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Die Hoffnung von Aranii - Zerstörung -

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Es war, als würde man aus einem Flugzeug steigen. Gestartet im nasskalten Wetter Londons und gelandet im warmen, sonnigen Sidney.

Anna fand sich in einem kleinen, gläsernen Gebäude wieder. Sie folgte Dafon Granbes, welcher zielsicher zum Ausgang ging. Als Anna ihm folgte versuchte sie nicht auf die glimmenden Strahlen im Boden zu treten, die abwechselnd mit festem Stein vom Portal ausgingen und offenbar eine Sonne imitierten. Anna schloss zu Großmeister Granbes auf. Sie bewunderte das zierreich in kupferfarbenem Metall eingefasste, bunte Glas und stutzte. Ein kleiner Schatten huschte über das Glas. Anna fixierte eine Scheibe, die in einem kräftigen Rot vom Boden bis zur Decke ging und bewegte ihren Kopf hin und her. Doch egal aus welchem Winkel sie das Glas betrachtete, dort war niemand.

„Wir müssen uns beeilen.“, erinnerte Dafon Granbes Anna und hielt ihr die Tür auf.

Anna riss sich von der Glaswand los. Vermutlich hatte sie sich das nur eingebildet, oder es war ein Vogel gewesen. Sie ging durch die Tür und fand sich mitten im Nirgendwo wieder. Wo auch immer dieses Portal stand, eine Stadt war nicht in Sicht. Anna drehte sich um und sah an dem Gebäude vorbei, doch auch hinter sich sah sie nur Natur.

Annas Begleiter ging an ihr vorbei und Anna beeilte sich schrittzuhalten. Es fiel Anna nicht leicht, denn selbst die Natur hatte einiges zu bieten. Grüne Bäume und Gras, die denen auf der Erde ähnelten. Dazwischen Pflanzen die cremeweiß waren, wo man Grün erwarten würde und kleine Insekten flogen von einer kräftig gefärbten Blüte zur Nächsten. Vögel, bunt gefiedert und seltsam singend flogen über sie hinweg. Der Himmel war eine Spur blauer, als sie es gewohnt war und zu ihrem Erstaunen sah Anna zwei Sonnen. Die eine blassgelb und groß, die andere mit einer rötlichen Tönung, die viel kleiner war und nicht viel zur Helligkeit beitrug.

Sie gingen nur wenige Minuten und Anna stand unerwartet vor einem Bahnsteig.

„Wir fahren Zug?“, fragte Anna ungläubig.

„Allerdings.“ War Dafon Granbes‘ knapp gehaltene Antwort.

Anna begutachtete den Bahnsteig. Keine Oberleitungen. „Fährt der Zug mit induktiver Ladung?“ Sie fragte sich ernsthaft, ob man Strom benutzte. Oder wurde der Zug vom Lokführer mithilfe seiner Magie betrieben?

„Nein, wir nutzen Dampf.“ Großmeister Granbes sagte es ganz beiläufig und Anna wusste, dass er nicht der scherzhafte Typ war. Dennoch konnte sie sich ein: „Wie bitte, Dampf?“ nicht verkneifen.

„Ja, Dampf.“, kam die Bestätigung und Dafon Granbes zeigte auf den Horizont, an dem ein kleiner Punkt auftauchte.

Er kam näher. Sehr schnell näher. Der Zug kam unglaublich schnell näher. Anna wollte fragen, wie schnell der Zug fuhr, doch da fuhr der Zug bereits an den Bahnsteig.

Er war leiser als gedacht, trotzdem war an Sprechen nicht zu denken. Also wartete Anna mit ihrer Frage, bis der Zug stillstand.

„Umgerechnet etwa 1100 Kilometer in der Stunde.“, kam die Antwort. Die Türen öffneten sich und er gebot Anna einzusteigen.

„Das ist doch…1100? Wie ist das möglich? Das ist doch viel zu schnell!“ Doch was Anna eben gesehen hatte, bestätigte Großmeister Granbes Angabe.

Sie gingen suchend durch das Abteil, das sie betreten hatten. Doch zwischen all den Hexen und Hexern, die in Loungesesseln zu zweit oder dritt beieinandersaßen, war kein Platz frei. Daher wechselten sie in den nächsten Waggon, wo sie zwei freie Sessel fanden. Sie setzten sich einander gegenüber und Anna schaute sich interessiert im Abteil um. Hinter sich hörte sie einige Frauen reden. Auf der anderen Seite des Ganges waren Vierergruppen angeordnet, die ebenfalls besetzt waren. Im Gegensatz zu Dafon Granbes und ihr, trugen diese Menschen helle, freundliche und bunte Kleidung. Keiner von ihnen trug etwas Schwarzes.

„Wir haben andere Rohstoffe und Möglichkeiten, als man sie auf der Erde hat.“

„Ich habe davon gelesen, dass es Antriebssteine gibt, deren gespeicherte Energie nach Belieben abgerufen werden kann. Ist das die Antriebsquelle?“ Das war nur eine von vielen Fragen, die Anna einfielen.

Großmeister Granbes bestätigte Annas Frage und erzählte von stärkeren Metallen und der passgenaueren Verarbeitung, die vor allem durch die Energie und Erfahrung der Hersteller bestimmt wurde. Der Herstellungsprozess verlief unter ganz anderen Bedingungen. So brauchte man keine Gussformen für die Herstellung der Einzelteile, selbst die Bottiche zum Schmelzen von Metall fehlten und die Nieten konnten an jeder Stelle angebracht werden. Und sei sie noch so schwer erreichbar.

Anna hörte mit Begeisterung zu während der Großmeister erzählte und weitere Fragen lagen ihr auf den Lippen. „Gibt es noch mehr Züge? Und was ist die Maximalgeschwindigkeit?“

Dafon Granbes schmunzelte ob des Wissensdurstes von Anna. „Wir haben mehrere Züge, sie alle fahren aber auf dem gleichen Schienennetz, welches den ganzen Planeten umspannt. Es ist die bequemste Art zu reisen, wenn man weitere Strecken überwinden muss.“ Großmeister Granbes unterbracht sich und schlug seine Beine übereinander, dann fuhr er fort: „Die Züge erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu 1600 Kilometern. Allerdings wird diese Geschwindigkeit nicht gefahren.“

„Weshalb nicht?“, wollte Anna wissen.

„Die Haltestellen liegen für ein solches Tempo zu nah beieinander und die Anwohner einiger Städte haben sich über den Lärm beschwert.“

Anna überlegte kurz. „Wegen des Knalls beim Durchbrechen der Schallmauer?“

„Richtig.“, seufzte der Hexenmeister. „Manche Städte werden mehrfach am Tag angefahren.“

Anna konnte sich vorstellen, wie nervig das sein musste.

„Und was ist mit -.“ Begann Anna, doch eine der Frauen, die hinter ihr saß, unterbrach das Gespräch.

„Himmel nochmal! Wo ist das Kind denn aufgewachsen? Wie kann man das alles nicht wissen?“, giftete sie und drehte sich auf ihrem Loungesessel zu ihnen um. Eine faltige, mürrisch dreinblickende alte Frau betrachtete sie beide argwöhnisch. „Was schleppt ein hoher Staatsdiener so ein dummes Ding durch das Land?“ Sie wartete die Antwort gar nicht erst ab, denn ihr ging ein Licht auf. „Ach du liebe Güte! Vereah!“, stieß sie aus und wandte sich an ihre Begleiterin. Mit lauter Stimme verkündete sie: „Vereah! Kannst du das glauben? Das ist ein Splitter!“

„Ach Quatsch!“, kam es von Vereah zurück. „Gibt doch keine mehr. Und was sollte ein Mitglied des Qireratums,“ sie wies mit einem fetten, fleischigen Finger auf die Schärpe von Dafon Granbes, „sich mit so einem Abschaum beschäftigen? Die haben sicher anderes zu tun.“

Anna war sprachlos. Wenn die Araniier alle so sympathisch waren wie diese Modellbeispiele, dann wollte Anna schnellsten wieder zurück. Das ganze Abteil verfolgte den Disput. Mit hochrotem Kopf sah sie Großmeister Granbes an. Sie hatte ihm keine Schwierigkeiten bereiten wollen und nun waren sie durch ihre Neugier im Mittelpunkt gelandet.

Dafon Granbes schien dagegen gelassen zu sein. „Meine werten Damen,“ setzte er an und Anna bemerkte, dass seine Gelassenheit sich nicht auf seine Stimme übertrug. Sie war schneidend. „Ich denke, dass es ihnen nicht zusteht Personen unserer Gesellschaft derart zu diffamieren. Und wenn ihnen die Aufgaben und Befugnisse des Qireratums nicht zusagen, steht es ihnen frei entsprechende Anträge zu stellen.“ Er unterstrich seine Worte mit einem Blick, der Anna frösteln ließ und sie war froh, dass er auf ihrer Seite war.

Entgeistert starrten sich die beiden Frauen an.

Großmeister Granbes stand auf und wies Anna an ihm zu folgen. Eine freundliche Stimme, von der Anna nicht sagen konnte, woher sie kam, meldete den nächsten Halt: „Leuchtende Stadt – Zentrum.“

Hinter sich hörten sie die Hexen wettern: „So etwas unhöfliches! Das werde ich bei der nächsten Wahl des Rates berücksichtigen!“

„Bringt nichts Vereah. Die jetzigen Mitglieder kriegst du da nicht mehr weg. Die haben ihre befristeten Wahlperioden längst hinter sich!“

„Unverschämtheit! Und sowas muss man sich hier bieten lassen!“

Anna und Großmeister Granbes ignorierten das Gezeter und betraten eine geschäftige Straße, die zu beiden Seiten von Häusern aus weißem Stein gesäumt waren. „Großmeister Granbes, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.“, stieß Anna hervor. Sie gingen eilig an aus Sandstein erbauten Gebäuden vorbei.

„Weshalb denkst du, dass du dich entschuldigen müsstest?“ Mit großen Schritten überquerten sie die Straße. Anna hatte Mühe mitzuhalten.

„Weil wir durch mein Verhalten aufgefallen sind.“

Dafon Granbes blieb stehen. „Anna. Dummes und infantiles Denken war schuld an dieser Situation. Nicht du. Lass dir von niemandem Schuldgefühle einreden für das was du bist.“ Sie setzten ihren Weg fort und Anna sah, dass sie auf ein Schloss zuhielten. Sie war so beschäftigt gewesen, dass es ihr nicht aufgefallen war. Hoch ragte es über die anderen Gebäude. Es hatte eine ungewöhnliche Form, es war nicht rund, hatte aber so viele Ecken, dass es rund wirkte. Überall waren Fenster eingelassen und als sie näher kamen sah Anna durch den Zaun die beachtlichen Bögen im Erdgeschoss, die das ganze Gebäude luftiger machten.

Wider Erwarten liefen sie aber an dem Zaun entlang, weg vom Haupteingang. Sie erreichten ein kleineres Tor südwestlich des Haupteinganges. Es war aus einem kupferfarbenen Metall geschmiedet und harmonierte gut mit dem weißen Marmor, aus dem das Schloss hauptsächlich bestand.

Links und rechts auf den Torpfosten saß jeweils eine Figur in Form eines Vogels mit besonders langen Schwanzfedern und in einer der Pfosten war eine kleine Nische eingelassen. Dafon Granbes zog etwas aus seinem Umhang und hielt es in die Ausbuchtung. Das Tor sprang auf und sie ließen es zügig hinter sich. Ihr Weg führte sie zu einem der Bögen hinter dem der Innenhof sichtbar wurde. Anna sah einen riesigen Park mit Blumen, Bäumen und Sträuchern. Als sie unter dem anvisierten Bogen waren gingen sie durch eine Tür, die sie direkt in den ersten Stock führte und dann noch eine Treppe hinauf und noch eine. Anna zählte den 5. Stock, als sie endlich in einen weiten Flur gelangten. Fenster säumten ihn und Anna klappte der Mund auf.

Sie sah zwei Dinge. Zum einen, dass der Park etwa drei Fußballfelder fassen musste und wunderschön und abwechslungsreich angelegt war, zum anderen den riesigen Komplex aus Glas, der sich in der Mitte des Gebäudes zwischen dem fünften und achten Stock befand. Er hing in der Luft und war mit verschiedenen Brücken und gläsernen Korridoren mit den Stockwerken verbunden. Diese Konstruktion ließ viel Licht in den Innenhof fallen. Das Glas schimmerte und funkelte und die kupferfarbenen Fassungen, in denen die Scheiben hingen, gaben ihnen einen warmen Ton.

„Ein wirklich schöner Anblick.“, holte Dafon Ganbes sie aus dem Staunen zurück. „Aber wir müssen weiter. Man erwartet uns.“

Anna kam der Aufforderung zwar nach, hielt den Ausblick aber solange fest, wie sie konnte. Sie hoffte, dass das Treffen dort drinnen stattfinden würde, in dem gläsernen Komplex. Doch Anna wurde enttäuscht. Vor der nächsten Tür machten sie halt. Die Größe der Tür ließ Anna dahinter einen einigermaßen wichtigen Raum vermuten.

Großmeister Granbes nahm Anna bei den Schultern und gab Anna letzte Anweisungen: „Rede nur, wenn du gefragt wirst und halte dich kurz. Bleibe bei der Wahrheit. Ansonsten werde ich reden.“

Anna hatte kaum Zeit darauf zu reagieren, als die Tür von innen geöffnet wurde, natürlich nicht von Hand. Sie hatte richtig vermutet. Der Raum fasste Platz für mindestens 500 Personen. Erwartet wurden sie allerdings von nur vier Menschen, alle in schwarze Roben mit unterschiedlich gefärbten Schärpen. Die beiden Männer und Frauen saßen an der äußeren Seite eines halbrunden Tisches, der in der Mitte des Raumes platziert war. Ein Stuhl an ihrer Seite war noch frei, ein weiterer stand einsam, gut zwei Meter entfernt vor ihnen.

Großmeister Granbes setzte sich, wie von Anna erwartet, auf den freien Platz zwischen den Wartenden. Der übrige verwaiste Stuhl, war für sie bestimmt.

„Gut, da nun alle eingetroffen sind,“ räusperte sich der Mann in der Mitte ohne Anna anzusehen, „beginnen wir.“ Ein geöffnetes Skriptglas lag vor ihm und er tat als würde er einige Zeilen lesen. „Dein Name ist Johanna Hoffmann, 22 Jahre alt und auf der Erde geboren. Deine Eltern sind weder Hexe noch Hexer…“, leierte er die wesentlichen Informationen herunter. Anna wartete bis er fertig war. Zum ersten Mal schaute er sie an. Sein Blick zwang Anna umgehend den eigenen zu senken. Eiskalt fuhr es ihr über den Rücken.

Den Mundwinkel hochgezogen fasste der Mann zusammen: „Du möchtest also bei uns aufgenommen werden. Mit uns leben und lernen eine von uns zu sein.“

„Ja, das möchte ich.“, bestätigte Anna und wagte es vorsichtig wieder aufzusehen. Sie atmete tief ein und fasste den Mann ins Auge. Seine blasse Haut und sein stumpfblondes Haar unterstrichen die stechende Kühle seines Gesichtsausdrucks.

„Wir würden diesem Ansinnen gerne Nachkommen,“ Anna hörte das ‚Aber‘ bereits heraus und die Süffisanz seiner Stimme zeigte, dass er das ‚Aber‘ sehr genoss, „aber leider sind die Gesetze nicht auf unserer Seite. Es ist sogar so, dass die Gesetzgebung uns vorschreibt dich zurück auf deinen Planeten zu verbannen. Natürlich ohne deine Kräfte.“, fügte er hinzu.

„Großmeister Inosaê, ich denke wir sollten uns bei der Beurteilung dieses Falls ausreichend Zeit nehmen und alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.“, warf Dafon Granbes ein.

Langsam wandte sich Großmeister Inosaê an Dafon Granbes. Gönnerhaft sagte er: „Ihr habt natürlich recht. Es wäre schändlich über die Zukunft dieses Mädchens zu entscheiden, ohne alle Seiten gehört zu haben.“ Ohne Großmeister Granbes aus den Augen zu lassen fragte er: „Wie sehen Sie das, werte Kollegen?“

Monoton begann die Frau neben Dafon Granbes ihre Ansicht darzulegen: „Ich denke, wir haben unsere Gesetze hier vorliegen. Sie mögen für diesen Fall nicht vorgesehen sein, aber sie decken dennoch alle wesentlichen Punkte. Johanna ist von der Erde und damit hat sie widerrechtlich Aranii betreten. Die Handlungsweise ist hierbei klar definiert.“

Moruka und Großmeister Granbes hatten recht, dachte Anna bedrückt. Sie waren gegen sie.

„Exeah, nur weil etwas anwendbar ist, muss es noch lange nicht angewandt werden.“, warf ein grobschlächtiger Mann am Rand des Tisches ein.

„Das mag angehen, aber wir müssen eine Entscheidung treffen und die vorliegenden Gesetze geben uns nur einen geringen Spielraum.“, vertrat die Frau namens Exeah ihren Standpunkt.

Der Mann vom Rand des Tisches setzte zu einer Antwort an, als die einzige Person, die bisher noch nicht gesagt hatte, sich zu Wort meldete: „Ich bin der Ansicht, dass die hier vorliegenden Gesetze nicht geeignet sind diesen Fall zu entscheiden. Aber auch ich denke, dass es keine andere Lösung gibt. Es gehört nicht zu unseren Aufgaben Gesetzeslücken zu schließen.“

Damit stand es drei gegen zwei. Anna biss sich auf die Unterlippe. Es sah nicht gut aus, selbst wenn einer seine Meinung noch änderte, wusste Anna nicht, ob eine einfache Mehrheit ausreichte.

Anna folgte der Diskussion um die Anwendbarkeit der Gesetze und nicht existenter Alternativen, doch das Gespräch drehte sich im Kreis. Dafon Granbes sagte selbst kein Wort, er verfolgte das Gespräch, ebenso wie Großmeister Inosaê.

Als das Gespräch immer mehr in Wiederholungen bereits Gesagtem endete, unterbrach Großmeister Inosaê betont freundlich die Redenden und brachte es kurzum auf den Punkt: „Wir werden hier zu keinem Ergebnis kommen, dass allen zusagt. Eine einfache Mehrheit wird uns genügen müssen.“ Er bedachte Dafon Granbes mit einem spöttischen Lächeln und übertrug es auf Anna, als er zur Abstimmung aufrief.

Was auch immer Großmeister Granbes und Moruka geplant hatten, sie hatten es nicht geschafft. Anna würde, ohne ihrer Kräfte, auf die Erde zurückgeschickt werden. Man würde ihr einen Teil ihrer selbst nehmen. Anna schmeckte die Galle in ihrem Mund.

„Gut.“, begann Großmeister Inosaê die Abstimmung, „Wer dafür ist den Hexensplitter in Aranii aufzunehmen hebe die Hand.“ Anna sah die Genugtuung von dem Mann, als nur zwei Hände sich in die Luft erhoben. Was habe ich diesem Mann getan? fragte sich Anna. Doch als Großmeister Inosaê Dafon Granbes ansah, war Anna sich sicher, dass nicht sie der Auslöser für seine Abneigung gegen sie war. Wenn Blicke töten könnten, dachte Anna.

„Wir machen formhalber noch die Gegenprobe.“, kam es gönnerhaft von Großmeister Inosaê. „Wer ist dagegen?“ Seine eigene Hand fuhr langsam, aber zielsicher hoch. Ebenso die Hände der beiden übrigen Mitglieder des Qireratums.

„Guten Tag, werte Großmeister.“, unterbrach eine freundliche, aber sichere Stimme. Die Blicke des Quintetts wandte sich der Frau zu, die zu ihrer linken den Raum betrat. Großmeister Dafon Granbes war der einzige, der den Blick von der Frau nahm und stattdessen zu Anna sah. Ein kurzes Zucken um seine Mundwinkel verrieten ihn. Er hatte diese Frau erwartet.

Alle Mitglieder standen auf und Anna folgte ihrem Beispiel. „Licht von Aranii! Was verschafft uns das Vergnügen?“, zuckersüß kam diese Frage von Großmeister Inosaê.

„Ich wurde über ein erstaunliches Vorkommnis informiert und wollte mich selbst davon überzeugen.“ Ihr Kleid raschelte, als die großgewachsene Frau auf Anna zukam. Ein gütiges Gesicht lächelte Anna entgegen und die golden schimmernden Ranken auf ihrer Haut betonten die Freundlichkeit. „Du bist also der Hexensplitter von dem mir berichtet wurde.“, stellte das Licht von Aranii mit unverhohlener Neugier fest.

„Mein Name ist Anna Hoffmann.“ Anna war sich nicht sicher, ob sie knicksen sollte und wie sie die Frau vor sich anzureden hatte.

„Mir wurde berichtet, dass du bereits den 3. Grad erreicht hast.“ Die Wärme in der Stimme gab Anna die Zuversicht, dass sie zumindest keinen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Und sie antwortete: „Das ist richtig.“

„Und ohne Unterweisung, nehme ich an?“

„Bis gestern wusste ich nicht, dass es andere wie mich gibt.“, bestätigte Anna.

Überraschend drehte sich das Licht von Aranii, Patronin dieses Planeten, wie Anna gelesen hatte, um. Sie strahlte das Qireratum an: „Ist es nicht wunderbar, dass Anna ihren Weg zu uns gefunden hat?“ Sie wartete keine Antwort ab und fuhr fort: „Das Schicksal nimmt manchmal Wege, die im ersten Augenblick wie Irrwege scheinen. Ich denke Anna wird sich an der Akademie wohlfühlen, wobei es sicherlich schmerzlich für Anna wäre, ihre Heimat von heut auf morgen zu verlassen.“ Es klang beiläufig, doch Anna war klar, dass es sich hier nicht um eine Bitte handelte. „Aber Sie alle, als Qireratum, finden für jedes Problem eine adäquate Lösung.“

Alle Mitglieder des Rates neigten leicht den Kopf.

„Ich denke, Sie werden noch einiges an Arbeit heute haben.“, verabschiedete sich das Licht und verschwand durch dieselbe Tür, durch die sie gekommen war.

Stille.

Dann prustete der grobschlächtige Mann los: „Ich denke, damit hat man uns die Entscheidung abgenommen.“ Er kam auf Anna zu und legte seine rechte Hand auf die Brust. „Mein Name ist Tartestuves Lores. Willkommen auf Aranii.“

Überrumpelt sagte Anna nur: „Danke sehr.“

Tartestuves Lores grinste sie breit an und klopfte Anna freundlich, aber kräftig auf den Rücken. Dieser Mann wusste eindeutig nicht, wie stark er war, denn er klopfte Anna beinahe aus ihren Schuhen.

„Tartestuves?“, rief Exeah.

„Was gibt’s?“, mittlerweile lachte er darüber, dass Anna so leicht umzuhauen war. Anna, der ein riesiger Stein vom Herzen gefallen war, lachte mit ihm.

„Wir treffen uns in zwei Stunden wieder hier, um alles Weitere zu besprechen.“

Tartestuves signalisierte ihr, dass er verstanden hatte und wandte sich wieder Anna zu. „Wenn wir uns beim nächsten Mal sehen erwarte ich mehr Standfestigkeit.“, zwinkerte er.

Dieser Mann war ansteckend. „Ich werde es versuchen.“, lachte sie und sah ihm nach, als er sich zu der Gruppe gesellte.

Es dauerte noch zwei Minuten, bis Großmeister Granbes sich löste und sie sich verabschiedeten. Nicht, ohne einen mordlüsternen Blick von Großmeister Inosaê.

„Das lief sehr gut.“, flüsterte Dafon Granbes während sie den Weg, den sie gekommen waren, zurückgingen.

„Wer war der Mann in der Mitte?“, Anna war neugierig.

„Großmeister Zester Inosaê. Er ist Schatzmeister und kein Menschenfreund. Nimm dich vor ihm in Acht!“, warnte Großmeister Granbes.

„Er ist nicht sehr von Ihnen angetan, oder?“

„Nein, ist er nicht.“

Anna dachte dies wäre alles, was Großmeister Granbes sagen würde, doch nach einer kurzen Pause ergänzte er: „Wir hatten vor einigen Jahren eine Meinungsverschiedenheit. Seitdem ist er nicht sehr gut auf mich zu sprechen.“ Sein Blick war finster.

Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts, schoss es Anna durch den Kopf. „Und wer war der Mann, der mich begrüßt hat?“

Freundlicher erzählte Dafon Granbes: „Tartestuves Lores. Ebenfalls ein Großmeister, wie alle Mitglieder der Qireratums. Ihm unterliegen die Streitkräfte Araniis.“

„Das erklärt seine Kraft.“, lachte Anna und dachte an die warme Stelle am Rücken. „Und die anderen?“

„Die Frau mit dem dunklen Teint ist Matheraa Iriês und sie ist wissenschaftliche Beraterin. Ihr Fachgebiet ist die Erforschung anderer Planeten. Außerdem unterhält sie die diplomatischen Beziehungen zu anderen Wesen.“

„Andere Planeten? Noch andere als die Erde?“, wollte Anna wissen.

„Wir haben Kontakt zu diversen Planeten. Jedoch nicht zur Erde.“ Damit griff er Annas nächster Frage vor, schaffte aber zugleich eine neue.

„Weshalb nicht?“

„Es liegt in der Vergangenheit. Viele Aranier möchten nicht daran erinnert werden, dass sie von der Erde stammen.“

Anna brachte nur ein stummes ‚Oh‘ heraus.

„Die letzte Person war Exeah Doral Pysek. Sie ist Geologin und verwaltet die Gewinnung von Bodenschätzen auf ganz Aranii.“, fasste Dafon Granbes die letzte Person zusammen.

Sie kamen zur Treppe und am Absatz sahen sie jemanden auf den Stufen. Es war das Licht von Aranii. Die Treppe war breit genug, um sie alle nebeneinander bequem zu fassen. Anna erwartete, dass sie ein Wort wechseln würden. Doch sie gingen stumm aneinander vorbei. Die einzige Kommunikation die Anna sah, war ein verschmitztes Lächeln von der Patronin und ein leichtes Nicken seitens Dafon Granbes.
 

Jetzt, auf dem Rückweg, hatte Anna endlich ein Auge für alles. Für diese neue Welt, die sich ihr mit einem Schlag eröffnete.

Entgegen des ersten Eindrucks, dass alle Aranier schwarz trugen, waren es nur wenige, wenn man die Hexen und Hexer auf der Straße mitzählte. Hier war der Farbcode ein anderer. Alles war bunt. Roben und Kleider, aber auch Kopfbedeckungen, Schuhe, Hosen, einfach alles strahlte in den schönsten Farben. Hier und da war jemand in schwarz zu sehen, aber das waren Sprenkel in einer farbenfrohen Vielfalt.

Auf Nachfrage erklärte Großmeister Granbes, dass es Schülern und Mitarbeitern der Regierung vorbehalten war, schwarz zu tragen. Die bunten Schärpen gaben bei dieser Kleiderordnung an, welcher Berufsgruppe jemand angehörte.

„Blau steht für den lehrenden und wissenschaftlichen Bereich. Und der Farbton gibt den Rang an. Je heller der Farbton, umso höher ist man in der Rangordnung. Als Leiter der Akademie ist meine Schärpe hellblau, ebenso bei Großmeisterin Pysek und Iriês. Sie leiten ihren entsprechenden Fachbereich.“, nahm Dafon Granbes sich die Zeit zu erklären.

„Und die Anhänger und Abzeichen?“, Anna deutete auf seine Ehrenzeichen, die in Silber, Kupfer, Gold und Bisquitporzellan an seiner Schärpe hingen.

„Sie stehen für verschiedene Verdienste und geben Auskunft über Positionen. Diese hier,“ Großmeister Granbes zeigte auf einen mehrstrahligen Anhänger aus Keramik, „steht für das Qireratum.“

„Interessant.“, kommentierte Anna und versuchte alle Informationen zu erfassen. Sie versuchte alles, was sie sah zu erfassen. Doch die Masse an Neuem war unglaublich. Großmeister Granbes drängte weiter: „Du wirst in nächster Zeit noch viele Gelegenheiten haben, dir alles anzusehen.“

Ein paar Minuten später saßen sie wieder im Zug und die grüne Landschaft zog an ihnen vorbei.

„Morgen wirst du in die Akademie kommen und wir werden dein Wissen und deine Fähigkeiten testen. Danach wirst du in die entsprechende Klassenstufe eingeteilt.“

„Ich muss also nicht pauschal in die erste Klasse?“, seufzte Anna erleichtert.

Großmeister Granbes lächelte: „Nein. Deine bisherige Ausbildung deckt weitestgehend das benötigte Wissen ab. Daher wirst du der passenden Klasse zugeteilt und deine Defizite wirst du bis zum Ende deiner Grundausbildung im Selbststudium aufarbeiten.“

Das klang nach einer vernünftigen Lösung.

Anna schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Sie würde auf der Erde leben können. Zumindest für die nächste Zeit. Sie würde Wolf und ihren Großvater wiedersehen. Ein wohliges Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit und ein zufriedenes Lächeln stahl sich unbemerkt auf ihr Gesicht. Es würde sicher noch ein paar Probleme geben, aber die würde sie lösen.

Anna und Dafon Granbes verabschiedeten sich vor dem kleinen Gebäude aus Metall und Glas, in dem sich das Portal befand.

„Jemand wird dich morgen an der Bahnstation ‚Akademie der Hexenkunst‘ in Empfang nehmen und zur Akademie führen. Denke bitte daran, nichts von der Erde mitzunehmen.“, ermahnte er Anna und verabschiedete sie mit der Hand auf der Brust.

Anna tat es ihm gleich, und ging durch die gläserne Tür. Wie vor wenigen Stunden, als sie diese Räume das erste Mal betreten hatte, glaubte sie, einen Schatten in einem der bodentiefen Fenster zu sehen. Und doch war dieser Schatten so schnell wieder verschwunden, dass Anna sich erneut nicht sicher war, ob es ihn wirklich gegeben hatte.

„ANNA!“, rief Moruka aus, als sie in die Diele rannte, um zu sehen, wer durch das Portal kam. „Was machst du denn hier? Sag bitte nicht diese Haderlumpe haben dich auf die Erde verbannt?“ Mit großen Augen besah sie Anna von oben bis unten, als könne sie damit erkennen, was geschehen war.

Anna winkte ab: „Nein, ich darf an der Akademie studieren.“ Moruka hakte sich unter ihren Arm und zog sie in die Küche. „Ich darf sogar hier auf der Erde bleiben.“, verkündete sie und Morukas Augen, bereits vor Erstaunen aufgerissen, vielen ihr jetzt beinahe heraus.

„Wie habt ihr das geschafft?!“, mit ungläubigem Ausdruck setzte Moruka sich auf einen der Stühle und schob Anna einen Becher mit Tee hin. Anna würde hier Kaffee einführen müssen.

„Ich weiß es nicht. Die Mehrheit war gegen eine Aufnahme, wie Großmeister Granbes es prophezeit hatte und als es an die Abstimmung ging, kam das Licht herein und ordnete auf subtile Weise an, mich zu unterrichten und vorerst auf der Erde leben zu lassen.“

„Elara Esmea Tarzys… was weiß die Patronin, dass wir nicht wissen?“, fragte Moruka sich selbst. Dann wandte sie sich wieder an Anna. „Und was hast du jetzt vor?“

Verwundert sah Anna sie an: „Was meinst du?“

„Du bist doch auf der Universität und was ist mit deinem Freund?“

Anna überlegte. Das eingetroffene Szenario war ein ganz anderes als das erwartete. „Ich denke ich werde die Uni verlassen und Wolf erzählen, dass ich sie weiterhin besuche. Alles bleibt wie bisher, nur dass ich zur Schule nach Aranii gehe.“ Das würde auch weitestgehend das Problem mit dem Geld lösen.

„Ich muss los!“, verabschiedete sich Anna und trank den eilig heruntergekühlten Tee aus.

Ihr waren die Briefe wieder eingefallen. Es war zwar unwahrscheinlich, dass Wolf überraschend wieder da wäre, aber sie wollte lieber nichts riskieren.



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