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Charmante Courage

von

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Absage

Jodie saß auf dem kalten Fußboden. Das Hochzeitskleid hatte sich ihrer Bewegung angepasst und erinnerte nun an einen Fächer. Ob es nun dreckig wurde, war ihre letzte Sorge. Mit leerem Blick war sie seiner Silhouette gefolgt, solange bis er verschwunden war. Getroffen von seiner eiskalten Handlung, sah Jodie auf den Boden. Wie konnte er ihr das nur antun? Am Tag ihrer Hochzeit. Was hatte er sich dabei gedacht? Hatte er überhaupt darüber nachgedacht?

Jodie kämpfte mit ihren Gefühlen und den Tränen. Auch wenn jeder ihre missliche Lage verstehen würde, wollte sie trotzdem stark sein. Es sollte die Art von Stärke sein, die sie in den letzten Jahren immer wieder zeigte, wenn irgendwas Schlimmes passiert war. Aber gerade jetzt fühlte sie sich so verletzlich und verraten. Er hatte alles weggeworfen, was sie sich in den letzten Jahren wieder aufgebaut hatten. Sie bewohnten zwar eine kleine Mietwohnung, sahen sich aber bereits nach einem Haus in der Nähe ihrer Familien um. Selbst auf das Thema Kinder kamen sie zu sprechen. Und jetzt zog er ihr wieder den Boden unter den Füßen weg. Wie damals. Vor Jahren.

„Ich bin schon da…ich bin schon da…“, rief Jodie, ehe sie aus dem Badezimmer in ihr Zimmer kam. „Shu…“, stieß sie hervor. Sie ging sofort zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. „Ich hab dich so vermisst“, fügte sie an und umarmte ihn. „Ich hab auch schon eine Idee was wir machen können. Was hältst du davon, wenn wir spazieren gehen und uns dann in das kleine Café in der Thirdstreet setzen? Ich war da letzte Woche mit Kommilitonen. Es ist wirklich süß dort.“

Shuichi löste sich aus ihrem Griff. „Jodie, wir müssen reden.“

Die Angesprochene schluckte. Seine Stimme war auf einmal so ernst. Zu ernst. So hatte sie ihn nur selten reden gehört. „Okay…“, murmelte sie. „Worüber?“

„Über uns“, sagte er ruhig. „Ich wohne jetzt schon eine ganze Weile in Buffalo und ich weiß nicht, wie lange ich noch dort bleibe. Es kann sein, dass ich nicht mehr zurück komme und nach meiner Ausbildung zum FBI Agenten in die dortige Niederlassung gehe.“

„Ja…das…das weiß ich doch…“, kam es von Jodie. Sie hatte ein sehr schlechtes Gefühl was die Richtung des Gespräches anging. „Aber…das war doch nie…ein Problem für uns. Ich hab…sogar geschaut…ich könnte nächstes Semester…auch nach Buffalo wechseln…dann…dann sind wir…häufiger zusammen und…können uns auch unter…der Woche sehen.“

„Es ist besser, wenn wir uns trennen.“

Jodie sah ihn geschockt an. „Was? Wieso?“ Sie kämpfte gegen ihre Tränen an. „Was…was ist passiert?“, wollte sie leise wissen.

„Jodie, bitte mach es uns nicht schwerer als es ist.“

„Aber…warum…was…was hab ich…falsch gemacht?“

„Du hast nichts falsch gemacht, Jodie. Es liegt an mir.“

Jodie schluckte ein weiteres Mal. „Das ist…so ein Klischee“, entgegnete sie. „Ich versteh…nicht, was…auf einmal…los ist. Warum…warum willst du dich…von mir trennen? Wir…sind doch glücklich…“ Die Tränen liefen ihr über die Wange. „Shuichi…bitte…wir…sind glücklich…Sag mir…bitte…warum…du die Trennung…willst? Ist es…wegen dem…FBI? Das…das ist sicher kein…Problem…Bitte…sag mir…was los…ist…“

Der junge Mann schwieg.

„Shu…“ Jodie hielt sich die Hand vor den Mund. „Gibt…gibt es…eine Andere? Hast…hast du…jemanden…kennen gelernt?“

„Tut mir leid, Jodie.“

„Also…also stimmt es? Du…du hast eine…Andere? Seit…seit wann?“

„Egal wie stark ein Mann ist, er wird nie in der Lage sein, zwei Frauen gleichzeitig zu lieben und sie gleichermaßen zu behandeln. Das gilt auch für mich. Ich habe dich nie betrogen, während wir zusammen waren.“

Jodie rutschte auf den Boden. „Kannst…kannst du…uns nicht noch eine…Chance geben…?“, fragte sie flehend.

„Es tut mir wirklich leid, Jodie.“ Shuichi ging an ihr vorbei und blieb im Türrahmen stehen. „Das mit uns ist vorbei.“

Und auch wenn bereits Jahre ins Land zogen und Jodie die wahren Hintergründe kannte, schmerzte die Erinnerung daran weiterhin. Manche Wunden brauchten länger um zu heilen und jetzt fügte er ihr eine Weitere zu. Und das an ihrem – eigentlich – glücklichsten Tag im Leben. Jodie ließ ihren Tränen nun endgültig freien Lauf. „Wieso…?“, wisperte sie leise. Was waren seine Gründe? Warum hatte er vorher nicht mit ihr gesprochen?

Angela kniete bereits bei ihrer Tochter und hatte sie in den Arm genommen. „Jodie“, begann sie leise. „Ich…“, aber sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie wurde nicht kurz vor der Trauung verlassen und sie musste nicht den gleichen Schmerz erdulden wie ihre Tochter. Sachte strich Angela über ihren Rücken. „Dein Vater und ich, wir sind immer für dich da.“

Jodie nickte und wischte sich die Tränen weg. Statt ihrer Brille trug sie für die Feierlichkeiten Kontaktlinsen. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte darauf verzichten. Die Tränen in Kombination mit den Linsen verschleierten ihren Blick. Aber vielleicht war das gerade auch gut so.

Agent Starling sah verzweifelt zu seiner Tochter. Jetzt war es wieder geschehen. Er hatte ihr ein weiteres Mal weh getan. Und dabei schwor er, dass er Jodie nie wieder mit Absicht verletzen würde. Sie sollte nicht mehr so leiden wie einst. Nun war das Versprechen erneut gebrochen und Jodie ein Häufchen Elend. Aber das Schlimmste stand ihr noch bevor.

Shuichi war weg. Und nun würde alles an ihr liegen. Sie müsste sich vor die Gäste stellen und die Absage verkünden, mit dem Hotel und Reisebüro telefonieren und alles stornieren. Und was kam dann? Sollte sie wieder zurück in die gemeinsame Wohnung, wo die Erinnerungen nur warteten? Abends alleine einschlafen und morgens alleine aufwachen? Wie lange sie dieses Mal brauchen würde, um mit dem Schmerz zu Recht zu kommen, war unklar. „Du kannst natürlich erst einmal wieder bei uns wohnen. Dein altes Zimmer steht noch zur Verfügung“, entgegnete der Agent. „Bei Zeiten holen wir deine Sachen aus der Wohnung.“

„So machen wir das“, nickte Angela. „Wir kümmern uns um alles. Du musst dir darum keine Gedanken machen.“

„Um…alles…“, murmelte Jodie wiederholend.

„Ich werde gleich dem Pfarrer und danach den Gästen Bescheid geben.“

Angela räusperte sich. „Schatz, mach es doch einfach und erzähl Jodie nicht jede Kleinigkeit.“

„Und…und wenn er…zurück kommt?“, wollte die junge Agentin wissen.

Agent Starling schluckte. Ihr trauriger Blick bohrte sich in sein Herz. Seine Tochter litt und dennoch hatte sie noch Hoffnung. „Jodie“, sagte er leise. „Ich weiß, es ist schwer für dich, aber er hat sich entschieden. Er wird nicht zurück kommen.“

„Liebling!“ Angela sah ihren Mann streng an.

„Ich sag doch nur, wie es ist“, entgegnete der Agent. „Wir sollten das vor Jodie nicht schön reden, sonst macht sie sich nachher nur noch falsche Hoffnungen“, fügte er an.

Angela seufzte. „Na komm, Jodie, wir stehen zusammen auf, ja?“

Jodie nickte und stand mit der Hilfe langsam auf. Ihre Beine zitterten. „Ich…ich möchte…etwas allein sein…“, murmelte sie.

„Aber Jodie…“

„Bitte…Mom…“, bat Jodie leise.

Angela nickte. „Aber wenn du etwas brauchst, bin ich hier draußen und warte.“

„Danke“, wisperte Jodie und ging langsam zurück in den Raum. Sie schloss die Tür und rutschte an dieser runter. Jodie zog die Beine an sich heran und schluchzte leise. Was hatte sie nur übersehen?

„Angela, glaubst du wirklich, dass er zurückkommt?“, wollte der Agent wissen.

„Um Jodies Willen hoffe ich das. Es muss doch einen Grund geben, warum, er sie gerade jetzt verlassen hat.“

Agent Starling seufzte. „Ich weiß, dass du das glauben willst, aber wir müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen.“

„Und wie sieht die aus?“, wollte Angela wissen.

„Wenn ich das nur wüsste“, murmelte der Agent. „So hab ich Jodie noch nie gesehen. Und dieser Akai…“ Er schüttelte den Kopf. „Als er sich das erste Mal von Jodie getrennt hat, konnte ich ihm noch verzeihen, weil ich es für jugendlichen Wahn hielt. Dass er einfach nur andere Erfahrungen sammeln wollte, aber das jetzt? Er müsste sich doch im Klaren gewesen sein, was eine Hochzeit bedeutet. Wenn er damit so große Probleme gehabt hat, warum hat er nicht einmal den Mund aufgemacht? Und was war das überhaupt für eine dumme Ausrede? Es ist vollkommen normal, dass eine Braut vor der Hochzeit ein wenig durchdreht und auch auf penible Kleinigkeiten achtet. Das hätte er sich vorher mal überlegen sollen und nicht erst hier in der Kirche.“

Angela nickte. „Seinen wahren Grund werden wir wohl nie erfahren. Vielleicht…hat er auch einfach nur kalte Füße bekommen und bereut es in einigen Tagen…“

„Shuichi?“, Starling hob die Augenbraue. „Das glaub ich kaum. Er hat doch bisher immer alles bis ins kleine Detail durchdacht.“ Der Agent sah zu seiner Frau. „Ich werde dann mal die Nachricht verkünden. Pass auf, dass Jodie nichts Unüberlegtes macht.“

„Mach ich.“
 

Nach über einer Stunde hatte auch der letzte Gast die Kirche verlassen. Fast jeder wollte die genauen Hintergründe wissen und löcherte ihn mit Fragen. Der Agent log sie alle an und er froh, dass nicht Jodie diese Aufgabe übernehmen musste. Nur Shuichis engster Familie erzählte er die Wahrheit.

Starling seufzte und folgte der Meute nach draußen. Sie tuschelten miteinander und warfen ihm komische Blicke zu. Es war als würden sie die Geschichte nicht glauben. Und wer konnte es ihnen auch verübeln? Die Ausrede, dass der Pfarrer den Termin doppelt belegt hatte und gerade bei einer anderen Trauung war, hätte er auch nicht geglaubt.

Tsutomu kam zu ihm. „Was Shuichi da getan hat, tut mir wirklich leid“, begann er. „Ich weiß auch nicht, warum er sich auf einmal anders entschieden hat. Als ich vorhin mit ihm gesprochen habe, hat er nichts erwähnt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er sich spontan umentschieden hat. Wenn es etwas gibt, was ich tun kann…“

„Danke, wir kommen schon klar“, sagte der Agent. „Das Wichtigste ist erst einmal, dass Jodie wieder auf die Beine kommt.“

„Ich werde nachher mit Shuichi sprechen und eine Erklärung einfordern.“

„Du weißt doch wie dein Sohn ist. Wenn er nichts sagen will, wirst du auch nichts aus ihm rauskriegen.“

„Leider“, murmelte der andere Mann. Sein Sohn konnte eben ein Sturkopf sein.

„Tsutomu?“ Mary kam zu Beiden gelaufen. Sie sah zuerst den Agenten an. „Es tut mir wirklich leid. Was sich Shuichi geleistet hat, ist unentschuldbar.“

Starling nickte nur.

„Was gibt es denn?“

„Hast du Masumi gesehen?“

Tsutomu ließ den Kopf hängen. „Dieses Kind…“, murmelte er und sah seinen Freund an. „Entschuldige, aber ich sollte mich jetzt darum kümmern, ehe sie ihrem Bruder den Kopf abreißt. Richte bitte Jodie aus, dass sie trotz allem immer zu uns kommen kann.“

„Das mach ich.“ Agent Starling ging wieder in den Kirchenflur. „Angela?“

„Jodie ist weg“, murmelte sie leise. „Sie hat drinnen nur geschwiegen und ich dachte mir nichts dabei. Als ich dann endlich rein ging, war sie weg.“

„Wie weg? Und das im Brautkleid?“

„Sie hat einen Zettel hinterlassen, dass sie nach Hause gefahren ist. Das Brautkleid hängt im Zimmer. Wir hatten es noch nicht komplett zugeschnürt, weswegen sie es einfacher ausziehen konnte. Danach muss sie durch das Fenster verschwunden sein.“

„Fahr du bitte zu uns nach Hause“, bat der Agent. „Und ich fahr zu ihrer Wohnung. Ich werde mich unterwegs um die Reservierung im Hotel kümmern und die Flitterwochen absagen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, lief er zu seinem Wagen. Starling hoffte inständig, dass Jodie keinen Unsinn anstellen würde. Auch wenn sie seine Tochter war, Frauen die verletzt waren, waren zu allem im Stande. Er stieg in seinen Wagen und startete den Motor. Nachdem er das Handy in die Freisprechanlage steckte, schnallte er sich an. „Anruf Jodie“, sagte er. Während ihre Nummer gewählt wurde, fuhr er los. Please call again later. The person you have called is temporary not available…

„Jodie…tu bitte nichts Unüberlegtes“, murmelte er und kümmerte sich erst einmal um alles Organisatorische. Nach einer halben Stunde parkte er den Wagen und ging mit schnellen Schritten zu der Wohnung seiner Tochter. Nur in Notfällen – und genau das war ein Notfall – nutzte er den Ersatzschlüssel, den er bekam. Starling sah sich im Flur um. Shuichis Schuhe standen auf dem Boden und sein Jackett hing am Garderobenständer. Er ist hier, sagte er zu sich selbst und betrat das Wohnzimmer.

Akai saß auf dem Sofa und tippte auf dem Laptop. Starling ballte die Faust. „Shuichi!“

Akai sah nach oben.

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Weißt du, wie sehr du Jodie verletzt hast? Das werde ich dir nie verzeihen.“ Er ging auf ihn zu, packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. „Du sagst mir sofort, warum du das Jodie angetan hast. Sonst…“

„Dad!“

Starling sah aus dem Augenwinkel zur Tür. „J…Jodie…“, wisperte er.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Shu_Akai
2019-03-24T15:28:32+00:00 24.03.2019 16:28
😢😢😢 Jodie kann einem voll leid tun. Und das noch am Tag der Hochzeit. Die Arme!
Ok, dieser Flashback war voll traurig 😔
Da haben wir es doch, oder? Immerhin hat er geschworen, Jodie nicht mit Absicht zu verletzen? Vielleicht hat es ja was mit seinem Job zu tun, oder?
Hahaha, also Agent Starling war ja gerade voll lustig und Angela erst recht! Komm schon, der war gut! Ich musste lachen 😂
Also die Ausrede hätte ich ja auch nicht geglaubt.
Immerhin haben die noch ein gutes Verhältnis zu den Akais.
Aww Ich könnte Masumi knuddeln, das sehe bestimmt lustig aus, wie sie versuchen würde, Shu den Kopf abzureißen 😂😂😅
Das kann Jodie doch nicht machen? 😱😰
Naja, das Wort “Zuhause” kann man wirklich zweideutig definieren.
Shu ist bei der gemeinsamen Wohnung von sich und Jodie. Ich weiß jetzt nicht, wie ich darüber denken soll!
🙈
Omg 😮 Der wird doch Shu nicht schlagen wollen, oder?
Bitte schreib weiter. Ich muss wissen, wie es weiter geht. 🤗
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag und für morgen einen schönen Start in die neue Woche 💞
Liebe Grüße

Shu_Akai











Antwort von:  Varlet
24.03.2019 23:25
Danke für deinen Kommentar. Es war überwältigend nach Hause zu kommen und drei Kommentare zu haben. *schwärm*

Ich kann schon so viel verraten, der Grund warum Shu Jodie vor der Hochzeit verlassen hat, ist teilweise die Arbeit und teilweise aber auch nicht *gg* Ich drück mich mal wieder kryptisch aus *kicher*

Wer weiß was der gute Agent vor hat...er kennt sicher ein paar mehr Methoden außer jemanden nur zu schlagen *hust* also schauen wir mal, was weiter passiert.
Und vor allem, warum Jodie wieder bei sich zu Hause ist.

Viele Grüße und schönen Start in die Woche


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