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Nährendes Nachbeben

von

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Im Café

Wie versteinert stand Jodie vor ihm und fragte sich, warum sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, wenn sie in seiner Nähe war. Hatte sie gerade tatsächlich einem Date im Café zugestimmt? Und warum nahm sie überhaupt an, dass es sich um ein Date handelte? Vielleicht wollte er einfach nur nett sein oder fand ein Gespräch mit der Tochter seines Partners sinnvoll. Und was hatte sich Jodie eigentlich dabei gedacht? Geplant war, dass sie nach der Vorlesung ihre Tasche packen, aus dem Hörsaal und auf direktem Wege nach Hause gehen würde. Aber was war stattdessen passiert? Sie wurde von Shuichi abgefangen und hatte sich spontan dafür entschieden sich mit ihm in das Café zu setzen.

Jodies Gedanken ratterten und sie malte sich augenblicklich die verschiedensten Szenarien aus, wie dieses Treffen ablaufen würde. Doch egal was auch in ihrer Vorstellung ablief, es endete immer damit, dass sie weinend in ihrem Bett lag.

Jodie schluckte. Wie konnte sie jetzt noch aus der Situation rauskommen? Konnte sie eine Hausarbeit oder das Lernen für eine Prüfung als Grund vorschieben? Oder vielleicht ein Praktikum oder einen Job? Aber Shuichi arbeitete für das FBI und würde eine Lüge sicher schnell entlarven. Und was würde er dann über sie denken?

Also konnte Jodie nicht anders und würde sich ein paar nette Minuten mit ihm machen. Und wer wusste schon, wie es ausging? Sie konnte nur noch auf das Beste hoffen.

Shuichi musterte sie interessiert. Ihre Gesichtszüge hatten sich innerhalb der letzten Minuten mehrfach verändert, verrieten ihm aber nichts über ihre Gedankengänge. „Alles in Ordnung?“, wollte der FBI Agent wissen. „Passt es dir doch nicht? Hast du noch eine Vorlesung oder ein Seminar?“

Ja!

„Nein“, antwortete Jodie und verfluchte sich im gleichen Augenblick dafür. Am liebsten hätte sie mit der flachen Hand gegen ihr Gesicht geschlagen. Jetzt gab er ihr schon die Möglichkeit für eine Ausrede und sie nutzte diese nicht. Aus irgendeinem Grund fiel es ihr schwer ihn ausgerechnet jetzt anzulügen. Wahrscheinlich lag es daran, weil sie tief in ihrem Inneren mit ihm in das Café gehen und mit ihm Zeit verbringen wollte.

„Gut“, nickte Akai. „Gehen wir. Kannst du ein gutes Café in der Nähe empfehlen?“

Jodie schüttelte den Kopf. „Lass uns einfach losgehen“, sagte sie und verließ mit ihm den Campus. „Ich komm nur zweimal die Woche zur Kriminalistik-Vorlesung hierher. Aber da ich oft von einem Ort zum anderen hetzen muss, um pünktlich bei meiner anderen Vorlesung zu sein, achte ich nicht so sehr auf meine Umgebung.“

„Für die Tochter eines FBI Agenten ist das aber sehr überraschend.“

„Äh“, murmelte Jodie. „So meinte ich das nicht. Es ist nur…ich hab mich noch nicht näher in der Gegend umgeschaut…also was die Läden und Lokale angeht. Ich achte schon darauf, ob mir jemand folgt…das hat mir mein Vater schon in frühster Kindheit eingebläut.“

„Schon gut“, entgegnete Shuichi. „Das sollte kein Vorwurf sein“, fügte er hinzu und wies auf ein Café. „Wollen wir dort rein?“

Jodie nickte und betrat mit ihm das Café. Als sie einen freien Platz fand, setzte sie sich und stellte die Tasche auf den Boden. Shuichi nahm ihr gegenüber Platz. „Du sagtest, du studierst nicht drüben am Campus“, begann er.

„Hat mein Vater nichts erzählt?“, fragte Jodie überrascht.

„Während der Arbeit reden wir nicht über Familienangelegenheiten…oder wir reden generell nicht viel miteinander“, antwortete er. „Allerdings hätte ich gedacht, dass du in die Fußstapfen deines Vaters treten würdest.“

Jodie versuchte zu lächeln. Das würde er nie zulassen, sagte sie sich. „Ich hab damals eine Weile gebraucht, um zu entscheiden was ich studieren will und bin schließlich bei den Literaturwissenschaften gelandet. Und wenn alles gut geht, mache ich im nächsten Jahr meinen Abschluss…und bin dann auf Jobsuche…der übliche Weg eben.“

„Und warum besuchst du dann die Kriminalistik-Vorlesung?“, fragte der Agent. „Nicht falsch verstehen, ich finde es gut, wenn man sich in mehreren Bereichen weiterbildet.“

Eine Kellnerin kam an den Tisch. „Hallo ihr zwei“, begrüßte sie sie. „Wisst ihr schon, was ihr wollt?“

„Für mich einen Kaffee, schwarz.“ Er sah zu Jodie. „Und für dich?“

„Ich nehm einen Chai Latte. Danke“

„Alles klar“, nickte die junge Frau. „Bring ich euch gleich“, fügte sie hinzu und ging wieder.

Jodie sah wieder zu Akai. „Die Vorlesung besuche ich aus Interesse und…um meinen Vater besser zu verstehen. Er begibt sich täglich in Gefahr und…die Menschen…Täter…naja…ich will einfach verstehen…was sie antreibt oder was mein Vater täglich tut.“

Shuichi lächelte. „Und wie bist du auf Literaturwissenschaften gekommen?“

„Naja…wie entscheidet man, was man später werden oder was man studieren will? Ich hatte keine Ahnung was ich mit meinem Leben anfangen soll und hab eine Liste mit allen Dingen erstellt, die ich mag. Dann hab ich geschaut, was alles möglich ist und bin zu den Literaturwissenschaften gekommen. Das Studium macht mir auch Spaß, es ist das richtige für mich.“

„Das freut mich für dich“, gab der Agent von sich.

„So, jetzt die Gegenfragen“, begann Jodie und bekam kurz darauf ihr Getränk. Sie nahm die Tasse und nippte an ihrem warmen Chai Latte. „Wieso bist du ausgerechnet zum FBI gegangen?“

„Mhm?“ Shuichi schmunzelte. Mit dieser Frage hatte er bereits gerechnet, da die Gespräche mit FBI-externen Personen immer in diese Richtung liefen. „Ich hab glücklicherweise keine Liste machen müssen“, konterte er. „Als ich jünger war, konnte ich durch Zufall helfen einen Mord aufzuklären. Da ich Menschen schon immer helfen wollte und Verbrecher lieber hinter Gittern sehe, bin ich darin bestärkt worden, zum FBI zu gehen.“

„Hört sich ja sehr heroisch an“, entgegnete Jodie. „Während der Vorlesung hast du erzählt, dass eine der Voraussetzungen ein Hochschulstudium ist. Erzählst du mir auch, was du studiert hast?“

„Ich hab Ingenieurswissenschaften studiert“, antwortete Akai. „Und parallel dazu habe ich ein paar Vorlesungen in Richtung Kriminologie besucht. Wie ich schon sagte, wenn man zum FBI will, sollte man sich frühzeitig einen Plan überlegen. Und mein Plan stand schon früh fest, damit ich meinem Ziel immer näher komme.“

„Dafür beneide ich dich“, sagte Jodie. „Ich hätte auch gern früh gewusst, was ich werden will.“

„Du kannst auch mit einem Studium in Literaturwissenschaften zum FBI gehen. Als Tochter eines FBI Agenten könnten sie für dich sogar eine Ausnahme machen und dich viel eher ins Ausbildungsprogramm aufnehmen.“

„Möglich“, murmelte sie. „Ich kann mir dennoch nicht vorstellen, beim FBI zu arbeiten. Ich weiß nicht…irgendwie…ich mag zwar Rätsel und schwere Aufgaben lösen, aber ob das reicht um beim FBI zu arbeiten? Und ich glaube nicht, dass es meinem Vater gefallen würde, würde ich zum FBI wollen. Außerdem…kann ich mir auch nicht vorstellen, irgendwann mit ihm zusammen zu arbeiten…wir hocken ja schon zu Hause zusammen…und dann noch in der Arbeit…ich glaube, das wäre zu viel.“

„Du wohnst noch zu Hause?“, wollte Akai wissen.

„Ja, mit meinem Vater zusammen“, murmelte die Studentin. „Ich weiß, viele denken, dass man in dem Alter schon alleine wohnen sollte…aber ich spare Miete, habe ein Dach unter dem Kopf, kriege Essen und auch eine Art Taschengeld um mir Sachen zu kaufen.“

„Verstehe“, gab Shuichi von sich. „Du arbeitest also nicht nebenbei?“

Sie schüttelte den Kopf. „Mein Studium ist zwar nicht stressig wie andere Studiengänge, aber die Vorlesungen waren immer auf den ganzen Tag verteilt. Zwischendurch hätte ich gar keine Möglichkeit gehabt um zu arbeiten und wenn ich das nicht muss…“

„Ich sehe die Vorteile“, nickte Akai. „Darf ich fragen, was mit deiner Mutter ist? Du hast sie bisher kein Mal erwähnt.“

Jodie schluckte und wirkte mit einem Mal bedrückt. „Es ist, wie du in der Vorlesung gesagt hast…Das Leben eines FBI Agenten birgt einige Schattenseiten…manche verlieren ihre Familie und andere…verändern sich…“, begann Jodie leise. „Ich war noch ein kleines Mädchen, als meine Mutter getötet wurde. Mein Vater hat damals an einem Fall gearbeitet und…ein Verdächtiger schlich sich in unser Haus. Letzen Endes…hat mein Vater…nur mich retten können.“

„Das tut mir sehr leid“, entgegnete Akai. „Mein Vater ist…vor einigen Jahren verschwunden. Ich hoffe immer noch, dass ich ihn eines Tages wiedersehen werde. Man kann sagen, dass die Suche nach ihm auch mein Antrieb war.“

Jodie nickte. „Ich drück dir die Daumen. Verschwunden…heißt ja nicht…tot, nicht wahr?“

„Geht man von der Zeitspanne aus, ist die Wahrscheinlichkeit seines Todes hoch. Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Und genau diese Hoffnung macht uns menschlich.“

„Irgendwie ist es deprimierend geworden“, fing Jodie an. „Lass uns das Thema wechseln, ja?“

„Was schlägst du vor?“, wollte Shuichi wissen.

„Mich würde interessieren, wie das FBI auf die Idee kam, dass du die Vorlesungen hältst. Bitte versteh mich nicht falsch, aber es hat mich ein wenig verwundert. Du bist ja recht neu und…“

„Ich weiß, was du meinst. Ich bin tatsächlich noch nicht lange beim FBI, aber das heißt nicht, dass meine Qualifikationen nicht gut sind“, entgegnete er ruhig. „Das FBI fand, dass jemand die Vorlesungen halten sollte, der noch nicht so lange dabei ist, weil das viel authentischer rüber kommt. Agenten, die schon Jahre im Dienst sind, sind abgestumpft, obwohl sie sehr viel erzählen können. Aber hin und wieder bringt man die Sachen nicht so gut rüber, wie man denkt. Und wie motiviert man junge Studenten am besten? In dem man jemanden schickt, der in einer ähnlichen Altersklasse ist, noch nicht lange in dem Beruf tätig ist und entsprechend noch viel Motivation mitbringt.“

Jodie nickte verstehend. „Das stimmt. Ich hab mich trotzdem gewundert, dass nicht mein Vater im Vorlesungssaal stand…“

„Oh, tut mir leid, dass ich deine Erwartungen enttäuschen musste“, scherzte Akai.

„Was? Nein, so hab ich das doch gar nicht gemeint.“ Jodie hob beschwichtigend die Hände in die Höhe. „Ich wollte doch nur…“

„Schon gut, schon“, schmunzelte er. „Ich zieh dich doch nur etwas auf“, fügte er hinzu. „Vielleicht wurde er auch gefragt und hat abgelehnt, weil du auch in der Vorlesung sein würdest. Kinder von FBI Agenten haben es ja nicht immer einfach.“

Wenn du wüsstest, dachte sich Jodie. „Hat mein Vater denn gewusst, dass du die Vorlesungen hältst?“

„Natürlich. Wir sind Partner. Und auch wenn wir nicht viel miteinander reden, ich musste ihn darüber informieren, immerhin bin ich zu den Zeiten nicht im Büro und als Partner sollte man wissen, wo sich der andere aufhält.“

„Mhm…vielleicht hat er vergessen es mir zu sagen oder dachte, er hätte es bereits getan“, murmelte sie. „Oder er dachte, dass das nicht so wichtig ist.“

„Kann sein“, sagte Shuichi. „Dein Vater ist manchmal sehr wortkarg. War er schon immer so?“

Jodie überlegte. „Es geht. Manchmal redet er viel, aber es gibt auch Tage, wo er das nicht tut. Dennoch macht er seinen Job gut und du darfst nicht vergessen, dass er schon viel gesehen hat. Vielleicht hat er an manchen Tagen einfach keine Lust mit seinem neuen Kollegen ein Schwätzchen zu halten.“

„Das kann sein. Du kannst ihn ja nachher fragen, wenn du nach Hause kommst. Oh und wenn er dich nach deiner Heimkehr fragt, wie ich mich in der Vorlesung geschlagen habe, dann darfst du gern ein wenig von mir schwärmen.“

„Das krieg ich hin“, antwortete Jodie und stockte. „Moment, hast du gesagt, wenn er mich nach meiner Heimkehr fragt?“

„Ja, das hab ich gesagt“, entgegnete Shuichi. „Stimmt was nicht?“

„Äh…“, murmelte Jodie irritiert. „Mein Vater kommt erst nach mir nach Hause.“

„Heute aber nicht“, sagte Akai. „Er hat sich doch den Nachmittag frei genommen.“

Jodie sah ihn schockiert an. „Er hat sich den Nachmittag frei genommen?“, wiederholte sie fragend. „Das…hab ich…total vergessen“, fügte sie anschließend hinzu. „Wir waren heute zum Essen verabredet…ich wollte Kochen und wir wollten reden.“

„Oh“, antwortete Akai. „Hätte ich das gewusst, hätte ich dich nach der Vorlesung nicht aufgehalten.“

Jodie nahm ihre Tasche hoch und suchte nach ihrer Geldbörse. „Entschuldige bitte, aber ich muss jetzt nach Hause.“

Shuichi sah sie überrascht an. „Ich zahl schon.“

„Danke.“ Jodie lächelte und stand auf.

„Jetzt warte doch, es dauert nur ein paar Minuten“, gab er von sich. „Ich bring dich nach Hause.“

Jodie schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Du hast heute sicher noch etwas anderes zu tun…und du musst zurück ins Büro…die Arbeit macht sich schließlich nicht von selbst, vor allem dann nicht, wenn dein Partner nicht da ist“, sagte sie. „Es tut mir wirklich sehr leid, aber ich muss jetzt gehen. Danke für die Einladung und das nette Gespräch“, fügte sie hinzu und verließ fluchtartig das Café.

„Gern…geschehen…“, murmelte Akai. Er sah ihr nach und blieb mit einem mulmigen Gefühl in der Bauchgegend sitzen. Irgendwas war im Busch, er wusste nur nicht, was es war. Aber er würde es sehr bald herausfinden.



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