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Schnee ist auch nur kaltes Wasser

Erstes Türchen des animexx-Adventskalenders 2018 (Fanfictions)
von

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1. Dezember 2016

Ich sitze schon seit gefühlten Stunden auf einer Bank im Park. Schon seit Tagen schneit es, heute scheint die Ausnahme zu sein, und daher ist es auch recht kalt, was das Warten zusätzlich erschwert. Gerne würde ich mich in irgendein Café setzen, aber dazu fehlt mir paradoxerweise die Motivation. Erneut geht mein Blick zu meiner Armbanduhr. Gleich ist es drei Uhr, ich muss also nicht mehr allzu lange warten.
 

Ich schaue auf, betrachte das weiße Wunderland vor mir. Ein Schnauben entfährt mir. Wie ich es doch hasse. Heute ist es am Schlimmsten. Der erste Dezember. Beginn der Weihnachtszeit. Friede, Freude, Eierkuchen. Hah, denkst du. Nur weil bald Weihnachten ist, heißt es noch lange nicht, dass alles gut ist. Es gibt genug Menschen auf der Welt, denen das vollkommen egal ist, die ihr schreckliches Treiben weiterführen, egal welche Zeit es ist.
 

Erneut schaue ich auf die Uhr. Noch eine halbe Minute. Ich zähle die Sekunden runter. Konzentriere mich einzig und allein auf das Ticken des Sekundenzeigers. Noch zehn Sekunden.

10… 9… 8… 7… 6… 5… 4… 3… 2… 1…

Als der Sekundenzeiger die Zwölf erreicht und es somit genau 15 Uhr ist, schaue ich auf. Ich seufze leise und lehne mich zurück. Er ist nicht da. Natürlich nicht. Was habe ich auch erwartet? Immerhin liegt er seit vier Jahren im Koma und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass er in nächster Zeit aufwachen würde, dass er jemals wieder aufwachen würde.
 

Ich schließe meine Augen, öffne sie jedoch wieder, als etwas Kaltes meine Wange berührt. Es hat angefangen zu schneien. Natürlich hat es das. Ist seit jenem Tag jedes Jahr dasselbe. Immer am ersten Dezember, immer um 15 Uhr, wenn ich hier auf dieser Bank sitze, fängt es an zu schneien. Ich kann ihn nicht mehr sehen. Erneut schnaube ich. Schnee. Das ist doch auch nicht mehr als kaltes Wasser. Früher habe ich ihn geliebt, versteht sich, jedes Kind liebt Schnee, aber jetzt kann ich damit nichts mehr anfangen. Viel zu sehr erinnert es mich an das, was ich verloren habe. Damals hatte es auch geschneit...

1. Dezember 2012

Ich saß vielleicht seit fünf Minuten auf dieser Bank und trotzdem war ich schon komplett durchgefroren. Das Gute: Ich musste nur noch zehn Minuten warten, was einem bei diesen eisigen Temperaturen wie eine halbe Ewigkeit vorkommt. Warum musste Sasori im Winter auch so einen Treffpunkt ausmachen? Hätte es nicht auch ein Café sein können?
 

Immer noch frage ich mich, was er überhaupt mit mir besprechen wollte. Er war ziemlich nervös gewesen, als er mich nach der Schule gefragt hatte, ob ich mich hier mit ihm treffen könnte. Natürlich hatte ich zugesagt und wartete nun auf dieser Bank. Aus Erfahrung wusste ich, dass er um Punkt drei hier aufschlagen würde, und keine Sekunde eher oder später. Da war er immer ziemlich penibel, woran das lag, wollte er mir aber nie erzählen.
 

Um mir die Zeit zu vertreiben, nahm ich schließlich mein mitgebrachtes Buch zur Hand. Für den Unterricht mussten wir die letzten Kapitel lesen und ich war noch nicht ganz durch. Auch wenn man mir es nicht zutraute, war ich ein begeisterter Leser, besaß sogar einen Ausweis für die Stadtbibliothek.
 

Ich vertiefte mich ins Lesen. Erst als ich die letzten Zeilen des Buches gelesen hatte, schaute ich auf. Es war merklich dunkler geworden. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war bereits 16:30 Uhr. Ich saß also schon seit fast zwei Stunden auf dieser Bank, was sich auch an meinen Gliedern bemerkbar machte. Sie waren ganz steif geworden. Noch dazu fror ich. Keine gute Kombination. Ich machte mir aber auch Sorgen. Sasori war nicht aufgetaucht. Das war unüblich für ihn. Abgemachte Verabredungen hielt er immer ein.
 

Mit, durch die Kälte zitternden, Fingern holte ich mein Handy aus meiner Tasche und wählte Sasoris Nummer. Es ging keiner ran und ich machte mir nur noch größere Sorgen. Ich tippte eine neue Nummer ein, die des Haustelefons. Auch hier blieb es beim Klingeln. Eine letzte Nummer hatte ich noch. Sie war nur für Notfälle, aber meiner Meinung nach war das ein Notfall, könnte sein, dass sie es nicht so sah, aber das war mir egal. Ich wählte die Nummer und wartete darauf, dass jemand abnahm. Nach fünf Klingelzeichen war es dann soweit: Sasoris Großmutter meldete sich.

Ich war erleichtert. Sie würde mir sicher helfen können.

“Hallo Chiyo-san, hier ist Deidara”, meldete ich mich nun meinerseits. Auf der anderen Seite wurde es ganz still. Es beunruhigte mich, dennoch sprach ich weiter. “Ich wollte mich um drei mit Sasori treffen, aber er ist immer noch nicht da. Wissen Sie vielleicht, wo er stecken könnte?”

Es kam keine Antwort. Ich bekam ein ganz schlechtes Gefühl. Irgendetwas musste passiert sein, das wusste ich nun.

“Chiyo-san?”, fragte ich, versuchte meiner Stimme so viel Kraft wie möglich zu verleihen.

Auf der anderen Seite der Leitung war es immer noch still. Gerade als ich wieder nachfragen wollte, ergriff sie endlich das Wort.

“Er…”, begann sie, stockte dann aber, so als suche sie nach den richtigen Worten. Es wurde still zwischen uns. “Sasori”, fing sie schließlich von neuem an, “hatte einen Unfall. Ein Auto hat ihn angefahren. Gerade wird er operiert.”

Ich erstarrte. Das konnte nicht wahr sein, dachte ich, wusste aber, dass sie darüber keine Scherze machen würde. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

“Deidara-kun?”, war es nun an ihr zu fragen.

Ich schluckte einmal. “Wo?”, brachte ich schließlich über meine Lippen.

“Im Sanno”, antwortete sie mir.

“Bin gleich da”, sagte ich und legte auf.
 

Ich wollte damals nur noch so schnell es geht zu Sasori. Als ich aufschaute bemerkte ich es: Es hatte angefangen zu schneien, zum ersten Mal in diesem Winter.

Normalerweise hätte ich mich darüber gefreut, ich liebte Schnee, aber diesmal hatte es einen faden Beigeschmack. Ich lächelte bitter.

Schnee, dachte ich damals, ist doch eigentlich auch nur kaltes Wasser.

1. Dezember 2017

Wieder ist ein Jahr rum und wieder sitze ich um kurz vor drei auf dieser Parkbank. Es ist ein Zwang. Nicht mehr und nicht weniger. Den Gedanken, dass er hier plötzlich auftauchen würde, um die vereinbarte Zeit, lässt mich einfach nicht los, auch wenn ich weiß, dass es niemals passieren wird.
 

Ich seufze. Es ist schon länger her seit ich Sasori das letzte Mal im Krankenhaus besucht habe. Ich schiebe es auf. Es ist viel passiert, wodurch ich mich nun in einer erdrückenden Lage befinde. Chiyo-san war gestorben. Wir hatten damals zusammen Sasori besucht, als es passiert ist. Es war bereits spät. Ich dachte, sie sei nur eingeschlafen, wurde aber schnell eines Besseren belehrt. Altersschwäche, diagnostizierte der Arzt. Ich verstand es. Sie war schließlich schon alt, dennoch brach nun eine harte Zeit für mich an. Erneut hatte ich eine Bezugsperson verloren, noch dazu musste ich mich um die Beerdigung kümmern, außer mir gab es schließlich niemanden mehr, der diese Aufgabe sonst übernehmen könnte. Dass sie mir bereits einige Monate vorher genau erklärt hat, was zu tun wäre, wenn sie stürbe, kam mir dabei zugute. Anscheinend hatte sie so eine Vorahnung gehabt.
 

Ich habe mich dann um alles gekümmert, das war ich ihr schuldig. Dennoch war es auch sehr beschwerlich, alles zu regeln. Ich musste viel Papierkram erledigen und bestimmt 1000-mal zu den verschiedensten Ämtern rennen. Dabei habe ich auch so einiges über diese bemerkenswerte Frau herausgefunden, aber damit, dass sie mich als alleinigen Erben eingesetzt hatte, habe ich nicht gerechnet. Vielleicht ist es auch genau diese Sache, die mich von Sasori fernhält. Das und die Tatsache, dass ich nun über Sasoris Patientenverfügung verfüge. Eigentlich habe ich das sogar schon vorher. In Anbetracht ihres hohen Alters hatte Chiyo-san mich bereits einige Monate vorher eintragen lassen. Normalerweise geht sowas nicht so einfach, aber die Ärzte hatten wegen den besonderen Umständen ein Auge zugedrückt. Aber erst jetzt wo Chiyo-san gestorben ist, sind mir die Konsequenzen, die darauf folgen bewusst, geworden. Immerhin kann ich so entscheiden, ob und wann die Maschinen, die Sasori am Leben halten, ausgeschaltet werden sollen. Darüber nachdenken möchte ich aber ehrlich gesagt gar nicht. Ich will das gar nicht bestimmen können. Wie soll ich das auch können? Sasori ist schließlich mein bester Freund. Wie kann ich denn zulassen, dass er stirbt?
 

Ich seufze leise, ehe ich einen Blick auf meine Uhr wage. Noch eine Minute. Ich presse meine Lippen kurz aufeinander, schließe dann aber meine Augen, höre alleine auf das Ticken des Sekundenzeigers. Es müssen etwas 40 Sekunden vergangen sein, als ich etwas Kaltes auf meiner Wange spüre. Ohne meine Augen zu öffnen, weiß ich, was es ist. Schnee. Was denn auch sonst? Es hatte tatsächlich angefangen zu schneien, so wie es jedes Jahr um diese Uhrzeit geschneit hat. Ich muss schlucken. Tief atme ich durch, versuche mich zu beruhigen. Was muss es auch ausgerechnet schneien?
 

Die vergnügten Rufe von begeisterten Kindern dringen an mein Ohr. Sie freuen sich über den Schnee. Was sollten sie denn auch sonst tun? Ein Schnauben verlässt meine Lippen. Schnee ist doch nur kaltes Wasser. Nichts weiter. Was finden sie so toll daran? Ich versuche mich zu beruhigen. Meine Augen dabei immer noch geschlossen. Die Kinder versuche ich auszublenden.
 

Einige Zeit später, wie viel Zeit genau vergangen ist, weiß ich nicht, dringt plötzlich etwas anderes an mein Ohr. Schritte. Sie kommen direkt auf mich zu, bleiben dann vor mir stehen.

“Du bist ja mal pünktlich”, höre ich die Person vor mir sagen.

Diese Stimme. Das kann doch nicht…, denke ich geschockt und reiße meine Augen auf. Es ist tatsächlich Sasori, der da vor mir steht. Ich schlucke, bin nicht fähig irgendetwas zu sagen.

Sasori lacht. “Was ist denn mit dir los? Wir waren doch verabredet”, meint er amüsiert.

“Ja, vor fünf Jahren”, murmle ich. Endlich habe ich meine Stimme wiedergefunden.

Wieder lacht Sasori. Ich liebe sein Lachen. Sein Lachen, das er nur mir zuteil werden lässt. “Fünf Jahre? Du bist doch verrückt. Ich habe dich doch erst gestern gefragt. Außerdem, warum sollte ich erst ein Treffen mit dir in fünf Jahren organisieren, wenn ich dich auch jetzt sehen kann?” Er hält seine rechte Hand gegen seine Hüfte gestützt. Seine Augen glitzern amüsiert.

Ich bin sprachlos und verwirrt. Sein Auftauchen und das, was er gesagt hat, überfordern mich. Wie kann er überhaupt hier sein? Er liegt doch im Krankenhaus. Warum spricht er davon, dass er mich erst gestern gefragt hat? Es ist doch bereits fünf Jahre her.

Eine Stimme dringt an mein Ohr. “Hey, du”, sagt sie, doch ich ignoriere sie, viel zu sehr bin ich auf Sasori fixiert. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass er tatsächlich vor mir steht.

1. Dezember 2018

Wieder ein Jahr rum. Wieder das selbe Prozedere. Es ist kurz vor drei und wieder sitze ich auf dieser Parkbank. Bitterkeit schwebt mit, wenn ich an das letzte Jahr denke. Ich war tatsächlich auf der Bank eingeschlafen und hatte lediglich geträumt, dass Sasori da war.
 

Ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren hatte mich geweckt. Ihre Stimme hat mich zurück in die Realität geholt. Sie hatte mich freundlich angelächelt. Ein wirklich zuckersüßes Mädchen. Sie hat mir ein Bonbon geschenkt. Zuerst war ich verwirrt, habe nicht verstanden, was sie von mir wollte. Nur langsam ist es zu mir durchgedrungen, dass ich eingeschlafen sein musste. Meine Bewegungen waren langsam, als ich schließlich das Bonbon entgegengenommen habe. Die ganze Zeit über hat sie mich angelächelt und schien sich kein Bisschen an meinem Verhalten zu stören. Unweigerlich musste ich zurücklächeln.
 

Damals, als ich dieses kleine Mädchen vor mir hatte, hat sich etwas in mir verändert. Ich hatte es nur nicht sofort erkannt. Die Erkenntnis kam erst einige Monate später. Ich hatte in gewisser Weise damit abgeschlossen, dass Sasori nicht mehr aufwachen wird. Die Hoffnung, dass er es doch machen würde, blieb und bleibt natürlich trotzdem. Von diesem Tag an habe ich begonnen mich viel mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich hatte es sowieso schon viel zu lange aufgeschoben. Allmählich wurde es Zeit.
 

Ich schließe kurz meine Augen und atme einmal kräftig aus, bevor ich meine Augen wieder öffne und einen Blick auf meine Armbanduhr werfe. Noch 20 Sekunden. Ich beobachte den Sekundenzeiger, wie er sich langsam auf die zwölf zubewegt. Noch fünf Sekunden. Etwas Nasses ist auf meinen Kopf getropft. Meine Hand bewegt sich wie von selbst an die getroffene Stelle. Es ist nass. Wasser. Ich ziehe meine Hand zurück, lege sie wieder auf meinen Schoss. Kurz darauf tropft erneut etwas auf meinen Kopf und kurz darauf noch einmal. Es beginnt zu regnen. Kein Schnee, sondern Regen. Ich schließe meine Augen, genieße das kalte Wasser auf meiner Haut. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Schnee ist schließlich auch nichts weiter als kaltes Wasser. Warum dann nicht gleich kalter Regen statt Schnee?
 

Noch kurz bleibe ich auf der Bank sitzen. Im Regen. Ohne Regenschirm. Erst dann erhebe ich mich und mach mich auf zum Krankenhaus. Ich habe schließlich beschlossen Sasori zu besuchen, anstatt ewig zu warten. Auf meinem Weg begleitet mich der kalte Regen, der auf meinen Schirm tropft.



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