht alles, was ihm im Training beigebracht wurde, der Wahrheit.

Resigniert drehte er sich auf die Seite. 'Dieser eine Hybrid' war nicht ganz richtig, schließlich hatte in der Arena auch Sturmpfeil von ihm abgelassen. Gleich nachdem... Hicks wälzte sich auf die andere Seite. Diese komische Verbindung – was war das gewesen?

Unendlich viele Fragen durchschwirrten seinen Kopf und auf keine davon würde das Drachenhandbuch, Grobian oder sein Vater ihm eine richtige Antwort geben können.

Wie konnte es denn sein, dass die Wikinger seit ewigen Zeiten dicht an dicht mit den Drachen ihr Leben bestritten, sie unermüdlich bekämpften und trotzdem so wenig über sie wussten – geschweige denn verstanden?

Seufzend drehte er sich wieder auf den Rücken. Selbst wenn sein Vater etwas darüber wissen würde, könnte er ihn nicht fragen. Wenn er erfuhr, das Hicks so nah am Dorf auf einen Drachen – noch dazu einen Nachtschatten – getroffen war, würde er das Dorf gar nicht mehr verlassen dürfen. Wahrscheinlich würde Haudrauf sogar einen Trupp zusammenstellen, um die nahen Wälder zu durchkämmen und überall Drachenfallen aufzustellen.

Und wenn sie dabei auf den Nachtschatten trafen, könnte dieser nicht mal fliehen. Wieder bissen Hicks die Schuldgefühle. Er verstand selbst nicht, wieso er sich solche Gedanken um den Hybriden machte und warum es ihn so schmerze ihn verletzt zu haben. Genau das war ja die ganze Zeit über sein Ziel gewesen. Er wollte einen Drachen töten und sich so die Anerkennung verdienen, nach der er sich so sehnte.

Und nun verschwieg er sogar die Sichtung eines Drachen direkt beim Dorf, nur um ihn zu schützen.

Was war nur los mit ihm?

Die halbe Nacht drehte er sich von einer Seite auf die andere, stellte unzählige Fragen, von denen er zu keiner eine Antwort fand, und schlief schließlich vor Erschöpfung ein.
 

Entsprechend gerädert war er, als ihn am nächsten Morgen die lauten Stimmen der Dorfbewohner aus dem Schlaf rissen.

Ihre Rufe klangen vom Dorfplatz bis in sein Zimmer und Hicks verfluchte jeden einzelnen davon. Warum hassten ihn die Götter nur so sehr?

Widerwillig hievte er sich aus dem Bett und schlurfte die Treppe hinunter um zu sehen, was das Dorf so in Aufruhr versetzte.

Vor seiner Haustür pilgerten etliche Wikinger vergnügt zur Anlegestelle.

„Was ist denn los?“, fragte er verwirrt in die Menge hinein und zu seinem großartigen Glück war es ausgerechnet Rotzbacke, der ihm antwortete.

„Händler Johann ist da. Du solltest dir sein Angebot unbedingt ansehen. Vielleicht kann er dir ja etwas Mut oder Talent verkaufen.

Nicht das es bei dir etwas nützen würde, aber dann ständest du dem großen Rotzbacke zumindest nicht mehr im Weg, wenn er zur Abschlussprüfung den Drachen töten darf.“ Selbstverliebt warf Rotzbacke sich in eine Heldenpose und zwinkerte Astrid zu, die grade an den beiden Jungen vorbeilief um ebenfalls Johanns Waren zu begutachten.

Angewidert verzog sie das Gesicht und stieß nur abfällig die Luft auf, bevor sie ihren Schritt beschleunigte und weiterging.

„Sie steht auf mich“, potulierte Rotzbacke und lief dann der blonden Wikingerin hinterher.

Resigniert seufzte Hicks, schloss die Tür hinter sich und machte sich ebenfalls auf den Weg zur Anlegestelle.

Rotzbackes Sticheleien hin oder her – wenn Johann vorbeikam, war das immer ein Grund zur Freude. Denn neben exotischen Waren, seltenen Materialien und allerlei ungewöhnlichem Kleinkram brachte Johann auch immer eine Fülle an Geschichten mit.

Die Geschichten, in denen er selbst als Held auftrat, waren zwar unendlich lang und von vorn bis hinten erlogen, aber immer wieder erzählte er auch Legenden oder Mythen von anderen Inseln. Und das war, wo es für Hicks spannend wurde.
 

„Dieses Fläschchen Tinte habe ich dem Riesentintenfisch persönlich und unter Einsatz meines bescheidenen Lebens abgerungen. Ich dachte mir schon, dass Ihr Euch dafür interessieren würdet, Meister Hicks.“ Skeptisch drehte Hicks das kleine Tongefäß in der Hand. Ihm war bedauerlicherweise seine letzte Tinte ausgelaufen, als sie ihm am Vorabend aus der Tasche gefallen und so den Nachtschatten geweckt hatte. Also feilschte er ein wenig über den Preis und kaufte Johann die neue Tinte schließlich ab.

„Haudrauf der Stoische. Genau der Wikinger, den ich zu treffen gehofft hatte“, wand der Händler sich nun Hicks' Vater zu, der soeben sein Schiff betreten hatte.

„Warum solltest du mich auch nicht treffen? Das hier ist schließlich meine Insel.“ Haudraufs bassiges Lachen erschallte so tief und laut, dass Hicks fast glaubte, dass das Schiff darunter zu beben begann.

„Ich bringe Geschichten von ungesehenen Ufern und unbekannten Meeren, die ich nur all zu gerne mit Leuten von Berk teilen würde“, setzte Johann an und das Oberhaupt der Wikinger wusste sofort, worauf der ausgefuchste Händler hinauswollte.

„Das glaube ich dir, Johann. Und du kannst sie heute Abend bei gutem Essen und an einem warmen Feuer allen in der großen Halle erzählen.“ Die Augen des Reisenden leuchteten auf.

„Zu gütig, Meister Haudrauf. Eure Gastfreundschaft ist nur einer der vielen Gründe, warum Berk von all den Orten, die ich auf meinen langen Reisen ansteuere, mein liebster ist.“ Haudrauf winkte ab, bevor Johann in noch weitere Lobpreisungen ausbrechen konnte. „Aber ich muss Euch leider auch eine Warnung bringen, werter Meister Haudrauf.“ Hicks wurde hellhörig. „Ich habe von Gerüchte über die Insel der Verbannten erfahren, die Ihr vielleicht hören solltet.

Nicht das ich mir Sorgen machen würde. Es gibt nichts womit Berk und seine starken Bewohner nicht fertig werden würden – besonders mit einem so fähigen Häuptling an der Spitze – aber wie sagt man so schön: Vorsicht ist die Mutter der Tonkrüge.“

Und wie auf Stichwort rutschte Hicks sein tönernes Tintenfass aus der Hand und zerschellte klangvoll am Boden.

Erschrocken fuhren die beiden Männer zu ihm herum und in Haudraufs Miene spiegelte sich Enttäuschung.

„Natürlich. Wer auch sonst?“ Resigniert seufzte er und schüttelte den Kopf.

„Grämt Euch nicht, Meister Hicks, denn ich habe noch eine zweite Flasche.“ Triumphierend holte Johann ein ähnliches Gefäß hervor und hielt es Hicks hin. „Allerdings müsstet Ihr es natürlich auch bezahlen.“

„Ich mach das“, schaltete sich Haudrauf wieder ein. „Und du, Junge, machst dass du vom Schiff kommst. Ich will nicht, dass du hier noch mehr Chaos anrichtest.“ Mit einem genervten Augenrollen deutete er auf Rotzbacke und die Zwillinge, die weiter hinten auf dem Schiff geräuschvoll die Wahren durchwühlten. „Es reicht schon, wenn die drei das machen.“

„Tut mir leid, Vater.“ Hicks nahm die Tinte entgegen und machte sich mit hängenden Schultern auf den Rückweg.



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