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Im Sternenwald

von

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Wie man in den Wald hinein ruft...

Der Lehnsherr besuchte ungebeten mein bescheidenes und leider auch sehr frostiges Heim, in dem ich auf wenigen Metern alles zu stapeln versuchte, was ich als Näherin benötigte. Keine edlen Stoffe waren es, die ich bearbeitete, sondern nur einfache braune und grüne Bahnen aus Leinen, für Kleider gedacht, die Bauern und Bürger an ihren Leibern trugen. Diese fast schon wertlosen Materialien lagen fein säuberlich gestapelt in tiefen Holzregalen an den Wänden, für die all die anderen Möbel weichen mussten. Mein Gast lehnte sich an meine einzige etwas wurmstichige Kommode. Seinen piekfeinen Wintermantel wollte der feine Herr aber offenbar nicht auf ihr ablegen, denn diesen hing er auf ein Holzmodell mit einem Schnittmuster eines Kleides darauf, das noch in Arbeit war.

„Fräulein Hanna, atemberaubend schön wie eh und je und strahlender als der klare Nachthimmel. Möchten Sie mich nicht etwas herzlicher empfangen?“,

heuchelte er süffisant zu mir hinauf blickend. Unbeeindruckt blieb ich auf meinem Bett sitzen, das auch mein Arbeitsbereich und gleichzeitig mein Dachboden war. Kurz löste ich meinen Fokus von dem Kleid, das ich nähte, um dem edlen Mann einen eiskalten Blick zuzuwerfen. Ich wollte ihn damit für seine Tollkühnheit bestrafen, mich zu besuchen, doch das amüsierte ihn nur noch mehr. Er lächelte sogar direkt noch breiter, hinein in seinen ulkigen Spitzbart, als er begann die Sprossen der wackeligen Leiter zu erklimmen.

„Ich bin mal so frei, denn Ihr Blick sieht mir ganz nach einer Einladung aus, das Bett mit mir teilen zu wo-…„

Für diese Frechheit setzte ich ihm meinen Fuß an seine Stirn, zwischen seine grünen Augen und begann nun Druck darauf zu geben, bis die Leiter unter ihm ganz leicht ins Wanken kam. Solange ich meine Lehnsabgaben pünktlich zahlte, hatte dieser Drosselbart doch nichts in meinem Haus zu suchen. Kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, durchschoss mich der Blitz der Erkenntnis, denn ich hatte fast vergessen, dass ich im Rückstand war. Einsichtig blieb mir nichts, als den Fuß von ihm zu nehmen. Ich betrachtete das Gesicht darunter, das vorwurfsvolle Züge angenommen hatte. Er rümpfte seine Nase unzufrieden zerknirscht, als ich mein Tagwerk bei Seite legte, extra nur für ihn, was schon etwas heißen mochte. Leider war ich trotzdem noch zu eitel, meinen Fehler einzugestehen und so fragte ich, als wüsste ich von nichts:

„Womit kann ich dienen, Herr Baron?“

Eine weitere Sprosse nach oben gestiegen, kam er nun zu mir auf Augenhöhe, was gewiss nicht heißen sollte, dass er auf einer Höhe mit mir war. Viel zu drollig war es anzusehen, wie er sich unzufrieden den Schnurrbart zurück in seine alte Form verzwirbelte, denn er tat das so kunstvoll elegant, dass ihm dieser Handgriff in Fleisch und Blut übergegangen sein musste.

„Das Geschäft läuft nicht gut, wie ich sehe. Vielleicht sollten Sie Ihren Umgang mit potentiellen Kunden überdenken“,

begann er nun von Neuem und ließ dann seinen Blick nach links und nach rechts über meine randvollen Regale schweifen.

„Sie und ich, wir beide wissen wie schlecht es um Sie steht, Fräulein Hanna. Seien wir ehrlich, Sie sind nur eine einfache Schneiderin und haben zudem nicht einmal Verkaufsgeschick. Sie wissen wie es um mein Herz bestellt ist. Nun seien Sie doch einsichtig und geben Sie mir die Gelegenheit Sie aus Ihrem Dilemma zu befreien. Nur ein Wort trennt Sie davon.“

Sein weicher Gesichtsausdruck änderte nichts an meiner Einstellung zu ihm. Er war ein Tor zu glauben ich würde meine Meinung so einfach revidieren. Um ihm aufs Glatteis zu führen, entgegnete ich mit meinem weichstem Lächeln:

„Hm… lasst mich nachdenken. Ein Mann, der mein Vater sein könnte, nein kein Interesse. Da muss ich Euer Hochwohlgeboren leider enttäuschen.“

Sichtbar getroffen verzog er das Gesicht und legte es in Falten, kein kluger Zug von ihm, denn so wirkte er gleich noch älter, als er ohnehin schon war. Ich nahm das Nähzeug zurück in die Hand und fragte, gespielt auf die Nadel konzentriert:

„War es das, edler Herr?“

„Machen Sie es uns beiden doch nicht so schwer und sagen Sie endlich ‚ja‘. Was nützt Ihnen Ihr Hochmut, wenn Sie am Ende so arm sind, dass Sie mit den Ratten speisen dürfen? Weit entfernt sind Sie davon nicht“,

war sein väterlicher Rat an mich, bevor er die wackelige Leiter vorsichtig wieder herabstieg. Ich musste lügen, wenn ich behaupten wollte, dass ich ihn nicht mochte, denn neben seinen unverschämten Gelüsten, die er immer wieder durchblicken ließ, sorgte er sich aufrichtig um mich. Ein anderer hätte bei einer Frau wie mir, die sich nicht unterordnen wollte, längst die Geduld verloren und meine beschauliche Nähstube kurz und klein geschlagen oder er wäre übergriffig geworden. Er war anders als der dumme Rest, hielt die Ehre eines Edelmannes hoch und das verdiente meinen Respekt und auch mein Vertrauen.

„Ich gebe Ihnen noch zwei Wochen, Fräulein Hanna. Dann erwarte ich Ihre Zusage oder die Abgaben in doppelter Höhe wegen des ständigen Verzugs. Andernfalls werfe ich Sie hinaus“,

war seine Drohung, kurz bevor er bedächtig die Tür meines Häuschens hinter sich ins Schloss zog. Da hatte ich seinen Edelmut wohl überschätzt. Es konnte schwer werden den Betrag zu beschaffen, denn, wie jedes Jahr zur Winterszeit, verkaufte ich nicht viel von meinen Kleidern.

Ich blickte aus dem Dachfenster neben meinem Bett zu ihm hinaus, sah wie er durch den matschigen Schnee zu seinem Pferd ging und aufstieg. Merkwürdige Gefühle trieben mich dazu das Fenster zu öffnen und ihm etwas hinterherzurufen.

„Ich werde niemals eine normale Frau sein!“

Meine Stimme schallte in die klirrende Kälte des Tages hinaus, doch er sah nicht zu mir hoch, sondern hob nur die Hand zum Abschied, als machte es ihm gar nichts aus und dann ritt er davon.

Mein Nähzeug legte ich erneut bei Seite, denn ich war zu aufgewühlt, als dass ich mich auf eine so filigrane Arbeit konzentrieren konnte. Viele Männer hatten mir schon den Hof gemacht und jeder bildete sich ein mich bändigen zu können, auf dass ich meine zarte Seite zeigte und sich ein Feuer für ihn entfachte. Keiner hatte je Erfolg, bis jetzt.

Ich wartete bis zur Dämmerung und zog meinen grauen Mantel an, dessen Kapuze mein weißblondes auffälliges Haar verdeckte. Danach ging ich über das kleine, plätschernde und halb zugefrorene Bächlein hinüber zum Waldesrand, denn dorthin zog ich mich immer dann zurück, wenn mich die Selbstzweifel überkamen.

Ich wartete bis die Sonne hinter den weißen Feldern und den schmutzigen Straßen Immslangs verschwand und legte mich dann nach hinten in den weichen, feuchten Schnee, der auf dem bemoosten Waldrand des Immser Waldes liegen geblieben war. Ein kühler Wind strich durch die blattleeren Äste der Bäume. Nur ein Augenblick dieser Seligkeit unter den Tiefen des dunkelblauen klaren Nachthimmels und meine Sinne entspannten sich.

Mein Lehnsherr, der Baron, war natürlich die beste Partie, die sich mir bisher bot. Er war nicht ganz unansehnlich und seinen lustigen Schnurr- und Kinnbart würde er für mich schon abrasieren, wenn ich es verlangte. Wichtiger war jedoch, dass er mich genau kannte und so würde er mir wahrscheinlich viel mehr Freiheiten einräumen, als jeder andere Mann. Leider gab es trotzdem zwei Dinge, die mich ganz gewaltig störten. Ich war erst Zwanzig geworden, während er schon an die Vierziger heran ragte, ja er hatte sogar schon ein paar graue Haarsträhnen. Zwar standen ihm diese in seiner blonden Löwenmähne gut zu Gesicht, doch ich musste auch an meine Zukunft denken. Mein größeres Problem war jedoch ein ganz anderes, nämlich der Verlust meiner völligen Freiheit zu tun was ich wollte. Dabei war ich so glücklich sie als Frau besitzen zu dürfen, auch wenn mich die Gesellschaft dafür ächtete. Das Gefühl mich von meinem Lehnsherrn noch anhängiger zu machen, als ich es ohnehin schon war, erschien mir infolge als wahrer Alptraum.
 

Ich schreckte aus meinen Gedanken plötzlich hoch, denn da war sie wieder! Jemand summte eine getragene Melodie, die bis zu meinen Träumereien von Freiheit und Unabhängigkeit hindurch drang. Ich setzte mich auf und sah mich um, bis ich die unscharfen Umrisse einer zarten Gestalt erblickte, die am Waldrand stand und vor sich hinsummte. Oft schon hatte ich dieses Lied vernommen, wenn ich mich hier aufhielt, doch seine Quelle niemals ausmachen können. In geweckter Neugier erhob ich mich sachte, damit diese zierliche Person keinen Schrecken bekam. Wer war es, der mich so spät besuchte, um mich mit seinen Liedern zu beschenken, die meine trübsinnigen Träumereien unterstrichen? Vorsichtig setze ich einen Fuß nach dem anderen in den nassen Schnee, der furchtbar laut knirschte, als ich darin versank. Leider klebten mir meine nassgesogenen Kleider am Körper, doch die Neugier ließ mich vergessen wie kühl es mir deshalb war. Plötzlich machte die Gestalt eine erschrockene Bewegung und unterbrach in Folge auch ihr Gesumme. Sie war drauf und dran zu Flüchten, was mich zum Handeln zwang.

„Bitte, geht nicht fort!“

Ich hauchte die Worte sanft in meinen hohen Kragen und hatte Glück, denn sie verharrte. Behutsam näherte ich mich weiter und wurde belohnt durch eine bessere Sicht auf die Person. Es war ein zierlicher Jüngling, in leichten Stoffen bekleidet, die seinen Körper im kühlen Wind umspielten, ebenso wie sein langes, dunkles Haar. Einen Fluchtabstand zu ihm behielt ich, blieb stehen und sank dabei tief in den feuchten Schnee hinein.

„Wer seid Ihr?“, hauchte ich ehrfürchtig.

Seine nachtblauen Augen schimmerten, in denen sich die Sterne spiegelten und er begann zu lächeln.

„Du kennst mich schon, denn ich bin immer hier, sehe aus der Ferne zu dir und wenn du mich besuchst, ist ein Lied dein Lohn.“

Ich spürte wie sich mein Gesicht entspannte, als ich seinem lieblichen Stimmchen lauschte. Die Welt um mich verschwamm in einem süßlichen Traum aus seinem federleichten Reim. Schon sein zartes Antlitz zu betrachten, ja seine bloße Anwesenheit zu spüren berührte meine Seele. Sie kam nun gänzlich zur Ruhe und ich vergaß all den Kummer, all das Leid, das ich in mir trug.

„Ich bin Hanna“

„Wie könnte ich das nicht wissen, wo ich doch sehen und hören kann, was in deinem Heim vor sich geht, so nah wie es dem Walde steht.“

Vertrauensselig machte ich einen weiteren Schritt auf ihn zu und nun kam er mir, zu meinem Glück, sogar entgegen. Er nahm ganz zart meine Hand und kniete sich vor mich hin wie ein Rittersmann, sodass mein Herz begann zu beben. Was war das nur, das mich durchfuhr? Und schlimmer noch, was machte er mit meinem Geist, der von seinen Worten angesteckt, begann zu reimen. Ich war doch nie eine Freundin solch unnötiger Sprachverschönerung und kämpfte nun dagegen an.

Der zarte Mann sah zu mir hinauf und sprach mit verstellter Stimme, die lauter war, ja spöttisch sogar:

„Sie müssen sich für mich entscheiden, denn kein bess‘rer wird Sie fragen. Ihnen wird nichts and‘res bleiben, denn sonst geht's Ihnen an den Kragen.“

Seine Verse klagen trefflich nach einer Zusammenfassung aller Dinge, welche mir die Männer schworen und drohten. Nur eine Handbreit vor mir erhob er sich, sah mich mit seinen schimmernden Augen an und verzauberte mein Herz noch weiteres mal, weil einmal nicht reichte. Meine Hand behielt er in der seinen und seine Stimme wurde wieder zart, fast zärtlich.

„Du hast genug von deinem Leben. Du weißt was du willst, also nimm es dir sodann! Lass es mich dir geben!“

Eine kleine Beugung nach vorn und ich spürte seine samtigen Lippen auf den meinen, nur für einen Augenblick. Dann war er verschwunden, stand nicht mehr vor mir, sondern im Wald und rief mir fröhlich zu:

„Nenn mich Lysander, holde Maid!“

Er hielt mir die ausgestreckte Hand entgegen und ich folgte ihr in Richtung Leben, nein Freiheit lautete mein erster Gedanke. Was war es nur, das sich mir da bemächtigte? Ich stieg über kahle Büsche hinweg, direkt hin zu ihm und ergriff seine warme Hand, die sich mir fast direkt wieder entzog, denn er rannte los, ganz ohne Not. Wie von Sinnen musste ich ihm immer Tiefer in die Schwärze des nächtlichen Waldes folgen. Felsen, Lichtungen, Gestrüpp und wieder von vorn, zogen an mir vorbei wie Vögel, die mich in vollem Sinkflug mit ihren Flügeln streiften. Schon lange hatte ich die Orientierung verloren, doch bange wurde mir nicht, denn er drehte sich im vollen Lauf zu mir und strahlte wie die das hellste Licht, die Sonne selbst, in all der Finsternis.

Irgendwann, als seien es Stunden, stoppte er in seinem Lauf und fing mich, ohne Müh mit seinem zarten Körper auf. Er hielt mich fest, denn meine Sinne waren noch im Taumel und begannen schon wieder zu reimen. Ich nahm mich zusammen und sah mich um. Da war ein Haus, ganz aus Holz gebaut, auf einer Lichtung ohne Schnee. Der Mond schien auf das grüne Dach hinab und ich sah zum Himmel empor, der mich pachtvoller empfing als jemals zuvor. Ich war im Sternenwald.

Ich sah zu meinen zauberhaften Freund, der stolz sein Hab und Gut betrachtete und hauchte ihm zu:

„Ihr seid kein Jäger, Lysander. Was tut Ihr in diesem Wald?“

„Bald schon wirst du es erfahren, doch nicht mehr heute, schöne Frau. Dunkle Gestalten folgten uns auf unseren Wegen und lauschen uns auch jetzt. Ich werde dir die Antwort geben, doch warte auf den morgendlichen Tau.“

Vor dem Holzhaus stand sein Garten in sattem Grün und voller Blüte, wo auch Früchte wuchsen in Hülle und Fülle. Wie konnte das im Winter sein? Ich hatte schon von Magie gehört, doch sie nie zuvor mit eigenen Augen gesehen.



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