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Jade's Diary

von

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Sieben

Eine intelligente Frau sagte einst "Verliere dich selbst nicht in dem, was du tust."

Ich denke, sie wollte mir damit Mut machen und mich zu Entscheidungen antreiben, die vielleicht nicht jeder unterstützt, aber die für mich wichtig und wertvoll sind. Danke für den Rat, Mom, doch ich würde das hier sicher nicht schreiben, wenn ich mich daran gehalten hätte. Manchmal muss man sich selbst aufgeben, um für jemand anderes da sein zu können. Man muss Träume aufgeben, damit der andere sich nicht selbst aufgibt. Mom? Ich habe wirklich gedacht, dass ich ihm helfen kann. Ich wollte die Person sein, auf die er sich verlassen konnte. Diejenige, die immer für ihn da war. Die, die auch bei ihm blieb, wenn sie ihn hasste. Glaub mir, ich habe es versucht. Ich hasse ihn, Mom. Das tue ich. Aber so sehr ich mich von ihm entfernen will, desto mehr schweiße ich mich an den einzigen Teil, der von unserer Familie noch übrig ist. Wie kann man jemanden lieben, den man hasst, Mom? War es bei dir und Dad genauso?
 

Einer der seltenen, verregneten Herbsttage in Kalifornien. Es müssen trotzdem noch um die 23 Grad gewesen sein. Kannst du dich an diesen Tag Anfang November noch erinnern? Es war mein siebter Geburtstag. Eigentlich wollte ich eine Poolparty mit meinen Freundinnen veranstalten, doch wegen dem Regen habt ihr es nicht erlaubt. Ich hatte mir wie jedes Jahr neben den Geschenken, die ich auch bekommen habe, einen Welpen gewünscht, der leider nie in unserem Haus Einzug gehalten hat. Ich weiß noch, wie bitterlich ich jedes Jahr aufs Neue geheult habe, wenn mir bewusst wurde, dass wieder kein Hundebaby unter den Geschenken war. Innerlich wusste ich es jedes einzelne Mal, doch die Dramaqueen in mir ließ nie locker. Meinen Frust musste ich mit der ganzen Welt teilen. Wie hast du es nur mit mir ausgehalten? Ich weiß noch, dass Nev in diesem Jahr 12 Jahre alt geworden ist. Und ihr habt ihn immer noch dazu genötigt, mit mir zu spielen. Erstaunlich, dass er so lange durchgehalten hatte. Vielleicht hatten wir beide zu dieser Zeit noch Respekt vor Dad. Ich wollte damals immer und immer wieder nur dieses eine Spiel spielen. Er sollte mein König sein und ich seine Königin. Was auch immer ich so interessant an diesen royalen Eskapaden fand. Keiner von uns verhielt sich wirklich königlich und sonderlich brav waren wir auch nie. Es ist leicht im Nachhinein zu sagen "Hätte ich gewusst, wie es endet, hätte ich alles anders gemacht." Wir waren Kinder. Wir wussten es zu diesem Zeitpunkt noch nicht besser.
 

Mom? Ich wusste, dass ihr Nev den Plüschhund besorgt habt, damit er ihn mir ganz stolz als Geschenk überreichen konnte und behaupten konnte, dass es seine Idee war. Ich habe mich unheimlich darüber gefreut. Es war kaum in Worte zu fassen. Dieser Junge damals war der Bruder, den ich geliebt habe. Ich kann dir nicht sicher sagen, wie viel von ihm heute noch übrig ist. Manchmal meine ich einen Funken, nicht mehr als einen aufglimmenden Schimmer, von ihm zu sehen, doch es ist nicht einfach für mich. Meine Wahrnehmung ist getrübt. Ich bin vom Weg abgekommen. Doch du kannst trotzdem stolz auf mich sein, Mom. Ich tue es nicht mehr so häufig wie früher. Es geht mir besser. Das musst du mir glauben. Ich verspreche es dir. Lügen...
 

Fühlt es sich so an, wenn man die Kontrolle über sein eigenes Leben verloren hat? Oder wurde sie mir aus den Händen genommen...?
 

Es ist einer der ersten Geburtstage, an die ich mich erinnern konnte, Mom. Für einen Moment war alles perfekt. Und dann weiß ich es wieder. Dann fällt mir wieder ein, warum ich mich ausgerechnet an diesen Geburtstag erinnern kann. Damals wusstest du es noch nicht. Nev erzählte mir später, dass er es geahnt hatte. Es war der Tag, an dem ich zum ersten Mal Angst vor Dad hatte. Es macht mich traurig, ihn so in Erinnerung zu haben, doch ab diesem Zeitpunkt wurde alles nur noch schlimmer. Mom? Er hat Nev und mich geschlagen. Wir wussten damals nicht einmal wieso. Ich gehe stark davon aus, dass du es erst erfahren hast, als bereits alles zu spät war. Zumindest möchte ich so denken. Es wäre eure Aufgabe als Eltern gewesen, uns zu Größerem anzutreiben und uns nicht klein zu halten. Jetzt seht nur, was aus uns geworden ist.
 

Mom? Ich habe den Plüschwelpen immer noch. Er erinnert mich an die guten und schlechten Zeiten. An den Regen und Nevs freundliche Geste. Auch an das Gewitter, das am Abend tobte. Ich hatte schreckliche Angst und hatte mich im Schrank versteckt. Du weißt es sicher nicht mehr, oder? Nein, es war nach dem ersten Übergriff von Dad. Nev hat mich gefunden. Er kam zu mir in den Schrank gekrochen, ohne ein Wort zu sagen. Es war so, als wusste er genau, was ich in diesem Moment dachte. Wenn ich überhaupt an etwas gedacht habe. Ich liebte ihn dafür, dass er für mich da war. Er musste nicht einmal viel machen. Er war einfach dort, zusammen mit mir in meinem Kleiderschrank, während der Sturm draußen tobte. Ich weiß nicht mehr genau, ob es dieser Moment war, aber er war Teil meiner Veränderung. Da bin ich mir sicher. Es war ausschlaggebend für meine Entscheidung, Pasadena nicht zu verlassen. Aber Mom? Das erzähle ich dir ein anderes Mal.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2019-02-20T22:29:12+00:00 20.02.2019 23:29
Es ist so, so unfassbar berührend, Yuki! T___T Ich konnte mir die Stelle, in der Nev ihr den Plüschhund schenkt, richtig lebhaft vorstellen. Wie sie noch ein Bändchen um den Hals des Plüschhundes gebunden hatten und Klein-Nev seiner Schwester das Geschenk entgegenhält. Awww! *^* Darauf müssen wir im RPG unbedingt zurückkommen! Und an die Szene im Schrank auch. Nev kann sich bestimmt noch sehr gut an die Situation erinnern.

Auch hier nochmal: Unendlich vielen Dank! Das ist so großartig geschrieben! ♥ T^T


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