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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Zurück nach Paris

Nach Paris? Augustin erschrak, als Oscar in die Küche kam und es der jungen Frau namens Rosalie mitteilte. Er befand sich zusammen mit François beim Frühstück und der Haferbrei blieb ihm beinahe im Halse stecken. Er zwang sich zu schlucken, um nicht die Menge in seinem Mund zurück in die Schüssel ausspucken zu müssen. Nur mit Mühe gelang es Augustin die herrschende Bange in ihm nicht nach außen zu zeigen. Er hatte doch gestern nichts angestellt und war zu allen freundlich! Auch bei seiner ersten Fechtübung mit François war er vorsichtig mit seinen Hieben. Warum wollte seine Mutter dann, dass er mit François, seinem Vater und dieser Rosalie ausgerechnet nach Paris fuhr? Wollte sie ihn etwa zurück zu Graf de Girodel bringen? Wenn ja, dann würde sein Großvater böse sein und ihn in das verdammte Dorf zurück schicken! Und das nur, weil er seine Pflicht nicht erfüllt hatte. Aber sein Großvater befand sich schon seit gestern nicht mehr auf dem Anwesen und er konnte deswegen nicht zu ihm gehen und ihm sein Bedenken mitteilen.

 

„...François braucht neue Kleidung für den Winter und vielleicht findet ihr auch für Augustin etwas.“, sprach Oscar ungerührt weiter zu Rosalie und merkte nicht, wie Augustin sein Platz am Tisch verließ und an ihr vorbei schlüpfte. „Und Rosalie, frag Sophie, ob noch etwas in der Stadt gekauft werden soll. André ist im Stall und lässt bereits die Pferde an der Kutsche einspannen …“

 

Weiter hörte Augustin dem Gespräch nicht zu, rannte aus dem Haus und stürmte in den Hof hinaus. François folgte ihm auf dem Fuß und fühlte sich auf unerklärliche Weise aufgewühlt. So, als hätte Augustin ihn angesteckt. Aber warum war das so? Und woher kam das? „Augustin, warte auf mich!“

 

Augustin blieb stehen und wartete, bis sein Bruder ihn einholte. „Wo ist der Stall?“, brummte er spitz und atmete sehr schnell.

 

„Dort drüben.“ François wunderte sich über den spitzen Tonfall, aber zeigte ihm mit dem Finger das besagte Gebäude. „Was willst du dort?“

 

Augustin sagte nichts und setzte seine Füße wieder in Bewegung. Ungeachtet darauf, ob François ihm folgte oder nicht, eilte er zu den eingespannten Pferden an der Kutsche, die nicht weit von dem Stall draußen standen. Er entdeckte dort seinen Vater, der die Riemen an den Pferden überprüfte und steuerte geradewegs auf ihn zu. Augustin wollte einfach sein Verdacht bestätigt bekommen und verhindern, dass er nach Paris mitfuhr!

 

André sah die zwei Jungen auf ihn zu kommen, beendete seine Tätigkeit und zwinkerte ihnen lächelnd zu. „Ah, ihr seid auch schon hier. Könnt ihr es kaum abwarten, nach Paris mit zu fahren?“

 

„Ja, Papa.“ Obwohl François wegen Augustin sich mulmig fühlte, strahlte er dabei trotzdem die Freude aus. Es geschah ja nicht jeden Tag, dass er in die große Stadt mitfahren durfte.

 

„Nein, ich will nicht nach Paris!“, brummte dagegen Augustin frustrierend, was François nicht verstand und ihm noch unwohler am Herzen wurde.

 

„Wieso denn nicht?“ André war ein wenig überrascht. Was hatte der Junge auf einmal? „Du brauchst bestimmt auch Kleider.“

 

„Das glaube ich Euch nicht!“, wandte Augustin trotzig ein. „Ihr wollt mich nur zurück bringen!“

 

„Wie kommst du darauf?“ André schaute zu François, der ratlos seine Schulter hob und senkte. André runzelte die Stirn und sah zurück auf Augustin. „Niemand will dich zurückbringen. Wer hat dir überhaupt so etwas gesagt?“

 

„Ich weiß es einfach!“ Augustin schnaufte aufgebracht und wäre am liebsten weggerannt. Aber wohin? Er kannte sich doch hier nicht aus!

 

Gleichmäßige Schritte entstanden unweit von ihnen und eine Person in der roten Uniform eines Kommandanten kam näher. „Rosalie weiß Bescheid und wird auch gleich eintreffen.“ Oscar blieb zwischen André und den beiden Jungen stehen. Ihr Blick ruhte sanft auf ihrem Geliebten und die leidenschaftliche Nacht mit ihm kreiste noch immer in ihrem Kopf. Das überdeckte sogar den unangenehmen Druck in ihrer Brust wegen Augustin. Jedoch rief sie sich sogleich zur Ordnung. Solche intime Gedanken an die Stunden der Liebe mit ihrem André gehörten nicht hierher.

 

André lächelte sie sanft an. Auch er dachte an die Liebesnacht mit ihr und es kribbelte angenehm auf seiner Haut. „Dein Pferd ist schon gesattelt.“, sagte er, um die unpassenden Gedanken zu zerstreuen. Es war zwar schade, aber sie waren nicht alleine und heute Abend würde sicherlich wieder die Möglichkeit bestehen, dort weiter zu machen, wo sie gestern aufgehört hatten.

 

„Gut. Ich werde nach dem Besuch bei Ihrer Majestät im Trianon zu euch stoßen in Paris. Wir treffen uns auf dem großen Marktplatz bei den Pferden.“ Noch ein letztes Mal verlor sich Oscar in den grünen Augen ihres Geliebten und schaute auf die beiden Jungen, um sich von ihnen zu verabschieden. Sie stutzte gleich darauf, als ihr Blick auf Augustin fiel. Seine Haltung war angespannt und in seinem Gesicht stand Zorn geschrieben. „Was ist mit dir los?“, wollte sie von ihm wissen.

 

„Ach, nichts besonderes, Oscar.“, erklärte André und obwohl ihm selbst der Anblick des Jungen nicht gefiel und ihm noch immer das mulmige Gefühl verursachte, scherzte er. „Augustin hat nur Angst, nach Paris mitzukommen.“

 

Er und Angst? Da lag sein Vater ganz falsch! Solches Empfinden wurde ihm schon längst genommen und ihm stattdessen beigebracht, tapfer zu sein! Sein Großvater hatte einen großen Wert darauf gelegt, dass aus ihm kein verängstigtes und scheues Rehkitz wurde. Graf de Girodel hatte sein Bestes gegeben und ihm alles gelehrt, was General de Jarjayes von ihm verlangte. „Ich habe keine Angst!“, knurrte Augustin aus diesem Grund noch trotziger.

 

„Er sagte, wir würden ihn nach Paris zurückbringen und ihn dort lassen wollen.“, fügte François hinzu. Komisch, warum fühlte er sich auch zornig? So, als müsste er der gesamten Welt trotzen und sich verteidigen.

 

„Dich hat niemand gefragt!“ Augustin stieß François unerwartet zur Seite, kaum dass sich dieser versah und spürte sofort einen eisernen Griff um seinen Arm. Er erschrak zu tiefst und sein Herz hämmerte wild, als sein Blick den von seiner Mutter traf. Die Kälte und Wut darin jagte ihm ein unsichtbares Messer durch den Körper. Augustin erstarrte in ihrem starken Griff wie zu einer Säule und schluckte hart. Jetzt würde sie ihn erst recht nach Paris schicken und ihm bei Graf de Girodel absetzen! Aber was hatte er nur falsch gemacht? Er hätte François nicht anrühren dürfen, wurde ihm in dem Moment klar und er bereute seine Tat. Jedoch würde es ihm bestimmt nichts mehr nützen! Seine Mutter hatte keine warmherzigen Gefühle zu ihm wie zu François. Mutter, ich bin aber auch dein Sohn. Was soll ich tun, damit du mich auch so liebst wie meinen Bruder und meine Schwester, dachte sich Augustin verzweifelt und seine Augen glänzten glasig. Aber die Tränen zeigte er nicht, weil das als Schwäche galt und das war seiner Erziehung zu einem starken Jungen nicht würdig.

 

„Wage so etwas nicht noch einmal zu tun!“ Oscar, während sie das noch sagte, fühlte schon wieder diesen seltsamen Schmerz in ihrem Brustkorb. Zusätzlich sah sie die Bilder im geistigen Augen wie gestern im Kontor ihres Vaters: Sie hielt François in ihren Armen nach der Geburt und hatte ihn gestillt. Ihr kleiner Sonnenschein trank die Milch und erweckte in ihr Muttergefühle, die voller Stolz und Liebe waren. Jedoch Augustin erweckte in ihr Schuldgefühle, die voller Reue und Bitterkeit waren. Warum nur, fragte sie sich nicht zum ersten Mal und versuchte den entstandenen Klumpen in ihrem Hals runter zu schlucken.

 

„Mama, lass ihn los, er hat mir nichts getan.“ Die Stimme von François drang wie aus weiter Ferne in ihre Ohren. „Mir geht es gut.“

 

Oscar entspannte sich, lockerte ihren Griff und entfernte sich von Augustin. Dieser Junge war ein Rätsel und sie hätte gerne gewusst, woher er tatsächlich kam. Aus dem Waisenhaus, erinnerte sie sich an das Gespräch mit ihrem Vater und Graf de Girodel von gestern. Aber davor? Wessen Kind war er?

 

„Alles in Ordnung?“, fragte André sie ein wenig besorgt und berührte sie sachte am Arm.

 

„Es geht schon.“, fand Oscar ihre Stimme wieder. Sie klang ein wenig belegt. „Wer weiß, was er in Paris erlebt hat.“ Sie ging zu ihrem Pferd, stieg auf und ritt an. „Also bis später. Wir sehen uns wie abgesprochen am großen Markt bei den Pferden!“ Sie gab ihrem Pferd heftig die Sporen und galoppierte eilends durch die Eisentore des Anwesens der de Jarjayes.

 

 

 

- - -

 

 

 

Während François neugierig aus dem Fenster der Kutsche lugte und alles, woran sie vorbeifuhren, betrachtete, zog sich Augustin zurück und schaute lieber Rosalie an, die den beiden Jungen gegenüber saß. „Paris ist eine schöne Stadt, ich bin hier aufgewachsen.“, meinte sie, als er seinen Blick auf sie richtete. „Du wirst sehen, es wird dir gefallen.“

 

„Das denke ich nicht.“, sagte Augustin verdutzt. Wieso erzählte sie ihm das, wenn ihn das sowieso nicht interessierte?

 

Rosalie lächelte. Sie wollte doch nur den Jungen aufmuntern. „In welchem Teil der Stadt bist du eigentlich aufgewachsen?“

 

Woher sollte er das wissen? Er hatte bei Graf de Girodel gewohnt und bis auf den Hinterhof, wo die Pferde standen, war er so gut wie nie nach draußen auf die Straßen gekommen. „In einem großen Haus.“, redete er sich raus.

 

„Du meinst bestimmt ein Waisenhaus.“, stellte Rosalie fest, aber bekam darauf keine Antwort. „Ich bin jetzt auch eine Waise, weißt du?“

 

Augustin zuckte mit den Schultern. Das war ihm gleichgültig. Ihn beschäftigte nur eine Sache, dass er bald ausgesetzt werden würde. Er hatte auf dem Anwesen seines Großvaters versucht, seinen Vater zu überreden, dass er ihn nicht mitnahm, aber war gescheitert.

 

François, der Rosalies Fragen mitgehört hatte, wandte sich vom Fenster ab und setzte sich wieder ordentlich hin. „Aber davor warst du eine Halbwaise, stimmt es?“

 

„Ja, das stimmt.“, bestätigte Rosalie und erzählte kurz ihre Geschichte, die bereits fast jeder kannte. „Ich wuchs mit meiner Schwester bei meiner Mutter auf. Mein Vater war kurz nach meiner Geburt verstorben. Dann war meine Schwester von zuhause weggelaufen und meine Mutter wurde von der Kutsche einer Adligen überfahren. So kam ich zu Lady Oscar und sie hat mir sehr geholfen.“

 

„Mama ist der gütigste Mensch, sagt Papa und das stimmt.“, schwärmte François gleich darauf. „Hast du gesehen, wie schön sie in ihrer roten Uniform aussieht?“

 

„Ja, sie sieht gut darin aus.“, meinte Augustin und fügte in Gedanken hinzu: Aber sie hat keine Liebe für mich. Weder sie, noch Vater mögen mich...

 

„Einmal hatte Mama eine weiße Uniform an gehabt und mit der Königin getanzt, stell dir das mal vor!“, beendete François euphorisch und sein Gesicht strahlte vor Freude.

 

Augustin konnte seine Schwärmereien kaum aushalten. Wie gerne hätte er das auch miterlebt! Zu seinem Glück blieb die Kutsche stehen. André hielt ihnen in wenigen Augenblicken die Tür auf. „Der erste Halt: Schneiderei!“

 

Der Schneider war zwar nett, aber Augustin ließ die Maße nehmen, es stumm über sich ergehen und war froh, weiter zu fahren. Und wie er von Rosalie erfuhr, bestellte der gesamte Haushalt der de Jarjayes hier seine Kleider – wie die Bediensteten, so auch die Familie der de Jajrjayes. Aber das interessierte ihn nicht im Geringsten. Er wartete nur darauf, dass seine Vermutung sich bestätigte und sie ihn bei Graf de Girodel oder irgendwo aussetzen würden.

 

Der nächste Halt war ein großer Markt. An dem Platz, wo andere Kutschen und Pferde standen, stiegen sie aus. André mit Rosalie erlaubten ihnen, über den Markt zu laufen, während sie einige Einkäufe erledigten. „Aber verlauft euch nicht!“, empfahl Rosalie ihnen auf dem Weg.

 

„Wir werden aufpassen!“, versprach François und wollte mit Augustin losgehen, aber dieser lief schon vor. „Warte doch auf mich!“, rief er und verstand nicht, warum sein neuer Freund es so eilig hatte.

 

Augustin hörte seinen Ruf, aber stürmte weiter zwischen den Menschen hindurch. Er wollte seinen Frust irgendwo auslassen, wo kein Mensch in der Nähe war. Sein Bruder sollte ihm weiterhin folgen. So würde sein Vater nicht ohne ihn zurückfahren können. Ein dumpfes Gefühl entstand unerwartet in ihm und das bewog ihn stehen zu bleiben. „François.“, murmelte er und drehte sich um, aber von seinem Zwillingsbruder war weit und breit nichts zu sehen. Panik überkam ihn. Was, wenn er in Schwierigkeiten war? Denn genau das fühlte er gerade. „François!“, rief er laut, aber außer ein paar unverständlichen Blicken der Menschen erreichte er nicht viel. Wo sollte er nach ihm suchen? Vielleicht bei den Kutschen? Denn genau dort hatte er ihn das letzte Mal gesehen! „François!“ Er lief zurück und verspürte einen unerklärlichen Schmerz in seinem Bauchbereich und an den Rippen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tito
2021-12-30T16:14:39+00:00 30.12.2021 17:14
Super dass du wieder schreibst , Deine veröffentlichung sind immer ein highlight weiter so.
Antwort von:  Saph_ira
31.12.2021 12:42
Dankeschön herzlich, ich freue mich auch wieder zurück zu sein. Dir noch einen guten Rutsch in das neue Jahr 2022! :-)


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