Zum Inhalt der Seite

Tian Guan Ci Fu

Heaven Official's Blessing
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 1 / Prolog

Unter all den Göttern und Buddhas des Himmels, gab es ein ganz besonderes Gespött, dass traurige Berühmtheit in allen drei Reichen erlangt hatte.

Legenden berichten, dass vor achthundert Jahren ein altes Königreich in der Mittelwelt existierte, die Nation von Xianle genannt wurde.

Dieses alte Reich hatte ein riesiges Territorium, reichlich Ressourcen und zufriedene Bürger. Das Land besaß vier Schätze: zarte Schönheiten in Hülle und Fülle, blühende Kunst und Literatur, Schätze aus Gold und Juwelen und zu guter Letzt ihre berühmte Königliche Hoheit, den Kronprinzen.

Wie konnte man eben jenen Prinzen wohl am besten beschreiben? Nun, er war ein einzigartiger Mann.

Er wurde von dem König und der Königin geliebt und verhätschelt. Sie sagten oft genug: Unser Sohn wird eines Tages einen großartigen Herrscher abgeben und einen bleibenden Eindruck in der Geschichte hinterlassen.

Doch wie das Schicksal so wollte, war der Kronprinz nicht im geringsten an der imperialen Macht oder den Reichtum, den sein Stand mit sich brachte, interessiert.

Wie er in seinen eigenen Worten gern zu sagen pflegte und zugleich beschäftigt hielt, war: “Ich werde die Menschen dieser Erde schützen!”
 

___
 

Als der Kronprinz jung war, konzentrierte er sich nur auf seine spirituelle Ausbildung und zwei kleine Geschichten verbreiteten sich über seinen Pfad der Kultivierung.

Die Erste Geschichte ereignete sich, als er siebzehn Jahre alt war.

In diesem Jahr wurde das große Shangyuan¹ - eine himmlische, zeremonielle Prozession in dem Königreich von Xianle abgehalten.

Diese Tradition war schon vor vielen Jahrhunderten verloren gegangen, aber dank der mündlichen Überlieferungen und den Schriftstücken die aufbewahrt wurden, konnte man sich ohne Probleme vorstellen, was für ein Grandioses und überschwängliches Ereignis dieses Laternenfestival gewesen war.
 

Es ereignete sich auf der großen, göttlichen Straße, während des wundervollen Lampion Festivals.
 

Ein Meer an Menschen hatte sich zu beiden Seiten der breiten Straße versammelt, während die Herrschaften und der Adel sich auf hohen Plattformen vergnügten und unterhielten. Festlich gekleidete Soldaten in schimmernden Rüstungen geleiteten die Prozession zu beiden Seiten und öffneten den Pfad, für die schönen Frauen, die das Publikum mit eleganten Tänzen unterhielten. Ihre zarten Hände verstreuten Blüten, von denen niemand mit Sicherheit sagen konnte, ob nun die Frauen oder die zierlichen Blumen schöner anzusehen waren. Aus einer goldenen Kutsche kam melodische Musik, welche sich durch die Luft über die gesamte Stadt erhob und zuletzt folgte eine große Bühne, welche von sechzehn weißen Pferden in goldenen Geschirren gezogen wurde.

Über ihnen thronte eine große Plattform, auf der sich der gottgefällige Krieger befand, der die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.

Während der zeremoniellen himmlischen Prozession trug der gottgeliebte Krieger eine goldene Maske. Gehüllt in glamourösen Gewändern und mit einem heiligen Schwert in der Hand, spielte er die Rolle des höchstrangigen Kriegsgottes, der seit über Tausend Jahren das Böse nieder ringt: der himmlische Kriegs Kaiser, Jun Wu.

Es war die größte Ehre dazu auserwählt zu werden, den gottgefälligen Krieger zu spielen und so waren auch die Auswahlkriterien unglaublich strikt. Jener, der dieses Jahr gewählt wurde, war der junge Kronprinz. Jeder erwartete von ihm, dass er den aufregendsten und hinreißendsten Auftritt vorführen würde, die je ein Auserwählter bewältigen konnte.
 

Doch an eben jenem Tag ereignete sich ein Unfall.
 

Während der dritten Stunde der Prozession passierten sie gerade eine der turmhohen Stadtmauern. Zu jenem Zeitpunkt war der Kriegsgott dabei, den grauenhaften Dämon mit einem Streich seiner Waffe zu erschlagen. Es war der Höhepunkt der Aufführung und zu beiden Seiten der Straße war die Luft schwanger vor Aufregung und beinah greifbar. Auch auf der Spitze der Stadtmauern tummelten sich die Menschen, schoben und schubsten einander, um einen besseren Blick hinab zu erhaschen.

Und ausgerechnet dann, stürzte ein kleines Kind über die Kante der Mauer.

Schreie stiegen zum Himmel auf. Gerade, als jeder dachte, das Kleinkind würde die große Kriegsmeile mit seinem Blut besudeln, sah der Kronprinz auf, sprang hervor und fing den Jungen auf.

Die Menschen erhaschten nur den Blick auf eine weiße Silhouette, die einem Vogel im Sturzflug gleich, vorschnellte, ehe der Prinz auch schon sicher mit dem Kind in seinen Armen auf dem Erdboden gelandet war. Die goldene Maske war während des Aktes gefallen und enthüllte das hübsche Gesicht, dass dahinter verborgen gewesen war.

Im nächsten Augenblick tobte die Menge vor Jubel.

Die Menschen waren außer sich vor Freude und Glück, doch die Guoshi² des kaiserlichen Haushalts zeigten sich besorgt.

Sie hatten niemals erwartet, dass sich so ein großes Problem anbahnen würde. Es war unheilvoll. Ein unverkennbar großes Unglück!

Die kaiserlichen Minister waren so verzweifelt, dass ihnen die Haare, gleich wie Blätter im Herbstwind, von ihren Köpfen fielen. Nachdem sie sich beraten hatten, riefen sie den Kronprinz zu sich. Mit einer taktvollen Bitte traten sie an ihn heran: “Euer Hoheit, wärt Ihr bereit einen Monat lang Euren Blick gen Mauer zu richten, um Euer Handeln zu reflektieren? Es muss kein vollkommener Monat sein, aber es sollte eine Geste sein, die Eure Absichten widerspiegeln.”

Der Kronprinz hingegen lächelte nur und verneinte diese Bitte.

Was genau er sagte, war folgendes: “Ein Menschenleben zu retten kann nichts Schlechtes sein. Wieso sollte der Himmel mich für so eine Tat verurteilen, wenn es doch die Richtige war?”

“Uh… Aber was, wenn der Himmel doch über Euch richtet?”

“Dann würde der Himmel einen Fehler begehen. Wieso sollte ich mich bei jemanden Entschuldigen, der unmissverständlich falsch liegt?”

Die Guoshi konnten darauf nichts erwidern.

Dies war die Art des Kronprinzen.

Er ist niemals in etwas geraten, dass er nicht überwinden konnte, oder hatte jemanden getroffen, der ihn nicht liebte. Er war die Gerechtigkeit auf der Erde und er war der Mittelpunkt der Welt.

Doch selbst wenn die Guoshi frustriert waren, - Was zur Hölle wusste der Prinz schon?! - lag es nicht in ihrer Macht, ihre Stimme zu erheben, genauso wenig wie sie es nicht zu wagen brauchten, zu viel zu sagen. Seine Hoheit würde sowieso nicht auf sie hören.
 

_____
 

Die zweite Geschichte ereignete sich im selben Jahr, als der Kronprinz Siebzehn war.

Legenden erzählten, dass es einst im Süden einen gelben Fluss gab, über den eine Brücke führte, die den Namen Yinian³ trug. Auf dieser Brücke hauste seit vielen Jahren ein Geist.
 

Dieser Geist war äußerst furchteinflößend, gekleidet war er in einer zerbrochenen Rüstung, die Flammen seines Karmas brannten zu seinen Füßen, während sein Körper in Blut getränkt, durch allerlei scharfer Waffen, die durch seinen Leib gespießt worden waren.

Jeden Schritt, den er tat, hinterließ ein Fußabdruck aus Blut und Feuer. Alle paar Jahre tauchte dieser Geist plötzlich des Nachts auf, wanderte von einem Brückenkopf zum anderen und versperrte Reisenden den Weg, während er ihnen drei Fragen stellte.
 

“Was ist dies für ein Ort?”

“Wer bin ich?”

“Was muss getan werden?”
 

Der Geist verschlang jeden, der seine Fragen falsch beantwortete. Jedoch kannte niemand die richtigen Antworten und so vergingen Jahre, in denen dieses Wesen unzählige Reisende fraß.

Während eines Botengangs fing der Kronprinz Gerüchte darüber auf. So ging er und fand die Yinian Brücke, bewachte sie Nacht für Nacht, bis endlich, eines Tages, er den heimsuchenden Geist antraf.

Als diese Monstrosität auftauchte war er wirklich so grauenhaft, wie es die Legenden berichteten. Auch den Prinzen fragte der Geist die erste Frage und dieser antwortete ihm mit einem Lächeln.

“Dies ist die Menschenwelt.”

Doch der Geist antwortete. “Dieser Ort ist der Abgrund.”

Ein vielversprechender Start, wenn schon die erste Antwort die Falsche war.

“Nun, alle drei Antworten wären ohnehin die Falschen gewesen.” dachte der Prinz. “Also wieso sollte ich warten, bis du sie alle gestellt hast?”

Und so zog er seine Waffe und griff an.

Der Kampf war ein heilloses Chaos. Der Kronprinz war in der Kampfkunst geschult worden, aber dieser Geist war grausam und erbarmungslos. Dieser Mann und die Monstrosität kämpften ohne Unterlass so lang, dass sich Sonne und Mond abwechselten. Letztendlich wurde der Geist dennoch besiegt.

Nachdem das Wesen besiegt worden war, pflanzte der Kronprinz einen Blüten treibenden Baum in der Nähe des Ufers, am Kopf der Brücke. Ausgerechnet dann, kam ein Wandermönch seines Weges und beobachtete ihn dabei, wie er mit einer Handvoll glitzernden Drecks den Geist endgültig verabschiedete.

Er fragte: “Was tut ihr da?”

Und so sprach der Prinz seine wohl berühmtesten Worte: “Der Körper im Abgrund. Das Herz im Paradies.”

Als der Mönch dies hörte, lächelte er. Erst dann verwandelte er sich in einen göttlichen Krieger in weißer Rüstung, zu dessen Füßen feierlich Wolken schwebten, ehe diese ihn im Wind und heiligem Licht hinauf in den Himmel trugen. Erst da wurde dem Kronprinzen bewusst, dass er aus Versehen dem himmlischen Kriegskaiser gegenüberstand, der persönlich vom Himmel herabgestiegen war, um das Böse auf der Ebene der Sterblichen zu erschlagen.

All die Götter und himmlischen Wesen hatten bereits von dem gottgefälligen Krieger gehört, als er den waghalsigen Sprung während des Laternenfestes gewagt hatte, um ein Leben zu schützen.

So kam es, dass nach ihrer Begegnung an der Yinian Brücke die anderen Gottheiten den Kaiser fragten: “Wie denkt Euer Lordschaft über den jungen Herrscher?”

Der Kaiser antwortete: “Die Zukunft dieses Kindes ist unendlich.”

In dieser Nacht ereignete sich ein göttliches Phänomen, als sich der Himmel über dem Palast öffnete und ein Sturm tobte.

Zwischen den flackernden Blitzen und dem tosenden Donner war der Kronprinz zum Unsterblichen aufgestiegen.
 

__
 

Jedes Mal, wenn ein Mensch in den Himmel aufstieg, würde dieser erbeben. Als der Kronprinz dran war, wurde der Himmel mit einer Heftigkeit durchgerüttelt, die dreimal stärker als gewöhnlich war.

Um diesen zustand der Weisheit zu erreichen, brauchte es einige schwierige Dinge. Man benötigte Talent, Bildung und Glück. Nicht selten war es der Fall, dass dieser Pfad sich erst nach hundert Jahren wieder auftat, bis ein neuer Gott geboren wurde.

Es war nicht so, als gäbe es nicht vom Glück begünstigte Seelen, die schon in Jungen Jahren Gottheiten wurden. Aber es war doch eher so, dass diese Leute eine Minderheit zwischen all den anderen waren, die ihr Leben lang trainierten und selbst nach hundert Jahren keine himmlische Katastrophe zu Gesicht bekamen. Und selbst wenn ihnen dieses Unglück begegnete, überlebte es nicht jeder, der diese Prüfung probierte. Und selbst wenn sie versagten, aber nicht starben, war ihr Leben ruiniert. Ihre Zahlen waren so unzählig, wie es Sand im Ganges gab. Aber die meisten waren Ignorant und verbrachten ihr gesamtes Leben lieber als gewöhnlicher Mensch, anstatt ihren eigenen Pfad erneut zu suchen.

Doch seine Hoheit war ohne Zweifel der Liebling des Himmels. Was immer er wollte, er bekam es, was immer er versuchte, er schaffte es. So war es nicht verwunderlich, dass er mit siebzehn ein Gott sein und aufsteigen wollte. Also stieg er tatsächlich auf und wurde ein Unsterblicher.

Er war immer dem Willen der Menschen gefolgt und nun vermissten der König und die Königin ihren geliebten Sohn. Also ordnete der König an, dass man ihm Tempel und Schreine im gesamten Land errichten sollte, in denen man die Statue des Kronprinzen aufstellte und verehrte. Je mehr Gläubige er hatte, umso mehr Tempel sprossen aus dem Boden und umso länger war sein Leben und größer seine spirituelle Kraft. So kam es, dass in nur wenigen Jahren, der Xianle Palast des Kronprinzen zu unermesslicher Glorie aufstieg und den Gipfel der Pracht und des Wohlstandes erreichte.
 

____ Bis drei Jahre später Xianle in Chaos versank.
 

Der Grund für das Chaos war die Tyrannei, gegen die sich das Volk in Form einer Rebellion erhob. Doch so sehr die Flammen des Krieges auch in der Welt der Sterblichen wüteten, konnten die Gottheiten der himmlischen Ebene nicht einfach so eingreifen. Die einzige Ausnahme bestand dann, wenn es sich um Geister, Monster oder Dämonen handelte die, die Grenzen unterwandert hatten. Ansonsten hieß es: Was passierte, passiert.

Stellt euch nur vor: Konflikte gab es überall auf der Welt der Sterblichen und jeder war im Glauben dass die eigene Handlung gerechtfertigt sei. Wenn sich nun der Gott einmischte an jenem Tag und sein Land unterstützte, so würde eine andere Mitgottheit am nächsten Tag dafür Rache üben wollen. Dies würde dazu führen, dass die Unsterblichen im ewigen Zwist miteinander Liegen würden, was in einem Leben im Schande enden würde.

Diese Situation erforderte von dem Kronprinz, dass er sich über diese Tatsache stellen und Abstand halten musste. Aber das Interessierte ihn nicht.

Er sagte zum himmlischen Kaiser: “Ich will die Welt retten!”

Der himmlische Herrscher war im Besitz von über Jahrtausend Alter göttlichen Macht, aber selbst er wagte nicht, solche Worte von seinen Lippen rollen zu lassen. Als er diese jedoch hörte, konnte man sich nur zu leicht vorstellen, was er dabei empfand und dennoch konnte er nichts gegen den Kronprinzen unternehmen.

So sagte er: “Du kannst nicht jeden retten.”

“Und wie ich das kann.” widersprach der Prinz.

Und so sank er in die Welt der Menschen zurück, ohne zurückzublicken.

Das Volk von Xianle freute sich natürlich. Aber in dieser alten Epoche hatten die Menschen immer wieder eine einzige Wahrheit unter ihresgleichen gekannt: Wenn ein Gott ohne Erlaubnis den Himmel verließ, so würde daraus niemals etwas gutes resultieren.

Und so kam es, dass die Flammen des Krieges nicht gelöscht wurden, sondern im Gegenteil noch wilder aufloderten.

Es lag nicht daran, dass der Kronprinz nicht hart genug arbeitete, aber es wäre besser gewesen, wenn er es gar nicht erst versucht hätte. Je härter er mit Anfasste, umso schlimmer wurde der Krieg und umso mehr Menschen wurden auf entsetzliche Weise misshandelt und erschlagen. Die unzählbaren Mengen an Verwundeten und Opfer stieg unaufhörlich und letztendlich suchte eine Seuche die gesamte Nation heim, während die Armee der Rebellen durch die Stadtmauern brachen und mit ihrem einfallen in den Palast den Krieg beendeten.

Viele sagten, das Schicksal Xianle’s war am seidenen Faden gehangen, doch als der Kronprinz kam, zerschnitt er diesen.
 

____
 

Nachdem das Königreich gefallen war, erkannten die Menschen eine Sache: Der Kronprinz, den sie als Gott angebetet hatten, war nicht das Perfekte Wesen oder so Stark, wie sie ihn sich immer vorgestellt hatten.

Um es gröber Auszudrücken: War er nicht einfach nur Nutzlos, der überhaupt irgendetwas richtig machen konnte?!

Ohne ein Ziel zu haben, gegen den sie ihre Frustration und ihre Schmerzen richten konnten, den der Verlust ihrer Heimat und Familien mit sich brachte, wandten sich die Menschen gegen die Plätze, an denen sie zuvor den Kronprinzen verehrt hatten, zerstörten in ihrem Zorn die Schreine und Statuen und brannten letztendlich alles nieder.

Achttausend Tempel brannten für sieben Tage und sieben Nächte, bis nichts mehr von ihnen übrig war. In diesem Augenblick verschwand der Kriegsgott, der den Frieden schützte und Sicherheit brachte und ein Gott des Unglücks, der Katastrophen brachte, war geboren worden.

Wenn die Menschen dich einen Gott nennen, so bist du ein Gott. Betiteln sie dich als Abschaum, so bist du Abschaum. Du bist das was sie sagen. So war es immer gewesen.
 

___
 

Der Kronprinz konnte diese Wahrheit nicht akzeptieren, egal was war. Was er noch weniger begreifen konnte, war die Strafe, die seine Taten mit sich zog: Die Verbannung.

Seine spirituellen Kräfte wurden versiegelt und sein Körper hinab auf die Erde gestoßen.

Er war verwöhnt und verhätschelt aufgewachsen, er schmeckte niemals das Leid eines gewöhnlichen Menschen zuvor, und nun war er von den Wolken hinab in eben jenen Dreck gestürzt. Und dort in diesem Matsch begriff er zum ersten Mal, was es hieß in Hunger, Armut und Schmutz zu leben. Dies war auch das erste Mal, dass er etwas tat, woran er zuvor nie geglaubt hatte: Stehlen, Rauben, laut Fluchen und den Glauben an sich selbst verlieren. Er verlor alle Würde, sein Selbstwertgefühl war nahezu nicht mehr vorhanden und er war so schmuddelig und ungekämmt, wie man nur sein konnte. Selbst seine treuesten Diener konnten diese Veränderung nicht akzeptieren und entschlossen sich zu gehen.
 

“Körper im Abgrund, Herz im Paradies.” Diese Worte waren auf vielen Steinmonumenten eingeschlagen worden und verpesteten ganz Xianle. Wenn das Königreich nicht beinah bis in seine Grundmauern während des Krieges niedergebrannt worden wäre, so hätten diese Überreste den Prinzen dazu verleitet, bei ihrem Anblick, die letzten traurigen Reste eigenhändig zu zerstören.

Die Person, die einst diese Worte sagte, hatte persönlich bewiesen, dass das Herz nicht in das Paradies kommen konnte, wenn der Körper im Abgrund verrottete.

Er war schnell in den Himmel aufgestiegen, aber er stürzte noch schneller aus dieser Großartigkeit hinab. Die bewundernden Blicke auf der großen, göttlichen Straße, die Begegnung mit dem Bösen an der Yinian Brücke, es war ihm, als sei es gestern erst gewesen. Aber nachdem der Himmel noch eine Weile darüber flüsterte, war auch das in der Vergangenheit zum Ruhen gekommen.

Zumindest so lange, bis viele Jahre später der Himmel erneut von einem donnernden Beben heimgesucht wurde. Seine königliche Hoheit war ein zweites Mal aufgestiegen.

In allen geschichtlichen Aufzeichnungen war vermerkt, dass jeder göttliche Beamte, der aus dem Himmel verbannt wurde, sich entweder nicht von dem Schlag erholte, oder hinab in die Geisterebene stürze. Es hatte nie jemanden gegeben, der einen neuen, frischen Pfad beschritt, nachdem sie verbannt wurden. Der zweite Aufstieg war prächtig und spektakulär.

Doch noch unglaublicher war die Tatsache, dass er nach seinem Aufstieg, auf die Himmlischen Ebene nieder fuhr und mit voller Kraft, seine Wut und Frustration freien lauf ließ. Und so kam es, dass er innerhalb einer halben Stunde erneut aus dem Himmel geworfen würde.

Eine halbe Stunde. Das war der kürzeste und schnellste Aufstieg in der Geschichte.

Wirkte die erste Beförderung noch wie ein schönes Märchen, so glich die zweite einer Farce.
 

_______
 

Nachdem er zwei mal Verbannt wurde, blickte die Himmlische Ebene voller Verachtung auf den Kronprinzen hinab. Und in dieser Geringschätzung schlich sich auch die Vorsicht. Immerhin war er schon nach der ersten Verbannung am Drohen und nun, nach der Zweiten, würde er möglicherweise rasend vor Wut sein und seine Rache gegen die Welt richten wollen?

Aber niemand ahnte, dass er nicht seiner Wut verfiel, als er erneut Verbannt wurde und sich stattdessen recht schnell den Umständen anpasste. Es gab kein einziges aufkommendes Problem… Vielleicht nahm er die Dinge doch ein wenig zu ernst.

Manchmal gab er sich als Straßenmusikant am Ende einer Straße aus und spielte Meisterhaft seine Instrumente, sang dabei sämtliche Liedtexte, die er kannte oder zerbrach als kleinen Trick eine Steinplatte auf seiner Brust, was für ihn keine schwierigkeit darstellte. Während schon lange bekannt war, dass seine königliche Hoheit singen und tanzen konnte und ein Meister vieler weiterer Talente war, war es doch ungewohnt zu sehen, dass diese Fähigkeiten auf so eine einfache Weise ihren Weg in die Welt fanden. Ein andermal erwischte man ihn dabei, wie er gewissenhaft und bescheiden Schrott und Müll auflas.

Alle Gottheiten waren bis ins Innerste erschüttert.

Niemand hatte geahnt, dass die Dinge diesen Lauf nahmen und sie an einen Punkt ankamen, an dem jemand sagen würde “der Sohn dem du das leben schenktest, könnte der Kronprinz von Xianle sein” und diese Worte wären ein niederträchtigerer Fluch als jemanden zu wünschen: “Mögest du ohne Söhne sterben.”

Einst war er der Noble und liebenswürdige Kronprinz, ein himmlischer Beamter, der die göttlichen Ränke emporgestieg. Aber wer sich so in das Schlamassel reitete, da gab es niemanden mehr, der ihn Übertreffen konnte. Und so war die Geschichte über den Mann, der als Gespött der Drei Reiche bekannt wurde, geboren.

Neben dem Gelächter hatte dennoch so manch eine sentimentale Seele, ein mitleidiges Seufzen für ihn übrig. Der Liebling des Himmels, der einst so hoch stand, war wirklich und wahrhaftig verschwunden.

Keine göttlichen Statuen mehr, das Heimatland zerstört und kein einziger Gläubiger war mehr übrig.

Allmählich geriet er in Vergessenheit und niemand wusste, was aus ihm geworden war.

________
 

Viele weitere Jahre vergingen, als eines Tages wieder ein gewaltiges Beben den Himmel in aufruhr versetzte. Der Himmel stürzte ein, die Erde brach, der Boden bebte und die Berge erzitterten.

Das Licht der immer brennenden Laternen erschauderten, die Glühwürmchen flogen aufgebracht umher und alle himmlischen Beamten wurden in ihren eigenen goldenen Palästen aus dem Schlaf gerissen, ehe ein jeder von ihnen hinaus rannte und fragte:

Welche neue Gottheit ist eingetroffen? So ein prunkvolles erscheinen!

Doch wer konnte ihnen verübeln, dass sie sich nur die ersten Sekunden ihrer Verwunderung hingaben, nur im nächsten moment wie vom Blitz getroffen zu erstarren.

- Warst du nicht hier fertig?! -

Der berühmte Sonderling, das Gespött der drei Welten, die legendäre königliche Hoheit der Kronprinz, er - er -er -er war verdammt nochmal schon wieder aufgestiegen!
 

_______________________________________________
 

¹ Shangyuan Festival - Das Laternen- oder Yuanxiao-Fest ist ein traditioneller chinesischer Feiertag, der das mehrtägige Neujahrsfest abschließt.

² Guoshi kann man mit Gelehrter am Königshof übersetzen. Sie waren Lehrer, Berater, Kaplane und arbeiteten oft als Religiöse Vertreter unter dem Herrscher am Königshof oder bildeten die Nachfolger aus.

³ Yinian bedeutet 'ein Gedanke' oder 'flüchtiger moment' und beruht auf einem Chinesischen Sprichwort. "Falsche Entscheidungen werden in einem Augenblick der schwäche gefällt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück