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❄ Unverhofft kommt oft ❄

von

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Unzählige Schneeflocken wirbelten umher, als wären sie abertausende kleine Balletttänzer. Eigentlich recht hübsch anzusehen, wenn da nicht der Umstand wäre, dass mir dadurch immer mehr die Sicht auf die Straße genommen wurde. Ich konnte immer weniger erkennen und obwohl ich so langsam wie möglich fuhr, hatte ich große Mühe, mein Fahrzeug halbwegs gerade zu halten. Das Eis, welches sich auf der Fahrbahn gebildet hatte, war mir also auch keine all zu große Hilfe. Ich stieß ein frustriertes Seufzen aus.

„Okay, Google.“, versuchte ich den Sprachassistent meines Handys zu aktivieren, „Wie spät ist es?“

„Es ist Zwanzig Uhr Sieben.“, ertönte sofort eine weibliche Stimme, deren Emotionen vollkommen auf der Strecke geblieben waren.

Doch was sollte man auch großartig von einem Smartphone erwarten? Das es einen mit Herzlichkeit überschütten würde? Wohl kaum.

Ein weiteres Seufzen entfuhr mir. Ich war schon viel zu spät dran. Das Abendessen hatte schon vor sieben Minuten begonnen und so wie es den Anschein hatte, würde ich noch eine ganze Weile brauchen, bis ich die Stadt meiner Eltern erreichen würde. So ein verdammter Mist aber auch! Da hatte man schon Winterreifen drauf und es nützte einen trotzdem nichts. Und hätte der Wetterbericht vor diesem blöden Schneesturm gewarnt, wäre ich extra früher losgefahren, doch so hatte ich keine Chance. Bei dieser Sache zog ich klar den Kürzeren. Also so hatte ich mir den diesjährigen Heiligabend ganz bestimmt nicht vorgestellt. Inmitten einer Pampa auf der Landstraße, umzingelt von zahlreichen, weißen Flöckchen und jede Menge Eis, welches man noch nicht mal auf einer Waffel essen konnte! Eigentlich liebte ich Schnee abgöttisch, doch heute Abend war es das erste Mal, dass ich diese Wetterlage regelrecht verfluchte.

 

Wie aus heiterem Himmel tauchten vor mir zwei grelle Scheinwerfer auf. Ich hatte keine Ahnung, woher sie auf einmal kamen. Plötzlich waren sie da und sie kamen auf mich zu!

Erschrocken weitete ich die Augen und riss mit einer hektischen Bewegung das Steuer nach rechts. Dadurch ruckelte es verdächtig, da ich mein Auto komplett von der Spur riss und geradewegs in den düsteren Wald hineinsteuerte. Ich befürchtete sogar, mein Fahrzeug könnte jeden Moment auseinanderbrechen. Sofort drückte ich auf die Bremse, und konnte gerade so noch einen Zusammenstoß mit einer Birke verhindern. Zittrig atmete ich tief ein und aus und versuchte meinen Pulsschlag zu beruhigen. Dann versuchte ich mein Auto wieder zu starten, in der Hoffnung, ich könnte durch den Rückwärtsgang zurück auf die Straße gelangen. Doch es tat sich nichts.

„Na super.“

Ich griff nach meinem Telefon, um meine Eltern und einen Abschleppdienst anzurufen, musste dann jedoch voller Enttäuschung feststellen, dass ich gar kein Netz hatte. Das hätte ich mir ja auch denken können... Konnte dieser Abend denn überhaupt noch schlimmer werden? Also eine Sache stand schon mal fest: Dieser Heiligabend kam garantiert nicht auf meine persönliche Top-10-Liste.

Da ich mich mit dieser Situation nicht zufrieden geben wollte, schnappte ich mir einfach kurzentschlossen meine Jacke, sowie mein Handy und stieg aus. Die Winterlandschaft, die sich vor mir erstreckte, bot definitiv genug Stoff für einen kitschigen Weihnachtsfilm. Meine derzeitige Begeisterung hielt sich jedoch in Grenzen. Ich wollte einfach nur noch bei meinen Eltern ankommen und mich mit einer kuscheligen Wolldecke, einer heißen Schokolade mit Marshmallows und jeder Menge Sahne, in einen Sessel vor den Kamin lümmeln. Angetrieben von diesem Gedanken ging ich los. Dann musste ich eben zu Fuß zurück zur Landstraße und darauf hoffen, dass ich dort endlich Netz haben würde. Oder auf einen anderen Autofahrer warten.

 

Schlecht gelaunt stapfte ich durch den knöchelhohen Schnee, während sich weiße Flocken in meinen Haaren verfingen. Mein Handy musste als Taschenlampe herhalten, denn sonst hätte ich kaum noch einen Fuß vor den nächsten setzen können, ohne ständig Gefahr zu laufen, den nächstbesten Berg hinunterzustürzen. Ich ließ meinen Blick leicht umherwandern. Ich war mir eigentlich komplett sicher, in die richtige Richtung zu gehen, doch ich konnte nicht mal annähernd die Lichter der Landstraße erkennen und da ich kein Netz hatte, hatte ich folglich auch keine Internetverbindung. Ich hätte vielleicht vorher so schlau sein sollen, und mir die Karten von Google Maps herunterladen müssen, so dass ich sie auch offline hätte aufrufen können. Tja, Pech gehabt. So schnell würde ich aus diesem Wald wohl nicht mehr herauskommen. Also war es vielleicht besser, wieder zurück zum Auto zu gehen. Es wäre zwar nicht der idealste Ort, um Heiligabend zu verbringen, doch wenigstens würde ich so vor der Kälte geschützt sein. Das war eindeutig besser, als draußen in einem Schneesturm herumzulaufen.

Ich wollte gerade umdrehen, um zurück zu mein Auto zu gelangen, als mir plötzlich auf der linken Seite ein paar warme Lichter auffielen. Nanu? Wo kamen die denn auf einmal her? Ich überlegte einen Moment, ob ich diesen Lichtern einfach folgen oder es lieber sein lassen sollte. Es gab schließlich die seltsamsten Geschichten über plötzlich auftauchende Lichter und meist hatten sie etwas miteinander gemeinsam. Es nahm kein gutes Ende. Also sollte ich das Risiko tatsächlich auf mich nehmen? Doch welche Alternative blieb mir denn? Im Auto zu hocken und dort auf Rettung zu hoffen, war auch nicht gerade das gelbe vom Ei. Also Augen zu und durch. Ich würde schon keinem Massenmörder begegnen. Zumindest hoffte ich das.

Je näher ich den Lichtern kam, desto mehr wurde mir bewusst, dass es sich hierbei um Weihnachtsbeleuchtung handelte. Sie tauchte eine kleine Holzhütte in einen mystischen Glanz. Doch die Lichterketten waren nicht die einzige Dekoration. Das Geländer war voll von dunkelroten, schillernden Girlanden, die zudem noch eine weitere dekorative Kette zu bieten hatte. Diese war silbern und es wirkte, als wären kleine Eiszapfen dran. Außerdem stand ein Schneemann neben der Haustür, der mich aufmerksam zu betrachten schien. Er war so voller Glitzerstaub, dass ich fast schon befürchtete, dass der nächste Windstoß mich damit eindecken würde. Die Hütte schien bewohnt zu sein, daran bestand kein Zweifel. Als ich zu den Fenstern spähte, konnte ich definitiv einen Schatten ausmachen, der sich bewegte. Und war vom Inneren des Hauses tatsächlich Weihnachtsmusik zu hören?

Ich zögerte kurz, dann fasste ich Mut, trat an die Tür heran und klopfte. Ein paar Sekunden passierte nichts, doch dann wurde die Tür von einer kleinen, rundlichen Frau geöffnet. Ihre braunen Augen strahlten pure Wärme und Freundlichkeit aus. Sie trug ein rotes Kleid aus Samt. Darüber hatte sie eine weiße Schürze. Ihre langen silbergrauen Haare hatte sie in einer hübschen Hochsteckfrisur verpackt. Sie wurde auf der linken Seite mit einer wunderschönen Haarnadel verziert, welche die Form eines Mistelzweiges hatte. Alles in allem wirkte sie fast schon wie die Frau des Weihnachtsmannes! Doch dieser Gedanke war völlig verrückt, so dass ich ihn schnell verwarf, auch wenn es im Inneren des Hauses verführerisch nach Plätzchen duftete.

„Oh, Liebes. Ich habe schon auf dich gewartet.“, meinte die ältere Dame.

Ich blinzelte.

„Ach ja?“

Sie nickte und ehe ich reagieren konnte, hatte sie mich auch schon in ihre wohlig warme Hütte geschoben.

„Die Schneeflocken haben mir deine Ankunft angekündigt.“, erklärte sie.

„Die Schneeflocken. Natürlich.“, kommentierte ich ungläubig.

Sie lachte leicht, während sie die Tür hinter mir verschloss, damit kein eisiger Wind mehr hineinwehen konnte.

„Ja, was glaubst du denn? Eine Brieftaube hat es mir in diesem Schneesturm ganz bestimmt nicht gezwitschert, Kind.“, erwiderte sie.

Ich hatte keine Ahnung ob das als Scherz gemeint war oder nicht. Denn dabei klang sie so verdammt gelassen, dass ich fast schon befürchtete, sie könnte es ernst meinen.

„Haben sie vielleicht ein Telefon? Ich muss dringend einen Abschleppdienst rufen.“.

Ich versuchte einfach ihre merkwürdigen Sätze zu ignorieren, die in meinen Augen überhaupt keinen Sinn machten. Vielleicht hatte diese Frau ja eine Art Weihnachtskoller, falls es so etwas gab.

„Verzeih mein Kind, doch so etwas besitze ich nicht.“

Noch ehe ich den Mund aufmachen konnte, um zu sprechen, fügte sie hinzu:

„Ich verspreche dir, dass sich um dein Auto gekümmert wird. Doch fürs Erste solltest du hierbleiben und den Schneesturm abwarten. Es würde nichts bringen, jetzt noch hinaus zu gehen. Außerdem ist Heiligabend und ich habe mehr zu Essen da, als ich alleine jemals schaffen würde. Also tue einer alten Dame den gefallen und bleibe zum Abendessen.“

„Ja, aber-“, setzte ich an.

„So musst du wenigstens nicht hungrig durch den Schnee laufen. Außerdem gibt es jede Menge frisch gebackener Plätzchen und heiße Schokolade.“

Seufzend gab ich mich geschlagen. Wenn es der alten Frau so viel bedeutete, dann bitte. Dann würde ich eben den heiligen Abend mit ihr gemeinsam in dieser Hüte verbringen. Im Moment sah es eh nicht wirklich danach aus, dass ich es heute noch zu meinen Eltern schaffen würde. Zum Glück hatte ich ihnen vor meiner Abreise gesagt, dass ich nicht wüsste, ob ich es rechtzeitig zum Abendessen schaffen würde und das es gut sein kann, dass ich erst am Weihnachtsmorgen ankomme. Somit hatte ich wenigstens ein Problem weniger. Meine Eltern würden sich keine Sorgen machen.

 

Das Abendessen war wirklich wundervoll gewesen. Es hatte Eierpunsch gegeben, sowie einen Truthahn mit leckerer Cranberryfüllung, grünen Bohnen und Maisbrot. Und das Dessert war ein wahrer Traum. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals einen so leckeren Schokoladenkuchen gegessen zu haben. Er hatte sogar einen flüssigen Kern gehabt! Und nun lümmelte ich vollgefuttert auf einem Sessel und starrte gedankenverloren in den Kamin, während ich in meiner rechten Hand eine dampfende Tasse voller heißer Schokolade hielt. Die Frau war wirklich einzigartig. Zwar war sie mir immer noch ein Rätsel, doch man spürte einfach, dass sie ein herzensguter Mensch war. Wenn sie lachte (und das hatte sie im Verlauf des Abends ziemlich oft gemacht), bildeten sich um ihre Augen kleine Fältchen, die es irgendwie schafften, sie um Jahrzehnte zu verjüngen. Sie schien den Geist der Weihnacht regelrecht aufgesogen zu haben, wie ein Schwamm das Wasser. Ich erwischte mich sogar selbst dabei, wie ich abermals darüber nachdachte, dass sie die perfekte Frau des Weihnachtsmanns sein könnte.

Ich trank den Rest meiner Schokolade aus und stellte den Becher auf einen kleinen Tisch. Nachdenklich betrachtete ich die Flammen des Kaminfeuers. Es war zwar nicht unbedingt der Heiligabend, den ich mir gewünscht hatte, doch ich hätte es definitiv schlechter treffen können. Es gab viele Leute, die weder Geld für ein Weihnachtsessen, noch für Geschenke hatten. Manche von ihnen hatten nicht einmal ein Dach über den Kopf. Diese alte Dame hatte mich daran erinnert, dass es bei Weihnachten um so viel mehr ging. Es spielte keine Rolle, wo man sich befand und wie man feierte. Es gab kein Richtig oder Falsch. Wichtig war nur, dass man den Geist der Weihnacht weiter trug und für die Menschen da war, die man liebte oder man anderen etwas Gutes tat. Je länger ich darüber nachdachte und ins Feuer schaute, desto schwerer wurden meine Augen. Bei all dem Trubel hatte ich völlig vergessen, wie erschöpft ich doch eigentlich war. Und so konnte nicht verhindern, dass ich einschlief.

 

Als ich wieder aufwachte, saß ich immer noch. Allerdings nicht dort, wo ich es vermutet hätte. Von dem Sessel und dem Kamin fehlte jede Spur. Genauso wie von der alten Dame und ihrer kleinen Hütte. Ich befand mich in meinem Auto, welches auf dem Seitenstreifen parkte. Das Schneetreiben hatte aufgehört. Stattdessen funkelten unzählige Sterne am Himmel um die Wette. Auch das Eis auf den Straßen war verschwunden und mein Handy hatte wieder seinen gewohnten Platz in seiner Halterung eingenommen, um per Sprachbefehl gesteuert zu werden.

„Okay, Google. Wie spät ist es?“, fragte ich.

„Es ist Zwanzig Uhr Sieben.“, antwortete mir die vertraute, monotone Stimme.

Wie bitte?! Es war Zwanzig Uhr Sieben? Aber das konnte doch unmöglich sein! War ich etwa eingeschlafen, ohne es zu merken? Doch wieso stand mein Fahrzeug auf dem Seitenstreifen? Ich konnte mich nicht daran erinnern, es hier jemals abgestellt zu haben. Oder hatte ich etwa einen ganz üblen Filmriss? Hatte mir diese alte Dame etwa irgendetwas in den Eierpunsch gekippt? Oder war all das etwa nur meiner eigenen Phantasie entsprungen?

 

Als ich den Wagen starten wollte, stellte ich fest, dass der Schlüssel fehlte. Ich konnte nicht erklären warum, doch irgendetwas riet mir, im Handschuhfach nachzusehen. Und siehe da – da war er! Mein Autoschlüssel. Doch dieser war nicht der einzige Gegenstand, den ich dort fand. Dort war auch eine wunderschöne Haarnadel, die an einen Mistelzweig erinnerte. Und an dieser Haarnadel befand sich eine kleine Nachricht.

 

Mein liebes Kind,

 

ich habe dir versprochen, dass sich um dein Auto gekümmert wird und ich halte meine Versprechen. Vielen Dank, dass du mit mir Heiligabend verbracht hast. Es war wirklich sehr schön, zur Abwechslung etwas Gesellschaft zu haben. Da du mir deine Zeit geschenkt hast, ist es das Mindeste, dass ich dir diese Zeit zurückschenke, damit du den heutigen Abend mit deiner Familie verbringen kannst. Und nimm bitte diese Haarnadel als kleines Dankeschön. Ich wünsche dir frohe Weihnachten. Bleib wie du bist und vergiss bitte niemals, worauf es an Weihnachten wirklich ankommt. Es ist das Fest der Liebe. Bewahre stets den Geist der Weihnacht in deinem Herzen, denn dann ist es ganz gleich, an welchem Ort du dich befindest, um glücklich zu sein.

 

Viele Grüße

 

Mrs. Claus



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