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Schnee und Körperwärme

Kazusas sogenanntes Lebwohl
von

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Die Jahreszeit des weißen Albums

Durch die Erschütterung, die wir auslösen, als wir auf dem Bett landen, fällt ein Bilderrahmen zu Boden und zerbricht.

Zerbricht und untermalt ihre raue Art, sanft zu sein, nur noch mehr. Wir halten inne. Mein Handy klingelt auf dem Bett vor sich hin und mein Hintergrundbild mit den beiden blitzt vor meinen Augen auf. Wir drei, gemeinsam, vereint, und glücklich. Der Musik-Club. Wir als Freunde. So viele Überschriften könnte dieses Bild tragen und doch fällt mir keine einzige ein, auf die ich mich wirklich festlegen möchte. Ich sehe mich. Ich sehe Setsuna. Ich sehe Kazusa. Alle drei sind wir beste Freunde und wollten immer zusammenbleiben. Jetzt sind wir beide, Kazusa und ich, aber nur zu zweit, während sich Setsuna, vielleicht bei sich zu Hause oder sonst wo, fragt, was eigentlich aus uns geworden ist. Setsuna ruft an. Meine Freundin ruft an. Meine Hand erstreckt sich in Richtung des Telefons, doch als ich kurz davor bin, abzunehmen und sie telefonisch zu begrüßen, schlägt Kazusa es mit der Hand weg und küsst mich leidenschaftlich hart. Das Handy landet irgendwo jenseits des Bettes.

Sie küsst mich, und zwar rücksichtslos.

Sie küsst mich, als gäbe es einen Preis zu gewinnen.

Sie küsst mich, so fest, als hätte sie Angst, mich zu verlieren, würde sie auch nur einen Deut sanfter zu mir sein.

Ich räche mich mit einer mindestens genauso heftigen Erwiderung ihres Kusses und drücke sie gegen das Bett. So seltsam es auch zuvor war, zu zweit auf mein Zimmer zu gehen, das hat sich ja so gelohnt., denkt sich ein Teil von mir, als ich mich von ihr löse und sie ansehe. Wir starren uns beide einfach nur tief in die Augen, fast genauso intensiv wie der Kuss, den wir beide gerade zusammen hatten. Ich in ihre Augen, sie in meine. Sie ist ja so unglaublich hübsch.

Ich präge mir wie so oft ihre atemberaubende Schönheit an.

Dieses seidige schwarze Haar, das so lang und glatt ist, als würde es einen geradezu anflehen, mit seinen Fingern hindurchzufahren.

Diese weiche und schneeweiße Haut, welche nahezu danach schreit, gestreichelt und geküsst zu werden, welche dem Haar ein so starker Kontrast ist, als könnten Haut und Haar einander nicht ausstehen.

Diese eisblauen Augen, welche ihre Haut schmeichelt sowie dem Schnee, der draußen leise für uns fällt. Die Farbe ihrer Iris ist ja so kalt und klar, dass ich mich verzweifelt danach sehne, den Gesichtsausdruck, an dem sie beteiligt sind, mit Wärme zu füllen.

Fast schon schleichend beginnen wir, uns gegenseitig aus den Klamotten des jeweils anderen zu schälen, ganz leise, ganz vorsichtig. Während ich irgendwo im hintersten Eck meines Verstandes noch immer das Bedürfnis habe, Kazusa zu schonen, sie zu beschützen, fühlt es sich an, als ob sie alles daran setzen würde, alles in meinem Verstand zu verdrängen und ihn gealtsam mit ihrer eigenen Präsenz zu füllen. Egoistin., denkt ein Teil von mir, ehe wir einander weiter berühren und die Kälte vertreiben. Kazusa hat es geschafft, meinen Verstand zu erobern.

Kazusa.

Kazusa.

Kazusa.

Kazusa!

Überall ist nur noch Kazusa. Im meinem Kopf spielt sich jede Zeit, die wir miteinander verbracht haben, erneut ab. In einem Spiegel aus Eis. Ich bilde mir ein, Musik im Hintergrund zu hören.

Klaviermusik.

Gespielt von niemand Geringerem als Kazusa Touma.

Ich denke an jedes Lied, das ich fast automatisch mit ihr asoziiere.

White Album.

Sound of Destiny.

Twinkle Snow.

Und da ist noch das Lied, das ich selbst für niemand anderen als für Kazusa geschrieben habe.

Unerreichbare Liebe.

Eine Liebe, von der ich dachte, sie könnte nicht sein. Eine Liebe, die ich nun aber wirklich mit ganzem Leib spüre. Mit ganzer Seele. Mit ganzem Geist. Mit meinem verdammten Herzen.

Diese Liebe ist genau hier. Das ist ein Glück, das viel zu groß ist, als dass ich es ertragen könnte.

Ich liebe sie.

Und sie liebt mich auch.

Ich darf sie lieben.

Ich liebe sie. Ich liebe sie mehr als ich einen Menschen jemals geliebt habe. Ihre gesamte Präsenz ist so stark, dass sie mich überwältigt. Sie hat mir gezeigt, wie ich richtig Gitarre spiele. Sie hat mich vor dem Sturz bewahrt, der ins Krankenhaus oder sogar in den Tod hätte führen können.

Kazusa ist zu gut für diese Welt.

Ich bin in ihr drin. Kazusa gibt einen Laut von sich, von dem ich niemals glaubte, ihn jemals von ihr hören zu werden. Eine Kreuzung aus einem lustvollen Stöhnen und einem schmerzerfüllten leisen Todesschrei.

Ihre Fingernägel reißen die Haut an meiner Schulter ein bisschen auf und ich spüre, wie es brennt. Es ist ein leichter Schmerz im Vergleich zu dem, den ich ihr vermutlich gerade zugefügt habe.

Es brennt.

Es tut weh.

Es schmerzt in einer Hitze, die genauso intensiv zu sein versucht wie die Kälte ihrer Augenfarbe.

Hier ist es heiß, aber auch so kalt.

Hier ist es kalt, aber auch so heiß.

Ich erleide einen Kälteschock ohne ihre Wärme.

Ich verbrenne mit ihr zusammen.

Wir stecken uns gegenseitig in Brand.

Ob es noch immer schneit, weiß ich nicht. Ist mir ehrlich gesagt aber auch egal.

Dir ist doch alles egal, solange du nur Kazusa haben kannst., unterstellt mir eine innere Stimme und ich habe keine Worte parat, um mich zu verteidigen. Also gebe ich mich ihr nur hin und sie sich mir. Irgendwann scheinen wir eingeschlafen zu sein, als die schlechten Freunde, die wir Setsuna gegenüber waren. Als die Menschen, die eigentlich die ganze Zeit bereit waren, füreinander alles hinzuschmeißen, was ihnen wichtig war. Wir sind schlechte Menschen. Wenn ich am nächsten Morgen aufwache, wird mich diese Erkenntnis zerstören.

Dieses Gefühl, selbst schuld zu sein, wird so hart wehtun.

Dieses Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und zu stürzen.

Tief.

Dieses Gefühl, unter den eigenen Handlungen zu leiden und die Konsequenzen ertragen zu müssen.

Wie die letzte Zigarette eines Rauchers, ehe er realisiert, dass er Lungenkrebs hat.

Wie ein Kater, nachdem man zu viel getrunken hat.

Mein Kater heißt Kazusa. Aber im Gegensatz zu den Beispielen, die ich eben genannt habe, denke ich nicht im Traum darüber nach, auch nur eine Sekunde mit ihr zusammen zu bereuen.
 

Als ich aufwache, ist der Morgen bereits angebrochen. Der Himmel ist weiß von den Wolken, wie man es im Winter von ihm erwartet. Die Rollläden habe ich gestern nicht runtergelassen. Ich kann nur hoffen, dass die Aussicht auf uns nicht in irgendeinem realistischen Winkel für irgendjemanden einen Live-Porno darstellte. Seufzend vergrabe ich mich tiefer in meine Bettdecke. Bedürftig nach der Wärme, deren Abwesenheit sich jetzt umso bemerkbarer macht. Kazusa ist weg. Mit ihr die Wärme, die Weichheit, die spürbare Liebe. Sie hat sich einfach verpisst. Ohne mich zu wecken oder sich zu verabschieden.

Sie ist gegangen.

Sie ist weg und ich kann sie immer noch spüren.

Ihre Lippen auf meine.

Ihre nasse Hitze um mein Geschlechtsteil.

Ihre weiche Brust in meiner Hand.

Nichts davon ist noch gegenwärtig. Weder sie noch irgendetwas anderes von dem, was wir hatten. Das Gefühl, von dem ich gestern Nacht wusste, dass es mich am darauffolgenden Tag heimsuchen würde, breitet sich in kalter Ungemütlichkeit in meinem Brustbereich aus. Ich hasse, wie ich mich fühle. Ich hasse es so sehr. Ich vermisse, wie es war, als ich noch alles gefühlt habe außer das, was auch immer das hier ist.

Ich luke aus dem Bett und mein Blick fällt auf meine Jacke, an der zwei Knöpfe fehlen. Die hat wohl Kazusa, nehme ich an. Sie hat sie einfach ab und an sich gerissen. Die siehst du nie wieder, Haruki. Weder die Knöpfe, noch das Mädchen, das du liebst.

Sie ist weg.

Einfach weg.

So was von weg.

Auch ich bin für sie auf meine Weise weg.

Einzig und allein die Knöpfe meiner Jacke sind noch an ihrer Seite.

Na ja, denkt sich ein Teil von mir, als ich mich lustlos aus dem Bett rolle und eine traurige Arschlandung hinlege.

Zumindest sind wir auf diese bescheuerte Art irgendwie beisammen.

Zumindest das.



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