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Kürbiskater

Amplify the Good Times
von

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01. Problem, kein Problem

Mit schmerzhaft verzogenem Gesicht reißt du deinen Blick von deiner Kaffeetasse los und siehst zu ihr hinüber, wie sie vollkommen unbekümmert in der Küche herumwerkelt, während du selbst eigentlich noch viel zu betrunken und hungover bist, um dich wirklich aufrecht zu halten. Und das, obwohl es schon irgendwann am Nachmittag ist und deine größte Leistung heute darin bestand dich vom Bett in die Küche zu schleppen, ohne dir irgendetwas zu brechen. Dein Kopf dröhnt mit jeder noch so kleinen Bewegung, die du machst und am liebsten würdest du dir gerade eine Sonnenbrille aufsetzen, weil alles einfach viel zu hell ist, obwohl irgendwer Erbarmen hatte und den Himmel mit einer dicken Schicht aus dunkelgrauen Weltuntergangswolken bedeckt hat, noch bevor du aufgewacht bist. Aber macht es das wirklich besser?

Vermutlich nicht.

Du fixierst ihren Rücken und versuchst das grausame Geräusch, das das Messer auf dem Holzbrett, auf dem sie gerade Gemüse schneidet, verursacht, zu ignorieren. Stattdessen fragst du dich zum x-ten Mal, warum sie eigentlich immer noch hier ist, obwohl sie schon so viele Chancen hatte zu gehen. Auch wenn das etwas ist, was du schon lange hinter dir gelassen haben solltest – in Momenten wie diesen erscheint dir diese Frage logisch.

Um ehrlich zu sein bist du selbst schließlich das beste Beispiel dafür, dass man sich nicht mit dir abgeben sollte, falls dieser Gedanke irgendeine Art von Sinn ergibt. Aber nein, sie ist vollkommen resistent gegen deine Macken, Aussetzer und zweifelhafte gesellschaftliche Anpassung und hat irgendwann einfach damit begonnen dein Chaos in etwas zu verwandeln, das immerhin vage an ein System – oder Ordnung – erinnert. Und auch wenn du Systeme – oder Ordnung – nicht leiden kannst, fiel es dir viel zu leicht, dich an ihre zu gewöhnen.

Deswegen habt ihr vermutlich angefangen zusammen zu wohnen, ohne dass dir das anfangs klar war. Schließlich warst du viel zu weit in deinem Unglauben versunken, dass jemand wie sie dich tatsächlich mag und nicht nur als spaßiges Sozialprojekt ansieht, mit dem man sich die Langeweile vertreiben kann. Und weil sie die unglaubliche Gabe hat, dich im Zweifelsfall genau so lange zu ignorieren, bis dir klar geworden ist, was du gerade mal wieder verbockt hast.
 

Entnervt stöhnend gibst du dich deinem Kater geschlagen, stützt deine Stirn für einige Momente, in denen das Geräusch des schneidenden Messers nicht aufhört, auf die Tischkante, in der Hoffnung, dass es dich davon rettet aus der Senkrechten zu fallen.

Und vorerst scheint es zu wirken.

Zumindest lange genug, dass du die Kraft sammeln kannst, nach deinem Kaffee zu greifen und einen großen Schluck zu trinken. Angewidert verziehst du das Gesicht, würgst einige Schlucke herunter. Wenn du einen Löffel in diese Brühe stellen würdest, würde das Teil ohne Scheiß stehen bleiben. Sie weiß, dass du nach einer Nacht, wie der letzten, so ein wirklich starkes Gebräu brauchst, auch wenn du es ihr nie gesagt hast. Und dass sie es genießt, wie widerlich du es findest, den Mokka so zu trinken, schließlich bist du sonst fest auf der Seite von Milchkaffee mit Zucker. Erbärmlich und alles andere als Punk, aber leider wahr.
 

Erschöpft lehnst du dich in deinem Stuhl zurück und gibst nur ein leises, leidendes Geräusch von dir. Sie hört es trotzdem, hört vorerst damit auf irgendwelches Grünzeug zu malträtieren, stattdessen dreht sie sich zu dir um.

Lächelnd.

Immer lächelnd.

Und zwar so zuckrig süß, dass selbst in deinem Hirn ankommt, dass hier eine dicke Entschuldigung fällig ist, sobald du wieder fähig bist geradeaus zu denken. Aber das war eh noch nie wirklich deine Stärke. Also sowohl das geradeaus denken, als auch das mit den Entschuldigungen. Du könntest behaupten, dass sie wusste, worauf sie sich mit dir einlässt und hättest recht damit, aber trotzdem wäre es nur eine billige Ausrede. Schon allein, weil ihr beide wisst, dass es dich umbringen würde, würde sie dich verlassen.
 

Nachdem du ihre Frage nach deinem Befinden nur mit einem tierähnlichen Laut beantworten kannst, schüttelt sie den Kopf und legt endlich dieses gottverdammte Messer beiseite. Nach kurzem Suchen wirft sie dir aus reiner Bosheit eine Packung Aspirin entgegen. Weil sie genau weiß, dass du sie sowieso nicht fangen wirst, solang dein Hirn noch im sechsten Kreis der Hölle feststeckt und gerechtfertigterweise der Meinung ist, dass du genau das verdient hast. Anscheinend hat die graue Masse in deinem Kopf auch vor dort noch ein paar Stunden zu bleiben, also kotzt du beinahe auf den Küchenboden, als du die kleine Pappschachtel aufheben willst.

Sie muss nichts sagen, allein der Blick, den sie dir zuwirft, als sie dir ein Glas Wasser auf den Tisch stellt, ist ausreichend, um dich davon zu überzeugen, dass du dich mindestens in den nächsten zwei Jahren nicht mehr so betrinken wirst, wie in auf dieser Party gestern. Was auch immer dich da wieder geritten hat, abgesehen von der schlechten Gesellschaft und der noch schlechteren Musik. Aber sonst versuchst du zumindest noch so nüchtern nach Hause zu kommen, dass du es ohne Hilfe durch die Wohnungstür schaffst. Dass du dich nicht mal daran erinnern kannst, wie du gestern wieder hierher zurück gekommen bist, spricht nicht unbedingt dafür, dass das der Fall gewesen ist.

Du schluckst die Tablette und versuchst ebenfalls zu lächeln, siehst aber eher aus, wie eine Katze, der jemand wirklich fest auf den Schwanz getreten ist. Und sie kennt deine Gedanken, das wisst ihr beide. Also seufzt du nur leise und versuchst dich so weit zusammenzureißen, dass du nicht bis zur Nasenspitze in Selbstmitleid versinkst. Zumindest diesen einen Gefallen kannst du ihr tun.
 

Sie greift einmal mehr nach dem Messer und fährt mit ihrer Arbeit fort. Das dumpfe Geräusch, mit dem die metallene Klinge auf dem Hartholz aufschlägt, lässt dich erneut vor Schmerzen aufstöhnen. Als wäre dieses Messer an einen beschissenen Verstärker angeschlossen. Es hallt in deinem Schädel wider.

In diesem Moment quälen dich genau zwei Fragen. Die Erste:

Ist es wirklich Zufall, dass sie ausgerechnet heute Lust auf Kürbis hat? Denn soweit du weißt, hattet ihr eigentlich keinen im Haus, was bedeuten würde, dass sie heute Morgen extra einkaufen war, was du ihr aber ohne Umstände zutrauen würdest.

Und: Warum verdammt nochmal hast du den Moment verpasst, in dem sie sich in deinem Leben und deinem Herzen häuslich eingerichtet hat? Weil du genau weißt, dass du diese perfide, sadistische Person mit dem umwerfenden Lächeln jetzt sicher nicht mehr gehen lassen wirst.
 

Dieser Gedanke lässt wiederum dich lächeln – nicht weniger verunglückt, als beim ersten Versuch, aber zumindest ein bisschen ehrlicher. Masochist warst du schließlich schon immer, da hättest du es nicht besser treffen können.

Du nimmst einen tiefen Atemzug, stürzt dann den Rest des Kaffees deine Kehle hinunter, auch wenn es dich dabei schüttelt, weil der Scheiß zwar mittlerweile nicht mehr so heiß ist, dass du dir die Zunge verbrühst, aber immer noch bitter, wie die Nacht dunkel. Und wie immer denkst du erst zu spät an den verfickten Kaffeesatz, der am Boden deiner Tasse lauert. Damit kannst du dich jetzt vermutlich den Rest des Tages herumschlagen.

Um den Haussegen nicht noch weiter zu gefährden, kommst du langsam auf die Beine und stellst brav deine Kaffeetasse in die Spüle, bevor du hinter sie trittst und die Arme um ihre Mitte legst.
 

„Tut mir leid“, sagst du leise und es sind die ersten artikulierten Worte, die heute deinen Mund verlassen, ein Anfang im wahrsten Sinne des Wortes. Du stützt dein Kinn auf ihrer Schulter ab und das Ganze wäre wahrlich romantischer, würde sie nicht gerade Zwiebeln schälen. Du weißt nicht, ob deine Augen, dein Magen oder doch dein Herz gerade mehr unter dieser Tatsache leiden, aber versuchst es dir nicht anmerken zu lassen. Allein schon, weil sie noch immer nichts sagt. „Hab ich irgendwas verbockt?“
 

„Du meinst abgesehen vom Offensichtlichen?“
 

„Mh…“
 

Du kannst geradezu spüren, dass sie sich ein abgrundtiefes Seufzen verkneift. Stattdessen legt sie einmal mehr das Messer beiseite und befreit sich aus deiner Umarmung, um sich umdrehen zu können und sieht dich abwartend an, dabei bist du doch eigentlich diejenige, die gerade auf eine Antwort wartet.
 

„Es tut mir wirklich leid“, bringst du deswegen auch nur kleinlaut hervor, selbst wenn das nicht das ist, was sie gern hören würde.
 

„Jo.“
 

„Elif?“
 

Sie verdreht die Augen, als du sie nur weiterhin ziemlich treudoof und tief verkatert anschaust, auch wenn der Kaffee langsam zu wirken beginnt, kann sich ein halbes Grinsen aber nicht verkneifen.
 

„Irgendwann lass ich dich einfach mal draußen stehen, wenn du morgens halb fünf hierher getorkelt kommst und dann kannst du im Flur jämmerlich erfrieren.“
 

Ihre Worte würden vermutlich wesentlich strenger klingen, wenn sie dabei nicht ihre Finger in deinem Schlafshirt vergraben würde, das sich jetzt, wo du einen Blick darauf wirfst, natürlich als dein Oberteil von gestern herausstellt. Nur allzu willig lässt du dich etwas näher zu ihr ziehen, legst deine Hände schließlich locker an ihre Hüften.
 

„Das würdest du nicht übers Herz bringen.“
 

„Doch, ganz bestimmt.“
 

„Glaub ich nicht…“ Du beugst dich ein wenig nach vorn, in der Absicht sie zu küssen, bekommst für den Versuch aber nicht mehr, als ihre kühle Hand über deinem Mund, obwohl die dir auf deiner Stirn doch wesentlich mehr bringen könnte. Aber sie sieht dich nur streng an und schüttelt den Kopf.
 

„Schatz, nimm es mir nicht übel, aber du stinkst, als hätten eine Brauerei und eine Schnapsbrennerei ein Baby miteinander gehabt.“
 

„Touché“, nuschelst du gegen ihre Handfläche, lässt es dir aber jetzt, wo sie wieder gnädiger gestimmt zu sein scheint, nicht nehmen mit der Zungenspitze darüber zu lecken, was sie nur mit einem kunstvollen Verdrehen ihrer großen dunklen Augen bedenkt. Dann wischt sie ihre Hand nachdrücklich an seinem T-Shirt ab.
 

„Du bist furchtbar. Geh duschen, Schnapsbaby.“
 

„Okay.“ Wenn du dazu nach all der Zeit noch in der Lage wärst, würdest du vielleicht verfluchen, wie sehr sie dich in der Hand hat und wie weich und nachgiebig du bei jeder noch so kleinen Bitte wirst. So genießt du das warme Kribbeln in deinem Magen, das so ziemlich das einzige ist, was sich im Bezug auf deinen Körper gerade gut anfühlt und schlurfst langsam in Richtung Flur, bevor du im Türrahmen noch einmal stehen bleibst. „Schnapsbaby wär ein ziemlich guter Albumtitel“, kommentierst du mit einem schiefen Grinsen und wirst dafür mit einem kleinen Lachen belohnt.
 

„Geh jetzt“, droht sie liebevoll, zeigt mit ihrem großen Küchenmesser auf dich. „Oder ich mach dir Beine, Jo.“
 

Auch wenn der Gedanke dich von ihr in Richtung Bad jagen zu lassen an und für sich kein schlechter ist – für irgendwelche Abenteuer unter der Dusche bist du definitiv nicht in der richtigen Verfassung. Also hebst du nur in einer beschwichtigenden Geste eine Hand, bevor du dich umdrehst und dabei fast über den dicken rostroten Kater stolperst, mit dem ihr euch die Wohnung teilt. Die plötzliche Erschütterung lässt eine weitere Welle der Übelkeit in dir aufsteigen, die dir nur ein weiteres Mal deutlich macht, dass der gestrige Abend weit über das gesunde Maß hinaus eskaliert ist.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein herzliches Hallo und willkommen zu Kürbiskater :D Ich sag es gleich vornweg, wie so viele andere Sachen ist das hier eher ein Experiment, an dem ich zwischendurch immer mal arbeite, deswegen wird es keinen festen Upload-Plan oder ähnliches geben, aber über Feedback freu ich mich natürlich trotzdem. Die Idee zu der Story trage ich tatsächlich schon ein paar Jahre mit mir herum und da ich endlich auch mal was zum Femslash February beisteuern wollte, hier zumindest der Anfang des Ganzen ^^
Für die, die mit der Perspektive vielleicht nicht gleich warm werden – die wird nur im ersten und letzten Kapitel in der Du-Form auftauchen, im Rest dazwischen nicht, wie gesagt, das ist alles ein bisschen experimentell. Ansonsten könnt ihr euch darauf einstellen, dass Jo gern ein bisschen jammert und noch viel lieber flucht, es mehr Alkohol und co. geben wird, als vermutlich gesund ist, dafür aber immerhin gute Musik, zumindest wenn ihr nichts gegen Punkrock habt :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Veku
2019-02-18T16:53:45+00:00 18.02.2019 17:53
Hallo,

neugierig, wie ich bin, hat mich der Titel deiner Story sofort magisch angezogen und sobald ich die ersten Absätze überflogen hatte, konnte ich schon nicht mehr aufhören zu lesen. Ich bin jetzt noch ein bisschen geflasht und hätte nie gedacht, dass eine Katerszene mich dermaßen fesselt und das mein Interesse - auch einige Zeit später - kein bisschen abgenommen hat.

Du fixierst ihren Rücken und versuchst das grausame Geräusch, das das Messer auf dem Holzbrett, auf dem sie gerade Gemüse schneidet, verursacht, zu ignorieren.

Ein herrlicher Satz. So viele Kommata und keines wirkt fehl am Platz. Als ich ihn gelesen habe, hatte ich direkt den Gedanken im Kopf, das er auch von mir stammen könnte. Irgendwie genial und sofort sympathisch.

Ich muss gestehen, dass ist meine erste Girls Love Story, die ich lese und ich bin heilfroh, dass sie nicht vor Kitsch trieft. Du hast beide Charaktere wunderbar beschrieben, sodass man direkt einen ersten Eindruck davon bekommt, wer welche Charaktermerkmale vorweist. Ein bisschen klischeehaft, dass die eine eine Art Raufbold ist und es scheinbar gerne übertreibt und die andere sehr liebenswert ist und scheinbar die gute Seele verkörpert. Ich kann mich aber auch täuschen und würde mich gerne eines besseren belehren lassen =)

Der Erzählstil ist wunderbar! Gerne würde ich die Story weiterhin in diese Richtung lesen wollen, da es irgendwie anders und so frisch ist. Beinahe neu. Daher freue ich mich schon sehr auf das Ende. Und da du schreibst, das es sich hierbei um ein Experiment handelt, warte ich einfach mal ab, was du noch so interessantest hervorbringst.

Bis dahin liebe Grüße,
Veku
Antwort von:  -Red-Karasu
18.02.2019 19:27
Hallöchen und gleich vorne weg vielen, vielen Dank für deinen Kommentar, ich hab mich echt total darüber gefreut und grinse gerade von einem Ohr zum anderen, ganz ehrlich :D

Und wenn du sonst kein Girls Love liest fühl ich mich umso mehr geehrt, dass du der Story eine Chance gegeben hast und sie dich dann auch noch angesprochen hat. Ich möchte nicht zu viel versprechen, aber ich kann sagen, dass Elif auch nicht so harmlos ist, wie sie hier jetzt gerade erscheint – ein bisschen geordneter als Jo vielleicht, aber alles andere als ein Mauerblümchen ;)

Ich kann noch nicht genau sagen, wann das nächste Kapitel kommen wird, weil ich im Moment nur wenig zeit zum schreiben habe, aber ich hoffe, dass ich die Frische dahin mitnehmen und dir auch weiter Freude beim Lesen bereiten kann.

Ein großes Danke noch mal und bis bald ^^


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