Zum Inhalt der Seite

Der letzte Krieg

1. Auf einer Reise
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

22. Verglaste Fassade

„Und dann hatte sie dieses – ungewöhnlich schimmernde Ding – gemacht! Sehr seltsam. Und dann – bist du aufgewacht.“

Damit beendete Po seine lange Geschichte und schaute aufgeregt in die Runde. Er stand in der Küche, nicht weit von dem neu zum Leben gekommenen Sheng, der am Tisch saß, wo Mr. Ping ihm die Suppenschüssel abnahm, die der junge Pfau gerade geleert hatte. Sheng hatte ihm sehr aufmerksam zugehört. Es war immer noch mitten in der Nacht, doch niemand schien müde zu sein. Noch nicht einmal Shen, der sie so plötzlich ohne jegliche Erklärungen verlassen hatte.

Po und Mr. Ping hatten die Aufgabe übernommen den jungen Lord in die Küche zu führen. Kaum waren sie dort angekommen, startete Po auch gleich mit seiner Geschichte. Zuerst erzählte er wie er Shen begegnet und was alles in Gongmen passiert war. Doch er vermied genaue Details über Shens Mordfall. Dann fuhr er damit fort, was sich nach dem Kampf zugetragen hatte und so weiter und so weiter, bis zu der Stelle was Xinxin über seine Mutter erzählt hatte und alles. Sheng sagte nichts, während Po sprach. Nicht einmal als der Panda erwähnte, was in König Wangs Behausung vorgefallen war. Er stellte keine Fragen über seine Mutter oder seine Schwester. Doch als Po geendet hatte, faltete er seine blaugrünen Schwingen zusammen und starrte tief in Gedanken versunken auf die Tischoberfläche. Niemand wusste über was er gerade nachdachte.

Po beobachtete ihn ernüchtert. Er legte die Fingerspitzen aneinander und wartete auf eine Reaktion. Doch Sheng sah aus als würde er rein gar nichts fühlen. Zumindest nicht in diesem Moment. Dann hob er die Augen, richtete sie auf den Drachenkrieger und fragte mit fester, ruhiger Stimme: „Irgendwelche Vorschläge oder Pläne sie herauszubekommen?“

Po sah den jungen Mann überrascht an. Er hatte mehr Tränen erwartet oder Fragen über das Wohlergehen seine Mutter, aber er war mehr als neutral.

„Äääääääähhhhhhhhhh… Noch nicht“, überwand sich Po zu sagen. „Zumindest noch nicht, im Moment.“

Po wich ein Stück zurück, als der Pfau mit dem Flügel auf den Tisch schlug. „In diesem Fall werde ich die Sache wohl selber in die Hand nehmen müssen!“

Damit stand er auf, verbeugte sich vor Mr. Ping, dankte fürs Mahl, dann verließ er den Raum. Der Gänserich und der Panda sahen ihn verwundert nach. Für mehr als 10 Sekunden wusste Po nichts zu sagen. Dieser Junge war das genaue Gegenteil von seiner Schwester und so – neutral.

„Mach dir nichts draus“, meldete sich eine Frauenstimme und Xinxin betrat die Küche. „Es ist nicht wegen euch“, sagte die Füchsin. „Du musst verstehen Xiang hatte ihn hart darauf trainiert seine Gefühle nicht zu zeigen. Er sollte niemals solche Dinge vorweisen.“ Sie pausierte. „Wie man sieht, mit Erfolg.“ Mit einem tiefen Seufzer rieb sie sich über den Kopf. „Aber ich wollte nur sagen, dass sie wieder zu sich bekommen ist.“

„Wer?“, fragte Po.

„Die Wahrsagerin.“

„Oh, kann ich zu ihr?“

Das Dienstmädchen zuckte kaum sichtbar die Achseln. „Nun, Lord Shen ist bei ihr.“
 

Ihre Atmung wurde wieder kräftiger. Mit wachsamem Blick beobachtete sie der Pfau. Seit über eine Stunde stand er neben ihrem Schlafplatz in einem der vielen Häuser. Ihr Schwager sah von Zeit zu Zeit nach ihr. Der Pfau hielt den Atem an, als sie die Augen öffnete.

Zuerst schien sie erschöpft zu sein, doch dann lächelte sie ihn an. Shen zwang sich zu einem kleinen Rück-Lächeln, aber er war nicht so sehr erfolgreich mit dieser Geste.

„Das ist das erste Mal, dass ich auf dein Erwachen warten musste“, sagte er leise.

Sie seufzte erfreut. „Wie geht es ihm?“

„Es geht ihm wieder gut“, antwortete er.

Ein erneuertes Seufzen und sie lehnte sich auf ihrem Kissen zurück. Er reckte den Hals, nur um festzustellen, dass sie nicht schon wieder in Ohnmacht gefallen war. Aber ihre Atmung war normal und er konnte beruhigt sein.

„Nun, ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist.“

Er wandte sich ab, aber ihre Stimme hielt ihn zurück.

„Sag mir den Grund.“

Er hielt im Gehen inne. „Der Grund für was?“

„Ich hab davon gehört, was zwischen ihm und dir los war.“ Sie hatte ihre Augen wieder vollständig geöffnet. „Warum?“

Der Pfau sah sie an und verengte grimmig die Augen. „Wie hätte ich mich denn sonst verhalten sollen?“

„Du weißt ganz genau, was ich meine“, flüsterte sie sanft. „Es ist wegen deinem Vater, nicht wahr?“

„Wie…“ Doch Shen bremste sich noch im letzten Moment und senkte den Blick. „Das... war‘s nicht…“

„Wieso gabst du ihm dann keine Umarmung, nachdem du ihn im Bett umarmt hattest?“

Der weiße Lord biss sich auf die Unterlippe. „Ich konnte nicht…“ Er nahm einen tiefen Atemzug. „Und ich kann nicht.“

Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen, bis die Ziege einen neuen Start versuchte. „Ich erinnere mich noch wie dein Vater dich umarmte, als du noch ein kleines Kind gewesen warst.“

Sie konnte es nicht sehen, aber in Shens Flügeln wuchs eine Anspannung. „Du weißt gar nichts.“

Sie seufzte laut, aber sie fuhr unbeirrt fort: „Du warst immer sehr glücklich gewesen, wenn er dich umarmt hatte. Die Staatsgeschäfte hatten ihn zwar sehr beansprucht, aber du und er hatten trotz allem irgendwie Zeit als Familie gehabt.“

Der Pfau wandte sich von ihr ab. Er wollte sie nicht ansehen.

Sie ließ eine Zeit verstreichen bevor sie wagte das Schweigen zu brechen.

„Es schmerzt dich, dass er dich abgelehnt hatte. Ist es nicht so?“

Der Pfau stand da ohne auch nur ein Wort zu sagen. Normalerweise redete er nie über solche Dinge, aber gegenüber ihr hatte er keine Hemmungen zu sagen, was er dachte.

„Als er mir sagte, ich sollte mein Zuhause verlassen“, wisperte er. „Dachte ich, seine Vaterrolle war nur Fassade.“ Ein bitterer Unterton lag in der seiner Stimme. „Ich wollte das nie wieder fühlen.“ Er machte eine Pause, dann sah er wieder zu ihr. „Befriedigt das deine Frage?“

Sie sah ihn schweigend an und seine verengten Augen beendeten ihr Gespräch. Plötzlich sprang er zur Tür und riss sie mit harscher Bewegung auf. Als Pos Augen auf seine trafen, fiel der Panda fast nach hinten.

„Äh, ich… hab nicht… ich wollte gerade an die Tür klopfen“, entschuldigte sich der Panda schnell.

Shen knurrte ihn an. „Gibt es nicht mal einen Moment, wo ich deinen Augen nicht entkommen kann?!“

Po lächelte nervös und winkte der Wahrsagerin zu. „Hi, schön zu sehen, dass Sie wieder wach sind.“

Shen hob den Kopf und stolzierte davon. „Ich lass euch jetzt allein.“

Niedergeschlagen sah Po ihm nach. „Ist er immer noch sauer auf mich?“

Die Ziege hob beruhigend den Huf. „Es war ein harter Tag für uns alle gewesen.“

„Oh, ja.“

„Nun?“ Sie beugte sich zu ihm nach vorne. „Was führt dich zu mir, großer Krieger?“

„Was… oh, oh, ja, ja. Tut mir leid.“ Kichernd trat Po näher. „Ich bin nur gekommen… nun, ich wollte auch nachsehen, ob es Ihnen gut geht oder nicht… und… ich-ich hab nur… nun… ich wollte Sie fragen… was war das?“

Sie strich sich übers Kinn. „Was meinst du, starker Krieger?“

„Dieses scheinende fliegende Ding.“ Mit diesen Worten vollführte Po ein paar Schwingungen mit den Tatzen.

Die alte Ziege lächelte. „Chi.“

„Chi?“ Po konnte mit dem Begriff nichts anfangen. „Was ist Chi? Kann ich das auch lernen?“

Die Wahrsagerin schmunzelte. „Drachenkrieger. Es wird die Zeit kommen, wo es dir geoffenbart wird.“

Enttäuscht ließ Po die Schultern sinken. „Warum willst du es mir denn nicht jetzt sagen?“

Doch die Ziege winkte sanft mit den Hufen. „Übe dich in Geduld, großer Krieger. Deine Zeit wird kommen. Aber bis dahin, denke ich, hast du wichtigere Dinge im Moment zu tun.“
 

„Shen? Sheng?“ Mühsam stampfte Po zwischen den Häusern durch den Schnee, wobei er immerzu ihre Namen rief. Es lag immer noch eine kalte Nacht über dem Dorf, aber zumindest hatte das Schneien aufgehört. „Oh Mann. Ich hoffe, ich verwechsele ihre Namen nicht noch irgendwie.“

Er hielt abrupt an, als er beinahe gegen einen blaugrünen Pfau geprallt wäre.

„Oh, tut mir leid, tut mir leid. Ich hab dich nicht gesehen.“

Langsam drehte sich Sheng zu ihm um und sah ihn gleichgültig an. „Macht nichts.“ Dann wanderte sein Blick wieder geradeaus. Po schaute ihm über die Schultern und sah, dass Shen nicht weit von ihnen entfernt stand und ihnen den Rücken zugewandt hatte. Der Pfau befand sich in einem alten verlassenem Haus, das am Ende des Dorfes lag, vielleicht eine Art Schuppen, wo er sich auf einem großen alten querliegenden Holzbalken niedergelassen hatte und den Mond zu beobachten schien.

Sheng stand am Eingang des Hauses und sah schweigend zu ihm rauf. Po wusste nicht, was er von diesem Szenario halten sollte. „Kann ich irgendetwas tun...?“

Sheng hob seinen Flügel und Po blieb das Wort im Halse stecken. Seine Augen wanderten von einem zum anderem hin und her. Er war kurz davor Shen etwas zu fragen, doch dann hielt er es doch für das Beste gar nichts zu sagen. Ohne ein Wort zog er sich zurück, ging ein paar Meter weg, wo er einen trockenen Platz unter einem Vordach fand. Dort nahm er eine Decke, wickelte sich darin ein und beobachtete die Vögel aus sicherer Entfernung. Er beobachtete und beobachtete. Niemand von ihnen sprach ein Wort, bis er die Augen schloss.
 

Die Sonne tauchte den Morgenhimmel in ein dunkel-helles Blau. Es war noch recht früh, als Po blinzelnd die Augen öffnete und laut gähnte. Er streckte seinen Körper, dann schaute er dort hin, wo er die beiden Vögel letzte Nacht noch gesehen hatte. Die Augen des Pandas weiteten sich. Es hatte sich nichts verändert. Beide Pfaue standen immer noch in derselben Position wie vergangene Nacht. Er schob die Decke beiseite und ging zu Sheng rüber, der immer noch den älteren Pfau auf dem Balken betrachtete.

„Sag mal, hab ihr hier etwa die ganze Nacht herumgestanden?“, fragte Po ungläubig.

Doch Sheng sprach kein Wort. Sein Blick war nur auf den Pfau auf dem Holzbalken gerichtet.

Po beobachtete ihn, bis sich knurrend sein Magen zu Wort meldete.

„Nun, ich denke, ich sollte mal nach dem Frühstück sehen.“

Damit verließ der Panda die beiden und ging zum Haus rüber, wo sich Mr. Ping aufhielt. Sheng schenkte ihm keine Beachtung und hielt seinen Starrblick auf Shen gerichtet. Es schien als würde die Zeit um sie herum stillstehen.

Der junge Pfau zuckte zusammen. Shen hatte sich bewegt. Mit geschlossenen Augen hielt er sich mit einem Flügel über die Stirn. Schließlich schaute er nach hinten, sodass sich ihre Blicke trafen.

„Was willst du?“

Der junge Prinz senkte den Blick.

„Verzeiht mein Verhalten“, begann er. „Dein Erscheinen kam sehr überraschend für mich.“

Shen machte einen Satz und glitt nach unten auf den Boden, wo er zwei Meter vor dem andern Pfau landete. Dann kam der weiße Pfau langsam näher und unterbrach nicht den Augenkotakt. Dann hielt er an.

„Und?“, fragte er. „Du willst Antworten? Die kann ich dir nicht bieten.“

„Nein“, sagte Sheng mit fester Stimme, aber sein Unterton klang sehr unsicher. Zum ersten Mal schien irgendetwas in seinem Inneren einzuknicken. „Ich… ich wollte dich nur darum bitten meine Familie rauszuholen.“

Shen hob überrascht die Augenbrauen. „Du bist gerade mal vor ein paar Stunden dem Tod entkommen, und redest jetzt schon über sowas?“ Plötzlich schmunzelte er. „Du hast einen starken Willen.“

Er umkreiste seinen Sohn und studierte ihn genau. „Wenigstens, hast du eine gute Erziehung erhalten, vermute ich mal.“

Als er hinter ihm zum Stehen kam, drehte sich Sheng schnell zu ihm um, sodass sie sich wieder Auge in Auge gegenüberstanden. Shen verwirrte dieses Verhalten ein bisschen. Die Augen des jungen Mannes sprachen eine harsche Sprache.

„Ich muss mich für meine Scheu entschuldigen, die ich dir gegenüber gezeigt habe“, sagte der Jüngere. „Es war ein Fehler gewesen. Das wird nie wieder vorkommen.“

Er stand da, feste und steif. Shen konnte sich diesen Ton nicht erklären.

„Wovon redest du da?“

„Ich war nicht Herr der Lage gewesen und ich entschuldige mich dafür.“

„Wie meinst du das?“

„Ein Soldat hat stets zu stehen und keine Schwäche zu zeigen. Und ich war schwach gewesen.“

Shen kicherte, wurde dann aber sofort wieder ernst. „Ich sehe, dass dir eine militärische Ausbildung zuteilwurde, hab ich recht?“

Sheng hob den Kopf etwas höher. „Die Beste. Xiang hat mich persönlich ausgebildet.“

Der weiße Pfau nickte. Dann wandte er sich ab und ging nach draußen. Sheng folgte ihm.

„Nun“, begann Shen. „Was sagt denn deine Mutter dazu? War sie damit einverstanden gewesen?“

„Was sollte sie denn dazu sagen?“ Sheng klang überrascht.

Shen hielt an und sah ihn an. „Sie ist deine Mutter.“

Der junge Vogel zuckte die Achseln. „Na und? Sie hat vom Kämpfen doch keine Ahnung.“

Shen zögerte mit seiner Erwiderung. Seine Augen verengten sich ein bisschen. „Woher nimmst du die Dreistigkeit so über deine Mutter zu reden?“

Der junge Pfau hob den Kopf noch höher. „Wie kanns du es wagen so darüber zu sprechen?“

„Ich bin dein Vater, und ich erlaube dir nicht so über deine Mutter herzuziehen.“

„Gestern wolltest du sie noch umbringen.“

Shen zischte auf. „Woher weißt du das?!“

„Der Drachenkrieger hat es mir erzählt.“

„So nennst du ihn also?“

„Wie soll ich ihn denn sonst nennen?“

Doch Shen ging nicht näher darauf ein und wandte sich erneut ab. „Egal.“

Er setzte seinen Spaziergang fort, aber Sheng dachte nicht daran ihr Gespräch auf diese Art zu beenden.

„Was ist eigentlich los mit dir?“, fragte er laut. „Wie denkst du über Mutter?“

Doch Shen wich seinem Blick aus. „Vielleicht hab ich mich geirrt“, murmelte er vor sich hin.

„Geirrt mit was?“

Doch Shen umging erneut eine Antwort. „Reden wir über was anderes.“

Plötzlich sprang der blaugrüne Vogel vor und versperrte ihm den Weg.

„Nein, du wirst mir antworten, gleich hier und jetzt!“

Shen wich zurück und nahm eine Kampfhaltung ein. Sheng tat es ihm gleich und beide Vögel standen sich mit starrend festen Augen gegenüber. Jeder beobachte die Bewegungen des anderen ganz genau.

Sie hielten ihre angespannten Flügel, bis ein sehr kleines Lächeln die Schnabelwinkel des weißen Lords umspielte.

„Tz. Vielleicht hatte sie recht.“

Sheng hob skeptisch die Augenbrauen. „Wer?“

„Deine Schwester. Wir sind uns wirklich sehr ähnlich.“

Allmählich entwich den beiden langsam die Anspannung. Schließlich legte Shen die Flügel zusammen und machte ein paar Schritte zur Seite. „Deine Mutter war eine nette Person. Das ist alles, was ich über sie sagen möchte.“

Sheng schnaubte. „Ja, du hast sie rein zufällig kennengelernt. Und nach 17 Jahren wissen wir erst jetzt, dass nichts so ist wie es gewesen war.“

Shen senkte ein wenig den Blick. „Deine Mutter konnte wohl nicht darüber reden.“

„Das ist keine Entschuldigung“, erwiderte der junge Pfau barsch.

Shen sah ihn von der Seite an. „Du scheinst recht verärgert über sie zu sein.“

Sein Sohn funkelte zurück.

Der ältere Vogel schmunzelte. „Sehr emotional.“

„Nein!“ Wieder nahm Sheng eine strenge Haltung ein. „Das war nur eine begründete Empörung.“

„Sie wird einen Grund für ihr Verhalten gehabt haben.“

„Wieso verteidigst du sie jetzt?!“ Wieder stellte sich Sheng ihm in den Weg. „Jetzt bist du emotional!“

Shens Gesicht verdüsterte sich. „Ich hab mehr Dinge im Leben gesehen als du.“

„Aber du kennst mich nicht.“

„Niemand hat mir je von dir erzählt.“

Das war genug für Sheng und hob die Flügel. „Na schön, wir drehen uns im Kreis ohne an ein Ziel anzukommen.“

Shen seufzte. „Nun denn, belassen wir es dabei.“

Schweigend gingen sie Seite an Seite durch die verschneite Landschaft, bis Shen wagte die Stille zu unterbrechen.

„Nun, du hast also vor sie da rauszuholen, sehe ich das richtig?“

Sheng nickte. „Ja.“

„So, und wie willst du das anstellen? Die Festung stürmen?“

Sheng hob trotzig den Kopf. „Ohne Armee wäre das unmöglich. Aber da muss es einen Weg geben. Alles kann möglich sein.“

Shen stieß ein abfälliges Schnauben aus. „Ist das auch wieder eine von Xiangs Weisheiten? Hast du jemals einen Krieg geführt?“

Der junge Pfau erwiderte nichts und Shen hatte damit seine Antwort.

Der Lord mied seinen Blick. „Aber ich tat es.“

„Und hast glatt verloren.“

Shen vereiste bei diesen geäußerten Worten seines Sohnes.

„Uns sind Berichte über den Kampf zu Ohren gekommen“, fuhr Sheng fort. Kälte lag in seinen Worten. „Xiang meinte, dass deine Strategie mehr als schlampig gewesen wäre.“

Ein Licht blitzte in der Sonne auf, doch Sheng rannte nicht weg. Mit festem Blick starrte er auf das federgeformte Messer, dessen Spitze fast seinen Schnabel berührte. Beide Vögel stierten sich an. Keiner von beiden wollte nachgeben. Eine Weile lang verharrten sie so. Schließlich steckte Shen das Messer weg und ging wortlos davon und schenkte seinem Sohn keinen letzten Blick.
 

Schweigend schlürfte Po seine Suppe. Er hatte die Vögel eine Weile lang beobachtet und jedes Wort mitangehört. Jetzt sah er wie sie auseinander gingen. Und es war nicht gerade ein friedliches Verabschieden.

Tief in Gedanken versunken ging Po zu einer Bank rüber und löffelte seine Suppe weiter neben dem Haus aus. Nachdem er die Schüssel geleert hatte, betrachtete er den Schnee, der in der Morgensonne glitzerte.

Theoretisch hatten ja beide Vögel recht. Sie konnten die anderen nicht im Stich lassen. Das war es, was sie nach alldem ganzen Chaos über Yin-Yus Brief und Shengs beinahe Ableben total vergessen hatten. Doch andererseits, Shen hatte nicht ganz Unrecht mit seinen Zweifeln in die Burg der Hunnen zu gelangen.

Auf einmal vernahm er ein lautes Keuchen. Irgendjemand rannte in seine Richtung den Hügel rauf.

„Ich hatte geahnt, dass ich euch hier finden würde“, japste eine vertraute Person.

Mit großen Augen sah Po das Händler-Schaf Hangfan, der sie zuvor über die Grenze gebracht hatte.

„Was machen Sie denn hier?“, fragte Po noch immer recht verwundert. „Wie geht es den anderen?“

Das Schaf hielt an und keuchte schwer. „Oh, ich weiß nicht, ob es für eure Ohren gute oder weniger gute Nachrichten sind.“

„Du meinst wohl, schlechte Nachrichten, oder?“

„Nun, schlechte Nachrichten wären es mehr, wenn etwas Schlimmes passieren würde. Aber vielleicht ist es nicht so schlecht.“

„Ja, ja, okay, okay.“ Po wurde nervös. „Ich hab’s kapiert. Aber was ist denn passiert?“

„Nun, nach alldem was ich erfahren habe“, begann das Schaf. „Zumindest hat es mir ein Soldat erzählt, wäre Xiang wieder inhaftier worden. Er war ausgebrochen, kurz nachdem wir in der Burg angekommen waren. Keiner weiß wie er das geschafft hatte.“

„Was ist mit Xia und ihrer Mutter?“, erkundigte sich Po ungeduldig.

„Alles was ich weiß ist, dass sie sich im Hauptgebäude der Burg befinden. Sie scheinen unversehrt zu sein, aber sie sind eingesperrt in einem Raum. Und… und.. ich hörte ein Gerücht, dass König Wang vor hat Yin-Yu zu heiraten.“

„Hä?“ War alles was Po dazu sagen konnte.
 

Mit langsamen Bewegungen strich sich die Pfauenhenne die Federn glatt. Sie saß vor einem Spiegel und warf ihrer Tochter von Zeit zu Zeit einen Blick zu, die sie von hinten beobachtete. Zusammen teilten sie sich ein Zimmer, wo Yin-Yu die letzten paar Tage in König Wangs Räumen verbracht hatte. Es war kein schlecht eingerichteter Raum. Tische, Stühle und nette Dekorationen ergaben den Eindruck eines Frauenzimmers. Doch all dies konnte niemanden von ihnen aufheitern.

Schuldbewusst senkte Xia den Blick. „Es tut mir leid, Mutter. Ich hab alles nur noch schlimmer gemacht. Ich wollte dich doch nur einmal glücklicher sehen.“

Langsam drehte sich ihre Mutter zu ihr um. Ihr Gesicht sah müde und traurig aus, aber ihre silbernen Augen zeigten, dass noch Leben in ihr vorhanden war.

Sie schenkte ihr ein Lächeln „Ich weiß.“

Doch das konnte ihre Tochter nicht beruhigen. „Ich hätte nie gedacht, dass er sowas tun würde.“

Die ältere Pfauenhenne senkte ihre Augen, bevor sie sich erhob und ihre Flügel auf Xias Schultern ruhen ließ. „Ist schon gut, schon gut.“ Ihre Stimme klang schwach, aber sie versuchte stark zu wirken. „Mach dir nichts draus. Es war schön zu sehen, dass es ihm gut geht.“

Sie senkte den Blick und flüsterte. „Wenigstens durfte ich ihn noch ein letztes Mal sehen.“ Ein sanftes Lächeln umspielte ihren Schnabel. „Er hatte schon immer ein wildes Temperament.“

Sie hob den Kopf wieder und sah ihre Tochter an. „Aber die Hauptsache ist, dass du und dein Bruder am Leben bleibt.“

Xia erzwang ein sehr bitteres Lächeln, als sie an Shengs schlechten Zustand dachte. Aber sie konnte ihr einfach nicht die Wahrheit sagen. Ihre Mutter sollte mit diesen Gedanken leben.

Der Griff von Yin-Yu um ihre Tochter wurde fester. „Alles andere ist unwichtig.“

„Du bist nicht unwichtig!“, betonte Xia. „Wir brauchen dich.“

Plötzlich ertönte ein Klopfen an der Tür.

Sie ließ von ihr ab. „Sie kommen.“

Zum letzten Mal strich sie über ihre Federn.

„Du musst das nicht tun!“, rief Xia und versuchte sie daran zu hintern an die Tür zu gehen. „Bitte, geh nicht auf seinen Vorschlag ein!“

Doch ihre Mutter nahm sie feste an den Flügeln und schob sie sanft beiseite.

„Mach dir nichts draus.“ Sie lächelte ihr zu. „Es wäre nicht meine erste Zwangsheirat.“

Damit öffnete sie die Tür, wo die Ochsen-Soldaten schon bereites auf sie warteten. Dann wurde die Tür wieder verschlossen und ihre Tochter blieb allein im Zimmer zurück. Plötzlich rannte das junge Mädchen an die Tür und hämmerte wie wild dagegen. „MUTTER!“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück