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Still und starr ruht der See

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Still und starr ruht der See

Atemwolken tanzten aus ihrer Mund und stiegen hinauf in den stahlblauen Himmel, der viel zu blau und klar war. Er spiegelt sich im See, der so still und starr da lag, als gäbe es nichts, was ihn noch einmal in Bewegung setzten würde. Als wäre er genauso wie alles um ihn herum gestorben.

Der Wind durchschnitt mit seiner kalten Hand alles und sie bibberte trotz ihrer vielen Kleidungsschichten. Sie fühlte sich unter diesem klaren blauen Himmel seltsam entblößt.

Alles um sie herum war durch die Wintersonne so klar und scharf gezeichnet, als ob sie sich daran schneiden würde, wenn sie sich bewegte. Selbst das Atmen fiel ihr in dieser Kälte schwer. Die kalte Luft drückte ihr auf die Lungen und ihre Brust fühlte sich an, als hätte sie sich ihr engstes Korsett angelegt und es dann auch noch zu fest geschnürt. Doch das war ihr alles gleichgültig.

Sie hatte raus gemusst. Einfach weg von allem. Es hatte keinen kalten Wind gegeben, aber ihre Brust war auch schon vorher zugeschnürt gewesen. Hier draußen hatte sie wenigstens das Gefühl Atmen zu können, auch wenn es ihr schwerfiel, so sah sie doch die Atemwolken aufsteigen, die ihr bewiesen, dass sie noch am Leben war.

Drinnen hatte sie das Gefühl gehabt langsam zu ersticken. Alles hatte auf sie niedergedrückt. Sie hatte versucht alles zu verdrängen. Sich keiner Schuld bewusst zu sein, doch hier draußen wusste sie, dass sie sich dort drinnen nur selbst belogen hatte. Es war nicht alles in Ordnung und sie war daran selbst Schuld. Nur sie alleine hatte sich selbst die Luft zum Atmen genommen. Doch auch das war noch nicht die ganze Wahrheit.

Sie nahm einen weiteren kalten, schmerzhaften Atemzug. Eigentlich wollte sie nicht an ihn denken, ihn genauso verdrängen wie ihre Schuld, doch es war zwecklos. Sein Bild war überall, sein Name lag ihr bereitwillig auf den Lippen und wollte ausgesprochen, raus geschrien werden. Sie konnte seine Berührungen auf ihrer Haut fühlen. Sie fröstelte bei dem Gedanken an seine Hände, die über ihren Körper fuhren und sie lebendig fühlen lassen konnten. Wenn sie bei ihm war, konnte sie atmen, fühlte sich wieder ganz und nicht völlig zerrissen. Vor allem fühlte sie sich menschlich und nicht wie ein Monster. Doch zeitgleich spiegelte seine Augen das Monster in ihr wieder und er erinnerte sie an ihre Schuld. Daran, dass er eigentlich ein anderes Mädchen lieben sollte. Wenn sie ihn ansah, dachte sie an einen anderen, der an seiner Stelle sein sollte, doch den ihre Schuld ins Exil getrieben hatte. Sie waren nicht füreinander bestimmt. Ihre Schuld hatte sie einander in die Arme getrieben und würde sie auch wieder auseinanderreißen.

Weitere Atemwolken stiegen auf und sie spürte auch Tränen, die sich ihren Weg heraus bahnen wollten, doch sie verdrängte sie. Der Schmerz in ihrer Brust war schon schlimm genug. Endlich verstand sie das Wort Herzschmerz und fragte sich, warum ihr Herz überhaupt schmerzte, wenn ihre Seele doch blutend darniederlag. Es pumpte doch nur das Blut durch ihre Adern und versorgte ihren Körper mit Sauerstoff. Was konnte ihr Herz schon von den Schmerzen ihrer Seele wissen? Warum fühlte es sich so an, als klaffte ein dunkles Loch in ihrer Brust? Sie zitterte. Nicht vor Kälte, sondern weil ihre Gefühle ihr Angst machten. So verletzlich, so kaputt hatte sie sich noch nie gefühlt. Sie war die Marquise, über alles erhaben.

Doch nur ein Gedanke an seine Augen, sein Name, der in ihrem Kopf kreiste und sie wollte nur noch schreien. Alles heraus lassen. Sich von ihrer Schuld und diesem Schmerz befreien. Endlich wieder frei atmen. Egal wie sehr sie es sich wünschte, sie musste Haltung bewahren. Es ging hier schließlich nicht um sie alleine. Sie konnte nicht zerbrechen. Nein, sie würde niemals klein beigeben. Egal wie sehr sie es wollte. Egal wie sehr sie ihn wollte.

Es wäre einfacher, wenn er nicht überall wäre. Er schien sie auf jeden Schritt zu verfolgen und selbst wenn er nicht da war, konnte sie seine Präsenz nicht abschütteln. Er schnitt ihr genauso sehr die Luft ab, wie er ihr die Möglichkeit gab zu atmen. Sie wollte sich von seiner erdrückenden Anwesenheit befreien, doch sie wusste nicht wie. Wie verbannte man jemanden in die äußersten Winkels seines Denkens? Wie konnte man alle Erinnerungen an seine Berührungen, seine Nähe, auf Nimmerwiedersehen in den Nebel des Vergessens schicken?

Hier draußen am See schien alles so weit weg zu sein. Vielleicht konnte sie einfach hier stehen bleiben und wie der See erstarren. Falls der Frühling dann jemals dem Winter ein Ende bereiten würde, könnte er ihr neues Leben einhauchen und sie würde alles hinter sich lassen können. Warum konnte sie keine Blume sein, die als Samen den eisigen Winter überdauerte? Oder ein Fisch, der unter der Eisfläche im See ganz dicht am Grund auf die Wärme wartete.
 

Dort am Grund des Sees lag ihr Geheimnis tief unter Morast begraben. Für einen Augenblick sah sie die blutige Statue aus den Tiefen auftauchen und durch die starre Oberfläche brechen, nur um sie zu verspotten. Dachte sie wirklich, dass sie einfach vergessen konnte?

Plötzlich fiel ihr das Atmen auch hier draußen hundertmal schwerer. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herunter, als sie an das Mädchen dachte, dass einmal ihre beste Freundin gewesen war. Sie konnte nicht vergessen, dass Marina selbst nicht unschuldig an ihrem Schicksal gewesen war, denn schließlich hatte sie sich auf Abwege führen lassen und ihre Freundschaft mit Füßen getreten.

Doch sie musste sich auch ihre eigene Schuld eingestehen. War sie es nicht gewesen, die Polo ins Abseits gedrängt hatte? War sie nicht in Panik verfallen und hatte sich verzweifelt darum bemüht die Armbanduhr ihres Vaters unter allen Umständen wieder zurückzubekommen? Ihre Angst hatte sie blind gemacht. Die Wut und Enttäuschung ihres Vaters, weil sie den Dieben erst die Möglichkeit gegeben hatte, unbemerkt ins Haus zu gelangen und die Uhren zu stehlen. Wäre sie nicht auf Marinas Freundlichkeit hereingefallen, wäre dies alles nicht passiert.

Sie zitterte. Sie kam sich gerade alles andere als erhaben vor. Im Gegenteil war sie hier draußen das ängstliche Mädchen, das sich unter der eiskalten Fassade verbarg, die sie immer noch verzweifelt versuchte aufrechtzuerhalten. Nicht nur um ihren Ruf zu bewahren, sondern weil sie wusste, dass es nur einen letzten Tropfen im übervollen Fass benötigte, einen letzten Stoß Richtung Abgrund, bevor sie endgültig zerbrach.

Samuel“, hauchte sie den Namen, der erwartungsvoll darauf gewartet hatte, über ihre Lippen zu wandern, der sich so richtig und so falsch zugleich anfühlte. Ihr Körper bebte vor Verlangen, wenn sie nur an seine Hände dachte, die sanft über ihre Haare fuhren. Diese Augen, die voller Schmerz gefüllt waren und die doch vor Liebe überquollen. Der sie zu kennen schien, obwohl das gar nicht sein konnte. Der ihre Einsamkeit sah und wusste, dass sie all das nicht gewollt hatte.

Irgendwie gelang es ihm ihren Panzer Stück für Stück ausziehen und sie in ihren Facetten wirklich zu sehen. Nicht nur als die Marquise, sondern nur als das verängstigte, verschreckte Mädchen, das sie war.

Sie wollte mit ihm glücklich sein. Mit ihm auf Dates gehen, ohne sich verstecken zu müssen und ihre Beziehung allen anderen gegenüber zu rechtfertigen. Seine grauenvollen Nudeln essen, um ihn dann in ein schönes Restaurant mit richtiger Pasta einzuladen. Mit ihm lachen. Mit ihm schlafen. Einfach in seinen Armen liegen und zusammen einsam sein.

Sie biss sich auf die Lippen bei diesen schönen Gedanken. Dachte an seine Lippen, seine Augen. Es brach ihr das Herz zu wissen, dass es unmöglich war. Wenn sie in seinen Armen wirklich das verängstigte, verschreckte Mädchen sein wollte, musste sie sich ihm öffnen und ihm alles von ihr preisgeben. Und das würde nur zu unsäglichem Schmerz führen.

Carla“, ertönte plötzlich seine Stimme hinter ihr. Sie wollte sich nicht umdrehen. Nicht in seine Augen sehen. Sie wollte weiter in dieser Kälte ausharren. Wollte weiter atmen können. All das würde wieder enden, wenn sie ihn ansah. Sie wollte noch für eine Sekunde das verängstigte Mädchen sein bevor sie wieder hinter ihre eiskalte Maske verschwinden musste. Sie schloss die Augen und atmete ein letztes Mal aus. Dann drehte sie sich zu ihm und lächelte.

Ein Windzug kräuselte den eben noch stillen und starren See und setzte ihn wieder in Bewegung.
 


 

~

You know you're your own assassin

You don't need no help with that

It's your back that you been stabbin'

When you gonna understand?

~
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  _Natsumi_Ann_
2019-12-18T13:35:01+00:00 18.12.2019 14:35
Seine grauenvollen Nudeln essen, um ihn dann in ein schönes Restaurant mit richtiger Pasta einzuladen...

Bester Satz :3 xD
Sehr schön mal Carlas zerbrechliche Seite mitzufühlen.
Ich schau nochmal drüber, wenn es mir besser geht wegen den Fehlerchen.

Danke für diese kleine Story :)
Antwort von:  ChiaraAyumi
19.12.2019 11:06
Ja der Satz passt zu 100% zu Carla xD
Ich mag wie Carla in der 2. Staffel ihre zerbrechliche Seite hinter ihrer Maske gegenüber Samuel zeigt. Sie ist auf der Oberfläche der starre See, aber darunter verbirgt sich ganz viel, was sie nicht zeigen will.
Und danke, dass du nochmal drüber liest. Aber stress dich nicht. Werd erstmal wieder gesund!
Vielen Dank für deinen Kommentar :)
Von:  Pureya
2019-12-15T22:47:06+00:00 15.12.2019 23:47
Ich kenn die Serie zwar nicht, aber man bekommt sofort ein Gefühl worum es geht und für den Charakter. Es ist sehr bewegend geschriben und man leidet richtig mit und wünschte sich es gäbe eine Lösung für das Problem. Irgendwie kennt glaub jeder so eine Situation. Es war auf jeden Fall sehr schön zu lesen und ein tolles Türchen!
<3
Antwort von:  ChiaraAyumi
19.12.2019 11:03
Dankeschön dass du es gelesen hast obwohl du die Serie nicht kanntest! Das freut mich wirklich sehr dass es dir gefallen hat und du dich in die Situation hineinversetzen konntest. Ich glaube wirklich jeder hat so etwas schon mal erlebt.
Vielen Dank für deinen Kommentar :)


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