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Things That Should Not Be

Kunikida/Dazai
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Platonic Fukuzawa/Dazai ahead~ ♥ Komplett anzeigen

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Kapitel 10

Tu es. Nur eine schnelle Bewegung. Ein gezielter Schnitt. Menschen starben so schnell. Das Leben als solches war so zerbrechlich, nur ein falscher Schritt und man stand dem Ende gegenüber. Jedes Leben endete irgendwann. Der eine starb früher, der andere später. Nur eines war gewiss: ein jeder würde den Preis zahlen. Dazai kämpfte mit dem Verlangen, diese kindische Scharade endlich zu beenden und sicher zu gehen, dass dieses kleine Verbrechersyndikat, das glaubte ausgerechnet in Yokohama auf fruchtbaren Boden zu stoßen, niemals wachsen konnte. Wenn ich ihren Boss jetzt erledige, werden sie niemals wieder Ärger machen. Auch Mori-san würde das sicher gutheißen, schoss es ihm durch den Kopf. Er riss schockiert die Augen auf, stolperte einige Schritte nach hinten und starrte ungläubig auf das Messer in seiner Hand.
 

Nein, das bin ich nicht! Ich bin das nicht! Er umklammerte den Griff des Messers noch fester, während sein Blick auf Galos gerichtet war, der sich nun langsam aufrichtete. Er hatte seine Sonnenbrille verloren. Durch den Aufprall war das Glas gesprungen. Dazai analysierte seine Umgebung. Im Angesicht der Tatsache, dass er von hier aus die Skyline der Stadt sehen konnte, war das Fenster nicht der optimale Fluchtweg. Durch die Vordertür? Hah. Nicht nur, dass Galos’ Untergebene im anderen Raum auf ihn warteten, sondern auch die Tatsache, dass er den Gebäudeaufbau nicht kannte, brachte deutliche Nachteile mit sich.
 

Galos stand ihm gegenüber, holte zum Schlag aus. Keine Zeit zum nachdenken. Handeln. Nicht trödeln. Wer in so einer lebensbedrohlichen Situation auch nur eine Sekunde zum Planen verschwendete, schaufelte sich sein eigenes Grab. Kampf oder Flucht. Jetzt zählte jeder Moment und ohne dass Dazai einen weiteren Gedanken verschwendete, wich er dem Angriff aus und rammte seinem Feind die Klinge in den Bauch. Schreiend fiel dieser auf die Knie, hielt sich seinen durchbohrten Unterleib, während er nach Luft rang. Die Tür wurde aufgerissen, im Raum standen nur sämtliche Mitglieder dieser kleinen Möchtegerngang. Dazai zog das Messer eilig aus dem Körper seines Gegners und hielt es diesem nun an die Halsschlagader. Die Männer richteten ihre Schusswaffen auf ihn.
 

„Keiner rührt sich oder euer Boss ist Gulasch!“, drohte er. Unsicher sahen sie ihn an.
 

Galos keuchte. Sie waren in einer zu schlechten Situation um zu verhandeln und Dazai wusste genau, dass diese Männer ohne ihren Boss komplett aufgeschmissen waren. Ihm jetzt die Halsschlagader zu durchtrennen und auf den Boden fallen zu lassen, wäre ein Akt der Gnade, denn wenn die Mitglieder von Henkō von der Port Mafia geschnappt werden würden, würden sie alle um ihren Tod winseln. Dazai wusste das so genau, da er das Flehen seiner Gefangenen oft genug nicht erhört hatte und auch dann weitermachte, wenn seine Opfer keine Reaktion mehr zeigten. Galos zu töten, würde aber auch bedeuten, dass er mit allen Kugeln durchbohrt werden würde, die diese Pistolen geladen hatten. War es das wert? Mit seinem Tod würde er Mori einen Gefallen tun. Denn dann würde er die Konkurrenz zerschlagen. Die Vernichtung von Henkō würde als Warnung im Untergrund zu verstehen sein. Niemand legte sich mit der Port Mafia an und kam ungeschoren davon.
 

Wenn ich hier und jetzt sterbe, kann ich mit Mori-san nicht mehr verhandeln... unsere Abmachung wäre nichtig und er würde sicher wieder die Detektei angreifen. Doch Atsushi-kun ist noch nicht bereit, er ist noch nicht stark genug, um sich selbst und andere zu verteidigen. Wenn ich jetzt sterbe... wer beschützt dann die anderen?
 

Und warum kam ihm dieser Gedanke erst jetzt? Wieso war es ihm vor einigen Tagen so egal gewesen, was geschehen würde? Woher kam sein Sinneswandel? Lag es daran, dass Kunikida ihn darum gebeten hatte, zu leben? Kunikida hatte zum ersten Mal in all der Zeit, in der sie zusammenarbeiteten, Sorge gezeigt. Als Kunikida ihn mit diesen Augen ansah, so voller Angst und Unsicherheit, da hatte sich sein Magen umgedreht. Zunächst war er wütend gewesen. Hatte seinen Zorn an seinem Kollegen ausgelassen und ihn beschuldigt, dass es ihm in Wirklichkeit nicht interessieren würde, doch in Wahrheit war es so, dass es ihn aus der Bahn geworfen hatte. Kunikida wollte, dass Dazai lebte. Nicht seine Fähigkeit machte ihn besonders, sondern seine durchgeknallte Art.
 

Ich bin nicht mehr in der Port Mafia. Ich gehöre nicht mehr zu ihnen. Nicht mehr zu ihm. Ich darf nicht mehr dieselben Fehler machen! Wann nur lerne ich endlich, dass Gewalt nicht die einzige Lösung ist? Verdammt!
 

„Das ist eine ganz schön blöde Situation“, kicherte Dazai amüsiert. Seine Augen funkelten leicht rötlich im Licht.
 

„Also, wenn ihr schießt, trefft ihr vielleicht sogar euren heiß verehrten Boss. Wenn ich ihn jetzt kalt mache, schießt ihr auf mich, also meine Herren~“, säuselte er dann und grinste provokant.
 

„Was machen wir jetzt?“
 

Galos gurgelte und spukte Blut.
 

„Euer Boss braucht dringend einen Arzt, ansonsten verblutet er noch, aber er ist auch zugleich meine Geisel und mein Ticket zur Freiheit“, seufzte er dann theatralisch.
 

Plötzlich eine Erschütterung. Die Wand im anderen Raum wurde eingerissen, Teile des Gemäuers flogen durch die Wohnung und eine riesige Staubwolke vernebelte ihnen die Sicht. Dazai hustete und versuchte sich wieder zu orientieren. Dann ein Schuss. Er krümmte sich vor Schmerz. Einer der Männer hatte abgedrückt – vermutlich aus Panik, weil er nicht wusste, was los war. Dazai röchelte. Er schmeckte Blut. Dann weitere Schüsse. Ein Schlagabtausch. Man hörte wie Waffen gegeneinander klirrten und das Brüllen eines Tigers. Dazai ließ das Messer fallen und ging zu Boden, rang nach Atem, während der Boden unter ihm immer wärmer wurde. Sein eigenes Blut war warm und erinnerte ihn schamlos daran, dass er immer noch am Leben war. Langsam legte sich der Staub.
 

Er sah wie Kunikida auf ihn zugelaufen kam, dann verschwamm alles und eine wohltuende Finsternis hüllte ihn ein.
 


 

———————————
 

„Er hatte großes Glück“, erklärte der Arzt und schenkte Fukuzawa ein zaghaftes Lächeln.
 

„Ich danke Ihnen, wenn Sie nicht gewesen wären, wäre Dazai nun tot“, hauchte Fukuzawa und verbeugte sich leicht.
 

„Glücklicherweise hat Kunikida-san alles richtig gemacht. Nur durch seine Erste Hilfe konnte Dazai überleben. Viele Menschen ziehen eine steckende Kugel ohne nachzudenken heraus und beschädigen dabei Blutgefäße.“
 

Fukuzawa nickte leicht und warf dem Arzt noch einen wehmütigen Blick hinterher, als er die Intensivstation verließ. Dazai wurde direkt zwischen Brustbein und Schlüsselbein getroffen. Die Knochen hatten verhindert, dass die Kugel weiter eindringen konnte, hatte jedoch eine Arterie verletzt, wodurch Dazai stark geblutet hatte. Ein schwerer Schlag auf den Hinterkopf, der den Schädelknochen durchbrochen hatte. Man hatte ihn gewarnt, dass Dazai nach dem Aufwachen Zeichen der Desorientierung und Verwirrung aufweisen würde. Eine so schwere Kopfverletzung durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Durchaus möglich, dass er einen Gedächtnisverlust erlitten hatte. Noch konnte man nichts sagen. Fukuzawa stieß seinen Atem laut hörbar aus. Sein Blick lag immer noch auf dem Brünetten.
 

Der Grauhaarige strich seinem Angestellten sanft den Pony aus dem Gesicht. Es war nun das zweite Mal in einer Woche, dass er Dazai im Krankenhaus besuchte und um sein Leben bangte. In der Intensivstation war viel los. Von allen Seiten hörte man, wie Pfleger und Pflegerinnen durch die Gänge eilten und das stetige Piepen von Überwachungsgeräten war zu jederzeit wahrzunehmen. Der sterile Geruch von Desinfektionsmitteln in der Luft.
 

Du dummes Kind..., überlegte Fukuzawa und zog einen Stuhl näher an das Bett, warf einen nachdenklichen Blick auf den Brünetten, der durch Narkose immer noch schlief und wie tot auf dem Bett lag. Ein Blick auf das EKG verriet jedoch, dass er noch am Leben war. Vorsichtig umfasste Fukuzawa Dazais Hand und umschloss sie in seiner eigenen. Warum nur musst du dich ständig in Gefahr bringen? Du bist nicht mehr in der Mafia, du gehörst jetzt zu uns und es gibt keinen Grund für dich, alles allein schaffen zu müssen. Was hat man dir nur angetan, dass du immer glaubst, alles allein bewältigen zu müssen? Ich wünschte, du würdest uns endlich vertrauen. Mir vertrauen. Ranpo hat auch lange gebraucht, um aus sich heraus zu kommen, aber er war damals deutlich jünger als Dazai.
 

Fukuzawa konnte nicht anders, als gewisse Parallelen zwischen den beiden Genies zu ziehen. Ranpo hatte geglaubt, dass die Welt ihn hasste, weil er die Blicke und Gedanken der anderen Menschen in eine falsche Richtung interpretierte. Er wollte sich selbst als Außenseiter sehen, damit sein Leben erträglicher wurde. Dazai tickte in dieser Hinsicht genauso. Ranpo dazu zu bringen, sich zu öffnen, war ein hartes Stück Arbeit und hatte ihm sehr viel Geduld gekostet, doch er hatte es geschafft, dass Ranpo ihm vertraute. Ranpo war wie sein eigenes Kind für ihn und er hatte geschworen, diesen Jungen zu beschützen. Jedes Mitglied der Detektei brauchte seinen Schutz und hatte eine schwere Last zu tragen und Fukuzawa hatte geschworen, ihnen einen Teil dieser Last abzunehmen, damit sie mit erhobenem Haupt durchs Leben gehen konnten. Dazai jedoch bürdete sich immer mehr auf und mit jeder verstreichenden Sekunde erdrückte ihn das Gewicht, zog ihn in ein tiefes Loch.
 

Dazai ging nie auf seine Kollegen ein, erzählte nie von sich. Und dann noch diese Narben. Seine Vergangenheit mit Mori. Fukuzawa wusste, dass Mori ein kranker Psychopath war, der gerne Menschen an ihre Grenzen brachte und sie so lange für seine Zwecke missbrauchte, bis sie wie ein perfekter Roboter jeden Befehl befolgten oder an ihren seelischen Verletzungen zerbrachen. Yosano war nur eines der vielen Opfer, die er in seiner Detektei aufgenommen hatte. Sie war apathisch, misstrauisch und nur Ranpo hatte es geschafft, bei ihr durchzudringen. Dazai und Yosano mussten ähnliches erlebt haben. Zumindest hatte Fukuzawa eine ungefähre Vorstellung dessen, was Mori Dazai angetan haben musste.
 

Was nur hat dieses barbarische Schwein dir angetan? Der Arzt meinte, dass Dazai in seiner Kind und Jugendzeit Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sein musste, aber ich brauche Namen und Daten... ich brauche Hinweise. Ich schwöre, wenn Mori-sensei damit etwas zu tun hat, dann...!
 

Er warf einen prüfenden Blick auf Dazais Verband. Die Kugel aus seiner Brust war entfernt worden, doch man hatte die Einschusswunde erweitert, um das Projektil, das im Gewebe steckte, zu entfernen. Einige Rippen waren bei dem Aufprall gebrochen worden und sicher würde Dazai einige Wochen ausfallen. Es war natürlich nicht so, dass Dazai unbedingt gebraucht wurde. Die Detektei hatte auch lange vor Dazais Eintritt gut funktioniert, doch Fukuzawa war es lieber, wenn der Brünette in der Nähe blieb, wo er ein wachendes Auge auf ihn werfen konnte. Seine selbstzerstörerischen Tendenzen und suizidalen Neigungen waren zu akut, um ihn allein zu lassen.
 

Es war bereits einiges an Zeit vergangen. Fukuzawa hing seinen Gedanken nach und überlegte fieberhaft, was er tun musste, um sicher zu gehen, dass Dazai sich nicht erneut in Gefahr brachte.
 

Dann murmelte Dazai etwas im Schlaf. Unruhig drehte er seinen Kopf hin und her. Fukuzawa drückte Dazais Hand fester, als wollte er ihm schützend zur Seite stehen. Urplötzlich riss Dazai die Augen auf, saß kerzengerade im Bett und zog verängstigt seine Hand weg. In diesem Moment erkannte er seinen Arbeitgeber nicht, sah ihn an, als wäre dieser ein Jäger und er seine Beute. Pure Todesangst war in Dazais Augen zu erkennen, seine ganze Körperhaltung verriet, dass er flüchten wollte, doch aufgrund der Kabel und seiner Verletzungen nicht in der Lage war, aufzustehen und wegzulaufen. Das EKG schlug laut aus und im nächsten Moment standen mehrere Pfleger im Raum, die um Dazais Bett herumliefen und sofort die Dosis des Beruhigungsmittels erhöhten, sodass dieser kraftlos zurück in die Kissen fiel. Man schnallte ihn fest, ohne ein Wort der Erklärung. Benebelt lag er im Bett und sah Fukuzawa an.
 

„Er ist sicherlich verwirrt, großer Blutverlust kann zu Halluzinationen führen“, meinte einer der Pfleger und sah Dazai ins Gesicht und sprach ihm gut zu, während er die Schnallen an seinen Händen noch fester machte, um ihn an der Flucht zu hindern.
 

„Ist das wirklich nötig?“, wollte Fukuzawa wissen.
 

„Er ist bereits einmal geflohen. Hören Sie, Dazai-san hat in den letzten Tagen viel zu viel Blut verloren, das kann zur Atemnot führen oder sogar zu einem Herzstillstand. Außerdem müssen wir sicher gehen, dass er ausreichend Flüssigkeit zu sich nimmt. Blutverlust führt immer zu Dehydration und das wiederum greift das Gehirn an, wodurch Patienten Wahnvorstellungen erleiden. Und das könnte nach einer so schweren Kopfverletzung zu Langzeitschäden führen.“
 

Fukuzawa bedankte sich und schenkte Dazai ein Lächeln. Dieser sah ihn an, sah genau in seine Richtung, schien ihn aber nicht wahrzunehmen. Er sah irgendetwas anderes.
 

„Weißt du, wo du bist?“, fragte Fukuzawa. Dazai nickte.
 

„In deinem Labor“, hauchte er und versuchte sich von den Fesseln zu lösen.
 

Verwirrt sah Fukuzawa ihn an. Labor?!, wiederholte er nachdenklich, sah vor seinem geistigen Auge jedoch nur die Untergrundklinik von Mori, in der ihn zum ersten Mal getroffen hatte.
 

„Es tut mir leid, Mori-san, ich konnte den Auftrag nicht erfüllen“, flüsterte Dazai und senkte den Blick.
 

Dazai war leichenblass und seine Lippen und Fingerspitzen blau. Großer Blutverlust führte zu Halluzinationen, Wahnvorstellungen. Fukuzawa schluckte. Dazai sah nicht ihn. Er sah seinen alten Boss vor sich sitzen und glaubte, dass dieser irgendetwas mit ihm vor hatte. Hatte Mori etwa Dazai als lebendes Forschungsobjekt benutzt? Ihn an ein Bett gefesselt, um illegale Substanzen an ihm zu testen? Ihn auf abartige Weise gefoltert, um ihn für das Versagen bei Missionen zu bestrafen? Fukuzawa wurde schlecht. Allein die Vorstellung, dass Dazai ihn nun mit Mori verwechselte, setzte seinem Selbstwert enorm zu. Auch ich habe einmal gemordet und mich darüber gefreut, meine Fertigkeiten zu testen. Ich kann es nicht einmal bestreiten... früher waren Mori-sensei und ich uns ähnlich und dieses Wissen macht mich krank. Ich muss alles tun, was in meiner Macht steht, um Buße zu tun.
 

„Bitte mach mich wieder los“, stammelte Dazai und versuchte sich zu befreien, wodurch sich die Lederschnallen in seine Handgelenke schnitten. Eilig ergriff Fukuzawa Dazais Unterarme und drückte ihn vorsichtig runter, damit er aufhörte, sich zu bewegen, doch diese plötzliche Bewegung und Nähe führte dazu, dass Dazai zusammenfuhr, die Augen zusammenkniff und vor Angst zitterte. Erwartet er Schläge?
 

„Es tut mir leid“, flüsterte Dazai mehrere Male. Panisch. Ängstlich.
 

„Dazai, es ist alles in Ordnung. Ich werde dir nicht wehtun“, meinte Fukuzawa mit fester Stimme.
 

„Das sagst du jedes Mal und dann tust du mir doch wieder weh!“, schimpfte Dazai und vermied es seinen Gegenüber anzusehen, biss sich auf die Unterlippe, um zu verhindern, noch lauter zu werden und den Zorn seines Bosses auf sich zu ziehen.
 

„Und was glaubst du, werde ich dir antun?“ Fukuzawa musste es wissen. Vielleicht kann ich ihn so dazu bringen, etwas zu sagen... damit ich ihn endlich besser verstehe und herausfinden kann, wie ich ihm helfen kann.
 

„Das weißt du doch am besten“, nörgelte Dazai. Fukuzawa haderte damit, diese Frage erneut zu stellen. Sein ganzes Wesen sträubte sich dagegen. Jede einzelne Zelle in seinem Körper schien zu brennen. Dazai so zu sehen schmerzte ihn. Den sonst immer gut gelaunten, zu Scherzen aufgelegten Exzentriker, der nichts und niemanden ernst nahm und am liebsten auf der Besuchercoach im Eingangsfoyer schlief, während seine Kollegen ihre Arbeiten erledigten, so zu sehen, ließ ihn an sich selbst zweifeln. Verängstigt. Misstrauisch. Voller Furcht vor der Welt und ihm. Der Brünette senkte erneut den Blick.
 

„Bitte, ich tue alles, was du willst“, flüsterte er wie ein gebrochener Mann.
 

„Du musst mich auch nicht unter Drogen setzen, damit ich mit dir schlafe“, fügte er dann hinzu. Dazai zitterte am ganzen Körper.
 

Fukuzawa löste die Schnallen an seinen Gelenken und zog den Brünetten in seine Arme, hielt ihn einfach fest. Dazai zeigte keine Reaktion. Minutenlang hielt er ihn fest. Fukuzawa wusste nicht, was ihn am meisten verärgerte. Die Tatsache, dass Dazai zu geistesabwesend war, um ihn wieder zu erkennen und ihn fälschlicherweise für den perversen Doktor Mori hielt oder aber, dass Dazai so offensichtlich seine Ängste vor seinen Kollegen verheimlichte und er dies nie hinterfragt hatte. Beruhigend streichelte er ihm über den Rücken. Dazai drückte sein Gesicht in seine Halsbeuge, sagte nichts, suchte jedoch instinktiv nach Trost und Zuneigung.
 

„Es tut mir schrecklich leid, Dazai. Ich lasse nicht zu, dass Mori-sensei dir noch mal wehtut. Du gehörst zu meiner Familie und wenn nötig werde ich die gesamte Port Mafia in den Boden stampfen, um meine Familie, meine Kinder, zu schützen“, erklärte er. Dazai zuckte zusammen. Er war verwirrt. Realisierte er langsam, dass nicht Mori sondern Fukuzawa sich in diesem Raum befand? Zögerlich presste sich Dazai nun an ihn, erwiderte seine Umarmung. Sein Körper bebte.
 

Dazai... weint?
 

„Du klingst genauso wie Odasaku“, hauchte er, drückte sich dann von Fukuzawa weg. Er weinte nicht. Ein breites Lächeln zierte sein Gesicht. So falsch, dass dem Silberhaarigen schlecht wurde.
 

„Am Ende sterben sie alle, weil sie mir helfen wollen. Man kann mir nicht helfen. Niemand kann das“, erklärte er und zwang sich weiterhin zu seinem Lächeln.
 

Fukuzawa legte seine Hand auf Dazais Wange, dieser zuckte sofort zusammen.
 

„Unterschätze mich nicht, Dazai. Unterschätze nicht den Mut deiner Kollegen. Vertraue deiner Familie.“
 

Dazai wollte etwas erwidern, hinderte sich jedoch selbst daran, in dem er sich auf seine Unterlippe biss.
 

„Du bist ein wichtiger Teil meiner Detektei und ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um dich zu schützen, doch das kann ich nur, wenn du mir verrätst, was geschehen ist. Wieso haben diese Kerle dich entführt?“
 

Dazai sagte nichts, wandte stattdessen den Blick ab.
 

„Du hattest Informationen, die nicht nach draußen dringen durften, nicht wahr?“
 

Keine Antwort.
 

„Die Polizei hat herausgefunden, dass diese Männer aus der neuen Untergrundorganisation Henkō sind. Sie haben wochenlang versucht, sie aufzuspüren, hatten jedoch keine Hinweise auf ihren Verbleib. Sie haben nicht nur Waffen illegal ins Land geschmuggelt, sondern auch Drogen, haben mehrere Lagerhäuser anderer Verbrechersyndikate ausgeraubt und das Klima aufgeheizt“, meinte Fukuzawa. Sein Gesichtsausdruck war ernst. Seine Stimme fest.
 

Dazai nickte und öffnete dann seine Lippen einen Spalt breit.
 

„Ich weiß“, war alles, was er über die Lippen brachte.
 

„Du hast einen Bandenkrieg verhindert, der viele Zivilisten hineingezogen hätte und dank dir haben wir eine Schmugglerbande geschnappt, die Kinder und Jugendliche als Ziel ausgesucht hatten. Bist du dir im Klaren, was das bedeutet?“
 

Dazai nickte.
 

Dass ich Mori-san in die Hände gespielt habe und ihm geholfen habe, noch mehr an Macht und Territorium zu gewinnen.
 

„Richtig, du hast Menschen gerettet, die hätten sterben können. Ich bin nicht einverstanden damit, dass du dein eigenes Leben in Gefahr bringst und ich möchte, dass du zukünftig solche Aktionen mit mir und deinen Kollegen absprichst, aber ich bin stolz auf dich. Du hast das richtige getan“, meinte er. Dazai blinzelte verwirrt.
 

„Aber... ich habe indirekt Mori-san und der Port Mafia geholfen. Du solltest wütend sein und mich feuern“, erklärte er. Fukuzawa nahm Dazais Hand in seine, drückte sie sanft.
 

„Eine Familie hält zusammen. Niemals würde ich dich bestrafen. Du hast in deinem Leben bisher nur Hass und Angst erlebt, aber ich bin anders als Mori-sensei. Anders als all jene, die dir das angetan haben... Auch wenn du einen dummen Fehler machst – ganz egal, ob du mal wieder deine Rechnung nicht zahlen konntest oder einen Sachschaden verursacht hast – kannst du immer zu uns zurückkommen. Du bist jederzeit willkommen.“
 

Dazais Gesicht spiegelte Misstrauen wider. Dann senkte er den Blick. Fukuzawa glaubte ein rötliches Funkeln in seinen Augen erkennen zu können. Dieselbe Aura ging von ihm aus, wie von seinem verhassten Rivalen Mori. Doch Dazai war anders.
 

„Ich bin ein Mörder. Was wenn ich jemanden töte? Wirst du mich auch dann noch mit offenen Armen empfangen?“
 

„Dazai.“ Fukuzawas Stimme war mahnend. Er wollte nicht, dass Dazai weitersprach, doch dieser ignorierte seine Drohung.
 

„Du weißt, dass ich ein kaltblütiger Mörder bin. Ranpo-san hat dir sicher schon gesagt, dass ich diesen Mann ermordet habe. Ja. Ich war es. Ich habe ihn getötet. Diesen gar schäbigen Kerl! Und ich würde es wieder tun.“
 

„Es war Notwehr.“
 

„Spielt das eine Rolle? Ich bin ein Mörder! Ein Monster!“
 

Dazai war aufgebracht.
 

„Hättest du dich nicht gewehrt, hätte er dich getötet. Auch wenn du es dir einredest, du bist kein Monster. Du bist ein Mensch. Eine Person, die Hilfe braucht. Dazai. Ich werde dir nun etwas erzählen, was ich bisher keinem anderen erzählt habe. Vertraust du mir?“
 

Dazai wusste nicht, worauf Fukuzawa hinauswollte.
 

„Bevor ich die Detektei gegründet habe, war ich ein Assassine. Ich habe Menschen ermordet. Ich habe es geradezu genossen, meine Stärke unter Beweis zu stellen und ehe ich mich versah, haftete der Gestank von Tod und Verderben an mir. Eines Tages musste ich mich der Realität stellen. Weshalb arbeitete ich als Assassine? Um meine Fertigkeiten für das Gute einzusetzen oder... weil ich Freude am Töten hatte? Als mir dieser Gedanke kam, wusste ich, dass ich nicht anders war als Mori-sensei, den ich so sehr für seine abartigen Handlungen hasste. Ich habe nicht getötet, weil ich es musste, sondern weil ich tief in mir drinnen Spaß daran hatte.“
 

„Unmöglich“, wisperte Dazai und sah Fukuzawa schockiert an. Das war eine Lüge.
 

„Diese Erkenntnis machte mir Angst und ich befürchtete, dass ich meine Menschlichkeit verlöre, würde ich noch länger in diesem Job verweilen. Als ich Ranpo kennenlernte, war er gerade mal 16 Jahre alt. Ein dummes, aufmüpfiges Kind mit einer großen Klappe und gesegnet mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz. Als ich dieses verlorene Kind sah, da stellte ich mir tief in mir drinnen eine Frage: habe ich diesem Kind seine Zukunft geraubt, in dem ich achtlos seine Eltern tötete?“
 

Dazai wusste nicht so recht, worauf Fukuzawa hinaus wollte. Zumindest redete er sich das ein. Mit jedem Wort, das Fukuzawa aussprach, verstand er immer mehr. Er wollte es nicht verstehen. Vor langer Zeit meinte Mori zu ihm, dass er ihn an jemanden erinnerte. Endlich konnte er die Verknüpfung aufbauen, sah die Zusammenhänge, die ihm all die Zeit verborgen blieben. Mori wollte damals sagen, dass Dazai Fukuzawa ähnlich war. Denn sie beide sahen einen Wert im Leben. Fukuzawa hatte seinen Dienst als Assassine gekündigt und stattdessen eine andere Richtung eingeschlagen, hatte Reue gezeigt und geschworen, seine Verbrechen wiedergutzumachen. Er kümmerte sich um die Befähigten dieser Stadt, gab Waisenkindern ein Zuhause und brachte ihnen bei, für sich selbst einzustehen und zu kämpfen.
 

Auch Dazai konnte nicht anders, als seine Taten zu hinterfragen. Obwohl er und Mori sich so ähnlich waren und sich durchschauten und in Wort und Tat sich gegenseitig zu manipulieren versuchten, so gab es immer etwas, das sie unterschied: Dazais Vermögen andere Menschen in sein Herz zu lassen und sein logisches Denken beeinflussen zu lassen. Oda hatte Dazais geschundenes Herz bewegt und ihm Licht in der Finsternis geschenkt. Dass Oda sterben musste, hatte Dazai aus der Bahn geworfen. Das Schlimmste war, dass er Moris Beweggründe verstand und er wusste, dass er, aus der Sicht eines Anführers einer solch großen und mächtigen Organisation, das richtige getan hatte. Doch sein Herz blutete. Sein Verstand sagte ihm, dass Odas Tod im Sinne der Organisation gerechtfertigt war. Sein Herz sagte ihm, dass es falsch war, dass er auf keinen Fall an Moris Seite verweilen durfte. Vor allem wenn er nicht noch mehr Menschen verlieren wollte. Er wollte diese Gefühl der Reue und der tiefen Trauer niemals wieder erleben müssen.
 

„Durch den Krieg haben wir alle viel verloren. Nicht nur Yokohama ist voll von Waisen, auch heute noch ist der Wiederaufbau an vielen Ecken noch nicht abgeschlossen. Doch die Vergangenheit darf unsere Entscheidungen der Zukunft nicht beeinflussen. Ich war auch ein Mörder. Ich kann das nicht ungeschehen machen, kann niemanden zurückbringen, aber ich kann aus meinen Fehlern lernen und einen anderen Weg einschlagen. Wir alle haben die Freiheit uns zu entscheiden, was wir zukünftig machen wollen.“
 

„Ich hätte Galos beinahe umgebracht, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte. Was ist, wenn das wieder passiert?“, murmelte Dazai, wagte es nicht mehr, Fukuzawa ins Gesicht zu sehen.
 

„Dazai.“
 

„Ich habe keine Kontrolle über mich selbst! Ich bringe nicht nur mich, sondern auch euch in Gefahr. Ich bin nicht so wie du, Fukuzawa-san. Ich bin ein gesuchter Mann im Untergrund und solange ich lebe, wird meine Vergangenheit mich immer und immer wieder einholen! Ich kann nicht davonlaufen und einfach einen Schlussstrich ziehen.“
 

Dazai“, wiederholte Fukuzawa lauter.
 

„Ich hasse es“, hauchte er, verzog dann wütend das Gesicht, ballte seine Hände zu Fäuste.
 

„Ich verdiene all das Gute nicht. Ich hasse mich dafür, wie einfach es mir fällt, das Leben anderer auszulöschen. In der Hinsicht bin ich genauso wie Mori-san! Ich verdiene es nicht, dass irgendjemand sich um mich sorgt, mir helfen will oder gar für mich da ist. Es ist nicht nur meine Vergangenheit, die mich verfolgt, sondern auch mein eigener Schatten.“
 

„Dazai Osamu!“, kam es nun noch lauter von Fukuzawa. Sein Gesichtsausdruck war todernst.
 

„Du wirst mir nun aufmerksam zuhören. Du hast viele schreckliche Dinge in deinem Leben getan. Du hast Menschen verletzt, getötet und gequält. Das macht dich zu einem schlechten Menschen!“
 

Dazai sah ihn an, stimmte ihm tonlos zu. Endlich verstand Fukuzawa ihn!
 

„Auch du bist ein Mensch, man hat dich verletzt und gequält. Du hast das getan, was du zu diesem Zeitpunkt für das richtige hieltest. Du wusstest es nicht besser, deshalb werde ich dir deine Vergangenheit nicht vorwerfen. Ich habe nicht das Recht dazu. Ich möchte aber, dass du weißt, dass nur du und du allein entscheiden kannst, auf welcher Seite zu stehst. Es ist nie zu spät, sich dafür zu entscheiden, das Richtige zu tun. Du kannst immer noch ein Teil dieser Welt sein.“
 

„Heh.“ Dazai ließ den Kopf hängen. Er lachte verächtlich.
 

„Ich kapier es einfach nicht“, wisperte er und schüttelte den Kopf.
 

„Du musst das nicht alleine tun. Wenn du denkst, dass du das nicht alleine kannst – deine Familie steht hinter dir und wird dir helfen. Auch wenn du es nicht begreifen kannst, wir vertrauen dir und du kannst dich auf uns verlassen.“
 

Keine Reaktion.
 

„Das ist irrational.“
 

„Dazai?“
 

„Ganz egal, wie sehr ich meinen Grips anstrenge und drüber nachdenke... welchen Vorteil schlägst du daraus, einen Mörder wie mich in deiner Detektei beizubehalten? Ich ziehe den Ärger magisch an. Solange ich am Leben bin, wird es immer wieder Feinde geben, die uns angreifen werden. Ich bin eine potenzielle Gefahr für die Detektei und darüber hinaus koste ich dich Unmengen an Geld. Allein meine Behandlungskosten! Wie hoch ist die Rechnung dieses Mal? Wenn du mich in deiner Detektei behältst, wirst du irgendwann Insolvenz anmelden müssen, dann kann dir auch die Regierung nicht mehr helfen–“
 

„Ango-san hat die Kosten übernommen, es gibt nichts, worüber du dir Sorgen machen musst. Und die finanziellen Dinge lass meine Sorge sein. Wir haben genug Aufträge, da macht auch die ein oder andere Anklage wegen Sachbeschädigung nichts aus“, meinte Fukuzawa, versuchte Dazai zu beruhigen.
 

„Ich verstehe es einfach nicht“, hauchte er und starrte gedankenverloren die Bettdecke an.
 

„Dazai“, begann Fukuzawa. Etwas tropfte von Dazais Wange hinab. Er legte behutsam eine Hand unter Dazais Kinn und zwang ihn aufzusehen. Dazai Osamu weinte.
 

„Hey, du musst nicht weinen. Es ist alles in Ordnung. Hör auf, dich selbst als Last zu sehen“, versuchte es Fukuzawa erneut.
 

„Was? Warum? Tränen? Ich habe noch nie geweint! Ich... ich will das nicht“, wimmerte er und schlug nun Fukuzawas Hand weg, wischte sich die Tränen weg. Wieso weinte er? Was hatte das zu bedeuten? In seinem ganzen Leben hatte er nie Tränen vor anderen vergossen, also wieso verriet ihn sein Körper auf diese Art und Weise? War das sein Unterbewusstsein, das verzweifelt nach Halt suchte und Fukuzawas Worten Glauben schenken wollte? Sein tiefer Wunsch nach Sicherheit und einem Zuhause? Sein Verlangen danach, anderen Menschen vertrauen zu können?
 

„Was stimmt denn nur nicht mit mir? Verdammt! Warum kann ich nicht aufhören zu heulen?“
 

Dazais raufte sich nun die Haare, während sein Blick verriet, wie verzweifelt und hilflos er war.
 

„Menschen weinen, wenn sie traurig sind. Du bist ein Mensch.“
 

„Das stimmt nicht! Ich bin ein Monster! Eine Schande! Sieh mich doch nur an!“
 

Dazai keuchte und zeigte auf seine Verbände, wollte den Verband von seinem linken Arm abreißen, doch Fukuzawa hielt ihn auf. „Ich bin kein Mensch... ich bin kaputt, habe ein schändliches Leben geführt...“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Me: Ich schreib einen Oneshot!
Also me: *ist nach 10 Kapiteln immer noch nicht fertig mit dem "OS"*

𝕊𝕠𝕞𝕖𝕓𝕠𝕕𝕪 𝕙𝕖𝕝𝕡 𝕞𝕖... Σ(っ゚Д゚;)っ Komplett anzeigen

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