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In Zeiten des Krieges

Draco x Ginny
von

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Teil 2 – Kapitel 13

August 1998 
 

Diesen Ort hatte Ginny schon immer geliebt. Der kleine See lag nur dreißig Gehminuten vom Fuchsbau entfernt. In früheren Sommern, in denen es ebenso heiß gewesen war, wie am heutigen Tag, waren sie und ihre Brüder jauchzend in das dunkle Wasser gesprungen, um sich abzukühlen, zu schwimmen und ein wenig Spaß zu haben. Beinahe konnte sie es vor sich sehen, wie Fred und George versuchten sich gegenseitig unterzutauchen, wie Percy abseits vom Wasser im grünen Gras auf einer ausgebreiteten Decke saß und sie zurechtwies sich gefälligst nicht so kindisch zu benehmen, wie Bill unter einem Baum im kühlen Schatten lag und ein spannendes Buch las und wie Charlie versuchte den beiden jüngsten Weasley-Kindern das Schwimmen beizubringen.

 

„Passt auf, dass euch keine Grindelohs beißen“, hatte ihre Mutter ihnen immer hinterhergerufen, wenn sie sich auf den Weg zum See machten. Und ihr Vater hatte ihnen das ein oder andere mal seltsame Muggelgegenstände mitgegeben und sie gebeten diese mysteriösen Artefakte unter Wasser auszuprobieren.

 

Ginny verband viele schöne Erinnerungen mit diesem See. Sie saß auf dem langen, im Wind hin und wieder knarzenden Holzsteg, der ins tiefe Wasser führte. Ringsherum bildeten dichte Bäume und Sträucher einen hohen Zaun, der diesen Ort schon beinahe in ein geheimes Versteck verwandelte – als würden nur sie und ihre Familie dieses friedliche Fleckchen kennen und niemand sonst hier herfinden. Dennoch hatte sie zur Sicherheit mehrere Schutzzauber um den See gesprochen, der Muggel sowie Zauberer von diesem Ort fernhielt.

 

Die Nacht war wieder einmal unruhig gewesen. Ein Alptraum von Tom hatte Ginny sehr früh am Morgen aus dem Schlaf gerissen. Ohne Charlie zu wecken hatte sie sich ihr weißes Sommerkleid übergezogen, den Lederbeutel umgebunden und das Zimmer verlassen. Der Grimmauld Place schien sie in den letzten Tagen einzuengen. Ginny war es gewohnt, im Fuchsbau mit einer großen Familie zusammenzuleben, doch der Alltag in Sirius‘ altem Familienhaus hatte etwas Erdrückendes an sich. Die Gesellschaft der anderen tat gut, doch manchmal wollte sie einfach nur alleine sein. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal draußen gewesen war. Deshalb putzte sie sich schnell im Badezimmer die Zähne, kämmte sich das Haar und schlich sich hinaus, um einmal für sich zu sein, die Ruhe zu genießen und ungestört nachdenken zu können.

 

Eigentlich hatte es sie in den Fuchsbau gezogen, zurück in ihr Elternhaus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, doch die Gefahr, dass dort die Todesser auf sie warteten, war zu groß, weshalb Ginny sich dazu entschied zum See zu apparieren. Vor zwei Tagen war nun auch endlich das jüngste Mitglied der Familie Weasley volljährig geworden und sie konnte nun apparieren, ohne dass das Ministerium es herausfand.

 

Hier saß sie nun, auf dem Steg mit den Füßen im kühlen Wasser baumelnd. Die schwarzen Ballerinas hatte sie dafür ausgezogen. Bereits am frühen Morgen herrschte ein angenehm warmer Wind, der durch ihr rotes Haar und ihr Sommerkleid wehte, das sie gerade erst zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Die umstehenden Bäume schenkten noch genügend schützenden Schatten, doch sobald die Sonne über den Baumkronen erscheinen würde, würde man es in der prallen Sonne nicht mehr aushalten können, ohne sich einen schmerzenden Sonnenbrand einzufangen. In spätestens einer Stunde würde sie ohnehin zurückkehren müssen, denn wenn sie zulange wegblieb würde sich noch jemand anfangen Sorgen zu machen. Und das letzte, was sie wollte, war ihrer Mutter noch mehr Kummer zu bescheren.

 

Die Geburtstagsfeier vor zwei Tagen hatte alle im Grimmauld Place für einige Stunden auf andere Gedanken gebracht, doch das Fehlen mancher Personen an der festlich geschmückten Tafel im Salon hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Ginny vermisste ihren Vater, sie vermisste Fred und George und sie vermisste Percy. Außerdem dachte sie an Neville, von dem sie seit Wochen nichts gehört hatte, und natürlich an Harry, der nach wie vor untergetaucht blieb. Dass Ron und Hermine inzwischen zu ihnen gestoßen waren war die beste Nachricht seit langem. Beide waren Merlin sei Dank unversehrt und wenn sie sich ihrer Gruppe anschlossen, hatten sie sogleich bessere Chancen gegen die Todesser. Doch es gab so viele andere, an die Ginny dachte, so viele ungewisse Schicksale, die sie betrübten.

 

Wie ging es Michael? Seit ihrem letzten Treffen hatte sie nichts mehr von ihm und Zacharias gehört. Wie ging es Colin? Er und sein Bruder waren muggelstämmig und schwebten deshalb ständig in Gefahr. Was war aus Demelza geworden? Oder Luna? Wo hielt sich momentan Professor McGonagall auf? Ging es ihr und den anderen Lehrern gut? Und nicht zu vergessen die ganzen Muggel, die tagtäglich von den Todessern attackiert wurden …

 

Immer wieder dachte sie auch an Draco. Wenn sie nicht von Tom träumte, dann träumte sie von ihm. Doch selten handelte es sich dabei um angenehme Träume. Meistens ging es nur um Verlust, Angst und Schmerz, um Feuer, Verzweiflung und Kampf. Eine ihrer schlimmsten Ängste war es ihm eines Tages auf dem Schlachtfeld gegenüberzustehen. Die Gryffindor würde nicht den Mut haben, sich mit ihm zu duellieren. Und das nicht nur weil sie wusste, dass er ein talentierter und gefährlicher Gegner war.

 

Ginny starrte auf die Wasseroberfläche, in der sie ihr eigenes verzerrtes Spiegelbild betrachten konnte. Was er wohl gerade machte? Wie es ihm ging? Ob er manchmal auch an sie dachte? Naiv wie sie war hatte sie an ihrem Geburtstag auf eine Nachricht von ihm gehofft. Stets war der Blick flüchtig zum Fenster geglitten, in der Hoffnung eine Eule zu erspähen. Der vernünftige Teil in ihr wusste, dass es zu riskant wäre ihr eine Nachricht zu schicken. Vermutlich wusste er nicht einmal, wann sie Geburtstag hatte. Die traurige Wahrheit war, dass sie seinen ebenfalls nicht kannte. Schließlich hatte ihre Romanze nur wenige Wochen angedauert. Ihr Gesicht verzog sich zu einer traurigen Grimasse. Wahrscheinlich hatte er sie schon längst vergessen und vertrieb sich jetzt die Zeit mit irgendwelchen reinblütigen, reichen Hexen, die kein Hirn, aber dafür umso mehr Busen besaßen, den sie jederzeit gerne zur Schau stellten. Am liebsten würde Ginny ihn hassen, für das, was er alles getan hatte, oder ihn einfach vergessen … Aber so sehr sie es auch versuchte, sie konnte es einfach nicht.

 

Hätte sie jetzt einen kleinen Stein zur Stelle dann würde sie ihn gehörig ins Wasser schmeißen, um ein wenig Frust abzubauen, doch der einzige Stein, der sich mit ihr auf diesem Steg befand, war der Mondstein, und den würde sie hüten, wie ihren Augapfel.

 

Früher oder später würde sie jemandem vom Mondstein erzählen müssen. Vielleicht Ron oder Harry, sollte sie ihm irgendwann einmal wieder begegnen. Er brauchte ihn viel dringender als sie. Manchmal plagte sie das schlechte Gewissen für ihren Egoismus, diesen mächtigen Stein einfach für sich zu behalten. Hätte sie ihn ihrem Vater mitgegeben, als er ins St.-Mungo-Hospital gebracht wurde, würde er heute vielleicht noch leben. Ihre Finger wanderten zu dem Drachenlederbeutel, der an ihrem Gürtel hing, und öffneten den Verschluss. Sie holte den Stein hervor und betrachtete ihn, strich mit den Fingern zärtlich über die blaue, glatte Oberfläche. Andererseits wollte sie ihn nicht weggeben. Schließlich war er ein Geschenk gewesen. Und jedes mal wenn sie an Dracos Gefühlen für sie zweifelte und sich fragte, ob sie nichts anderes gewesen war, als ein Zeitvertreib, holte sie den Mondstein hervor und erinnerte sich an die vielen Momente, in denen er versucht hatte sie zu beschützen.

 

Ihre Mundwinkel hoben sich leicht und ihr wurde ein wenig wohler ums Herz. Sie steckte den Stein zurück in den Beutel und verschloss ihn sorgfältig, stützte sich mit den Armen nach hinten ab und blickte in den Himmel, versunken in bittersüßen Erinnerungen. Kurz darauf erweckte etwas ihre Aufmerksamkeit. Ein Vogel flog über die Baumkronen und dann über den See. Beinahe lautlos schien er sich zu bewegen. Sie beobachtete ihn und erkannte anhand seines schwarzen Gefieders, dass es ein Rabe war. Dann flog er an ihr vorbei und war wieder fort. Noch einmal schloss sie die Augen und lauschte einfach nur dem Geräusch der Blätter im Wind und dem leichten Schwappen des Wassers gegen die Pfahle des Stegs. Es wurde langsam Zeit wieder zurückzukehren. Kreacher würde schon bald das Frühstück vorbereiten.

 

Gerade, als sie aufstehen wollte, hörte sie ein Geräusch und ein weiterer Vogel flog dicht an ihr vorbei, drehte einige Runden über ihrem Kopf und zwitscherte dabei vergnügt. Sie lächelte bei dem Anblick des merkwürdig vertrauensvollen, aber doch sehr niedlichen Wesens und streckte eine Hand nach ihm aus. Kurzerhand setzte es sich auf ihre offene Handfläche und begann ein Lied zu trällern. Sie stutzte kurz. Dieser Vogel erinnerte sie an–

 

Ginny erstarrte, als sie das Rotkehlchen erkannte. Das war doch–

 

Ginny drehte sich um und tatsächlich – da stand er, am anderen Ende des Stegs und sah sie unvermittelt an, trotz der sommerlichen Temperaturen ganz in Schwarz gekleidet. Wie gebannt starrte sie zurück in die grauen Augen, während sich das Rotkehlchen wieder in die Luft erhob und davonflog. Spielte ihr Verstand ihr einen Streich? War sie vielleicht eingeschlafen und sie erlebte zur Abwechslung mal einen schönen Traum? Er konnte nicht hier sein. Woher auch sollte er diesen Ort kennen? Die Schutzzauber ließen keine Menschenseele hier hinein, was sie ebenfalls zweifeln ließ, dass diese Erscheinung echt war. Mit zittrigen Beinen stand sie auf, wobei ihre nassen Füße kleine Pfützen auf dem Steg hinterließen. Sie versuchte immer noch einen klaren Gedanken zu fassen. Ihre Augen studierten sein Gesicht auf der Suche nach irgendwelchen Hinweisen, weshalb er hier war und was er vorhaben könnte.

 

Draco wirkte vollkommen ruhig, im Gegensatz zu ihr. Ginny glaubte in ihr würde ein Sturm wüten. Ihr Mund stand offen, doch sie schaffte es immer noch nicht, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Erst als er leicht lächelte und einen Schritt auf sie zu ging, erhielt sie wieder die Kontrolle über ihren Körper.

 

Ginny stürzte los, lief über den Steg und warf sich Draco in die Arme. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und vergrub ihr Gesicht in seinem Shirt und als sie endlich wieder seine Nähe spüren konnte, brachen alle Dämme. Sie schluchzte laut und bemerkte, wie die heißen Tränen ihr Gesicht und sein Shirt benetzten. Er legte seine Arme um ihre Hüften und umarmte sie nicht weniger fest. Er war hier. Er war wirklich hier!

 

Ginny lehnte ihren Kopf nach hinten, um ihn ansehen zu können. „Was machst du hier?“, fragte sie verwirrt, aber glücklich, während sie versuchte die Tränen wegzublinzeln.

 

Draco musterte ihr Gesicht, legte eine Hand an ihre Wange und strich mit den Fingern einige Tränen weg. „Ich wollte dich sehen.“ Sanft legte er seine Hand in ihren Nacken und drückte sie wieder an sich. „Ich habe dich vermisst“, wisperte er an ihrem Ohr.

 

Oh, wenn er nur wüsste … Wenn er nur wüsste, wie sehr er ihr gefehlt hatte, die letzten Monate, wie sehr sie seit ihrer Trennung gelitten hatte. All dies wollte sie ihm sagen, so viel und noch mehr. In vielen schlaflosen Nächten hatte sie sich ausgemalt, wie ihr Wiedersehen verlaufen könnte und was sie ihm alles sagen wollte, würde sie die Gelegenheit dazu bekommen. Sie hatte ja nicht einmal gewusst, ob sie sich jemals wiedersehen würden. Das Herz in ihrer Brust schlug vor Liebe schon so heftig, dass es beinahe weh tat. Undendliches Glück durchströmte ihren Körper und hinterließ eine tiefe Zufriedenheit, die sie schon lange nicht mehr empfunden hatte.

 

Schon fast widerstrebend löste sie sich aus seiner Umarmung, denn den anderen vertrauten warmen Körper gegen den eigenen gepresst zu spüren war einfach zu schön. Sie wischte sich mit dem Handrücken schnell übers Gesicht und schluckte die letzten Tränen herunter. „Wie sentimental. Ein Malfoy vermisst eine Weasley?“, scherzte sie mit noch leicht brüchiger Stimme in dem kläglichen Versuch von ihren Tränen abzulenken. „Na wenn das die Presse erfährt, das gibt Schlagzeilen.“

 

Draco grinste leicht. „Gewöhn dich nicht dran“, erwiderte er. Er streckte eine Hand nach ihr aus und ließ sie durch ihr Haar fahren. „Dein Haar ist kürzer.“

 

Ginny senkte den Kopf und konnte somit sehen, wie seine Finger mit ihren Haarspitzen spielten, bevor er seine Hand wieder zurückzog. Nachdem Fleur ihr ehemals hüftlanges Haar gekürzt hatte ging es ihr nur noch bis zum Schlüsselbein. „Jah … Ich fand, es war Zeit für ‘ne Veränderung.“

 

Allmählich kam die Sonne über den Bäumen hervor und Ginny konnte die Wärme auf ihrem Rücken spüren. Das Vorhaben zum Grimmauld Place zurückzukehren war nun gänzlich vergessen. Ein leichter Wind wehte, und brachte ihr Kleid um ihre Knie herum zum Wehen. Lange sahen sie sich nur an, betrachteten den anderen und versuchten jede Veränderung seit ihrem letzten Wiedersehen zu registrieren. Sie betrachtete Draco, mit seinen wunderschönen grauen Augen und dem hellblonden Haar, das inzwischen einige Zentimeter länger geworden war. Er war so schön, wie sie ihn in Erinnerung hatte, und doch erkannte sie in seinen Zügen, dass es ihm nicht gut ging. Unter seinen Augen lagen leichte Schatten, als hätte er nächtelang nicht geschlafen und sie bemerkte in den grauen Iriden einen traurigen Ausdruck, den sie so noch nie bei ihm gesehen hatte. Und wenn er lächelte oder grinste schien es nur von halbem Herzen zu kommen. Ginny spürte, dass irgendetwas nicht stimme. Allein seine Anwesenheit deutete darauf hin, dass irgendetwas geschehen sein musste. Ohne Grund hätte er sie nie aufgesucht. Dafür war er viel zu beherrscht.

 

Besorgt blickte sie ihn an, streckte beide Hände nach ihm aus und umfasste sein Gesicht. „Ist etwas passiert?“

 

Er senkte den Blick und für einen Moment sah sie, wie all der Kummer über ihn hereinbrach, ehe er sich vorlehnte und sie erneut in eine feste Umarmung zog. Er hielt sie so fest, dass es schon beinahe weh tat. Sanft legte sie ihre Arme um ihn und strich ihm beruhigend über den Rücken. Es brach ihr fast das Herz ihn so leiden zu sehen. Lange sagte er kein Wort, doch die Nässe, die sich auf ihrer Schulter ausbreitete, sprach Bände.

 
 

* * *

 

Als er fertig war zu erzählen stand die Sonne weit oben am Himmel. Es war so warm geworden, dass sie sich unter einem Baum im Schatten einen Platz gesucht hatten. Draco blickte auf den See und seine Gesichtszüge waren mittlerweile wieder so ruhig, wie die Oberfläche des Wassers. Nachdem er sich alles von der Seele geredet hatte, wirkte er wieder ruhiger und gefasster, wieder mehr, wie er selbst. Ginny starrte dabei auf ihre beiden ineinander verschränkten Hände in ihrem Schoß und versuchte, all die neuen Informationen erst einmal zu verarbeiten. Allem Anschein nach hatte Draco es ebenso schwer gehabt wie sie.

 

Der Tod eines Freundes konnte genauso schmerzhaft sein wie der Verlust eines Familienmitglieds, weshalb sie nur leider ziemlich gut nachempfinden konnte, wie er sich fühlte. Mit Blaise Zabini hatte sie lediglich ein Gespräch geführt und dieses Erlebnis würde sie wohl ihr Leben lang nicht vergessen – wie er sie im Schnee sitzend im Arm gehalten und davon abgehalten hatte ins Schloss zu laufen, um die anderen Schüler beim Kampf gegen die Todesser zu unterstützen. In dieser Nacht hatte Zabini ihr anvertraut, dass er Voldemort ebenso hasste, wie sie. Und nun kannte sie den Grund dafür. Vielleicht hatte er jemanden kennengelernt und sich verliebt. Er wollte nur das haben, was jeder andere auch hatte. Mit demjenigen zusammen sein zu wollen, den man gern hatte, sollte einem nicht verboten werden. Noch ein grausames Gesetz der Todesser, das nur für Leid, statt für Ordnung sorgte. Ginny konnte nur allzugut nachempfinden, wie es sich anfühlte, wenn man nicht mit demjenigen zusammen sein durfte, den man liebte.

 

Und was Pansy Parkinson betraf … Ginny sah die sonst so arrogante und gehässige Slytherin nun in einem ganz anderen Licht. Anscheinend hatte sie sie falsch eingeschätzt. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet sie sich den Befehlen des Dunklen Lords widersetzen würde? Dass so viele Slytherins bei der Schlacht umgekommen waren hatte Ginny gar nicht gewusst.

 

„Es tut mir so leid, Draco“, flüsterte sie mit einem dicken Kloß im Hals.

 

Er wandte sich zu ihr, schaute ihr kurz in die Augen und betrachtete dann ihre ineinander verschränkten Finger. „Mir tut es auch leid. Was dir passiert ist, meine ich.“

 

Bei diesen Worten versteifte sie sich augenblicklich und sie starrte ebenfalls auf ihre Finger, um ihn nicht ansehen zu müssen. Ihr Mund wurde plötzlich ganz trocken, als er diese noch nicht verheilte Wunde berührte. „Warst du … daran beteiligt?“, wagte sie zu fragen. Sie traute sich auch nicht ihn anzusehen, selbst dann nicht, als er ihre Frage verneinte. Schon oft hatte sie sich gefragt, in welche Situationen Draco vielleicht verstrickt gewesen sein mochte. Vor allem bei der Ermordung ihrer Familienmitglieder. Schließlich waren die Todesser stets maskiert. Der Gedanke, dass er vielleicht derjenige sein könnte, der … Nein, diesen Gedanken konnte sie nicht zu Ende führen.

 

„Ginevra?“ Sie spürte seine Augen auf sich ruhen. Zögerlich sah sie ihn an. Sie begegnete seinem ernsten Blick. „Ich will nichts schönreden. Du weißt, was ich getan habe und wenn nicht wirst du es dir denken können.“ Gequält wandte sie ihren Blick von ihm ab, sie wollte diese Sachen nicht hören, doch er zog an ihrer Hand, sodass sie sich wieder in seine Richtung drehen musste. „Sieh mich an“, forderte er sanft, aber bestimmt. Widerstrebend gab sie nach. „Ich muss das klarstellen, denn ich will nicht, dass du ein falsches Bild von mir hast. Du magst das vielleicht nicht hören wollen, aber … Ich bin ein Todesser und ich habe gekämpft. Nicht nur einmal. Und auch wenn ich es getan habe, weil mir keine andere Wahl blieb, war es dennoch meine freie Entscheidung. Wir können nicht so tun, als wäre das alles nicht geschehen.“ Er seufzte leise. „Als ich mich auf den Weg zu dir gemacht habe wusste ich nicht, wie du reagieren würdest, wenn du mich siehst. Ich hätte es auch verstanden, wenn du nicht mit mir hättest reden wollen, nach allem was passiert ist. Merlin weiß, wieso du mich nicht einfach verhext hast.“

 

„Verdient hättest du’s“, gab sie bitter murmelnd zurück, mit dem Blick auf seinen freien linken Unterarm, auf dem sich das Dunkle Mal abzeichnete. Jedem anderen hätte sie auch einen Fluch aufgehalst. Sie hasste die Anhänger Voldemorts, mit jeder Faser ihres Körpers, doch ihr Herz war dumm und naiv und hatte sich in den Falschen verliebt. Dagegen konnte sie nichts mehr tun. Ihre Gefühle für ihn hatten sich schließlich entwickelt, bevor er sich ihnen angeschlossen hatte. Ihre Finger lösten sich von seinen und wanderten zu dem Lederbeutel, aus dem sie den Mondstein hervorholte. Sie hielt Draco den blauen Stein entgegen. Seine Augen weiteten sich leicht, bei seinem Anblick. Vorsichtig streckte er die Hand aus und griff nach ihm, hob ihn hoch und betrachtete ihn ganz genau, als sähe er ihn zum ersten Mal.

 

„Ich weiß aber auch, dass du ein gutes Herz hast“, begann Ginny sanft. „Sonst hättest du ihn mir nicht gegeben.“ Noch einmal dachte sie an die Momente, in denen er versucht hatte sie zu beschützen, wie damals im Zug, als die Todesser angegriffen hatten oder an die Nacht im Krankenflügel, als er sich um sie gesorgt hatte. „Du musst das alles nicht mehr tun“, fuhr sie nun energischer fort. „Niemand zwingt dich dazu. Es ist noch nicht zu spät, die Seiten zu wechseln.“

 

Draco reichte ihr den Stein und sah ihr tief in die Augen. „Um ehrlich zu sein denke ich im Moment kaum noch an etwas anderes.“

 

Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. „Wirklich?“

 

Er nickte ernst. In seinen Augen konnte sie deutlich die Entschlossenheit erkennen. Mehrmals hatte sie ihn in Hogwarts angefleht, mit ihr den gleichen Weg zu gehen, doch er hatte sie immer zurückgewiesen. Ihn auf ihrer Seite zu wissen würde nicht nur einen ihrer größten Wünsche erfüllen sondern auch noch den Phönixorden stärken. Wer wusste schon, was Draco für Insiderwissen aushändigen konnte, sowie Schwachstellen und geheime Pläne der Todesser. Sie wären mit seiner Hilfe vielleicht einem Schritt näher am Sieg über Voldemort.

 

Am liebsten wäre sie ihm stürmisch um den Hals gefallen, doch dann zogen sich ihre Augenbrauen zusammen und sie musterte ihn skeptisch. „Das ist doch nicht etwa ein teuflischer Plan, mit dem Ziel uns auszuspionieren und an geheime Informationen über Harry heranzukommen?“

 

Draco schmunzelte leicht. „Du hältst mich für einen Spion?“ Er lehnte sich vor und kam ihr gefährlich nahe, sodass sich ihre Nasenspitzen leicht berührten. Bei dieser plötzlichen Nähe wurde ihr schon fast schwindelig. Er schien immer noch zu wissen, welchen Effekt er auf sie haben konnte.

 

„Naja“, begann sie und versuchte nicht allzu verwirrt zu klingen und den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. Ihre Augen hingen an seinen Lippen, die sie nur allzu gerne auf ihren eigenen spüren würde. „Würde zu einem Slytherin passen. Findest du nicht?“ Der Gedanke war ihr ganz spontan gekommen. Natürlich wäre es möglich, dass das alles nur eine Falle war. Sie hätten sich das schwächste Glied geschnappt und würden sie manipulieren, nur um den Orden von innen heraus zu zerschlagen. Wenn Ginny nun dem Falschen vertraute, könnte das nicht nur ihren Tod bedeuten. Bei dem Gedanken musste sie schlucken. Doch seine Nähe war so beruhigend und vertraut, dass alle Alarmglocken augenblicklich wieder verstummten. Und in ihrem Innern wusste sie, dass sie ihm blind vertraute.

 

„Immer diese Klischees“, meinte Draco nur, der ihren halbherzigen Versuch nicht ernst zu nehmen schien.

 

„Wie hast du mich hier gefunden?“, fragte sie trotzdem misstrauisch und zog sich langsam von ihm zurück, um ihn leicht anklagend anzusehen.

 

Draco deutete auf den Stein, den sie noch immer in ihren Händen hielt. „Ich habe den Mondstein mit einem Aufspürzauber versehen.“

 

Verblüfft weiteten sich ihre Augen und sie musterte sorgsam das unscheinbare Ding in ihren Händen, das über so viel Macht verfügte. „Wie vorausschauend von dir“, bemerkte sie und verstaute den Schutzstein wieder in dem dazugehörigen Lederbeutel. Der Gedanke, dass er immer vorgehabt hatte, sie wiederzufinden, machte sie glücklich. „Ich trage ihn immer bei mir. Er hat mir schon das ein oder andere Mal das Leben gerettet.“

 

„Ich weiß. Du hast dich ziemlich gut gegen Nott gewehrt“, meinte er und sie konnte die leichte Belustigung in seinen Augen erkennen. Oder war es Stolz? „Er war ziemlich wütend. Seine Chancen, auf das Cover der Witch Weekly zu kommen, hast du jedenfalls auf ein Minimum reduziert.“

 

Ginny verspürte keinerlei Gewissensbisse daran, dass sie den ehemaligen Slytherin mit einem Fluch das hübsche Gesicht entstellt hatte. Wer wusste schon, was er mit ihr angestellt hätte, wenn der Mondstein sie nicht beschützt hätte?

 

Eine Frage interessierte sie allerdings noch: „Wie bist du eigentlich durch meine Schutzzauber gekommen? Kein Mensch hätte da durch gekonnt.“

 

Draco zog sich nun ebenfalls zurück und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Baumstamm. „Du sagst es“, meinte er kryptisch. Als sie ihn nur verständnislos anblicken konnte meinte er: „Ganz einfach. Deine Schutzschilde halten nur Menschen ab, Muggel oder Zauberer.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich war kein Mensch. Du solltest deine Schutzzauber beim nächsten Mal erweitern. Greyback hätte leichtes Spiel bei dir.“

 

Ginny runzelte die Stirn und sah ihn lange an. „Häh?

 

Ihre offensichtliche Ahnungslosigkeit brachte ihm zum überheblichen Grinsen, was ihn unglaublich verführerisch aussehen ließ. „Erinnerst du dich an unser Gespräch über Animagi?“

 

„Natürlich.“ Sie nickte. Wie könnte sie das vergessen? Sie dachte wieder an das Rotkehlchen, das aufgrund dieses Gespräches zu ihrem unausgesprochenen Zeichen geworden war. Dann fiel der Knut. Ihre Augen wurden groß. „Du bist ein Animagus? Sag bloß du … Du kannst dich in ein Rotkehlchen verwandeln?“

 

Draco rollte mit den Augen und schüttelte mit dem Kopf. „Merlin bewahre, nein!“

 

Und dann erinnerte sie sich an den schwarzen Vogel, der über den See geflogen war, kurz bevor Draco aufgetaucht war. „In einen Raben!“

 

Draco nickte.

 

„Aber, wie?“, fragte sie verwirrt. „Ich meine wann? Seit wann kannst du das?“

 

„Ich wusste es nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ist einfach so passiert.“

 

Ginny zog die Augenbrauen zusammen und verzog den Mund, sodass sie Professor McGonagall Konkurrenz machen konnte. „Wie meinst du das, es ist einfach so passiert? Wie kann so etwas einfach so passieren? Ich meine, ich laufe ja auch nicht durch die Gegend und verwandle mich auf einmal in eine Schildkröte.“

 

Zweifelnd sah sie ihn an, aber er sah nur unschuldig zurück – so unschuldig, wie ein Malfoy eben gucken konnte.

 

„Du musst es schon beweisen“, stellte sie dann klar und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust, so wie ihre Mutter es früher immer getan hatte, wenn sie auf die Erklärung eines ihrer Kinder wartete, das etwas angestellt hatte.

 

„Zeige ich dir gleich“, sagte er und stand auf. Er warf einen Blick auf den See. „Ich muss ohnehin wieder los. Es ist schon spät. Man wird sich fragen, wo ich bleibe.“

 

„Warte!“ Sofort war sie auf den Beinen. Sie wollte noch nicht, dass er ging. Es kam ihr so vor, als wären sie sich gerade erst begegnet und als wären erst wenige Minuten vergangen. „Wann sehen wir uns wieder?“ Sie stellte sich vor ihn und schlang ihre Arme um seine Hüften, wollte ihm noch nah sein, solange sie die Gelegenheit dazu hatte. Es gab noch so viel zu sagen, so viel voneinander zu erfahren.

 

„Morgen“, versprach er. Seine Lippen streiften kurz ihre Stirn und hinterließen einen sanften Kuss, der sie seufzen ließ. „Wir treffen uns wieder hier. Und dann werden wir besprechen, wie es weitergeht.“

 

Sie konnte nur nicken. Seine Worte berührten sie und sie verspürte einen Hoffnungsschimmer, auf eine gemeinsame Zukunft und auf ein gemeinsames Wir. Er lehnte sich zu ihr hinab und sie sah erwartungsvoll zu ihm hinauf. Langsam legten sich seine Lippen auf ihre und verschmolzen zu einem zärtlichen Kuss. Sie schloss ihre Augen und klammerte sich ein letztes Mal an ihn. Dieses Gefühl, das er in ihr auslöste, konnte nur Liebe sein. Sie verspürte sie in ihrem ganzen Körper und sie sammelte sich in ihrer Brust zu einer Sehnsucht und einer Leidenschaft, die sie beinahe um den Verstand brachte. Er löste sich für ihren Geschmack viel zu schnell von ihr. Diese weichen und verführerischen Lippen hätte sie zu gerne noch länger geküsst.

 

Doch bevor er ging musste sie ihm noch etwas Wichtiges sagen. Sie hatte immer bereut, es ihm nie gesagt zu haben, deshalb wollte sie ihre Chance jetzt wahrnehmen. „Draco, ich …“, stammelte sie plötzlich ganz aufgeregt, doch irgendwie wollten die Worte nicht so richtig ihren Mund verlassen. Ihr Herz schlug aufgeregt in ihrer Brust „Ich …“

 

Er lächelte und es war das ehrlichste Lächeln, das sie ja an ihm gesehen hatte. „Ich weiß“, antwortete er liebevoll. „Ich dich auch.“

 

Dann küsste er sie noch ein letztes Mal, bevor er sich von ihr löste und schließlich einige Schritte von ihr zurück trat. Der Moment des Abschieds war gekommen. Ginny beobachtete erstaunt, wie er sich in nur wenigen Sekunden in einen Raben verwandelte und sich kurz darauf mit schlagenden Flügeln in die Lüfte erhob, wobei er eine schwarze Feder verlor. Sie sah ihm noch nach, bis er am blauen Himmel verschwunden war. Ein glückliches Lächeln zierte ihr Gesicht. Schon morgen würden sie sich wiedersehen.

 

Sie bückte sich nach der Feder, hob sie auf und drückte sie behutsam gegen ihre Brust. Es war zwar zwei Tage zu spät, aber dieses Wiedersehen war das beste Geburtstagsgeschenk, das sie sich hätte wünschen können.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Argh, ich bin ganz aufgeregt! Endlich sehen sie sich wieder! Das wurde ja auch Zeit, findet ihr nicht? Ich hoffe dieses Kapitel hat euch ebenso gefallen, wie mir! ;)

Nach all dem Drama gab es endlich mal wieder etwas Kitsch. Aber ob das auch so bleibt? Wir werden sehen ... Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  _Natsumi_Ann_
2021-02-05T16:34:54+00:00 05.02.2021 17:34
wow ich hätte nicht gedacht, dass Ginny sich ihm so schnell wieder in die Arme wirft XD
Sehr harmonisch für die Verhältnisse , dachte da geht es erst mal heftig mit Streit los und so schnell wird da nicht geküsst xD
das war eine Überrschung ^^ Bin mal gespannt wie beide noch auf die Probe gestellt werden :O
scheint ja als bleiben beide auf ihren seiten vorerst und leben iwie damit :/ ;_; ob das gut endet...


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