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Fassungslos

Mae & Kit
von

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4. Kit


 

Fassungslos

4

Kit
 

Lauwarmer Wind umhüllt mich. Hinter mir vernehme ich das Klicken der sich schließenden Tür und hastige Drehen eines Schlüssels im Schloss. Das Plastik des Schildes schlägt gegen die Glasscheibe, das Ratschen des Rollos verkündet, dass man mich ausgesperrt hat.

So einfach, so schnell, obwohl ich es war, der ging.

Ich weiß nicht, was ich diesem Mädchen getan habe. Eine kleine Frage und vielleicht eine Spur zu viel Neugierde meinerseits. Dennoch brachte mich ihre Reaktion aus dem Konzept.

Die Luft ist noch immer drückend und von einer Schwere erfüllt, als könne jeden Augenblick die Hölle auf Erden losbrechen, und das kleine Städtchen in einen Tümpel verzaubern, sollten sich die Schleusen des Himmels öffnen.

Ich hebe den Blick, doch ist nicht eine Wolke zusehen. Langsam gleitet das strahlende Blau des Tages in das schleichende Orange der Dämmerung über. Ich sollte gehen. Es ist Freitag. Ein ruhiges Wochenende erwartet mich.
 

Die Straßen Burbrooks sind verwaist. Ein weiterer Hinweis darauf, dass hier ein friedliches, langweiliges Leben geführt wird. Keine Kinder, die Gummibälle kicken, keine Frauen, die beieinandersitzen. Kein Gelächter, keine Musik, nicht einmal Autos, die über den löchrigen Asphalt hüpfen.

Der Sommer setzt selbst den Vögeln zu, denn diese geben nicht einen Laut von sich, jagen weder Käfer noch Fliegen, sondern schweigen und brüten in der Hitze.

Ich sollte mich nach links wenden und gemächlich den Weg in Richtung Pension einschlagen, doch etwas hält mich zurück. Eine Eingebung? Ein Wunsch? Ich weiß es nicht. Vielleicht die Hoffnung, dass ich ihr über den Weg laufe, oder sie in mich hineinstolpert?

Stimmen werden laut und lassen das Schweigen des Abends zerspringen, wie eine Nadel, die über eine Schallplatte kratzt. Da es unhöflich ist, dem Gespräch zweier Fremden zu lauschen, versuche ich die Worte zu ignorieren, die gedämpft, doch nicht unverständlich zu mir heranwehen.

Gehen, das sollte ich, doch ich bleibe, verharre, denn meine Beinen bewegen sich nicht. Es ist, als wollten sie, dass ich dort blieb, wo ich war. Die Tür des Diner im Rücken, den Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite geheftet, die Ohren gespitzt.

Es dauert einen Augenblick, bis sich nicht nur Silben aneinanderfügen, auch gelingt es mir, Töne den Personen zuzuordnen.

Sie – eine Frau, die hysterisch und schnell Laute erzeugt.

Er – ein junger Mann, von dem ich bisher nichts anderes hörte, als Abfälligkeiten. Nicht ihr, der Dame gegenüber, nein. Es ist Barry. Barry Wright, der energisch und fordernd auf sie einredet, um etwas bittet, nein – verlangt.

Warum? Frage ich mich. Warum ist dieser Kerl noch hier? Wollte – sollte er nicht mit seinem Bruder und den anderen ins Kino gefahren sein?

Die Hände zittern mir, doch ich bin um Haltung bemüht, obschon das, was an meine Ohren gelangt, niemals Worte wären, die ich einem Mädchen entgegenbrächte. Für solche Gedanken würde ich mich schämen und nun schäme ich mich dafür, ein Mann zu sein.
 

Als schrille etwas in meinem Innern, als warne mich etwas, das ich nicht zu benennen im Stande bin, drängt sich mein Leib vorwärts. Meine Schritte sind schnell, doch gedämpft. Ich biege um die Ecke, dort, wo die Tonnen aufgestellt den täglichen Müll des Diner beherbergen müssen, und stoppe.

Eine klobige, nicht für die Arbeit eines Mechanikers geschaffene, Hand umschlingt den Arm des Mädchens, das sich vor dem Drängen des Mannes zu wehren versucht.

Sein Blick wirkt gehetzt, überrumpelt und verärgert zugleich. Vorhin, als ich nicht umhin kam, dem Schauspiel rund um Bradfort und den anderen beizuwohnen, war er mir bereits aufgefallen. Es ist der Blick eines jungen Mannes, dem Verbote fremd sind.

Die Mauer des Hauses presst sich in ihren Rücken. Noch scheint es, als wolle sie ihn mit Worten beschwichtigen, doch die Anspannung, die ihren Körper durchfährt, verrät, dass Angst allmählich die Oberhand gewinnt.

Sie fragt, was er wolle, doch Barry antwortet nicht. Abermals hakt sie nach, weshalb er nicht bei den anderen, im Nachbarort, sei. Erkundigt sich nach dem Film, den sie hatten anschauen wollen.

Barry schnaubt. Ich kenne diese Reaktion, zu der er sich herablässt, wenn er sich der Unterwürfigkeit seines Gegenübers sicher ist. Er ist ihr überlegen.

In meinem Rücken erwacht die Laterne flackernd aus ihrem täglichen Schlaf, wirft meinen Schatten in diese kleine Seitengasse, doch mein Erscheinen bleibt unbemerkt.

Er wird grob, langt nach ihrem Handgelenk. Ein Zischen ist die knappe Antwort, doch Maevis scheint um Besonnenheit bemüht. Ich wage einen Schritt in die Szenerie hinein, taste mich vor, denn es liegt mir fern, dass dem Mädchen etwas geschieht.

»Hat es dir deine Mutter noch nicht gesagt?« Maevis ist überrascht, lässt jedoch nichts von ihrer verteidigenden Haltung missen. Auch ich halte inne.

Wieder stößt Barry einen schnaubenden Laut aus. Als lache er über sie, über ihre Unwissenheit.

»Mir was gesagt?« Ihre Forderung beeindruckt ihn nicht, stattdessen legt sich ein Grinsen auf sein Gesicht, das jedem schmierigen Gangster in den Mafia-Filmen in nichts nachsteht.

Zu meinem Unglück hat mich Barry sehr wohl bemerkt und wendet sich mir zu. »Was willst du? Verzieh' dich, Kid

Verwundert und irritiert ziehen sich mir die Augenbrauen zusammen. Auch Maevis scheint verblüfft, denn ihr Blick rutscht von Barry ab und huscht zu mir herüber. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht verrät mehr über ihren Gemütszustand, als es das hastige Ringen nach Atem je könnte:

Panik, Angst, denn niemand weiß, was als nächstes geschieht.
 

Seine Warnung ist mehr Provokation, als eine handfeste Drohgebärde. Er nannte mich Kid – Kind, und beweist mir somit, was er von mir hält. Nichts.

»Lass sie in Ruhe.« Ich versuche mein Glück mit bedächtigen Worten. Dass diese jedoch keinen Anklang finden, ist mir von vornherein bewusst. Jemand, wie Barry Wright, ist nicht dafür gemacht, Unfrieden mit Silben auszufechten.

Barry schnaubt. »Ich sag's dir noch einmal, Kid: Verzieh' dich! Das geht dich nichts an!«

Er fixiert mich und dabei entgeht ihm, dass Maevis den Blick von mir nimmt und abermals auf ihn richtet. Seine Hand erscheint mir wie ein Schraubstock. Ich bemerke ihren verzweifelten Versuch, sich aus dieser Zwinge zu befreien.

»Barry, bitte!« Ihre Stimme ist längst kein Glockenspiel mehr. Gepresst, erfüllt von Hysterie. Doch ihr Flehen bleibt ungehört.

»Wenn es mich nichts angeht, dann schuldest du ihr dennoch eine Antwort.« Lässig zucke ich mit den Schultern.

»Auch das geht dich nichts an«, höhnt er. »Es geht nur mich und sie etwas an.«

»Dann sag es ihr, ohne dabei grob zu werden.« Eine Frau derart anzupacken, gehört sich nicht. Weder mit Worten, noch mit Taten. Abermals trete ich einen Schritt vor.

»Und wenn nicht? Was willst du tun, Kid?« Zu unserer beider Verblüffung, lässt Barry von ihr ab.

Schweigend umschlingen die kühlen Finger das brennende Pulsieren, wo eben noch die geiernde Hand Barrys lag. Maevis schiebt sich heimlich Fußlänge um Fußlänge an der Wand entlang. Entfernt sich von dem Peiniger, und mir.

Ich schweige, beobachte die Situation.

»Was ist dein Problem, Kleiner? Ich meine, du kommst hier her, in diese kleine Stadt und führst dich auf, als gehöre sie dir.« Barry kehrt Maevis den Rücken, wendet sich mir zu – voll und ganz.

Nun ist es an mir, belustigt und vielleicht mit einem Hauch zu viel Wagemut, zu schnauben. »Tue ich das? Ich wusste nicht, dass ich einen solchen Eindruck auf euch Spießbürger mache?«

Ein Grunzen hallt in der kleinen Gasse wider. Doch weder Barry noch mir, war jener Laut entkommen.

»Keine Sorge, Süße, ich habe dich nicht vergessen.« Obschon Meavis meine Wortwahl als erheiternd empfunden haben mochte, zuckt sie zusammen.

»Du bist ein Vollidiot, Barry Wright.« Aus sicherer Entfernung erfüllen ihre Worte meine Ohren.

»Geh nach Hause, Meavis. Deine Mutter hat dir sicher Spannendes zu berichten.« Ein schmieriges Grinsen ziert nun seine Lippen. Das blasse Gesicht hat, seit der kleinen, hitzigen Debatte, an Farbe gewonnen. Dennoch, Barrys Wissen um seine Position innerhalb der Stadt scheint ihm irgendwann zu Kopf gestiegen zu sein. Er ist kein Schönling, auch das weiß er. Das Aussehen, um die Werkstatt, den Familienbetrieb, zu repräsentieren, hat sein Bruder Cole inne. Ebenso die Schläue.

»Den Teufel werd' ich«, faucht die Gepeinigte und überrascht.

Ich vernehme das bedrohliche Knurren meines Gegenübers. Ihm missfällt dieser Moment. Die Beute hat sich befreit und spottet über ihn.

»Reicht es dir nicht, dass du dir meine Jobs unter den Nagel reißt? Lass die Finger von meinem Mädchen!« Rasselnd ringe ich nach Atem, glaube beinahe, mich verhört zu haben.

Neugierig reckt Meavis, todesmutig, den Hals. Zu ihrem Glück, so hoffe ich, blieb ihr der Inhalt dieser gezischten Widerwärtigkeit erspart. Doch ich kann dem Gehörten keinen Ernst abgewinnen. Verbotener Weise kräuseln sich meine Mundwinkel empor, und das entgeht dem schlauen Mädchen nicht.

Maevis schmälert den Blick. Als bemerke er, dass etwas nicht richtig ist, fährt sich Barry über den Nacken. Ihm ist nicht wohl. Vielleicht ist er sich seiner überstürzten Worte bewusst? Oder er mag es nicht, wenn jemand gefährlich nahe hinter ihm steht.

»Dein Mädchen?«, mutiger, als ich sein sollte, kratze ich an der offenen Wunde, die Barrys Leiden darstellt.

Maevis' Augenbraue zuckt gen Abendhimmel. »Wage es ja nicht, Barry Wright!«

Barry hebt den Blick, sieht mich an, als wolle mir ins Gesicht spucken. Noch sehe ich keine erhobene Hand, oder geballte Faust, mit der er austeilen könnte.

»Wart's nur ab!«, knurrt er, schert aus und zieht an mir vorbei auf die Hauptstraße hinaus, nicht ohne mir einen Stoß zu verpassen, der mich, erschreckender Weise, beinahe von den Füßen reißt. Wer hätte gedacht, dass diese hagere, schmächtige Gestalt über so viel Kraft verfügt?

Verdutzt starren ihm Maevis und ich nach, bis er um die nächste Ecke verschwunden ist.
 

Maevis schnaubt, schüttelt den Kopf. Ihr Gesicht zieren Schock und Zweifel.

»Vollidiot«, murrt sie, schaut sich suchend um. Als sie findet, wonach es ihr verlangt, erkenne ich, dass sich ein Fahrrad als Objekt der Begierde herausstellt.

»Wie geht es deiner Hand?«, frage ich und verbleibe noch immer an jener Stelle, die eine gefühlte Meile zwischen uns beschreibt.

Ihr Blick gleitet zu ihrem Handgelenk. Leichte Röte zeichnet sich auf der Haut ab, die nur selten, so scheint es, den warmen Sonnenstrahlen begegnet war. »Mir geht es gut, danke.«

Sie wendet sich ab. Ihre Finger krümmen sich um die Griffe des Lenkers. Schweigend verharrt sie, grübelnd und sich nicht rührend. Sie ist in Gedanken. Dann hebt sie den Kopf und mir ist, als sähe sie mich zum ersten Mal.

»Bringst du mich nach Hause?«, fragt sie und verblüfft mich einmal mehr.

Sie ist nicht forsch und auch nicht bettelnd.

Ein kleines Lachen entfährt mir. »Möchtest du das denn?«

»Schlimmer, als das von eben, kann es wohl kaum werden.« Maevis zuckt mit den Schultern und schiebt den Drahtesels langsam voran. Als sie an mir vorüber geht, hält sie inne. »Ich habe keine Angst.«

»Natürlich nicht«, antworte ich und glaube ihr beinahe.

So schieben wir die Hauptstraße hinauf, während die Nacht allmählich Einzug hält.

Um der Stille zu entgehen, sage ich irgendwann: »Und dein Name, Mädchen mit dem Fahrrad?«

»Den kennst du doch«, sagt sie und zuckt, verwirrt über meine Frage, die Schultern.

»Mae-vis«, sage ich und ernte ein bejahendes Nicken.

Ihr dunkles Haar ist ein wenig derangiert. Strähnen lösen sich aus dem Knoten in im Nacken. Nervöse Pusteln breiten sich auf ihrem Gesicht aus, auf das sich ein leichter Glanz gelegt hat. Ist es Angst? Aufregung? Erleichterung?

»Ich stinke«, gesteht sie und entlockt mir ein Lachen. Meine Reaktion sagt ihr ganz und gar nicht zu, denn ihr Blick weist mich binnen weniger Sekunden mit Strenge zurecht.

»Tut mir leid, aber nach dieser Aktion ...«, beginne ich und halte inne. »Ich bekomme wohl wieder keine Worte des Dankes zu hören, oder?«

»Es tut mir leid«, murmelt sie und blickt beschämt zu Boden.

»Du entschuldigst dich? Weshalb?« Kein Spott schwingt in meinen Worten mit, es ist mir ernst, denn ich begreife ihr Verhalten nicht.

»Ich … es fällt mir nicht leicht, meine Dankbarkeit in Worte zu fassen.« So feurig ihr Auftreten ist, so zaghaft sind ihre Antworten.

»Und wie drückst du sie dann aus?« Meine Neugierde missfällt ihr, das bemerke selbst ich, denn sie weicht mir abermals aus. »Du bist also eher eine Frau der Tat

Es ist keine Frage. Scheinbar habe ich einen wunden Punkt erwischt und wappne mich bereits für eine Schimpftirade oder eine überraschte Handlung im Affekt, so, wie Maevis es, vor wenigen Minuten, noch im Diner handhabte.

Ein Kichern, erst leise, dann ist mir, als höre ich die schönsten Klänge, die mir je zu Ohren gekommen sind. »Ja«, lacht Maevis und ihr entflieht ein leichtes Grunzen, »eine Frau der Tat. In der Tat, ja.«
 

Obschon ich mich bemühe, den Weg nicht aus den Augen zu lassen, es gelingt mir nur mäßig. Auch wenn wir einander nicht viel erzählen, so werden Worte ohnehin überschätzt. An einer kleinen Kreuzung endet unser Zusammentreffen. Ihr Blick wandert die Straße hinauf.

Reihenhäuser säumen den Weg. Nicht viele, vielleicht fünf auf jeder Seite. Diese Gegend ist nicht übel. Eigentlich ist hier nichts übel, in dieser Stadt, und dennoch …

Maevis streckt mir die Hand entgegen, will sich verabschieden.

Perplex lange ich nach den zarten Fingern und bin versucht, nicht allzu viel Druck auszuüben. Doch ich will auch nicht wie ein Waschlappen dastehen. Man hatte mir beigebracht, Frauen mit Respekt zu behandeln. Als ich jedoch bemerke, dass der Druck ihrerseits fester wird, halte ich dagegen. So liefern wir uns ein stummes Händeschütteln, bis ihr irgendwann ein leises Kichern entkommt.

Maevis entzieht sich meiner Hand, langt abermals nach ihrem Begleiter und schleicht den Weg zu ihrem Haus entlang.

»Wir sehen uns«, ruft sie mir über die schmale Schulter hinweg zu.

Sie, das Mädchen mit dem Fahrrad, dessen Haar nach Shampoo und French Fries duftet.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  JO89
2023-09-30T09:36:25+00:00 30.09.2023 11:36
Liebe Irish :)
Es ist eine Ewigkeit her, dass ich ein Kapitel deiner Werke gelesen habe und ich endlich habe ich es geschafft, mir die Zeit zu nehmen ❤ Ich liebe Kit und Mae, und Barry ist ein Idiot.
Ich liebe alle deine Geschichten :)

LG jo
Antwort von: irish_shamrock
08.10.2023 09:21
Meine liebe Jo,

ich hab schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass die Geschichte überhaupt noch Resonanz bekommt. Danke für deinen Kommentar :*


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