Zum Inhalt der Seite

Entscheidungen

Was, wenn?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Und die andern II

„Kennst du die Familie eigentlich?“, fragte Sephiroth.

„Nein“, erwiderte Genesis halb entsetzt. „Natürlich nicht.“

„Toll, dann kann ich mir ja was ausdenken. – Und wo wohnen die Eltern?“

„Uff“, machte Genesis. „Irgendwo im Nordwesten von Lissabon.“

„Wie kommt man da hin?“

„Metro?“ Auch Genesis war überfragt. „Aber sie müssen schon ziemlich weit draußen wohnen, Ramon hat angedeutet, dass sie einen ganzen Bauernhof als Wohnhaus übernommen haben.“

„Dann hast du dich ja pekuniär in bester Gesellschaft befunden“, bemerkte Sephiroth verschmitzt grinsend.
 

„Meine Mutter hat mich schon vor Ewigkeiten gefragt, ob ich jemanden zu Weihnachten mitbringe.“ Genesis gingen daraufhin hundert Dinge gleichzeitig durch den Kopf. Da er sich nicht entscheiden konnte, was davon er zuerst sagen sollte, sah er Ramon nur fragend an. „Na ja, sie hat da so einen Hof, bei dem sie den Vogel bestellt – sie hat so einen völlig absurden Biotick – und wenn man sich da nicht Monate vorher meldet, geht man leer aus, weil sie auch nicht das größte Kontingent haben, also hat sie mich angerufen – es ist ja nicht so, als ob es immer so viel Essen gäbe, dass wir noch zehn spontane Gäste übersättigen könnten –“

„Und?“ Ramons Erklärung war nicht das, was Genesis hören wollte.

„Und möglicherweise hab ich da angedeutet – du weißt schon, dass es jemanden geben könnte ...“ Ramon sah Genesis nicht in die Augen, als er dieses kleinlaute Geständnis abgab.

Genesis ließ nicht locker. „Und vor einer wie langen Ewigkeit war das genau?“

„Ähm ...“ Ramon tat, als ob er überlegte, aber Genesis war klar, dass er sich nur kaum traute, mehr zu verraten. „Im ... Juli?“

„Ramon.“ Genesis wartete ab, bis Ramon ihn schüchtern ansah; er selbst begegnete diesem Blick mit gnadenloser Härte. „Wann haben wir uns verlobt?“

„Am sechsten August“, antwortete Ramon freudestrahlend. Auf Genesis‘ Blick hin schrumpfte er auf seinem Stuhl wieder zusammen.

„Und wie genau kommst du dazu, deiner Familie im Juli zu erzählen, es ‚gäbe da jemanden‘?“

„Ich hab dazu aber auch gesagt, dass es nicht ganz sicher ist“, erklärte Ramon.

„‚Nicht ganz sicher‘? Nicht ganz sicher ist man sich bei jemandem, den man gerade getroffen hat, nicht bei jemandem, mit dem man vier, fünf Monate ins Bett geht.“

Ramon schaute beleidigt drein. „Es war ja wohl mehr als das.“

„Der Punkt ist, dass wir nicht zusammen waren und auch nicht im Begriff, zusammenzukommen, so als ob es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre.“

„Warum musst du darauf eigentlich immer so rumreiten?“, fragte Ramon erhitzt.

„Weil ich mich mit andern Männern getroffen habe.“

„Weiß ich.“

„Ich will nicht, dass für irgendwen der Eindruck entsteht, ich hätte dich betrogen.“

„Was?“ Ramon war offensichtlich überrascht. „Davon kann überhaupt nicht die Rede sein, ich wusste von Anfang an, worauf ich mich einlasse.“ Er griff über den Tisch seiner Wohnküche und streichelte Genesis‘ Hand, die an seiner Kaffeetasse lag. „Deswegen brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen. Ehrlich nicht.“

Ramons liebevolles Lächeln ließ Genesis‘ Herz etwas aufwärmen. Eine Weile verbrachten sie in einer angenehmen Stille, unterbrochen nur davon, dass sie ab und an an ihren Tassen nippten. Als diese geleert waren, räumte Ramon sie ab. „Und warum erzählst du mir das jetzt, im November?“, fragte Genesis.

„Na ja, Weihnachten ist schon nächsten Monat.“ Ramon setzte sich wieder und sah Genesis‘ skeptischen Blick. „Und es ist nur fair, dass du weißt, dass meine Eltern seit Juli darauf warten, dass ich ihnen endlich einen neuen Mann vorstelle.“

Genesis nickte. „Du weißt, dass wir in meiner Heimat nicht so die Weihnachtstradition haben mit – keine Ahnung – einem Baum und irgendeinem Weihnachtsmann.“

„Ach, Weihnachten macht Spaß, wenn man erst mal weiß, dass es den Weihnachtsmann wirklich gibt.“

„Du nimmst mich auf den Arm.“

„Hast du nie den Film mit Tim Allen gesehen?“ Ramon zwinkerte ihm zu.

„Doch, klar, hundertmal. Mindestens.“ Genesis zwinkerte nicht.
 

Für Genesis‘ Geschmack kam der Vortag des Heiligen Abends viel zu schnell. Ramon hatte noch einige Unterlagen und Bücher für die Arbeit durchzuackern, so kamen sie erst am späten Nachmittag dazu, aufzubrechen, und Genesis saß die ganze Zeit wie auf glühenden Kohlen. „Es ist ganz einfach“, erklärte ihm Ramon, „wir nehmen die blaue Metrolinie bis zur Endstation und dann – dazu kommen wir, wenn es so weit ist.“

Um die Uhrzeit und vor allem diese Zeit im Jahr war besagte Metrolinie gut gefüllt. Ramon und Genesis stiegen zusammen mit vielen Leuten ein, die mit einer Menge Tüten bepackt waren oder mit großen Koffern in Richtung Hauptbahnhof aufbrachen; sie fanden trotzdem nach ein paar Stationen eine Stelle in einer Ecke, in der sie sich relativ unbehelligt einander zuwenden konnten. Ramon beugte sich kurz zu ihm und küsste ihn flüchtig auf die Lippen. „Du weißt“, sprach Genesis endlich aus, was ihn umtrieb, „ich hatte noch nie mit Familie von Partnern zu tun.“

„Was, echt nicht?“, fragte Ramon verblüfft.

„Nein, meine ersten beiden Partner waren von ihren Familien verstoßen und der dritte hat keine Familie.“

„Oh, wow.“ Ramons nachdenklich zur Seite gehender Blick verriet Genesis, dass er sich Sephiroth in Erinnerung rief. Dann runzelte er die Stirn. „Das ist tragisch.“ Als sie an der Endstation angekommen waren, führte Ramon Genesis aus dem Metrobahnhof heraus; Genesis fielen die künstlerischen Verzierungen an den Wänden auf. Sie fuhren mit einem Vorortszug weiter aufs Land hinaus. Der Tag war mittlerweile zu einem Großteil vergangen; die Schatten wurden länger, es kühlte ab, die Sonne war dabei, sich langsam zu verabschieden.

„Wir sind schon wieder auf dem halben Weg nach Sintra, oder?“, fragte Genesis, dem die Strecke trotz spärlicher werdenden Lichts ungefähr bekannt vorkam.

„Was meinst du, warum ich früher so oft da war?“, fragte Ramon grinsend zurück. „Von meinem Elternhaus ist es nicht weit.“ Den Rest des Weges legten sie in einem Taxi zurück. Als sie – mittlerweile in der Abenddämmerung – ausstiegen, fand sich Genesis vor einem großen Haus wieder, das seinem eigenen Elternhaus kaum in etwas nachstand. Weitere Bauten verteilten sich großzügig um das Haupthaus. In der Ferne war das Gelände weit und breit von Wiese und Feld umgeben; die nächsten Nachbarn waren weit entfernt. Ramon trat zu Genesis heran.

„In der Familie gibt es Geld, ja?“, fragte Genesis.

„Ein bisschen“, erwiderte Ramon bescheiden. „Kennst du ja selbst.“

Genesis nickte. Über einen knirschenden Kiesweg bewegten sie sich auf die Haustür zu, die sich am Ende zweier Stufen befand. Genesis erahnte, wie es dahinter aussah. Er spürte, dass die ruhige bäuerlich-ländliche Atmosphäre täuschte; man hatte sich einzig und allein aus dem Grund aufs Land zurückgezogen, um über mehr Platz und Raum zu verfügen, nicht aber um etwa ein einfacheres Leben zu führen oder gar auf Luxus zu verzichten.

Ramon legte ihm liebevoll von hinten die Arme um die Brust. „Ich liebe dich“, flüsterte er Genesis ins Ohr. „Das ist alles, was zählt.“ Genesis konnte nicht behaupten, deswegen weniger gespannt zu sein. Ramon ließ ihn wieder los und wandte sich der Tür zu. „Und ich freu mich auf meine Eltern und sie werden dich auch lieben.“ Er klopfte.
 

„Was, und du kommst gar nicht aus Portugal?“

„Nein.“

„Und du bist gar kein Muttersprachler?“

„Nein, auch nicht.“

„Unglaublich.“ Inês, Ramons Mutter, kam aus dem Staunen kaum heraus. „Man hört es nicht, absolut nicht. – Oder vielleicht höre ich einfach nicht mehr so gut?“

„Tja, was soll ich darauf jetzt antworten?“, fragte Genesis lachend, ein gut gefülltes Glas Rotwein in der Hand.

Ramon kam ihm zu Hilfe. „Vielleicht kann ich darauf einfach einwenden, dass ich auch keinen Akzent wahrnehme.“ Genesis wandte sich auf dem großen Ecksofa im Wohnzimmer von Ramons Eltern dankbar um. Das Zimmer war vielmehr ein bereits festlich dekorierter, ungewöhnlich weiter, offener Bereich mit einer großen Kücheninsel am andern Ende des Raums, auf der ein Kranz aus Tannengrün mit vier Kerzen darauf lag. Warme Holztöne dominierten, ergänzt durch helle Details und Polster wie das cremeweiße Sofa, das trotz seines Eckcharakters mitten im Raum auf einem wertvollen Teppich stand.

Inês, eine edle, schlanke Dame mit freundlichem Gesicht und einem angenehmen Schokoladenton in den Haaren, hatte ihnen die Tür geöffnet, ihren Sohn in überschwänglicher Freude in die Arme geschlossen und sie beide mit herzlicher Gebärde ins Haus gebeten. Während sie Genesis mit Ramon im Schlepptau durch das Haus mit all seinen Hinweisen auf das anstehende Weihnachtsfest führte, hörte sie Genesis mit subtilen Fragen auf dennoch irgendwie liebenswürdige Weise aus. Der war erleichtert, dass sie sich direkt gut verstanden. Sie bat die beiden in die Küche, wo sie ihnen verschiedene kleine Köstlichkeiten mit Brot vorsetzte. „Der Papa kommt heute etwas später?“, fragte Ramon.

„Wie immer, wenn es auf ein paar freie Tage zugeht“, seufzte Inês. „Plötzlich fällt allen Leuten ein, dass noch was erledigt werden muss, bevor sie ihre Weihnachtseinkäufe machen.“

„Und Antónia kommt morgen?“ Antónia war Ramons jüngere Schwester.

„Sie hat sich zum Mittagessen angemeldet.“

„Es gibt ein Mittagessen?“, fragte Ramon schelmisch.

„Oh, du.“ Sie richtete ihren Blick auf Genesis. „Gibt es etwas, das du nicht isst?“, fragte sie ihn mit der unverkennbaren Liebenswürdigkeit einer fürsorglichen Mutter. Sie hatte ihm innerhalb der ersten Minuten das Du angeboten.

Ramon musste lachen. „Nein“, antwortete Genesis wahrheitsgemäß. „Mit mir gibt es auf jeden Fall kein Problem mit Essensresten.“

Fürs erste nicht mehr hungrig, hatten sie sich mit Wein aufs Sofa zurückgezogen; schnell hatte sich das Gespräch Genesis‘ familiären Hintergrund und seiner Herkunft zugewandt. Genesis lehnte sich in Ramons Umarmung in den Kissen zurück, schaute über die Schulter zwischen Ramon und Inês, die ihn herzlich anlächelte, der kerzenerleuchteten Weihnachtsdekoration und dem guten Wein auf dem Tisch hin und her und fühlte sich bereits wie zu Hause.
 

„Oh, ja, Mama besteht immer darauf, dass der Baum erst geschmückt wird, wenn wir alle da sind“, sagte Antónia am nächsten, etwas wolkenverhangenen Tag an einer leichten Mittagstafel. Jung, leicht blondiert und mit einem ähnlich edlen Stil wie ihre Mutter, strahlte sie frisch und fröhlich; ihr nicht unbedingt dezenter Goldschmuck schimmerte im Kerzenlicht, das den ansonsten etwas dunkel gewordenen Raum erleuchtete, besonders angenehm. Sie mochte sich wie eine verwöhnte wohlhabende Tochter gebärden, wie sie ihr Weinglas ganz beiläufig in der Hand hielt und jede Kostbarkeit wie selbstverständlich hinnahm, aber alles in allem war Genesis bezaubert von ihrer süßen Art.

Marco, ihr und Ramons Vater, auf dem Stuhl daneben war ein wohlwollender, ruhiger großer Mann mit Brille und krausen Locken, die an den Schläfen bereits sehr grau waren. Er hatte ein einnehmendes Lächeln, das jeden im Handumdrehen davon überzeugte, ihm zu vertrauen. Gesicht und Körper verrieten, dass er im Leben viele Stunden gearbeitet hatte; Genesis ahnte, dass Ramons Angewohnheit, bis weit nach Mitternacht in seinem Arbeitszimmer zu sitzen, obwohl er früh aufstand, von den Eltern herrührte. Er zwinkerte. „Und wir tun hier, was Mama sagt. Mama ist der Chef.“

Genesis bekam so viel mit, dass die Familie ihr Geld aus Milch und Milchprodukten zog; er erzählte, dass er aus einer Äpfel anbauenden Familie stammte und erntete eine unheimlich große Faszination, wie man damit das große Geld machen konnte – eine Frage, die er sich bezüglich Milch und Käse ebenso stellte. Genesis lächelte. Er mochte Ramons Familie von ganzem Herzen.

Als alles bis auf den letzten Krümel verspeist war – Genesis hatte nicht übertrieben –, stürzte sich Antónia begeistert darauf, den Tannenbaum, der bereits an einer Seite des Raums aufgestellt war, für Weihnachten zu schmücken, während Ramon das Geschirr spülte, mit Genesis, der so tat, als würde er helfen, tatenlos neben sich. „Und, lecker?“, fragte Ramon ihn grinsend.

„Ja, zur Abwechslung mal was Selbstgekochtes“, sagte Genesis nickend. „Anstatt sich immer von dir was vom Lieferservice vorsetzen zu lassen.“

„Ich lade dich auch oft genug in Restaurants ein“, erinnerte ihn Ramon. „Trocknest du ab?“ Er bot Genesis ein Geschirrhandtuch an. Der nahm es nicht sofort zur Hand. Er schaute Ramon skeptisch an. „Jetzt mach schon, das ist höflich.“

Nach dem Abwasch setzte sich Genesis aufs Sofa und sah dem Rest der Familie, der das Radio eingeschaltet hatte, das lauter Weihnachtslieder spielte, beim Baumschmücken zu. Es hatte sich ihm nie ganz erschlossen, warum man einen Baum fällte, ihn ins Zimmer schleppte und ihn dort auch noch schmückte, zumal er den Zusammenhang mit Weihnachten, der angeblichen Geburt Jesu, einfach nicht verstand. Daheim feierte man eher die Wintersonnenwende und die Heiligen Drei Könige. Weihnachten bedeutete für ihn nur einen weiteren überflüssigen Kirchenbesuch und viel geschäftlichen Stillstand im Rest der Welt, während für ihn drei ganz gewöhnliche Tage abliefen.

„Und?“, fragte ihn Ramon, der zu ihm gestoßen war. Man hatte das Projekt Baum wohl fürs erste für beendet erklärt; Antónia war suchend in die Küche zurückgekehrt, von wo ein herrlicher Duft ausging.

„Ach, weißt du, so mit einem echten Weihnachtsbaum direkt vor meiner Nase beginne ich doch zu verstehen, warum man das macht“, räumte er anerkennend ein. Am Raumende stand nun eine doch sehr stattliche Tanne mit dunkelgrünen Nadeln. Auf die Spitze war ein goldener Weihnachtsstern aufgesetzt, unter dem die Familie eine ebenfalls goldene Schleife um den Baum gebunden hatte. Die Äste trugen das Gewicht von schimmernden goldenen und roten Kugeln, vergoldeten Zapfen, Engelsfiguren und – zu Genesis‘ Überraschung – winzigen Goldinstrumenten. Um die Tanne herum wickelten sich eine elektrische Lichterkette, die ein angenehm dunkles Flackern wie echte Kerzen von sich gab, und eine Art Golddraht in einer Nachahmung von Tannengrün. Genesis war durchaus beeindruckt. „Bilder bringen so was irgendwie nicht so ganz richtig rüber.“

„Wie wär’s jetzt?“, fragte Ramon unvermittelt.

„Das musst du wissen“, sagte Genesis schulterzuckend. Das Mittagessen lag ihm plötzlich doch schwer im Magen. Ramon fuhr ihm beschwichtigend mit der rechten Hand durchs Haar; Genesis versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sich Ramons Ring für kurze Momente darin verhakte. Er setzte sich neben Genesis auf das ausladende Sofa seiner Eltern. Bald schon hatte sich Antónia zu ihnen gesellt, wieder ein Glas in der Hand, diesmal mit Sekt; bei ihrem Küchenaufenthalt hatte sie auch ganz nebenbei ein fertiges Blech Weihnachtskekse aus dem Ofen geholt und ein neues hineingeschoben. Ohne es wirklich zu merken, rückte Genesis näher an Ramon heran. Sie teilten ihre Nervosität, körperlich wie im Geiste. Ramon drückte ihm sanft die Lippen an den Hals. Genesis legte ihm eine Hand an die Wange. Ramon nickte, einen entschlossenen Ausdruck in den Augen. Er wandte sich um und sagte in den Raum hinein: „Mama, Papa, kommt ihr?“

Inês und Marco, eben noch damit beschäftigt, zu beratschlagen, ob der Baum mit der Last des Schmucks noch gerade stand oder nicht, merkten auf und kamen herüber. Sie setzten sich neben Antónia aufs Sofa, Ramon und Genesis gegenüber. In der Stille, die zwischen ihnen allen eintrat, hörte man noch deutlich aus dem Hintergrund die Weihnachtslieder im Radio. Genesis, bis eben in Ramons Umarmung eingeschlossen, rückte ein Stück nach vorn, richtete sich auf und drehte sich auf seinem Platz so, dass er beide Parteien im Blick hatte, wandte sich aber erwartungsvoll Ramon zu. Der schaute ihm lange in die Augen. „Hauptsache, wir sind zusammen“, schien er sagen zu wollen. Es war das erste Mal, dass Genesis daraufhin nicht wegschaute. Ramon richtete seine Konzentration auf seine Eltern und Schwester. Bestärkt, lächelte er selig. „Wir werden heiraten“, sagte er knapp, und doch schaffte er es, keinen Zweifel daran zu lassen, dass es eine glückliche Entscheidung war.

Antónia ließ ihre aufgesetzte Art und ihr Sektglas sinken; sie schaute ihren Bruder mit großen Augen und leicht geöffnetem Mund an. „Echt?“, fragte sie. Ihren Eltern schien es kurz die Sprache zu verschlagen; auch sie saßen wie vom Donner gerührt da.

Dann, in einem Moment der Erlösung, klatschte Inês einmal in die Hände. „Das ist ja wunderbar!“, rief sie. „Das müssen wir feiern! Antónia, wo hast du den Sekt hingestellt?“

Während Antónia und ihre Mutter den Raum wieder in Richtung Küche durchquerten, um mehr Sekt und Gläser zu beschaffen, erhob sich Marco vom Sofa und kam auf Ramon zu, um ihm beglückwünschend auf die Schulter zu klopfen. „Gut gemacht, mein Sohn“, lobte er ihn. „Wunderbare Neuigkeiten. Und willkommen an unser neues Familienmitglied“, sagte er an Genesis gewandt. Von den Frauen, die wiedergekehrt waren, nahm er ein Glas entgegen, Ramon und Genesis ebenso. Würdevoll erhob er das Glas. „Auf die glückliche Zusammenführung zweier Familien.“
 

„Pragmatisch“, sagte Genesis.

„Hat man mir beim Militär so eingebläut“, sagte Sephiroth.

„Und alles so unkompliziert. Mein Mann der hoffnungslose Romantiker“, seufzte Genesis gespielt berührt.

„Was, deine Eltern waren doch auch froh, dass wir geheiratet haben“, suchte sich Sephiroth zu verteidigen.

„Mag sein, aber die kannten dich auch schon zehn Jahre lang.“ Genesis bedeutete Sephiroth mit einem überlegenen Seitenblick, dass er sich schon wieder begriffsstutzig aufführte. Sephiroth schmollte.

„Apropos deine Eltern“, sagte er dann allerdings, um den Faden wieder aufzunehmen.

„Oh Gott“, stieß Genesis nur hervor.

„Sie wären nach der Logik der Geschichte die nächsten.“

„Himmelherrgottnocheins, das kannst du ihnen nicht antun, Seph, irgendwo muss auch mal Schluss sein.“

Sephiroth zuckte die Schultern. „Ich führe angefangene Dinge für gewöhnlich zu Ende.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier noch eine Variation von Carol of the Bells:
https://www.youtube.com/watch?v=nj4Fz_Qe_O0
Neben Driving Home For Christmas gehört es zu meinen Lieblingsweihnachtsliedern. Mittlerweile hab ich übrigens auch einen Adventskalender! https://www.animexx.de/fanfiction/autor/534019/ordner/-2/393547/

Alles, was hier Lissabon und Umgebung betrifft, hab ich mir zusammengegooglet und teilweise natürlich auch ausgedacht. Keine Ahnung, ob es so eine Ortschaft vor Lissabon überhaupt wirklich gibt, aber so kleine ehemalige Höfe vor der Stadt sieht man doch überall ... oder?
Die Namen der Familienmitglieder haben keine besondere Bedeutung. "Inês" hab ich auf der Seite des Instituts gefunden, an dem Ramon in dieser Geschichte arbeitet. Und "Marco" und "Antónia" kommen einfach von Marcus Antonius. Falls ihr euch je gefragt hat, wie angehende Altertumswissenschaftler*innen die Namen ihrer fiktionalen Charaktere finden.
Übrigens hab ich ein Blatt gefunden, auf dem ich vor einer kleinen Ewigkeit Details über unser Lissabon hier aufgeschrieben habe: Ramon wohnt zu mind. 1'000€ Miete auf gut 50m² in Misericórdia, das ist so teuer, weil die Wohnung in einer beliebten Gegend in der Innenstadt liegt. Zum ISCTE, also zur Arbeit, dauert es laut Google mit dem Auto ca. 20 Minuten. Die Eltern wohnen in Reboleira (heute Agnas Livres & Venteira) an den Linien Azul, de Sintra und Azambuja.
Diese Angaben sagen mir so im Nachhinein kaum noch was. Ich denke, ich werde die Lage des Elternhauses verlegt haben, denn unsere Protagonisten müssten ja nicht von der blauen Linie aus weiterfahren, wenn die Eltern direkt dort wohnen würden?

Weihnachten. Dieses Kapitel, das seit Monaten "fertig" war, hochzuladen hat eigentlich nur deshalb so lange gedauert, weil ich fand, dass keine Weihnachtsstimmung rüberkam. Zwischenzeitlich dachte ich mir, dass das ja auch irgendwie sinnvoll ist, weil mehrmals gesagt wird, dass man in Gaia Weihnachten überhaupt nicht feiert und immerhin ist es Seph, der die Geschichte erzählt -- wie sollte er eine Weihnachtsstimmung erzeugen? Ich hab ein paar Weihnachtsbemerkungen zwischengeschoben und so einen Mittelweg gewählt, es ist kein wirkliches Weihnachtskapitel, aber dass Weihnachten ist, findet trotzdem Erwähnung.

Das Lied Fall On Me hat mich überhaupt motiviert, hierdran weiterzuarbeiten. Besonders die Harmonie der Stimmen in "I can feel you're theeeeEEEEEERE" hat mich sehr berührt, auch wenn ich finde, dass Andrea Bocellis Sohn, dessen Namen ich immer vergesse*, keine besondere Stimme hat -- aber vielleicht muss im Vergleich zu Andrea Bocelli jeder Duettpartner einfach abstinken?

Ich schätze, dann mal fröhliche Weihnachten? lol

* Matteo heißt er. Mein Gott, das ist doch nicht so schwer. Und wusstest ihr, dass Andrea Bocelli blind ist?!

PS Schaut auch in meine Darkfic You Come When I Call You rein, die nicht ins "Mit Liebe Gekocht"-AU reingehört: https://www.animexx.de/fanfiction/autor/534019/389349/
Cloud kommt frisch als Rekrut zu SOLDAT und Sephiroth nimmt sich seiner aus mysteriösen Motiven an ... Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück