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Now You See Me

Thor & Loki
von

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Der Junge starrte ihn schon seit fast zehn Minuten mit großen Augen an.

Es begann langsam aber sicher, ihm auf die Nerven zu gehen. Nicht, dass Loki die Blicke nicht gewohnt wäre – es war unmöglich, sich durch die Welt zu bewegen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, wenn man so aussah, wie er. Wenn er einen Dollar für jede Person bekommen würde, die ihn für einen der X-Men hielt, dann wäre er mittlerweile vermutlich reicher als Stark.

Dennoch gab sein Aussehen ihnen nicht das Recht, ihn anzustarren, als wäre er ein exotisches Tier im Zoo. Brachte in dieser Welt denn niemand mehr seinen Gören Respekt bei?

„Mama“, sagte der Junge laut genug, dass jeder in der Schlange am Check-In-Schalter ihn hören konnte. „Mama, der Mann ist blau.“

Die Mutter des Jungen, der kaum älter als fünf Jahre sein konnte, drehte sich um und zuckte sichtlich zusammen, als sie Lokis raubtierhaftes Lächeln sah.

„Ver- Verzeihung...“, murmelte sie und packte die Hand ihres Sohnes fester.

„Billy, starr nicht so!“, wies sie den Jungen dann mit leiser, aber scharfer Stimme zurecht. „Das ist unhöflich.“

Ja, Billy, dachte Loki. Hör auf deine Mutter.

Es waren Momente wie diese, in denen er sich so sehr nach seiner Magie sehnte, dass es fast körperlich schmerzte. Allein schon für die unüberlegte Bemerkung hätte er den kleinen Scheißer am liebsten in eine Kröte verwandelt.

„Aber Mama...!“, protestierte der Junge.

Andererseits...

Eine Waffe blieb ihm noch. Loki zog langsam den Handschuh von seiner rechten Hand.

„Der nächste bitte!“, rief in diesem Moment jedoch die Dame, die am Schalter saß. Alle Umstehenden atmeten hörbar auf, als die Frau mit ihrem Sohn vortrat, um ihr Gepäck aufzugeben.

„Tss“, machte Loki, bevor er den Handschuh wieder anzog. Zu früh gefreut.

Nicht, dass er den Jungen gleich in eine Eisstatue verwandelt hätte. Seit dem Beginn seiner Reise vor einem halben Jahr hatte er dies erst zweimal getan, und in beiden Fällen hatte es sich um Individuen gehandelt, die ihn ausrauben oder ihm gar Schlimmeres hatten antun wollen, und die kein Mensch je vermissen würde.

Der Verlust eines Fingers hingegen... nun, er hatte noch niemandem groß geschadet.

Bevor er sich jedoch in Fantasien über weitere mögliche Strafen verlieren konnte, wurde ein Schalter frei.

„Der nächste bitte!“

Loki trat vor. Es sprach sehr für die Professionalität der jungen Frau, dass sie bei seinem Anblick nicht mal mit der Wimper zuckte.

„Ihren Reisepass bitte“, sagte sie nur und Loki händigte ihr alle notwendigen Unterlagen aus.

Der Pass war neben der Kreditkarte eines der Dinge gewesen, die er vor seiner Abreise von den Avengers erhalten hatte. Laut dem Dokument hieß er Loki Odinson und war US-amerikanischer Staatsbürger, was den meisten Leuten zu genügen schien, ihn trotz seiner Hautfarbe keines zweiten Blickes zu würdigen. Loki konnte das allerdings nur recht sein. Je weniger Beachtung sie ihm schenkten, umso besser.

„Ich brauche noch Ihre Genehmigung, Sir“, sprach die junge Frau plötzlich und riss Loki aus seinen Gedanken.

Loki runzelte die Stirn. „Welche Genehmigung?“

„Für diesen Flug“, erwiderte sie. „Die Airline besteht darauf, dass Individuen mit außergewöhnlichen Kräften vor Antritt der Reise eine Sondergenehmigung beantragen müssen, sonst werden Sie vom Boardingprozess ausgeschlossen.“

„Bitte was?“, fragte Loki. Das war das erste Mal, dass er davon hörte. „Warum das?“

Sie wich seinem Blick aus. „Sicherheitsvorkehrungen, Sir. Sie zählen zu den lebenden Waffen. Und wir sind es unseren Passagieren schuldig, für die Sicherheit von allen an Bord zu sorgen.“

Loki starrte sie an.

„Das ist Diskriminierung“, erwiderte er. „Sie gehen aufgrund meines Aussehens davon aus, dass ich nicht nur Kräfte habe, sondern diese auch noch zum Schaden anderer einsetzen könnte!“

Die Versuchung, seine Handschuhe auszuziehen und die Frau an Ort und Stelle einzufrieren, wurde von Sekunde zu Sekunde immer größer... aber damit würde er ihre Aussage nur unterstreichen.

„Es tut mir sehr leid, Sir“, sagte sie mit gequältem Lächeln. „Ich halte mich nur an die Unternehmensrichtlinien.“

Loki schüttelte den Kopf.

„Ich fasse es nicht...!“, murmelte er. Er hatte immer geglaubt, zu wissen, was Sadismus war – bis er die irdische Bürokratie kennengelernt hatte. Menschen...! „Das war dann wohl das letzte Mal, dass ich mit dieser Airline fliege.“

Er griff nach seinem Pass und seiner Tasche und wandte sich ab, ohne die Frau noch eines weiteren Blickes zu würdigen.

 

Da der nächste Transatlantikflug erst wieder am Morgen starten würde, saß er nun für eine Nacht in Prag fest. Wundervoll.

Loki spielte kurz mit dem Gedanken, die nächsten zwölf Stunden am Flughafen zu verbringen, aber die Vorstellung reizte ihn nicht besonders. Stark hatte ihn außerdem mit beinahe unbegrenzten, finanziellen Mitteln ausgestattet; es gab keinen Grund, sie nicht zu nutzen.

Er fuhr mit einem Taxi zurück in die Innenstadt und nahm sich ein Zimmer in einem kleinen Hotel direkt an der Moldau.

Während er sich ein kaltes Bad einließ, schälte er sich langsam aus seinen Sachen, bis er nur noch den Anzug trug, den er von Stark und Banner bekommen hatte. Das tägliche Tragen hatte deutliche Spuren hinterlassen; er war schon mehrfach geflickt und besonders an den Knien und Ellenbogen leicht zerschlissen. Loki hätte Banner um ein Ersatzexemplar bitten sollen – oder besser gleich drei.

Aber wie an so vieles andere auch hatte er daran erst im Nachhinein gedacht.

Gähnend ließ er sich aufs Bett fallen und zog ohne große Hoffnung das Smartphone aus seiner Reisetasche. Keine neuen Anrufe oder Nachrichten. Genau wie in den letzten 190 Tagen.

Nun, es war nicht so, als ob Loki ernsthaft damit gerechnet hätte, dass sie ihn vermissen würden, ganz sicher nicht. Doch die komplette Funkstille gab ihm fast das Gefühl, als hätte er nie für sie existiert, und das kratzte doch sehr an seinem Selbstwertgefühl.

Nicht einmal Thor hatte versucht, ihn zu kontaktieren. Das mochte zwar hauptsächlich an der generellen Unfähigkeit seines Bruders beim Umgang mit der irdischen Technologie liegen, aber auch das war keine wirkliche Entschuldigung. Es war einfach nicht fair. Es war nicht fair, dass Thor ihn nicht zu vermissen schien, während Loki seinen Bruder seinerseits mit jedem Tag, der verging, mehr vermisste, und sich wünschte, sein idiotisches Lächeln wenigstens noch einmal sehen zu können.

Seltsam, wie sehr etwas, das einem immer so selbstverständlich vorgekommen war, dass man ihm keine größere Beachtung mehr geschenkt hatte, einem plötzlich so fehlen konnte...

Hör auf.

Loki legte ruckartig das Smartphone beiseite. Nein, er würde sich nicht dem Selbstmitleid hingeben. Er konnte das auch allein schaffen. Er würde das auch allein schaffen...! Er hatte schließlich schon ganz andere Dinge überstanden.

Loki zog sich aus und ließ den Anzug und die Handschuhe achtlos auf den Teppichboden fallen, bevor er sich der wundervollen Kälte des Bades hingab.

Nachdem er den Kopf nach hinten gegen den Rand der Badewanne gelehnt und die Augen geschlossen hatte, gingen seine Gedanken erneut auf Wanderschaft.

In den letzten sechs Monaten hatte er vier Kontinente bereist. Doch obwohl ihm manche Orte besser gefallen hatten, als andere, hatte er sich bisher noch nirgendwo heimisch gefühlt.

Dabei hatte seine Reise so vielversprechend begonnen. Die ersten fünf Wochen hatte er auf einer kleinen Insel im Südpazifik verbracht und sich als mythische Meeresgottheit anbeten lassen. Den ganzen Tag lang hatte er keinen einzigen Finger rühren müssen und ein Blick war genug gewesen, um ihm alle Wünsche zu erfüllen. Und wenn doch mal jemand an seiner Göttlichkeit gezweifelt hatte, dann hatte er ihn einfach berührt – mal mit kleineren, mal mit größeren gesundheitlichen Folgen für den Ungläubigen.

Es hätte alles so perfekt sein können, wäre auf Dauer nicht die gähnende Langeweile gewesen. Und der schlechte WLAN-Empfang.

Und so hatte eines zum anderen geführt und eher er sich versah, hatte er im nächsten Flugzeug gesessen.

Seitdem zog er von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent. Er folgte keinem bestimmten Plan, sondern ging dorthin, wo es ihn als nächstes hinzog. Manchmal blieb er dabei Wochen am gleichen Ort, manchmal nicht länger als einen Tag. Das machte Loki immer davon abhängig, wie sehr der jeweilige Ort sein Interesse weckte – und wie er dort empfangen wurde.

In den meisten Ländern begegnete man ihm mit unverhohlenem Misstrauen; Offenheit oder gar Neugierde erlebte er nur selten. Zweimal war er sogar in ein totalitäres Regime hineingestolpert, wo man ihn entweder für den Geheimdienst zu rekrutieren versuchte oder ihn sofort hinter Gitter sperrte, um an ihm zu experimentieren.

Bisher hatte sich Loki mit seiner Silberzunge und seinen eisigen Berührungen stets erfolgreich aus jeder misslichen Lage hinauswinden können, doch einmal war er nur mit sehr viel Glück entkommen und hatte später in seiner Unterkunft eine Kugel aus seinem Oberarm entfernen müssen.

Seitdem war er sehr viel vorsichtiger geworden und erkundigte sich erst nach den politischen Zuständen in einem Land, bevor er den Fuß hineinsetzte. Das erwies sich als kluge Taktik, hatte seitdem doch zumindest niemand mehr auf ihn geschossen.

Loki war es nicht gewohnt, so... verletzbar zu sein. Bisher hatte es Individuen mit nahezu gottgleichen Kräften gebraucht, um ihn zu Fall zu bringen, doch jetzt musste er vor allem und jedem auf der Hut sein. Er hatte keine Magie mehr, die ihn beschützte und die den gröbsten Schaden abwenden konnte. Und auch die Kälte war mehr ein letztes Mittel der Verzweiflung, als eine wirkliche Hilfe.

Seinen Tiefpunkt hatte er jedoch an dem Abend erreicht, an dem er die Kugel aus seinem blutenden Arm gezogen hatte und ihm bewusst geworden war, dass er allein war, und dass niemand ihn retten oder nach ihm suchen würde, wenn ihm etwas passierte.

Dass Thor niemals erfahren würde, wohin er verschwunden war.

Der Gedanke machte ihm so zu schaffen, dass er den erstbesten Flug zurück nach Europa nahm, mit der Absicht, von dort aus weiter den Atlantik zu überqueren. Was er tun würde, wenn er wieder zurück in den Staaten war, wusste er noch nicht. Aber er musste zurück. Wenigstens für einige Zeit. Wenigstens, bis er sich entschieden hatte, wo er als nächstes hinwollte.

Und es hatte ganz sicher nichts damit zu tun, dass er seinen Bruder mehr vermisste, als er in Worte hätte fassen können.



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