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1000 Miles

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To fall down at your door

~ Erziraphael ~

 

Mit eiligen Schritten durchquerte Erziraphael die Straßen von Florenz. Immer wieder blickte er in die Seitenstraßen und kleinen Gässchen hinein. Allein die stille Hoffnung, Crowley wiederfinden zu können, gab ihm die Energie einen Schritt nach dem anderen zu setzen. Er wusste ganz genau, dass der Dämon nicht ohne ihn nach Hause fahren würde. Besonders nicht ohne sein geliebtes Auto, welches nach wie vor zwischen zwei italienischen Autos geparkt sein musste.

Jedoch, der Dämon blieb unauffindbar und so langsam wusste Erziraphael nicht mehr, wie er ihn finden könnte. Für einen Augenblick verfluchte sich der Engel dafür, sich nie ein eigenes Smartphone oder wenigstens ein Klapphandy gekauft zu haben. Er war immer der Meinung gewesen, sein altes Festnetztelefon würde ihm genügen.

Mit einem Handy wäre es für Erziraphael ein Kinderspiel gewesen, Crowley anzurufen und dessen Standort zu erfragen. Offenbar war er in einem älteren Jahrzehnt hängengeblieben als sein dämonischer Freund. Zwar hatte sich der Engel den einen oder anderen blöden Spruch deswegen anhören dürfen. Doch jetzt wurde Erziraphael dieser Mangel zum erstem Mal schmerzlich bewusst.

Er kam nicht darum herum, er würde sich auch ein derartiges mobiles Telefon anschaffen müssen. Doch dazu brauchte er Crowleys Hilfe, der nach wie vor erst einmal gefunden werden musste.

Ein Teufelskreis, den Erziraphael so schnell wie möglich beheben wollte.

Seine Beine trugen ihn weiterhin durch die kunstvollen und teilweise alten Städte der toskanischen Großstadt, Crowley blieb nach wie vor verschwunden. Langsam machte sich Erziraphael Sorgen. Ob er in die Finger der Hölle gelandet war?

Schnell schüttelte der Engel seinen Kopf, das negative Kopfkino haftete in seinem Kopf wie ein ekelhaftes Insekt auf seinem Rücken. Nein, solche Dinge durfte er nicht einmal denken!

Mit leicht pochendem Herz blieb Erziraphael stehen und sah auf die leere Kreuzung, welche er soeben erreicht hatte. Außer einem Mann und seinem Hund konnte er niemanden erkennen.

Erziraphael ging tief in sich hinein, wohin könnte Crowley so eilig gegangen sein? Wohin würde es den Dämonen ziehen? Es war lange her, dass sie sich länger in Italien aufgehalten hatten, und so gab es keinen speziellen Ort, den er dafür aufsuchen könnte. Sein Bauchgefühl verriet dem Engel, dass sich der Dämon nach wie vor in Florenz aufhielt, mit einem Vorsprung, der mit jeder vergangenen Minute immer größer wurde.

Schließlich kam Erziraphael eine Idee. Es war nur ein schwacher Funke, doch es war besser als gar keinen Anhaltspunkt zu haben. Er musste es versuchen. Zwar war dies nicht London und der Fluss ein anderer, doch möglicherweise wäre das Crowley in diesem Moment egal. Wie oft hatten sie sich an dem Fluss getroffen und heimliche Absprachen gehalten? Wie oft dabei die Enten beobachtet oder gar gefüttert?

Erziraphael nutzte die Gelegenheit und sprach den Mann mit dem Hund an, sobald es ihm gelungen war, diesen einzuholen.

Le mie scuse, werter Herr!“, sagte Erziraphael in brüchigem Italienisch. Gleichzeitig versuchte er, wieder an Atem zu kommen. Um den Herren einholen zu können, hatte er doch fast schon rennen müssen.

„Könnten Sie mir bitte den kürzesten Weg zum Fluss Arlo erklären? Sie wären mir damit eine sehr große Hilfe, müssen Sie wissen.“

Der Mann mit dem Hund sah ihn an, und gab ihm schließlich eine sehr detaillierte Beschreibung auf Englisch. Erziraphaels stark angestaubte Italienischkenntnisse waren offensichtlicher herauszuhören, als es dem Engel lieb war. Ein Umstand, der ihm mehr als peinlich war.

Grazie mille, werter Herr, Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir damit geholfen haben!“, sagte er, und machte sich mit eiligen Schritten auf dem Weg zum Arlo. Auf den Weg zu dem Ort, an welchem er den Dämon am meisten vermutete. Selbst wenn er dafür den ganzen Fluss entlaufen laufen müsste, Erziraphael wollte nicht aufgeben. Nicht, solange er den Hauch einer Spur hatte.

 

 

~ Crowley ~

Crowleys Blick fiel auf die Schwanenfamilie, wie sie gemütlich im Fluss umher schwamm. Ihre Schnäbel pickten zielsicher nach jedem Stück Nahrung, das ihnen Menschen ins Wasser warfen. Zwei große Schwäne und fünf halbgroße, noch hellgraue Schwanenküken. Ihr Anblick gefiel Crowley, und für einen kurzen Augenblick fragte er sich, ob Erziraphael auch seine Freude daran haben würde.

Dann begann Crowley laut zu hissen. Er wurde wütend genug auf sich selbst, dass er für einen kurzen Moment vergessen hatte, auf den Engel wütend zu sein. Wütend darüber, dass ihm der Engel nach wie vor nicht aus dem Kopf gehen wollte. Crowley wusste, dass er nichts, aber auch gar nichts dagegen tun konnte. Der Engel wohnte seit mehreren tausend Jahren mietfrei in seinen Gedanken, das würde sich auch nie wieder ändern.

Dennoch, wenn der Dämon mal auf den Engel sauer sein wollte, was ohnehin sehr selten vorkam, dann wollte er nicht auf diese Weise an ihn denken. Oder überhaupt einen Gedanken an ihn verschwenden. Crowley wollte dann nur zwei Dinge: Leiden und sich in seinem Selbstmitleid suhlen wie ein Schwein in frischem, feuchtem Schlamm.

Den Kopf auf die Arme abgelegt, lag sein Blick auf den Schwänen, wie auch den Menschen auf der anderen Seite des Arno. Das stetige Geräusch des fließenden Wasser sollte eine beruhigende Wirkung auf den Dämonen haben. Dennoch verspürte er eine innerliche Grundunruhe, die ihn nicht loslassen wollte.

Immer wieder und wieder musste er an seinen ersten und einzigen Besuch im Himmel denken, als er in Erziraphaels Rolle dessen „Bestrafung“ entgegengenommen hatte. Allein beim Gedanken an Gabriels Gesicht ballte sich Crowleys Hand zu einer Faust, und sein Blick verfinsterte sich. Nur zu gerne hätte er diesem Engel seine wahre Meinung gesagt. Doch er wusste, damit sie beide lebend aus dieser furchtbaren Situation entkommen konnten, musste Crowley bis zum Schluss seine Rolle spielen.

Dass er Gabriel nicht einmal nachträglich seine Faust schmecken lassen konnte, gefiel dem Dämonen überhaupt nicht.

Er spürte ein wohlbekanntes, unaufdringliches Ziehen in seinem Hinterkopf, wie immer, wenn ihn sein Engel aus der Ferne beobachtete. Crowley seufzte und wartete ab, ob es nicht doch nur ein Jucken war, das er verspürte. Doch das Ziehen wurde intensiver, wenn auch nur ein wenig.

Während sein Blick noch immer auf den Schwänen hing, nahm Crowley seine Brille ab und hielt sie mit der rechten Hand fest. Während er seinen Kopf auf den linken Arm abstützte, leckte er sich mit der Zungenspitze über die Lippen.

„Warum musst du so verdammt neugierig sein? Hast du denn nicht gesehen, wohin mich meine große Neugierde gebracht hat?“, fragte Crowley leise vor sich hin. Ein Seufzer verließ seine Lippen, er wusste, es hatte keinen Zweck. Erziraphael würde in seinem Versteck so lange ausharren, bis Crowley die Initiative ergreifen und ihn herbeirufen würde.

Sie kannten sich lange genug, dass der Engel wusste, wann der Dämon seine Privatsphäre benötigte.

„Warum kommst du ausgerechnet jetzt mit diesen Fragen?“, fragte Crowley niemand bestimmten, obwohl er sich die Antwort bereits denken konnte. Er hob seinen Kopf und fuhr sich mit der freien Hand fuhr über den Nacken.

„Kein Wunder, das Ganze ist ja auch nur einen Monat her, das ist im Vergleich zu sechstausend Jahren ein Augenschlag.“

Mit einer eleganten Bewegung setzte Crowley seine Brille wieder auf und nahm seinen Blick von den Schwänen. Er hatte genug von den Tieren und den Menschen, die diese fütterten. Er hatte genug davon, dass Erziraphael ihn aus der Ferne observierte und auf jede seiner Bewegungen achtete. Er hatte genug von den Erinnerungen, die ihm wieder und wieder den Tag versauten, von seinen Träumen ganz zu schweigen.

Crowley hatte einfach genug. Er wusste, er würde nicht für immer davonlaufen können. Eine Tatsache, die ihm mehr als schmerzlich bewusst war. Sein Engel würde nie Ruhe geben. Selbst, wenn Erziraphael die Fragen kein zweites Mal aussprechen würde, sie würden immer wie ein Mahnmal zwischen ihnen hängen.

Und Crowley wollte nicht mehr, dass irgendetwas oder irgendjemand zwischen ihnen stand.

 

Mit einem letzten Seufzer drückte sich Crowley von der Mauer weg, ging mehrere Schritte, bis er vor einer kleinen Holzbank stehenblieb. Neugierig inspizierte er sie. Die Bank war bereit genug für mindestens zwei Personen, um dort gemütlich Platz nehmen zu können.

Dann rutschte sein Blick in Erziraphaels Richtung oder zumindest an die Stelle, an welcher Crowley seinen Engel vermutete.

Der dichtbewachsene Strauch, dessen Äste sich verdächtig bewegten, schien ihm in seiner Vermutung recht zu geben.

Crowley schluckte und kratzte den letzten Rest an Kraft zusammen, die ihm seine Seele zur Verfügung stellte. Allein die Erinnerungen, die sich wieder vor Crowleys inneren Augen abspielten, ließen ihn ermüden.

„Erzi, ich weiß ganz genau, dass du dich in diesem Haselnussstrauch versteckst. Es ist gut, du kannst rüberkommen … setz dich doch lieber auf diese Bank hier, anstatt die Vögel zu belästigen“, rief Crowley zu ihm hinüber. Wenige Sekunden vergingen, da tauchte zwischen den vielen Ästen und Zweigen Erziraphael auf.

„Komm schon, ich meine es wirklich“, beteuerte Crowley und machte eine einladende Geste. Dieses Mal ließ sich Erziraphael nicht lange bitten. Mit schnellen Schritten eilte er heran, bis er neben Crowley und der Bank stehen blieb.

„Setz dich, die Bank beißt nicht. Und ist nicht frisch bestrichen!“

Doch erst, als Crowley es sich auf der Bank gemütlich machte, setzte sich Erziraphael ebenfalls hin. Zu weit weg für seinen Geschmack, auch, wenn er das nie laut zugeben würde. Doch für den Engel schwebte anscheinend immer noch der Konflikt aus der Eisdiele zwischen ihnen. Er konnte nicht ahnen, dass für Crowley die Dinge bereits einigermaßen wieder im Lot waren.

Durch seine Sonnenbrille hindurch beobachtete der Dämon Erziraphael, wie dieser mit seinen Fingern spielte, offenbar schien er nach Worten zu suchen und konnte sie nicht finden. So schwieg Crowley und gab dem Engel alle Zeit der Welt, damit dieser sich so ausdrücken konnte, wie er es wollte.

Dass dieser dafür ganze fünfzehn Minuten brauchen würde, damit hatte der Dämon allerdings nicht gerechnet.

„Vielen Dank für die Einladung, die Dame hat sich über das Trinkgeld von dir sehr gefreut“, sagte Erziraphael schließlich, während er nach wie vor seine Finger knetete, als wären es kleine Teigstangen.

„Gerne doch und es freut mich, dass dir das Eis geschmeckt hat. Ich hoffe, die Crêpes waren zu deiner Zufriedenheit?“, fragte Crowley nach. Sie beide wussten, dass es bei diesem Gespräch nicht um die Crêpes ging, und doch ließen sie sich auf das Thema ein. Ein harmloser Smalltalk war immer noch besser als lautes Schweigen, gefüllt mit unausgesprochenen Worten.

„Ja, sie waren überaus lecker, vielen Dank“, sagte Erziraphael kurz angebunden. „Es tut mir auch leid, dass ich das Thema vorhin angesprochen habe. Zumindest hätte ich nicht so nachbohren sollen, sondern akzeptieren, dass du nicht darüber reden möchtest und…“

Crowley rutschte ein Stück zu seinem Engel hinüber, und legte eine Hand auf dessen Knie. Erziraphael verstummte sofort und blickte dem Dämonen fragend auf die dunklen Gläser der Sonnenbrille.

„Schon in Ordnung, ich hätte es mir ja denken können, dass du irgendwann danach fragen würdest. Zwar hatte ich gehofft, dass es vielleicht erst in drei Monaten wäre. Oder in einem Jahr. Oder im Idealfall nie, aber in der Hinsicht war ich wohl ein hoffnungsloser Naivling.“

Crowley sah, dass Erziraphael den Mund öffnete, um darauf etwas zu erwidern und schüttelte seinen Kopf. Dabei unterbrach er den einseitigen Augenkontakt nicht um eine Sekunde.

„Engel, du hast sicherlich viele tausend Fragen im Kopf, aber lass mich erst aussprechen. Wer weiß, vielleicht werden sie damit auch beantwortet?“

Sofort schloss Erziraphael seinen Mund wieder, drehte sich ein Stück näher zu Crowley und sah ihn mit einer aufgeschlossenen Miene an. Crowleys plötzliche Offenheit schien ihn zu überraschen, was Crowley ihm nicht verdenken konnte. Doch sein Verstand schien stärker als die Neugierde zu sein. Erziraphael machte den Eindruck, als wüsste er, dass es besser war zu lauschen und so seine Neugierde zu stillen, als Crowley durch Sticheleien zu demotivieren.

„Ich bin ganz Ohr“, sagte Erziraphael, faltete seine Hände in den Schoß und sah Crowley mit einem aufgeschlossenen Gesichtsausdruck an.

Dieser räusperte sich, um seine Stimmbänder zu lockern.

 

„Kannst du dich noch an den Tag erinnern, als die Engel mich weggezerrt und die Dämonen dich so grob auf den Boden fallen ließen?“, begann Crowley nach wenigen Minuten Bedenkzeit und der Engel nickte stumm. Immerhin lag das Ereignis einen simplen Monat zurück, wie könnten sie diese derartig unfreundlichen Behandlungen vergessen?

„Wie es auf deiner Seite aussah, haben wir ja zur Genüge besprochen, ich denke nicht, dass wir das ein weiteres Mal durchkauen müssen.“

Crowleys Zähne begannen zu knirschen und er musste seine Hände fest zusammendrücken, um das Zittern zu unterdrücken. Er hatte es nur für einen kurzen Augenblick sehen können und doch war es Erziraphael nicht entgangen. Ein Zucken jagte durch den Körpers des Engels, doch zu Crowleys Überraschung blieb dieser auf seiner Seite der Bank sitzen.

„Allein daran zu denken, macht mich so unfassbar… zornig. Doch ich kann nicht ewig vor der Vergangenheit davonlaufen, vor allem nicht, wenn sie mich immer wieder einholt.“

Kurz fuhr Crowley sich durch die Haare, dass das seine Frisur ruinieren würde, störte ihn nicht.

„So ungern ich es zugebe, du hast die Wahrheit verdient, Engel. Wer weiß, ob du dieses Wissen nicht irgendwann benötigst, falls sie dich irgendwann wieder schnappen und dich darüber verhören sollten Ich… erinnere mich nur nicht gerne daran, das ist alles.“

Crowley atmete tief ein und aus, mehrere Male hintereinander. Eine Technik, die ihm Anathema Apparat vor kurzem erst beigebracht hatte, als er sie zufällig getroffen hatte. Er hätte nicht gedacht, dass es jemals zu einem Austausch oder gar einem kleinen Kaffeetrinken mit einem Menschen kommen würde; und doch war es geschehen. Zwar war Adams weitere Entwicklung seine einzige Motivation gewesen, der Einladung zuzustimmen. Am Ende war er im Café geblieben, weil ihm die junge Dame sympathisch geworden war.

„Ich bin ehrlich schockiert gewesen, es hat mich sämtliche Mühen und darüber hinaus gekostet, in meiner Rolle als du zu bleiben. Dieser Blick, dieser eiskalte Blick voller Verachtung… Erzi, kann es sein, dass er dich des Öfteren so angesehen hat? Dass er dich des Öfteren so von oben herab behandelt hat?“

Crowley schüttelte mit dem Kopf und schien keine Antwort von Erziraphael zu erwarten. Was dieser ahnte und deshalb seine Meinung für sich behielt. Sein stummer Blick auf dem Boden, die Verletzlichkeit in Erziraphaels Augen war Crowley ohnehin Antwort genug.

„Ich kann verstehen, dass wir Dämonen nicht gerade nett miteinander umgehen, ich meine hey, wir sind Dämonen! Wir mögen uns nicht, zumindest nicht alle von uns und die meisten von ihnen mögen mich nicht. Aber das ist mir egal. Doch ihr Engel? Ich dachte immer, Engel würden mehr zusammenhalten als die dicksten Saufbrüder und dass sie dich dort oben für deine fleißige Arbeit auf Erden loben würden.“

Wieder schüttelte Crowley seinen Kopf, intensiver als wenige Minuten zuvor.

„Dieser Blick, dieser Tonfall, den Gabriel dort oben drauf hatte… er wollte, dass du leidest. Nicht nur, weil du zusammen mit einem Dämonen die Apokalypse verhindert hast. Eine Sache, auf die tausende Jahre lang hingearbeitet worden war. Nein, er hatte ganz persönlich etwas gegen dich und schien nun erleichtert zu sein, dass er dich endlich loswerden konnte.“

Mit einer langsamen Bewegung nahm Crowley seine Sonnenbrille hinab und legte sie auf der Bank hinter sich ab. Seine Augen brannten und als Erziraphael den Blick erwiderte, zuckte er für einen kurzen Moment zusammen.

„Du bist so ein wundervoller Engel und du hast dich immer an ihre Vorschriften gehalten. Du hast immer getan, was du als richtig empfunden hast. Du hast immer für die gute Sache gearbeitet. Du warst auf ihrer Seite – und doch schienen sie dich so zu verachten. Das… das schmerzt mich noch heute! Solch eine Behandlung hast du nicht verdient. Nach allem, was du für die da oben getan hast.“

Angewidert blickte Crowley auf den Boden, seine Lippen bebten und er drückte seine Hände immer fester zusammen.

Erziraphael schien das zu bemerken. Er rückte näher an den Dämonen heran und gab sich seinem Verlangen hin. Vorsichtig nahm er Crowleys Hände in die eigenen, umfasste seine Handrücken und begann sie zärtlich mit dem Daumen zu streicheln. Sofort drehte Crowley seinen Kopf wieder in Erziraphaels Richtung, ihre Augen trafen sich, unausgesprochene Worte lagen in der Luft. Das konnten sie beiden spüren.

 

„Möchtest du hören, was Gabriel zu mir gesagt hat?“, fragte Crowley mit sanfter, warmer Stimme. Zu seiner Überraschung schüttelte sein Engel den Kopf.

„Nein, offen gestanden möchte ich das nicht, aber danke für das Angebot. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt hören kann.“

Crowley blinzelte langsam und auf seinen Lippen lag ein leichter Anflug eines Lächelns.

„Ich kann es dir auch später erzählen, wenn dir das lieber ist.“

„Ja, später, das wäre auf jeden Fall besser, Crowley“, sagte Erziraphael, während er noch immer Crowleys Händen in den seinen hielt.

„Es tut mir leid, ich hätte dich nicht so bedrängen dürfen. Dadurch habe ich nur schmerzhafte Erinnerungen ans Tageslicht gebracht.“

Dieses Mal war es Crowley, der mit dem Kopf schüttelte. Erziraphaels Gesichtsausdruck wandelte sich von traurig zu überrascht.

„Nein, es ist schon in Ordnung, Engel, ich denke, es tat gut, dass wir darüber gesprochen haben. Und mir tut es leid, dass ich dir nicht schon eher davon erzählen konnte, dann hätte ich uns diese Szene von vorhin ersparen können.“

Crowleys linke Hand wanderte an der von Erziraphael entlang, bis sich die Fingerspitzen berührten. Dann, als würde er ein zartes Pflänzchen berühren, schob er seine Finger zwischen denen des Engels und die beiden Hände verhakten sich ineinander. Dabei sahen sie sich tief in die Augen. Die Welt um sie herum, der Himmel, der Hölle, nichts davon spielte eine Rolle mehr.

Stattdessen hatten sie nur sich beide und das war alles, was im Augenblick zählte. Sie waren auf ihrer eigenen Seite und das war gut so. Crowley spürte die intensive und besondere Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte und dass sie diese nicht mehr so schnell haben würden. An Erziraphaels Blick konnte er ablesen, dass es diesem genauso erging.

„Weißt du Engel“, fing Crowley zu sprechen an und Erziraphael hörte ihm aufmerksam zu.

„Was ich vorhin gesagt habe, habe ich auch so gemeint. Du bist ein wunderbarer Engel, manchmal ein bisschen zu gut für dein eigenes Wohlergehen, aber dafür bin ich ja da. Um dich daran zu erinnern, auch mal an dich selbst zu denken.“

Erziraphael grinste verschämt, brach jedoch nicht den Blickkontakt ab.

„So wie ich dich immer wieder vom Pfad der Selbstzerstörung retten darf?“

Eine Bemerkung, die Crowley ebenfalls zum Grinsen brachte.

„Achja?! Wer von uns beiden ist denn die berühmte Jungfrau in Nöten, die immer wieder gerettet werden darf, von einem gewissen Dämonen?“, stichelte Crowley ohne jeglichen negativen Ton in seiner Stimme.

Der Griff beider Hände wurde stärker, sie wollten diesen Moment, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte, um jeden Preis so fest halten wie möglich. Um ihn nicht wieder zu verlieren.

„Die letzten sechstausend Jahre, in denen wir uns kennen, waren mir eine Ehre!“, sagte Crowley, das Grinsen wandelte sich in das Lächeln zurück, welches er zuvor getragen hatte. Erziraphael tat es ihm gleich.

„Ja, das waren sie. Und es würde mich freuen, wenn wir die nächsten 6000 Jahre ebenfalls miteinander verbringen würden.“

Crowley schnappte übertrieben laut nach Luft.

„Die nächsten sechstausend Jahre? Wenn es nach mir ginge, würde ich am liebsten für immer die Ewigkeit mit dir verbringen! Ohne einen Himmel, eine Hölle oder einen Anti-Christ, die sich irgendwie zwischen uns stellen können. Nur du und ich – nun ja, zur Not hätten wir ja immer noch Alpha Centauri als Option B. Es müsste dort immer noch sehr schön sein…“

Erziraphael lächelte den Dämonen mit dem wärmsten Lächeln an, dass ihm möglich war.

„Die Ewigkeit gemeinsam verbringen. Das ist ein sehr schöner Gedanke und ich muss zugeben, dass ich diesen Wunsch ebenfalls teile. Damit du es weißt, auch du bist ein fantastischer Kerl. Selbst, wenn du es weder sehen noch zugeben möchtest. Ich weiß es, und du wirst mich nie vom Gegenteil überzeugen können.“

Die Spannung zwischen ihnen wuchs, die Luft wurde immer dicker und dicker; und für einen Augenblick fühlte sich Erziraphael beobachtet. Ob es die Engel waren, die in eine hysterische Schnappatmung verfielen? War es Gott, die ihre Augen auf sie gerichtet hatten?

Erziraphael war es egal, dann sollten sie doch zusehen, es lag nicht in seiner Verantwortung, was sie zu sehen bekamen und was nicht.

Diese kurze Gelegenheit der Stille nutzte Crowley, er nahm seine Hände und umfasste Erziraphaels Gesicht. Der Engel schluckte, die Spannung schien ihn langsam zu zerdrücken. Es schien ihm sogar ein wenig Angst zu machen. Eine Angst, von der er sich nicht steuern lassen wollte, nicht noch einmal. Allein sein entschlossener Ausdruck in den Augen sprach Bände.

„Engel, ich… mir gehen langsam die Worte aus, die ich dir sagen möchte. Die ich dir sagen muss. Dass du mir die Welt, das Universum bedeutest und ohne dich alles nur grau und langweilig wäre. Ich muss dir sagen… Ich …“, begann Crowley zu stottern, doch da legte ihm der Engel einen Finger sanft auf die Lippen.

„Du musst nichts mehr sagen. Auch mir bedeutest du alles, was unsere Herrin mit ihren eigenen Händen erschaffen hat. Vergiss das nicht. Und ich freue mich schon, mit dir die Ewigkeit zu verbringen.“

Erziraphael legte seine Hände auf die von Crowley, sie beiden genossen die Berührung des jeweils anderen. Die Intensität des Moment, die sie gespürt hatten, steckte ihn noch immer in den Knochen, in der Luft, in den Haarspitzen. Jedoch wussten sie, dass der Höhepunkt des Moments bereits hinter ihnen lag, und mit jeder Minute, die verging, schwand er vor sich hin. Sie nahmen immer mehr von der Welt um sich herum wahr, bis die Spannung vollkommen verschwunden war.

Was blieb, war ein warmes Gefühl in Crowleys Bauchgegend. Er stellte die Vermutung auf, dass Erziraphael das gleiche spüren musste, das konnte gar nicht anders sein. Allein sein Lächeln verriet den Engel und seine aktuelle Gefühlslage.

 

 

~ Erziraphael ~

 

Welche von einer Sekunde auf die andere von einer kleinen Wolke überschattet wurde.

„Was ist los, Crowley? Ist jemand von deinen Leuten hier? Oder von meinen? Ich bin mir sicher, dass wir mit ihnen fertig werden können!“

„Nein“, sagte Crowley und unterbrach nach einer Ewigkeit den Blickkontakt, den sie bis eben aufrecht gehalten hatten.

„Ich habe nur Angst, dass ich dir wieder zu schnell sein könnte und dass du dich dann wieder von mir entfernst…“

Erziraphael nahm eine von Crowleys Händen und führte sie zu seinem Mund. Wie in Zeitlupe drückte der Engel seine Lippen dagegen, während er seine Augen schloss und sich dem Gefühl hingab. Als er seine Augen wieder öffnete, sah er, dass Crowleys Wangen eine dezente rote Färbung angenommen hatten.

„Nein, Crowley, dieses Mal bist du mir nicht zu schnell. Dieses Mal ist die Geschwindigkeit sehr, sehr angenehm.“

Zufrieden zog Crowley seine Hände zurück, erhob sich von der Bank und sah seinen Engel mit einem Blick an, wie er ihn noch nie zuvor betrachtet hatte.

„Hättest du was dagegen, wenn wir zu unserem Wagen zurückgehen? Mein Gefühl sagt mir, dass ganz in der Nähe ein vorzügliches italienisches Restaurant darauf wartet, uns beide bedienen zu dürfen. Ich glaube, sie haben dort sogar ein sehr leckeres Tiramisu, welches dir schmecken dürfte.“

Dabei reichte er dem Engel seine Hand und dieser nahm das Angebot sofort an.

„Dein Gefühl hat einen sehr guten Geschmack, ich denke, zu dieser Verführung könnte ich gar nein sagen“, sagte Erziraphael und erhob sich ebenfalls von der Bank. Das Gefühl, dass ihn jemand beobachten würde, war verschwunden. Für einen kurzen Augenblick konnte er aus dem Augenwinkel Blumen erkennen, die in einem großen Topf ihre Pracht zur Schau stellten.

War der Strauch Rosa chinensis mit den vielen weißen Blüten schon immer an dieser Stelle gewesen? Erziraphael konnte es nicht sagen, so sehr er auch versuchte sein Gedächtnis zu bemühen.

„Können wir losgehen? Nicht, dass ich dich drängen möchte, aber unsere Platzreservierung…“

„Aber natürlich können wir das“, sagte Erziraphael und drückte Crowleys Hand ein Stück fester.

„Nach dir, mein dämonischer Freund.“

„Du meinst, mit dir, Engel, mit dir“, korrigierte ihn Crowley amüsiert.

„Natürlich, mir dir, was anderes könnte ich doch gar nicht meinen“, sagte Erziraphael und warf einen dankbaren Blick gen Himmel. Dann sah er zufrieden in Crowleys Gesicht.

„Lass uns gehen!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin wirklich froh, dass ich mir endlich die Zeit genommen habe, um die FF fertigzustellen. Es hat Spaß gemacht und ich freue mich schon darauf, bald die nächste offene FF fertig zu machen^^ Komplett anzeigen

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