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Lügner!

von

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Sprachbarriere

Mit Argusaugen beobachtete Ken jede Bewegung des Technikers, der an der Klimaanlage herumwerkelte und dabei immer wieder unmutige Laute von sich gab.

„Können Sie es reparieren?“, wagte er endlich zu fragen, als seine Ungeduld die Oberhand gewann.

„Vermutlich“, war die wenig befriedigende Antwort. „Es kann aber noch ein wenig dauern. Vielleicht möchten Sie sich solange eine andere Beschäftigung suchen?“

Ken schnaubte und wandte sich den restlichen drei Mitgliedern von Weiß zu, die gerade die Auslagen nach dem ersten Kundenansturm am Morgen wieder auffüllten. „Er kriegt's nicht hin.“

„Das habe ich nicht gesagt!“, tönte der Mann aus dem Hintergrund, aber Ken zog es vor, ihn zu ignorieren. Ihm ging die andauernde Wärme ganz gehörig auf den Zeiger. Vor allem, da er den lieben, langen Tag hier im Laden eingesperrt war. Es war zu warm, zu voll und überhaupt.

„Wenn du möchtest, können wir tauschen“, bot Yoji an. Er war gerade dabei, den kleinen Wagen des Geschäfts mit den heutigen Lieferungen zu beladen. „Dann halte ich hier die Stellung und du ...“

„Kannst du vergessen“, lehnte Ken eilig ab. „Hier habe ich wenigstens die Chance, dass die Klimaanlage demnächst irgendwann anspringt. In dem Ding da ist ja nicht mal eine. Also danke, aber nein, danke. Heute musst du mal in der Bullenhitze herumfahren. Ich war schon die letzten drei Tage dran.“

Der Blick, den Yoji ihm über die Sonnenbrille hinweg zuwarf, hätte einen Eisberg schmelzen können, aber Ken gab sich unbeeindruckt. Er hatte inzwischen eine gewisse Hitzeresistenz entwickelt. Ohne Yoji noch weiter zu beachten, schnappte er sich einen Schlauch und begann, die Pflanzen, die Aya gerade aus dem Lager gebracht hatte, zu wässern.
 

Seufzend schob Yoji die Sonnenbrille nach oben und sah sich nach einem neuen Opfer um. Da Aya ihm den Rücken zudrehte, weil er eine der Vitrinen abwischte, blieb sein Blick an Omi hängen. Der war gerade dabei, neue Sträuße für die geplünderten Vasen zusammenzustellen.

„Omi, mein Freund ...“ Er kam nicht weiter, da Omi den Zeigefinger hob, ohne ihn anzusehen.

„Kommt nicht in die Tüte, Yoji. Ich war die zwei Tage vor Ken dran. Und die davor Aya. Wenn du also nicht zufällig noch einen weiteren Angestellten unter dem Ladentisch versteckt hast, bist du an der Reihe, mein Lieber. Es wird dir schon kein Löckchen dabei abbrechen.“

Yoji schob die Augenbrauen nach oben, bevor sich ein Schmunzeln über sein Gesicht zog. Er zog Omi an sich und wuschelte ihm ein wenig zu grob durch die Haare.

„Sieh an, sieh an. Die Hitze macht selbst aus dem Chibi einen Giftzwerg.“

Omi entwand sich seinem Griff. „Nenn mich nicht Zwerg!“

„Bist aber einer!“

„Gar nicht, du Bohnenstange!“

„Wie ich sehe, ist hier alles in bester Ordnung.“ Die weibliche Stimme brachte den Streit sofort zum Erliegen.

„Manx!“ Omi wischte sich die Hände an der Schürze ab und wollte Persers Sekretärin in Empfang nehmen, aber Yoji war schneller. Wie eine große Raubkatze glitt er neben die rothaarige Frau und legte ihr den Arm um die Schultern, die ihr kurzes Sommerkleid großzügig freiließ.

„Manx, du bist meine Rettung. Bitte sag mir, dass das in deinen Händen das ist, was ich denke.“

Die Frau schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. “Tut mir leid, Yoji, aber heute bin ich nur wegen Omi hier.“

Der Playboy griff sich ans Herz. „Ich hoffe du weißt, wie sehr mich das schmerzt.“

Omi verdrehte die Augen. „Mach dich endlich auf den Weg, Yoji. Die Blumen werden sonst noch welk.“ Er wandte sich an Manx. „Was kann ich für dich tun?“

Manx sah sich im Laden um und bedachte den Mann an der Klimaanlage mit einem prüfenden Blick, bevor sie Omi einen Umschlag reichte. „Ich möchte, dass du dir das mal ansiehst. Ist wahrscheinlich keine große Sache. Lediglich ein kleines Sicherheitsproblem in der Datenbank, aber mir wäre wohler, wenn du es mal überprüfen könntest. Die Details findest du hier drin.“

Omi nahm den Umschlag entgegen. „Kein Problem. Ich kümmere mich darum.“

Manx nickte ihm lächelnd zu. „Danke Omi. Meine Herren.“

Perser Sekretärin winkte noch einmal lässig in die Runde, setzte sich ihre dunkle Sonnenbrille wieder auf die Nase und stöckelte aus dem Laden. Ken sah ihr nach und war insgeheim froh, dass sie nur ein wenig Recherche benötigte. Seine Motivation, sich nach den anstrengenden Tagen auch noch die Nächte bei einer Mission um die Ohren zu schlagen, ging gegen Null.
 

Um nicht nutzlos in der Gegend herumzustehen, begann Ken, Omi die Blumen für die Sträuße vorzubereiten. Er entfernte Dornen und überschüssige Blätter, sortierte schon schlappe Exemplare aus und legte die fertigen griffbereit auf den Tisch. Als er seinen Blick zu Omi schweifen ließ, band der gerade die vierte Gerbera in einen kleinen Handstrauß.

„Hey, Omi, was soll das werden?“

Der andere zuckte zusammen und sah schuldbewusst auf sein Werk. Er grinste entschuldigend und legte die überschüssige Blüte zur Seite. „Sorry, ich habe nicht aufgepasst.“

„Bist wohl mit deinen Gedanken woanders?“, wollte Ken wissen und reichte seinem Freund stattdessen etwas Füllgrün.

„Mhm ...“

Omi arbeitete weiter an dem Strauß, aber Ken konnte sehen, dass sein Blick immer wieder zu dem braunen Umschlag wanderte, den er unter den Ladentisch gelegt hatte. Ken konnte es ihm nicht verdenken. Die Aussicht, sich im schattigen Keller des Koneko gemütlich vor den Rechner zu setzen, erschien selbst ihm attraktiver, als hier weiter im heißen Blumenladen herumzustehen. Und er wusste, dass es für Omi noch viel schlimmer war. Der jüngste Weiß war völlig vernarrt in seinen Computer und wenn es dort ein Problem gab, war das wie ein Mückenstich für Omi. Er konnte es einfach nicht ignorieren. Wie oft hatte Ken ihn mit dem Kopf auf der Tastatur gefunden, wenn er mal wieder bis tief in die Nacht auf den Bildschirm gestarrt hatte, um irgendein Problem zu lösen. Er wusste, dass genau das heute auch wieder passieren würde, wenn er nichts dagegen unternahm.

Kurzentschlossen nahm Ken Omi die Blumen aus der Hand und schubste ihn vom Arbeitstisch weg. „Los, verzieh dich. Aya und ich kommen hier schon alleine klar.“

Omi sah ihn ungläubig an. „Im Ernst?“

Nun war es Ken, der mit den Augen rollte. „Na klar. Bis zum Mittag ist hier doch ohnehin nicht viel los, da müssen wir nicht zu dritt hier herumsitzen. Mach dich lieber an die Arbeit. Wenn was ist, können wir dich ja immer noch rufen.“

Omis Gesicht glühte förmlich auf vor Begeisterung. „Klasse, Ken. Also dann, bis später.“ Er war aus der Tür, bevor Ken seinen Gruß erwidern konnte. Kopfschüttelnd machte Ken sich daran, den angefangenen Strauß zu Ende zu binden.
 

„Ich bin fertig.“ Der Techniker hielt ihm einen Zettel unter die Nase. „Da unten bitte unterschreiben. Die Rechnung kommt dann per Post.“

Ken biss sich auf die Zunge, um nicht zu erwidern, dass das vermutlich schneller ginge, als die Reparatur. Man sah sich ja bekanntlich immer zweimal im Leben und wenn die Anlage diesen Sommer nochmal ausfiel ... Ken wollte lieber nicht daran denken. Die Tür hatte sich kaum hinter dem Mann geschlossen, da stand er bereits mit ausgebreiteten Armen unter dem Luftauslass.

„Ah, eine Wohltat. Jetzt kann die Sonne da draußen scheinen, wie sie will. Ich bleibe hier, bis mir Eiszapfen an der Nase hängen.“

Gerade als er überlegte, ob er sich wohl einen Stuhl in den kühlen Luftstrom stellen sollte, öffnete sich die Ladentür. Eine ihrer Stammkundinnen kam herein.

„Ich übernehme das“, verkündete Ayas tiefe Stimme und Ken ließ ihn widerstandslos gewähren. Alles, wenn er hier nur nicht weggehen musste. Aya nahm diese ganze Blumengeschichte ohnehin viel ernster als er. Seit er im Koneko angefangen hatte, war er sehr gewissenhaft, ja geradezu verbissen dabei, wenn es um seine Arbeit hier im Blumenladen ging. Außerdem konnte Ken so noch weiter hier im …
 

Wieder öffnete sich die Ladentür. Seufzend drehte sich Ken herum und hatte bereits eine Begrüßung auf den Lippen, als er in der Bewegung stockte. An der Ladentür stand ein Ausländer. Ken ließ seinen Blick über den Fremdling schweifen. Er trug ein wenig abgetretene Sneaker ohne Socken, eine halblange, dunkle Hose und ein knallgelbes, bedrucktes T-Shirt. Auf seinem Kopf saß eine Baseballkappe, aus der hinten ein kupferroter Pferdeschwanz herausragte, und auf der linken Schulter hing ein khakifarbener Rucksack. Als der junge Mann Ken sah, lächelte er und kam auf ihn zu.

Kens Herz begann schneller zu klopfen, sein Magen zog sich zusammen und es rauschte in seinen Ohren. Schweiß trat auf seine Stirn. Er wusste genau, was jetzt kam. Ab und an verirrten sich Touristen hierher und, als wenn sie ein Radar dafür hätten, dass Ken keine Fremdsprachen konnte, kamen sie grundsätzlich zu ihm. Yoji behauptete immer, er sähe halt sehr vertrauenswürdig aus, aber Ken glaubte fest daran, dass ihm irgendwann mal jemand einen bösen Fluch angehängt hatte. Einen, der ihn dazu zwang, peinliche Gespräche mit Leuten zu führen, die er nicht verstand. Er schluckte trocken und versuchte, das pelzige Ding, in das sich seine Zunge verwandelt hatte, irgendwie in Bewegung zu setzen. Es wurde ihm bewusst, dass der Fremde ihn bereits mehrfach etwas gefragt hatte. Jetzt legte der junge Mann den Kopf schief und es kam die Frage, auf die Ken schon die ganze Zeit gewartet hatte. Die er gefürchtet hatte.

„Do you speak English?“

Ken gab sich innerlich einen Tritt und bekam seinen Körper wieder unter Kontrolle. Er öffnete den Mund und gab den einzigen Satz von sich, der ihn in dieser Situation noch retten konnte.

„AYA! Dein Typ wird verlangt.“
 


 

Als Kens Schrei durch den Laden gellte, wickelte Aya gerade einen Strauß Nelken für seine Kundin in Papier. Er runzelte die Stirn, murmelte etwas in Richtung der Frau, das als Entschuldigung durchgehen mochte, und kassierte sie ab. Erst dann drehte er sich herum und … blickte in ein Paar strahlendblauer Augen. Für einen Augenblick schien die Welt stillzustehen. Aya vergaß, was er hatte sagen wollen. Stattdessen blieb ihm der Mund offenstehen und er starrte den Fremden vor sich einfach nur an. Da war etwas, ein Gefühl, eine unbestimmte Regung, die er nicht einzuordnen wusste. Wie eine Gänsehaut, die über den ganzen Körper lief.

Der junge Mann sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an. „English?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Ähm ja, ich verstehe Sie“, antwortete Aya in der gleichen Sprache und sandte Ken einen bösen Blick, damit dieser endlich die Klimaanlage runterstellte. Er fror und schwitzte zur gleichen Zeit.

Der Mann war sichtlich erleichtert. „Oh wundervoll! Ich glaube, mein Japanisch ist doch noch nicht so gut, wie ich dachte. Ihr Kollege hat mich anscheinend nicht verstanden.“

Aya schickte Ken einen zweiten, finsteren Blick. Wahrscheinlich hatte der in seiner Panikattacke nicht mal gemerkt, dass der Kunde mit ihm Japanisch gesprochen hatte. Ken zuckte mit den Schultern, warf noch einen zweifelnden Blick auf den Kunden und machte sich dann an einer der Vitrinen zu schaffen. Kopfschüttelnd wandte Aya sich ab. Der junge Mann vor ihm lächelte immer noch ein wenig schief. Er hatte Aya nicht aus den Augen gelassen und zögerte jetzt sichtlich weiterzusprechen. Anscheinend waren ihm die Schwingungen im Laden nicht entgangen.

Aya riss sich zusammen. „Womit kann ich Ihnen helfen?“

„Nun … ich … möchte einige Blumen kaufen. Leider habe ich keine Ahnung, was ich nehmen soll.“

„Zu welchem Anlass sollen die Blumen denn sein?“ Aya klammerte sich an den professionellen Verkaufston wie an eine Rettungsleine. Irgendetwas an diesem Mann machte ihn nervös, aber er konnte den Finger nicht darauf legen, was es war.

„Ich brauche sie für die Frau meines Chefs. Oder besser für die Frau des Mannes, von dem ich hoffe, dass er mein Chef wird. Äh ... versteht man das?“

Der andere lachte kurz auf. Es war ein angenehmer, perlender Laut, der einen erneuten Schauer über Ayas Rücken schickte. Er griff nach der Kante des Ladentischs.

„Ein Bewerbungsgespräch also?“

„Ja. Und ein Abendessen. Mein hoffentlich zukünftiger Boss hat mich zu sich nach Hause eingeladen. Ich soll seinem Sohn Sprachunterricht geben. Deutsch. Ich komme von dort.“

'Das erklärt die helle Augenfarbe', dachte Aya bei sich. Er musste wirklich aufhören, den Kunden anzustarren. Vielleicht sah er lieber auf dessen Hände. Der Mann hatte lange, schlanke Finger, gepflegte Nägel, weiche Haut. Hände von jemandem, der an einem Schreibtisch arbeitete. Obwohl er am Handgelenk eine kleine Narbe hatte. Vielleicht von einem Unfall?
 

Aya bemerkte, dass der Andere ihn fragend ansah. Anscheinend hatte er etwas gesagt, aber Aya hatte es nicht gehört. Er schüttelte leicht den Kopf.

„Ich … Entschuldigung, was haben Sie gesagt?“

„Ich sagte, ich möchte auf keinen Fall Blumen wie die Frau vor mir. Keine Ahnung, wie die auf Englisch heißen.“

Aya wusste es auch nicht. Und wenn er es einmal gewusst hatte, war ihm das Wort in diesem Moment entfallen. Er war gerade sehr froh darüber, dass er noch wusste, wie man atmet.

„Auf Japanisch heißen sie Kānēshon.“

Der junge Mann wiederholte das Wort gehorsam. Er lachte wieder. „Nun, jetzt weiß ich, was ich nicht kaufen möchte. Kānēshon lassen mich immer an Beerdigungen denken. Aber welche Blumen könnte ich denn nehmen? Ich hatte an Tulpen gedacht. Gelbe vielleicht?“

Aya schüttelte entschieden den Kopf. “Nur, wenn Sie ihren zukünftigen Chef gleich am ersten Abend kompromittieren wollen. Gelbe Tulpen stehen in Japan für eine einseitige Liebe. Ich denke, das wäre kein passendes Geschenk für seine Frau.“

Der junge Mann wurde ein wenig rot und hob abwehrend die Hände. „Um Himmels willen, nein! Er ist zwar Amerikaner, aber ich möchte doch lieber auf Nummer sicher gehen. Was wäre denn ungefährlich? Einen Kaktus sollte ich vermutlich lieber auch nicht mitbringen, oder? Der hat doch wahrscheinlich ebenfalls irgendeine Bedeutung. Ich-kann-dich-nicht-leiden oder etwas in der Art.“

Aya fühle, wie nun sein Gesicht warm wurde. Er öffnete den Mund, konnte es aber nicht über sich bringen, dem anderen zu erklären, dass es sich bei Kakteen um ein Symbol für körperliches Begehren handelte.

Ein Schmunzeln antwortete ihm. „Ich sehe an Ihrer Reaktion, dass das ebenfalls gänzlich in die falsche Richtung gehen würde. Wahrscheinlich hätte ich mich doch etwas besser vorbereiten sollen. Schlimm genug, dass ich keine saubere Kleidung mehr im Gepäck habe. Ich muss wirklich unbedingt in eine Wäscherei, sonst muss ich morgen Abend nackt erscheinen. Ich fürchte, da helfen dann auch keine Blumen mehr.“

Der Mann grinste jetzt und zwinkerte Aya zu. Unwillkürlich musste Aya auch lachen. Er griff nach einigen Zinnien.

„Nehmen Sie diese hier. Zinnien stehen für Loyalität. Ihr zukünftiger Arbeitgeber wird das zu schätzen wissen.“
 

Aya wollte die einzelnen Stängel schon in Papier einschlagen, als er es sich anders überlegte. Er nahm einige Blättern und Gräsern und drapierte diese so um die Blüten, dass diese besser zur Geltung kamen und sich nicht gegenseitig erdrückten. Er kürzte alle Stiele auf die gleiche Länge und wand dann ein Sisalband darum. Während er das tat, hatte er das Gefühl, sich selbst dabei zuzusehen. Wann genau hatte er angefangen, wie ein Blumenhändler zu denken? Normalerweise erforderte das einige Anstrengung, aber heute? Heute fand er Spaß daran, für diesen Wildfremden einen Blumenstrauß zusammenzustellen.

Ein kurzer Seitenblick verriet ihm, dass der junge Mann jede seiner Bewegungen beobachtete. Aya überlegte. Sollte er dem Mann sagen, dass Blumen im Grunde gar kein so gutes Gastgeschenk waren? Es gab hier in Japan ein Sprichwort: „Lieber Klöße als Blumen.“ Seine Landleute schätzten praktische Geschenke wie beispielsweise Lebensmittel. Blumen mochten in anderen Kulturen ein geeignetes Gastgeschenk für einen ersten Besuch sein, aber hier würde er damit vermutlich nicht auf viel Gegenliebe stoßen. Andererseits war er nicht von hier. Man würde ihm diesen Irrtum sicher verzeihen. Und die Frau eines Amerikaners würde wohl kaum annehmen, dass der junge Mann an ihrer Haustür ihr den Tod an den Hals wünschte, nur weil er mit ein paar Blumen in der Hand auftauchte. Im Grunde ging ihn das ja auch gar nichts an. Der Mann war ein Kunde, nichts weiter.

Er atmete hörbar aus. „Hier, der Strauß ist fertig. Soll ich ihn einwickeln?“

Auf das Nicken seines Gegenübers hin verpackte er die Blumen sorgfältig und reichte sie zusammen mit der Nennung des Kaufpreises über den Ladentisch. Der junge Mann bezahlte und verbeugte sich leicht.

„Vielen Dank für Ihre Mühen“, sagte er auf Japanisch. Er lächelte Aya noch einmal an und schickte sich an, den Laden zu verlassen. An der Tür angekommen, drehte er sich noch einmal herum. Ihre Blicke trafen sich über das Meer an Blumen hinweg und bevor Aya es verhindern konnte, hatte sein Mund sich selbstständig gemacht.

„Süßigkeiten“, rief er. „Sie sollten einige Süßigkeiten besorgen. Für Ihren Schüler.“

Der Mann stutzte kurz, dann zog sich ein warmes Lächeln über sein Gesicht. „Das werde ich tun. Vielen Dank für den Tipp.“
 

Damit drehte er sich endgültig herum und war verschwunden. Die Ladentür schloss sich und Aya hatte plötzlich das Gefühl, wieder freier atmen zu können. Er wollte gerade die Spuren seiner Arbeit beseitigen, als sein Blick auf Ken fiel. Sein Kollege sah ihn aus großen, runden Augen und mit heruntergeklapptem Kiefer an.

Aya runzelte die Stirn. „Was?“

Ken sah aus, als wäre er nicht ganz bei Trost. Aber noch bevor er jedoch auf Ayas Frage antworten konnte, klingelte die Glocke an der Ladentür erneut und Yoji platzte herein.

„Uff, das ist wirklich eine unerträgliche Hitze da draußen. Zum Glück …“ Er stockte, als er Aya und Ken gewahr wurde, die sich wortlos gegenüberstanden. „Ok, Leute, was ist hier los? Mein Detektiv-Spürsinn sagt mir, dass hier irgendetwas in der Luft liegt. Ich kann es förmlich riechen. Ihr habt doch nicht vor, wieder aufeinander loszugehen?“

Aya wollte gerade antworten, als Ken ihm zuvorkam.

„Aya hat einen Kunden angelächelt“, platzte er heraus. „Aya! Gelächelt!“

Yojis Augenbrauen näherten sich seinem Haaransatz. „Das ist in der Tat ein sehr ungewöhnlicher Fall. Sollen wir da irgendwen anrufen? Die Feuerwehr? Luftwaffe vielleicht? Mobile Streitkräfte? Irgendeine Naturkatastrophe scheint nämlich bevorzustehen, ansonsten kann ich mir das nicht erklären.“

Er setzte ein breites Grinsen auf und steckte die Daumen in den Bund seiner tief sitzenden Hose. Aya folgte der Geste mit den Augen und musste feststellen, dass Yoji es mal wieder mit der Länge seines Shirts untertrieben hatte. Seine Augen streiften jede Menge nackte Haut. Aus irgendeinem Grund ließ ihn das plötzlich erröten. Er drehte sich schnell um, als Ken in wieherndes Gelächter ausbrach und Yojis Grinsen noch mehr in die Breite wuchs.

„Ihr habt sie doch nicht alle“, schimpfte er vor sich hin, während er etwas suchte, mit dem er seine Hände beschäftigen konnte. Ein Haufen alters Rechnungen musste wirklich ganz dringend wegsortiert werden, befand er. Eilig raffte er sie an sich und floh förmlich in Richtung des kleinen Büros, das an den Verkaufsraum angrenzte. Dass er dabei schon wieder lächelte, fiel ihm gar nicht auf.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Soundtrack:
"Beautiful Stranger" - Madonna

Auf Englisch heißen Nelken übrigens "carnation". Aya hätte also gar nicht so sehr überlegen müssen. :D
Und ja, ich habe wieder im Hanakotoba geschmökert. Und jaaa, ich werde das mit den Sprachen noch ein bisschen weiter ausreizen. *g* Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  radikaldornroeschen
2019-07-09T11:29:01+00:00 09.07.2019 13:29
Oooh, wie süß *___* Aya kann tatsächlich niedlich sein XD
(Nachdem ich dieses Kapitel hier irgendwie übersehen und schon das nächste begonnen hatte... und mir dann dachte "hääää?")
Antwort von:  Maginisha
09.07.2019 14:34
Hihi, man muss dann schon alles lesen. ;D

Das mit dem "noch nicht Mister Eis-am-Stiel" hat mich an der Vorlage auch gereizt. Es eröffnet einfach nochmal ein paar andere Möglichkeiten, die sonst galt unweigerlich OOC wären, was ich möglichst versuche zu vermeiden. Der Aya im Manga ist halt wirklich etwas anders. (Und ja, er lächelt und wird rot. Erwischt! :P)


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