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Weihnachten woanders?

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Weihnachten woanders?

Bei uns laufen seit ein paar Jahren alle Heiligabende nach dem ziemlich gleichen Schema ab. Ich gehe mit meinem Vater am frühen Nachmittag in die Kirche. Danach fahren wir zu meiner Oma zum Essen, es gibt Zwiebelschnitzel in Soße und Spätzle. Neben meinem Vater und meinen Großeltern sind auch noch mein Onkel und ein Cousin meiner Mutter zum Essen da. Meine Oma gibt sich jedes Jahr große Mühe mit allen Vorbereitungen. Zu der Hauptspeise gibt es immer Salat, um den sie sich mit großer Sorgfalt kümmert. Natürlich schmeckt es alle Jahre wunderbar und ich liebe ihre Salate. Davon kann ich nie genug bekommen. Aber alle Jahre ist es das Gleiche. Direkt nach dem Essen räumen wir gemeinsam den Tisch ab und mein Onkel und der Cousin meiner Mutter setzen sich ins Wohnzimmer und schalten den Fernseher ein. Und ich weiß genau, dass mein Vater das hasst. Er versteht nicht, warum man nicht einfach noch sitzen bleiben und miteinander reden kann. Aber er sagt nichts, weil mein Onkel schnell eingeschnappt und beleidigt sein kann. So sitzt er meistens allein, mit meinem Opa hinten im Esszimmer und die beiden unterhalten sich. Ich helfe meiner Oma beim Abwasch, denn sie fängt immer direkt nach dem Essen damit an und ich möchte nicht, dass sie das alles alleine macht. Der Rest der Familie sitzt vor dem Fernseher und sieht sich irgendeinen Film an. Die absolute Gruppenbildung. Keine Spur von Besinnlichkeit oder Miteinander. Wenn der Abwasch fertig ist, holt meine Oma ein kleines silbernes Glöckchen aus dem Schlafzimmer und läutet damit. Der helle Klang ist in der ganzen Wohnung zu hören. Das ist das Zeichen, dass „das Christkind da war“, und die Bescherung beginnen kann. Dann wird immerhin auch der Fernseher abgeschaltet, man sitzt zusammen und packt die Geschenke aus. Man freut sich, bedankt sich und für einen kurzen Moment kommt doch ein klein wenig Besinnlichkeit auf. Dann sind alle Geschenke ausgepackt, das gebrauchte Geschenkpapier kommt in eine Tüte und wird weggeräumt. Und der Moment ist vorbei.
 

Doch vor ein paar Jahren war alles anders …
 

Einmal vor einigen Jahren habe wir Weihnachten nicht zu Hause verbracht. Wenige Wochen vor dem Fest musste meine Oma operiert werden und an Heiligabend wäre sie deshalb noch in der Reha, weil sie noch nicht nach Hause darf. Also feierten wir Weihnachten in diesem Jahr nicht bei meiner Oma zu Hause, sondern bei ihr im Reha-Zentrum in einer anderen Stadt, ein gutes Stück weit weg von zu Hause. Mitgekommen sind damals mein Vater und mein Opa, der Rest der Familie blieb zu Hause. Ich fragte mich, ob ein Weihnachten nicht zu Hause überhaupt ein richtiges Weihnachten wäre. Und war etwas ängstlich, dass das Fest nicht so verlaufen würde wie sonst gewohnt. Aber ich sagte nichts, schließlich würden wir ja meine Oma besuchen gehen. Trotzdem machte ich mir insgeheim ein wenig Sorgen, dass es nicht so „gemütlich“ werden würde wie all die Jahre zuvor. Im Kreise der Familie, mit einem kleinen Miniatur-Baum unter den die Geschenke gelegt wurden. Es war ein bereits fertig geschmückter Baum, den man nur aufstellen musste. Denn selbst einen Baum zu schmücken, war in den letzen Jahren mehr und mehr zu viel Aufwand und Stress für meine Großeltern geworden.
 

Jedenfalls packten wir dieses Jahr alle Geschenke ins Auto und fuhren Richtung Reha-Zentrum. Als wir ankamen, war ich im ersten Moment positiv überrascht. Das Zentrum war ein großer heller Glasbau und wirkte sehr freundlich, fast sogar einladend. Nachdem wir den Eingangsbereich betreten hatten, erkundigten wir uns nach der Zimmernummer meiner Oma. Auf ihrem Zimmer angekommen begrüßten wir uns und legten dort alle Geschenke für die spätere Bescherung ab. Zuerst aber gingen wir gemeinsam zurück zum Eingangsbereich, von dem aus ein gläserner Gang in einen größere Raum mit hoher Decke führte. Es war eine Art Hauptraum, der auch für Versammlungen genutzt wurde. Dort waren viele Stühle aufgestellt und an einem Ende des Raumes war eine kleine Bühne mit einem Mikrofon aufgebaut. Neben der Bühne stand ein mehrere Meter hoher Weihnachtsbaum, der bis kapp unter die Decke reichte. Kein Vergleich zu unserem Miniatur-Baum zu Hause. Er war über und über mit Lichtern geschmückt und hätte wohl alleine schon fast ausgereicht, um den ganzen Raum zu erhellen. Ich setze mich mit meinem Vater und meinen Großeltern in die fünfte Reihe und allmählich füllte sich der Raum mehr und mehr mit Patienten. Auf den Stühlen lagen Programme des Abends, denn die Pfleger wollten ihren Patienten ein schönes Weihnachtsfest bescheren, auch wenn sie nicht zu Hause feiern konnten. Etwa zehn Minuten später ging es dann los. Mehrere Pfleger und Redner betraten nacheinander die Bühne. Es wurden Geschichten erzählt, lustige und nachdenkliche, Lieder gesungen, Gedanken zum Weihnachtsfest ausgesprochen und Wünsche für die Zukunft weitergegeben. Ich war positiv überrascht, denn so schön und besinnlich hätte ich es mir gar nicht vorgestellt. Der Höhepunkt des Abends war eine Tombola. Alle Patienten bekamen eine Nummer und später das zu dieser Nummer zugehörige Päckchen. Ich weiß noch, dass meine Oma Löffel mit Strohhalm-Funktion bekommen hat und ich mir dachte: Wow, das ist nützlich, nicht schlecht.
 

Als das Programm beendet war, kehrten wir aufs Zimmer zurück, um unsere eigene Bescherung zu feiern. Ich kann nicht mehr genau sagen, was ich damals bekommen habe, aber ich kann sagen, dass es eines der schönsten Weihnachtsfeste der letzen Jahre war. Es war das Fest, an dem ich habe gelernt, dass es völlig egal ist, wo man Weihnachten feiert. Solange man bei seiner Familie und seinen Lieben ist, kann man überall feiern. Ich wünschte wir könnten Weihnachten jedes Jahr so verbringen, wie damals.
 

Aber nicht alle Wünsche können in Erfüllung gehen.



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