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Die Farbe des Winters

von

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Dante hatte die Wellen schon oft kommen und gehen gesehen. Für jemanden der auf einer Insel lebte war das nichts Ungewöhnliches und die meisten Bewohner interessierten sich herzlich wenig für die Wellen. Aber einmal im Jahr änderte sich alles! Mit einem Mal sah jeder gespannt auf das Meer – auf die Wellen – und fast jedes Gespräch drehte sich um die Wellen.

Dante hingegen interessierte sich dafür in genau dieser Zeit weniger für die Wellen und mehr für den Schnee beziehungsweise die Schneeflocken.
 

Einst hatte man diese Insel „Flora“ genannt. Eine kleine Insel mitten im Meer voller bunter Blumen und saftig grünen Wiesen. In mitten dieser Pracht hatten sich Menschen niedergelassen und ein Dorf gegründet. Viele Jahre später war das Dorf noch da, aber die Blumen nicht mehr.

Fast die gesamten Jahre über lag hier Schnee. Die Schneeflocken waren für ihn und die anderen Inselbewohner kein Zeichen für noch mehr Schnee, sondern für das Ende des „Winters“. Schon seit Wochen verfärbte sich die Landschaft in alle nur erdenklichen Brauntöne, inzwischen konnte man auch ein bisschen grün sehen.
 

Wenn der Rest der Welt sich auf den Winter vorbereitete, bereite man sich hier auf den Frühling vor. Anders als im Rest der Welt gab es auf dieser nur zwei Jahreszeiten: Winter und Frühling. Im Frühling färbte sich der Schnee erst braun und nahm dann langsam aber stetig allerlei Farben an – rot, grün, gelb, blau, lila. Für drei Monate im Jahr wurde die Insel wieder zu „Flora“. Für drei Monate im Jahr musste man sich keine Sorgen um Wind und Wetter machen und konnte ohne Bedenken nachts Spazierengehen. All die seltsamen Kreaturen – auch Dämonen genannt – waren verschwunden und der Wald, in dem sie hausten, konnte nach Pilzen und Beeren abgesucht werden. Dante freute sich schon auf all die Leckereien, die seine Oma dann backen und kochen würde. Es war eine Schande, dass sie nur wenige Monate im Jahr hatten derartige Köstlichkeiten zu essen, aber man konnte es auch nicht ändern.
 

Dante mochte den Frühling und doch zugleich hasste er ihn. Sobald die ersten Schneeflocken herab schwebten und so den Frühling einläutete – in der Regel schneite es zwei Monate nicht und der darauf folgende erste Schnee wurde als Ankündigung des Frühlings gesehen – würden die Dämon nach und nach verschwinden und mit ihnen auch sie.

Tief im Wald in der Mitte des Sees stand ein kleines Haus. In diesem Hause wohnte sie. Ein weißer Fuchsdämon, der die Gestalt eines Mädchens annahm. Er hatte sie einst getroffen, als er als kleines Kind im Wald verloren gegangen war und sie ihn geholfen hatte wieder nach Hause zu finden. Seitdem traf er sie immer im Frühling.
 

„Dante, sitz da nicht so untätig herum. Hilf uns die Barrikaden aufzustellen!“

Überrascht angesprochen zu werden, drehte sich Dante zu dem Mann einige Meter von ihm entfernt, der ihn gerufen hatte. Bevor er etwas antworten konnte, hatte sich der Mann schon wieder abgewandt.

Die Barrikaden wurden errichtet um sicher zu stellen, dass die Dämonen, die vom sogenannten „Dämonenjäger“ ins Meer getrieben wurden, auch wirklich ins Meer liefen und sich nicht irgendwo auf der Insel versteckten. Dante hielt nicht viel davon. Nicht weil er die Dämonen mochte oder so, sondern weil er sicher war, dass diese Barrikaden keinem Dämon standhalten würde. Er hatte keine Beweise, aber er vermutete, dass die Dämonen auch ohne die Barrikaden ins Meer laufen würden. Daher begab sich Dante auch lieber zum Wald, als mitzuhelfen. Gab auch ohne ihn genug Helfer.
 

Der Weg vom Harfen zum Wald war anstrengend. Ständig musste er irgendwelchen Leuten ausweichen, die es ganz eilig hatten, denn sie mussten ja Barrikaden errichten. Nebenbei war der Boden sehr rutschig. Schmelzender Schnee war widerlich.

Zu seinem Glück war der Weg nicht so weit. Innerhalb von nur zehn Minuten erreichte er den Waldrand und nach weiteren fünf Minuten saß er auch schon an seinem Lieblingsplatz. Eine Steinformation, von der man auf der Meer schauen konnte. Hier würde er auf seine Freundin warten, so wie er es seit Jahren tat. Sie hatten nicht viel Zeit für einander, aber die wenigen Minuten, die sie teilen konnten, waren für ihn die schönsten Minuten seines Jahres.

Das Leben auf einer Insel konnte schnell sehr eintönig werden. Ein Gespräch mit einem Dämon war daher wahrlich ein aufregendes Ereignis.

Die restlichen Dämonen beobachteten sie dabei oftmals. Manchmal fragt er sich, was sich die Dämonen dachten, wenn sie ihn sahen. Als Kind hatte er fast täglich gehört, dass ein Dorfbewohner von einem Dämon angefallen worden war. Heutzutage gab es kaum noch derartige Meldungen und diejenigen, die angegriffen wurden, waren oft jene die den Wald ohne entsprechende Ausrüstung betreten hatten.

Vielleicht sollte er Lifan, das Dämonenmädchen, bei Gelegenheit fragen.
 

Mit all den Wolken war es schwer festzustellen, wie spät oder früh es gerade war, aber Dante war sich sicher, dass die Sonne bald aufgehen würde. Lifan sollte daher bald auftauchen.

Kaum hatte er an sie gedacht, stand sie auch schon neben ihn.

„Hallo.“

Eine einfache Begrüßung.

„Hi.“

Lifan setzte sich neben ihn und starrte auf das Meer. Für ein paar Minuten schwiegen sie einfach nur. Genossen die Aussicht und die Präsenz des anderen.

„Na, welche Weisheiten hast du dieses Mal für mich?“, fragte Dante nach einigen Minuten, um das Schweigen zu durchbrechen.

„Man kann nicht von hier ans Festland schwimmen. Die Wellen werden dich verschlingen.“

Vor fünf Monaten hatte Dante genau das versucht. Auch wenn er in einem Alter war, in dem er das eigentlich wissen sollte, hatte er jegliche Vernunft über Bord geworfen und es trotzdem versucht. Das Leben auf einer Insel, die fast das ganze Jahr über in Schnee gehüllt war, war sehr eintönig, da konnte man schon auf dumme Gedanken kommen.

„Ich habe gehört, dass es schon Leute gegeben haben soll, die es geschafft haben.“

„Aber nicht lebend.“

„Oh.“

Verlegen wandte Dante seinen Kopf ab, während Lifan ihn dafür umso intensiver anstarrte. Sie war wütend – wütend darüber, dass er so einen dämlichen Gedanken überhaupt gehabt hatte.

„Hier, nimm das.“

„Eine Kerze?“

Zögerlicher nahm er die weiße Kerze, die ihn Lifan fast schon ins Gesicht – nicht in die Hände – drückte.

„Ja, eine Kerze. Ich habe gehört, dass Menschen in der Vergangenheit eine Kerze angezündet haben, wenn ein Seemann den Harfen verließ. Angeblich brannte die Kerze solange bis er zurückkam – sofern er nicht verstarb. Erlosch die Kerze bevor der Seemann wieder am Harfen ankam, hieß es, dass er auf See verstorben war. Brannte sie bis er ankam, dann hieß es, logischerweise, dass er noch lebte. Keine Ahnung, wie akkurat das alles ist, aber ich dachte, es könnte nicht schaden.“

„Danke.“

Lächelnd sah er sich die Kerze genauer an, auch wenn er an ihr nichts Besonderes war.

„Ich werde sie während deiner Abwesenheit anzünden.“

„Mach was du willst.“

„Das sowieso.“
 

„Wusstest du, dass man sagst, dass die Dämon die Seelen der verstorben Seemänner sind.“

„Ja, davon habe ich schon mal gehört. Aber im Dorf sollte man das lieber nicht sagen. Die meisten reagieren da sehr empfindlich. Für sie sind die Dämonen Monster, die vernichtet gehören. Die Seelen ihrer liebsten aber gehören gesegnet. Da passt so eine Aussage nicht in ihr Weltbild.“

„Verstehe. Aber man sollte es im Kopf behalten. Die Dämonen werden immer weniger und die paar, die jedes Jahr zurückkommen, werden immer schwächer. Ich weiß nicht, woher die Dämonen kommen oder was ihr Ziel ist. Ich weiß nur, dass seit dem weniger Menschen auf See sterben, auch weniger Dämonen ans Land gespült werden. Diese beiden Punkte hängen meiner Meinung nach zusammen.“

„Klingt logisch. Aber leider fehlt uns das nötige Wissen, um eine genau Aussage zu treffen.“

„Leider.“

„Wundert mich aber, dass du nicht weiß, woher Dämonen kommen. Du bist schließlich selbst ein Dämon.“

„Ich erinnere mich nicht daran, geboren geworden zu sein. Für mich fühlte es sich so an, als wäre ich schon immer so wie jetzt gewesen. Wer weiß, vielleicht bin ich auch nur eine verlorene Seele.“

„Vielleicht.“
 

Leise fielen die ersten Schneeflocken vom Himmel.

„Es ist Zeit zu gehen. Genieß den Frühling. Er wird nicht lange andauern.“

„Werde ich.“

Ohne weitere Worte stand Lifan auf und begab sich in den Wald. Die Dämonenjagd hatte begonnen und der Frühling eingeläutet. In ungefähr einer Woche würde der Schnee grün, blau und rot sein. Überall würden bunte Blumen blühen und die Bäume würden voll grüner Blätter sein. Diesen Anblick würden sie dann bis zum Ende des Frühlings genießen können. Für drei Monate würde die Insel, die einst „Flora“ hieß, wieder ihren Namen zurückbekommen. Dante würde sich derweilen nach einem Wiedersehen mit Lifan sehnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Anna_Lotta
2021-01-19T15:25:49+00:00 19.01.2021 16:25
Wow, eine tolle Geschichte! Mir hat es viel Spaß gemacht, sie zu lesen😊


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