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Meeressturm

von

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Goldene Worte

Titania Creed steht mit einem breiten Lächeln auf den tiefroten Lippen vor Finnick, kaum, dass er das Trainingscenter betreten hat. Ihr Aufzug lässt einige der Anwesenden den Kopf verdrehen, so enganliegend ist das tiefgrüne Kleid. Mit einem Hüftschwung, der allzu verheißungsvoll ist, läuft sie auf ihn zu. In seinem Magen bildet sich ein eisiger Kloß und es kostet ihn einige Überwindung, ihr ebenso freudig entgegenzugehen. Zum Glück ist Annie bereits auf dem Weg ins Appartement und muss das nicht mit ansehen.

„Hallo Finnick“, grüßt sie ihn mit schwerer Stimme, voll Verheißung auf eine Nacht, der er gerne entfliehen würde. Vor all den Partygästen ist ihm diese Show mehr als unangenehm, obwohl vermutlich jeder der Anwesenden weiß, was zwischen ihm und Titania ist – oder glaubt es zu wissen. Berechnend legt er ihr eine Hand an den Rücken und zieht sie an sich, im Bewusstsein, dass ihr genau das gefällt. Sie wird an diesem Abend im siebten Himmel schweben, doch für ihn ist es die Hölle.

„Tita, meine Liebste“, raunt er, die Stimme tief gehalten, damit er anziehender wirkt. Oft genug wundert er sich, so wie jetzt, warum keine seiner Liebschaften dieses Spiel durchschaut. Wird es nie langweilig, immerzu denselben Tango mit ihm zu tanzen? Gibt es ihnen irgendeine Form der Erfüllung, sich seine Aufmerksamkeit zu erkaufen?

Titania jedenfalls pflanzt ihm einen Kuss auf die Wange und raunt nur für ihn hörbar „Ich freue mich schon auf heute Abend.“

Nachdem Finnick sich aus der Umarmung löst, realisiert er mit Erleichterung, dass die anderen Mentoren sich mitsamt Cece aus dem Staub gemacht haben. Sie wollen nichts mit seinen Liebschaften zu tun haben. Er kann es ihnen nicht verübeln.

Zumindest für eine Weile spielen er und Titania brave Partygäste, die sich mit Sponsoren über die Interviews unterhalten und ordentlich für Distrikt vier werben. Doch das Interesse an seinen Tributen ist kaum da.

„Wissen Sie, ob Mr. Abernathy heute Abend noch auftaucht?“, fragt ein junger Mann Finnick, „Ich würde wirklich gerne wissen, was Katniss zu dem Liebesgeständnis von Peeta sagt. Ich meine“, er lacht laut auf, „ich muss doch wissen, ob sie ihn auch liebt, bevor ich mein Geld auf sie setze! Oder gar auf beide, damit sie eine Chance haben.“

Säuerlich verzieht Finnick das Gesicht. „Leider bin ich kein Teil von Distrikt zwölf, also kann ich ihnen nur raten, meinen Distrikt nicht unterschätzen. Distrikt vier würde sich sehr über ihre Spende freuen.“

Doch der Sponsor hört ihm nicht mehr zu, sondern stiert mit einem Leuchten auf dem Gesicht in die Menge. „Oh, das ist Cinna, der Designer von Distrikt zwölf“, entschuldigt er sich, „ich muss ihm unbedingt zu der Idee mit den Flammen gratulieren!“ Ohne ein weiteres Wort verschwindet er in einer Menschentraube, die sich um einen schlanken Mann mit dunkler Haut gebildet hat. Im Gegensatz zu seiner Kreation ist er unscheinbar, nicht operiert und in einen schwarzen Anzug gekleidet. Mit einem zurückhaltenden Lächeln nimmt er die Glückwünsche der Umstehenden an.

„Ich muss sagen, die Flammen waren aufregend“, sagt Titania an Finnicks Seite. „So gut hat Distrikt zwölf noch nie ausgesehen. Und sie waren schon mal nackt.“ Sie kichert leise. Dann bemerkt sie seinen grimmigen Gesichtsausdruck. „Keine Sorge, Cordelia war auch hübsch. Sehr sogar. Wenn die Spiele erstmal begonnen haben, werden sich die Anderen daran erinnern. Die Kleine aus Zwölf aber ist dann ganz auf sich alleine gestellt... so ganz ohne Bündnis. Da hilft ihr auch kein flammendes Kleid.“

Er nickt nur geistesabwesend. Es fällt ihm schwer, ihren Worten Glauben zu schenken. Ablenkung naht in Gestalt Beetees, der sich durch die Massen zu ihnen schiebt. Der Mann lässt sich nicht von Titanias Anwesenheit irritieren, sondern grüßt sie nur höflich, ehe er sich Finnick zuwendet.

„Aufregendes Interview heute Abend, nicht wahr?“ Finnick meint, etwas wie Besorgnis herauszuhören. Aber Beetee ist ja nicht blind und genauso Zeuge des Trubels um Zwölf, wie er selbst.

„Ja und unerwartet“, seufzt er. Zu seiner Schande erinnert er sich jetzt schon nicht mehr an die Tribute aus Distrikt drei und kann nichts Nettes über sie sagen. „Scheint als würde die Bühne heute Abend jemandem gehören, der nicht einmal anwesend ist.“

Zustimmend brummt Beetee. „Wundert es dich? Abernathy war nie ein großer Freund von dieser Veranstaltung. Vielleicht taucht er später für die Getränke auf... oder Trinket schleift ihn her, wie es ihre Aufgabe wäre“. Finnick ist jetzt sicher, dass er sich Sorgen macht, warum der Mentor ausgerechnet seinen größten bisherigen Triumph versäumt. Innerlich pflichtet er ihm bei, da es kaum einen Grund gibt, die Chance auf mehr Sponsoren zu verpassen.

Titania tappt ungeduldig mit ihrer Fußspitze auf den Boden, daher greift Finnick nach ihrem Arm und entschuldigt sich bei seinem Freund. „Vielleicht sehen wir uns später noch einmal?“, fragt er unverfänglich, obwohl er genau weiß, dass es eher früher Morgen sein wird, wenn er endlich von ihr loskommt.

Aber Beetee nickt ihm nur knapp zu. „Ich werde noch ein Weilchen hier sein“, sagt er. „Solange die Party geht.“ Mit diesen Worten wendet er sich ab und spaziert zur Bar. Finnick hofft, dass er lange genug auf ihn warten wird, um zu hören, ob er in der Nacht etwas Interessantes in Erfahrung bringen konnte.

Zusammen mit Titania schleicht er sich rasch fort von der Party und überlässt das Feld den restlichen Mentoren. Je schneller er es hinter sich bringt, desto besser. Ihre Treffen verschaffen ihm immerhin einen Vorteil, denn sie sind ein seltener Ausflug aus der Enge des Appartements von Distrikt vier. Nur dann ist es ihm erlaubt, sich mit ihr in ein eigens angemietetes Penthouse zurückzuziehen. Ein goldener Käfig im Tausch gegen den Anderen, mehr ist es letztlich nicht. Der größte Trost sind die neue Aussicht auf das Kapitol – und die Tatsache, dass er von ihr wertvolle Informationen für die Untergrundbewegung sammeln kann.

In der Wohnung angekommen schaut er aus dem nachtschwarzen Fenster hinüber zu dem hell erleuchteten Trainingscenter, das wie ein Feuer in der Dunkelheit erstrahlt. Irgendwo dort ist Annie und er wünscht sich mit jeder Faser seines Körpers, er könnte heute Nacht bei ihr sein. Zu wissen, was wahre Liebe ist, macht diesen Betrug nur härter.

Stattdessen geht er zu Titania hinüber und verwandelt seinen Schmerz in Schauspiel. „Was habe ich dich vermisst“, seufzt er und zieht die kleine Frau in seine Arme. „Endlich sind wir alleine.“ Zum Glück ist sie Annie kein bisschen ähnlich, was es ihm erleichtert, diesen Betrug aufrecht zu erhalten. Er ist sicher, dass er sie niemals lieben wird. Nicht für alles Geld der Welt. „Ich habe mir oft dein Gesicht vorgestellt und doch bist du in Wirklichkeit immer schöner, als in meiner Erinnerung.“ Während Annie diese Worte höchstens Lachen lassen, strahlt Titania ihn an, als gäbe es nichts, was sie sich mehr wünscht.

„Ich habe dich auch vermisst“, kommt es atemlos über ihre Lippen und Finnick reißt sich zusammen, um nicht zu lachen, so befremdlich erscheint es ihm, dass Titanias Augen bei diesen Worten in Tränen schwimmen. Damit sie sein angestrengtes Gesicht nicht sieht, zieht er sie enger an sich und legt das Kinn auf ihren Kopf. „Zum Glück führen die Hungerspiele uns jedes Jahr wieder zueinander“, säuselt sie weiter gegen seine Brust. In Gedanken zählt er von zehn herunter.

„Solange wir uns lieben, wird der Weg uns immer wieder zusammenführen.“ Sein Blick wandert erneut aus dem Fenster, zu der erleuchteten Stadt. In seinem Herzen ist jedes Wort für Annie bestimmt.

Lange kann er Titania nicht festhalten. Sie entzieht sich seinen Armen und streift ihre hohen Schuhe ab. Sie ist ohnehin nicht groß und ohne die Absätze kommt sie ihm winzig vor. Trotzdem vollbringt sie es, auf Zehenspitzen hinüber zur Bar zu tänzeln und den vollen Hintern zu schwenken, wie auf der Flaniermeile. Bei aller Absurdität wäre es sogar witzig, wenn er nicht genau wüsste, wo dieser Abend endet. Scheinbar missinterpretiert sie seinen Blick als Begehrlichkeit, denn sie lehnt sich mit einem Kichern über den Tresen, um nach zwei Gläsern und einer Flasche Champagner zu greifen.

„Unser Wiedersehen müssen wir beide feiern! Und natürlich den wundervollen Auftritt deiner Tribute heute Abend!“, verkündet sie. „Ich habe ja bereits ein hübsches Sümmchen auf die beiden gewettet. Etwas mehr natürlich auf Cordelia.“ Feierlich stoßen sie an. „Auf das glorreiche Siegerteam aus Distrikt vier“, ruft Titania breit strahlend.

„Und auf uns“, fügt Finnick mit einem Zwinkern hinzu. Der prickelnde Alkohol wärmt sein Inneres. In seltenen Momenten wie diesen versteht er, warum das Trinken Haymitch Linderung verschafft. Aber nicht einmal die ganze Flasche Champagner wird die Intimitäten, die ihm bevorstehen, erträglich machen. „Ich kann nur hoffen, dass das Glück in diesem Jahr erneut mit unseren Tributen ist.“

Fast schon gekränkt sieht Titania ihn an, die Lippen zu schmalen Strichen verzogen. „Na hör mal, deine Schützlinge bekommen von mir so viel Unterstützung, genug, dass man sich einen neuen Wagen davon kaufen könnte. Zusammen mit eurer guten Ausbildung ... ich wüsste nicht, was noch schief gehen soll.“

Das ist nicht die Wahrheit und es ist ihr bewusst. Ihre lächerliche Spende für Edy zeigt genau, wie gering ihre Hoffnungen in den Jungen sind. Sie kennt die Wetten in- und auswendig.

„Das weiß ich auch sehr zu schätzen, Liebes. Aber dieses Jahr ist ... besonders. So viele starke Konkurrenten, die Karrieredistrikte und...“, seine Stimme verhallt. Distrikt zwölf. Nach dem Auftritt heute Abend hat sich das Blatt gewendet, das hat die Aftershowparty gezeigt. Er verübelt es Haymitch nicht. Eine Liebesgeschichte, das berührt die Leute. Diesen Plan hätte er nicht besser ersinnen können. Dazu ein brennendes Kleid und sie sind das Gesprächsthema Nummer eins.

Titania fängt an zu lachen, als würde sie seine Gedanken hören. „Machst du dir immer noch Sorgen wegen der beiden Kohlekinder?“ Sie winkt mit einer beringten Hand ab. „Trinket und Abernathy sind ein reines Verliererteam.“ Ihre Augen rollen in Richtung Decke. „Jedes Jahr will die kleine Trinket uns weiß machen, dass ihre Tribute die tollsten Helden sind und dann liegen sie tot im Schlamm des Blutbads.“ Mit einem Blick zu Finnick scheint sie sich wieder zu besinnen, warum sie hier ist. „Ich weiß, dass einige momentan ganz verrückt nach ihnen zu sein scheinen, doch ich werde immer für deinen Distrikt brennen. Ihr seid wahre Sieger.“

Um ihrem Blick auszuweichen, nimmt er einen weiteren Schluck Champagner.

Sie lehnt sich vor. „Du bist süß, wenn du dir Sorgen machst“, flüstert sie in sein Ohr. Ihr warmer Atem brennt auf der Haut wie Säure. Innerlich stählt er sich, bevor er sein Sektglas abstellt und sie mit einem Ruck an sich zieht.

„Und du bist sexy, wenn du für meinen Distrikt brennst.“ Von alleine schleicht sich ein anzügliches Grinsen auf sein Gesicht. „Erzähl mir doch noch mal, was dir so sehr an Distrikt vier gefällt.“

„Aber gerne“, kichert Titania, „da wären deine Augen, deine Lippen, deine Muskeln“, ihre Hände fahren über seine Brust, hinab zu den Hüften und sie grinst frech, „dein Hintern...“

„Und ich dachte immer, das schönste an Distrikt vier ist das Meer“, haucht er zurück.

Er zieht sie mit sich, in Richtung des Schlafzimmers. Trotz ihres aufreizenden Gehabes warten Damen wie sie immerzu darauf, dass er den ersten Schritt macht. Und da er ein braver Sklave des Kapitols ist, folgt er seinen Befehlen.

Vom Mondschein gebadet liegt er schließlich in den seidigen Laken neben Titania, die sich eng an ihn drückt. Finnick spürt ihre nackte Haut und das rasende Herz in ihrer Brust. Der eisige Kloß in seiner Magengegend ist mittlerweile so groß, dass er ihm den Atem nimmt. Nur mit Mühe unterdrückt er den Gedanken an Annie. Der Wunsch nach einer Dusche wächst in ihm, aber das muss warten, bis er wieder zurück ist.

Grinsend zwickt Titania ihn in seinen unbedeckten Bauch. „Na, hat da jemand Frustessen betrieben?“ Ihr schallendes Lachen klingelt ihm in den Ohren. Es gäbe eine Menge, was er ihr dazu sagen könnte, aber um des Friedens willen schweigt er. In seinem Kopf hallt Ceces rechthaberische Stimme wieder, die ihn an seine Diät erinnert, obwohl sich die Bauchmuskeln immer noch unter der Haut abzeichnen. Anscheinend hat sie doch recht, dass jedes Gramm mehr auffällt.

„Warum erzählst du mir nicht lieber, wie es dir in den Monaten ergangen ist, in denen ich nicht bei dir sein konnte?“, fragt er zur Ablenkung und um endlich den Lohn für diese Nacht zu bekommen.

Sie stützt ihr Kinn auf den Handballen und sieht ihn nachdenklich an. „Eigentlich ist in meinem Leben gar nichts tolles passiert“, seufzt sie. „Ich weiß, du findest irgendwie alles interessant was hier passiert, aber es waren unendlich langweilige Monate, bis ich dich endlich wiedersehen konnte.“ Sie beugt sich vor und küsst ihn mit einem Lächeln auf die Brust.

„Na gut, ich bin ehrlich“, sagt er, „ich möchte einfach nur deine Stimme hören, wie du mir von deinem schrecklich langweiligen Leben erzählst, dich vielleicht über deine Kollegen beschwerst oder so, nur um mir vorstellen zu können, dass es jeden Abend so sein könnte.“

Er streicht ihre Haare aus dem Gesicht und sieht sie eindringlich an. „Bitte. Ich möchte so viel von deiner Stimme aufsaugen wie möglich, damit ich sie nie vergesse.“

Trotz der Schatten erkennt er, wie Titania errötet. „Tita“, setzt er leise hinzu. Ihrem Spitznamen wohnte schon immer die Kraft inne, sie dahin schmelzen zu lassen. Wie beabsichtigt wird sie auch jetzt weich. Mit einem verschämten Lächeln legt sie sich wieder auf seine Brust und fängt an zu erzählen. Zunächst von außerordentlich langweiligen Begebenheiten. Von ihrem Sekretär, den sie für unfähig hält, weil er immerzu vergisst, den Himbeersirup zu ihrem Kaffee hinzuzufügen, oder von dem neuen Avoxmädchen, die ihr einen Teller Suppe auf ein teures Kleid geschüttet hat. Nichts, was seine Zeit wert ist.

Je länger sie redet, desto mehr Gefallen findet sie daran, sich selber zuzuhören. Schon bald zieht ihr Gejammere größere Kreise und sie beklagt sich über ihr schweres Leben.

„Und die Party bei Iphigenie Wilcox, ich sag es dir, ein Fiasko! Versprechen ohne Ende hat sie uns gemacht, von einem Riesenbuffet geschwärmt, mit Spezialitäten aus dem ganzen Land – angeblich. Nun, in Wirklichkeit fehlte die Hälfte. Von den exotischen Früchten gab es eine nur Handvoll, unglaublich enttäuschend. Kannst du dir das vorstellen? Ich musste mich mit Astoria Crane um ein bisschen Mango streiten. Kaum zu glauben, nicht wahr? Da arbeitet man für eine der wichtigsten Frauen im Lande und bekommt nicht einmal ein Stück Mango!“

Endlich hält Titania inne, um Luft zu holen.

„Liegt es eventuell daran, dass sie wieder all ihr Geld verwettet hat und sich nicht mehr leisten kann?“, nutzt er seine Chance, eine Frage zu stellen. Iphigenies Spielsucht kennt er von seinen früheren Verabredungen mit ihr. Zuletzt hat er sie gesehen, als fast ihr ganzes Mobiliar gepfändet wurde. Vermutlich ist genau das der Grund, warum seine Besuche bei ihr beendet wurden.

„Oh, darauf möchte ich wetten“, springt Titania auf seine Frage an, da sie nie eine Chance auslässt, ehemalige Konkurrentinnen in ein schlechtes Licht zu rücken, „sie konnte ja noch nie mit Geld umgehen, nur ausgeben oder wetten. Aber dann sollte sie nicht zu Parties laden. Vor allem nicht in Zeiten wie diesen, wo doch jeder weiß wie teuer alles geworden ist, vor allem Früchte.“

Es ist nur ein kleiner Hinweis, für Finnick aber mehr als genug, um weiter zu drängen.

„Sind die Früchte wirklich so teuer, oder Iphigenie so arm?“

Titania seufzt. „Wenn man nicht all sein Geld verspielen würde, könnte man sich auch Früchte leisten, die das Doppelte kosten. Immerhin ist es nur ein Aufpreis für die schwierigen Erntebedingungen.“ Sie schnaubt. „Iphi glaubt doch wirklich, dass schwierige Erntebedingungen heißen, dass unten in Elf so viel die – halt dich fest – Sonne scheint. Aber mir kann sie mit dieser Entschuldigung nicht kommen. Hat wohl vergessen, dass ich die rechte Hand von Ministerin Egeria bin.“ Mehr selbstgefälliges Lachen. „Dabei werden von dem Geld die zusätzlichen Friedenswächter bezahlt, die dort stationiert sind. Jedenfalls...“, Titania setzt sich auf und deutet auf ihren Rücken, „Wärst du so lieb?“

Pflichtbewusst rutscht Finnick hinter sie, um sie zu massieren. „Hört sich an, als wenn die Arbeit ziemlich anstrengend ist in letzer Zeit“, sagt er, „deine zarten Schultern sind ja völlig verspannt. Manchmal denke ich wirklich, dass du etwas kürzer treten solltest, Tita.“

„Ach, das ist noch harmlos“, winkt sie ab, „die Arbeit haben die Friedenswächter in dem Moloch da unten. Die Ministerin und ich waren ganz darauf konzentriert die Brandanschläge im zweiten Stadtring unter Kontrolle zu bekommen, das war viel anstrengender.“

Er befindet, dass die Brandstifter von denen sie erzählt, die des Nachts Modeboutiquen angesehener Designer niederbrennen, nicht von Belang sind für ihn, oder Distrikt dreizehn. Seine Gedanken wandern fort von Titanias Sorgen zu den neuen Friedenswächtern in Elf. Alles fügt sich zusammen mit den rebellischen Vorfällen aus dem letzten Jahr. Jetzt wo mehr Soldaten vor Ort sind, wird sich die Lage nicht entspannen. Erst recht nicht, wenn zwei ihrer Kinder erneut in den Hungerspielen sterben.

„Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen ist dann auch noch eine Fabrik in Distrikt acht in Flammen aufgegangen! Kann man sich das vorstellen? All die wertvollen Stoffe für die Parade und Interviews wurden dort hergestellt und nicht einmal einen Monat vor den Spielen mussten die Leute von vorne anfangen. Angeblich war ein Kurzschluss Schuld. Naja, auf meinen Nachdruck hin haben die Friedenswächter doch einen Schuldigen ausfindig gemacht“, sie gestikuliert wild mit ihren Händen, „so einen armen Irren, der die ganze Zeit nur den Namen seiner Tochter schrie und irgendwas von Rache faselte.“ Ihre dunklen Haare peitschen ihm ins Gesicht, als sie energisch den Kopf schüttelt. „Kaum zu glauben, dass so einer vor lauter... Verwirrung einen Brand herbeigeführt hat. Tja, jetzt ist er ein Avox und niemand muss mehr sein Geschrei ertragen.“

Jedes Wort versetzt Finnick einen unsichtbaren Hieb in die Magengrube. „Rache?“, fragt er wie betäubt, überrumpelt von der saloppen Erzählung.

„Ach, du weißt doch, wie die Leute sind. Sein Kind ist tot und jetzt gibt er uns die Schuld dafür.“ Sie schüttelt wieder den Kopf. „Als könne ich etwas dafür, dass sie in die Hungerspiele musste.“

„Oh“, entfährt es ihm. Seine sorgsam errichtete Fassade bröckelt und er ist froh, dass Titania mit dem Rücken zu ihm sitzt.

Das war eine stressige Woche auf der Arbeit“, redet sie unbeirrt weiter, seinen Aussetzer bemerkt sie überhaupt nicht. „Deswegen bin ich froh, extra für die Spiele Urlaub bekommen zu haben. Ich hoffe ja, dass wir uns nochmal sehen können?“

Sie dreht sich zu ihm herum und er küsst sie schnell, bevor sein Gesichtsausdruck ihn verrät. „Bestimmt werden wir das, aber zuerst muss ich mich um meine Tribute kümmern.“ Damit sie nicht antwortet, bedeckt er ihren Hals und die Schultern mit unzähligen Küssen. Kichernd lässt sie sich zurück in die Laken fallen.
 

Als Finnick ins Trainingscenter zurückkehrt, ist es vier Uhr morgens. Das Foyer liegt komplett still da und die Fenster der Appartements sind schwarz. Doch im Halbdunkel vor den Fahrstühlen sieht er das Aufblitzen von Brillengläsern im Schein der schwachen Nachtbeleuchtung, dann tritt Beetee aus den Schatten.

„Hallo Finnick“, grüßt er mit einem Gähnen, „hab schon gedacht ich seh dich heute gar nicht mehr.“

„Oh, ich habe mir eine andere Aussicht auf das Kapitol gegönnt“, gibt dieser zwinkernd zu, um seinem Ruf gerecht zu werden, selbst wenn Beetee das längst weiß.

Der schmale Mann hüstelt und sieht von ihm weg, offenbar unangenehm berührt. Gemeinsam warten sie auf den Fahrstuhl. Obwohl es reichlich Platz gibt, rückt er eng an den Mentoren aus Drei heran, bis sie nur eine Handbreit weit auseinanderstehen. Die Kameras dürfen auf keinen Fall sehen, wie er ihm das Stück Papier zuschiebt. Sein kleines Geheimnis ruht fest umschlossen in der Faust und lauert nur auf einen günstigen Moment.

Anhaltende Unruhe Elf - Friedenswächter verstärkt. Brand Fabrik Acht? Verdächtig. Mehr passt nicht auf den schmalen Streifen Papier, den er feinsäuberlich beschrieben hat, sobald Titania endlich eingeschlafen war. Wie immer ist es Beetee überlassen, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

„Und, hat die Meute dem armen Cinna noch ein Ohr abgekaut?“

„Oh, ich fürchte ja, sie waren ganz auf ihn konzentriert. Jedenfalls bis Abernathy aufgetaucht ist. Hätte Effie Trinket ihn nicht gerettet, wäre er wohl nicht von ihnen losgekommen. Jeder wollte die Geschichte von dem tragischen Liebespaar hören. So haben sie die beiden getauft.“ Kaum hörbar seufzt Beetee. „Diese Interviews waren ihr Erfolg. Wir anderen konnten nur zusehen.“

„Immerhin ist er noch aufgetaucht“, entgegnet Finnick. „Wer hätte das gedacht. Scheint, als hätten unsere Worte etwas bewegt.“ Er drückt den Zettel mit seinen Informationen fester, jederzeit bereit ihn weiterzureichen.

„Fragt sich nur, zu welchem Preis.“ Beetees Blick verfolgt den gläsernen Fahrstuhl, der geräuschlos zu Boden sinkt. „Nach dir.“

Der Moment genügt. Wie durch Zufall rempelt Finnick ihn an und ihre Hände berühren sich für den Bruchteil einer Sekunde. Mit pochendem Herzen lässt er den Zettel durch die Fingerspitzen gleiten. Sein Atem stockt kurz, als er merkt, wie der andere ihn ergreift. Dann steht er im Fahrstuhl und Beetee folgt ihm, die Informationen jetzt fest in seiner Faust. Trotz aller Erfahrung durchströmt Finnick ein Gefühl der Leichtigkeit. Er lehnt den Kopf gegen das kühle Glas.

„Ich denke, wir tun gut daran, Distrikt Zwölf im Auge zu behalten. Nur zur Sicherheit.“

„Ja“, stimmt Beetee zu und stupst die Brille auf seiner Nase höher, „ich erwarte einige Überraschungen beim Blutbad heute.“ Wenn Finnick nicht alles täuscht, lächelt sein Gegenüber kurz.

Zurück im Appartement beschließt er aufgrund der weit fortgeschrittenen Uhrzeit, dass es nicht mehr lohnt, zu schlafen. Stattdessen wäscht er sich endlich den Schmutz der Nacht vom Körper, ein verrücktes Duschprogramm nach dem anderen. Bunte Seifen schäumen ihn ein, um von siedend heißen Wasserstrahlen fortgespült zu werden. Unter dem Wasser erlaubt er seinen Tränen ungehindert zu fließen. Er sitzt eine ganze Weile da und gibt seinem Drang nach, alles herauszulassen, in der Hoffnung, dass auch der Hass auf ihn selbst weggewaschen wird. Am Ende ist seine Haut rosa und empfindlich, aber das Gefühl von Titanias Berührungen bleibt. Wenigstens riecht er nicht mehr ihr schweres Parfüm an sich.

Im Wohnzimmer lässt er sich auf der Couch nieder und es dauert nicht lang, bis ihm vor Erschöpfung doch die Augen zu klappen. Er wird erst aufgeschreckt, als die frühen Sonnenstrahlen den Raum schon erhellen. Die schmächtige Gestalt Edys steht vor dem großen Fenster, den Blick auf den letzten Sonnenaufgang vor der Arena gerichtet. Er trägt bereits das Outfit der Tribute, schlichte khakifarbene Hosen und ein schwarzes Shirt.

Finnick scheint er nicht bemerkt zu haben, denn kaum, dass er sich räuspert, macht der Junge einen Luftsprung. „Oh man, hast du mich erschreckt!“

„Entschuldige, ich bin wohl hier eingeschlafen“, sagt Finnick und gähnt. Er fühlt sich wenig erholt und würde am liebsten direkt ins Bett fallen, aber jetzt steht die Eröffnung der Spiele unmittelbar bevor. Edy ist schrecklich bleich im Gesicht, in Gedanken offenbar schon in der Arena.

„Ich kann nicht mehr schlafen“, sagt er leise, „immerhin sind es meine letzten Stunden und dann kann ich sie nicht mal genießen.“

Finnick öffnet gerade den Mund, um Edy zuzureden, da kommt ihm jemand anderes zuvor.

„Sag sowas nicht!“ Cordelia stiefelt ins Wohnzimmer, genauso gekleidet wie ihr Gegenpart. „Letzte Stunden, wofür haben wir trainiert? Wir überleben das Blutbad!“ Sie tritt vor ihn, der einen ganzen Kopf kleiner ist als sie, und packt seine Schultern.

„Lass mich“, stößt er hervor. „Mach es nicht noch schlimmer.“

„Nein, Edy, jetzt hörst du mir zu“, verlangt Cordelia. „Mir ist etwas klar geworden.“ Ihr Blick schießt zu Finnick und wieder zurück. „Wir müssen zusammen halten. Wir sind Distrikt vier!“ Betreten beißt sie sich auf die Unterlippe. „Du bist mir wichtiger als die Karrieros. In der Arena bist du der Einzige, dem ich wirklich vertrauen kann. Cato und die anderen... würden mich als Erste erledigen, sobald nicht mehr genug Tribute übrig sind.“

Eine eisige Hand schließt sich um Finnicks Herz. „Cordelia“, er steht auf und läuft ein paar Schritte auf sie zu, bevor er stehen bleibt. „Es ist zu spät, um das Bündnis noch zu ändern! Wenn du ihnen am Füllhorn den Rücken kehrst, werden sie euch töten. Ich sage es nicht gerne, aber du bist ein Versprechen eingegangen.“

Cordelia stemmt die Hände in die Hüfte. „Edy ist aus unserem Distrikt! Wollt ihr etwa nicht, dass wir beide eine Chance auf den Sieg haben? Zusammen sind wir stärker!“ Ihre Stimme wird immer lauter und schriller. „Ich kann ihn doch nicht einfach zurücklassen!“ Auf ihren Wangen zeichnen sich rote Flecken ab. „Wir sind Freunde!“

„Und nur einer von euch kann überleben“, fährt Finnick sie an, Wut und Furcht gleichermaßen in ihm brodelnd. „Glaubst du mir gefällt das? Glaubst du, es ist einfach hier zu stehen und euch anzusehen, in dem Wissen, dass wir mindestens einen nie wiedersehen werden? Nein“, er schüttelt heftig den Kopf, „Natürlich wollen wir, dass ihr beide so lange wie möglich überlebt. Und wenn ihr euch die Karrieros zu Feinden macht, dann kann ich als Mentor wenig tun, um euch zu retten. Dann springen die Sponsoren ab und ehe ihr euch verseht, seid ihr Außenseiter. Du musst ihr Spiel mitspielen, zumindest am Anfang. Bis du eine Chance hast, zu verschwinden.“

„Und Edy?“, schreit Cordelia beinahe. Der Tribut selber steht mit hängenden Armen da, den Blick gen Boden gerichtet.

„Wenn du ihn beschützen willst, dann sorg dafür, dass die Karrieros ihn nicht jagen können. Verschaff ihm eine Möglichkeit zu fliehen am Füllhorn, lenk sie von ihm ab. Finde einen Weg, wie du ihm Nahrung und Wasser hinterlassen kannst. Aber am allerwichtigsten: Mach dem Publikum klar, was du willst. Gewinne ihr Interesse, ihr Mitleid.“

Sein Blick ruht auf dem Jungen, der bisher nichts gesagt hat. „Du bist tapfer, Edy. Wir haben dir alles beigebracht, was wir konnten. Besorg dir einen Speer und einen Rucksack. Dann sind deine Überlebenschancen genauso groß, wie die der anderen. Du hast das Zeug in dir, du darfst nur nicht zögern. Wenn es so weit ist, musst du zuschlagen, um zu überleben.“ Endlich schaut er ihn an. Finnick schenkt ihm das ehrlichste Lächeln, was er nach dieser Nacht zustande bekommt. „Und wie du siehst, bist du nicht alleine, wir alle sind bei dir, sogar Cordelia. Haltet euch am Ende nur von den Karrieros fern. Und nicht nur von denen, sondern auch von den Tributen aus Elf und Zwölf. Vertraut mir, sie sind gefährlich für euch. Zu zweit aber könnt ihr es schaffen.“

Edy nickt langsam. „Ich habe trotzdem Angst.“

„Ich weiß. Jeder von uns hat Angst.“ Mehr als Furcht aber empfindet Finnick im Moment Wut. Auf das Kapitol, das dieses Elend zu verantworten hat. Er denkt an den Zettel für Beetee. Je eher die Informationen Distrikt dreizehn erreichen, desto besser.

„Ich bin stolz auf euch“, ergänzt er mit Blick auf Cordelia, „dass ihr nicht so seid, wie die Karrieros. Was auch immer heute passiert, vergesst nie, dass euer Herz am richtigen Fleck ist.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hoffnung ist eine mächtige Sache - sie kann einen schützen, aber auch sehr verletzen. Finnick ist gefangen in den Hungerspielen und weiß wie gering die Chancen für seine Tribute sind und trotzdem kann er nicht aufhören sich selber, Annie und den Tributen Hoffnung zu machen. Wird sich das noch rächen?
Was, denkt ihr, wird beim Blutbad geschehen? Aus Katniss Perspektive haben wir ja nur einen Bruchteil mitbekommen... Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: irish_shamrock
2021-03-15T19:06:21+00:00 15.03.2021 20:06
Hallo Coronet,

dieses Kapitel hinterlässt wirklich ein Gefühlschaos, und das nicht nur bei Finnick und seinen Tributen.
Deine Worte sind wunderbar treffend und vielfältig und beschreiben jede einzelne Szene treffend und gehen durch Mark und Bein.
Bei der Erwähnung Astoria Cranes musste ich ein wenig schmunzeln, liegt 'Das Lied von Vogel und Schlange" für einen dritten Re-Reed bereits auf meinem Couchtisch. Namen, aus Snows Ära sind immer gern gesehen.

Vielen Dank für dieses Kapitel, das uns nunmehr zu einem Auftakt führt, der spannend, traurig und gespickt von Überraschungen sein wird.

Liebe Grüße,
irish C:
Antwort von:  Coronet
22.03.2021 22:34
Das Gefühlschaos kann ich nur zu gut nachempfinden, denn auch beim Schreiben habe ich mit Finnick gelitten wegen dem, was er durchmachen muss. Wirklich kein leichtes Thema. Umso mehr freue ich mich, wenn das Kapitel gefallen hat!

Ich kann es auch einfach nicht lassen, ein paar bekannte Namen einfließen zu lassen ;) Ich find es auch im Kapitol recht passend, da die hochrangigen Familien rund um Snow ja auch alle ein eingeschworener kleiner Klüngel sind, da ist es nicht so weit hergeholt, dass alles irgendwie vernetzt ist, denke ich.
Bin mal gespannt, ob dir noch mehr bekannte Namen auffallen :D

Das nächste Kapitel steht schon in den Startlöchern, ich bin sehr gespannt, was du dazu sagen wirst, denn ja, dann geht es los mit den 74. Hungerspielen...

Vielen lieben Dank dir für deine zwei neuen und ausführlichen Kommentare, sie sind jedes Mal wieder eine große Freude :D

Liebe Grüße
Coro


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