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Schwarz-Weiße Weihnacht

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
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1.Dezember

Schon als er den Laden betrat, blendete ihn die unglaubliche Flut an bunten Lichtern. Er hätte es ahnen, hätte es wissen müssen. Er, das Orakel, einer der wenigen Auserwählten, die die Zukunft sahen, bevor sie passierte. Ausgerechnet er war von dieser alljährlich wiederkehrenden Katastrophe überrascht worden, die sich Weihnachtszeit nannte. Und jetzt blinkte sie ihm in grün und rot (und pink und blau und einem Dutzend Farben mehr, die zwar nichts mit Weihnachten zu tun hatten, aber der japanischen Eingenart, alles zu übertreiben, was mit elektronischen Spielereien zusammenhing, Rechenschaft trug) entgegen. Aus den Lautsprechern fallallallallate ihm englische Weihnachtsmusik um die Ohren. Oh großartig! Das hier würde länger dauern, als erwartet.

 

Die Schlange vor ihm bewegte sich und ein weiterer zufriedener Kunde nahm seine heiße Fracht in Empfang. Im nächsten Augenblick sah Brad Crawford sich einer von einem Ohr zum anderen lächelnden Angestellten des Coffeshops gegenüber, auf deren Kopf ein neckisches, rot-weißes Weihnachtsmützchen saß und deren restlicher Körper in einem passenden Kostüm steckte, das wohlwollend als kurz, wahrheitsgemäß aber als knapp zu bezeichnen war. Ihr Lächeln wuchs – obwohl das eigentlich unmöglich war – noch in die Breite und schon schallte ein:

„Herzlich willkommen und einen wunderschönen Guten Tag!“, über den Ladentisch. Er kam kaum dazu, die Frau ebenfalls zu begrüßen, als sie bereits weitersprach. „Bitte sehen Sie sich um! Möchten Sie heute etwas Besonderes kaufen? Wir haben viele, neue Angebote! Extra zur Weihnachtszeit!“

„Ich möchte...“begann er, wurde aber schon wieder unterbrochen.

„Wir führen jetzt die speziellen Spezial-Angebote, die Sie nur zu dieser magischen Jahreszeit erwerben können. Wir haben ganz neu Toffee-Zimt-Latte oder Lebkuchen-Karamel-Chai. Außerdem noch Honig-Nuss- und-Mandelkern-Schokolade, Cranberry White Mocca, Praliné-Haselnuss-Frappuccino...“

„Kaffee!“, beeilte er sich, den Strom von Informationen zu bremsen.

„Gerne!“, strahlte die Weihnachtsfrau ihn an. „Blonde, medium oder Christmas Roast? Kenianische, kolumbianische, äthiopianische oder peruanische Bohnen? Ingwer-Lemon spiced oder lieber cinnamon-bayberry? Full blended, haf-blended oder entkoffiniert?“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Mit Koffein bitte und s...“

 

Schwarz hatte er sagen wollen. Aber dazu kam er nicht mehr, denn jetzt drehte die Verkäuferin erst richtig auf.

„Mit Vollmilch? Low-fat? No fat? Laktosefrei? Oder lieber Sojamilch? Hafer? Mandel? Ziege? Esel? Stute?“

„Keine Milch!“, warf er verzweifelt ein. Die Ader an seiner Stirn hatte bereits begonnen zu pochen. Ein Zeichen, das sogar Schuldig ernst nahm, denn das kam äußerst selten vor. Aber wenn es passierte, dann war es Zeit, sich zu verkrümeln und zwar in den hintersten Winkel, der sich finden ließ. Dummerweise war die Weihnachtsfrau gegen Zeichen dieser Art vollkommen immun.

„Möchten Sie vielleicht einen unsere beliebten Sirups probieren? Macadamia? Zimt? Weiße Schokolade? Lebkuchen? Strawberry cheesecake? Trüffel-Karamel? Hasel...“

 

Die „...nuss“ blieb ihr wortwörtlich im Halse stecken, als Crawfords Hand vorschnellte, sie am Oberteil ihres Kostüms packte und sie so weit über den Tresen zog, dass ihre Nasenspitzen sich fast berührten.

„Jetzt hören Sie mir mal zu“, knurrte er und sah in die ängstlich aufgerissenen Augen der Verkäuferin. „Ich verrate Ihnen jetzt mal ein Geheimnis. Ich kann die Zukunft voraussehen. Und wissen Sie, was ich in Ihrer Zukunft sehe?“

Die Verkäuferin schüttelte schwach den Kopf.

„Ich sehe Sie mit einem ziemlich großen und blutigen Loch in Ihrer Stirn, verursacht von meiner Walther PPK, wenn Sie nicht sofort und ohne weitere Verzögerung einen einfachen, schwarzen Kaffee hier über die Theke schieben. Haben wir uns da verstanden?“

Die Verkäuferin, deren Weihnachtsmütze inzwischen irgendwo auf dem Boden lag, nickte kaum sichtbar. Sie öffnete den Mund und es kam die Frage, die er vorausgesehen hatte:

„Tall, grande oder...“

 

BÄNG!

 

Der Klang der Pistole erschütterte die Fensterscheiben des Coffeeshops und ließ die anderen wartenden Kunden mit schreckerfüllten Gesichtern und panischen Schreien aus dem Laden fliehen. Während hinter ihm die Hölle losbrach, stützte sich Crawford schwer atmend auf den Tresen, in der Hand noch die so eben benutzte Waffe. Blut lief seinem Gegenüber über das Gesicht, das sich plötzlich veränderte. Ihre Haare wurden blond, die Züge länger, die Augen größer und runder. Die bunte Weihnachtsbeleuchtung zauberte ein eigenartiges Farbspiel auf ihre blasse Haut. Er schluckte und fühlte Übelkeit in sich aufsteigen.

Die tote Kassiererin öffnete den Mund und fragte: „Geht es Ihnen nicht gut?“

 

Crawford blinzelte ein paar Mal und die Realität rückte wieder an ihren Platz. Die dunkelhaarige Angestellte des Coffeshops sah ihn mit besorgtem Gesicht an. „Wenn Sie möchten, haben wir auch Tee...“

Er ersparte sich und ihr eine Antwort, drehte sich auf dem Absatz herum und flüchtete aus dem immer noch gut besetzten Laden. Sonst, so fürchtete er, würde seine Vision doch noch zur Wahrheit werden.

 

Draußen lehnte Schuldig grinsend am Schlag des Wagens. Er hatte den Tumult offensichtlich auf telepathischem Weg mitverfolgt.

„Du bist einfach nicht du selbst, wenn du morgens keinen Kaffee hattest.“

Crawford zog die Augenbrauen zusammen. „Und wessen Schuld ist das?“

Schuldig zuckte mit den Achseln. „Meine jedenfalls nicht. Ich habe Nagi nicht gesagt, dass er den Kaffeeautomaten nach mir werfen soll. Das war seine höchst eigene Idee. Der Junge wird besser. Allerdings zielt er zum Glück immer noch sehr schlecht.“

Crawford presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Steig ein“, wies er seinen Kollegen und setzte sich selbst hinter das Steuer.

Immer noch breit grinsend glitt Schuldig auf den Beifahrersitz. „Und wo soll es jetzt hingehen, oh großer Anführer? Ich habe gehört, Starbucks hat noch ein paar Filialen in Tokio. Möchtest du, dass ich in den Köpfen der Passanten nach der Adresse suche?“

„Nein“, gab Crawford knapp zurück. Wir fahren jetzt zu McDonald's und dieses Mal holst du den Kaffee.“

Schuldig lag noch eine weitere, spitze Bemerkung auf der Zunge, aber er schluckte sie lieber hinunter. Er hatte gesehen, dass die Ader auf Crawfords Stirn schon wieder begonnen hatte, bedrohlich zu pochen. Und dann, so wusste er genau, war es besser, wenn man sich ganz still verhielt. Mucksmäuschenweihnachtsengelstill.

2.Dezember

Mit gerunzelter Stirn sah Omi aus dem Fenster. Dort draußen fielen bereits seit Stunden weiße Flocken vom Himmel. Gestern war ihm diese Tatsache noch als ein gutes Zeichen vorgekommen. Sie hatten ihren Auftrag in dem Ski-Resort ohne Komplikationen hinter sich gebracht. Jemand hatte junge Frauen entführt und in lebendige Eisskulpturen verwandelt. Sie hatten den Täter gestellt und ihn seinem verdienten Schicksal zugeführt. Die Leiche hatten sie ihm Wald gelassen, wo sie der beginnende Schneefall langsam zugedeckt hatte. Unkompliziert und effektiv. Doch jetzt erschien ihm das weiße Geriesel nicht mehr unbedingt ein Segen zu sein. An den Seiten der Zugstrecke türmten sich bereits große Schneewehen auf und der zunehmende Wind ließ ihn nichts Gutes vorausahnen. Er ließ sich in seinen Sitz auf seinen orangen Anorak sinken und betrachtete seine Teamkameraden.

 

Aya saß immer noch in seinen weißen Schal und den eleganten, dunkelblauen Wintermantel gehüllt ganz am Gang und hatte die Nase in einem Buch vergraben. Es war offensichtlich, dass er sich nicht unterhalten wollte. Neben Aya durchwühlte Ken gerade seine Tasche nach etwas Essbarem. Um den Hals hing seine Skibrille, von der er sich in den letzten Tagen praktisch nie getrennt hatte. Eine Erinnerung daran, wie er sich eins ums andere Mal todesmutig mit seinem Snowboard die steilen Pisten hinunter gestürzt hatte. Omi war sich sicher, dass der Athlet den Aufenthalt in dem exklusiven Skigebiet am meisten genossen hatte.

Sein Blick wanderte weiter zu Yoji. Der Playboy hatte sich wohlweislich von allen sportlichen Aktivitäten ferngehalten, wenn es nicht gerade darum ging, mit seinen Skiern in der Hand die ebenfalls exklusive Damenwelt mit seiner Aufmerksamkeit zu bedenken. Omi wusste nicht, wie er es fertiggebracht hatte, aber er hatte dabei immerhin ausgesehen, als könne er Ski fahren. Omi hingegen hatte mehr als wackelig auf den langen Brettern gestanden und das Ganze schließlich sein lassen. Dafür war er der ungekrönte Sieger in jeder Schneeballschlacht gewesen.

Jetzt hingegen wirkte der große Blonde neben ihm so gar nicht mehr wie der Herr der Lage. Er rutschte unruhig in seinem Sitz hin und her, als habe er Mühe, seine langen Beine unterzubringen, und seine Hände spielten nervös mit dem Feuerzeug in seinen Händen. Omi sah kurz zu dem Schild hinauf, das über der Schiebetür des Zugabteils prangte. Nichtraucher. Es war eine Entscheidung von drei gegen einen gewesen. Omi war sich allerdings auch dabei nicht mehr sicher, ob das wirklich eine gute Idee gewesen war.

 

Wieder bewegte Yoji sich und stieß dabei den ihm gegenüber sitzenden Aya an. Der ließ sein Buch sinken und bedachte Yoji mit einem eisigen Blick.

„Yoji!“ Allein in dem einen Wort lag mehr Frost als auf dem gesamten Zugdach.

„Was?“, schnappte der Angesprochene zurück. Der Nikotinmangel schien seine Überlebensinstinkte auf die Beschaffung des notwendigen Suchtstoffs beschränkt zu haben. Für andere mögliche Gefahren, wie beispielsweise den Tod durch die Klinge eines Katanas, war in seiner Wahrnehmung kein Platz mehr.

„Sitz still“, präzisierte Aya seine Aussage. Er blickte vielsagend auf Yojis auf und ab wackelndes Knie.

„Ich kann nicht!“, jammerte der. „Ich drehe durch, wenn ich nicht gleich eine Zigarette bekomme. Das ist alles eure Schuld.“ Sein verzweifelter Gesichtsausdruck brachte Omi fast dazu, Mitleid mit ihm zu haben. Allerdings nur fast.

„Aber Yoji“, versuchte er die Wogen zu glätten. Ein ruhiger Tonfall war bei Verrückten und kleinen Kindern durchaus angebracht. Und Yoji war in diesem Zustand eine Mischung aus beidem. „Wir hätten unmöglich mit dem Auto fahren können. Du siehst doch, was da draußen für Wetter ist.“

 

Er wollte gerade zum Fenster zeigen, als plötzlich ein Ruck durch den Zug ging. Omi wurde aus seinem Sitz geschleudert und landete auf Ken, der gerade in ein Sandwich hatte beißen wollen. Omi und Eiersalat ergossen sich auf Kens Schoß, der seinen Unmut sofort laut Luft macht.

„Pass doch auf, Omi. Sieh mal, wie ich aussehe.“

„Entschuldige Ken“, murmelte Omi und spürte, wie er rot wurde. Er rappelte sich auf und fischte ein Stückchen Ei von seinem Pullover. Mit einem entschuldigenden Blick reichte er Ken eine Packung Taschentücher.

„Was war das überhaupt?“, meckerte Ken weiter, während er versuchte, die Bescherung zu beseitigen. „Ich glaube, der Zug hat angehalten? Eine Notbremsung?“

 

In diesem Moment erwachten die Lautsprecher über ihren Köpfen zu knisterndem Leben.

„Sehr verehrte Damen und Herren. Wir möchten hiermit unser größtes Bedauern für die entstandenen Unannehmlichkeiten ausdrücken. Die anhaltenden Schneefälle haben zu Behinderungen auf unserer Fahrtstrecke geführt. Räumarbeiten sind bereits veranlasst. Wir bitten Sie daher noch um ein wenig Geduld. Der Zug wird in Kürze weiterfahren.“

 

„Was?“ Yoji war aufgesprungen und blickte wie ein waidwundes Reh zu dem Lautsprecher hoch. „Das könnt ihr nicht machen! Ich muss hier raus!“

Er machte Anstalten, die Abteiltür zu öffnen, aber Aya hob seinen Fuß und stellte ihn auf die gegenüberliegende Sitzbank, sodass sein Bein Yoji den Weg versperrte.

„Setz dich wieder hin.“ Die Worte duldeten eigentlich keinen Widerspruch. Aber Yoji war gerade nicht in einem Zustand geistiger Gesundheit, die ihm ein rationelles Urteil seiner Lage erlaubt hätten.

„Aya, ich muss jetzt sofort eine rauchen. Bitte!“ Das Wimmern in seiner Stimme hätte kleinen wuscheligen Häschen und putzigen Eichhörnchen die Tränen in die Augen getrieben. Vielleicht sogar einem finsteren Yakuza-Boss. Aya hingegen blieb ungerührt.

„Du kannst den Zug nicht verlassen“, erklärte er ruhig. „Wir wissen nicht, wann es weiter geht. Am Ende fährt der Zug ohne dich weiter. Es reicht mir schon, dass ich dich alle zwei Wochen aus irgendeiner von Tokios Bars abholen muss. Ich werde bestimmt nicht den Porsche aus der Garage holen und durch das Schneetreiben da draußen fahren, um deinen frierenden Hintern irgendwo aus dem Nirgendwo zu fischen. Also setzt dich wieder hin.“

 

Dieses Mal schien die Botschaft angekommen zu sein. Yoji pflanzte sich wieder auf den Sitz und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann müsst ihr mich aber ablenken. Sonst gibt es hier Tote!“

Aya hob nur eine Augenbraue und vertiefte sich wieder in sein Buch, aber Ken und Omi sahen sich vielsagend an. Vermutlich war es wirklich besser, wenn sie ihr ältestes Teammitglied mit etwas beschäftigten. Wer wusste schon, zu was der Nikotinmangel Yoji sonst noch trieb. Ken öffnete als Erster den Mund.

„Lasst uns doch Scharade spielen“, schlug er vor, aber Omi schüttelte den Kopf.

„Dazu ist es hier zu eng. Wie wäre es mit Ich sehe was, was du nicht siehst?“

Yojis Augenbrauen wanderten bis zu seinem gepflegten Haaransatz. „Dann ist das erste, was du hier nicht mehr siehst, mein durchaus perfektes Gesicht.“

„Wir könnten was sing...“ Ken schluckte, als Ayas Blick ihn über den Rand des Buchs hinweg traf. „Ok, vielleicht lieber nicht. Was haltet ihr von Ich packe meinen Koffer? Das spiele ich mit den Kindern immer im Bus, wenn wir zu einem Auswärtsspiel müssen.“

Yoji rollte mit den Augen. „Als Nächstes schlagt ihr noch Wortkette und Teekesselchen vor. Kommt schon, Leute, ich brauche was, wo ich nicht so viel nachdenken muss. Davon bekomme ich Falten.“

 

„Die kriegt man vom Rauchen auch“, murmelte Omi wohlgemerkt so leise, dass Yoji ihn nicht hören konnte. Sein Blick fiel auf die beschlagene Fensterscheibe.

„Wie wäre es mit Montagsmaler? Da hat Yoji was zu tun und wir was zu lachen.“

„Soll das heißen, ich kann nicht malen?“, wollte der aufgebracht wissen. „Du hast ja keine Ahnung. Ich habe sogar mal ein Semester Kunst studiert.“

„Im Ernst?“ Ken machte große Augen.

„Na klar. Weißt du, wie viele hübsche Kunststudentinnen es gibt? Du erzählst ein bisschen was von Monet und Van Gogh und sie schmelzen dir in die Arme. Es war ein sehr unterhaltsames Studium.“

Yojis Gesichtsausdruck wurde für einen Augenblick schwärmerisch. Dann klatschte er in die Hände und drängelte sich zum Fenster durch. „Also gut, ihr Anfänger. Dann seht einmal dem Profi zu. Ich mache es auch einfach für euch.“

 

Er hob in einer gewichtigen Geste den Zeigefinger und fing an, zwei nebeneinander liegende Kugeln zu malen. Darunter setzte er eine lange, nach unten weisende Spitze. Zufrieden mit seinem Werk drehte er sich um.

„Na, was ist das?“

Ken legte die Stirn in Falten. „Ähm, ein Pinguin?“

„Falsch!“

„Ein Auto?“

„Wieder falsch?“

„Hund, Katze, Maus?“

Yoji warf in gespielter oder echter Verzweiflung die Arme in die Luft. „Du bist ein hoffnungsloser Fall, Ken. Omi, was siehst du da drin?“

Omi besah sich das Gebilde und spürte, wie ihm warm wurde. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nur ein heiseres Krächzen aus seinem Hals. Seine Wangen hatten angefangen zu brennen.

„Omi? Alles in Ordnung?“ Ken sah ernsthaft besorgt aus. Yoji sah von Omi zu seinem Kunstwerk, dann nochmal zu Omi und wieder zur Fensterscheibe. Schließlich schnaubte er entrüstet.

„Das ist eine Eistüte, du kleiner Perversling. Also wirklich. Ich sollte mir mal deinen Internet-Verlauf ansehen. Mal sehen, was sich da für Abgründe auftun.“

Ken musterte das Werk, das inzwischen schon leicht verlaufen war, noch einmal genauer. Jetzt zierte auch seine Nase ein kleiner Rotschimmer.

„Wer malt bitte eine Eistüte mit zwei Kugeln. Ein normaler Mensch würde drei nehmen.“

„Du vielleicht“, gab Yoji spitz zurück. „Einige von uns achten aber auf ihre schlanke Linie und futtern nicht alles in sich hinein, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Sei bloß froh, dass momentan Winter ist. Vor der Bikini-Saison ist definitiv eine Diät angesagt.“

„Ich musste in letzter Zeit so viel Training ausfallen lassen“, antwortete Ken beleidigt und musterte unauffällig seinen Bauch, auf dem noch die Spuren des Eiersalats klebten. „Außerdem bin ich jetzt dran. Ich war immerhin näher dran als Omi.“

Er stand auf und ging zum Fenster. Als Erstes malte er zwei Kreise.

 

„Brüste!“, rief Yoji, bevor Ken weitermalen konnte.

„Ich war doch noch gar nicht fertig!“, begehrte Ken auf, aber Yoji winkte nur ab.

„Ich habe gewonnen. Jetzt ist Omi dran.“

Omi erhob sich, tauschte mit Ken den Platz und betrachtete die Fensterscheibe. Was sollte er nur malen? Plötzlich hatte er eine Idee. Er zeichnete ein flach liegendes Oval und daneben noch eines.

„Brüste!“, rief Yoji wieder.

Omi drehte sich um. „So ein Blödsinn. Keine Frau der Welt hat solche Brüste.“

Yojis Grinsen wurde breiter. „Und das weißt du woher?“

„Ich..ich..ich...“, stotterte Omi und merkte, wie er bereits zum dritten Mal rot wurde. Das hier war definitiv nicht sein Spiel. Schnell setzte er sich wieder und vergrub den Kopf in den Händen.

 

„Dann wäre ich jetzt wohl dran“, erklang da plötzlich Ayas tiefe Stimme. Omis Kopf ruckte nach oben. Ein schneller Seitenblick verriet ihm, das Ken ebenso überrascht dreinsah, wie er sich fühlte. Yoji hingegen lehnte sich siegessicher zurück.

„Dann zeig mal, was du kannst, Aya. Ich denke, ich werde auch dein Rätsel lösen.“

 

Aya antwortete nicht. Stattdessen ging er zum Fenster und malte mit schnellen Bewegungen zwei aneinander liegende Halbkreise, die von einem kleinen Punkt gekrönt wurden. In die Einbuchtung zwischen den beiden Hügeln setzte er noch einen Punkt. Er dreht sich um und sah Yoji herausfordern an.

Der Blonde betrachtete das Bild, dann Aya, dann wieder das Bild. Er legte den Kopf schief und die Stirn in Falten. Schließlich sagte er:

„Das ist überhaupt nichts. Du hast gemogelt, Aya.“

Ayas Gesichtsausdruck zeigte eine Regung, die Omi noch nie bei ihm gesehen hatte. Sein linker Mundwinkel hob sich um mehrere Millimeter und Omi war sich sicher: Dies war die Aya-Variante eines süffisanten Lächelns.

„Ich hatte gedacht, dass gerade du das erkennen solltest, Yoji“, sagte Aya, stieg über die langen Beine des Nikotinentzug-Opfers und ließ sich mit einer eleganten Bewegung wieder in seinen Sitz gleiten.

Yoji musterte die Zeichnung erneut. Er schüttelte den Kopf. „Nein, keinen blassen Schimmer. Also, Aya, was ist das?“

Aya hob sein Buch und steckte die Nase zwischen die Seiten. Nach einer gefühlten Ewigkeit hob er den Blick erneut und amethystfarbene Augen warfen Yoji einen spöttischen Blick zu.

„Das ist eine nackte Frau, die einen Floh betrachtet. Von oben gesehen.“

Damit vertiefte er sich wieder in seine Lektüre und war definitiv nicht mehr ansprechbar.

 

Den Rest der Zugfahrt, waren Omi und Ken damit beschäftigt, Yoji gut zuzureden, seine Hand zu halten und ihm einen kalten Waschlappen auf die Stirn zu legen. Der Zug hatte mittlerweile seinen Weg fortgesetzt, während Yoji immer wieder leise vor sich hin murmelte:

„Brüste. Aya hat tatsächlich Brüste gemalt. Jetzt kann ich in Frieden sterben.“

3.Dezember

Um ihn herum war es dunkel. Still und dunkel. Niemand war mehr da. Alle hatten ihn verlassen. Er wusste es, weil all die kleinen Geräusche fehlten, die sie sonst machten. Das Reden, das Atmen, der Herzschlag. Kein Lebenszeichen bis auf seine eigenen störte mehr die vollkommene und undurchdringliche Stille. In gewisser Weise erinnerte ihn das an die Stunden, die er frierend und mit schmerzenden Knien auf dem harten Holz der Kirchenbänke zugebracht hatte. Betend. Andacht haltend. Im stillen Zwiegespräch mit Gott. Aber Gott war nicht mehr. Hatte es ihn je gegeben? Es musste so sein. Denn jetzt war wieder die Zeit im Jahr, an dem ein Teil der Menschheit seine Fleischwerdung feierte. Die Geburt seines Sohnes. Als wäre die Ankunft des Sohnes ein willkommenes Fest. Er fragte sich, ob Maria gefeiert hatte. Oder hatte sie Angst gehabt? Angst wie seine eigene Mutter Ruth, die sich von ihrem Sohn abgewandt hatte und ihn verleugnet hatte. Ein eigenartiger Zufall, dass sie, deren Namen in der Bibel ein Sinnbild für Treue war, sich so schändlich und treulos verhalten hatte. Er hatte sie dafür bestraft und jetzt war er allein. Ganz allein.

 

Farfarello lehnte sich kurz gegen die festen Bahnen aus weißem Stoff, die seinen Körper umgaben. Sorgfältig prüfte er jede Faser, jede Falte. Nein, es gab kein Entkommen. Schuldig war sorgfältig gewesen, als er ihn gebunden hatte. Sehr sorgfältig. Er hatte ihn sogar an der Decke aufgehängt. Ein Vergnügen, das er in letzter Zeit oft bekam, da er es andernfalls schon ein paar Mal geschafft hatte, sich aus dem weißen Gefängnis zu befreien. Es war erstaunlich, was sich mit einem Teelöffel so alles bewerkstelligen ließ, wenn man es geschickt anstellte. Was der rote Teufel nicht wusste, weil Farfarello es gut vor ihm verbarg, war die Tatsache, dass er diesen Zustand fast ein wenig genoss. Das in den Kopf strömende Blut machte das Denken einfacher und ließ seinen Kopf leicht und frei werden. Frei von dem Drang zu morden. Frei von dem Drang, den inneren Druck durch Schmerz, Blut und Tod zu besänftigen.

 

Er hielt inne, um zu lauschen. Immer noch regte sich nichts in dem leeren Apartment über seinem Kopf. Oder besser gesagt zu seinen Füßen. Diese oben zu unten Perspektive sorgte immer wieder für erheiternde Momente. Noch vor wenigen Stunden war dort oben alles voll emsiger Geschäftigkeit gewesen. Die Arbeiter eines Umzugsunternehmens hatten alles zusammen gepackt, was zusammenzupacken war, um es in Schwarz' neues Hauptquartier zu bringen, ein Haus am Stadtrand. In dieses würden die anderen drei Mitglieder seines Teams am Abend zurückkehren. Sie würden ein trautes Heim vorfinden. Vielleicht würde gedimmtes Licht brennen und ein gemeinsames Abendessen sie erwarten. Eine vertraute Runde, ein heiliges Dreigespann. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

 

Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln, als ihm auffiel, dass die drei wohl auch als eine Art Abbild der Heiligen Familie durchgehen konnten. Obwohl Schuldig als Jungfrau Maria doch eine sehr...abwegige Vorstellung war. Und doch. Immer wieder waren es drei, nicht vier, die sich zusammenfanden. Vier stand für den Tod. Zumindest hier in Japan. Die Ortsansässigen mieden die Vier, wo sie nur konnten. Ja, sie schrieben sie nicht einmal an die Etagen ihrer Häuser, obwohl jedes Kind sie doch zählen konnte.

 

Schuldig war es gewesen, der ihn darauf aufmerksam gemacht hatte. Er hatte sich über Nagi lustig gemacht, der einen angebotenen Teller mit vier Lebensmitteln darauf abgelehnt hatte. Dabei kannte der Deutsche einen ähnlichen Brauch in Bezug auf die Zahl Dreizehn. Ob er wohl wusste, dass diese Furcht aus der Bibel stammte? Dass eben der Jesus, dessen Geburtstag sie jedes Jahr um diese Zeit mit Lichtern und Singen und großem Zinnober feierten, von dem letzten, dem dreizehnten, der an seine Tafel gekommen war, verraten wurde. Eine besondere Schwere bekam die Dreizehn, wenn man sie mit einem Freitag in Verbindung brachte. Dem Tag, an dem der Sohn Gottes hinabgestiegen war in das Reich der Toten. Farfarello fragte sich, ob die Engel an diesem Tag geweint hatten. Oder hatten sie geschwiegen? Geschwiegen im Angesicht der Grausamkeit, zu der die Menschheit fähig war? Den Sohn ihres höchst eigenen Gottes zu ermorden?

 

Er wusste es nicht, aber er hätte es gerne herausgefunden. Was wohl Maria gesagt hätte, wenn sie gewusst hätte, was den holden Knaben erwartete, den sie in der Nacht des 24. Dezembers in Windeln gewickelt in eine Krippe gelegt hatte? Für einen Augenblick ergötzte er sich an der Vorstellung, als Vierter in das Glück der trauten Drei zu platzen und ihnen die Wahrheit zu eröffnen. Das Leid im Gesicht der jungen Mutter zu sehen, wenn sie vom späteren Schicksal des heiligen Kindes erfuhr. Geboren um zu sterben. Der Herr gibt es und der Herr nimmt es wieder. Ein höchst befriedigender Gedanke. Ein Gedanke, der ihn wohl die Weihnachtszeit über begleiten würde.

 

Er hielt inne und lauschte wieder. Waren das Schritte, die dort zu hören waren? Schritte, die sich der Kellertür näherten, hinter der er verborgen war war. Schritte und ärgerliche Stimmen. Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und das Licht flammte auf.

Da stand sie, seine höchst eigene, heilige Familie. Gekommen, um ihr tödliches, viertes Mitglied zu holen.

„Ich kann es einfach nicht glauben“, nörgelte Nagi, während er Farfarello mit seinen Kräften von der Decke holte. „Wie konntest du nur Farfarello vergessen?“

Schuldig hob abwehrend die Hände. „Ich habe ihn nicht vergessen. Ich habe ihn nur...verlegt.“

Crawford räusperte sich vernehmlich. „Man verlegt vielleicht eine Brille oder eine Waffe, Schuldig, aber doch kein Teammitglied.“

„Na was denn?“, echauffierte sich der rothaarige Telepath. „Ist Farfarello etwas keine Waffe? Ich meine, er sagt den lieben, langen Tag nicht viel, aber wenn´s an Töten geht, ist er unser Mann. Best Waffe ever, ne?“

„Hör auf, meine Muttersprache zu verunglimpfen“, wies Crawford ihn ruhig zurecht.

„Und meine“, murrte Nagi, während er die Schnallen der Zwangsjacke löste. Er schnaubte und wischte sich die Haare aus der Stirn.

„Schuldig ist zu dieser Zeit des Jahres noch unausstehlicher als sonst,“ murmelte er so leise, dass nur Farfarello ihn hören konnte. „Dieser deutsche...Frohsinn. Und dann die Gemütlichkeit, die er überall Einzug halten lassen will. Manchmal glaube ich, er ist das Kind von uns beiden.“

Farfarello drehte sich zu dem Jungen herum und musterte ihn mit seinem einzelnen, bernsteinfarbenen Auge.

„Wusstest du, dass die heilige Jungfrau Maria immer in blau dargestellt wird?“, fragte er in beiläufigem Ton.

Nagi sah ihn an, als wäre er nicht ganz bei Trost.

„Allesamt verrückt geworden“, murrte er kopfschüttelnd, drehte sich um und verließ mit steifen Schritten den Raum. Farfarello sah der schmalen Gestalt in der blauen Schuluniform mit schief gelegtem Kopf nach und überlegte, ob er seine Aufstellung der Heiligen Familie vielleicht doch noch einmal neu überdenken sollte.

 

4.Dezember

„Omi? Hast du an die Sachen für die Spendenaktion gedacht? Die Sachen werden heute Nachtmittag abgeholt.“

Omis Kopf ruckte nach oben. Irgendwo am Rande seiner Wahrnehmung registrierte er, dass ihm ein Spuckefaden am Mundwinkel klebte. Unauffällig versuchte er, ihn abzuwischen. Seine Mitschülerin sah ihn aus großen, fragenden Augen an. Natürlich nicht. Natürlich hatte er vergessen, dass die Sachen heute Nachmittag abgeholt werden sollten, um sie in der kalten Jahreszeit noch rechtzeitig an die Obdachlosen zu verteilen. Trotzdem nickte er mit dem Kopf und setzte ein breites Lächeln auf.

„Natürlich. Die Sachen sind alle in meinem Spind. Ich äh...gehe sie gleich holen. Einen Augenblick. Bin gleich wieder da!“

Rückwärts gehend und weiterhin lächelnd bewegte er sich auf die Tür zum Klassenraum zu. Nur nicht blinzeln und keine Angst zeigen. Das war wie mit wilden Hunden. Wenn man denen den Rücken zudrehte und rannte, hatte man binnen kürzester Zeit ihre Zähne in den Waden.

Auf dem Flur ließ er alle Vorsicht fahren, wirbelte herum und stürmte den langen Gang entlang. Er musste sofort ins Koneko zurück und die abgelegte Kleidung holen, um die er die anderen gebeten hatte. Wenn er sich beeilte und nicht noch von einem Lehrer erwischt wurde, könnte er rechtzeitig zum Nachmittagsläuten wieder zurück sein.

 

Die Reifen seines Bikes drehte auf dem glatten Asphalt durch, als er in halsbrecherischem Tempo durch die Straßen raste. Schlitternd kam er zum Stehen, ließ das Motorrad achtlos in den Schnee fallen und stürmte in den Blumenladen. Die Glocke über das Ladentür wurde fast aus ihrer Verankerung gerissen und brach in protestierendes Gebimmel über die rüde Behandlung aus. Yoji, der offensichtlich gerade ein Nickerchen auf dem Ladentisch gehalten hatte, schreckte hoch und sah sich kampfbereit um. Als er erkannte, wen er vor sich hatte, wurde seine Miene ärgerlich.

„Bist du verrückt geworden, Omi? Ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Wenn du mich so erschreckst, kriege ich noch Haarausfall. Was soll denn die Damenwelt dazu sagen?“

Omi überging den selbstverliebten Kommentar.

„Die Sachen!“, stieß er hervor. „Die Sachen für die Kleidersammlung! Wo?“

 

Yoji runzelte kurz die Stirn, dann erhellte sich seine Miene. „Ach, du meinst die alten Klamotten? Die haben Ken und ich vor die Tür gelegt. Er wollte dich heute Morgen eigentlich noch daran erinnern, aber du warst so schnell weg.“

„Hatte einen Mathetest“, erklärte Omi über die Schulter hinweg. Er war schon halb die Treppe zur Wohnung hinauf gestürzt. Unsicher drehte er sich noch einmal herum. „Vor den Türen sagst du?“

„Jaahaa!“, kam es genervt zurück. „Und jetzt stör mich nicht mehr, du Zwerg. Erwachsene Leute haben hier zu arbeiten.“

 

Omi rollte nur mit den Augen. Er konnte sich schon vorstellen, wie Yojis Arbeit in diesen Tagen aussah. Rauchen, schlafen, Kaffee trinken. Eierpunsch hatte Aya sehr zu Yojis Bedauern nämlich verboten. In diesen Tagen Anfang Dezember war oft noch nicht viel los. Das würde sich zum Weihnachtsfest hin sicherlich noch ändern. Aber darüber konnte er sich später Gedanken machen. Jetzt brauchte er erst einmal die Sachen.

 

Tatsächlich, vor den Türen seiner Teammitglieder lagen kleine, weiße Plastiktüten. Die von Yoji war ziemlich groß, die von Ken etwas kleiner. Er raffte sie zusammen und wollte schon wieder nach unten stürzen, als sein Blick auf eine dritte Tüte vor Ayas Tür fiel. Sie war im Gegensatz zu den anderen geradezu winzig. Er zögerte. Es war unerwartet, dass Aya sich an der Aktion beteiligen wollte. Eigentlich vollkommen ausgeschlossen. Und doch lag dort diese Tüte vor der Tür. Er schlich zu ihr hin und lugte hinein. Gleich zuoberst entdeckte er diesen orangen Rollkragenpullover, den er Aya schon oft hatte tragen sehen. Yoji hatte ihn fast jedes Mal damit aufgezogen, dass sein Modegeschmack dem einer blinden Schildkröte bei Neumond glich. Vielleicht hatten die Kommentare gewirkt.

Omi warf einen prüfenden Blick auf die anderen zwei Tüten. Eigentlich hatte er schon mehr Sachen, als er gefahrlos bei diesem Wetter auf dem Motorrad transportieren konnte. Aber Ayas milde Gabe hier zurückzulassen, käme einem Affront ungeahnter Größe gleich. Er musste wenigstens einen Teil der Sachen mitnehmen.

Entschlossen griff er nach dem orangen Pullover und stopfte ihn zu Kens Sachen in die Tüte.

„Das wird reichen“, befand er. Er packte die Tüten fester und stürmte die Treppe hinunter und durch den Laden an Yoji vorbei, der sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und die Sonnenbrille vor die Augen geschoben hatte.

„Fahr vorsichtig“, rief der große Blonde ihm noch nach, während die Türglocken erneut heftig vor sich hin bimmelte, aber das hörte Omi schon nicht mehr.

 

 

 

Omi saß gerade mit Ken und Yoji beim Abendessen, als Aya die Küche betrat.

„Hast du meine Sachen aus der Reinigung geholt, Yoji?“

Der Angesprochene verdrehte die Augen. „Dir auch einen schönen guten Abend, Aya. Ja natürlich habe ich das. Die Sachen liegen vor deiner Tür.

„Aber ein Pullover fehlt. Der orange.“

 

Omi hatte in dem Moment aufgehört zu kauen, als er das Wort „Reinigung“ gehört hatte. Vor seinem geistigen Auge entstand das Bild der Tüte, die vor Ayas Tür gelegen hatte. An der Seite war eine blaue Aufschrift gewesen in genau der Schriftart, in der immer die Tüten von der Reinigung beschriftet waren. Er schluckte schwer an seinem Mund voller Nudeln. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen.

Über den Tisch hinweg traf sich sein Blicks mit Yojis. Sein Teamkollege sah ihn an und schien binnen Sekunden Zwei und Zwei zusammenzuzählen. Ein Hoch auf Yojis messerscharfen Verstand, auch wenn er ihn selten genug benutzte.

„Ich...ähm...ich glaube, der war noch nicht fertig“, log Yoji ohne mit der Wimper zu zucken und zauberte ein entschuldigendes Lächeln auf seine Züge. „Ich werde morgen gleich noch einmal hingehen und nachfragen.“

„Nicht notwendig“, brummte Aya. „Gib mir einfach den Abholschein.“

„Ja...weißt du...den habe ich verloren. Ich werde wohl persönlich hingehen müssen, um die Sachen abzuholen. Tut mir wirklich leid Aya. Ich weiß ja, wie sehr du an dem scheußlichen Teil hängst.“

Aya murmelte etwas über Yojis Unzuverlässigkeit, nickte dann knapp und verließ die Küche.

 

Kaum war er verschwunden, fasste Yoji Omi scharf ins Visier und auf seinem Gesicht stand mit sehr deutlichen Buchstaben geschrieben: „Sieh zu, dass du den Pullover wiederbekommst! Ansonsten sind wir beide tot.“

 

 

 

5.Dezember

„Was tun wir hier?“ Nagis Stimme schwankte zwischen Neugier und Verachtung. Normalerweise fand der Teenager es nicht weiter schwierig, die Aktivitäten seiner Teamkollegen größtenteils aus seinem Leben auszublenden. Doch jetzt, da man ihn in ein Auto verfrachtet und einen nicht unerheblichen Zeitraum lang durch die Gegend kutschiert hatte, wollte er doch wissen, warum sie jetzt hier am sturmdurchwühlten Meer standen, auf dem, wenn er es richtig sah, sogar kleine Eisstückchen schwammen. Vielleicht war es aber auch nur Müll, den die Flut angeschwemmt hatte. Fest stand jedoch, dass es einfach viel zu kalt war, um hier im eisigen Wind herumzustehen. Zumindest, wenn es keinen triftigen Grund dafür gab. Und er vermutete stark, dass es den nicht gab.

„Farfarello wollte ans Meer“, gab Crawford knapp zurück.

Nagis Stirn schlug nur noch größere Falten. Dann hatte er es also Farfarello zu verdanken, dass er hier bis über die Ohren eingemummelt stand und trotzdem fror wie ein sprichwörtlicher Schneider? Er schüttelte bei dem Gedanken den Kopf. Multikulturelle Erziehung war keine Erfahrung, die er unbedingt hätte machen müssen, wenn es nach ihm gegangen wäre. Aber ihn fragte ja keiner. Auch nicht, ob er jetzt vom einigermaßen warmen, auf jeden Fall aber windgeschützten Auto auf den Strand stapfen wollte. Es wurde einfach vorausgesetzt, dass er es tat. Erwachsene waren manchmal wirklich zum Kotzen.

„Und was wollen wir hier?“, wagte er noch einmal einen Vorstoß. Vielleicht gab ihm die Antwort ja einen Vorwand, um zum Auto zurückzukehren.

„Es hat etwas mit Weihnachten zu tun“, lautete die Antwort, die er schon die ganze Zeit gefürchtet hatte. Natürlich, was auch sonst. Die beiden gebürtigen Europäer in seinem Team waren, seit der Dezember begonnen hatte, vollkommen neben der Spur. Zum Glück hielt sich wenigstens Crawfords Vorliebe für den ganzen Hokuspokus in Grenzen. Schuldig und Farfarello hingegen...

 

„Wir sind da“, verkündete der Ire, als sie fast das Meer erreicht hatten. Mit stoischem Blick sah er auf das Wasser hinaus. Die schmale Silhouette, die fahle Haut, die hellen Haare, all das bildete einen eigenartigen Kontrast zu den grauen Wellen im Hintergrund. Seine ganze Gestalt schien irgendwie von innen heraus zu leuchten. Vielleicht waren das aber auch nur die Tränen, die die Kälte Nagi in die Augen trieb. Er blinzelte und sah sich um.

 

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte Nagi keinen blassen Schimmer, wo „da“ sein sollte. Hier gab es nichts außer Sand und eiskaltem Wasser. Es entzog sich seiner Kenntnis, was das jetzt mit Weihnachten zu tun haben sollte. Nicht, dass er dem Fest eine große Bedeutung zugemessen hätte. Er war kein Kind mehr und erwartete bestimmt keine Geschenke von einem dicken Mann im roten Mantel. Und für ein richtiges, japanisches Weihnachtsfest fehlte ihm die Freundin. Seine Landsleute feierten an diesem Tag ja eher eine Art zweiten Valentinstag. Was also sollte er hier an diesem verdammten Strand?

Er verstand ja, dass man in warmen Gegenden wie Hawaii oder Australien Weihnachten am Meer feierte. Aber sie waren nicht auf Hawaii und außerdem hatte niemand eine Picknickdecke oder einen Sonnenschirm dabei. Wobei letzterer auch wirklich vollkommen fehl am Platz gewesen wäre. Der Himmel hing voller schwerer Wolken und wahrscheinlich würde es innerhalb der nächsten Minuten erneut anfangen zu schneien. Dieses verdammte Tief, das es sich über Japan gemütlich gemacht hatte, raubte ihm noch den letzten Nerv. Missmutig stopfte er die Hände in die Taschen und musterte Schuldig und Farfarello, die jetzt vorne ans Wasser getreten waren.

 

„Nun spuck es schon aus“, sagte Schuldig gerade. „Was wollen wir hier? Ich hoffe, du hast nicht vor...“

Der rothaarige Deutsche, dem der Wind die langen Haare um die Ohren peitschte, unterbrach sich, um seinen Nebenmann aus großen, entsetzten Augen anzusehen. Anschließend hob er abwehrend die Hände.

„Vergiss es! Da kriegen mich keine zehn Pferde rein. Weißt du, wie kalt das ist? Das ist lebensgefährlich!“

Farfarello, der bereits begonnen hatte, sich auszuziehen, sah aus wie ein kleiner Hund, den man getreten hatte. Nagi lag jegliches Mitleid mit anderen Menschen oder gar kleinen Tieren fern, aber dieser Anblick schaffte es beinahe, ihm einen kleinen Stich zu versetzen. Beinahe!

„Aber du hast es versprochen“, sagte Farfarello und klang dabei wie ein Kind, dem man gerade eröffnet hatte, dass es weder den Weihnachtsmann noch den Osterhasen oder gar die Zahnfee gab. „In Irland wird immer ein traditionelles Weihnachtsbaden veranstaltet.“

„Ja, weil ihr alle 300 Tage im Jahr besoffen seid“, motzte Schuldig und sah ernsthaft sauer aus. „Wenn das mal reicht. Mit acht bis zehn Glühwein im Kopf kann man schon mal auf komische Ideen kommen. Aber ich bin gerade weder betrunken noch lebensmüde genug, um mich auf diesen Schwachsinn einzulassen. Also, wenn du baden willst, wünsche ich dir viel Spaß. Aber glaube ja nicht, dass ich deinen bleichen Hintern nachher aus dem Wasser fische. Dazu bezahlt Crawford mir nicht genug.“

 

Schuldig steckte nun ebenfalls die Hände in die Manteltaschen und stellte sich neben Nagi. Für ihn war die Sache anscheinend erledigt. Farfarello, der inzwischen mit nacktem Oberkörper im eisigen Wind stand, sah Crawford an. Der schüttelte ebenfalls den Kopf.

„Ich muss kein Hellseher sein, um eine dicke Erkältung zu prophezeien, wenn ich mich darauf einlasse. Außerdem habe ich keine Badehose dabei.“

Nagi machte sich nicht mal die Mühe, die unausgesprochene Frage mit Worten zu beantworten. Sein Gesichtsausdruck reichte vollkommen aus, um klarzumachen, was er von der Sache hielt. Farfarello presste die Lippen aufeinander. Anscheinend war Nagis Botschaft angekommen. Der sehnsüchtiger Blick des Einäugigen wanderte noch einmal zum Meer.

 

Schuldig, der anscheinend nicht so abgebrüht gegen Farfarellos Leidensmiene war, gab sich einen sichtlichen Ruck.

„Komm schon, wir finden eine andere Weihnachtstradition für dich“, rief er, „Was tut ihr Iren denn noch außer trinken und dann betrunken baden gehen?“

„Essen“, antwortete Farfarello, während er sich wieder anzog. Es hatte inzwischen zu schneien begonnen. Wenn Nagi genau hinsah, konnte er sehen, wie die Schneeflocken für einen Augenblick auf Farfarellos Haut liegenblieben, bevor sie schmolzen. Wäre er ein normaler Junge gewesen, hätte er das sicherlich gruselig gefunden. So rollte er nur mit den Augen und hörte nur noch mit halben Ohr zu, wie Schuldig dem kaltblütigen Killer mit dem Hundeblick versprach, dass sie alle zusammen ein festliches Weihnachtsessen als Wiedergutmachung veranstalten würden. Insgeheim fragte Nagi sich, wer eigentlich an ihm Wiedergutmachung leisten würde. Immerhin hatte er gerade wertvolle Lebenszeit damit verschwendet, an einem menschenleeren Strand herumzustehen und war nur knapp dem Anblick eines nackten Farfarello entgangen. Er fand, dass ihm dafür auf jeden Fall ein Schadensersatz zustand. Wenn sie wieder zu Hause waren, würde er mit Crawford darüber sprechen. Wenn seine Zähne aufgehört hatten zu klappern.

 

 

 

 

6.Dezember

Omi atmete tief durch. In Gedanken überprüfte er noch einmal alle Dinge, die er für seine Expedition vorbereitet hatte. An der Tür stand sein Rucksack. Darin waren warme Wechselsachen für einige Tage, ein Schlafsack, seine Zahnbürste, mehrere Notfallrationen, Handschuhe, Schal und Mütze. Immerhin würde es vermutlich ziemlich kalt werden. Daneben standen seine Schuhe, die dicken Winterstiefel natürlich. Er selbst war bereits entsprechend gekleidet und trug einen dicken Strickpullover und eine lange Hose, darunter warme Thermo-Unterwäsche und ein zusätzliches Paar Socken. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Jede Kleinigkeit, die er übersah auf seiner Reise zum kältesten Punkt der Welt, konnte seinen Tod bedeuten. Er musste auf alles vorbereitet sein. Die Recherche, die er dazu zum Thema Polar-Expeditionen durchgeführt hatte, war wirklich aufschlussreich gewesen. Sonst hätte er wohl kaum eine Salbe gegen Frostbeulen oder Sonnencreme mitzunehmen. Wer fuhr an den Nordpol und dachte dabei an Sonnencreme? An einen Erste-Hilfe-Koffer hatte er natürlich gedacht. Er war zwar kein Experte, aber dass er den brauchen würde, daran bestand kein Zweifel.

 

Er warf noch einen letzten Blick die Treppe hinunter. Ja, es war alles für einen schnellen Aufbruch vorbereitet. Jetzt galt es, die gefährliche Reise endlich anzutreten.

„Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt“, sagte er zu sich selbst, straffte die Schultern und trat in den Flur. Mit einigen schnellen Schritten war er am ersten Punkt seiner bevorstehenden Reise angekommen. Mit großen, blauen Augen sah er zu Ayas Zimmertür hinauf. Er wusste, dass Aya dort drinnen war. Omi hatte den ganzen Morgen seine Schritte verfolgt, damit auch keine ungeplante Abweichung seinen Plan stören würde.

Heute war es soweit. Heute würde er ihm beichten, dass er den Pullover weggegeben hatte. Und dann würde er rennen. Sehr schnell rennen und sich für mehrere Tage irgendwo in einem leeren Lagerhaus oder so verstecken, bis Ayas schrecklicher Zorn verraucht war und er nicht mehr in Gefahr schwebte, von seinem Katana durchbohrt zu werden.

 

Er holte tief Luft, hob die Hand und...klopfte ins Leere. Amethystfarbene Augen musterte ihn streng.

„Was ist?“, fragte Aya und seine Stimme vermochte es, durch die Lagen von Wolle und isolierendem Stoff zu dringen und eine Gänsehaut über Omis Körper zu jagen.

„Ich...“, begann er und stockte. Ayas Blick wurde noch eine Spur kälter, als er Omis Kleidung bemerkte. Vermutlich erinnerte ihn der Pullover daran, dass sein eigener verschwunden war. Omis konnte es in den violetten Iriden erkennen. Kälte, Eis, grausamer Tod. Plötzlich wusste er, warum Ayas Gegner so oft vor Furcht erstarrten, wenn der rothaarige Weiß-Anführer mit dem Schwert auf sie zustürzte, um ihr Leben zu beenden. Es lag nicht an der Waffe, dem schwarzen Mantel oder dem fürchterlichen Kampfschrei. Es lag an dem Blick. Die Kälte in diesen Augen konnte einem die Seele erfrieren lassen.

Und plötzlich wusste Omi, dass er nicht ausreichend ausgestattet war. Er hatte sich auf Schnee und Eis und die bitterste Kälte vorbereitet. Aber der Frost, der in Ayas Blick lag, traf ihn vollkommen unvorbereitet. Er ließ seine Glieder erlahmen und nahm ihm den Mut weiterzumachen. Langsam ließ er die Hand sinken.

„Ich...“, versuchte er es noch einmal, dann drehte er sich auf dem Absatz herum und stürmte in sein Zimmer zurück. Schwer atmend lehnte er sich gegen die Tür, die er hinter sich zugeschlagen hatte, in der Hoffnung, dass er so die eisige Kälte aussperren konnte. Es half alles nichts. Er musste einen Weg finden, den Pullover wiederzubeschaffen. Eine erneute „Expedition zum Aya“ würde es nicht geben.

 

 

 

7.Dezember

Missmutig betrachtete Farfarello das Ding auf dem Teller vor ihm. Es sah so gar nicht aus wie das Bild im Kochbuch. Dabei hatte er sich doch an das Rezept gehalten. Na ja, fast auf jeden Fall. Es hatte einige Probleme beim Besorgen der Zutaten gegeben. Zwar ließen sich Rindertalg und Mehl relativ leicht auftreiben, aber schon beim Kauf der notwendigen Trockenfrüchte war er auf unerwartete Probleme gestoßen. Und dabei sprach er nicht von den zwei bewaffneten Wachleuten, die er kurz um die nächste Ecke hatte bringen müssen, damit er weiter ungestört einkaufen konnte. Er hatte einfach keine Rosinen bekommen und auch einiges andere war unauffindbar gewesen. Also war er auf ein wenig...exotischere Trockenfrüchte ausgewichen. Papaya, Mango und Goji-Beeren schienen ihm ein guter Ersatz zu sein. Obst war schließlich Obst, oder nicht? Und ob er jetzt Äpfel oder Birnen hineintat, konnte eigentlich auch keinen großen Unterschied machen. Auch dass er sich beim Mehl vergriffen und eine Tüte mit Reismehl erwischt hatte, konnte doch jetzt nicht so schlimm sein. Vielleicht lag es daran, dass er Schuldigs Badetuch zum Kochen genommen hatte. Eventuell erklärte das, warum er jetzt statt eines formschönen Plumpuddings nur eine formlose Masse vor sich liegen hatte, in der einige Frotteefasern klebten.

 

Farfarello seufzte abgrundtief und entsorgte die Masse im Abfallbehälter. Jetzt hatte er nichts, was er heute Abend zum Weihnachtsessen von Schwarz servieren konnte. Seine Finger spielten mit der Klinge eines Küchenmessers, während er sein eines Auge durch die Küche wandern ließ. Sein Blick blieb am Kühlschrank hängen. Vielleicht ließ sich darin ja noch etwas finden, das er als Ersatz verwenden konnte. Entschlossen stak er das Messer in die Arbeitsfläche und öffnete die Tür des kalten Paradieses, um zu sehen, was für Köstlichkeiten dort für ihn bereitstanden.

 

 

 

Missmutig betrachtete Schuldig die Tüte, die die Verkäuferin ihm unter die Nase hielt.

„Ich sagte, ich wollte Kartoffeln.“

„Aber das sind doch Kartoffeln“, antwortete die Verkäuferin mit einem breiten Lächeln und einer Verbeugung. „Sie sind sehr beliebt, besonders bei Kindern.“

Schuldig warf noch einen weiteren, vernichtenden Blick auf die länglichen, frittierten Kartoffelstäbchen. Pommes frites! Sie hatte ihm Pommes frites gebracht! Was sollte er denn damit? Diese schlitzäugigen Reisfresser hatten wirklich keine Ahnung! Schon gar nicht von traditionellen, deutschen Weihnachtsessen.

Er drehte sich einfach um und ließ die immer noch – inzwischen allerdings etwas angestrengt – lächelnde Verkäuferin des Supermarktes einfach stehen und stapfte weiter durch die Gänge. Vielleicht würde er ja wenigstens den zweiten Teil seines geplanten Beitrags zum Schwarzschen Weihnachtsessen finden. Immerhin ging es hier auch um seine Ehre. Und er hatte es Farfarello versprochen.

 

 

Missmutig betrachtete Crawford seinen Terminkalender. Heute war der Tag, den sie für das Weihnachtsessen von Schwarz festgelegt hatten. Er hatte gehofft, dem Weihnachts-Wahnsinn damit endlich Einhalt zu bieten. Inzwischen drängten sich allerdings die Visionen, die ihm das genaue Gegenteil versprachen. Es würde noch schlimmer werden. Viel schlimmer. Aber vielleicht überraschte ihn die Zukunft ja auch. Er gab die Hoffnung diesbezüglich auf jeden Fall nicht auf.

Mit einem tiefen Durchatmen schloss er die Akte, an der er gerade gearbeitet hatte und öffnete die Tür seines Schreibtischs. Dort lagerte sein Beitrag zum Weihnachtsessen. Er hatte nicht einmal lange danach suchen müssen. Es ging eben nichts über eine gepflegte Medienkultur. Was es im Fernsehen gab, gab es auch in japanischen Läden.

 

 

Missmutig betrachtete Nagi seine „Ziehfamilie“. Sie saßen alle um den Esstisch herum und jeder von ihnen hatte etwas zu essen mitgebracht. Eine seltsame Karikatur eines Picknicks. Mit Weihnachtsmusik, die aus der Stereoanlage aus der Ecke schallte. Es war wirklich zum Fürchten. Mit einem Seufzen schob Nagi seinen Beitrag zum Schwarzschen Weihnachtsessen nach vorne.

„Frohe Weihnachten“, murmelte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Schuldigs Augenbrauen wanderten nach oben. „Was bitte soll das sein, Nagi? Willst du uns veralbern?“

Nagis Miene verfinsterte sich noch weiter. Er musterte den rothaarigen Deutschen über den Karton mit frittierten Hähnchenteilen hinweg.

„Warum?“, knurrte er gereizt. „Ihr habt gesagt, ich soll ein traditionelles, japanisches Weihnachtsgericht mitbringen. Da ist es.“

„Kentucky Fried Chicken?“, ächzte Schuldig ungläubig. „Und da soll nochmal einer sagen, ihr seid ein traditionsbewusstes Volk. Wirklich unglaublich.“

Nagis Augen blitzen bedrohlich auf. „Was hast du denn mitgebracht?“

Schuldig blitzte ebenso zurück und stellte ein Glas auf den Tisch. Darin waren...

„Würstchen?“ Nagi wusste anscheinend nicht, ob er weinen oder lachen sollte. „Das gibt es bei euch zu Weihnachten?“

„Ich wollte noch Kartoffelsalat dazu machen, aber die dämliche Vogelscheuche im Supermarkt hatte keine Kartoffeln mehr da.“ Schuldig schob die Unterlippe nach vorn und schien nicht gewillt, noch etwas dazu zu sagen.

Crawford räusperte sich. „Das wird ja ein interessantes Essen“, bemerkte er und stellte eine ovale Dose auf den Tisch. Schuldigs Augenbrauen hoben sich augenblicklich.

„Das ist nicht dein Ernst. Honigschinken aus der Dose? Was bist du? Ein klischeebehafteter, amerikanischer Weihnachtsfilm?“

„Er ist lecker“, verteidigte sich Crawford und richtete seinen Blick auf das vierte Mitglied der Runde. „Und was hast du mitgebracht, Farfarello? Immerhin machen wir das hier für dich.“

 

Der einäugige Ire sah von einem zum anderen. Dann griff er unter den Tisch und schob einen Teller auf den Tisch. Darauf lagen einige verbrutzelte Speckstreifen.

„Mehr war nicht im Kühlschrank“, erklärte er. „Ich habe versucht, etwas zu kochen, aber...“

 

Seine heisere Stimme erstarb und alle blickten betreten auf ihr Weihnachtsessen, das nun fleischlastig und ohne irgendwelche Beilagen vor ihnen auf dem Tisch lag. Schließlich erhob sich Crawford.

„Ich würde sagen, wir brechen das Ganze hier ab. Offensichtlich ist Schwarz nicht dafür geschaffen, Weihnachten zu feiern. Ich hoffe, dass das alle Anwesenden jetzt eingesehen haben. Also verschont uns in Zukunft bitte von diesem Irrsinn und lasst uns zur Tagesordnung übergehen.“

 

Während Nagi nur zustimmend nickte und, so schnell er konnte, in seinem Zimmer verschwand, sahen sich Schuldig und Farfarello über den Tisch hinweg an. In ihren Gesichtern stand grimmige Entschlossenheit. Sie würden diese Banausen schon noch in die nötige Weihnachtsstimmung bringen. Und wenn es mit Gewalt sein musste.

 

 

 

 

8.Dezember

„Es ist hoffnungslos!“

Omi sank vor seinem Computer zusammen. Er hatte seit dem Pullover-Vorfall keine Nacht mehr richtig geschlafen. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass er das Original nicht mehr zurückbekommen konnte, da sie Sachen bereits abgeholt und in ein zentrales Lager gebracht worden waren, hatte er versucht, einen ähnlichen Pullover zu erstehen. Aber egal, wo er auch suchte, niemand schien solche Pullover zu verkaufen. Omi war zum Heulen zumute.

 

Er schrak zusammen, als es an seiner Tür klopfte. Schnell minimierte er sein Browserfenster. Zum Glück war es nur Yoji, der seinen Kopf durch die Tür steckte.

„Und? Hast du ihn gefunden?“

„Keine Spur!“, gab Omi missmutig zurück und öffnete den Browser wieder. Mit anklagender Miene wies er auf den Bildschirm „Ich habe keine Ahnung, wo Aya das Teil gekauft hat, aber Fakt ist: Der Pullover ist unauffindbar. Noch nicht einmal auf den Gebrauchtmärkten verkauft jemand etwas Ähnliches.“

„Wundert mich nicht“, frotzelte Yoji. „Diese modische Scheußlichkeit allererster Güte möchte vermutlich niemand auch nur geschenkt haben. Mir tut der arme Obdachlose leid, der jetzt damit herumlaufen muss.“

Omi bedachte ihn mit einem dolchartigen Blick.

„Oh, mein Herz!“, grinste Yoji und beugte sich zu Omi herab. Er betrachtete die Dinge, die Omi aufgerufen hatte. Er deutete auf etwas weiter unten auf dem Bildschirm.

„Geh mal da drauf.“

„Das da?“

„Ja genau. Ich weißt nicht, was du denkst, aber ich denke, dass das die Lösung unseres Problems sein könnte.“

„Meinst du wirklich?“

„Wir sind verzweifelt, oder nicht? Also müssen wir alles versuchen. Selbst wenn es unmännlich ist.“

Omi stieß die Luft aus und lud die entsprechenden Dinge in den Warenkorb. „Ich hoffe nur, du weißt, was du tust.“

 

 

Bereits am Nachmittag klingelte es und der Paketbote brachte die bestellte Ware. Omi konnte es kaum abwarten, bis sie endlich den Blumenladen schlossen und er und Yoji sich in seinem Zimmer treffen konnten, um die Sachen zu begutachten. Yoji schob einige Hefte und Disketten auf Omis Bett beiseite, ließ sich darauf fallen und betrachtete den Inhalt des Kartons.

„Alsooo...“, begann er. „Ich glaube, das kriege ich hin.“

„Wirklich?“ Omis Gesicht, das angesichts der viele, vielen Teile recht lang geworden war, hellte sich auf.

„Na klar, ich habe so was früher mal in der Schule gelernt. Ist gar nicht so schwer. Wenn man erst mal angefangen hat, machen deine Finger den Rest ganz von allein.“

Omi nickte, als wisse er, wovon Yoji sprach, dabei hatte er keinen Schimmer. Mit großen, staunenden Augen sah er zu, wie sein Kollege nach Nadeln und Wolle griff.

„Du wirst sehen. In Nullkommanichts haben wir Aya einen neuen Pullover gestrickt.“

 

Mit großen Gehabe und viel Getue begann Yoji, den Faden in kunstvollen Maschen um die Nadeln zu schlingen. Tatsächlich hatte er nach einer Weile schon einige Zentimeter zusammengebracht. Plötzlich ließ er kraftlos die Nadeln sinken.

„Ich kann nicht mehr. Das ist so anstrengend. Außerdem habe ich kein Blut mehr im Zeigefinger. Und ich muss eine rauchen.“ Sprach's und verschwand zur Tür hinaus.

Zurück blieben Omi und das knallorange Ding, das Yoji gestrickt hatte. Vorsichtig, um keine Maschen zu verlieren, nahm Omi das Stück Handwerkskunst hoch und beäugte es kritisch. Es war durchaus ordentlich gestrickt, das musste man Yoji lassen. Aber irgendwie sah Omi trotzdem ein ziemliches Problem auf sie zukommen.

 

Als Yoji zurückkehrte, hielt er das Gebilde hoch und fragte vorsichtig: „Sag mal, Yoji, wo genau am Pullover sitzt dieser Teil eigentlich? Ich meine, es sieht ein bisschen aus wie ein Ärmel, aber auch wenn Aya nicht gerade beleibt ist, bezweifle ich doch, dass sein Arm dort hindurchpassen wird.

Yoji, der zuerst den Mund zu einem vehementen Protest geöffnet hatte, schloss diesen wieder und blickte nachdenklich auf das orange Wollding. Nach einer Weile sagte er langsam:

„Weißt du, jetzt wo du es sagst. Ich glaube, ich habe bisher immer nur Strümpfe gestrickt. Davon hätte ich sicherlich in zwei oder drei Tagen ein Paar geschafft. Aber einen Pullover...ich fürchte fast, das ist doch ein wenig hoch gegriffen.“

 

Er runzelte kurz die Stirn, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Weißt du was, wir stricken einfach die Socken und hängen sie für Aya an den Kamin. Er wird so gerührt sein, dass er die Sache mit dem Pullover im Handumdrehen vergessen hat.

„Aber Yoji, wir haben gar keinen Kamin.“

„Ach papperlapapp. Der Gedanke zählt. Wir nageln sie einfach an seine Zimmertür oder so ähnlich. Wirst schon sehen, dass das hinhaut.“

Schon griff Yoji wieder nach Nadeln und Wolle und legte sich mächtig ins Zeug. Omi wollte ihm glauben. Er wollte es wirklich. Aber der Kloß in seinem Magen sagte ihm, dass es so einfach nicht werden würde. Er seufzte und betete zu allen Göttern, die zuhörten, dass das hier ein gutes Ende nahm.

 

 

9.Dezember

Aya schloss die Augen und ließ sich langsam in das heiße Wasser gleiten. Ein leiser Seufzer kam über seine Lippen, der sicherlich die Hälfte der Fangirls im Laden vor Entzücken in Ohnmacht hätte fallen lassen. Zum Glück war er allein. Vollkommen allein mit sich und der Badewanne, aus der weißer Dampf aufstieg. Die Luftfeuchtigkeit war nicht viel niedriger als die in der Wanne, aber das war Aya egal. Für die nächste halbe Stunde würde er sich um nichts und niemandem kümmern. Nicht, nachdem er den halben Tag Schnee geschaufelt hatte. Dieses Wetter da draußen war wirklich zum Abgewöhnen. Nicht, dass er Schnee nicht mochte. Aber er behinderte sie bei ihrer Arbeit und hielt die zahlende Kundschaft vom Laden fern. Ein Umstand, der ihm so gar nicht gefiel. Aber jetzt war nicht die Zeit, um sich Gedanken darum zu machen. Jetzt würde er seine protestierenden Muskeln im heißen Wasser marinieren, bis sie weich wie Butter waren und dann in sein Bett gleiten. Dazu noch...
 

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als er vor der Tür Stimmen hörte. Langsam öffnete er ein Auge. Sie würden es doch nicht wagen...

„Hast du sie fertig?“, hörte er Omi flüstern.

„Sehe ich aus wie eine alte Oma, die nichts zu tun hat, außer den lieben Tag lang die Stricknadeln zu schwingen“, war Yojis nicht eben freundliche Antwort. „Ich habe Verpflichtungen.“
 

Aya rollte innerlich mit den Augen. So so, Verpflichtungen also. Allein heute waren zwei dieser Verpflichtungen während der Öffnungszeiten im Laden erschienen und hatten Yoji jeweils in ein ziemlich langes Gespräch verwickelt. Mit einer von ihnen war er Kaffee trinken gegangen und die andere hatte er sogar zum Mittagessen ausgeführt und war eine ganze, halbe Stunde zu spät wieder gekommen. Er unterbrach seine Gedanken, um noch einmal zu rekapitulieren, was Yoji gerade gesagt hatte. Hatte er wirklich davon gesprochen, dass er strickte?
 

„Yojiii!“ Omi hatte diesen speziellen, leidenden Ton in seiner Stimme, der einen Stein hätte er weichen können. „Du musst dich beeilen. Aya wird langsam misstrauisch. Wie lange willst du ihn denn noch hinhalten?“

„Lass das nur meine Sorge sein. Ich werde Aya schon noch ein Weilchen an der Nase herumführen können.“
 

In der Badewanne öffnete Aya nun auch sein zweites Auge. Was glaubte dieser Schmalspur-Cassanova eigentlich, wer er war? Und wo bitte hatte Yoji ihn an der Nase herumgeführt? Vorsichtig, um kein verräterisches Wasserplätschern zu verursachen, schob Aya sich in der Badewanne höher. Die kühlere Luft des Badezimmers strich über seine Schultern und ließ ihn kurz frösteln. Er hätte vorher die Heizung höher drehen sollen, aber schließlich hatte er im Gegensatz zu gewissen anderen Personen den ganzen Tag lang gearbeitet. Was also hatte Yoji vor ihm zu verbergen?
 

„Aber er wird langsam wirklich sauer, wenn er den Pullover nicht wiederbekommt. Du hast gesagt, wenn wir ihm die Strümpfe...“

„Also wenn ich mich recht erinnere, warst du derjenige, der das scheußliche Ding in die Altkleidersammlung gegeben hat. Ich meine, es war...“
 

Yojis restliche Worte wurden von einem Aufschrei verschluckt. Wenn man sehr genau hinhörte, konnte man einen Namen darin ausmachen. Und wenn jemand mitgeschrieben hätte, hätte er vermutlich „Omi, Shi-ne!“ zu Protokoll genommen.
 

Sekunden später flog die Badezimmertür auf und Aya stand wie ein dem Wasser entstiegener Rachegott im Türrahmen. In der Eile hatte er sich lediglich ein Handtuch gegriffen, das deutlich zu klein ausfiel, um mehr als die wichtigsten Körperstellen zu verbergen. Ein Anblick, der seine Kollegen möglicherweise verstört hätte, wenn sie nicht von seinem Gesichtsausdruck abgelenkt gewesen wären. Einem Gesichtsausdruck, der demjenigen, der seinen Pullover weggegeben hatte, einen sehr langsamen und vor allem aber sehr schmerzhaften Tod versprach.
 

Omi reagierte instinktiv, wirbelte herum und stürzte in Richtung Treppe. Er hielt sich nicht mit Kleinigkeiten wie Schuhen oder gar einer Jacke auf, sondern stürmte, ohne anzuhalten, weiter in Richtung Tür, die ihn auf die Straße brachte. Hinter ihm erschütterte ein Brüllen die Fensterscheiben des Ladens, das an einen wütenden Tiger erinnerte. Und ausgerechnet er hatte den Tiger am Schwanz gezogen.

Weniger denken, mehr laufen, Tsukiyono, spornte er sich selber an. Hinter ihm flog die Ladentür fast aus den Angeln, als Aya hindurch preschte. Auch er hatte sich nicht weiter bekleidet und stürmte jetzt nur mit dem besagten Handtuch um die Hüfte hinter Omi her.

„Aya!“, rief er über die Schulter. „Aya, es tut mir leid. Es war eine Verwechslung! Ich dachte, du hättest die Sachen für unsere Sammlung herausgelegt. In der Schule. Du weißt doch. Aya!“
 

Alles Bitten und Erklären half nichts. Aya war ihm immer noch dicht auf den Fersen und es sah nicht aus, als wäre irgendetwas von dem, was Omi von sich gegeben hatte, zu ihm durchgedrungen. Omi fluchte. Seine Füße waren inzwischen eiskalt und er rutschte immer wieder auf seinen Socken aus. Aya holte auf. Dessen nackten Füße stellten auf dem schlüpfrigen Untergrund einen definitiven Vorteil dar.
 

Da geschah es plötzlich, was Omi schon die ganze Zeit gefürchtet hatte. Er nahm eine Kurve um eine Hausecke zu eng, kam ins Schlingern, strauchelte, stolperte und landete schließlich mit dem Gesicht zuerst im Schnee. Als er wieder hochkam, ragte Aya über ihm auf. Eigentlich hätte er in seinem Aufzug und ohne sein Schwert lächerlich oder wenigstens ungefährlich aussehen müssen. Aber Aya brachte es fertig, auch noch halbnackt und mit leeren Händen bewaffnet und gefährlich auszusehen. Eigentlich wirkte er so sogar noch gruseliger.
 

„Aya bitte“, wimmerte Omi und wagte nicht, sich weiter zu erheben. „Es tut mir leid. Ich habe versucht, ihn zurückzubekommen, aber es war unmöglich. Er war schon abgeholt worden.“

Ergeben senkte Omi den Kopf. Er kniete hier im Schnee, während Aya ihn nur ansah, als würde er ihn mit Blicken töten können. Inzwischen war sich Omi nicht mehr sicher, ob das nicht sogar der Wahrheit entsprach.

Da erklang plötzlich eine helle Stimme: „Sieh mal, Mama. Der Mann hat ja gar nichts an.“

Dieser unschuldigen Feststellung folgte ein Kreischen und ein unterdrücktes Fluchen von Aya, der anscheinend eben erst festgestellt hatte, dass das kleine Mädchen, das jetzt von seiner Mutter außer Sichtweite gezerrt wurde, Recht hatte. Angesichts dieser Tatsache wagte Omi es, den Blick wieder nach oben zu richten. Er sah in Ayas Gesicht, das zu Steine erstarrt zu sein schien. Ihr Anführer presste die Kiefer aufeinander, drehte sich herum und stakste so würdevoll, wie sein Zustand es zuließ, wieder zurück in Richtung Koneko.
 

Omi sank im Schnee zusammen. Jetzt war es also endlich heraus und das Versteckspiel hatte ein Ende. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass das hier noch nicht das Ende der Geschichte gewesen sein konnte. Irgendetwas würde sich sein Teamkollege noch ausdenken, um sich an ihm zu rächen. Denn, wenn es um Rache ging, machte Aya so schnell niemand etwas vor. Im Rache nehmen war Aya einsame Spitze.

10.Dezember

Ruhig glitt der Wagen durch den winterlichen Verkehr. Inzwischen hatte sich Tokio an die Schneemassen gewöhnt, die der Dezember der emsigen Stadt beschert hatte. Schuldig konzentrierte sich nur halb auf den Verkehr, während er nebenbei den Gedanken der vorbeieilenden Menschen lauschte. Auf dem Beifahrersitz ging Crawford noch einmal einige Akten durch, die sie gerade mit ihrem nächsten Kunden besprochen hatten. Waffenschmuggler. Langweilig aber mit viel Kapital, von dem er einen beträchtlichen Teil springen ließ, um für seine persönliche und die Sicherheit seiner Geschäftspartner zu sorgen. Schuldig wollte gerade eine entsprechende Bemerkung machen, als ihm plötzlich ein Passant vor den Kühler sprang. Der Telepath fluchte und stieg auf die Bremse. Der Wagen kam auf der glatten Straße ins Schlingern, stellte sich auf der Fahrbahn quer und stoppte nur haarscharf vor dem nächsten Laternenpfahl. Schuldig stieß eine Verwünschung zwischen den Zähnen hervor und wollte schon aus dem Auto springen, als Crawford ihn am Arm festhielt.

 

„Was für ein Tag ist heute?“

„Was?“ Schuldig sah Crawford irritiert an. „Du weißt, welcher Tag heute ist. Der Tag, an dem der Typ, der mir gerade vors Auto gesprungen ist, das Zeitliche segnet.

„Welcher Tag ist heute? Das Datum!“ Crawford hatte die Augen weit aufgerissen und sah aus, als hätte er einen Geist gesehen. Hinter ihnen begannen die nachfolgenden Autos zu hupen.

„Der 10. Dezember“, gab Schuldig nun endlich zur Auskunft. „Warum? Du bist doch eigentlich der mit dem Terminkalender im Kopf. Ich...“

Er kam nicht weiter, denn Crawford gestikulierte wild in seine Richtung. „Fahr! Zum Bahnhof! Schnell!“

Schuldig verkniff sich weitere Fragen. Er startete den Wagen neu und trat das Gas durch. Einige Fußgänger, die die Lücke im Verkehr genutzt hatten, sprangen eilig in Deckung, als die ausländische Limousine mit Höchstgeschwindigkeit und durchdrehenden Reifen an ihnen vorbeischoss. Kopfschütteln sahen sie dem Auto nach, das mit halsbrecherischer Geschwindigkeit davon raste und zwei rote Ampeln ignorierte. Was hatte sich der Fahrer nur dabei gedacht?

 

 

Der Wagen kam schlitternd vor dem Bahnhof zu stehen. Schuldig überzeugte die Politesse noch schnell davon, dass alles seine Ordnung damit hatte, dass sie mitten vor dem Haupteingang stehengeblieben waren, dann stürzte er dem wie von wilden Hunden gehetzt nach drinnen rasenden Crawford hinterher.

„Was denn?“, keuchte er, als er aufgeholt hatte. „Willst du noch schnell einen Kurzurlaub über die Feiertage buchen?“

„Das ist nicht komisch“, gab Crawford über die Schulter zurück. „Ich habe vergessen, etwas abzuholen. Ich hoffe nur, dass wir noch nicht zu spät sind.“

„Abzuholen?“ Schuldig verstand die Welt nicht mehr, aber er folgte Crawford weiter, der sich jetzt in Richtung der Schließfächer durch die Menschenmassen drängelte. Er schien kurz davor, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.

 

Endlich erreichten sie die großen Blöcke aus gefaltetem Blech und Stahl und Crawford begann sofort, die Nummern auf den Türen zu studieren. Dabei murmelte er immer wieder etwas vor sich hin. Schuldig beobachtete ihn besorgt, bis der Amerikaner endlich gefunden zu haben schien, wonach er suchte. Er gab einen triumphierenden Laut von sich und öffnete eine der Türen. Aus dem Schließfach zog er einen dunkelgrünen Pappkarton, auf den jemand goldene Sterne geklebt hatte. Schuldig kam der Karton vage bekannt vor, aber er konnte den Finger nicht darauf legen, wo er ihn schon einmal gesehen hatte.

„Ich habe es“, sagte Crawford überflüssigerweise. „Jetzt müssen wir nur beten, dass wir noch rechtzeitig zurück sind.“

„Beten?“ Schuldig gab ein unanständiges Geräusch von sich. „Lass das nur nicht Farfarello hören. Und rechtzeitig wofür eigentlich?“

„Das sehen wir hoffentlich nicht, wenn wir nach Hause kommen“, gab Crawford düster zurück. Er sah auf die Uhr. Draußen wurde es bereits dunkel. Das Orakel fluchte leise. „Ich wusste es. Wir kommen zu spät.“

 

Schuldig gab es auf, irgendetwas aus seinem Anführer herauskriegen zu wollen. Wenn er so drauf war, war das ein sinnloses Unterfangen. Diese Hellseherei war etwas, dass sich selbst Schuldigs nicht eben kleinem, geistigem Horizont entzog. Normalerweise behielt Crawford allerdings die Übersicht über seine Visionen. Der Telepath fragte sich, was ihn so hatte aus der Bahn werfen können, dass er jetzt zusammengesunken auf dem Beifahrersitz saß und den Pappkarton mit weißen Fingerknöcheln umklammerte.

 

Mit zielsicherem Geschick brachte Schuldig sie zu dem Haus am Stadtrand. Er hatte kaum angehalten, als Crawford bereits die Tür geöffnet hatte und nach draußen gesprungen war. Unter den Arm hatte er den ominösen Karton geklemmt. Schuldig beeilte sich, ihm zu folgen, und erreichte nur kurz nach dem Amerikaner die Haustür. Der hatte sich nicht damit aufgehalten, seine Schuhe auszuziehen, sondern war gleich ins Wohnzimmer gestürmt. Als Schuldig jetzt von dort einen leisen Entsetzensschrei hörte, ließ auch er die Schuhe an und folgte Crawford auf dem Fuß. Was er sah, nahm selbst ihm den Atem.

 

Mitten im Wohnzimmer umringt von der hellen Couchlandschaft und der geschmackvollen Anrichte und anderem exquisitem Mobiliar stand ein Tannenbaum. Ein riesiges Monstrum von einem Tannenbaum. Die Höhe des Raumes betrug sicherlich drei Meter oder mehr, aber der Baum schaffte es problemlos, die Decke zu erreichen, und musste sich dabei noch ein wenig bücken. Die Spitze war beim Transport offensichtlich mehrmals gegen die Decke gestoßen und hatte eine harzige Spur quer durch das Wohnzimmer hinterlassen. Überall lagen Nadeln und Erdklumpen herum und die Fußspuren, die dazwischen verteilt waren, sprachen davon, dass es einiges an Mühe gekostet hatte, den Baum hierher zu bringen. Das allein war jedoch nicht das, was Schuldig die Sprache verschlug. Das, was den Baum so furchtbar machte, war der Schmuck, den Farfarello – denn niemand anderes hätte auf so eine Idee kommen können – daran verteilt hatte.

 

Wie es aussah, hatte das einäugige Mitglied von Schwarz wieder einmal das Angenehme mit dem Praktischen verbunden. Er war im Wald einen Baum holen gegangen. Also hatte er auf dem Weg auch gleich den Baumschmuck besorgt. Da hingen Chipstüten, alte Milchkartons, Getränkedosen und ähnlicher Unrat. Daneben wurden die Zweige von den Überresten kleiner Tiere geschmückt. Hasenohren, Eichhörnchenschwänze und Fischköpfe teilten sich den Platz mit etwas, das Schuldig zunächst für Lametta hielt, dann aber als den Inhalt des Aktenvernichters identifizierte. Der bunten Farbe nach zu urteilen, hatten einige von Nagis Mangas daran glauben müssen. Das Einzige, was es hier sonst noch an buntem Lesestoff gab, war seine eigene Sammlung von... Aber nein, die lag sicher unter seinem Bett. Oder war das da eine Brustwarze auf einem der Papierstreifen?

 

„FARFARELLO!“

 

Nur mit Mühe konnte Crawford Schuldig davon abhalten, sich auf den irren Iren zu stürzen, der gerade die Spitze des Baumes mit einem Eichörnchenkopf schmückte. Das einäugige Mitglied von Schwarz war dreckig, blutverschmiert und lächelte von einem Ohr zum anderen.

„Ah, ihr seid schon zurück. Ich bin gerade fertig geworden mit dem Dekorieren. Leider habe ich den Christbaumschmuck nicht finden können, also habe ich ein wenig improvisiert. Gefällt es euch?“

Crawford ließ sich auf eines der Sofas fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Der grüne Karton mit den Sternen lag neben ihm auf der Sitzfläche. Als Farfarello das grün-goldene Ding erblickte, machte er ein erstauntes Gesicht.

„Ach du hattest ihn? Ich dachte, er wäre beim Umzug verloren gegangen. Wie schade. Aber vielleicht kann ich ja noch ein paar der Teile unterbringen.“

 

Schuldig, der endgültig genug von dem Theater hatte, trat zu Crawford, nahm den Karton und öffnete ihn. Aus der Schachtel lachten ihm kleine Weihnachtsengel aus Filz, handbemalte Christbaumkugeln, Strohsterne, fein geschnitzte und mit roter und weißer Farbe bemalte Zuckerstangen und ähnliches mehr entgegen. Er sah für einen Augenblick verständnislos auf den weihnachtlichen Schmuck, bis er sich endlich erinnerte. Mit einem Stöhnen ließ er sich neben Crawford fallen.

„Oracle, du wirst langsam alt“, ließ er ihn wissen. „Es wird Zeit, das wir dir einen elektronischen Terminkalender besorgen, in dem du deine Visionen katalogisieren kannst. Ich könnte...“

 

...dir einen zu Weihnachten schenken, hatte Schuldig noch sagen wollen, aber anhand von Crawfords mörderischem Gesichtsausdruck ließ er es lieber bleiben und beobachtete stattdessen Farfarello dabei, wie der Fröbelsterne und Julböcke zwischen den Müll und die Tierleichen hängte. Weihnachten bei Schwarz war eben immer wieder ein Erlebnis.

 

 

 

11.Dezember

„Er ist weg!“

Ken befreite seine Hände aus den wattierten, roten Handschuhe, und klopfte seine Taschen ab. Verdammt! Der Zettel mit der Wegbeschreibung war und blieb verschwunden. Jetzt stand er hier mitten im Schneetreiben auf einer ihm unbekannten Straße in einem Weihnachtsmannkostüm und konnte seinen Einsatzort nicht finden. Fluchend fischte er sein Handy aus dem Tiefen des dicken Mantels und fluchte erneut und umso lauter, als er auf das kleine, leere Symbol auf dem Display starrte.

„Kein Empfang. Na wunderbar. Omi wird mich umbringen!“

 

Er war auf dem Weg zu dieser Weihnachtsparty. Eines ihrer Ziele sollte dort auftauchen und Ken war es zugefallen, sich in Verkleidung unter die Leute zu mischen, um die notwendigen Informationen für den Zugriff zu erhalten. Wie es dazu gekommen war, konnte er sich eigentlich selbst nicht wirklich erklären. Obwohl...doch, er wusste warum. Yoji hatte heute freigenommen, Omi war zu klein für das Kostüm und Aya...nun ja, er war eben Aya. Angesichts seines Gesichtsausdrucks hatte Ken das Kostüm und den Undercover-Einsatz vorgezogen. Und nun stand er hier und wusste nicht, wo es lang ging. Die Adresse hatte er noch im Kopf, aber wo die Straße lag, entzog sich leider seiner Kenntnis. Es würde ihm also nichts weiter übrig bleiben, als nach dem Weg zu fragen.

 

Er stieg von seinem Motorrad und machte sich auf dem Weg zu einem naheliegenden Wohnhaus. Von drinnen strahlte warmes Licht durch die Fenster und Ken konnte nicht anders, als die Bewohner ein wenig zu beneiden. Immerhin mussten sie sich nicht hier draußen in dieser Hundekälte herumtreiben. Wobei er zugeben musste, dass das Kostüm ihn schon warm hielt. Er trug einen dicken, roten Mantel mit weißem Pelzbesatz und breitem, schwarzen Gürtel, passende rote Hosen und schwere, schwarze Stiefel. Dazu noch ein falscher, buschiger, weißer Bart, ebensolche Augenbrauen und zur Krönung des Ganzen eine ebenfalls über und über mit weißem Pelz besetzte, rote Zipfelmütze mit diesem weißen Bommelding am Ende. Er fand, dass er es hätte schlechter treffen können. Yoji war bei so einem Einsatz mal als Elf unterwegs gewesen. Bei der Erinnerung an Yojis Beine in Strumpfhosen musste Ken sich heute noch schütteln. Immerhin würde ihn mit Sicherheit niemand wiedererkennen. Von seinem Gesicht war ja so gut wie nichts zu sehen.

 

Er rieb noch einmal die frierenden Hände aneinander und drückte dann entschlossen auf den Klingelknopf. Es läutete melodiös und das Stimmengewirr, das er gerade noch von drinnen gehört hatte, verstummte plötzlich. Schritte näherten sich der Tür, diese wurde geöffnet und er sah sich einer blonden Frau gegenüber, die ihn mit breitem Grinsen anstrahlte.

„Oh seht nur, Mädels!“, rief sie über die Schulter hinweg. „Ich glaube, wir bekommen Besuch.“

„Ich wollte nur...“, begann Ken, wurde aber von der Frau sofort unterbrochen. Sie winkte eilig mit der Hand und legte den Zeigefinger auf die Lippen.

„Psst, das soll doch eine Überraschung sein. Komm nur rein.“

 

Ehe Ken protestieren konnte, hatte sie ihn am Arm gepackt und ihn nach drinnen gezerrt. Aus dem Nebenraum hörte er vielstimmiges Gekicher und Geschnatter und kurz darauf fand er sich inmitten einer Schar Frauen verschiedenen Alters wieder. Sie saßen auf Sofas, Sesseln und Stühlen, hielten Gläser in der Hand und hatten sich um einen Tisch voller kleiner Leckereien versammelt. Anscheinend war auch das hier eine Art Party.

„Ich wollte nur...“, versuchte er noch einmal sein Glück, aber eine der Frauen sprang auf und eilte mit ihrem Stuhl nach vorne.

„Nimm doch Platz, Santa Claus“, kicherte sie und drückte Ken auf den Stuhl.

„Los, Minako, das hier ist dein Abend. Du darfst dir etwas von Santa wünschen.“

Eine junge Frau, die zwei Glitzerherzen auf den Wangen hatte, wurde nach vorne geschoben und plötzlich fand sich Ken mit einem Schoß voller Minako wieder. Die junge Frau kicherte und gluckste.

„Ihr seid ja verrückt!“, rief sie ihren Freundinnen zu. „Das wäre doch nicht nötig gewesen!“

Die anderen beeilten sich, ihr zu versichern, dass das durchaus notwendig wäre und die blonde Frau, die Ken hereingeholt hatte, grinste sie nur breit an: „Du wolltest einen echt westliche Feier. Ich habe getan, was ich konnte. Das gehört nun mal dazu.“

 

Minako wurde ein wenig rot, wandte sich zu Ken und sah ihn unter dunklen, halb niedergeschlagenen Wimpern halb scheu, halb kokett an.

„Ich glaube, ich war ein sehr unartiges Mädchen dieses Jahr“, hauchte sie, woraufhin ihre Freundinnen wieder anfingen zu kreischen und Ken zum wiederholten Mal sein Kostüm verfluchte. Warum war es hier nur so warm? Schweiß begann, seinen Rücken herabzulaufen und der weiße Bart kitzelte in seiner Nase. Er hatte keinen Zweifel, dass seine Gesichtsfarbe inzwischen sehr gut zu seinem Kostüm passte.

„Hast du denn auch deine Rute dabei, Santa?“, wollte eine der Frauen aus der Runde wissen und lautes Gelächter antwortete ihr.

„Das werden wir ja gleich sehen!“, johlte eine andere und nahm einen großzügigen Schluck aus ihrem Glas. „Los, gebt Santa mal was zu trinken. Er ist ja ganz verschüchtert.“

„Ich glaube, hier liegt eine Verwechslung zu“, krächzte Ken heiser. Das hier lief so gar nicht nach Plan. Er musste hier sofort raus! Minako hatte es sich auf seinem Schoß so richtig bequem gemacht und nach seiner Hand gegriffen. Langsam führte sie sie in Richtung ihres Brustkorbs.

„Hör mal Santa, mein Herz klopft ganz laut. Willst du mal fühlen?“

 

 

Der Mann in der knapp geschnittenen Polizeiuniform hatte gerade seinen Zeigefinger nach dem Klingelknopf ausgestreckt, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein ziemlich derangierter Weihnachtsmann an ihm vorbeistürzte. Er hastete über die Straße, wobei er seine rote Mütze und Teiles seines Bartes verlor. Er beachtete diese Tatsache jedoch nicht, sprang auf ein am Straßenrand abgestelltes Motorrad und raste davon, als wären 77 schreckliche Dämonen hinter ihm her. Der „Polizist“ hob eine sorgfältig gezupfte Augenbraue, schüttelte leicht den Kopf und wandte sich dann zu der überraschten Frau um, die so eben im Türrahmen erschienen war.

„Ist das hier der Jungesellinen-Abschied von Minako Kobayashi?“, fragte er und schob seine Mütze mithilfe des Schlagstocks nach oben „Ich habe gehört, sie war ein ganz unartiges Mädchen.“

 

 

 

12.Dezember

Schuldig hatte die Augen geschlossen und schien geistig abwesend. Ein Zustand, an den sich seine Teamkollegen schon gewöhnt hatten. Der Telepath verbrachte manchmal Stunden damit, den Gedanken fremder Leute zuzuhören. Er sagte, es amüsiere ihn, sie mit all ihren kleinen Problemen belastet zu sehen. Etwa so, wie ein kleiner Junge vor einer Ameisenfarm saß. Ab und an nahm er ein Brennglas zur Hand und vernichtete eine von ihnen. Nur weil er es konnte. Aber dieses Mal war die gleichmütige Maske nur gespielt. In Wahrheit lauerte er darauf, dass Crawford sein Arbeitszimmer verließ. Dieses schloss das Orakel seit Neuestem ab und Schuldig wollte endlich wissen, warum das so war. Sie hatten sonst keine Geheimnisse voreinander und diese Abweichung von Crawfords Routine hatte ihn stutzig werden lassen.

 

Der gebürtige Amerikaner liebte es, Dinge immer auf die gleiche Weise zu tun. Er war geradezu besessen davon. Möglicherweise ein Nebeneffekt seiner Gabe. So wie Schuldig selbst immer ein wenig die Neigung dazu hatte, zu übertreiben. Allen und jedem zu zeigen, dass er da war, er selbst war, anders war. Als Telepath verlor er sich manchmal einfach zu sehr in den Gedanken seiner Mitmenschen. Man selbst zu sein, war wichtig. Extrem wichtig. Aber nicht so wichtig, wie herauszufinden, was Crawford vor ihm verbarg. Denn dass es hinter der Tür ein Geheimnis gab, dessen war Schuldig sich sicher. Vielleicht wurde es uninteressant, sobald er es herausgefunden hatte, aber bis dahin brachte ihn seine Neugier fast um.

 

Natürlich stand es außer Frage, Crawford danach zu fragen. Oder gar die Informationen einfach aus seinem Kopf zu holen. Es gab da diesen ungeschriebenen Codex, dass sie ihre Fähigkeiten nicht gegeneinander einsetzen. Obwohl...wenn er es recht bedachte, schien er der Einzige zu sein, der sich tatsächlich daran hielt. Nagi warf oft genug mit irgendwelchen Sachen (Kaffeemaschinen!) nach ihm, Farfarello war ein denkbar ungeeigneter Sparringpartner im Training, weil er einfach nie aufgab, selbst wenn man ihn mit mehreren Kugeln durchlöchert hatte, und wenn Crawford nicht ab und zu mal seine Zukunftsvision dazu nutze, um Schuldig einen Strich durch die Rechnung zu machen, dann wollte er ab heute Hans Christian Andersen heißen. Was also hielt ihn davon ab, einfach mal in Crawfords Gedanken nach der Lösung seines Problems zu suchen?

 

Schuldig verzog den Mund zu einem freudlosen Grinsen. Er wusste warum. Weil, wenn Crawford ihn bemerkte, er die nächsten drei Tage mit höchst unangenehmen Kopfschmerzen verbringen würde. Ungefiltert die Visionen eines Hellsehers abzubekommen, war alles anderes als angenehm. Schuldig hatte es ein paar Mal ausprobiert und für den Rest seines Lebens genug davon. Außerdem wusste Crawford immer, wenn er in seine Gedanken eindrang. Es blieb also nur die altmodische Art, die geschickte Planung und eine Haarnadel beinhaltete. Und nein, Schuldig würde niemandem verraten, warum er eine solche besaß.

 

Nach einer erfühlten Ewigkeit erbarmte sich Crawford endlich, die heiligen Hallen zu verlassen, die er sein Büro nannte.

„Ich habe noch einen Termin mit einem Kunden. Bin in drei Stunden zurück.“

„So vage heute, Orakel?“, stichelte Schuldig. „Sind es nicht viel eher zwei Stunden, 48 Minuten und 12 Sekunden?“

„Du warst auch schon mal witziger, Schuldig“, gab Crawford trocken zurück. „Kümmere dich um Farfarello und sieh zu, dass Nagi etwas zu Abend isst. Er vergisst das neuerdings.“

„Weil er im Internet nach Pornos sucht“, gab Schuldig zurück. „Der Kleine wird erwachsen.“

„Schuldig...“

Der Telepath erhob sich halb und lugte über die Sofalehne. „Jaja, ich kümmere mich. Jetzt geh los und verdien' Geld. Mama will eine neue Diamanthalskette zu Weihnachten.“

 

Der letzte Satz hatte eigentlich nur ein weiterer schlechter Witz sein sollen, aber der Ruck, der dabei durch Crawfords Miene gegangen war, war Schuldig nicht entgangen. Aha, das war interessant. Hatte er da etwa eine Schwachstelle gefunden? Einen winzigen Riss in der ach so makellosen Fassade ihres Anführers? Mhm... Leider ließ sich aus der kleinen Reaktion nicht allzu viel ablesen. Es hätte weiterer Nachforschungen bedurft, daher beschloss Schuldig, das Problem auf später zu verschieben. Erst einmal galt es, eine verschlossene Tür zu öffnen.

 

Er wartete noch, bis die Haustür hinter Crawford ins Schloss gefallen war, dann sprang er vom Sofa und eilte über den Flur zu der besagten Tür, die sich ihm so auffordernd in den Weg stellte. Er legte die Hand an das Holz und strich langsam darüber.

„Na meine Schöne, was für Geheimnis verbirgst du? Was liegt hinter deiner Unnahbarkeit? Was willst, aber kannst du mir nicht erzählen?“

Er grinste breit und hob die Haarnadel. „Wollen wir doch mal sehen, ob wir dich nicht zum Singen bringen können. Also schön: Sesam öffne dich!“

 

 

Es dauerte nicht lange, da schwang die Tür nach innen auf und gab den Blick auf Crawfords Arbeitsplatz frei. Der Schreibtisch war – wie sollte es anders sein – penibel aufgeräumt. Nichts lag herum, alles war beschriftet, katalogisiert und abgelegt.

Schuldig strich mit den Fingerspitzen über das dunkle Holz des Tisches, während er um ihn herumging. Aus irgendeinem Grund war er sich sicher, dass das, was Crawford versteckte, sich hier verbarg. Crawford hatte einfach nicht genug Fantasie, um sich ein anderes Versteck auszudenken wie beispielsweise die antike Vase, die da plötzlich in seinem Blickfeld auftauchte.

 

Augenblicke später zog Schuldig seinen Arm wieder aus der Vase.

„Ich hab´s ja gewusst. Pedantischer Bastard. Da ist nicht mal Staub drin!“

Mit einem halben Seufzen ließ er sich auf den Schreibtischstuhl sinken. Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum, bis er schließlich einfach mal versuchte, die Schublade zu öffnen, die sich darunter befand. Ganz entgegen seiner Vermutung ließ sie sich leicht öffnen. Schuldig zog sie heraus und schaute hinein.

 

Selbst hier drinnen herrschte eine genaue Ordnung. Die meisten Dinge, die sich darin befanden, waren Büromaterial. Stifte, leere Blätter, Notizblöcke, Klebezettel, Kugelschreiber. Aber ganz hinten in der Lade befand sich etwas, das nicht in das Bild passte. Es war eine kleine Schachtel und sie war, wie Schuldig verblüfft feststellte, in Geschenkpapier verpackt. Cremefarben mit grünen Tannenzweigen und lustig durch die Gegend hüpfenden Rentieren.

 

Schuldigs Augenbrauen näherten sich einander. Das sah Crawford gar nicht ähnlich. War das ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk eines Kunden? Oder hatte es Crawford für einen solchen besorgt? Wie von selbst griffen seine langen Finger nach dem Schächtelchen und zogen es hervor. Es war nicht sehr schwer und ein wenig länglich. Schuldig schüttelte es und es klapperte ganz leicht. Was also konnte darin sein? Und für wen?

Er drehte das Kästchen herum und wurde der Karte gewahr, die an der Unterseite klebte. Mit einem zufriedenen Lächeln öffnete er sie, nur um kurz darauf überrascht aufzukeuchen. Denn dort stand in Crawfords höchst eigener Handschrift sein Name: Schuldig.

 

Wie hypnotisiert starrte er auf die acht Buchstaben. Ja, es bestand kein Zweifel. Crawford hatte anscheinend tatsächlich ein Geschenk für ihn. FÜR IHN! Schuldig blinzelte und konnte es immer noch nicht glauben. Ebenfalls nicht glauben konnte er das Gefühl, das sich in seinem Bauch ausbreitete. War das etwa ein Kribbeln? War er etwa aufgeregt deswegen? Schnell steckte er die Schachtel wieder zurück in die Schublade und schloss sie mit einem lauten Knall. Die anschließende Stille ließ ihn nur umso lauter seinen eigenen Herzschlag hören.

Ja, es bestand kein Zweifel. Er war aufgeregt. Angenehm aufgeregt. Und was war eigentlich mit seinem Gesicht los? Das fühlte sich so seltsam an.

Er hob die Hand und merkte, dass seine Wange ungewöhnlich warm war. War er etwa...das war unmöglich! Er erhob sich eilig und schoss mit übermenschlicher Geschwindigkeit ins Badezimmer. Dort sah er, was er bereits befürchtet hatte. Seine Wangen zierte ein zarter Rotschimmer, der einer Jungfrau in der Hochzeitsnacht sicherlich gut gestanden hätte. Aber doch nicht ihm. Nicht Schuldig!

 

Er drehte den Wasserhahn auf und schüttete sich kaltes Wassers ins Gesicht, bis er das Gefühl hatte, diese höchst peinliche Gesichtsfärbung endlich loszusein. Danach verließ er hoch erhobenen Hauptes das Badezimmer und begab sich in die Küche, um Nagi etwas zum Abendessen zu machen und nicht mehr darüber nachzudenken, dass Crawford ein Geschenk für ihn hatte. Crawford! Für ihn!! Ha!!!

 

 

 

Als der Besitzer des Büros an diesem Abend nach Hause kam, wunderte er sich über die geöffnete Tür. Hatte er etwa vergessen abzuschließen? Sollte es tatsächlich... Er schüttelte den Kopf, als er den zurückgeschobenen Schreibtischstuhl sah. Seufzend schloss er die Tür. Also war es doch passiert. Schuldig hatte das Geschenk gefunden. Dabei würde Nagi doch erst in drei Tagen mit dem Aufsatz über Weihnachtstraditionen aus anderen Ländern nach Hause kommen. Farfarello würde ihn lesen und so begeistert von der Idee des Wichtelns, Juklapp oder Secret Santa sein, dass er alle dazu zwang, diese Tradition als Ausgleich für die bisherigen Weihnachts-Fiaskos mitzumachen. Crawford würde Schuldigs Namen ziehen und ihm somit ein Geschenk machen müssen. Es handelte sich um eine Armbanduhr, da er wusste, dass der Deutsche seine eigene irgendwann in nächster Zukunft verlieren würde. Aber natürlich hatte Schuldig nicht abwarten können. Er war wie eine Katze eben immer auf der falschen Seite der Tür. Schloss man diese ab, konnte man sicher sein, dass er hindurch wollte, koste es, was es wolle. Immerhin hatte er sich selbst nicht die Überraschung verdorben und das Geschenk geöffnet. Crawford selbst wusste natürlich schon, dass er eine Krawatte von Nagi bekommen würde. Wichteln war einfach so öde, wenn man die Zukunft voraussehen konnte.

 

 

 

13.Dezember

„Wage es ja nicht!“

Yojis Hand schwebte unschlüssig über der Schüssel mit den Weihnachtsplätzchen. Als er jedoch Kens blitzeschleudernden Blick unter eng zusammengezogenen Augenbrauen sah, zog er sie langsam wieder zurück. Verrückte sollte man ja nicht noch zusätzlich reizen.

„Ich habe den ganzen Morgen in der Küche gestanden und die Dinger ausgestochen, Yoji!“, bellte der Athlet und riss die Schüssel mit den bunter verzierten Köstlichkeiten an sich. „Aber die sind nicht für dich, du Vielfraß. Die sind für die Kunden! Wenn du Plätzchen essen willst, back dir gefälligst selber welche!“

Yoji wollte gerade antworten, als hinter ihm jemand die Treppe hinunter polterte. Nur Sekunden später stürmte Omi in den Laden. Er hatte ein schief zugeknöpftes Hemd an, die Wintermütze saß schief auf dem Kopf und seine Jacke hing halb herunter, weil er versuchte, sich gleichzeitig anzuziehen und den Rucksack umzuschnallen.

„Bin spät dran!“, verkündete er überflüssigerweise. „Oh, du hast dran gedacht. Danke, Ken!“

Bevor einer der beiden im Blumenladen Stehenden reagieren konnte, hatte sich Omi die Schüssel mit den Plätzchen geschnappt und war mit einem fröhlichen „Bis heute Abend!“ zur Tür hinaus gestürmt.

 

Wie vom Donner gerührt sah Ken auf die halb geöffnete Tür, durch die der Wind jetzt leise rieselnde Schneeflocken hereinwehte. Die eintretende Kälte rief Aya auf den Plan. Mit gerunzelter Stirn schob er die Tür wieder zu.

„Ihr solltet darauf achten, dass die Tür geschlossen bleibt. Die Kälte tut den Blumen nicht gut.“

„Aber Aya...“ Yoji hob an, sich zu verteidigen. Er kam jedoch nicht weit, denn jetzt kam wieder Leben in Ken.

„Hat der sie nicht alle?“, platzte es aus dem Fußballer heraus. „Der kann doch nicht alle Plätzchen mitnehmen. Was glaubt er denn, wer er ist?“

„Derjenige, dem du gestern versprochen hast, Plätzchen für seine Probe heute Vormittag zu backen“, erwiderte Aya seelenruhig und fing an, die Pflanzen zu wässern. „Du hast gemeint, du machst einfach ein paar mehr.“

„Ja ein paar“, jaulte Ken gequält auf. „Aber doch nicht alle! Jetzt muss ich ja wieder von vorne anfangen!“

Yoji klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Du schaffst das schon, Kennilein. Bist doch unser Meisterbäcker.“

Ken murmelte noch etwas Unfreundliches und nahm dann die Schürze des Blumenladens ab, um diese wieder mit der Küchenschürze zu vertauschen, die er sich von Momoe-San geliehen hatte. Er konnte nur hoffen, dass Yoji das nicht auch noch mitbekam. Wenn er Ken mit dem weißen, rüschenbesetzten Teil erwischte, würde er ihn das die ganze Weihnachtszeit nicht vergessen lassen. Und danach vermutlich auch nicht.

 

 

Schwitzend zog Ken das heiße Blech mit den Plätzchen aus dem Ofen. Die letzte Ladung war ein bisschen braun geworden, aber wenn er ordentlich Zuckerguss draufschmierte, würde das wohl keiner merken. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und drückte den Rücken durch. Diese ganze Backerei war echt anstrengend. Aber nur keine Müdigkeit vorschützen. Jetzt galt es noch die Verzierungen anzubringen, dann war er endlich fertig.

Er hatte die neue Schüssel mit Plätzchen kaum auf dem Ladentisch platziert, als sich die Ladentür mit stürmischen Gebimmel öffnete. Herein stürmte eine ganze Horde Schulmädchen. Als sie den mehlbestäubten Ken und seine Plätzchen erblickten, stürzten sie sich auf ihn und Bäcker und Kekse verschwanden unter einem schnatternden Haufen von Schuluniformen.

 

Nur mit Mühe und unter dem Einsatz aller seiner Backwerke kam Ken schließlich zerzaust aber lebend davon. Mit einem lauten Seufzen ließ er sich an der Tür zum Laden hinab sinken und sah mit betrübten Blick auf die Schüssel, in der nur noch ein paar einsame Krümel lagen.

„Also auf ein Neues“, stöhnte er und wankte noch ein wenig benommen die Treppe hinauf. Er hoffte nur, dass er noch genug Eier da hatte. Zimtsterne würde er wohl nicht nochmal machen. Am besten wich er auf Rollenplätzchen aus. Die gingen am schnellsten.

 

Gähnend kam Ken mit der wieder gut gefüllten Schüssel voller frischer Plätzchen die Treppe hinunter, als er schon das laute Schluchzen hörte, das aus dem Laden zu ihm herauf drang. Als er den Laden betrat, sah er auch, woher das Weinen kam. Mitten im Laden stand Sakura, der dicke Tränen über die Wangen liefen. Yoji versuchte gerade, sie zu beruhigen, während Aya mit grimmiger Miene daneben stand. Als er Ken und die Plätzchen erblickte, hellte sich seine Miene ein wenig auf. Was in Ayas Fall bedeutete, dass sich seine Augenbrauen nicht mehr ganz berührten. Sein Mund blieb vollkommen unbeteiligt.

Ken, der das Mienenspiel trotzdem bemerkt hatte, machte vorsichtig einen Schritt rückwärts und legte schützend den Arm um die Schüssel mit den Plätzchen.

„Was ist hier los?“, fragte er vorsichtig und fluchtbereit.

„Sakura wollte Geld für den Erhalt ihrer Laufmannschaft sammeln und jetzt sind die Sachen, die sie dafür gefertigt hatte, gestohlen worden.“

Ken machte noch einen Schritt rückwärts. „Was für Sachen?“

„Plätzchen.“ Das Wort schwebte zwischen Aya und Ken wie ein scharfes Schwert. Es war nur die Frage, wer zuerst danach greifen würde.

Yoji, der von dem sich anbahnenden Drama nichts bemerkt zu haben schien, schob Aya zur Seite.

„Ken, du musst Sakura welche von deinen Plätzchen abgeben. Wir können sie doch nicht so wieder nach Hause schicken.“

 

Ken war drauf und dran den Kopf zu schütteln. Er hatte heute schon die dritte Fuhre Kekse gebacken. Er war müde, ihm tat der Rücken weh und wenn er noch ein einziges Tütchen Vanillezucker aufmachen musste, würde er einen Schreikrampf bekommen. Nein wirklich: Was zu viel war, war zu viel. Aber dann fiel sein Blick auf Sakuras große, tränenverschleierte Augen und er spürte, wie ihm warm wurde und sein Herz zu klopfen begann. Wie von selbst gaben seine Hände die Plätzchenschüssel an Yoji weiter und er hörte sich selber sagen:

„Nimm nur alle. Ich kann ja neue backen.“

 

Sakuras Gesicht hellte sich augenblicklich auf und sie nahm vor Ken Aufstellung.

„Vielen, vielen Dank, Ken. Das werde ich dir nie vergessen“, sagte sie mit einer tiefen Verbeugung. „Ich schwöre, wenn ich dir einmal aus der Klemme helfen kann...“

„Ach schon gut“, winkte Ken ab und kratzte sich verlegen im Nacken. „Ist wirklich nicht der Rede wert.“

 

Als Sakura mit den Plätzchen zur Tür hinaus verschwunden war, fühlte Ken Ayas Blick auf sich ruhen. Der rothaarige Weiß-Anführer nickte ihm zu.

„Danke, Ken“, sagte auch er, bevor er sich umdrehte und wieder im Nebenraum verschwand.

Ken sah ihm eine Weile nach, bis er plötzlich hinter sich ein Glucksen hörte. Er wurde lauter und lauter, bis Yoji nicht mehr an sich halten konnte. Er lachte lauthals los.

Ken, der immer noch leicht benebelt war, drehte sich herum und sah ihn verständnislos an.

„Was ist los? Was ist so komisch?“

„Die Schü...die Schü...die Schürze!“, brachte Yoji schließlich hervor und hielt sich vor Lachen den Bauch. Ken sah an sich herab und stöhnte laut auf. Natürlich. In der ganzen Aufregung hatte er vergessen, die weiße Schürze abzunehmen. Er schloss ergeben die Augen.

„Ich gehe dann mal wieder backen“, murmelte er und schlich von Yojis lautem Gelächter begleitet die Treppe zur Wohnung hinauf. Vielleicht hatte er ja Glück und der Backofen explodierte endlich unter der Dauerbelastung. Das würde ihm immerhin einiges an Peinlichkeit ersparen.

 

 

 

 

14.Dezember

Omi sprühte gerade eine Extralage glitzernden Kunstschnee auf einen Weihnachtsstern, als sich die Tür hinter ihm öffnete und Yoji auf der Bildfläche erschien. Automatisch sah Omi auf die Uhr und wunderte sich. Normalerweise betrat der große Blonde den Laden nicht vor zehn oder gar halb elf. Heute jedoch war der große Zeiger noch nicht mal besonders weit von halb zehn abgerückt, als sie Yoji bereits mit seiner Anwesenheit beehrte. Als Omi sich zu ihm umdrehte, erkannte er auch sofort, woran das lag. Oh Himmel, nein! War es schon wieder so weit? Na das konnte ja lustig werden.

 

Er sah sich nach Ken um und gab ihm mit dem Kopf ein Zeichen. Der Fußballer blickte von Omi zu Yoji und bekam große Augen. Möglichst unauffällig stellte er seine Gießkanne ab und gab sich dann betont unbeteiligt, während er sich auf Omis Seite des Ladens zu bewegte. Wie angespannt er dabei war, merkte Omi erst, als Ken neben ihm schnaufend ausatmete.

„Ob wir den Laden abschließen sollten?“, fragte Omi vorsichtig. Aus den Augenwinkeln beobachtete er immer noch Yoji, der sich jetzt die kleine Leiter geholt hatte, die Omi immer benutzte, wenn er etwas oben aus den Regalen herunterholen musste. Normalerweise kam Yoji ohne aus, doch das, was er in Händen hielt, konnte auch der Größte aus ihrem Team nicht ohne Hilfestellung an der Decke anbringen.

 

Kaum hatte er einen Fuß auf die metallene Trittfläche gesetzt, öffnete sich die Tür zum Gewächshaus und Aya trat heraus. Sein Blick fiel auf den inzwischen oben auf der kleinen Leiter befindlichen Yoji und das Ding, das er in seinen Händen hielt. Der ohnehin nicht besonders freundliche Blick ihres Anführers wurde noch um drei Grad kälter, als er immerhin die Rosenschere beiseite legte, bevor er den Laden betrat und direkt auf Yoji zusteuerte.

 

„Uuuuund es geht los“, kommentierte Ken, der es sich inzwischen auf dem Ladentisch gemütlich gemacht hatte. „Ring frei zur ersten Runde. Aufschlag Fujimiya.“

 

„Yoji!“, bellte Aya so laut, dass Yoji zusammenzuckte. „Was machst du da?“

„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Aya“, grinste Yoji von oben herunter. „Und was ich mache, siehst du doch. Ich hänge einen Mistelzweig auf.“

„Und warum?“ Aya stemmte die Hände in die Hüften und sah mit funkensprühendem Blick zu Yoji hinauf.

Yoji rollte mit den Augen. „Warum wohl? Ich denke, du bist über diesen Brauch hinreichend informiert. Wenn sich zwei Leute unter dem Mistelzweig begegnen, müssen sie sich küssen.“

Aya schien das nicht zu interessieren. „Ich erlaube so einen Blödsinn hier im Laden nicht“, verkündete er und streckte verlangend die Hand nach dem Mistelzweig aus.

 

„Pass auf“, flüsterte Ken Omi ins Ohr. „Jetzt kommt gleich der Heuler.“

 

„Aber Aaaayyaaaa“, jaulte Yoji auch wie angekündigt auf und hielt den Zweig noch ein wenig höher. „Ich brauche diesen Zweig. Weißt du eigentlich, wie viele Dates ich in letzter Zeit absagen musste, weil wir ständig nachts unterwegs sind? Und dann dieser Schnee. Ich habe ein echtes Defizit an weiblicher Zuwendung, wenn man mal von der Befehle bellenden Manx absieht. Aber selbst die trägt bei dieser Kälte momentan lange Hosen. Das kannst du mir nicht antun.“

 

„Es folgt das Steingesicht“, erklärte Ken sachlich und reichte Omi einen Weihnachtskeks. Angesichts der Lage wollte er mal nicht so sein.

 

Aya Miene verdüsterte sich. „Ich kann und ich werde. Es reicht, dass die albernen Schulmädchen uns trotz des Wetters jeden Tag den Laden verstopfen und die zahlende Kundschaft verdrängen. Jetzt willst du sie auch noch ermuntern, indem du diesen Zweig aufhängst? Sie werden sich in Scharen darunter versammeln. Mit gespitzten, glänzenden Lippen darauf wartend, dass sie jemand küsst. Und dann werden sie...“

Aya sprach nicht weiter, aber er erschauerte sichtlich.

 

„Oha, das war eine Steilvorlage“, urteilte Ken zwischen zwei Keksbissen. „Mal sehen, ob Yoji verwandeln kann.“

 

„Du hast es also bemerkt?“, fragte Yoji mit einem breiten Grinsen nach. „Ich wusste, dass du gar nicht so ein eiskalter Hund bist, Aya. Gib zu, die eine oder andere der jungen Damen hätte dir schon zugesagt. Wenigstens eine von denen, die schon volljährig sind. Na los, gib es zu! Oder stehst du etwa auf Schulmädchen?“

Ayas Augen blitzten wütend auf. „Es würde mir nicht im Traum einfallen, eines der Mädchen zu küssen.“

Yoji beugte sich zu Aya herunter, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. „Und ich sage, du lügst.“ Er wedelte mit dem Mistelzweig vor Ayas Nase herum, den er inzwischen mit einem roten Band an der Decke befestigt hatte .

„Gib das her!“, fauchte Aya und griff nach dem Zweig. Stattdessen erwischte er Yojis Arm und zerrte ihn fast von der Leiter.

„Hey, was soll das?“, kreischte Yoji und versuchte mühsam, das Gleichgewicht zu halten. „Ich falle hier noch runter. Lass sofort los!“

 

„Oh, ein grobes Foul“, lachte Ken und schob sich noch einen Keks in dem Mund. „Wenn Aya nicht aufpasst, wird das hier gleich zum Vollkontakt-Sport.“

 

„Gib mir den Zweig!“

„Nein!“

„DOCH!“

„Komm und hol ihn dir, wenn du dich traust.“

„Yoji!“

„Aya!“

 

Während Ken sich vor Lachen fast ausschütten wollte, legte Omi die Stirn in Falten.

„Weißt du, was ich mich frage, Ken?“, sagte er zu seinem Freund.

„Nein, was denn?“, wollte Ken wissen, während er Yoji und Aya dabei beobachtete, wie sie sich im Kampf um den Mistelzweig inzwischen eine handfeste Keilerei lieferten.

„Ich frage mich, ob Yoji das eigentlich mit Absicht macht, um Aya zu provozieren.“

Ken hörte auf zu lachen und sah Omi mit einem irritiertem Gesichtsausdruck an. „Warum sollte er das tun? Ich meine, manchmal tut Yoji nicht besonders schlaue Sachen, aber ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass er lebensmüde ist.“

„Ach ich weiß nicht, war nur so ein Gedanke“, murmelte Omi und sah wieder hinüber zu den zwei älteren Mitgliedern von Weiß.

 

 

Yoji hatte Aya inzwischen niedergerungen und hielt ihn mithilfe seiner langen Beine am Boden fest. Dann setzte er sich auf Ayas Rücken, hob die Fäuste in Siegerpose und rief:

„Seht nur, ich habe einen Elch erlegt. Einen riesigen, stinkenden, schwitzenden Elch!“

Aya nutzte den Moment der Abgelenktheit, um Yoji von seinem Rücken zu werfen und ihn nun seinerseits an den Boden zu nageln. Keuchend hielt er den anderen unter sich fest.

„Nachlässigkeit ist ein großer Feind, Yoji. Vor allem deiner.“

Yoji sah zu Aya auf, dann wich die Spannung aus seinem Körper. Er grinste den anderen Weiß von unten herauf an. „Ein Dummkopf wird nur durch seinen Tod geheilt.“

Aya hob fragend eine Augenbraue. „War das ein Wunsch oder ein Versprechen?“

„Vielleicht ein bisschen von beidem“, gab Yoji zurück. Er schielte an Aya vorbei nach oben. „Aber weißt du was? Wir beide liegen gerade unter dem Mistelzweig. Also wie sieht es aus mit deinem Traditionsbewusstsein? Ein Küsschen in Ehren kann niemand verwehren.“

Yoji schloss die Augen und spitzte die Lippen. Im nächsten Augenblick war das Gewicht von seinem Brustkorb verschwunden und er hörte eine Tür klappen. Als er die Augen wieder öffnete, war er allein mit Omi und Ken, die ihn kopfschüttelnd betrachteten.

„Was denn?“, fragte der Playboy grinsend und kam auf die Füße. „Hat doch auch dieses Jahr wieder hervorragend geklappt. Mistelzweig hängt. Misson erfüllt.“

Pfeifend verschwand er im hinteren Teil des Ladens, um sich seine Schürze zu holen. Immerhin würde bald die erste, hoffentlich weibliche Kundschaft auftauchen und dann... ja dann sollten sie sich nur vor Yoji Kudo und seinem Mistelzweig in acht nehmen! Haha!

 

 

 

15.Dezember

Über ihm schwebte ein Ozean aus Lichtern. Einige bunt, andere nur weiß, aber allesamt blendend in ihrer Anzahl und Helligkeit. Darunter lag ein Meer aus Köpfen. Dicht aneinander gedrängt schoben sie sich zwischen den übervollen Ladentischen hindurch, ein jeder versunken in seine eigenen, überlauten Gedanken, die die Atmosphäre verpesteten und gegen den Geist des Telepathen an seiner Seite drückten, in ihn hinein diffundierten und ihn...veränderten. Anders konnte Farfarello sich nicht erklären, warum Schuldig mit leuchtenden Augen und leichte gerötetem Gesicht auf das Chaos in einem der größten Kaufhäuser Tokios blickte und sich freute wie ein Schneekönig. Nicht, dass Farfarello etwas gegen Chaos gehabt hätte. Im Gegenteil. Er ergötzte sich durchaus an einer desorientierten Menschenmenge oder einer wohlorganisierten, durch scharfe Messer, Schusswaffen und Sprengstoffe hervorgerufenen Massenpanik, aber dieser gewollt-fröhliche Shopping-Wahnsinn...nein. Die Faszination dafür entzog sich seinem Horizont.

 

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“, fragte er daher schon zum dritten Mal, seit sie das Kaufhaus vor drei Minuten betreten hatten.

Schuldig rollte mit den Augen. „Ich sagte dir bereits, es ist essentiell, eine Prise Zufall in mein Vorhaben zu mischen. Sonst merkt Crawford doch gleich, was ich vorhabe. Nein, wir müssen uns dem Strom der Massen ergeben und uns dorthin treiben lassen, wo er uns hinverschlägt. Und dort werde ich dann ein Geschenk auswählen.“

Farfarello zweifelte nicht daran, dass dieser Plan tatsächlich funktionieren könnte. Immerhin arbeiteten Schuldig und Crawford schon lange zusammen. Der Teil, der ihn an diesem Plan störte, war die Tatsache, dass Schuldig Crawford überhaupt etwas schenken wollte. Woher dieser plötzliche Einfall - oder besser gesagt Anfall - von Nächstenliebe kam, hatte Schuldig ihm nicht sagen wollen. Er hatte nur gemeint, dass es wichtig war, dass er ein Geschenk besorgte und zwar so, dass Crawford es nicht mitbekam. Also standen sie nun hier in der gleißenden Weihnachts-Vorfröhlichkeit und ließen sich, wie Schuldig es genannt hatte, treiben.

 

Vorbei an glänzenden Topfsets, feiertäglichen Verkleidungen, Bergen von Spielzeug, Puppen, Plüschtieren und Computerspielen, allerlei Elektronikartikeln, Kameras, Handys, Handtaschen, Regenschirmen mit kleine Katzen ohne Mund darauf, Parfüm, Süßigkeiten und nicht zuletzt alles für das Herz des verwöhnten Haustiers, bis sie schließlich in der Abteilung für Unterwäsche landeten. Kaum waren sie dort angekommen, stürmte eine kleine, eifrige Verkäuferin auf sie zu.

„Einen wunderschönen Guten Tag, die Herren!“, rief sie zwitschernd mit einer tiefen Verbeugung und richtete ihre sternchenverhangenen Augen auf Schuldig. „Kann ich Ihnen irgendetwas bestimmtes zeigen? Wünschen Sie etwas für ihre Freundin oder...“, sie warf einen langen Blick auf Farfarello, „Ihren Freund?“

 

Farfarello blieb für einen Augenblick der Mund offenstehen. Es kam selbst hier im Land des Lächelns nicht oft vor, dass die Leute jemanden, der sich in schwarzes Leder kleidete und eine Augenklappe trug, mit so ausgesuchter Freundlichkeit begegneten. Die Andeutung allerdings, dass er und Schuldig ein Paar wären, ließ seine Mundwinkel unter einem nur mühsam zurückgehaltenen, hysterischen Lachen zucken.

'Was denkt sie?', richtete er eine unausgesprochene Frage an Schuldig, aber der hatte ihn entweder nicht gehört oder zog es vor, ihn zu ignorieren. Stattdessen setzte er ebenfalls ein charmantes Lächeln auf. Es war faszinierend, wie wandelbar das Gesicht des Deutschen war. Manchmal sah man ihn ihm den Teufel, der er war. Aber oft genug verbarg er sein Gesicht hinter der Maske eines Engels. Eines Engels, der mit süßen Worten zu verzaubern wusste.

„In der Tat suche ich etwas für meinen Freund“, sagte er gerade und zwinkerte der kichernden Verkäuferin zu. „Allerdings ist das nicht mein Begleiter. Mein Freund ist groß und dunkelhaarig. Amerikaner, breit gebaut, aber nicht zu muskulös, athletisch, eine echte Augenweide. Ich würde ihn gerne überraschen, aber ich weiß nicht so recht, was ihm gefallen würde.“

Die Verkäuferin, deren Wangen sich ein wenig gerötet hatten, verschwand mit einer kleinen Verbeugung und dem Versprechen, etwas Passendes herauszusuchen. Schuldig leckte sich über die Lippen und fing dabei Farfarellos Blick auf.

'Was?', fragte er irritiert.

'Du leuchtest', gab Farfarello zurück. 'Was hast du vor? Willst du sie umbringen? Sie dazu bringen, sich aus dem Fenster zu stürzen oder etwas in der Art?'

Schuldig runzelte die Stirn. 'Nein, du blutrünstiges Monster. Ich versuche, ein Geschenk zu kaufen. Das sagte ich doch bereits.'

'Für deinen Freund?' Farfarello versuchte, möglichst viel Betonung auf das letzte Wort zu legen, damit Schuldig ihn auch richtig verstand. Nicht, dass das bei dieser Art von Kommunikation nötig gewesen wäre, aber er war sich nicht sicher, ob nicht er momentan derjenige mit der besseren, geistigen Gesundheit war.

'Sie hatte ein paar sehr interessante Assoziationen dazu', gab Schuldig ausweichend zurück. 'Ich dachte mir, es könnte nicht schaden, ihr immerhin die richtigen Bilder dazu zu liefern.'

'Bilder von dir und Crawford?'

 

Schuldig zuckte nicht mit der Wimper, aber Farfarello wusste trotzdem, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Ein kalter Schauer überlief ihn. Er schluckte langsam und seine Finger tasteten nach dem Messer in seiner Tasche. Er brauchte jetzt etwas, um sich zu beruhigen. Das war...das würde alles verändern. Er war zwar nicht mit der Gabe der Zukunftssicht gesegnet, aber er musste auch kein Hellseher zu sein, um zu erkennen, dass daraus nichts Gutes entstehen konnte. Sie waren ein gutes Team. Ein effektives Team. Eine derartige Entwicklung würde die Dynamik zwischen ihnen total verändern. Das musste er auf jeden Fall verhindern. Vor allem, da er sah, mit was die Verkäuferin jetzt wiederkam. Lächelnd hielt sie eine eng geschnittene, schwarze Unterhose nach oben.

„Dieses Modell wird sehr gerne genommen. Es ist wie geschaffen für den Mann von Welt. Wir haben natürlich auch noch Stringtangas oder Boxershorts im Angebot, wenn das eher Ihren Vorlieben entspricht? Ansonsten haben wir im Kellergeschoss auch noch eine Abteilung mit...speziellen Angeboten.“

Sie hatte den Anstand, bei dieser Aussage ein wenig zu erröten. Schuldig hingegen starrte das schwarze Stück Stoff in ihren Händen an und Farfarello war sehr froh, nicht über die Gabe der Gedankensicht zu verfügen. Er war sich nicht sicher, ob er sehen wollte, woran Schuldig gerade dachte. Er würde doch nicht wirklich...

„Sie ist perfekt“, sagte er mit einem breiten Lächeln. „Ich nehme sie.“

„Wünschen sie noch eine Individualisierung? Wir könnten die Initialen Ihres Freundes einsticken lassen?“

„Nein, das wird nicht notwendig sein. Es muss vor allem schnell gehen. Könnten Sie sie bitte gleich in Geschenkpapier einpacken?“

Die Verkäuferin verabschiedete sich erneut mit einem Lächeln und einer Verbeugung und bat sie, schon einmal zur Kasse zu gehen. Sie würde das Geschenk dorthin bringen.

Farfarello verfolgte das Ganze mit einem dumpfen Brüten, während er hinter dem beschwingt einher schreitenden Schuldig herlief. Das hier gefiel ihm ganz und gar nicht. Irgendetwas musste ihm einfallen, um zu verhindern, dass sich der Telepath total lächerlich machte. Er hatte nur leider keinerlei Idee, wie er das anstellen sollte.

 

 

 

Als sie nach Hause kamen, warf Schuldig Schal und Mantel von sich und schlüpfte eilig aus seinen Schuhen. In den Händen hielt er die kleine Tüte mit dem Geschenk. Er fühlte, dass seine Handflächen leicht feucht waren und sein Herz schneller schlug als normal. Er war ohne Zweifel aufgeregt. Würde es ihm gelingen, Crawford zu überraschen? Würde der sich über das Geschenk freuen? Würde er...vielleicht...nicht, dass Schuldig damit rechnete. Immerhin war das hier Brad Crawford. Ein berechnender, eiskalter, manipulativer Bastard. Und außerdem sein Boss. Aber auch ein griesgrämig-unnahbarer Vorgesetzter konnte mal einen guten Tag haben, oder nicht?

 

Mit der Tüte in der Hand machte er sich auf den Weg zum Arbeitszimmer. Er spürte, dass Crawford da war. Sein Bewusstsein war anders als das der meisten Menschen. Er hatte Schuldig vom ersten Tag, an dem sie sich begegneten, fasziniert. Gut, am Anfang hatte sie sich ziemlich die Köpfe eingeschlagen, aber es war bald klar gewesen, dass sie einander gut ergänzten. Und dass Crawford ihm überlegen war. Nun, vielleicht nicht überlegen. Aber er wusste besser als andere, was Schuldig brauchte. Manchmal besser als er selbst. Wenn Crawford nicht gewesen wäre...

Aber das war jetzt unwichtig. Wichtig war, dass er jetzt hier mit schweißnassen Händen und aufgeregt wie ein Schuljunge vor der Tür seines Bosses stand und ein Weihnachtsgeschenk für ihn hatte. Er hob die Hand, doch seine Finger blieben einige Zentimeter über der Klinke in der Luft schweben.

Was, wenn das Geschenk Crawford nicht gefiel? Wenn er ihn auslachte oder das Geschenk als nebensächlich abtat? Wenn er es gar ignorierte oder für später beiseite legte? Nein, das würde Schuldig nicht ertragen. Ignoriert zu werden war mit das Schlimmste, was der Telepath sich vorstellen konnte. Andererseits war Schuldig niemand, den man so leicht ignorierte. Wenn er wollte, dann bekam er die Aufmerksamkeit, die ihm zustand. Auch von Brad Crawford, eiskaltem Boss-Bastard extraordinär. Er straffte die Schultern und griff wieder nach der Türklinke. In diesem Moment gellte ein wütender Schrei durch das Haus.

 

„Gib das her!“ Nagis Stimme überschlug sich förmlich und brachte die Scheiben zum Erzittern. Wobei das vielleicht nicht nur an seiner Stimme lag. Noch bevor Schuldig reagieren konnte, wurde Crawfords Bürotür geöffnet und der Amerikaner stürmte an Schuldig vorbei in Richtung Wohnbereich. Schuldig überlegte nicht lange und folgte ihm auf dem Fuße, die Geschenktüte immer noch in der Hand.

Als sie das Wohnzimmer erreichten, das im hinteren Bereich in eine offene Küche überging, bot sich ihnen ein eigenartiges Bild. Ein wutschnaubender Nagi stand vor Farfarello, der, vom Zorn seines Gegenübers völlig ungerührt, ein Schulheft über seinen Kopf hielt und darin zu lesen schien. Sein eines, bernsteinfarbenes Auge glitt über die Zeilen und auf seinen bleichen Lippen lag ein feines Lächeln.

„Gib das sofort zurück“, echauffierte sich Nagi weiter. Da er kleiner war als Farfarello, kam er auch mit ausgestrecktem Arm nicht an das Heft heran. „Das sind meine Hausaufgaben!“

Farfarello, der offensichtlich genug gelesen hatte, senkte den Arm wieder und Nagi riss das Heft an sich. Mit einem bösen Funkeln unter den braunen Stirnfransen sah er hinein, als wolle er kontrollieren, ob Farfarello nicht vielleicht einen Scherenschnitt aus seinem Aufsatz gemacht hatte. Der Ire hingegen strahlte jetzt über das ganze Gesicht.

 

„Wichteln!“, rief er fröhlich. „Wir werden wichteln!“

Crawford seufzte neben Schuldig und murmelte etwas Unverständliches. Der Telepath sah von einem zum anderen.

„Was? Wovon redet ihr?“ Er hasste es, wenn er außen vorgelassen wurde.

„Ein Weihnachtsbrauch“, ließ sich Nagi zu einer Erklärung herab. „Man schreibt die Namen aller Beteiligten auf kleine Zettel und zieht dann den Namen desjenigen, für den man ein Geschenk besorgen muss. Total dämlich. Wir müssen das in der Klasse machen. Und einen Aufsatz über Weihnachtsbräuche aus aller Welt schreiben. Wirklich. Ich hasse Weihnachten!“

„Aber wir wichteln“, behauptete Farfarello wieder und schien damit offensichtlich sehr zufrieden.

Crawford seufzte wieder. „Natürlich. Wir wichteln“, bestimmte er nun.

Schuldig und Nagi sahen ihn beide mit dem gleichen, entsetzten Gesichtsausdruck an. „Ist das dein Ernst?“, fragten sie unisono.

„Mein voller Ernst“, gab Crawford glatt zurück. „Nagi, du machst die Zettel. Wir losen es jetzt gleich aus. Und dann ist bitte endlich Schluss mit diesem Weihnachts-Unsinn.“

 

Schuldig schluckte leise und ließ unauffällig die Tüte hinter seinem Rücken verschwinden. Anscheinend war es doch keine so gute Idee gewesen, Crawford ein Geschenk zu besorgen. Obwohl...wenn er Glück hatte, zog er vielleicht Crawfords Namen...

 

 

Mit gerunzelter Stirn sah Schuldig auf den kleinen Zettel in seiner Hand. Wie er mitbekommen hatte, hatte Crawford offensichtlich ihn gezogen. Das verdammte Orakel hatte das bestimmt gewusst und nur deswegen ein Geschenk für ihn besorgt. Und er hatte sich eingebildet...Er war so ein Idiot! Und jetzt saß er hier und musste ein Geschenk für Farfarello besorgen. Er schickte dem Iren einen bösen Blick.

'Hast du das gewusst?', grollte er in Gedanken.

'Nein“, gab Farfarello ebenso zurück. Es war erstaunlich, dass seine Stimme sogar auf telepathischen Weg immer ein wenig heiser klang. 'Aber sieh es doch mal so: Du brauchst nicht noch einmal einkaufen zu gehen.'

Schuldig hob die Augenbrauen. 'Und warum das nicht?“

Farfarellos Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. 'Weil ich total gut in Schwarz aussehe.“

 

 

 

16.Dezember

„Kommt nicht infrage, ich war schon die letzten drei Tage dran.“ Entschlossen verschränkte Ken die Arme vor der Brust und machte ein finsteres Gesicht.

Mit einem breiten Lächeln wandte sich Yoji an Aya. Der begrüßte den gewinnenden Ausdruck im Gesicht des Playboys mit einem Eisblick.

„Vergiss es, Kudo. Ich übernehme sicherlich nicht deine Pflichten. Hier ist jeder mal dran.“

Yoji sackte in sich zusammen und nur der Schneeschieber in seinen Händen hinderte ihn daran, vollkommen zu Boden zu gleiten.

„Ihr wisst ja nicht, was ihr mir damit antut“, jammerte er lautstark. „Ich bin einfach nicht für körperliche Arbeit geschaffen. Außerdem ruiniert die Kälte mein anbetungswürdiges Äußeres. Allein die aufgesprungenen Lippen sind schon ein schweres Vergehen, aber dazu noch die rauen Hände. So lässt mich doch keine mehr ran. Das ist ja, als würde man die zarte, weibliche Haut mit Schleifpapier bearbeiten. Bei Kens Bauarbeitercharme mag das ja noch angehen, aber ein Yoji Kudo hat da so seinen Standards. Ihr könnt mich nicht zum Schnee schippen verdonnern. Das verstößt gegen das Gesetz.“

„Gegen welches?“, wollte Aya kühl wissen.

Yoji wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als eine helle Stimme ihm zuvorkam.

„Ich könnte das übernehmen.“

 

Die drei drehten sich herum und sahen Omi, der gerade die Treppe hinuntergekommen war. Yojis Miene hellte sich augenblicklich auf.

„Omi, dich schickt der Himmel. Hier ist der Schneeschieber.“

Er wollte das Gerät gerade weiter reichen, als ihm etwas auffiel. Er musterte Omi von oben bis unten. Der Junge hatte lediglich eine knielange Hose und ein T-Shirt an.

„So willst du raus? Du wirst dir den Tod holen. Wo sind deine Wintersachen?“

Omis Nase bekam einen verdächtigen Rosaton und auch der Blick, den er Aya unter seinen Ponyfransen hervor zukommen ließ, entging Yoji nicht. Irgendetwas ging hier vor, aber bevor er fragen konnte, hatte Omi schon nach dem Schneeschieber gegriffen.

„Das macht mir nichts aus. Ich habe ja noch meine Jacke. Außerdem wird mir bestimmt sonst viel zu warm, wenn ich mich so anstrengen muss. Also lass mich nur machen.“

Er hatte schon wieder sein Omi-Lächeln auf dem Gesicht und von der kurzen Spannung, die gerade in der Luft gelegen hatte, war nichts mehr zu merken. Trotzdem warf Yoji Aya noch einen misstrauischen Blick zu. Der reagierte so, wie er immer reagierte. Er drehte sich um und ging. Mit einem Kopfschütteln machte sich Yoji daran, sich wenigstens im Laden ein wenig nützlich zu machen. Er hatte das Gefühl, dass er Omi das irgendwie schuldete.

 

 

Draußen presste Omi die Kiefer aufeinander und fasste den Schneeschieber fester.

„Ich schaffe das“, knurrte er leise und begann, die Schneemassen beiseite zu schaufeln, die sich in der Nacht schon wieder vor dem Laden aufgetürmt hatten. Die Kälte stach auf seiner bloßen Haut und binnen kürzester Zeit begann seine Nase zu laufen. Aber er würde nicht aufgeben. Und schon gar nicht würde er irgendjemandem verraten, dass er heute Morgen seine Wintersachen auf einem großen Haufen vor seiner Zimmertür gefunden hatte. In fein säuberliche, schmale Streifen geschnitten. Es war offensichtlich, dass jemand dazu eine sehr scharfe Klinge benutzt hatte. Jemand, der sehr präzise mit so einer Klinge umgehen konnte.

Er seufzte und hoffte, dass Ayas Zorn, wenn er seine Strafe geduldig ertrug, irgendwann verraucht sein würde. Bis dahin würde er eben die Zähne zusammenbeißen und in kurzen Hosen durch den Winter laufen. Es konnte sicherlich schlimmeres geben, auch wenn ihm so spontan nichts einfallen wollte.

 

 

17.Dezember

Kirschenbaum, Kirschenbaum!

Deiner Blüten rosa Traum

duftet übers Land so weit,

Frühlingshimmel wölbt sich breit,

kleine Wolke schwebt im Blau.

Komm mit mir, komm mit mir, komm mit mir und schau.“

 

Kichernd stoben die kleinen Mädchen auseinander, um unter lauten „Sakura! Sakura!“-Rufen durch den Park zu laufen. Ihr Mütter riefen ihnen noch nach, dass sie vorsichtig sein sollten, aber mit einem Lächeln auf den Gesichtern und ebenso leuchtenden Augen wie ihre Töchter, die durch die rosa Blütenpracht der blühenden Kirschbäume tollten. Überall saßen und standen die Menschen und ergötzten sich an der alljährlich wiederkehrenden Feierlichkeit, dem Hanami, das dieses Jahr schon früh im März stattfand.

 

Zwischen den vielen Einheimischen und den fast ebenso zahlreichen Touristen wanderten auch zwei Männer durch den Park, die in ihrer Erscheinung wohl als Touristen durchgegangen wären, wenn nicht die typischen Accessoires eines Vertreters dieser Spezies gefehlt hätte. Man konnte sie in ihren weißen Anzügen wohl für Geschäftsleute halten, wenngleich auch die wilde, orange-rote Mähne des einen, die mit den Kirschbäumen in einen ungleichen Wettstreit getreten war, nicht unbedingt einen seriösen Eindruck machte. Sein Partner hingegen sah mit der adretten Frisur und dem geschmeidigen Äußeren wie ein Mann von Welt. Nichtsdestotrotz wirkten die beiden seltsam fehl am Platz. Ein Eindruck, der zumindest der Dunkelhaarige von ihnen zu teilen schien.

 

„Was wollen wir hier, Schuldig?“, fragte er gerade. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass du dir mit mir zusammen die Kirschblüten ansehen möchtest.“

„Ah, warum denn nicht?“, gab Schuldig jovial zurück. „Findest du nicht, dass wir mal einen freien Tag verdient haben. Takatori ist zufrieden mit unserer Arbeit, Eszett mit unseren Berichten, was will man mehr? Lass mich doch ein wenig Unruhe stiften unter all diesem Frohsinn. Siehst du die beiden da drüben zum Beispiel? Ich könnte mir vorstellen, dass...“

 

Was immer auch Schuldig mit dem glücklich wirkenden Pärchen, auf das er es abgesehen hatte, anstellen wollte, geriet in dem Moment in Vergessenheit, als er Crawfords Gesicht sah. Der andere war kreideweiß geworden und Schweiß stand auf seiner Stirn. Er zitterte merklich. Sofort war Schuldig an Crawfords Seite und stützte ihn, bevor er zusammenbrechen konnte.

„Was ist los? Was siehst du?“, fragte er halblaut. Dass Crawford so von einer Vision gebeutelt wurde, war lange nicht mehr passiert. Normalerweise hatte der gebürtige Amerikaner seine Gabe gut im Griff.

„Bäume...“, murmelte Crawford abwesend. Seine Augen verdrehten sich, so dass Schuldig das Weiße darin sehen konnte. „Geschmückte Bäume...muss verhindern...Farfarello.“

 

Schuldig handelte unverzüglich. Er legte den zwei alten Damen, die sich auf einer Parkbank niedergelassen hatten, dringlichst nahe, sich einen anderen Aussichtsplatz zu suchen, und setzte Crawford vorsichtig auf die Sitzfläche der Bank. Dann lockerte er dessen Krawatte und öffnete die obersten Hemdknöpfe. Die erstaunten Blicke seiner Umgebung ignorierte er dabei. Langsam aber sicher kam Crawford wieder zu sich.

„Wasser“, krächzte er. „Außerdem Papier und einen Stift. Ich muss mir etwas notieren.“

 

Der Telepath nickte nur und verschwand, um kurz darauf mit dem Gewünschten wiederzukommen. Das Orakel hatte sich soweit wieder erholt, dass er nach dem Stift griff und sofort begann zu schreiben. Nebenbei nahm er einen Schluck aus der Wasserflasche, die Schuldig ihm reichte. Neugierig blickte Schuldig über Crawfords Schulter und runzelte die Stirn.

„Goldfolie, roter und grüner Filz, Tonpapier, Lackfarbe, Stroh? Was soll das sein?“

„Eine Einkaufsliste“, gab Crawford zurück. „Du wirst diese Sachen besorgen und dann zu Farfarello bringen. Ach und besorge doch bitte auch noch einen grünen Pappkarton. Etwa 30 mal 20 Zentimeter Grundfläche. Er darf ruhig etwas höher sein.“

 

Schuldig sah seinen Boss an, als wäre er nicht recht bei Trost. „Und was genau soll ich Farfarello sagen, dass er damit machen soll?“

„Weihnachtsschmuck“, antwortete Crawford. „Er soll Weihnachtsschmuck basteln. Am besten besorgst du ihm auch noch ein paar Bastelbücher dazu. Du wirst sie im Geschäft an der nächsten Ecke ganz hinten links finden. Was er gebastelt hat, soll er in den Karton tun. Ich kümmere mich dann später darum.“

Schuldig lag ein scharfer Protest auf der Zunge. Er war kurz davor, die Anweisung zu ignorieren und Crawford zu sagen, wohin er sich seine Liste stecken konnte. Andererseits war es eine sehr starke Vision gewesen. Er wusste, er tat gut daran, sich Crawfords Urteil unterzuordnen. Eine Lektion, die er auf die harte, aber einprägsame Tour hatte lernen müssen. Also erhob er sich mit einem lauten Seufzer.

„Erinnere mich daran, nie wieder mit dir Hanami feiern zu wollen.“

Crawfords Züge, die inzwischen wieder entspannt waren, verzogen sich zu einem selbstgefälligen Lächeln. „Und ich sage dir, du wirst es nächstes Jahr wieder tun.“

 

Schuldig ersparte sich eine weitere Erwiderung und steckte grummelnd die Liste ein. Es machte einfach keinen Sinn, mit einem Orakel über die Zukunft streiten zu wollen. Man verlor ja doch immer wieder. Mit den Händen in den Taschen machte er sich auf zum nächsten Bastelladen. Das Einzige, was ihn an der Sache aufheiterte, war die Vorstellung von Farfarellos Gesicht, wenn er ihm den Auftrag ihres Anführers überbrachte. Der Ire würde bestimmt Bauklötze staunen, wenn er erfuhr, dass er jetzt Weihnachtsbaumschmuck zusammenzimmern sollte. Was Schuldig daran allerdings wurmte, war die Tatsache, dass er keine Ahnung hatte, was Crawford mit dem ganzen Kram vorhatte...

 

 

18.Dezember

Der weiche, samtige Teppich unter seinen nackten Füßen fühlte sich ungewohnt an. Er war so dick und flauschig, dass er darin keinerlei Fußspuren hinterließ. Nagi blieb stehen und versank für einen Augenblick in dem Gefühl (und dem Teppich). Es kam nicht oft vor, dass er um diese Zeit noch im Schlafanzug und obendrein barfuß unterwegs war. Für gewöhnlich stand er früh auf, noch bevor sich einer der anderen Schwarz erhob, und war bereits fertig und angezogen, wenn der erste von ihnen auf der Bildfläche erschien. Aber heute war alles anders. Heute stand er hier und hatte nichts am Körper außer seinem Pyjama. Das war ein eigenartiges und nicht unbedingt nur unangenehmes Gefühl. Der Aufzug war bequem und er konnte verstehen, dass es Leute gab, die es liebten, noch stundenlang in ihrer Nachtgarderobe herumzuwandern.

Trotzdem konnte er sich eines leichten Unbehagens nicht erwehren, als er an die dicken Glasscheiben trat, die zuverlässig alle von draußen eindringenden Geräusche abfingen und ihn in einer friedlichen Stille zurückließen. Auf der anderen Seite der Scheibe hatte es erneut begonnen zu schneien. Durch das Schneetreiben konnte er die Weihnachtsbeleuchtung des Hauses gegenüber erkennen. Die bunten, blinkenden Lichter übten eine eigenartige Faszination auf ihn aus. Für eine Weile stand er einfach nur am Fenster und sah dem Farbenspiel zu. Er hatte ja auch nichts zu tun. Nicht, bevor die anderen - insbesondere Crawford - erwachten und ihm neue Anweisungen gaben. Bis dahin stand er hier in seinem Schlafanzug und sah den Schneeflocken zu.

 

Eine Bewegung in seinen Augenwinkeln ließ ihn herumfahren. Farfarello war vollkommen lautlos neben ihm erschienen und starrte mit seinem einen Auge ebenfalls hinaus. Der weißhaarige Mann trug nur eine lange Schlafanzughose, die ihm ein wenig zu lang war. Seine Füße verschwanden fast vollkommen darunter und nur die Zehenspitzen lugten unter dem hellgrauen Stoff hervor.

Nagi wurde sich bewusst, dass er noch nie bemerkt hatte, was für kleine Füße Farfarello hatte. Durch die wuchtigen Stiefel, die er normalerweise trug, fiel das überhaupt nicht auf. Wobei die meisten Leute vermutlich auch nicht unbedingt auf die Füße ihres Gegenübers achteten, wenn dieses mit einem scharfen Gegenstand vor ihrem Gesicht herumhantierte oder eben jenen Gegenstand mit dem größten Vergnügen ableckte. Oder nur ein Auge hatte. Oder einen Körper, der dort, wo er nicht von Verbänden oder schwarzem Leder verdeckt wurde, über und über mit Narben bedeckt war. Mit einem leichten Schauern betrachtete Nagi die langen, weißen Linien, die auf Farfarellos Rücken zu sehen waren. Diese hatte er sich mit Sicherheit nicht selbst beigebracht. Außerdem schienen sie schon älteren Datums zu sein. Ein Überbleibsel aus seiner Kindheit? Jugend? Ein Souvenir seiner Zeit bei Rosenkreuz?

 

Farfarello, der Nagis Blick bemerkt hatte, entblößte die Zähne. Es dauerte einen Augenblick, bis Nagi verstand, dass er lächelte.

„Schnee verwischt die Spuren“, sagte Farfarello, bevor er sich, ohne eine Antwort abzuwarten, umdrehte und in die Richtung zurück schlurfte, aus der er gekommen war. Wenn er nicht der gewesen wäre, der er nun einmal war, hätte Nagi vermutet, dass er sich noch einmal ins Bett legte. Aber Farfarello schien manchmal noch weniger zu schlafen als Nagi selbst. Oft traf er ihn nachts noch im Wohnzimmer an, wo er...was auch immer tat. Nagi war es egal, auch wenn er zugeben musste, dass er den letzten Aktivitäten seines Teamkollegen vielleicht hätte ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. So wäre ihm vielleicht die unangenehme Überraschung erspart geblieben, die zu seiner derzeitigen Lage geführt hatte. Obwohl er fand, dass Schuldig durchaus ebenfalls...nun...Schuld daran hatte.

 

„Der Name ist eben Programm“, gähnte eben jener Schuldig, noch bevor er den Raum betrat, indem sich Nagi gerade aufhielt. Die orangerote Mähne stand wüst in alle Richtungen ab und unter seinen Augen waren dunkle Ringe zu sehen. Der Telepath marschierte, ohne Nagi weiter zu beachten, nur mit Boxershorts und einem T-Shirt bekleidet schnurstracks auf den Kühlschrank zu und öffnete diesen. Sein Kopf verschwand fast darin, während er im Inneren des Geräts herum räumte und missmutig vor sich hinmurmelte. Irgendwann entschied er sich für eine Flasche mit irgendeinem Saft, öffnete sie und ließ den Kronkorken einfach fallen. Nagi runzelte die Stirn.

„Wage es nicht, mich anzusprechen“, knurrte Schuldig, als er neben Nagi trat. Er sah aus dem Fenster und nach oben. „Es schneit. Der Schnee wird die Spuren verwischen.“

Nagi öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber ein Blick in Schuldigs Gesicht ließ ihn den Mund schnell wieder schließen. Wie es aussah, war der andere heute Morgen nicht zu Späßen aufgelegt. Ein leichter Brandgeruch umwehte ihn und stach in Nagis Nase. Es musste an den Haaren liegen. Er hatte einmal gelesen, dass die durch ihre große Oberfläche Aromen besonders lange speicherten. Schuldig würde sie wohl waschen müssen, um den Geruch wieder loszuwerden.

 

Ein Blick in die stechenden, blauen Augen seines Gegenübers verriet ihm, dass dieser seine Gedankengänge verfolgt hatte. Unwillkürlich rückte Nagi ein Stück von Schuldig ab. Der grinste nur und prostetet ihn mit dem Saft zu, bevor er sich auf eines des Sofas fallen ließ und seine nackten Beine auf den Couchtisch legte. Nagi vermied es, ihn anzusehen. Die ungezwungene Art war ihm unangenehm. Vor allem, weil er vermutete, dass sie nur Fassade war. Vermutlich war es besser, wenn er sich in nächster Zeit in Acht nahm. Schuldig konnte sehr grausam sein. Besonders wenn er sich an jemandem rächen wollte.

 

Nagi wollte sich gerade wieder dem farbigen und flockigen Schauspiel vor dem Fenster widmen, als sich die Tür erneut öffnete und Crawford eintrat. Nagi musste an sich halten, um ihn nicht mit offenem Mund anzustarren. Der gebürtige Amerikaner hatte...nun ja...einen Pyjama an. Einen ganz normalen Pyjama mit einem geknöpften Oberteil und langen Hosen. Die Farbe könnte man wohl taubenblau nennen, womit er einige Nuancen heller war als Nagis eigener Schlafanzug.

Das Eigenartige war aber auch nicht der Aufzug an sich, sondern die Tatsache, dass Nagi ihren Anführer noch nie in seinem Nachtgewand gesehen hatte. Crawford war, wenn er sein Zimmer verließ, immer korrekt gekleidet. Allenfalls sah man ihn noch ohne Jackett, aber ansonsten kannte Nagi ihn nur in Anzughosen und Hemd. Ihn jetzt mit bloßen Füßen im Schlafanzug durch das Zimmer gehen zu sehen, war seltsam. Es machte ihn irgendwie...menschlich. Eine Wirkung, die Nagi nicht gefiel. Menschen - normale Menschen - waren schwach, ihm unterlegen, unwichtig. Aber Crawford war keiner von ihnen. Bisher. Bis er jetzt auf einmal im Schlafanzug vor Nagi stand und ihm mit leicht frostiger Miene ansah, als wisse er, was in Nagis Kopf gerade vorging. Was vermutlich sogar stimmte. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatte Schuldig gepetzt.

Nagi warf einen kurzen Blick auf den auf dem Sofa herumlümmelnden Telepathen, um seine Theorie bestätigt zu sehen. Wann genau hatten sie angefangen, ihre Kräfte gegeneinander einzusetzen?

 

„Oh, das kann ich dir genau sagen“, antwortete Schuldig mit einem gehässigen Tonfall auf seine lediglich gedachte Frage. „Als du beschlossen hast, das Haus abzufackeln.“

„Ich habe das Haus nicht abgefackelt“, begehrte Nagi auf. „Der dämliche Weihnachtsbaum, den Farfarello angeschleppt hat, hat Feuer gefangen, als er in deinen blöden Adventskranz gefallen ist.“

„Und wie kam das?“, fauchte Schuldig und kam mit unmenschlicher Geschwindigkeit auf die Füße. „Er wird die drei Meter wohl kaum von alleine geflogen sein.“

Nagi fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog und er zu schwitzen begann. „Das...das...das lag nur an dem halb verwesten Eichhörnchenkopf, der mir vor die Füße gefallen ist. Ich habe mich...erschreckt.“

„Erschreckt?“ Schuldig war jetzt voll in seinem Element. „Du bist ein gottverdammter Telekinet, Nagi. Du zerlegst Häuser mit nur einem Gedanken. Du hast mit unbewegter Miene dabei gestanden, wie Farfarelloe Dutzende Leute niedergemetzelt hat. Und du hast keinerlei Probleme damit, dass ich und Crawford Leute umbringen, damit du was zu essen hast. Aber du erschreckst dich vor einem toten Eichhörnchen? Willst du mich verarschen?“

 

„Schuldig.“

Crawford hatte weder besonders laut noch besonders energisch gesprochen. Es gab lediglich einen leicht warnenden Unterton, der jedoch ausreichte, um den aufgebrachten Telepathen wieder in seine Schranken zu weisen. Er knallte die Saftflasche auf den Glastisch des Hotelzimmers, in dem sie zeitweise untergekommen waren.

„Ich gehe duschen. Und Haare waschen, falls es jemand interessiert. Also erwartet mich nicht vor zwei Stunden wieder aus dem Bad zurück. Wenn ihr was da drin wollt, verkneift es euch oder sucht euch ne Topfpflanze.“

Damit rauschte er aus dem Zimmer und vergaß auch nicht, mit der Tür zu knallen. Als er gegangen war, atmete Nagi hörbar auf. Sein Blick suchte Crawfords.

 

Der Amerikaner hatte sich ein Wasser aus der Minibar genommen und sah aus dem Fenster.

„Es schneit. Der Schnee–“

„Wird die Spuren verwischen“, beendete Nagi den Satz leicht genervt. „Das haben die anderen beiden auch schon gesagt. Ich...es tut mir leid, okay? Ich hatte nicht geplant, Feuer zu legen, sodass alle unsere Sachen verbrennen und wir lediglich in Schlafanzügen hier in einem Hotelzimmer festsitzen. Warum hast du das eigentlich nicht kommen sehen?“

 

Für einen Augenblick befürchtete Nagi, dass er zu weit gegangen war. Er sah, wie sich Crawfords Hand fester um die Glasflasche schloss. Doch die erwartete Reaktion blieb aus. Crawford schüttelte leicht den Kopf und nahm noch einen Schluck Wasser.

„Wie es scheint, sind Teenager noch unvorhersehbarer als Erdbeben. Du wirst lernen müssen, diese Ausbrüche besser zu kontrollieren. Ich kann zwar nicht sagen, dass ich nicht schon einmal das Bedürfnis verspürt habe, etwas nach Schuldig zu werfen, aber der Unterschied ist, dass ich es nicht getan habe. Verstehst du das, Nagi?“

Nagi ließ den Kopf hängen. „Vollkommen. Es wird nicht noch einmal vorkommen.“

„Gut.“ Crawford nickte und stellte die Flasche auf den Tisch neben die Saftspritzer, die Schuldigs Ausbruch hinterlassen hatte. „Ich werde jetzt einige Telefonate führen, damit wir diese missliche Sache so bald wie möglich hinter uns lassen können.

 

Er ging zur Tür und schien das Zimmer verlassen zu wollen, als er noch einmal stoppte und sich zu Nagi herum drehte. Auf seinem Gesicht lag ein eigenartiger Ausdruck.

„Nagi?“

„Ja?“

„Steht nicht die ganze Zeit am Fenster und blase Trübsal. Mach dir den Fernseher an und lass dir vom Zimmerservice was zu essen kommen. Irgendwas mit viel Zucker. Es wird vermutlich der vorläufig letzte Pyjama-Tag in deinem Leben sein. Also genieße ihn wenigstens ein bisschen.“

Noch bevor Nagi antworten konnte, hatte sein Anführer den Raum bereits verlassen. Er starrte die Tür an, als würde jeden Augenblick ein volles Orchester mit Pauken und Trompeten dahinter hervor springen und „Versteckte Kamera!“ rufen. Irgendetwas in der Art musste gleich passieren. Oder die Welt würde untergehen. Denn das Crawford unnötige Ausgaben nicht nur erlaubte, sondern geradezu forcierte, kam eigentlich nie vor. Vielleicht hatte der Geist der Weihnacht nun endgültig auch von dem Orakel Besitz ergriffen. Und Nagi konnte nicht sagen, dass er darüber wirklich erfreut war.

 

 

19.Dezember

Ein kluger Mann (oder der Herausgeber eines Reise-Prospekts) hatte einmal gesagt: Jede Jahreszeit hat ihren eigene Schönheit. Yoji sah das durchaus ähnlich. Wenn die ersten Strahlen der Frühlingssonne die Blumen und die jungen Frauen gleichermaßen hervorlockten, war er in seinem Element. Der heiße Sommer, der die Herzen freier und die Röcke kürzer werden ließ, hatte in jedem Fall seinen Reiz. Und es ging nichts über einen Spaziergang an einem stürmischen Herbsttag. Der Winter jedoch...also ja, der Winter war auch ganz nett, wenn man mal vom Frieren und dem ständigen Schneeschippen absah. Aber was Yoji wirklich am Winter nervte, war die Tatsache, dass die Sonne zu dieser Jahreszeit so tief stand, dass ihre Strahlen nicht mehr den Hinterhof erreichten, in dem er seine Zigarettenpausen zu machen pflegte. Wenn er also nicht schlotternd und zitternd im Schnee stehen wollte mit der glimmenden Zigarettenspitze als einzige Wärmequelle, musste er sich etwas ausdenken. Aber Yoji wäre nicht Yoji gewesen, wenn ihm nicht sofort der perfekte Platz ins Auge gesprungen wäre, wo man auch zu dieser frostigen Zeit noch eine gute Portion Sonnenlicht abbekommen konnte. Immer vorausgesetzt, sie versteckte sich nicht hinter dicken Schneewolken. Aber heute war das Glück auf seiner Seite. Heute glänzte und strahlte die weiße Schneefracht der Häuser und Gehwege im hellen Schein der blassen Wintersonne, die mit Nachdruck versuchte, etwas gegen die kalte Pracht zu tun. Während es also im Hof von den Dachrinnen tropfte, war Yoji bereits auf dem Weg zu seinem neuen Pausendomizil: dem Dach des Hauses.

 

Er bemühte sich die leicht klemmende Tür möglichst leise zu öffnen. Wenn Aya ihn hier oben erwischte, konnte er sich vermutlich auf eine Gardinenpredigt einstellen, die sich gewaschen hatte. Durch den langen Weg verlängerte sich seine Pause um mehr als das Dreifache. Immerhin schleppte ein Yoji Kudo seinen Alabasterkörper nicht umsonst die ganzen Treppen hinauf. Wenn er erst einmal da war, wollte er den Ausblick und die Sonne auch ein wenig genießen.

 

Er atmete erleichtert aus, als die Tür dieses Mal relativ geräuschlos aufschwang und ihm den Weg auf das verlockende Dach freigab. Am liebsten zog er sich ganz nach hinten in eine Ecke zurück, die von der Tür aus nicht eingesehen werden konnte. Dort hatte er sich einen Stuhl und einen kleinen Tisch platziert, denn schließlich wollte er nicht auf dem feuchten Schnee sitzen. Er grinste, als er die Tür hinter sich schloss und mit federnden Schritten zu seinem kleinen Versteck ging. Er stockte jedoch in der Bewegung, als er entdeckte, dass sein neuer Stammplatz bereits besetzt war. Er sah nach unten und stöhnte innerlich. Auf dem Schnee waren tatsächlich Fußspuren zu sehen. Wie hatte er das nur übersehen können? Er erwog gerade, den Rückzug anzutreten, als die Gestalt auf dem Stuhl sich herumdrehte.

„Ken?“ Yoji war ehrlich verblüfft. „Was tust du hier? Ich dachte, du machst noch eine Auslieferung“

„Das Gleich könnte ich dich fragen, Yoji“, kam es von Ken zurück. „Ich dachte, du arbeitest gerade unten im Laden.“

Yoji war für einen Augenblick verblüfft, dann setzte er ein breites Grinsen auf. Er hob die Zigarettenschachtel und wedelte damit herum. „Ich hab gerade Pause.“

„Weiß Aya davon?“

Yojis Gesicht verfinsterte sich sofort wieder. „Aya ist nicht meine Mutter. Nur, weil er bei Weiß das Kommando hat, heißt das noch lange nicht, dass ich mich von ihm herumschubsen lassen muss. Wenn ich eine Pause machen will, dann mache ich die auch.“

Ken nickte wissend. „In der Ecke, die sich am weitesten von der Tür entfernt befindet und in der ein Stuhl so platziert ist, dass man dich unmöglich finden kann, wenn man nicht ganz bis zum Ende des Daches läuft. Alles klar, Yoji.“

„Bah, was weißt du schon. Du rauchst ja nicht.“

Ken schüttelte den Kopf. „Stimmt. Ist übrigens auch nicht gut für seine Gesundheit.“

Yoji schnaubte belustigt. „Als wenn ich mir über irgendwelche Gesundheitsrisiken Gedanken machen müsste bei unserem Beruf. Oder sollte ich es Berufung nennen?“

Ken wandte sich ab und sah wieder über die Dächer der umliegenden Häuser. „Nenn es, wie du willst“, antwortete er leise. „Ich...“

 

Er sprach nicht weiter, aber Yoji sah, dass er unbewusst ins Schwarze getroffen hatte. Irgendetwas trieb Ken um und er war offensichtlich hier hergekommen, um darüber nachzudenken. Hoch über den Dächern der Stadt, wo ihn nur die kalte Luft und die Wintersonne umgab. Eine Illusion von Freiheit ein paar Meter über dem Boden.

 

Yoji seufzte lautlos und zündete sich endlich eine Zigarette an. Während er den ersten Zug tief inhalierte und anschließend dem Rauch nachsah, der von einem leichten Wind davon getragen wurde, glitten seine Gedanken wieder zu Ken. Ihm war aufgefallen, dass der Athlet in den letzten Tagen stiller geworden war. Während er und Omi diesen Eiertanz um Aya veranstaltet hatten, hatte Ken sich mehr und mehr in sich selbst zurückgezogen. Die Zeit, die er normalerweise mit den Kindern im Freien beim Fußballspielen verbrachte, hatte er aufgrund des Wetters wohl irgendwie anders rumkriegen müssen. Aber was tat Ken, wenn er nicht arbeitete oder Fußball spielte? Yoji hatte sich noch nie Gedanken darüber Gedanken gemacht. Jetzt jedoch wurmte ihn die Frage irgendwie.

 

„Und? Was läuft so, Ken?“, fragte er leichthin, erntete aber nur ein Schulterzucken und einen trüben Blick. Na gut, wenn der andere nicht darüber reden wollte, würde Yoji eben das tun, wozu er hergekommen war. Nämlich die Sonne genießen. Er streckte das Gesicht dem warmen Himmelskörper entgegen und schob die Sonnenbrille auf die Nase. Er nahm noch einen Zug aus der Zigarette und war fast soweit, Ken und seine Probleme zu vergessen, als der plötzlich sagte:

„Ich habe bald Geburtstag.“

 

Yoji öffnete ein Auge. „Erwartest du Geschenke oder warum erzählst du mir das? Ich meine, Omi backt dir vielleicht einen Kuchen, aber auf Blumen von Aya würde ich nicht hoffen.“

Er grinste über seinen eigenen Scherz, aber Ken blickte nur wieder starr geradeaus. Yoji blies die Backen auf und ließ zischend die Luft entweichen. Gegen die Regenwolken, die über Kens Kopf schwebten, war auch die stärkste Wintersonne machtlos.

„Hey, das sollte ein Witz sein. Wir machen natürlich was zu deinem Geburtstag. Worauf hast du Lust?“

Ken zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich meine, ich werde 20 Yoji. Ich bin dann kein Teenager mehr. In meinem Alter, da haben andere...also sie...“

Ken schwieg wieder, doch Yoji wusste jetzt, woher der Wind wehte. Der 20. Geburtstag war etwas besonderes. Andere in Kens Alter hatten Pläne, traten in das Berufsleben ein und beschäftigten sich mit der Gründung einer eigenen, kleinen Familie. Sie heirateten, bekamen Kinder. Yoji konnte sich Ken sehr gut mit Kindern vorstellen. Immerhin verbrachte er fast seine gesamte Freizeit mit diesen kleinen Rackern. Aber Heirat und eine glückliche, kleine Welt mit Familie und Freunden, das war für alle in Weiß ungefähr so weit weg wie der Mond. Ein Ziel, das sie lediglich aus der Ferne betrachten konnten, aber nie erreichen würden.

Jeder von ihnen wusste das, jeder hatte es akzeptiert. Weil ihnen das Leben diese Möglichkeit ohnehin genommen hatte. Sie alle hatten einen Weg gefunden, damit umzugehen. Omi war einfach überzeugt von dem, was sie taten. Auch wenn Yoji sich sicher war, dass mehr in dem freundlichen, kleinen Kerlchen steckte, als man auf den ersten Blick erkennen konnte, so machte er sich doch keine Sorgen, dass der Junge irgendwie damit zurechtkommen würde. Omi war stärker, als er aussah.

Aya war ein Fall für sich. Was ihn antrieb, darüber machte sich Yoji lieber keine Gedanken. Im schlechtesten Fall war er ein gefühlskalter Klotz, der über seine Rache an Takatori vergessen hatte, wie man richtig lebte. Im besten Fall war er ein weißer Ritter in schimmernde Rüstung, unter dessen eisigen Panzer ein warmes, liebevolles Herz schlummerte, das nur darauf wartete, dass ihn irgendjemand aus seinem Gefängnis befreite. Es musste nur noch die richtige Prinzessin dafür vorbeikommen.

 

Yoji selbst versuchte, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Er nahm, was er kriegen konnte, und machte sich darüber hinaus nicht allzu viele Gedanken um das, was ihn morgen erwartete. Er konnte ohnehin nicht mit Bestimmtheit sagen, wie lange es überhaupt noch ein Morgen gab. Die Dinge nicht allzu ernst zu nehmen, half dabei, das alles einigermaßen unbeschadet zu überstehen.
 

Doch was war, wenn das nicht möglich war? Wenn die Ablenkung, die Sonne im Leben fehlte? So wie bei Ken gerade. Dann kam die tiefe Sehnsucht wieder zum Vorschein, bis die Realität ihr hässliches Haupt erhob und sie anknurrte, sich wieder in ihr Kellerverließ zu verziehen. Denn dass es diese Hoffnung, diese Sehnsucht gab, das war auch Yoji bewusst. Irgendwo schlummerte auch in ihm noch eine Hoffnung, die es eigentlich nicht geben durfte. So wie die Strahlen der Wintersonne, die ihm das Gesicht wärmten, selbst wenn alles um ihn herum im Schnee versank. Doch Ken konnte die Sonne gerade nicht erkennen. Zu dicht war der Nebel um ihn herum. Der Nebel der Hoffnungslosigkeit. Er braucht etwas, an dem er sich festhalten konnte.

 

Yoji setzte ein Lächeln auf und stupste Ken mit der Faust gegen die Schulter. „Hey, nun sei doch nicht so. Ich verspreche dir, das wird der beste Geburtstag, den du je hattest. Wir gehen aus. Und nein, ich dulde keine Widerrede. Omi nehmen wir auch mit, also keine Angst. Es bleibt alles hübsch jugendfrei.“

Ken, der den Mund geöffnet hatte, um zu protestieren, schloss diesen wieder und schüttelte lächelnd den Kopf. „Du bist wirklich unglaublich, Yoji.“

Yoji grinste breit. „Dafür bin ich doch bekannt. Also lass mich nur machen und ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst.“

 

Ken wollte noch etwas erwidern, als sie plötzlich die Tür auffliegen hörten und Ayas Stimme über das Dach peitschte.

„Yoji, schwing deinen Hintern wieder in den Laden. Wir haben Kundschaft.“

Der Playboy zuckte zusammen und grinste Ken schief an. „Ich fürchte, da muss ich wohl Folge leisten, wenn ich nicht demnächst im Kastratenchor singen will.“

Als Ken sich ebenfalls erheben wollte, drückte ihn Yoji jedoch entschieden wieder auf den Stuhl.

„Ah-ah, du bleibst schön hier und lässt dir noch ein bisschen die Sonne auf den Pelz scheinen. Wir beide sind schon groß und schaffen das da unten auch noch eine Zeit lang alleine.“

Ken hob zweifelnd die Augenbrauen. „Und bist du dir sicher, dass der Laden dann auch noch steht, wenn ich wiederkomme?“

„Ich werde mich bemühen“, antwortete Yoji mit einem Augenzwinkern, nahm noch einen letzten Zug aus seiner Zigarette und verließ dann mit ebenso federnden Schritten, wie er gekommen war, wieder das Dach. Es war eben alles nur eine Frage der Motivation. Und wie es aussah, hatte er für die nächste Zeit jede Menge Pläne in die Tat umzusetzen.

 

 

 

 

20.Dezember

Farfarellos Mundwinkel zuckten. Normalerweise unterschied sich seine Vorstellung von Amüsement ein wenig von dem, was andere, „normale“ Leute so als erheiternd empfanden. Doch der Anblick, der sich ihm gerade bot, war einfach zu komisch, um nicht darüber zu lachen. Er bemühte sich, es zu verbergen, aber vermutlich war das ohnehin überflüssig. Der Zorn des schwarzschen Teenagers konzentrierte sich gerade ausschließlich und vollkommen auf Schuldig, der mit einem breiten Grinsen sein Werk betrachtete.
 

„Du siehst gut aus, Nagi“, sagte er gerade und war sichtlich angestrengt, um nicht laut loszulachen. „Nein wirklich, die Sachen stehen dir.“

Ein wütender Blick unter braunen Stirnfransen antwortete ihm. „Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht aus dem Fenster werfen sollte. Nur einen!“

Nagis Ton erinnerte an den einer gereizten Bulldogge. Farfarello richtete sich auf, um auch nichts zu verpassen. Schuldig warf die orangerote Haarmähne nach hinten und setzte ein überlegenes Lächeln auf.

„Weil Crawford dir verboten hat, mich umzubringen. Ich bin einfach zu wertvoll für das Team.“

Im nächsten Moment griff sich der Telepath an den Hals, als würden dort unsichtbare Finger seine Luftröhre zusammendrücken.

„Er hat aber nicht gesagt, dass ich dir nicht wehtun darf“, knirschte Nagi und bleckte die Zähne wie ein knurrender Hund.

Schuldigs Bewegungen wurden hektischer, während Nagi mehr denn je wie ein tollwütiger Hund...oder vielmehr ein tollwütiges Rentier vor sich hin schäumte. Sein ganzer Körper steckte in einem braunen Plüsch-Overall mit einer weißen, puscheligen Brust und einer Kapuze, an der Ohren und ein kleines Geweih angebracht war. Diese Kapuze hatte er jetzt zurückgeschoben, während er versuchte, den teameigenen Telepathen mit seinen Kräften zu strangulieren. Schuldigs Gesichtsfarbe näherte sich langsam dem Punkt, wo sie von angestrengtem Rot zu sauerstoffmangelbedingten Blau überging. Farfarello überlegte gerade, ob er eingreifen sollte, als sich die Tür öffnete und Crawford den Raum betrat.

 

Das Orakel würdigte die Szene keines Blickes, sondern sagte nur knapp: „Nagi, lass den Unsinn. Wir brauchen Schuldig noch.“

Nagi bleckte noch einmal die Zähne, bevor er Schuldig aus seinem Griff entließ. Jedoch nicht, ohne dem Telepathen noch einen Stoß zu versetzen, der ihn in seinem geschwächten Zustand gegen das Sofa torkeln und hustend und keuchend daneben zusammenbrechen ließ. Farfarello betrachtete ihn mit mildem Interesse.

„Siehst du, was er mir angetan hat?“, heulte Nagi währenddessen auf und wandte sich mit anklagendem Gesichtsausdruck an Crawford. „Er sollte mir was zum Anziehen besorgen. Und dann hat er das hier gebracht. Angeblich war es das Einzige, was es in meiner Größe gab. Das ist nicht fair. Er hat sogar einen Ersatz für diesen furchtbaren, grünen Mantel gefunden, den er immer trägt. Aber für mich gab es nichts? Das ist lächerlich!“

Crawford hob kurz den Blick. „Ich kann das Problem nicht erkennen.“

„Was?“ Nagi starrte ihn fassungslos an. „Hast du mal richtig hingesehen? Es ist ein verdammtes Rentier-Kostüm. Ein Kostüm! Für Kinder!!“

„In dieser Größe wohl kaum“, lautete Crawfords Urteil. „Außerdem wird es kaum das Einzige sein, was Schuldig mitgebracht hat.“

Nagis Gesichtsfarbe näherte sich der, die Schuldig noch vor wenigen Augenblicken gehabt hatte. „Das andere war eine Schuluniform.“

Crawford wandte sich wieder seiner Akte zu. „Dann zieh doch die an.“

Nagis Gesicht wurde noch röter. „Die war für ein Mädchen. Und ich glaube nicht, dass sie dem offiziellen Katalog für korrekte Schulkleidung entnommen war.“

 

Schuldig, der sich inzwischen von dem Angriff erholt hatte, warf mit einem breiten Grinsen um sich. „Aber du würdest bestimmt ganz reizend darin aussehen, Nagilein. Oder hättest du gerne noch eine Perücke zu dem kurzen Rock gehabt? Blond oder schwarz.“

Der Telepath schien sich schier ausschütten wollen vor Lachen. Auch Crawford hatte ihnen vermutlich nicht ohne Grund den Rücken zugedreht und Farfarello saß einfach mittendrin und amüsierte sich.

„Ich werde so nicht zur Schule gehen“, verkündete Nagi jetzt und ließ sich auf das zweite Sofa fallen. Er verschränkte die Arme und schob die Unterlippe vor.

„Dann wirst du wohl nackt gehen müssen“, sinnierte Schuldig und strich sich mit den Fingern über das Kinn. „Es ist wirklich zu schade, dass alle deine anderen Sachen verbrannt sind. Ebenso wie meine.“

 
 

Das letzte Wort hatte er wütend in Nagis Richtung geschleudert. Der zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden. Da war sie also die Rache, auf die er gewartet hatte. Schuldig war niemand, der lange fackelte. Von dem Grundsatz, dass man Rache am besten kalt servierte, hielt er offensichtlich nichts. Schuldigs Rache war unmittelbar und flauschig. Nagi seufzte innerlich.

„Also schön, wir hatten alle unseren Spaß. Könnte ich jetzt bitte die Kreditkarte haben, um mir etwas passendes zum Anziehen zu besorgen.“

„Tut mir leid, aber das wird nicht möglich sein. Unser Budget für diesen Monat ist bereits ausgereizt.“

Crawfords Worte hingen über Nagis Kopf wie ein Damoklesschwert, das in dem Moment herabsauste, als ihm aufging, was das hieß.

„Soll das heißen, ich muss den gesamten Dezember als Rentier rumlaufen?“

„Nur bis Weihnachten“, präzisierte der Schwarz-Anführer. „Ich denke, zwischen den Jahren können wir darüber nachdenken, das Januar-Budget schon ein wenig zu strapazieren. Aber eben erst dann.“

 

Nagi ballte die Fäuste und spürte das Verlangen in sich aufsteigen, mit etwas zu werfen. Vorzugsweise mit Schuldig, der ja anscheinend das restliche Geld für seine eigenen Einkäufe verpulvert hatte. Er hatte auch Sachen für Crawford und Farfarello besorgt. Alle waren wieder in ihrem gewohnten Aufzug zu sehen. Nur Nagi saß hier und war ein...nein, er würde den Gedanken nicht zu Ende führen. Ansonsten würde etwas passieren und damit hatte der ganze Schlamassel ja erst angefangen. Also würde er im Gegenteil ganz ruhig bleiben. Das würde sie lehren, sich auf seine Kosten lustig machen zu wollen. Und wenn Crawford der Meinung war, ihm so eine Lektion erteilen zu müssen, dann würde er auch das überleben. Er hatte schon schlimmeres überstanden. Weitaus schlimmeres. Da würde ihn ein bisschen brauner Plüsch nicht in die Knie zwingen. Den Gedanken an das Schulmädchen-Kostüm schob er allerdings lieber weit, sehr weit weg. Darin würde ihn garantiert niemand zu sehen bekommen. Nicht solange auch nur noch ein Fünkchen Leben in ihm war.

 

Ein wenig steif und möglichst würdevoll erhob sich Nagi vom Sofa.

„Ich bin in meinem Zimmer“, sagte er und verließ gemessenen Schrittes den Raum. Die Warnung, die Schuldig ihm nachrief und irgendwie das Wort „Furry“ beinhaltete, ignorierte er geflissentlich. Er würde dem Telepathen nicht noch mehr Angriffsfläche geben, als unbedingt notwendig. Aber irgendwann...irgendwann würde es dieser orangehaarige Arsch es sehr bereuen, dass er ihm das hier angetan hatte. Und wenn er damit bis übernächste Weihnachten warten müsste. Nagi konnte, was Rache anging, sehr, sehr geduldig sein.

 

 

21.Dezember

Das hier war mit Abstand das Peinlichste, was er je in seinem Leben gemacht hatte, und er hatte schon einige schräge Sachen hinter sich. Man erinnere sich nur an den Einsatz, bei dem er als Stewardess unterwegs gewesen war. Aber das war ein Job gewesen. Das hier war...nun ja irgendwie auch ein Job. Allerdings einer, auf den er einfach nicht ausreichend vorbereitet war.

Omi biss die Zähne, während er sich langsam weiter vortastete. Er hatte darüber recherchiert, sich Techniken durchgelesen, Videos angesehen. Es hatte so einfach ausgesehen. In gewisser Weise war es sogar noch schlimmer als Ski fahren, denn dabei hatten sich wenigstens alle anderen Anfänger auch ziemlich dämlich angestellt. Und wenn man fiel, fiel man einigermaßen weich. Hier allerdings...
 

„Hey Tsukiyono, wenn du dich weiter am Rand der Eisbahn festklammerst, musst du sie heiraten.“

Lautes Gelächter antwortete dem Kommentar seines Klassenkameraden, dem Omi mit dem breitesten Lächeln begegnete, das er gerade zustande brachte. Er sah ein wenig aus, als hätte er Zahnschmerzen. Die anderen giggelten noch ein bisschen, bevor sie sich wieder auf den dünnen Kufen über die Eisfläche schoben. Einige schneller, andere langsamer. Einige allein, andere in Paaren oder kleinen Gruppen. Und derjenige, der sich über ihn lustig gemacht hatte, war mit seinen zwei besten Freunden in einem deratigen Affenzahn unterwegs, das Omi schon vom Zusehen schwindelig wurde. Jetzt drehte er sich auch noch um und fuhr rückwärts. Großartig. Einfach nur großartig.

'Verdammt, ich bin ein ausgebildeter Assassine, ein begnadeter Hacker und noch dazu fit wie ein Turnschuh. Es kann doch nicht so schwer sein. Reiß dich zusammen, Omi! Augen zu und durch.“

 

Vorsichtig schob er einen Fuß vor, dann noch einen. Eigentlich gar nicht so übel bis...oh nein, nein, nicht doch. Seine beiden Füße bewegten sich wie von alleine weiter vom sicheren Rand der Eisbahn weg. Allerdings in unterschiedliche Richtungen. Er versuchte, wenigstens einen von ihnen unter Kontrolle zu bekommen, doch keiner der beiden Schlittschuhe reagierte irgendwie auf die hektischen Befehle, die er ihnen gab. Es kam, wie es kommen musste, und Omi landete unsanft auf seinem Hinterteil.

„Uff!“ Das Eis war wirklich hart. Verdammte Schlittschuhe, verdammter, dämlicher Klassenausflug, verdammte, blöd grinsende Gänse, die jetzt geschickt aus ihrer Paarformation ausscherten, ihn an zwei Seiten umrundeten, nur um sich dann kurz darauf wieder zu finden und weiter auf ihren Schlittschuhen voranzugleiten, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Denn anscheinend war es das auch. Für alle außer für Omi. Er ballte die Faust und schlug damit auf die von losen Eiskristallen bedeckte Fläche, nur um sich kurz darauf die schmerzende Hand zu reiben. Hatte er schon erwähnt, dass das Eis hart war?

 

„Dann also anders“, knurrte er und schob sich zunächst auf alle Viere. Das wiederum brachte ihm die Erkenntnis ein, dass das Eis obendrein auch noch verdammt kalt war. Er biss die Zähen zusammen und stemmte sich in die Höhe. Ok, nun stand er erst einmal aufrecht. Der Rest müsste doch eigentlich reine Physik sein. Druck, Winkel, Kraft. Knie gebeugt, kleine Schritte, Füße diagonal nach außen.

„Es klappt“, jubelte er ein wenig zu laut. Ein paar Mädchen in seiner Nähe kicherten und Omi senkte schnell den Blick. Verdammtes Rotwerden. Das hatte ihm jetzt gerade noch gefehlt. Er wusste, dass in der Anleitung gestanden hatte, dass er nach vorne schauen sollte. Aber es erschien ihm so viel sicherer, nachzusehen, was seine Füße machten, während sie ihn immer weiter weg vom Rand mitten hinein in das chaotische Gewühl auf der Mitte der Eisfläche brachten. Erst, als er aus den Augenwinkeln einen Schatten direkt auf sich zukommen sah, hob Omi den Blick...und erstarrte. Nur mit Mühe konnte er verhindern, wieder auf dem Hosenboden zu landen.

„Du?“

Sein Gegenüber sah ihn mit steinerner Miene entgegen.

Omi konnte es immer noch nicht fassen. Seine Gedanken rasten. Im Gegenüber stand niemand anderer als dieser Nagi, das jüngste Mitglied von Schwarz, ihren Gegnern mit den übersinnlichen Fähigkeiten. Omi wusste, dass er in der Lage war, Objekte mittels seiner Gedanken zu bewegen. Telekinese. Wie oft hatte Omi schon darüber geflucht, dass er nicht in der Lage war, den anderen mit seinen Wurfgeschossen zu treffen. Und jetzt stand er ihm hier vollkommen unbewaffnet und noch dazu inmitten einer riesigen Menge unschuldiger Zivilisten gegenüber. Was sollte er tun?

 

„Was willst du, Schwarz?“, knurrte er und versuchte möglichst bedrohlich auszusehen.

Sein Gegenüber hob nur eine Augenbraue. „Sieht man das nicht? Ich amüsiere mich.“

Omi wusste nicht, was dieser Nagi normalerweise tat, um sich zu amüsieren, aber dass er das im Moment nicht tat, stand außer Frage. Im Gegenteil wirkte er sogar ziemlich unglücklich damit, hier zu sein. Etwa ebenso sehr wie Omi. Und dann war da noch etwas.

„Du trägst ein Rentier-Kostüm.“

Die Feststellung platzte einfach so aus Omi heraus. Entsetzt hob er die Hand zum Mund, als könne er noch irgendwie verhindern, dass er das gerade von sich gegeben hatte. Aber es war zu spät. Nagis Gesicht zeigte keine Regung. Stattdessen taxierte er Omi von oben bis unten.

„Und du hast kurze Hosen an.“

 

Omi sah an sich herab. Er hatte es immer noch nicht geschafft, sich ein paar wärmere Sachen zu besorgen. Er hatte zwar etwas online bestellt, aber aufgrund des Wetters verzögerte sich die Lieferung vermutlich noch bis Weihnachten. Er zuckte möglichst gleichgültig mit den Achseln.

„Ay...Abyssinian hat meine Wintersachen mit dem Katana zerlegt, weil ich seinen Lieblingspullover aus Versehen verschenkt habe. Ich hätte mir ja was ausgeliehen, aber...na ja. Die Größe und so.“ Er nickte auffordernd mit dem Kopf. „Und bei dir?“

Nagis Miene hatte sich bei Omis Geschichte nicht im Geringsten bewegt. Jetzt hingegen verfinsterten sich seine Züge zunehmend.

„Farfarello und Schuldig haben sich gegen mich verschworen und mich mit ihrem Weihnachtsgetue so wahnsinnig gemacht, dass ich aus Versehen das Haus angezündet habe. Als Rache hat mir Schuldig dieses Kostüm besorgt und Crawford war wohl der Meinung, ich bräuchte eine Lektion, weswegen ich jetzt nur das und...nur das hier zum Anziehen habe.“

Ein leichter Rotschimmer zierte Nagis Nase. Er wirkte so noch ein wenig mehr wie diese eine, berühmte Rentier, dessen Name Omi gerade entfallen war. Einen Augenblick lang starrte er den feindlichen Assassinen nur an. Dann, ohne dass er es verhindern konnte, begannen seine Mundwinkel zu zucken. Er merkte, wie das Lachen in seiner Kehle kribbelte. Er wollte es nicht. Wollte verhindern, dass der anderen den Eindruck hatte, dass er ihn auslachte und deswegen wer weiß was anstellte. Aber die Vorstellung von Schwarz in weihnachtlicher Vorfreude war einfach zu viel. Omi verlor den Kampf und begann lauthals zu prusten. Nur mit Mühe behielt er das Gleichgewicht, während ihn der Lachanfall schüttelte.

„Ok“, japste er, als er wieder ein bisschen zu Atem gekommen war. „Du hast gewonnen. Deine Geschichte ist besser als meine.“

 

Nagi betrachtete ihn mit einer säuerlichen Miene und zuckte zusammen, als ihn jemand hinter ihm zurief, er solle seinen pelzigen Hintern endlich bewegen, damit sie was zu lachen hätten. In Nagis Augen trat ein mörderischer Ausdruck.

„Manchmal würde ich sie am liebsten...“

„Ja oder?“, grinste Omi. Er konnte das absolut verstehen. Er hörte auf zu lachen und sah Nagi ernst an. „Wirst du hier was anstellen?“

Nagi rollte nur mit den Augen. „Ich werde wohl kaum so dumm sein, ausgerechnet vor meinen Schulkameraden mit meinen Kräften anzugeben. Die Leute reagieren im Allgemeinen nicht besonders positiv darauf, wenn auf einmal Dinge beginnen zu schweben, die das eigentlich nicht tun.“ Er hielt kurz inne und fügte dann hinzu: „Aber es hilft beim Eislaufen.“

Omi blinzelte ein paar Mal, bevor er begriff, was Nagi ihm sagen wollte. Seine Mundwinkel wanderten in die Höhe. „Du kannst das also auch nicht?“

Nagi schüttelte den Kopf. „Nicht ein bisschen. Aber wenn ich meine Kräfte benutzte, falle ich wenigstens nicht ständig hin.“

Omi gab sich innerlich einen Ruck. Das, was er vorhatte, war zwar vollkommener Wahnsinn, aber angesichts der Lage das Beste, was ihm einfiel.

„Wie wäre es mit einem Waffenstillstand? Nur bis das hier“, er wies auf die Eisbahn, „vorbei ist.“

Nagi antwortete nicht. Omi setzte alles auf eine Karte.

„Ich könnte wirklich Hilfe brauchen.“

Er setzte sein freundlichstes Lächeln auf und sah Nagi aus großen, blauen Augen an. Sein Gegenüber schien zu überlegen. Schließlich nickte er langsam.

„Wenn Schuldig das rauskriegt, bin ich geliefert“, murmelte er noch, bevor er nach Omis Arm griff und anfing, mit ihm zusammen langsame Runden auf der Eisbahn zu drehen.

 

 

 

 

22.Dezember

„Ich geh nochmal raus“, verkündete Schuldig und wartete keine Antwort ab. Er hätte vermutlich auch keine bekommen. Nagi saß schon seit Stunden vor seinem Computer, wo er angeblich arbeitete. Schuldig hingegen wusste, dass er heimlich mit irgendjemand chattete. Eigentlich hätte er das Crawford melden müssen, aber er genoss es lieber noch ein bisschen, wie Nagi jedes Mal zusammenzuckte, wenn Schuldig unter einem Vorwand sein Zimmer betrat. Wenn die Zeit reif war, würde er den Zwerg damit konfrontieren, aber heute war er in großzügiger Stimmung. Der Big Boss selbst hatte sich ebenfalls seit einer gefühlten Ewigkeit hinter seiner Arbeit verschanzt und Farfarello...ja, wo war eigentlich Farfarello?

 

Schuldig schnaubte. Also durfte er mal wieder los, um den irren Iren einzufangen. Crawford hätte wenigsten den Anstand haben können, ihn darum zu bitten. Aber er wollte sich nicht beschweren. Immerhin kam er so noch einmal aus der engen Wohnung heraus, die Crawford ihnen besorgt hatte.

 

Der Telepath trat vor die Tür und atmete tief ein. Die kalte Luft stach in seinen Lungen, aber vielleicht lag das auch an den beigemischten Aromen, die seine Geruchsnerven beleidigten. Müll, Unrat, Rauch und der Geruch schmieriger Garküchen, die sich in schmuddeligen Ecken drängten und die hungrigen Vorbeieilenden mit billigen Mahlzeit anlocken wollten. Dazwischen mischte sich je nachdem, wie nahe man ihnen kam, der Körpergeruch derjenigen, die hier auf den Straßen unterwegs waren. Das Viertel war weit entfernt von den Hochglanzprospekten, die man in den Reisebüros vorgesetzt bekam, aber Schuldig gefiel es. Es machte ihn wieder mehr zu dem, was er als sein eigentliches Selbst verstand. Außerdem würde es ihm hier mit Sicherheit nicht passieren, dass er auf einmal in einem Spielzeugladen stand, um ein Geschenk für eine Tochter zu besorgen, die er gar nicht hatte. Der Mann, von dem dieser Gedanke eigentlich gestammt hatte, hatte sich dann dafür entschieden, statt des geplanten blinkenden Plüscheinhorns eine Horrorclown-Maske zu erstehen. Schuldig hatte ihm viel Glück für die bevorstehende Scheidung gewünscht und den Laden mit einem zufriedenen Grinsen wieder verlassen.

 

Jetzt jedoch lenkte er seine Schritte tief hinein in das Viertel, indem die weniger Privilegierten hausten. Die Luft schmeckte nach abgestandenen Träumen, mühsam unterdrückter Gewalt und billigem Alkohol. Genau die richtige Mischung, die Schuldig zu genießen gedachte, wenn er erst Farfarello gefunden hatte. Das wiederum sollte nicht schwer werden. Er kannte seine Teamkollegen gut genug, um deren Gedanken selbst aus seiner großen Menschenmenge herauszufiltern. Suchend streckte er seine Gedanken aus und war überrascht, den Iren ganz in seiner Nähe wahrzunehmen. Er schien guter Stimmung zu sein.

 

'Hey, mein Freund, was treibt dich zu so später Stunde noch nach draußen?'

Komm her und sieh es dir an', war die ein wenig rätselhafte Antwort. Schuldig versuchte, noch mehr zu erfahren, aber Farfarello war bereits wieder so versunken in das, was er tat, dass sich kein klarer Gedanken erfassen ließ. Schuldig klappte den Kragen seines Mantels nach oben, steckte die Hände in die Taschen und ging mit langen Schritten in die Richtung, aus der er Farfarellos Gedanken wahrgenommen hatte.

 

Seine Beine trugen ihn in eine der vielen, engen Gassen, die von der nur leidlich beleuchteten Hauptstraße abzweigten. Unter einem Gewirr aus Treppen, Wäscheleinen und Stromkabeln hindurch drang Schuldig tief in das Labyrinth ein, das die hier Ansässigen ihr Zuhause nannten. Magere Katzen fauchten ihn von den Deckeln überquellender Mülltonnen aus an und irgendwo konnte er auch einige Ratte quieken hören. Nein, schön war das Viertel wirklich nicht. Aber wie eine billige Hure öffnete es seine Arme für alle, egal woher sie kamen und was sie hier wollten. Eine willige Schlampe, bereit sich für denjenigen auf den Rücken zu legen, der nur mit ein paar Scheinen vor ihrer Nase herumwedelte. Die Assoziation ließ Schuldig darüber nachdenken, sich später am Abend noch Gesellschaft zu besorgen. Vielleicht fand er eine, die einigermaßen ansehnlich war. Zunächst einmal galt es jedoch, Farfarello wieder nach Hause zu bringen.

 

Er bog um eine Ecke und wusste, dass er am richtige Ort war. Der kalte, klare Geist des einäugigen Verrückten bohrte sich wie ein Skalpell in Schuldigs Wahrnehmung und er musste unwillkürlich lächeln. Anscheinend war Farfarello nicht nur in guter Stimmung, sondern hatte zudem auch noch ein Opfer gefunden, das er quälen konnte. Der Hauch eines unterdrückten Schluchzens wehte durch die dunkle Gasse, in der Schuldig seinen Kollegen jetzt endlich entdeckte. Der ähnelte mehr denn je einem Geist mit der bleichen Haut und den hellen Haaren, die im Dunkeln zu leuchten schienen. Als er den Telepathen sah, verzog er die schmalen Lippen zu einem feinen Lächeln.

„Ich wusste, dass du kommen würdest.“

Schuldig erwiderte die Begrüßung mit einer leichten Verbeugung. „Du weißt, ich bin niemand, der enttäuscht. Also schieß los. Was hast du für mich?“

Farfarellos eines Auge leuchtete auf. „Eine Überraschung. Schließ deine Augen.“

Schuldig hob eine Augenbraue. „Im Ernst jetzt? Ich meine, für wie alt hältst du mich? Fünf?“

„Vertrau mir, du wirst es nicht bereuen.“

 

Farfarello zu vertrauen, war in etwa so ratsam, wie seinen Finger in einen elektrischen Bleistiftanspitzer zu stecken. Trotzdem tat Schuldig, wie ihm geheißen wurde. Er fühlte, wie der Ire näher kam und eine kühle Hand die seine nahm. Er wurde ein Stück weiter in die Gasse geführt und das Drängen eines verzweifelten Geistes wurde stärker. Den Geräuschen nach zu urteilen eine Frau. Was hatte Farfarello mit ihr angestellt? Schuldig fühlte eine unbestimmte Vorfreude in sich aufsteigen. Das hier war aufregender, als er angenommen hatte.

Farfarello gebot ihn stehen zubleiben und entfernte sich wieder. Schuldig hörte ihn irgendwo herumrumoren, dann fiel plötzlich Licht auf seine geschlossenen Lider.

 

„Augen auf!“, raunte Farfarello neben ihm und Schuldig zögerte nicht, dem Befehl nachzukommen.

Der Anblick, der sich ihm bot, war bizarr. Der irre Ire hatte überall zwischen den Häusern bunte Lichterketten gespannt. Farbige Glühbirnchen verschiedener Größe warfen ein Gewirr aus farbigem Licht und Schatten auf die Gestalt, die sich inmitten der Lichterketten befand, von den leuchtenden Schnüren gefesselt wie eine Fliege in einem riesigen Spinnennetz. Die üppige Blondine hatte Klebeband über ihrem Mund und sah ihn aus riesigen, mascaraverschmierten Augen an. Ihre Kleidung wies Spuren von Farfarellos Waffen auf und in ihrem Gesicht konnte Schuldig einen frischen Bluterguss erkennen. Anscheinend war die Gute nicht ganz freiwillig hier erschienen. Als sie Schuldig sah, versuchte sie um Hilfe zu rufen, doch das Klebeband hinderte sie zuverlässig daran. So verhallten ihre Schreie ungehört und nur Schuldig vernahm, wie ihre rasenden Gedanken verzweifelt nach einer Möglichkeit zur Flucht suchten und sich gleichzeitig die schlimmsten Dinge ausmalten, die die beiden Männer mit ihr anstellen würden. Unwillkürlich musste er lächeln. Er warf Farfarello einen anerkennenden Blick zu.

„Ein Kunstwerk, würde ich meinen. Wie lange hast du dafür gebraucht?“

Der Ire zuckte mit den Schultern: „Eine Weile. Die Lichterketten zu bekommen war am schwersten.“

Schuldig lachte auf und ging ein wenig näher an die Gefangene heran, die daraufhin versuchte, sich aus den Lichterketten zu befreien. Ein sinnloses Unterfangen. Farfarello war sorgfältig, wenn es darum ging, jemanden zu fesseln. Vielleicht aus persönlicher Erfahrung heraus.

„Na, meine Schöne“, gurrte Schuldig und beugte sich ein wenig zu der zitternden Frau herab. „Da hast du aber einen ganz schlechten Abend erwischt. Ich...“

 

Weiter kam er nicht, denn plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich, dass er nur zu gut kannte. Im nächsten Augenblick sackte die blonde Frau mit einem Loch in ihrer Stirn vor ihm zusammen, den starren Blick ihrer toten Augen immer noch auf Schuldig gerichtet. Er fuhr herum und sah gerade noch, wie Crawford seine Waffe zurück in das Schulterholster steckte. Er strich seinen dunklen Anzug glatt und warf einen missbilligenden Blick auf Farfarello.

„Ich dachte, ich hatte mich klar ausgedrückt. Ich wünsche keinerlei Aufsehen für die nächsten fünf Tage.“

Farfarello antwortete nicht, sondern begann lediglich, sich seine Fingernägel mit einem schmalen Dolch zu säubern. Wenn er so weiter machte, würde er heute Nacht wieder in der Zwangsjacke landen. Schuldig fühlte sich seltsamerweise verpflichtet, das zu verhindern.

„Ach komm schon, Crawford. Gönn ihm doch den Spaß. Oder meinst du, es wird sie jemand vermissen?“

Das Orakel antwortete nicht, sondern sah ihn nur gerade heraus an. Schuldig schnaufte.

„Also schön, es war eine dumme Idee. Aber musstest du sie deswegen gleich umbringen? Wir hätten erst noch ein bisschen Spaß mit ihr haben können.“

„Und den zwei Polizisten in die Arme laufen, die in zehn Minuten hier auftauchen werden. Glaub mir, die Nachbarschaft ist nicht die beste, aber auch hier schätzt man es nicht, Leichen auf seiner Türschwelle zu finden.“

 

Schuldig murmelte etwas, das im besten Fall eine unfreundliche Antwort war. Er warf die Hände in die Luft und sah Crawford fragend an.

„Und was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend? Ich meine, wenn du schon mal in Zivil auf die Straße gehst, sollten wir die Gelegenheit nutzen, und etwas trinken gehen. Wir waren ewig nicht mehr aus.“

Der Amerikaner schob die Brille auf dem Nasenrücken nach oben. „Also...“

„Das ist eine gute Idee“, schnitt ihm Farfarello das Wort ab. „Ich habe die Straße hinunter einen Pub entdeckt. Es gibt sogar einen Stechpalmenkranz an der Tür.“

Schuldig konnte förmlich hören, wie Crawford zu einer geharnischten Antwort ansetzte, die ihnen verbot, das Wort Weihnachten auch nur zu denken, aber dann schüttelte er lediglich den Kopf.

„Meinetwegen. Aber räumt hier vorher auf. Wir wollen ja niemanden auf dumme Gedanken bringen.“

 

Während Farfarello sich sofort an die Arbeit machte, warf Schuldig seinem Boss einen langen Blick zu. Dessen Gesichtsausdruck verriet zwar nichts, aber Schuldig war sich sicher, dass irgendwo da drinnen vielleicht doch ein winzig kleiner Funken Weihnachtsstimmung vorhanden war. Andernfalls wären sie jetzt schon wieder auf dem Rückweg in die enge Wohnung gewesen.

Der Ire hatte angefangen, vor sich hinzusingen und seine raue Stimme raspelte eine weihnachtliche Ballade in die dunkle Nacht hinaus. Nachdem er eine Weile dem Text gelauscht hatte, fiel Schuldig ein und übernahm die zweite Stimme. Er ignorierte Crawfords Kommentar über seine sängerischen Fähigkeiten und sang sogar noch ein wenig lauter, damit der Amerikaner auch verstand, dass die in dem Lied gerade vorkommenden Beleidigungen durchaus an ihn gerichtet waren. Er half Farfarello, die Leiche in einer Mülltonne verschwinden zu lassen und als sie fertig waren, legte er in einer vertrauten Geste den Arm um die Schultern seines irischen Kollegen. Gemeinsam gingen sie in Richtung Hauptstraße, während über ihnen der wieder einsetzende Schneefall den dunklen Nachthimmel mit kleinen, weißen Flöckchen verzierte.

 

 

Crawford folgte den beiden mit einigem Abstand und konnte sich ein schmales Lächeln nicht verkneifen. Das hier war besser gelaufen, als er erwartet hatte. Hinter ihm beleuchteten die immer noch bunt vor sich hin blinkenden Lichterketten die schmale Gasse, in der bald nichts mehr von der stattgefundenen Gewalttat zeugen würde, die nun endlich das Opfer gefordert hatte, vor dem er sich schon die ganze Adventszeit lang in acht genommen hatte. Der Schnee fiel inzwischen in dicken, samtigen Flocken und würde bald den Boden und die kleine, verräterische Blutlache bedecken, die sie zurückgelassen hatten. Man würde den Körper der Frau erst am nächsten Morgen finden und annehmen, dass es sich um ein Eifersuchtsdrama gehandelt hatte. Er würde dafür sorgen, dass die entsprechenden Berichte davon sprachen. Und wenn er es jetzt noch schaffte, Schuldig heute Abend davon abzuhalten, sich allzu sehr zu betrinken, dann hatte der Weihnachts-Wahnsinn bei Schwarz für dieses Jahr aller Voraussicht nach ein Ende. Endlich.

 

 

 

 

23.Dezember

Happy birthday to you,

Happy Birthday to you,

Happy birthday lieber Käää-hään,

happy birthday to you!“

 

Ken lachte und hielt sich die Ohren zu. „Bitte, ich ergebe mich, aber hör auf zu singen, Yoji.“

Der blonde Playboy klappte beleidigt den Mund zu. „Was soll das denn heißen? Etwa, dass ich nicht singen kann.“

„Etwa so gut wie kochen“, unkte Ken. „Ich hoffe, der Kuchen ist nicht von dir?“

„Nein, von mir“, grinste Omi und schob das Gebäck in Richtung Geburtstagskind. „Du musst die Kerzen ausblasen und dir was wünschen.“

Ken überlegte kurz, dann blies er die Kerzen aus. Über den Rauch hinweg sah er Aya, der gerade die Küche betrat. Er nickte Ken kurz zu, bevor er begann, sich einen Tee zu kochen.

„Hey, Aya, Ken wird heute volljährig. Wir suchen noch nach Ideen, wie wir diesen Tag begehen können.“

„Zunächst einmal müssen wir den Laden öffnen“, antwortete Aya ruhig. Er sah zu Ken hinüber. „Oder wolltest du heute freihaben?“

Ken spürte, wie er rot wurde. „Nein, ich...also ich weiß eigentlich nicht, was ich heute machen will. Es ist ja nur ein ganz normaler Tag.“

Aya würdigte ihn keiner Antwort und verließ mit seiner Tasse wieder die Küche. Yoji blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„An dem kann man sich ja Gefrierbrand holen. Was hat er denn nur für ein Problem?“

„Vielleicht war sein 20. Geburtstag nicht so...erfreulich“, warf Omi ein. „Ich meine, seine Eltern tot, seine Schwester im Koma, er selbst...nun ja.“

Yoji seufzte laut. „Ist ja gut. Armes Häschen, unser Aya. Aber heute ist Kens Tag. Wobei unser großer Anführer mit einem Recht hat. Wir sollten dringend den Laden öffnen. Man weiß ja nie, wer so vorbeikommt.“

Den Blick, den Yoji Omi dabei zuwarf, konnte Ken nicht so recht deuten. Ihm war das ganze Tammtamm um seinen Geburtstag eher unangenehm und das nicht nur, weil Aya es missbilligte. Er stand einfach nicht gerne im Mittelpunkt. In diesem Moment beneidete er Omi, dessen Geburtstag immerhin nur alle vier Jahre stattfand. Oder Yoji, der kein Problem damit hatte, sich selbst zu feiern. Aber Ken war eben einfach nur er selbst. Was gab es daran schon zu feiern?

 

 

Als er sich wenig später seine Schürze umband, fühlte er eine eigenartige Erleichterung von sich Besitz ergreifen. Der Morgen hatte eine unbestimmte Erwartungshaltung in ihm geweckt. Eine Erwartung, die nicht erfüllt werden konnte. Da war es besser, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die er haben konnte. Einen ruhigen Tag im Laden, nette, zufriedene Kunden, ein wenig Spaß mit den Jungs und dann hoffentlich niemanden, der mit einer Mappe mit einem Tötungsbefehl vor der Tür stand. Auf letzteres wollte er sich zwar nicht mit Sicherheit verlassen, aber wie es schien, hatten die Schneemassen nicht nur den Verkehr teilweise lahmgelegt. Auch die Unterwelt hielt momentan die Füße still. Wer wusste schon, ob all die wahnsinnigen Erfinder, geldgierigen Giftfabrikanten, und machthungrigen Politiker nicht momentan auch alle Hände voll damit zu tun hatten, sich auf Weihnachten vorzubereiten oder Schnee zu schippen, Plätzchen zu backen oder ihre Heizung zu reparieren.

Ken lachte bei der Vorstellung und hob den Schlauch, um eine weitere Pflanze zu wässern, als die Türglocke das Eintreten eines Kunden ankündigte. Er hörte, wie Yoji denjenigen herzlich in Empfang nahm und vermutete somit, dass es sich um eine hübsche, weibliche Kundin handeln musste. Für jemand anderen machte sich der Playboy normalerweise nicht die Mühe, sich von seinem Stuhl am Kassentresen zu erheben.

Umso erstaunter war er, als er plötzlich Yoji nach ihm rufen hörte. Er drehte das Wasser ab und wischte sich die Hände an seiner Schürze trocken. Hoffentlich war das keine Reklamation. Die Lieferung, die er gestern gemacht hatte, war ihm in einer Kurve ziemlich ins Rutschen geraten. Einige der Sträuße und Gestecke waren übereinander gepurzelt und er fürchtete fast, dass sich jetzt jemand wegen einem geknickten Stängel oder einer abgebrochenen Blüte beschweren wollte. Da konnte er nur hoffen, dass Aya das nicht mitbekam und darauf bestand, dass er die Kosten aus eigener Tasche ersetzte. Aber immerhin tat Yoji das ja auch nicht, wenn er dauernd irgendwelche Blumen an...

 

Die Gedanken, die Ken gerade noch gehabt hatte, verflüchtigten sich, als er sah, wer da neben Yoji im Laden stand. Das war nicht möglich. Das war...

„Yuriko.“ Er hatte den Namen nur geflüstert, aber ihm war, als dröhne seine Stimme durch den ganzen Laden. Sie war es. Sie war es wirklich. Es bestand kein Zweifel. Aber wie? Und woher?

Sein Blick huschte zu Yoji. Dem breiten Grinsen auf dem Gesicht des großen Blonden nach zu urteilen, war das hier ein abgekartetes Spiel. Und sah nicht auch Omi verdächtig neugierig aus? Er nickte Ken zu und hob beide Daumen als Zeichen seiner Zustimmung. Aber...

 

„Ken?“ Yurikos Stimme war noch genauso, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie lächelte. Ihre Haare waren ein wenig kürzer, ihre Haut sonnengebräunt, aber ihre Augen strahlten genau wie damals. „Ich...ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich hergekommen bin. Deine Freunde haben gesagt...“

Die Welt um Ken herum begann sich zu drehen. Wie oft hatte er an sie gedacht und erfolglos versucht, sich das Mädchen, in das er sich Hals über Kopf verliebt hatte, endlich zu vergessen. Er hatte sie ziehen lassen, als sie ihrem Traum, nach Australien zu gehen, gefolgt war. Hatte ihre Einladung, mit ihr zu gehen, ausgeschlagen. Auch auf Yojis Bestreben hin, der ihn daran erinnert hatte, wer er war und was er tat. Ihm vor Augen geführt hatte, dass seine Hände in Blut getaucht waren. Und doch hatten sie Yuriko hierher geführt? Warum?

 

 

„Wie ich sehe, ist Ken ganz überwältigt“, half Yoji ihm unerwartet aus. „Ich denke, ich schnappe mir den Guten mal kurz, damit er den Schock verdauen kann.“

Er wandte sich an Yuriko. „Omi wird sich solange um Sie kümmern, Miss Asakawa. Ich bringe Ihnen Ken gleich wieder zurück.“

Yuriko lachte laut auf. „Ok, ich werde warten. Aber entführen Sie ihn mir nicht zu lange, Mister Kudo. Wir haben heute noch viel vor.“

Yoji zwinkerte ihr zu und schob dann Ken durch die Tür in den Nebenraum. Kaum dort angekommen, wirbelte Ken herum und sah den Playboy mit weit aufgerissenen Augen an:

„Was soll das? Warum ist sie hier? Du hast doch gesagt...“

Yoji hob beruhigend die Hände. „Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber jeder muss seine eigenen Fehler im Leben machen und es stand mir nicht zu, dir deine zu verbieten. Also gehst du jetzt da raus und hast einen verdammt guten Tag, verstanden? Omi soll sich schließlich nicht umsonst die ganze Mühe gemacht haben, um deine Flamme ausfindig zu machen und unter einem Vorwand hierher zu locken.“ Er grinste ein wenig schief. „Obwohl ich nicht glaube, dass wir sie wirklich täuschen konnten. Als sie gehört hat, dass sie in einen Blumenladen kommen soll, war sie überraschend schnell einverstanden. Du weißt, was das heißt?“

Ken schüttelte verwirrt den Kopf. Das war alles ein bisschen viel.

Yoji schlug ihm mit der flachen Hand vor die Stirn. „Das heißt, dass sie dich auch nicht vergessen hat, du Dummkopf. Und jetzt geh endlich. Eine schöne Frau soll man nicht zu lange warten lassen.“

 

 

Ken sah ihn noch einmal unsicher an und Yoji konnte förmlich sehen, wie die Erkenntnis über sein Gesicht kroch. Erst hoben sich seine Mundwinkel, dann kamen die kleinen Grübchen, die Ken immer bekam, wenn er lachte und schließlich erreichte der freudige Glanz seine Augen. Hektisch griff er nach den Bändern seiner Schürze, fummelte daran herum, bekam die störrischen Dinger endlich zu fassen und riss sich den Soff vom Leib.

„Ich...ich kann...ich...“ Er stotterte und unterbrach sich schließlich selbst. Plötzlich griff er nach Yoji und drückte ihn kurz an sich. „Danke.“

„Jaja“ winkte Yoji ab und schob ihn entschieden von sich. „Heb dir das lieber für sie auf. Ich stehe nicht so darauf, von dir abgebusselt zu werden. Jetzt lauf endlich, sonst hat Omi sie am Ende noch am Hals und der Chibi weiß bestimmt nicht, wie man mit einer Dame ihres Formats richtig umgeht.“

Ken grinste noch einmal von einem Ohr zum anderen und stürzte dann fast über seine eigenen Füße, als er zur Tür eilte und in den Verkaufsraum stürzte. Yoji atmete tief ein und aus.

„Sie werden ja so schnell groß“, schmunzelte er und griff nach seinen Zigaretten. Die hatte er sich jetzt wirklich verdient. Sinnierend sah er dem Rauch nach, der sich zur Decke kräuselte und versuchte, den kleinen Stich zu ignorieren, die ihm die ganze Sache verpasst hatte. Vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht, war er ein wenig eifersüchtig auf Ken, auch wenn er im Leben nicht mit ihm hätte tauschen wollen. Aber ein Mann konnte Träume haben.

 

 

 

Ken spielte nervös mit der Serviette in seinen Händen. Er und Yuriko saßen in einem Café. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sie irgendwo draußen gewesen wären, wo er sich bewegen konnte. Aber vor den hell erleuchteten Fenstern herrschte dichtes Schneetreiben, das eine Unterhaltung unmöglich gemacht hätte. Er schielte über den Tisch zu Yuriko, die lächelnd einen Schluck von ihrer heißen Schokolade nahm.

„Wie...wie geht es dir. Ich meine, du siehst toll aus, also...“ Ken spürte dass er rot wurde. Das hier war definitiv nicht seine Stärke.

„Danke, es geht mir gut.“ Die lächelte und griff vorsichtig nach seiner Hand. „Ken, ich bin nicht böse auf dich.“

Er schluckte. Jetzt kam es, wovor er sich den ganzen Weg hierher gefürchtet hatte, nachdem die erste Freude über das Wiedersehen abgeklungen war. Yuriko lächelte weiter.

„Ich war es erst, als du nicht gekommen bist. Ich dachte, du hättest mich angelogen. Aber dann war ich froh, dass du nicht gekommen bist.“

Kens Kopf ruckte nach oben. Diese Eröffnung traf ihn so unerwartet, dass er nicht wusste, was er darauf antworten sollte. „Du warst froh darüber?“

Yuriko lächelte nur. „Ja, das war ich. Denn weißt du, in dem Moment ist mir klar geworden, dass es nicht fair gewesen wäre, dich mitzunehmen. Nach Australien zu gehen war mein Traum, Ken, nicht deiner. Und indem du nicht mitgekommen bist, hast du eine Entscheidung für dich und deine eigenen Träume gefällt. Ich weiß nicht, ob du deinen Traum schon gefunden hast oder ob du es je tun wirst, aber ich weiß, dass du danach suchen wirst, und ich bin froh, dass es so ist. Ich möchte, dass du deinen eigenen Traum findest, Ken. Und dass er irgendwann in Erfüllung geht.“

Als er ihr in die Augen sah, sah er Tränen darin schimmern. Er wollte etwas sagen, aber sein Kopf war wie leergefegt.

„Aber weißt du, es gibt etwas, das ich bereut habe in all der Zeit.“ Sie wischte sich über die Augen und lächelte nun wieder. „Ich habe bereut, dass ich dir das nie sagen konnte. Ich wusste, dass es besser so ist, aber irgendwie...“

Ihre Stimme erstarb und sie sah ihm tief in die Augen. Er fühlte ein warmes Gefühl in seinem Magen, das sich über den ganzen Körper ausbreitete. Er wollte sie gerne in den Arm nehmen, sie trösten, als er plötzlich verstand, dass das nicht notwendig war. Sie hatte endlich bekommen, was sie gewollt hatte. All ihre Träume hatten sich erfüllt und auch, wenn er kein Teil davon war, war sie glücklich. So glücklich, wie er es sich für sie erhofft hatte.

 

Plötzlich begann Yuriko zu lachen und obwohl er nicht wusste, warum, fiel er mit ein. Sie hatte immer noch eine mitreißende Art, genau so, wie er sie in Erinnerung hatte.

„Lass uns heute nicht über die Vergangenheit reden“, bat sie und griff wieder nach seiner Hand. „Ich werde nur ein paar Tage hierbleiben, aber ich möchte die Zeit mit dir verbringen. Nur, weil wir nicht für immer zusammen sein können, heißt das ja nicht, dass wir die Zeit, die wir haben, nicht genießen können. Außerdem: Es ist Weihnachten und du möchtest doch nicht, dass ich den 24. Dezember allein mit meinen Eltern verbringen muss. Das wäre wirklich...“

Ken lachte noch einmal laut auf. „Ich fühle mich ausgenutzt.“

„Oh, das solltest du auch“, grinste sie ihn an. „Ich erwarte, dass du mich ganz groß ausführst, hörst du? Aber ich verspreche dir, dass es nicht zu deinem Nachteil sein wird.“

Er wurde rot, als ihm klar wurde, was sie implizierte, und fühlte, dass sich das warme Gefühl in seinem Inneren in etwas anderes verwandelte. Plötzlich war er sich sicher, dass die tatsächlich der beste Geburtstag seit langem werden würde. Und das beste Weihnachtsfest, dass er je gehabt hatte.

 

 

 

24.Dezember

Mit einem inneren Seufzen verabschiedete Aya den letzten Kunden für heute. Der junge Mann, der ein wenig abgehetzt gerade rechtzeitig vor Ladenschluss hier angekommen war, hatte noch schnell eines der sehr beliebten Gestecke erstanden, die Omi speziell für die Weihnachtszeit entworfen hatte. Der junge Erfinder selbst hatte sich bereits vor einer halben Stunde mit roten Ohren verabschiedet. Er hatte nicht gesagt, wohin er ging, und Aya hatte nicht gefragt. Die anderen zwei Weiß waren bereits wesentlich früher zu ihren Weihnachtsvergnügungen aufgebrochen. Ken zu einem Treffen mit dieser Yuriko und Yoji zu einem seiner unvermeidlichen Dates.

Aya nahm einen Schluck aus dem weißen Porzellanbecher, von dem ihm ein grinsender Elch eine „Frohe Weihnacht!“ wünschte. Yoji hatte zwei Dutzend dieser Dinger für seine Art von Weihnachtsstimmung besorgt. Er war der Meinung gewesen, dass es den Verkauf förderte, wenn sie kostenlosen Glühwein ausschenkten. Natürlich hatte Aya die alkoholische Variante verboten und sich auch sonst frostig dem Thema gegenüber gegeben, aber jetzt, da er eine Tasse des heißen Getränks in Händen hielt, musste er zugeben, dass er gar nicht schlecht schmeckte. Er leerte den Becher und schenkte sich noch einmal nach. Immerhin würde das Getränk sonst mit ziemlicher Sicherheit verderben und Aya hasste Verschwendung.

 

Er schloss die Ladentür und sah nach draußen. Dort hatte es erneut begonnen zu schneien und Aya war froh, dass er heute das Haus nicht mehr verlassen musste. Er würde jetzt noch den Kassenabschluss machen und sich dann nach einem kleinen Abendessen in sein Zimmer zurückziehen. Gleich morgen früh würde er zum Krankenhaus fahren und seine Schwester besuchen. Heute Abend jedoch würden ihn keine zehn Pferde mehr vor die Tür bekommen. Dort draußen wimmelte es nur so von verliebten Pärchen, die geradezu darauf lechzten, sich ihm in ihrer Gefühlsseligkeit vor den Kühler zu werfen.

Und wenn es nicht die Pärchen waren, dann vielleicht einer der weniger Glücklichen, die den Abend ungewollt allein verbrachten. Gerade gestern hatte die Polizei die Leiche einer Frau in einer Mülltonne gefunden, die mit einer Weihnachts-Lichterkette gefesselt und dann erschossen worden war. Man vermutete als Täter einen abgewiesenen Liebhaber. Als er das gehört hatte, stand für ihn endgültig fest, dass die Welt rund um Weihnachten vollkommen den Verstand verloren hatte. Und unter diesen Umständen sollte er sich nach draußen wagen? Nein Danke! Da blieb Aya lieber zu Hause und trank noch einen Glühwein. Der wirklich erstaunlich gut schmeckte dafür, dass Yoji ihn zusammengerührt hatte. Möglicherweise hatte er seine Augen mal nicht dafür benutzt, der weiblichen Kundschaft auf die Brüste oder sonst wo hin zu starren, sondern sich an das Rezept gehalten, das Omi ihm aus dem Internet ausgedruckt hatte.

 

Aya griff nach einem Besen und begann, die Reste des Tagesgeschäfts zusammenzufegen. Der Schneematsch hatte jede Menge Fußspuren hinterlassen. Wenn er mit Fegen fertig war, würde er noch den Mob bemühen müssen. Aber warum auch nicht? Es wartete ja niemand auf ihn. Und die langsamen, repetiven Bewegungen waren beruhigend. Doch vorher würde er noch die Heizung herunterdrehen. Irgendjemand (vermutlich Omi) hatte anscheinend gefroren und den Regler bis zum Anschlag hochgeschoben. Das tat den Blumen nicht gut und kostete außerdem Geld. Er streifte seinen Pullover, den er sich inzwischen gekauft hatte, über den Kopf und sah nach dem Schalter. Komischerweise war der genau auf die richtige Temperatur eingestellt. Mit einem Stirnrunzeln griff Aya nach Mob und Eimer, bevor er wieder zurück in den Laden ging. Er füllte sich noch eine Tasse des Glühweins ein und nahm einen Schluck, bevor er misstrauisch in die Tasse sah. Er roch daran und seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. War es möglich, dass da doch...nein, ausgeschlossen. Das würde er riechen und schmecken. Vermutlich lag es einfach nur an der Temperatur des Getränks, dass ihm so warm war. Er blies die Backen auf und ließ die Luft wieder entweichen. Der Mob und er also. Na dann auf zum Tanz.

 

 

Aya hatte gerade die Hälfte des Bodens gewischt, als es plötzlich am Türgitter klopfte. Heftig klopfte. Er zog die Augenbrauen zusammen. Wer in aller Welt veranstaltete dort draußen so einen Lärm? Etwa noch jemand, der sein Geschenk vergessen hatte? Aya rollte innerlich mit den Augen und machte sich daran, das Gitter noch einmal zu öffnen.

Als er es beiseite schob, sah er in Yojis entschuldigend grinsendes Gesicht. „Hey Aya, gut, dass du noch da bist. Ich habe...“

„Deinen Schlüssel vergessen. Wie immer.“

Yojis Grinsen wurde breiter. „Wie gut du mich kennst. Aber lässt du mich jetzt rein oder muss ich hier draußen festfrieren. Es ist eiskalt.“

Wortlos trat Aya beiseite und ließ Yoji vorbei. Mit ihm wehte ein Schwall kalter Luft herein, der Aya frösteln ließ. Er schloss schnell die Tür und gönnte sich noch einen Schluck Glühwein, bevor er wieder nach dem Mob griff. Er hatte kaum zweimal hin und her gewischt, als der große Blonde wieder auf der Bildfläche erschien. In seinen Händen hielt er eines der Weihnachtsgestecke.

„Es sind noch so viele übrig, da dachte ich, ich nehme mir eines mit.“

„Wenn du es bezahlst“, lautete Ayas unterkühlte Antwort. Oder zumindest hätte sie unterkühlt sein sollen. Stattdessen klang er...irgendwie anders. Mit einem eigenartigen Kieksen in seiner Stimme, das da nicht hingehörte. Ohne zu überlegen, nahm er noch einen großen Schluck Glühwein. Vielleicht würde der das Kieksen entfernen.

 

„Aber ich dachte...“

Yoji warf ihm einen bittenden Blick zu mit diesen grünen Augen, in denen je nach Lichteinfall manchmal goldene Fünkchen tanzten. Aya konnte verstehen, was die Frauen an ihm fanden. Groß, gutaussehend, charmant...faul, unpünktlich, egoistisch und hatte er faul erwähnt? Noch dazu vollkommen unzuverlässig, wie man ja an dem Gesteck in seinen Händen sah.

„Welcher Florist vergisst seiner Freundin Blumen mitzubringen“, giftete Aya und wies mit ausgestrecktem Arm auf die Kasse. „Du bezahlst wie alle anderen.“

„Oh, sind wir heute aber zickig“, grummelte Yoji, zückte aber sein Portemonnaie. Sein Blick fiel auf die Tasse auf dem Verkaufstresen. „Ähm, Aya? Hast du von dem Glühwein getrunken?“

„Warum?“, schnappte Aya und bearbeitete den Boden mit dem Mob, der irgendwie Schlangenlinien auf den Fußboden wischte. Oder bewegte sich der Fußboden unter dem Mob?

„War nur so eine Frage“, entgegnete Yoji hastig. „Ich hatte Omi eigentlich gebeten, ihn wegzuräumen. Muss er wohl in der Aufregung vergessen haben. Er scheint heute eine Verabredung zu haben.“

„Mmh“, machte Aya und versuchte, sich auf das Wischen zu konzentrieren. Aber entweder war der Mob oder der Boden heute störrischer als sonst.

„Hat wohl jemanden auf der Eisbahn kennengelernt. Ziemlich romantisch, nicht wahr? Ein Jammer, dass sie nicht lange werden draußen sein können. Nicht, wenn Omi keine Erkältung riskieren will.“

„Was willst du damit sagen?“ Aya schoss einen drohenden Blick auf Yoji ab. Er merkte selbst, dass der ihm nicht recht gelang.

„Dass ich weiß, was du gemacht hast. Das war wirklich unfair. Ihn mitten im Winter ohne warme Klamotten rauszuschicken, ist unmenschlich.“

„Er hat meinen Pullover verschenkt“, versuchte sich Aya zu rechtfertigen. Er fand, dass er ein bisschen wie ein Kind klang, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hatte.

Yoji verzog den Mund zu einem missbilligenden Ausdruck. „Es war ein Versehen, Aya. Er hat gedacht, du wolltest dich an der Weihnachts-Aktion beteiligen. Sie haben in der Schule für Bedürftige gesammelt.“

„Ich bin auch bedürftig“, antwortete Aya und wunderte sich sowohl über die Wortwahl wie auch über den Tonfall. Das klang so gar nicht nach ihm. Allerdings entzog sich das, was sein Mund tat, anscheinend gerade seiner Kontrolle. Schnell entschloss er sich, das einzig Richtige zu tun und nahm noch einen tiefen Schluck aus seiner Tasse. Wenn er trank, konnte er wenigstens nicht reden. Aber warum sah Yoji ihn so komisch an? Und warum kam er jetzt mit diesem eigenartigen Gesichtsausdruck auf Aya zu?

„Ich glaube, ich nehme das mal“, sagte Yoji sanft und griff nach der Tasse. Dabei kam er Aya so nah, dass der seine Körperwärme spüren konnte. Und seinen Duft riechen. Was war das für ein After Shave? War das neu? Ayas Finger krallten sich um die Tasse.

„Die gehört mir“, fauchte er. „Such dir eine eigene.“

„Aya, gib mir die Tasse.“

„Nein.“

„Doch.“

„Nein.“

„Aya bitte.“ Yoji seufzte tief. „Ich glaube, du bist ein wenig allergisch auf Glühwein. Anders kann ich mir deine gesunde Gesichtsfarbe und den Glanz in deinen Augen nicht erklären.“

„Allergisch?“ Aya war so überrascht, dass es Yoji tatsächlich gelang, ihm die Tasse abzunehmen. Mit einem überlegenen Grinsen stellte er sie oben auf das Regal, dessen oberstes Brett selbst Aya nicht erreichen konnte, ohne einen Tritt zu benutzen.

Aya schoss einen dieses Mal wirklich finsteren Blick auf ihn ab. „Du weißt, dass mich das nicht aufhalten wird.“

Yoji Grinsen wurde zu einem wärmeren Lächeln. „Ja, das weiß ich. So einen Sturkopf wie dich würde es vermutlich nicht mal aufhalten, wenn ich die Tasse per Express zum Nordpol schicken würde. Du würdest dich vor den Zug werfen und ihn mit deinem puren Willen zum Anhalten zwingen. Nur um mir zu beweisen, dass du es kannst.“

„Ich muss dir überhaupt nichts beweisen“, grollte Aya und wollte wieder nach dem Mob greifen. Seine Finger allerdings schienen ihm ebenso wenig gehorchen zu wollen wie sein Mund, denn der Mobstiel entglitt ihnen und fiel unter lautem Klackern zu Boden. Er bückte sich schnell danach, aber nicht schnell genug. Yoji war ihm zuvorgekommen und hielt ihm mit einer leichten Verbeugung den Mob entgegen.

„Ich glaube, Sie haben da etwas fallen lassen.“

 

Aya sah Yoji an und kam nicht umhin zu bemerken, dass ihm gefiel, was er sah. Die schlanke, wohl definierte Silhouette, die leicht gebräunte Haut, die dunkelblonden Haare, die ihm bei der Verbeugung ein wenig ins Gesicht gefallen waren, die langen Finger, die den Mobstiel festhielten, und nicht zuletzt die grünen Augen, die ihn über den Rand der allseits präsenten Sonnenbrille hinweg belustigt anfunkelten. Er kannte Yoji, wenn er so aussah. Dann war irgendein weibliches Wesen in der Nähe, dass er – meist erfolgreich – versuchte zu umgarnen. Da sie beide allein waren, stellte sich die Frage: Warum also sah er jetzt so aus?

 

Unwillkürlich wich Aya ein Stück zurück und machte keinerlei Anstalten, Yoji den Mob wieder abzunehmen. Der seufzte erneut, richtete sich wieder auf und sah sich den Boden an.

„Soll ich dir helfen?“

Aya wusste nicht, was ihn mehr überraschte. Dass Yoji mit ihm flirtete oder dass er ihm anbot, ihm zu helfen. Beides kam quasi nie vor.

 

Yoji wartete seine Antwort nicht ab. Er entledigte sich seines Mantels und offenbarte eines seiner unvermeidlichen engen Oberteile, das einen Teil seines Bauches und des unteren Rückens freiließ. Seine Muskeln spannten sich unter dem Stoff, als er anfing, den Boden zu wischen. Gründlicher als Aya, wie der neidvoll zugeben musste. Vielleicht war an der Glühwein-Allergie etwas dran. Anders konnte er sich nicht erklären, warum er immer noch bewegungslos an seinem Platz stand und Yoji zusah, wie der den Laden wischte. Nein, er sah ihm nicht zu. Er starrte ihn an. Ließ seinen Blick von oben nach unten wandern und fühlte ein eigenartiges Kribbeln in sich aufsteigen. Vermutlich bekam er jetzt auch noch einen Ausschlag.

 

Yoji hatte sich erfolgreich zu Ayas Ecke vorgewischt und betrachtete sein Werk.

„Das muss jetzt noch trocken“, urteilte er, stellte den Mob beiseite und drehte sich zu Aya herum. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du guckst so komisch.“

Aya unternahm einen Versuch, gleichzeitig zu nicken und mit dem Kopf zu schütteln. Das Ergebnis schien einige Heiterkeit bei Yoji auszulösen. Er schmunzelte und tippt Aya gegen die Nase.

„Die ist ganz rot. Ich tippe wirklich ganz stark auf eine Glühwein-Allergie. Vielleicht sollte ich dich noch nach oben bringen um sicherzugehen, dass du auch heil im Bett landest.“

 

Als hätten diese Worte in Ayas Kopf einen Schalter umgelegt, straffte er sich plötzlich und entblößte die Zähne zu einem Knurren.

„Ich bin kein kleines Kind, Yoji. Ich kann sehr gut allein ins Bett gehen. Also lass mich gefälligst durch.“

Er stieß den großen Blonden beiseite und marschierte schnurstracks über den frisch gewischten Boden in Richtung Wohnung. Er kam ungefähr drei Schritte weit, bis Yoji ihn einholte und am Handgelenk erwischte.

„Aya, warte. Ich wollte nicht...“

 

Er konnte im Nachhinein nicht sagen, woran es gelegen hatte. Möglicherweise war der glatte Boden schuld. Oder sein eigener, angeschlagener Zustand. Oder aber Yoji war einfach stärker, als Aya gedacht hatte. Fakt war jedoch, dass er sich plötzlich in dessen Armen wiederfand und sich an ihm festhalten musste, um nicht höchst unrühmlich auf seinen Hintern zu plumpsen. Wütend hob er den Kopf und sah, dass sie auch noch ausgerechnet unter dem dämlichen Mistelzweig standen, den Yoji gegen seinen Willen aufgehängt hatte.

Yoji folgte seinem Blick und grinste. „Na wenn das kein Zufall ist. Du hast nicht zufällig vor, auf mein früheres Angebot zurückzukommen, oder?“

 

Etwas an Yojis Tonfall ließ Aya stutzig werden. Es mochte ja sein, dass sein Körper ihm momentan nicht so ganz gehorchte, aber mit seinen Ohren war noch alles in Ordnung. Sonst wäre ihm wohl kaum aufgefallen, dass Yojis Stimme leicht heiser klang. Und den kleinen Hoffnungsschimmer, der darin mitgeschwungen war, hatte er sich sicherlich auch nicht eingebildet. In Ayas Magen bildetet sich ein Knoten, der jetzt, da Yoji noch ein Stück näher kam, heißes Blut durch seinen Körper pumpte. Instinktiv hob er den Kopf.

 

Der Blick der grünen Augen nahm ihn gefangen. Er wollte eigentlich etwas tun, Yoji von sich stoßen oder ihm wenigstens sagen, dass er sich zum Teufel scheren sollte. Stattdessen sah er ihn einfach nur an und fühlte, wie seine Wangen anfingen zu brennen.

„Was...was soll das werden?“, brachte er schließlich ziemlich dünn hervor.

„Ich dachte, das wäre offensichtlich“, entgegnete Yoji und kam noch ein Stück näher. Aya fühlte den Atem auf seinem Gesicht, spürte den Herzschlag unter seinen Händen, die sich immer noch in Yojis Shirt krallten. Eilig ließ er los und sollte zurückweichen, aber Yoji nutzte die Gelegenheit nur, um ihn noch weiter an sich zu ziehen.

„Du weißt, dass ich den Zweig nur deinetwegen aufgehängt habe, oder?“
 

Diese Eröffnung überraschte Aya. Er runzelte die Stirn. „Meinetwegen? Aber ich habe es dir verboten.“

„Ebendrum“, lautete die kryptische Antwort. „Ich hatte gehofft, dass wir uns irgendwann darunter treffen würden. So wie letztes Jahr.“

„Letztes Jahr?“ Aya versuchte sich zu erinnern, aber ihm fiel nicht ein, was Yoji meinen könnte.

„Du hast es vergessen?“ Yoji lachte leise. „Kein Wunder. Warum solltest du dich auch daran erinnern. Du wolltest den Zweig abnehmen, ich wollte dich daran hindern und dann...“

Dunkel kamen Erinnerungsfetzen an eine Beule, einen jammernden Yoji und Ken, der sie beiden trennen musste, damit sie sich nicht die Köpfe einschlugen. Nichts davon war irgendwie...romantisch, wenn er es mit der derzeitigen Situation verglich. Die hingegen hatte durchaus etliches Potenzial in eine Richtung, in die Aya bisher nicht gedacht hatte. Nicht, während er wach war.

„Ich...ich bin keine Frau“, sagte er leise und wunderte sich ein wenig über den bedauernden Ton in seiner Stimme.

„Nein, das bist du nicht“, erwiderte Yoji mit einem kleinen, schiefen Lächeln. „Und wenn, dann wärst du die sturste, bärbeißigste und abweisendste Frau, die mir je untergekommen ist. Aber ich habe im Biologieunterricht aufgepasst. Ich weiß, dass du keine Frau bist. Du bist Aya.“

 

Und dann lehnte er sich vor und küsste ihn. Für einen Augenblick war Aya so überrumpelt, dass er gar nicht daran dachte, irgendwie zu reagieren. Dann jedoch übernahm ein Teil seines Gehirns, der nicht für logische Entscheidungen zuständig war, die Kontrolle über die Situation und erwiderte den Kuss. Die Sekunden schienen sich zu Stunden zu dehnen, bevor er und Yoji sich schließlich wieder voneinander trennten und sich ein wenig unsicher ansahen.

 

Aya leckte sich über die Lippen, die nach Yoji schmeckten und schluckte langsam. Alle Gedanken daran, sich aus der Umarmung zu befreien, waren wie weggeblasen.

„Ich dachte...du hast doch ein Date“, brachte er schließlich hervor. Er musste es einfach sagen.

Yoji wiegte den Kopf leicht hin und her. „Ich denke, ich werde sie anrufen und ihr absagen.“

„Am Weihnachtsabend? Ist das nicht irgendwie grausam?“

„Wäre es nicht ebenso grausam, mit ihr auszugehen, wenn meine Gedanken die ganze Zeit bei jemand anderem sind? Das hatte ich letzte Weihnachten schon und ich gedenke nicht, das dieses Jahr zu wiederholen. Dieses Jahr möchte ich den 24. Dezember mit jemandem verbringen, der mir wirklich etwas bedeutet.“

 

 

Diese Worte waren alles, was Aya brauchte. Glühwein hin, Allergie her, es war ihm egal. Mit einem entschiedenen Ruck zog er Yoji an sich und tauchte mit ihm erneut ein in einen langen, sehr, sehr langen Kuss. Draußen vor dem Fenster rieselten die Schneeflocken hernieder und die Weihnachtsbeleuchtung tauchte die ganze Stadt in bunte, fröhliche Lichter, die allen, die es hören wollten, eine wunderschöne, weiße Weihnacht wünschten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: Coffee-Shop Weihnachtsspecials
Musik: „Deck the Halls“ - Julie Andrews https://www.youtube.com/watch?v=HvecSGziYXA Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: im Zug durch Winterlandschaft
Musik: „Let it snow“ - Dean Martin https://www.youtube.com/watch?v=mN7LW0Y00kE Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: Weihnachten alleine, weil alle einen vergessen haben (... oder doch nicht?)
Musik: „Stille Nacht“ - St. Thomas Boys Choir https://www.youtube.com/watch?v=4puLybRGSAw


Und mal ne Frage: Hättet ihr das Lied lieber am Anfang? Hört ihr das gar beim Lesen so wie ich beim Schreiben? Wenn nicht, lasse ich es nämlich hinten, da kann es dann weiter getrost ignoriert werden. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Promt: einem Bedürftigen helfen
Musik: „Jingle Bells“ - Bing Crosby https://www.youtube.com/watch?v=7pgwu9Pyy9c Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: Weihnachten am Strand
Musik: „Little drummer Boy“ - Boney M https://www.youtube.com/watch?v=IRDLsEJYTBU Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: auf dem Weg zum Nordpol
Musik: „Carol of the bells“ https://www.youtube.com/watch?v=tdTY6IpIG_g Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: an klassischem Weihnachtsessen grandios scheitern
Musik: „Holly, Jolly Christmas“ - Burl Ives https://www.youtube.com/watch?v=DtVxFi9C0RA Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: Weihnachtsstrumpf (für Kamin) selber stricken
Musik: „Jingle Bell rock“ - Bobby Helms https://www.youtube.com/watch?v=itcMLwMEeMQ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: jemandem ohne Schal, Mantel,… in den Schnee hinterher rennen
Musik: „Sleigh ride“ - The Ronettes https://www.youtube.com/watch?v=Y6rDA2Czz0E Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: nicht gerade weihnachtlicher Baumschmuck
Musik: „Rocking around the christmas tree“ - Brenda Lee https://www.youtube.com/watch?v=dxHL36aJvGU Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: der (ein) Weihnachtsmann muss nach dem Weg fragen
Musik: „Santa Baby“ - Eartha Kitt https://www.youtube.com/watch?v=Mk_GmhD053E Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: Schwarm hat Geschenk für einen… aber nur wegen Wichteln
Musik: „All I want fro Christmas is you“ - Mariah Carey https://www.youtube.com/watch?v=yXQViqx6GMY Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: ständig Plätzchen auf Arbeit mitbringen
Musik: „In der Weihnachtsbäckerei“ - Rolf Zukowski https://www.youtube.com/watch?v=IFZqDcFU4Ow Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: unweihnachtliche Weihnachtstradition
Musik: „What christmas means to me“ - Stevie Wonder https://www.youtube.com/watch?v=wtgGBgpNcIo

Und wer das versteckte Film-Zitat findet, bekommt einen Keks. ^_~ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: dem griesgrämig-unnahbaren Boss ein Weihnachtsgeschenk geben
Musik: „Merry christmas everyone“ - Shakin Stevens https://www.youtube.com/watch?v=LoG0s8IKbK4 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: nicht so schnell frieren und immer noch kurzärmelig unterwegs sein
Musik: „Simply Having A Wonderful Christmas Time“ - Paul McCartney https://www.youtube.com/watch?v=hMhMekfIyos Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: schon unglaublich früh Weihnachtsdeko basteln
„It's The Most Wonderful Time Of The Year“ - Andy Williams https://www.youtube.com/watch?v=SFGC_YgeQ5w

(Text des Kirschenbaumliedes am Anfang gefunden bei www.labbe.de) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: Pyjama-Day/-Morning
Musik: „It`s beginning to look a lot like christmas“ - Bing Crosby https://www.youtube.com/watch?v=MUPGxVCIvrI Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: die letzten Sonnenstrahlen erhaschen
Musik: „Do you hear what I hear“ - Orla Fallon https://www.youtube.com/watch?v=t84OSRahBRo Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Promt: Weihnachtsmuffel trägt plötzlich doch Weihnachtspulli/-krawatte
Musik: „Rudolf the red-nose reindeer“ - Dean Martin https://www.youtube.com/watch?v=sPCvyJod0WM Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: sich endlich weg vom Rand der Schlittschuhbahn trauen und genau dann...

Musik: „Walking in a Winter Wonderland“ - Dean Martin https://www.youtube.com/watch?v=lkFP0VwpPRY Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: kreative Platzierung von Lichterketten
Musik: „Fairytale of New York“ - The Pogues https://www.youtube.com/watch?v=j9jbdgZidu8

Ich hab mir erlesen, dass dieses Lied DAS Weihnachtslied in Irland ist. Und irgendwie fand ich es ganz passend, auch wenn ich es vorher nicht kannte. Ach und übrigens: Happy Birthdy to me! ^_~ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: lang ersehntes Treffen als Geschenk organisiert bekommen
„Driving home for christmas“ - Chris Rea https://www.youtube.com/watch?v=EvDxSW8mzvU Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: allergisch auf Glühwein sein
Musik: „Last christmas“ - Wham https://www.youtube.com/watch?v=E8gmARGvPlI


So, ein bisschen Weihnachtsfluff musste ich mir und euch zum Schluss noch gönnen. Ich wünsche euch allen da draußen ganz wundervolle Weihnachten und einen guten Start in Neue Jahr!

Zauberhafte Grüße
Mag Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (35)
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Von: abgemeldet
2018-12-24T06:41:18+00:00 24.12.2018 07:41
Orrr, so viel Liebe für Aya! Seine Allergie und der Versuch, weiter zu wischen, sind so genial beschrieben xD Hach, jetzt bekommt er auch noch ein bisschen Liebe :3 In meinem Kopf frieren Nagi und Omi in ihren momentanen Outfits jetzt irgendwo bei gebrannten Mandeln und Kinderpunsch neben einer Eisbahn, Brad und Schuldig sitzen mit gebührendem Abstand bei ihrem so liebevoll gestalteten Weihnachtsbaum (xD) und Schuldig piekst seinen Chef gedanklich immer mal wieder, weil seine Fonduepieker gerade in Arbeit sind xD (Ich musste wirklich lachen, als Aya an die Dame aus der Tonne dachte ...)

Liebe Mag, ich wünsche dir frohe Weihnachten und danke dir ganz, ganz herzlich für diesen phantastischen Adventskalender, der mir die letzten vierundzwanzig Tage oft schon direkt nach dem Aufstehen versüßt hat <3 <3
Sei ganz fest gedrückt!
Antwort von:  Maginisha
24.12.2018 10:21
Hahaha, danke für das schöne Kopfkino. Obwohl...Farfarello und Fondue-Spieße in einem Raum. o_Ô

Vielleicht meint Schuldig auch so ganz beiläufig: "Müssen wir eigentlich nochmal über die Nacht vom 22. reden? Du weißt schon, die Sache, die anfing mit 'Wusstest du eigentlich, dass Farfarello deine Unterwäsche anhat?' und dann irgendwie außer Kontrolle geriet."
Und Crawford so: "Nein, müssen wir nicht. Aber ich habe schon mal Champagner für Silvester kalt gestellt."

Ich danke dir auf jeden Fall auch ganz herzlich für die vielen, lieben Kommentare. Die haben mir die Adventszeit ein bisschen heller gemacht. Auch dir ganz tolle Feiertage und natürlich schon mal einen guten Rutsch ins Neue Jahr. :)
Antwort von: abgemeldet
25.12.2018 19:51
Hehe, nichts lieber als das! :D
(Oh Gott, die Fondue-Geister, die ich rief! xD)

Hach, also Brad/Schuldig hast du mir direkt wieder schmackhaft gemacht, auch wenn ich ein bisschen Angst vor den Erzählungen über die Nacht vom 22. habe - Farfarello, dieser kleine Teufel ...!

Ach wo, ich habe wirklich zu danken <3 die kleinen Kommentare sind da echt das Mindeste, denn du hast mir mit deinen Geschichten richtig viel Freude bereitet! Komm du auch gut ins neue Jahr und lass das alte möglichst in Ruhe ausklingen :)
Von: abgemeldet
2018-12-23T04:58:22+00:00 23.12.2018 05:58
Aww! Einfach richtig, richtig schön! *_* da freut man sich direkt für Ken und es kribbelt für ihn mit :D ein sehr süßes Türchen! :3
Antwort von:  Maginisha
23.12.2018 07:29
Und es passte so schön zum Prompt. ^_~

So, einmal werden wir noch wach... Aber ich warne schon mal. Morgens wird´s OOC und kitschig. :D
Von: abgemeldet
2018-12-22T07:11:54+00:00 22.12.2018 08:11
Geniale Umsetzung des Prompts! xD Mein Herz gehört wie immer Spielverderber-Brad :D Ich liebe btw die Schilderung des Viertels - ich hatte sofort die Bilder im Kopf (aber Gott sei dank nicht den Geruch in der Nase xD), du hast das richtig atmosphärisch beschrieben 8)
Antwort von:  Maginisha
22.12.2018 09:26
Hihi, ja, ich liebe Ortsbeschreibungen. Passt natürlich nicht immer, aber wenn, dann knie ich mich richtig rein. ^_~

Zwei Türchen noch!
Von:  Cocos
2018-12-21T17:38:38+00:00 21.12.2018 18:38
Er zog die Augenbrauen hoch. „Mit Koffein bitte und s...“


Schwarz hatte er sagen wollen. Aber dazu kam er nicht mehr, denn jetzt drehte die Verkäuferin erst richtig auf.


Damit hattest du mich. ;)))
Ich gehe dann mal den schwarz-weißschen Adventskalender nachholen. :D





Antwort von:  Maginisha
22.12.2018 07:47
Hey, herzlich willkommen. Dann hast du ja erst mal jede Menge Lesestoff. Ich hoffe, es gefällt dir. :)
Von: abgemeldet
2018-12-21T07:12:12+00:00 21.12.2018 08:12
Aww, unsere beiden Chibis! :D Irgebdwie tun sie mir ja beide leid ... da hilft eigentlich nur St. Martin mit einem Sack Klamotten xD
Antwort von:  Maginisha
21.12.2018 14:24
Na, bald ist ja Weihnachten und der ganze Spuk vorbei. ;)
Von: abgemeldet
2018-12-20T04:38:13+00:00 20.12.2018 05:38
So ein plüschiges Türchen! xD Du hattest mich spätestens bei „am liebsten hätte er mit Schuldig geworfen“ :D Armer Nagi, jetzt tut er mir doch leid ...
Von: abgemeldet
2018-12-19T08:16:35+00:00 19.12.2018 09:16
Das ist ein Türchen, das zu andächtigem Seufzen einlädt - ach Ken ... sehr schön! Yoji ist einfach ein toller Freund, oder? Ich hab wirklich mitgefühlt mit Ken - aber als Yojis Kommentar zum Kastratenchor kam, musste ich laut lachen xD (mitten im Bus, ugh :D)

Ich genieße hier echt jedes Türchen und so sehr ich mich auf Weihnachten freue, meine tägliche Dosis Weiß Kreuz von dir wird mir so fehlen!
Antwort von:  Maginisha
19.12.2018 10:05
Ach, gibt doch noch viele, schöne Sachen zum Lesen. (Ich weiß ja nicht, ob du den Rest meiner WK-Sachen schon kennst. Vielleicht ist ja noch was interessantes dabei...) Und ausserdem bleibe ich bestimmt noch ein bisschen bei den Jungs. Hab ja noch so zweieinhalb Geschichten zu schreiben. Wobei es da wohl eher keine täglichen Updates geben wird. ^_~

Die Geschichte morgen würde ich übrigens auch eher nicht im Bus lesen. :D
Von: abgemeldet
2018-12-18T05:23:19+00:00 18.12.2018 06:23
Ohohoho xD was für eine geniale Idee! Ich sehe die bedürftigen Herren Schwarz schon in Omis gesammelten Klamotten rumrennen - wer da wohl Ayas Pullover tragen darf? xD Danke für dieses herrliche Türchen!
Antwort von:  Maginisha
18.12.2018 08:23
Hihi, auf die Idee war ich gar nicht gekommen. Wie es bei Schwarz weitergeht, erfährst du dann übermorgen.
Crawfords Anfall von Weihnachtsstimmung wird auf jeden Fall nur von kurzer Dauer sein. ^_~
Von: abgemeldet
2018-12-17T08:14:49+00:00 17.12.2018 09:14
Ich feiere dieses Kapitel, ich feiere Brad und Schuldig xD es ist so toll, wie du alles verknüpfst, sodass es sich also genial ins Gesamtbild einfügt. Ach Brad ... es hätte so viel verhindert werden können ...! xD
Antwort von:  Maginisha
17.12.2018 12:07
Hihi, das freut mich. Ganz ehrlich gesagt, hat mich dieses Kapitel auch am meisten begeistert bzw. die Möglichkeit die das Fandom zur Umsetzung des Prompts bot.. Das hat einfach total Spaß gemacht zu schreiben. :)

Und ich war im Nachhinein erstaun, wie viel Raum Crawford so beansprucht hat. Er war zwar schon mal Hauptperson in einer meiner Geschichten, aber normal tendiere ich dazu, ihm ein wenig stiefmütterlich zu behandeln.
Antwort von: abgemeldet
17.12.2018 13:52
Dieses Weihnachten bekommt auch er all die Liebe, die er (for obvious reasons absolut nicht und schon gar nicht im geringsten xD) verdient :3 Ich freu mich einfach immer über Brad :D
Von: abgemeldet
2018-12-16T00:52:31+00:00 16.12.2018 01:52
Oh Omi! xD Ayas Rache ist so grausam ... Ich musste schon über Yojis Lamento lachen, aber die Erklärung für Omis Sommerstyle im Dezember ist einfach der Kracher! xD
Antwort von:  Maginisha
16.12.2018 07:00
Na ja, ich meine, wer würde bei "in kurzen Sachen rumlaufen" nicht sofort an Omi denken. ^_~

Und Lamento trifft es wirklich auf den Punkt. :D


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