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Cursed

von

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Werkzeug

„Tut mir leid“, war das Erste, was Reel sagte, als er aus seinem Schlaf erwachte und sich neben Aiden auf dem Bett materialisiere. „Ich hätte Sophie nicht so angehen dürfen und auch Lukas gegenüber nicht so vorlaut sein sollen. Tut mir leid, Sunshine.“ Betrübt ließ er seinen Kopf auf Aidens Schulter sinken und der nahm ihn bereitwillig in die Arme.

„Schon okay. Also eigentlich nicht okay, aber ich weiß, warum du so reagiert hast.

Fühlst du dich jetzt etwas besser?“

„Ein wenig, aber ich kann es kaum erwarten mich mit dir zusammen ins Bett zu kuscheln und weiter zu schlafen.“ Unwillkürlich stahl sich ein Schmunzeln auf Aidens Lippen.

„Du hattest dieses mal keinen Albtraum.“

„Nein. Vielleicht komme ich ja so langsam wieder zu Kräften. Der Exorzismus hat mich ganz schön mitgenommen, aber ich glaube ich erhole mich endlich davon.

Was hab ich eigentlich verpasst?“ Grob umriss Aiden für seinen Dämon, wie das Gespräch mit Lukas verlaufen war, und kraulte ihm dabei fast schon automatisiert den Nacken.

„Wenn der Junge irgendwas Dummes tut, was dich in Gefahr bringt, dann mach ich ihn kalt.“ Eigentlich wollte Aiden ihn reflexartig anfahren, aber er wusste es inzwischen besser. Es würde nichts bringen jetzt mit Reel darüber zu streiten. Seine oberste Priorität war Aiden, also stelle er alles und jeden anderen hinten an – mehr steckte da nicht dahinter.

Mit einem resignierten Schmunzeln drückte Aiden ihn noch enger an sich. Ihnen würde in Zukunft eine Menge Ärger ins Haus stehen, das hatte er im Gefühl, also genoss er einfach die Ruhe vor dem Sturm und schob auch seine Sorgen Lukas betreffend vorerst beiseite.
 

Der ging Aiden in der nächsten Zeit tatsächlich vehement aus dem Weg, obwohl sich das für zwei Klassenkameraden, die in fast jedem Fach nebeneinander saßen, ausgesprochen schwierig gestaltete.

Lukas sprach kaum ein Wort und warf Aiden immer wieder skeptische Blicke von der Seite zu. Es war ihm mehr als unangenehm, so nah an dem unmenschlichen Monster zu sitzen, das sich vor aller Augen verborgen im Körper seines besten Freundes versteckte. Doch gleichzeitig biss ihn dabei jedes mal sein schlechtes Gewissen.

Aiden hatte schon recht – was hätte er bitte tun sollen? 'Sich nicht auch noch in dieses Monster verlieben', kam es ihm unweigerlich in den Sinn, doch er schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Er wusste selbst, dass man sich sowas nicht aussuchen konnte und dass es für Aiden bestimmt auch nicht unbedingt leicht gewesen war. Vor seinem geistigen Auge sah er wieder das mitleiderregende Bild, das Aiden abgegeben hatte als er ihm nach Lukas' ungünstigem Timing gestanden hatte, dass er Reel liebte.

Unwillkürlich drang ein Seufzen aus seiner Kehle und er wollte am liebsten den Kopf auf den Schultisch legen. Gefühle für einen Dämon, einen mörderischen Magier am Hals und schmerzhafte Siegel, die ihn ausspionierten, überall im Internat – für Aiden musste das Ganze viel schwieriger sein und Lukas war ihm keine besonders große Hilfe.

Auf der anderen Seite lief es Lukas schon kalt den Rücken herunter, wenn er nur an den lebendigen Schatten und das monströse Aussehen von Reel dachte – von dessen Verhalten und Feindseligkeit mal ganz abgesehen.
 

Aiden hielt dieses unbequeme Schweigen und die seltsame Stimmung im Internat nicht lange aus. Er und Reel nahmen ihr übliches Training wieder auf und flohen gelegentlich in die Innenstadt. So kam Aiden mal auf andere Gedanken und Reel konnte austesten, wie viel er seinem Körper und seiner dämonischer Macht wieder zutrauen konnte.

Immerhin schlief er inzwischen wieder besser, solange Aiden währenddessen nicht von seiner Seite wich. Sobald sein geliebter Sunshine jedoch aufstand und ins Bad ging oder irgendetwas am Schreibtisch machte, suchten ihn sofort seine üblichen Albträume heim.

Diese Nacht hatte Reel allerdings durchschlafen können, also hatten er und Aiden sich spontan nach dem Unterricht auf den Weg in die Innenstadt gemacht und dieses Mal hatte Aiden sogar einen Grund dazu.

Froh über die Ablenkung nahm er sich zwei neue Schreibblöcke aus dem Regal im Schreibwarengeschäft und schlenderte anschließend mit Reel an der Hand durch die Gänge, damit sein künstlerisch-begabter Dämon seinem Interesse frönen und sich durch einige Stifte durchprobieren konnte. Mit den zwei Blöcken und einem Basis-Set an (viel zu teuren) Kohlemalern verließen sie schließlich den Laden und machten sich auf den Rückweg.

„Danke, Sunshine. Ich weiß, mein Hobby ist nicht unbedingt billig.“ Dankbar schenkte er Aiden einen Kuss auf die Lippen und drückte dessen Hand in seiner.

„Schon okay. Du bist ja genügsam. Außerdem hätte ich sonst Angst, dass du einfach im Laden klaust“, neckte er Reel vergnügt und erwiderte bereitwillig auf offener Straße und vor aller Augen ihren Kuss.

Hand in Hand liefen sie die Straße hinunter und fast hätten sie das Chaos vergessen können, in dem sie eigentlich streckten, doch dann meldete sich plötzlich dieses unangenehme Gefühl wieder, das Reel noch von ihrem letzten Doppeldate mit Lukas und Sophie kannte.
 

„Verdammt. Nicht schon wieder. Weg hier, Sunshine.“ Hastig zog er Aiden mit sich und lief einfach die Straße weiter runter. Ohne Sophies feinen Aurenspürsinn hatten sie keine Chance zu wissen, wo der Einflussbereich des Magiers endete, also hoffte Reel einfach, dass er instinktiv in die halbwegs richtige Richtung rannte.

Leider war das feine Gespür nicht das Einzige, was ihm im Gegensatz zu Sophie fehlte. Auch von ihrer Ortskundigkeit hatte Reel nichts und so ließ er sich von ihren unsichtbaren Verfolgern in eine Sackgasse treiben.

Drohend lösten sich die deformierten Gestalten in der menschenleeren Gasse aus den Schatten und fixierten die beiden Flüchtenden mit ihren pupillenlosen, roten Augen. Die Niederen umringten sie und schnitten ihnen den Weg ab, aber zu Reels Überraschung griffen sie nicht an. Sie hatten sie hierher in eine Falle gejagt und schienen nun auf etwas zu warten.

„Reel, was ist los? Warum bewegen die sich nicht mehr?“ Verunsichert klammerte Aiden sich an dessen Arm fest und der hüllte ihn schützend in seinen Schatten ein.

„Keine Ahnung, aber es gefällt mir nicht. Bleib dicht bei mir.“ Plötzlich vernahm Reel ein leises Murmeln aus dem Halbdunkel einer kleinen Seitengasse und ein schmerzhaftes Brennen breitete ich in seinem Körper aus. 'Ein Bannkreis. Verflucht!'

Aiden schien den Schmerz ebenfalls in seinem Fluchmal zu spüren und hielt sich erschrocken die linke Schulter, während Reel ihn instinktiv hinter sich schob um ihn vor der Quelle des verdächtig magischen Gemurmels zu beschützen.

Das Brennen vereinnahmte Reels gesamten Körper und verlangsamte seine Gedanken, aber es war Nichts im Vergleich zu den Qualen, die der Exorzismus in Japan verursacht hatte.

Die Niederen versammelten sich drohend um die Grenzen des Bannkreises und nun kam auch endlich die Gestalt aus den Schatten auf sie zu. Eine junge Frau – eher noch ein Mädchen – mit blondem Haar und verachtungsvollem Blick. Ihr Zauber verstummte und ein überhebliches Lächeln trat seiner statt auf ihre Lippen.
 

„Sierra?“, stellte Aiden mit Entsetzen fest. Jetzt verstand er überhaupt nichts mehr. „Aber warum -“ Aidens Stimme erstarb und wurde von einem gequälten Röcheln abgelöst. Mit weit aufgerissenen Augen schnappte er nach Luft und krallte sich hilfesuchend an Reel fest.

„Sunshine! Was hast du?“ Unweigerlich glitt sein Blick zurück zu der Hexe, die ihren erhobenen Zeigefinger auf Aiden richtete und stumm die Lippen bewegte. Flashbackartig kehrten die Bilder aus Reels Träumen zurück und hebelten kurzerhand seinen Verstand aus. Im Traum hatte er sich nicht rühren und Aiden nicht beschützen können, doch jetzt sah das anders aus.

Sein Schatten türmte sich mehrere Meter hoch über ihm auf, das Rot seiner Iris griff auf seine Augäpfel über und ein unmenschliches Knurren erklang aus seiner Kehle und ließ die Niederen um ihn herum instinktiv zurückweichen.

Reel machte sich nicht einmal die Mühe, seinen Schatten Dolche formen zu lassen, sondern schmiedete sich die Klingen in Form von Klauen direkt an die Finger, während er in unkontrollierbarer Rage auf die junge Hexe zustürmte. Er sah nur noch sie und ihr süffisantes Lächeln. Er wollte nur noch ihr Blut und ihren Tod, alles andere verlor sofort jegliche Bedeutung.

Die Barriere des Bannkreises zerschmetterte er mühelos, aber seine Klauen fanden dennoch nicht ihr Ziel.

Nur eine Haaresbreite trennte die ungeschützte Haut der Hexe von Reels tödlicher Tobsucht, doch er konnte sie nicht überwinden. Egal was er tat, er kam nicht an dieses verachtenswerte Geschöpf vor ihm heran. Sie stand genau vor ihm – die Hexe, die Aiden so häufig fast das Leben genommen hätte, die für den Zwischenfall verantwortlich war, der zu dem Exorzismus und zu seiner Seelenspaltung geführt hatte.

Die Hexe, die Aidens zerbrochene und nun verdorbene Seele zu verschulden hatte, war so nah, dass Reel ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte, doch weder seine Klauen, noch seine Zähne oder sein Schatten drangen zu ihr durch. Alles schien an ihrer Haut einfach spurlos abzuprallen.

„Dummes Werkzeug“, flüsterte sie ihm zu, ohne sich auch nur in kleinster Weise von seinen unkontrollierten Angriffen beeindrucken zu lassen. „Ich bin deine Herrin. Du kannst mich nicht töten. Dein Ungehorsam allein ist schon absolut inakzeptabel, aber dass du tatsächlich versuchst Hand an mich zu legen, ist einfach nur albern.

Wirklich schade. Da habe ich schon so ein Pachtexemplar beschworen und es ist trotzdem nutzlos.“ Interessiert glitt ihr Blick über Reels eindrucksvolle Erscheinung und blieb schließlich in seinem Ausschnitt hängen. „Nun ja. Vielleicht bist du doch nicht völlig nutzlos.“ Nonchalant griff sie nach dem Band um Reels Hals und riss beherzt den Schlüssel an sich. „Du hast ja keine Ahnung, was du da als Schmuckstück mit dir herumgetragen hast, du wertloses Mängelexemplar. Du trägst buchstäblich den Schlüssel zu Großmeister Griefs Seele mit dir herum und es ist noch nie jemandem aufgefallen.

Einen sichereren Ort als den Körper eines hochstufigen Rachedämons hätte der Großmeister gar nicht wählen können. Er war wirklich ein Genie und er wird es wieder sein.“

Reels Blut gefror in seinen Adern. Griefs – das konnte nicht wahr sein. Die ganze Zeit über, hatte er die Seele des Mannes beschützt, der ihn zu diesem Leben verflucht hat und der Nathaniël... Sein Schatten flammte wütend um ihn auf, sein Knurren wurde wieder laut und unbändige Rachsucht drohte seinen ganzes Selbst vollkommen zu vereinnahmen.

„Reel.“ Einen Moment lang war er völlig verwirrt. Diese leise Stimme war Reel vertraut, aber irgendwie hatte er vergessen, zu wem sie gehörte und warum er sie jetzt und hier vernahm. Dann fiel endlich der rote Schleier, der seine Sinne vernebelte und seinen Geist zerfraß.

„Sunshine!“ Aiden kniete auf dem Boden, atmete schwer und hatte tränennasse Augen. Sofort ließ Reel von der Hexe ab, um sich um den verstörten Aiden zu kümmern. Er bekam zwar wieder Luft, aber seine Atemnot hatte eine ganze Weile angehalten, ehe Sierra mit ihrem Monolog den Zauber abgebrochen hatte.

„Hm. Eigentlich hättest du jetzt bewusstlos sein sollen. Seltsam.

Die Regeln verbieten es mir leider, dich mit einem einfachen Erstickungszauber zu töten. Es muss durch einen Dämonenangriff oder einen magisch verursachten „Unfall“ geschehen – so habe ich mir die Prüfung selbst ausgesucht. Aber wer hätte auch damit rechnen können, dass du so ein hartnäckiges Opfer wärst und dieser vermaledeite Dämon so unsagbar widerspenstig?

Ich weiß nicht einmal, ob deine Art diese Bestie zu zähmen und zu kontrollieren bewundernswert oder einfach nur abartig, widerwärtig und über alle Maßen ekelerregend ist. Aber du hast ohne magische Begabung einen Dämon in deine Gewalt gebracht und dafür verdienst du zumindest etwas Respekt.“ Schützend schlang Reel die Arme um Aiden und konzentrierte sich auf dessen Herzschlag, Atmung und Geruch. Seine Gedanken sprangen im Sechseck und drohten ihn erneut zu übermannen und seinen Verstand zu verschlingen, also musste er sich an Aiden als seinen Anker klammern, bevor seine Instinkte erneut die Kontrolle über ihn gewinnen konnten.

„Meine Niederen werden vermutlich nicht ausreichen, um dir endlich das Licht auszupusten, aber einen Versuch ist es wert. Dein Dämon scheint ja auch auf einem schmalen Grad zwischen Erschöpfung und völligem Wahnsinn zu wandeln.

Vielleicht tötet er dich ja doch noch selbst.“ Ein selbstgefälliges Schmunzeln umspielte ihre Lippen und der Hochmut in ihrer Stimme ließ bei Reel fast auch noch die letzte Sicherung durchbrennen, doch er hielt sich verbissen an Aiden fest und rief sich immer wieder ins Gedächtnis, dass er seine höchste Priorität war. Aidens Sicherheit und Überleben war wichtiger als Reels Rachsucht, also durfte er seinen dämonischen Gelüsten nicht nachgeben.

„Aber selbst wenn du auch hier wieder lebend rauskommst, kriege ich meine Rache. Dieses Baby hier -“ Sierra küsste den schwarzen Schlüssel in ihrer Hand. „- wird mir den Weg in den Zirkel und vielleicht sogar an Großmeister Griefs Seite ebnen und dann ist es nur noch ein Katzensprung bis zu unvorstellbarer Macht.

Du wirst sterben, Aiden Moore, und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Dein dämonischer Wachhund wird dich nicht immer beschützen können. Du wirst für deinen Mord an Fibi bezahlen.“ Während sie sprach, war ihre Miene immer verzerrter geworden und Sierras Gesicht glich nun einer Maske des Wahnsinns.

Das was Sophie damals über die Auren der Niederen gespürt hatte, konnte Aiden nun unverkennbar in Sierras Stimme hören und in ihrem Gesicht sehen. Dieses Mädchen war völlig machtbesessen und rücksichtslos. Und Reel konnte seinen Liebsten nicht vor ihr beschützen.

Mit einer ruckartigen Bewegung wandte Sierra sich plötzlich um, schnippte in die Finger und all die Niederen, die sie die ganze Zeit über belauert hatten, fielen nun über sie her. Doch Reel war am Ende seiner Geduld und Selbstbeherrschung angekommen.

In kaltem Zorn zerriss er jede erbarmungswürdige Gestalt, die es wagte, Aiden zu nahe zu kommen. Reel zerfetzte sie mit Klauen und Zähnen oder ließ seinen Schatten sie verschlingen, doch er wich Aiden dabei nicht für den Bruchteil einer Sekunde von der Seite. Er würde nicht zulassen, dass man ihn ihm wegnahm. Niemandem würde er diese Macht erlauben und niemand würde ihn erneut zu seinem Werkzeug machen.
 

Am Rande seiner Kräfte und Selbstbeherrschung sank Reel schließlich neben Aiden auf die Knie. Die Hexe war geflohen, die Niederen vernichtet und auch der Bannkreis war irgendwann verschwunden, doch Reel und Aiden saßen noch eine Weile unschlüssig auf der kalten Straße. Ihrer beider Köpfe waren hoffnungslos überfüllt mit Gedanken und vollkommen gelähmt zugleich.

Schließlich schlang Reel einfach stumm die Arme um Aiden, drückte ihn fest an sich, vergrub sein Gesicht in den braunen Haaren und flüsterte: „Ich liebe dich.“

Es war ein unbegründeter Impuls, der ihn zu diesen Worten brachte, doch irgendwie erschienen sie ihm angemessen. Reel verbannte vorübergehend alle Gedanken aus seinem Kopf, die nicht unmittelbar mit Aiden zu tun hatten. Er musste jetzt einfach ganz dringend an was anderes, als diese Begegnung denken. „Du wirst ganz kalt. Komm. Lass uns schnell zurück gehen.“ Abwesend nickte Aiden. Hier mitten auf der schmuddeligen, kleinen Straße war wirklich nicht der beste Ort, um diese ganze Sache einzuordnen und ihre neuen Erkenntnisse irgendwie zu sortieren.



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