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Welt ohne Grenzen

von

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Die Ganze Welt (Noctis Lucis Caelum)

So müde…
 

Am liebsten würde ich einfach schlafen. Ich bin froh, dass meine Freunde mir den Mangel an Haltung nicht übel nehmen. Vor ihnen zumindest kann ich mich endlich ein wenig gehen lassen. Der Tisch in Vaters altem Audienzzimmer ist nicht so bequem wie ein echtes Bett, aber der Stuhl ist gut gepolstert und meine verschränkten Arme gerade gut genug, den Kopf abzulegen. Eigentlich könnte ich genauso gut wieder ins Bett gehen und dort weiterschlafen. Eigentlich… aber ich will bei meinen Freunden sein.
 

Es ist nicht dasselbe wie früher beim Campen. Es gibt kein Lagerfeuer, keine Sterne über uns, kein Bier. Stattdessen hat jeder von uns ein Glas Wein vor sich stehen, wir sitzen in bequemen Sesseln um einen edlen Tisch und lauschen der Musik aus dem neuen Radio. Es ist friedlich. Zumindest das ist wie früher. Nur wir vier. Ich bin zu müde, um Kings Knight zu zocken, zu müde, um Karten zu spielen, aber niemand stört sich daran.
 

Ignis hat wieder seinen Laptop aufgeklappt, scheint sich um die Abstimmung zu kümmern, die gerade läuft. Vielleicht sollten wir für den Job einen Bürgerlichen als Verwalter wählen lassen. Irgendeinen hauptberuflichen Bürokraten, der den ganzen Tag nichts anderes macht, als Formulare auszuwerten, Abstimmungen zu organisieren und Ergebnisse vom Notar beglaubigen zu lassen. Das ist ein Vollzeitjob, den Ignis momentan zusätzlich macht.
 

„Wie sieht’s aus?“, fragt Gladio. Ich blicke kurz auf und sehe, dass der gerade sein Buch weggelegt hat. Seinen Arm haben die Ärzte wieder gut hinbekommen, fest verschraubt, damit er ihn bald wieder vorsichtig bewegen kann. Trotzdem wird Gladio sich in der nächsten Zeit ordentlich langweilen müssen. Und viel lesen.
 

„Es zeichnen sich langsam gewisse Tendenzen ab“, entgegnet Ignis, „Vor Ende der Zeit lässt sich nichts sagen, aber die U-Bahn steht recht hoch auf der Liste, ebenso die Wohngebiete im Norden und Westen der Stadt, wo die Menschen aktuell in Zelten leben.“
 

„Wenn wir nicht abstimmen müssten, wäre das eh das erste…“, murmle ich und denke an die armen Menschen in ihren Zelten. Den Regen hält der Wall nicht auf… ich kann spüren, wie das Wasser durch die Barriere fließt und lasse es passieren. Ein angenehmes Gefühl. Generell ist es gar nicht so schlimm, den Wall zu halten, solange niemand dagegen schlägt. Vielleicht kann ich ihn ein bisschen größer machen. Die Menschen waren wütend, früher. Wütend, dass mein Großvater den Wall verkleinert hat, bis irgendwann nur noch die Hauptstadt geschützt war. Vorher ging der Wall über ganz Lucis… bevor die Niffen mit ihren Magitech angegriffen haben. Als der Wall uns nur gegen die Siecher geschützt hat. Es ist schwer, aber… bis Galahd oder Hammerhead sollte ich schaffen. Ein Stück weit nur… die Barriere wird dünner, je weiter ich sie strecke, aber uns greift ja niemand an.
 

„Ja, erst mal die Wohnviertel und die Infrastruktur“, stimmt Ignis zu, „Das haben wir auch gefordert, als wir als Partei noch aktiv waren. Leider haben dann doch die großen Lobbys gewonnen und es wurden eher die gewinnbringenden Ziele bevorzugt.“
 

Industrie und Hotels. Die großen Firmen… Wie Rashins Elektrokonzern.
 

„Ich finde es lächerlich, dass diese Kanzler es in zehn Jahren nicht geschafft haben, die ganze Stadt zu restaurieren. Zehn Jahre! Altissia stand in zwei“, empört sich Prompto.
 

„Accordo hat ja auch eine fähige Regentin“, wendet Ignis ein.
 

„Und bei uns wurde beständig derselbe Clown ins Amt gewählt“, grummelt Gladio, „Der es im Übrigen immer noch nicht schafft, den Strom für die Nachtbeleuchtung zu liefern. Saublödes Timing, kaum tauchen die Siecher auf, fallen bei ihm die Kraftwerke aus. Erst das Stadtbild verschandeln mit dem Klotz, aber wenn man den Strom dann mal wirklich braucht, kann er nicht liefern.“
 

„Ja, echt Pech, dass die Anlage gerade jetzt ausfällt“, stimmt Prompto zu, „Aber am Wall kann’s nicht liegen, oder? Ich meine, ich versteh nicht viel von Erdwärme und so, aber…“
 

„Der Wall behindert nichts“, versichere ich, „Weder Wärme noch Regen. Nur feindliche Angriffe und die Dunkelheit werden blockiert.“ Ich bin immer noch müde, aber ich richte mich etwas auf.
 

„Immerhin haben wir innerhalb des Walls trotz Stromausfall nichts zu befürchten“, meint Ignis, „Und die Gebiete außerhalb der Stadt beziehen ihren Strom notfallmäßig aus Lestallum. Monica hat bereits Boten in die anderen Länder geschickt. Hat sich politisch bedeckt gehalten, damit keine Panik aufkommt, aber erwähnt, dass in der Nähe von Insomnia ein Siecher gesehen und bekämpft wurde, der Wall nur deshalb errichtet werden musste und man nachts das Licht anschalten möge. Vermutlich läuft das erneut auf einen internationalen Kriesengipfel hinaus.“
 

„Und der wird wieder hier stattfinden müssen“, gebe ich zu bedenken, „Ich kann nicht weg, solange ich den Wall halten muss.“
 

„Dafür wird sicher Verständnis da sein.“
 

Kein Verständnis herrscht allerdings für die Grenzen des Walls. Im Radio ist schon wieder eine politische Diskussion am Laufen, Rashin macht ordentlich Wind gegen mich. Dass ich wieder nur die Hauptstadt schützen würde… nur mich selbst in Sicherheit bringen, während der Rest der Welt den Siechern ausgeliefert bleibt. Der soll sich mal lieber um seine eigene Baustelle kümmern. Wenn wir hier Licht hätten wäre der Wall wenigstens wirklich nur noch Luxus.
 

Lestallum zumindest liefert Strom. Ob ich den Wall noch bis dorthin stecken kann? So müde… aber ein paar Kilometer schaffe ich noch. Vielleicht nicht mehr heute… aber irgendwann wird der Wall wieder ganz Lucis bedecken. Zumindest mein eigenes Land sollte ich im Ganzen schützen können. Hoffentlich verzeiht man mir, dass es nicht für die ganze Welt reicht.
 

Ich hatte Prompto versprochen, eine Welt ohne Grenzen zu schaffen, wenn alles vorbei ist. Jugendliche Naivität… im Moment spüre ich meine Grenzen nur zu deutlich. Die Götter haben die Welt nicht umsonst in vier Reiche geteilt. Alles, was ich tun kann, ist, den Frieden zwischen diesen vier Reichen zu wahren. Kein Krieg, nur Freundschaft. Aber wenn ich mir Rashins Aufruf im Radio anhöre bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich überhaupt auch nur den Frieden in meinem eigenen Land wahren kann.
 

„Die Abstimmungen gehen morgen zu Ende, oder?“, fragt Prompto, „Wie lange dauert es dann noch, bis die Bauarbeiten anfangen?“
 

„Ich habe die nötigen Aufträge bereits vorbereitet“, erklärt Ignis, „es liegt alles bereit. Sobald der Notar das Ergebnis rechtskräftig ausgewertet hat, gehen die entsprechenden Aufträge raus. Die zuständigen Firmen stehen praktisch schon in den Startlöchern.“
 

„Das ist gut… ich war gestern wieder im Westviertel, nach meinen alten Nachbarn sehen, und die Zustände da sind schlimm. Die Menschen sind krank… im Norden sieht es auch nicht viel besser aus.“
 

„Das Krankenhaus im Stadtzentrum ist inzwischen vollständig restauriert und kann die Leute aufnehmen“, entnimmt Ignis seinen Unterlagen, „ich kann, auf Geheiß des Königs, anregen, die Menschen aus den Zeltstädten dort aufzunehmen oder zumindest gründlich zu untersuchen und zu behandeln. Kostenfrei, wenn es die Staatskasse zulässt.“
 

„Das weißt du besser als ich“, nuschle ich in meine Arme, „also mach ruhig. Für Menschen in Not ist immer Geld da.“
 

„Da war Rashin auch anderer Meinung“, brummt Gladio und nippt an seinem Wein, „Der hat Flüchtlinge aus dem Umland auch eiskalt abgewiesen… und jetzt redet er groß, WIR würden alles außerhalb Insomnias im Regen stehen lassen.“
 

Der besagte Regen trommelt derweil sein beruhigendes Lied gegen die Fenster der Zitadelle. Rashin behauptet, wir wären so egoistisch, das Regierungsgebäude zuerst zu restaurieren, aber tatsächlich habe ich erst mal nur das Krankenhaus und ein Schulgebäude in Auftrag gegeben. Die Reparatur der Zitadelle war ein Angebot der Baufirma… kostenlos, nur für das Prestige. Und wir brauchen die Zitadelle. Das Caelum Via zu mieten ist auch nicht billiger.
 

„Du wohnst aktuell in Galahd, oder, Gladio?“, fragt Prompto munter.
 

„Aktuell bin ich wieder in meiner alten Wohnung neben der Zitadelle“, entgegnet Gladio ebenso gut gelaunt, „Aber meine Frau stammt aus Galahd und wir haben ein Haus dort. Neu gebaut, wie fast alles in der Gegend… war nicht mehr viel da nach dem Krieg. Und ja, ich hab da mit der ganzen Familie gewohnt und beim Wiederaufbau geholfen, aber jetzt wo Noct wieder da ist, werde ich hier gebraucht.“
 

„In deinem jetzigen Zustand kannst du gern wieder zu deiner Familie gehen“, wende ich ein, „zumindest die paar Wochen, bis der Arm wieder richtig verheilt ist.“
 

„Schickst du mich gerade ernsthaft aus der Stadt, Noct? Raus aus dem Schutz deines Walls?“
 

Gladio gibt sich arg Mühe, verletzt zu klingen, aber der scherzhafte Tonfall verrät ihn.
 

„Aus der Stadt, ja, aber den Wall musst du nicht verlassen“, beruhige ich ihn, „Sollst dich ausruhen, nicht kämpfen.“
 

„Seit wann liegt Galahd innerhalb des Walls?“, fragt Gladio. Ich lächle müde.
 

„Verstehe“, meint Ignis, und ich kann seine Hand auf meinem Rücken spüren, „Deshalb also bist du so geschafft… aber übernimm dich bitte nicht, Noctis.“
 

„Ich doch nicht…“
 

„Nah, Noct überarbeitet sich schon nicht so leicht“, stimmt mir Gladio zu, „der schläft doch lang vorher ein.“
 

Lachen. Das hab ich vermisst. Einfach zusammensitzen und lachen, selbst wenn der Witz auf meine Kosten geht. So schön… zwei Monate bin ich nun schon wieder am Leben und heute ist der erste Abend, den ich wieder so verbringen kann. Mich einfach mal entspannen. Wenn ich nur nicht so müde wäre… Ich kann spüren, wie Ignis eine Decke über meine Schultern legt, aber meine Augen wollen sich nicht öffnen, um nachzusehen. Ich murmle ein Dankeschön in meine Arme aber ich glaube nicht, dass er es hört. Die Decke ist schön warm.
 

Ich öffne die Augen wieder und blicke verwirrt auf das Innere eines Zeltdaches. Müde bin ich nicht mehr, aber der Dunkelheit um mich herum nach zu urteilen muss es mitten in der Nacht sein. Neben mir schnarcht jemand… Gladio, vermute ich. Er schnarcht fast immer, wenn er auf dem Rücken liegt, und das muss er mit dem gebrochenen Arm wohl. Warum ein Zelt?
 

Ach ja, genau. Der Wohntrakt der Zitadelle wird heute renoviert. Wollten wir nicht alle in Ignis‘ Wohnung schlafen? Gut, etwas zu weit, um einen schlafenden König zu tragen, vor allem, wenn der einzige, der die Kraft dazu hat, verletzt ist. Also campen wir wohl heute im Audienzzimmer. Ich wende mich um und versuche mich im schwachen Mondlicht zu orientieren. Gladio schnarcht zu meiner Linken, sicher deckt er die Flanke des Zeltes. Nur aus Gewohnheit, schließlich sind wir in einem geschlossenen Raum und unter dem Wall, der inzwischen bis über Lestallum reichen dürfte. Prompto liegt zu meiner Rechten. Er ist merkwürdig ruhig; kein Brabbeln im Schlaf, keine Reaktion auf meine Bewegung. Dafür hat er sich umso fester in seinen Schlafsack gewickelt, als müsste er um sein Leben fürchten. Ich lege sachte die Hand auf seine Schulter und er entspannt sich sofort. Auf seiner anderen Seite liegt Ignis… auch der ist ungewöhnlich still, aber das liegt wohl daran, dass er wach ist. Wenn ich es recht bedenke, habe ich Ignis ohnehin nur in den seltensten Fällen schlafen gesehen. Er geht als Letzter ins Bett und steht als erster wieder auf. Jeden Tag.
 

Ich seufze, strecke mich, und muss mich wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass ich im Dunkeln das Klo werde aufsuchen müssen. Allein. Ob wohl inzwischen der Strom wieder geht? Hier im Zimmer möchte ich niemanden wecken, aber zumindest auf dem Flur wäre es schon schön, Licht zu haben. Sicherheitshalber nehme ich mir doch eine Taschenlampe mit. Ignis folgt mir nicht, oder noch nicht, zumindest. Er wird sich denken können, wo ich hinwill, immerhin habe ich gestern Abend ein halbes Glas Wein getrunken und bin einfach am Tisch eingeschlafen, ohne nochmal die Blase zu leeren.
 

Die Gänge der Zitadelle sind schon etwas unheimlich, nur im Schein einer Taschenlampe. Früher waren sie immer beleuchtet, auch nachts, damit die Bediensteten heimlich ihre Arbeit verrichten konnten. Aber ohne Strom… die Fackeln, die vor hundert Jahren hier für Licht gesorgt haben, gibt es längst nicht mehr. Vielleicht sollte ich welche besorgen lassen… die alten Halterungen sind ja noch da. Irgendetwas knarrt im Dunkeln und ein Gedanke regt sich in meinem müden Gehirn. Nachts kommen die Siecher raus… nicht hier unter dem Wall, aber als Kind hatte ich trotzdem furchtbare Angst davor, nachts aufs Klo zu gehen. Weil ein Mädchen im Kindergarten erzählt hat, ihre große Schwester sei auf der Toilette gestorben, weil ein Monster aus der Schüssel gekrochen kam… heute weiß ich, dass das Irrsinn ist, aber damals… wieder das Knarren. Okay, ich gebe zu, auch heute wäre mir wohler, Ignis würde mich begleiten und vor dem Klo Wache stehen. Aber ich bin jetzt erwachsen, und König, und ich will mir wirklich nicht die Blöße geben laut zu sagen, dass ich Angst im Dunkeln habe.
 

Sicher nur Ratten… oder lose Dielenbretter. Es gibt im Moment nicht viel Personal in der Zitadelle, aber die wenigen verbliebenen Angestellten sind sicher die ganze Nacht auf Achse, damit tagsüber alles glatt läuft. Vermutlich kommen die Geräusche daher. Das Knarren der Treppenstufen in den Dienstbotengängen. Das Scharren ist sicher nur ein Besen, der den Gang für den nächsten Tag fegt. Ich schließe mutig die Klotüre hinter mir und versuche, mich zu entspannen. Hinsetzen traue ich mich nicht… aber als Mann kann man ja auch im Stehen. Mit ein bisschen mehr Abstand zu dem Monster, dass es eigentlich eh nicht gibt. Das Plätschern in der Schüssel ist beinahe unnatürlich laut, und die Spülung donnert so gewaltig in der nächtlichen Stille, dass es mir fast in den Ohren weh tut. Sicher ist es nur das… die anderen Geräusche sind sicher auch alltäglich und leise. Nur mannigfach verstärkt durch die Abwesenheit des normalen Lärms.
 

Dank der Spülung zeigen sich meine Ohren auf dem Rückweg weniger sensibel, aber noch immer geht die Dunkelheit mit einer gewissen Bedrohung einher. Angst… dabei bin ich sicher hier unter dem Wall. Und selbst wenn nicht; ich habe gegen Siecher gekämpft und gewonnen, auch schon allein. Flüstern hinter den Vorhängen… bestimmt nur der Wind. Ich finde zurück in das Audienzzimmer, zurück ins Zelt, wo meine Freunde schlafen. Keine Runen um den Campingplatz, aber bei meinen Freunden fühle ich mich trotzdem sicher. Zitternd krabble ich in meinen Schlafsack zurück und rolle mich ein paarmal herum, bis ich Gladio’s kräftige Form neben mir spüren kann. Selbst im Schlaf funktionieren seine Instinkte so gut, dass er mich mit dem gesunden Arm schützend an sich zieht. Ich atme tief aus und beruhige mich wieder. So ein kindischer Unsinn… so eine alberne Angst.
 

Gladios Atmung ist ruhig und tief, sein leises Schnarchen übertönt die unheimlichen Geräusche der Nacht. Hier in der Stadt ist es tatsächlich dunkler als in der freien Natur… der Mond und die Sterne dringen kaum an den hohen Häusern vorbei, und ohne Strom sind die Wohnungen und Läden dunkel. So dunkel wie noch nie… Insomnia, die Stadt des Lichts. Eine Stadt, die niemals schläft, in der immer irgendwo die Beleuchtung an ist. Jetzt ist sie dunkel, nur in den Krankenhäusern sind die Notstromaggregate angesprungen, aber die sorgen weniger für Beleuchtung als für die lebenswichtigen Maschinen. Bezieht wirklich ganz Insomnia seinen Strom von Rashin? War das sein Ziel, als er sich zum Kanzler hat wählen lassen? Morgen werde ich dafür sorgen, dass wir wieder Strom aus Lestallum bekommen. Bis dahin sollte ich schlafen… keine schwere Aufgabe. Ich bin im Moment nicht müde, aber wenn ich den Wall noch weiter ausdehne, werde ich es bald wieder sein. Vielleicht noch bin Cap Caem… bis Cap Caem dürfte ich es bequem schaffen. Wenn ich dann noch nicht schlafe bis zum Ravathoga. Und in die weiten Ebenen hinter dem Vespernspiegel. Ganz Lucis… vielleicht schaffe ich tatsächlich ganz Lucis in einer Nacht. Ich kuschle mich an Gladios starke Schulter und konzentriere mich auf meine Aufgabe. Soll Rashin sagen, was er will, mir sind alle meine Leute wichtig. Kein Mensch in Lucis soll sich vor der Dunkelheit fürchten müssen.
 

Als irgendwann die ersten Sonnenstrahlen durch die Zeltdecke fallen fühle ich mich angenehm entspannt. Nicht mehr müde, nur zu faul, um aufzustehen. Es ist warm… irgendwann in der Nacht müssen Prompto und Ignis aufgerückt sein, jedenfalls liegen wir jetzt alle auf einem Haufen wie ein Wurf Hundewelpen. So herrlich warm… so lässt es sich echt aushalten. Gladios riesiger Bizeps ist besser als jedes Kissen, seine Wärme hinter mir gibt mir das Gefühl, direkt neben einer Heizung zu schlafen. Prompto hat die Arme um mich geschlungen und sein Gesicht in meinen Bauch geschmiegt wie ein kleines Kind, seine Atmung geht endlich ruhig und er wirkt so entspannt, wie ich ihn kenne. Ignis ist, wie immer, wach, aber das hält ihn heute auch nicht davon ab, noch etwas liegen zu bleiben. Sein linker Arm ist irgendwo unter Prompto vergraben, der rechte liegt über meinen Schultern, hält mich sicher fest und bewegt sich nur manchmal, wenn die Hand mir durch die Haare streichelt. Ignis hat seine Stirn an meine gelegt, wenn ich die Augen öffne, sehe ich direkt in die seinen. Ein schöner Anblick, zumal ich nie gehofft hätte, ihn noch einmal genießen zu können. Ignis hat richtig schöne Augen. Es liegt so viel Liebe und Zuneigung darin, dass ich mich fast ein wenig dafür schäme, seine Bemühungen immer als Selbstverständlichkeit abgetan zu haben. Nur sein Job, sicher… aber er tut ihn gern, für mich. Weil ich der süße kleine Bruder bin, der ihm alles bedeutet. Es tut gut, so geliebt zu werden. Es tut gut, wieder im Kreis meiner Freunde zu sein. Am liebsten würde ich für immer so liegen bleiben, aber mein Magen knurrt und Ignis hat es wohl gehört.
 

„Zeit fürs Frühstück, was?“, meint er freundlich und ich wende verlegen den Blick ab. „Ist ja auch schon fast Mittag… hoffentlich hat die Küche schon etwas vorbereitet.“ Ignis streichelt noch einmal meine Haare und steht dann einfach auf. Als wäre er nur mir zu Liebe so lange liegen geblieben… Ich seufze tief und drücke dafür Prompto näher an mich. Ein wenig schlafen will ich noch… nur ein bisschen. Bis das Essen auf dem Tisch steht und ich wieder an die Arbeit muss. Die Leute werden wissen wollen, was gestern Nacht passiert ist, wie es nun weitergeht, was ich den anderen Ländern sagen will. Hoffentlich ist Monica noch bis nach Niflheim durchgedrungen bevor man den Wall bemerkt hat. Ich will wirklich nicht, dass jemand das falsch auffasst. Gebt mir nur noch ein paar Stunden… nur noch ein wenig Zeit und Frieden, bevor wieder alle was von mir wollen.
 

Ich schrecke wieder auf, als im Raum etwas umfällt. Kinder lachen, ich kann eilige Schritte und wildes Toben hören. Bin ich nochmal eingeschlafen? Gladio scheint sich umgedreht zu haben, er lehnt jetzt mit einigem Gewicht auf mir. Nicht unangenehm, eigentlich… auch, wenn meine Schultern leise zu protestieren anfangen unter der Belastung. Prompto schläft immer noch fest an mich gekuschelt, seine vom Schlaf zerwühlten Haare kitzeln mich im Gesicht. Aber er rührt sich langsam, scheint den Kinderlärm auch wahrzunehmen. Nur Gladio schläft unbeirrt weiter.
 

„Nyx, Crowe, macht nicht so einen Lärm!“, herrscht Ignis vor dem Zelt die beiden Unruhestifter an und die halten mit einem Schlag die Luft an als hätte er jeden Spaß verboten. Wie früher, wenn mein Vater ein Machtwort gesprochen hat… Nun ist das einzige Geräusch das von Tellern auf der Tischplatte. Ein wunderbarer Geruch dringt an meine Nase. Saftiges Behemothfleisch mit Soße… mein Magen meldet sich erneut, drängt mich, aufzustehen und ihn zu füllen. Auch Prompto rührt sich, lässt mich etwas widerstrebend los und schnuppert Richtung Zeltausgang. Ich straffe die Schultern und stemme Gladios schlafende Form soweit hoch, dass ich unter ihm herauskriechen kann, stütze ihn, dass er nicht auf den bandagierten Arm fällt. Prompto packt mit an und zusammen können wir den armen Kerl wieder sicher auf den Rücken legen. Gladio brummt etwas Unverständliches und öffnet kurz die Augen, aber wach ist er noch nicht.
 

„Guten Morgen, Dornröschen“, neckt Prompto und stütz sich mit beiden Händen auf Gladios Brustkorb, „Es gibt Essen~“ Gladio brummt nur nochmal. Prompto und ich sehen uns an, zucken mit den Schultern und kriechen dann einfach ohne ihn aus dem Zelt. Bleibt mehr für uns.
 

„Die Palastküche wusste nicht, wann wir gerne essen wollten, deshalb habe ich schnell etwas gekocht“, erklärt Ignis, als wäre das eine schlechte Nachricht, und lädt jedem von uns ein saftiges Steak und eine große Portion Reis auf den Teller. Allein bei dem Anblick läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen. Nyx hat bereits zu essen angefangen, er scheint sehr hungrig zu sein.
 

„Na, wart ihr Kinder heute schon fleißig?“, frage ich und der Junge nickt eifrig.
 

„Ich lerne zur Zeit sehr viel“, erklärt er, „Über die Geschichte von Lucis, die alten Könige und die Politik. Vater sagt, als Hofmarschall muss man alles wissen und können, was auch der König weiß und kann, damit man ihn in allen Belangen unterstützen kann.“
 

„Und du willst Hofmarschall werden, ja?“, fragt Prompto.
 

„Ja. Jetzt wo es wieder einen König gibt, braucht der ja auch Leute.“
 

Ich schweige, hauptsächlich, weil mein Mund gerade mit Essen voll ist. Die Leute der Stadt haben sich schnell wieder an den Gedanken gewöhnt, einen König zu haben. So verhasst der Adel bei den neuen Politikern war, so sehr hat sich das Volk nach der alten Ordnung gesehnt. Dass da trotzdem ein Mann wie Rashin an die Macht gekommen ist, wird wohl am System gelegen haben… das lief ja wie die stille Post, egal was man an einem Ende rein spricht, am anderen Ende kommt Mist raus.
 

„Ich werde der Schild des neuen Königs!“, prahlt Crowe und reckt einen Arm nach oben, damit wir sie auch ja deutlich sehen. Irgendwie fühle ich mich schon wieder unter Druck gesetzt… das ist auch wieder etwas, was ich dem Rest der Welt schonend beibringen muss.
 

„Sehr schön, Crowe, aber wie wäre es, du weckst erst mal den Schild des jetzigen Königs?“, springt mir Ignis bei und scheucht die Kleine auf, „Aber sei schön zärtlich, dein Papa hat einen kaputten Arm.“
 

„Jaha“, meint die Kleine und schlüpft ins Zelt. Dem Geräusch nach springt sie ihrem armen Vater alles andere als zärtlich in die Magengrube. „AUFWACHEN PAPA, die anderen essen alle schon!“ Nur einen Augenblick später kommt der arme Mann dann auch aus dem Zelt heraus. Er sieht zerzaust und müde aus, das Kind unter den rechten Arm geklemmt, den linken noch immer fest an den Körper gefesselt, als würde er sonst abfallen. Der Anblick des Essens scheint jedoch auch ihn wieder auf die Beine zu bringen.
 

„Du, Crowe“, mahnt er, als er sich seinen Teller mit nicht weniger als zwei Steaks und einem Berg Gemüse belädt, „hast jedenfalls noch einiges zu lernen, bevor du ein richtiger Schild wirst. Wenn du willst, kannst du beim Training zusehen und ich üb ein bisschen mit dir, aber in der Königsgarde darfst du erst anfangen, wenn du dreizehn bist.“
 

„Wie lange ist das noch?“
 

Gladio mustert seine Tochter scharf. „Nächstes Jahr hast du die Hälfte geschafft“, meint er, „und bis dahin sieh zu, dass du erst mal Lesen und Schreiben und so lernst.“
 

„Aber das ist SOOO langweilig!“
 

„Gar nicht“, widerspricht Nyx, „Lesen ist voll spannend, da kann man super viel lernen! Außerdem gibt es auch Bücher, in denen tolle Geschichten stehen, wie die, die Mama mir vorliest. Über die alten Könige und Legenden zum Beispiel, oder Märchen und Gedichte.“
 

„Streber.“
 

„Gar nicht. Ich bin nur fleißig.“
 

„Außerdem zwei Jahre älter als ich und ein Streber.“
 

Nyx verdreht nur die Augen und wendet sich wieder seinem Gemüse zu. Ich nehme mir stattdessen noch eine Portion Reis nach. Ignis seufzt tief, aber ich weiß nicht, ob es mir oder den Kindern gilt.
 

„Wenn du unbedingt jetzt schon den Schild spielen willst“, rege ich an, „Dann beschütz doch Nyx.“
 

Crowe wirft sich stolz in die Brust. „Das mache ich schon längst.“
 

Nyx wirkt wenig überzeugt. „Als wir damals den Kristall gefunden haben, bist du aber nur weggerannt“, erinnert er seine Freundin.
 

„Das war ja auch gruselig!“, wendet sie ein, „Der hat voll fies geleuchtet und alles hat gebebt!“
 

„Gib einfach zu, dass du Angst hattest.“
 

„Gar nicht! Der Schild des Königs hat nie Angst.“
 

Gladio seufzt tief. „Doch, hat er. Und zwar um seinen König und seine Freunde. Und er zieht Kraft aus dieser Angst – wenn es nötig ist, wegzulaufen, sieht er zu, dass er seine Freunde mitnimmt und selbst als letzter geht, und wenn der König nicht fliehen will, bleibt auch sein Schild.“
 

„Du hättest Nyx gar nicht erst in den Keller der Zitadelle gehen lassen dürfen“, wendet Ignis ein.
 

Crowe wirkt ernsthaft bedrückt, aber auch Nyx blickt beschämt zu Boden. In der Zitadelle zu spielen war wohl schon etwas länger verboten… aber gerade das macht natürlich den Reiz aus. Ignis seufzt tief. „Aber zum Glück ist ja nichts weiter passiert.“
 

Nach dem Essen habe ich gerade noch Zeit für ein Bad, bevor Ignis mir in die komplizierten Kleider hilft, in denen ich vor die Leute treten soll. Er war so umsichtig, eine Rede für mich vorzubereiten – ich selbst hätte kaum gewusst, was ich den Menschen sagen soll. Trotzdem trete ich jetzt ruhig auf den Balkon der Zitadelle, lege beide Hände auf das frisch restaurierte Geländer und blicke hinunter auf die vielen Menschen auf dem Vorhof. Die Königsgarde bemüht sich, die Menge zu kontrollieren, lässt auch niemanden mehr hinein, der keinen Platz zum Stehen mehr finden würde, trotzdem herrscht dort ein heilloses Chaos, wie immer, wenn es mal eine Chance gibt, den König zu sehen. Kinder werden auf die Schultern ihrer Eltern gehoben und ich winke freundlich, bis sich die Menge soweit beruhigt und die Technik mein Mikrophon fertig justiert hat.
 

„Menschen von Lucis“, beginne ich mit sicherer Stimme, „Es freut mich, Euch heute hier begrüßen zu dürfen.“
 

Oder vor dem Fernseher, wenn ich mir die vielen auf mich gerichteten Kameras so ansehe. Meine Nervosität weicht langsam einer gewissen Sicherheit. Wie oft habe ich meinen Vater auf diesem Balkon stehen sehen und mich gefragt, woher er den Mut findet, so zu sprechen? Jetzt, wo ich selbst hier stehe, begreife ich es. Da ist kein Mut… die Sicherheit kommt mit der Erfahrung, und mit dem Vertrauen in die Überzeugungskraft meiner eigenen Worte. Angst habe ich trotzdem.
 

„Wie Ihr sicher gemerkt hat, habe ich den Wall von Lucis letzten Abend erneut errichtet. Erst nur über der Stadt, aber inzwischen sollte er sich über das ganze Land erstrecken. Sollten einzelne Gebiete von Lucis noch ungeschützt sein, bitte ich um Mitteilung, damit ich den Wall entsprechend erweitern kann.“
 

Meine Hände zittern und ich greife die Balustrade etwas fester, damit es niemand merkt.
 

„Dass ich den Wall wieder aufgebaut habe hat einen Grund, über den ich jetzt sprechen möchte. Und zwar ist mir von den mutigen Männern der Meldatio-Jägerzantrale aus zugetragen worden, dass sich im Norden der Stadt eine Bestie befände, die bereits fünf mutige Männer erlegt hätte. Auch erreichte mich die Information, dass dieses Untier sich nachts an der Nordmauer unserer Stadt zu schaffen mache und jeden, der die Unvorsicht besaß, die Stadt des Nacht zu verlassen, ein schlimmes Schicksal ereilen würde. Ich habe mich daraufhin entschieden, denn Wall um die Stadt aufzubauen, um die Bürger zu schützen, und die Königsgarde mit Unterstützung der Gleven und einigen freiwilligen Jägern nach der Bestie ausgeschickt. Ich möchte mich an dieser Stelle bei jedem einzelnen dieser mutigen Männer und Frauen bedanken – sie haben hervorragende Arbeit geleistet und das Monster zu Fall gebracht. Die direkte Gefahr ist damit gebannt, es besteht keine unmittelbare Bedrohung mehr. Leider…“
 

Ich atme tief durch, der nächste Satz fällt mir schwer.
 

„…kamen im Laufe des Kampfes Dinge zum Vorschein, die darauf hindeuten könnten, oder zumindest Vermutungen laut werden ließen, bei der angreifenden Kreatur könnte es sich um einen Siecher gehandelt haben. Für diejenigen unter Euch, die jung genug sind oder aus anderen Gründen das Glück hatten, nie einem solchen begegnet zu sein, nur so viel: Siecher sind Kreaturen der Dunkelheit, Menschen oder Tiere, die von der Plage befallen und nach ihrem Tod zu grotesken Monstern wurden. Sie scheuen das Licht, greifen dafür im Schutze der Nacht umso gefährlicher an und waren weltweit gefürchtet. Vor zehn Jahren wurde die Plage von der Welt genommen, und seither wurde kein einziger Siecher mehr gesichtet. Ich gehe daher also stark davon aus, dass sich die Gerüchte nicht bestätigen werden.“
 

Eine dreiste Lüge, aber als König muss ich zuerst an das Wohl und die Sicherheit der Menschen denken. Wenn eine Lüge bedeutet, dass ich eine gefährliche Panik abwenden kann, muss ich eben lügen.
 

„Dennoch werde ich den Wall über Lucis halten. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, bis die Gerüchte ausgeräumt sind. Der Wall hindert niemanden daran, das Land zu verlassen oder zu betreten. Er hält lediglich die Plage zurück, und mit ihr die Siecher, sollte es sie tatsächlich geben. Jedwede Interaktion mit anderen Ländern, sei es für Familienbesuche, Urlaub oder Handel, bleibt uneingeschränkt möglich. Auch die neu eingerichtete Zugverbindung wird weiterhin planmäßig fahren.“
 

Ich lasse den Menschen ein wenig Zeit, die neuen Informationen untereinander zu diskutieren. Als die Menge sich langsam beruhigt, setze ich meine Rede fort:
 

„Ich gehe davon aus, dass demnächst eine Besprechung mit den Regenten der anderen drei Reiche zustande kommen wird, zu der ich deren Vertreter hier nach Insomnia einladen werde. Diese wird nach Möglichkeit in der Zitadelle, ansonsten im Caelum Via ausgerichtet. Jedwede daraus resultierende Unannehmlichkeit, sei es nun den Verkehr oder eventuelle Reservierungen im Hotel betreffend, bitte ich zu entschuldigen. Dafür freut es mich, verkünden zu dürfen, dass die Abstimmungen, an denen Ihr Euch so erfreulich zahlreich beteiligt haben, heute zu einem Abschluss gekommen sind. Der Notar hat die Ergebnisse bereits beglaubigt und offiziell verkündet, ich nehme mir dennoch heraus, sie noch einmal zu wiederholen: Die Bauprojekte, die als erstes in Angriff genommen werden, sind die Restaurierung des U-Bahn Systems sowie die zerstörten Wohnviertel im Norden und Westen der Stadt. Auf dem vierten Platz findet sich das Straßennetz, das, wenn nicht zeitgleich, kurz nach Vollendung der Bauarbeiten im Untergrund in Angriff genommen wird.“
 

Auch hier mache ich eine kurze Pause, anscheinend hat noch nicht jeder der Anwesenden die Verkündung des Notars mitbekommen. Ich lasse dem Gemurmel Raum und freue mich, dass die Stimmen des Volkes wieder freudig klingen, weniger besorgt. Eine gute Idee von Ignis, die schlechten Nachrichten voranzustellen.
 

„Die ersten Bauarbeiten haben bereits begonnen“, fahre ich fort, „Und ich möchte jeden bitten, der Kinder hat, diese von den Baustellen fern zu halten. Die größten Gefahrenstellen werden mit Bauzäunen abgesperrt sein, aufgrund der Größe der zu renovierenden Bereiche ist es jedoch unmöglich, eine vollständige Absicherung gegen spielende Kinder zu erwirken. Bitte seien Sie als Erwachsene sich der Gefahren bewusst, die auf solchen Baustellen herrschen, und ermahnen sie auch Ihre Kinder zur Vorsicht. Die Menschen, die in den betroffenen Gebieten wohnen, wurden bereits gestern Abend eingeladen, sich im neu erbauten Zentralkrankenhaus untersuchen und gegebenenfalls einquartieren zu lassen. Wer gesund genug ist und einen Wohnwagen, ein Zelt oder ein großes Auto besitzt oder sich etwas Vergleichbares zu leihen mächtig ist, findet Platz auf dem Campingplatz zum Palastsee, der von freiwilligen Helfern aus der Königsgarde zu diesem Zwecke gesäubert und hergerichtet wurde. Laut der Pläne, die mir vorliegen, sollten die ersten Häuser im Westviertel ab nächster Woche als Rohbau beziehbar sein. Im Norden wird es aufgrund der Hochhäuser etwas länger dauern, bis die Bauarbeiten soweit fortgeschritten sind.“
 

Das sollte das Wichtigste gewesen sein.
 

„In einer halben Stunde stehe ich den Vertretern der Presse im Audienzsaal für weitere Fragen zur Verfügung. Von siebzehn bis zwanzig Uhr wird dieser auch für die Allgemeinheit zugänglich sein, wer also Fragen an mich richten will oder ein Anliegen hat, möge sich an die Palastwachen wenden. Ich bitte um Verständnis, sollte die Zeit nicht reichen, um jeden von Euch zu empfangen.“
 

Drei Stunden sind schlimm genug. Ich plane dennoch, diese öffentliche Audienz zu einer regelmäßigen Einrichtung zu machen, vielleicht ein oder zwei Mal die Woche, wenn mir das nicht zu viel wird. Ich rede irgendwie lieber Undercover mit den Leuten… selbst, wenn sie mich als König erkennen, wirke ich in meiner Anglerkleidung wohl etwas nahbarer als in meiner Amtstracht. Und wenn man mich nicht erkennt… nun, es ist schon faszinierend, was man dann so hört. Als wäre der König kein Mensch, sondern eine Maschine, die zu funktionieren hat.
 

Ignis serviert fleißig Tee und Gebäck, während ich den Reportern Rede und Antwort stehe. Die meisten Fragen drehen sich um den anhaltenden Stromausfall in der Stadt, dicht gefolgt von Fragen zu meiner geplanten Hochzeit mit Lunafreya, die noch immer das Topthema in allen Medien darstellt. Ob ich schon das neue Kleid gesehen hätte, dass die Designer von Altissia entworfen haben? Nein, habe ich nicht. Ob die Hochzeit trotz des Walls, den ich aufrecht halten muss, in Altissia stattfinden kann? Ich hege die Hoffnung, den Wall bis dahin nicht mehr zu benötigen. Wie es denn mit der Thronfolge aussieht, da Lunafreya – ohne beleidigen zu wollen – ja nun doch schon Mitte Vierzig ist? Diese Frage hatte ich befürchtet, die Antwort ist keine Einfache.
 

„Die Blutlinie der Lucis ist mit mir gestorben“, gebe ich zu, wissend, dass auch meine drei Leibwächter alles hören können, „ich bin dank der Gnade der Götter in diese Welt zurückgerufen worden, in der eigentlich kein Platz mehr für mich ist. Ein neuer König ist bereits vom Kristall gewählt worden – ich vertrete ihn, bis er bereit ist, selbst den Thron zu besteigen.“
 

Es folgen tausende von Fragen, wer dieser neue König sein mag, aber ich beschränke mich auf ausweichende Antworten. Der König wird da sein, wenn seine Zeit gekommen ist, und ich werde dafür Sorge tragen, dass bis zu seinem Erscheinen alles seine Ordnung hat. Wie lange? Nun, ein oder zwei Jahrzehnte mag es noch dauern. Ihr werdet den König erkennen, wenn es so weit ist. Er besitzt die Gnade der Götter und den Segen der alten Könige. Er wird nicht mein Nachfolger, sondern der Beginn von etwas ganz Neuem. Ein neuer König für eine neue, friedlichere Welt.
 

Die Fragen nach dem Stromausfall fielen mir doch leichter… Es wurde bereits Kontakt mit Lestallum aufgenommen, Exineris kann und will den Strom für Insomnia liefern, es müssen aber anscheinend erst neue Leitungen verlegt werden. Die stadtinternen Kraftwerke wurden alle von einem einzigen Konzern aufgekauft, nämlich Rashin Electrics. Diese scheint aktuell Probleme mit dem neuen Erdwärmesystem zu haben. Der Wall hat keinen Einfluss auf die Wärme des Planeteninneren, ebenso wenig auf den Wind oder die Sonne, beides Ressourcen, die auch vorher schon in Insomnia zur Stromgewinnung genutzt wurden, wenn auch damals nur als kleiner Zusatz zur Müllverbrennung. Genauere Antworten zu den aktuellen Problemen kann Rashin sicher selbst geben.
 

Ich bin erstaunt, wie ruhig ich bei den Fragen über das Kraftwerk bleibe – Rashin macht mich wütend mit seiner Propaganda gegen mich und den Adel. Trotzdem kann ich ganz gelassen über ihn reden, ohne beleidigend oder abschätzig zu wirken.
 

Auch die Information über den neuen König scheine ich gut vermittelt zu haben – sie wird mit Begeisterung aufgenommen, obwohl ich mich bedeckt halte. Der Beginn von etwas ganz Neuem… das ist doch der Stoff, aus dem Legenden gemacht sind. Eine neue, friedlichere Welt… mit etwas Glück bekomme ich die auch noch zu sehen. Vielleicht tatsächlich von Cap Caem aus, wenn mir ein friedlicher Lebensabend dort vergönnt ist. Ich rechne ja eher nicht damit, aber vielleicht habe ich ja Glück. Endlich Ruhe… endlich keine Verpflichtungen mehr. Das war damals das einzig Positive an meinem Tod – man hat mich endlich in Ruhe gelassen. Keiner mehr, der mir mit Pflichten und Aufgaben und Bestimmung hinterherrennt. Und dann komme ich zurück und lade mir den Mist freiwillig wieder auf. Dem neuen König zu Liebe. Und, weil ich mich meinem Land gegenüber, nein, der ganzen Welt gegenüber, noch immer verpflichtet fühle.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sargeras
2018-12-28T22:48:03+00:00 28.12.2018 23:48
Und in einer einzigen Nacht straft der König des Kanzlers Worte als Lügen. Ich kann mir die Nachrichten gut vorstellen, das erste Mal seit fast hundert Jahren liegt der Wall über ganz Lucis, das Reich des Lichts wird von seinem König geschützt.
Generell gefällt mir wie es dazu kommt. Die Gruppe ruht sich aus und während der gespräche, der Gedanken von Noct usw. dehnt er den Wall immer und immer weiter aus. Bis die anderen beim Thema Galahd drauf kommen was er macht. Interessant finde ich jedoch die Information über den ehemaligen Regenten. So so, Rashin ist also der Chef des momentan einzigen Stromerzeugers von Insomnia und passend zur entstehung des Walls kann er keinen Stom mehr liefern? Um Ehrlich zu sein schreit mein Verstand gerade: "Von wegen Erdwärme! Der Produziert Strom mit Siechern! Deswegen klappt es nicht mehr." Oh ich würde zu gerne eine TV-Debatte zwischen Rashin und Noct erleben... obwohl, wahrscheinlich sollte Noct Ignis vorschicken, sonst erschlägt Gladio Rashin noch vor Millionenpublikum wegen Majestätsbedrohung XD
Das angesprochene Thema von wegen Schild sein und am besten Ignis Sohn zu beschützen lässt mich in Kombination mit der Rede etwas stutzig werden.

!!!! *evtl. Spoilerwarnung* !!!!
Nyx war beim Kristall, er hat den Ring getragen, es gab ein Beben... und der Kristall hat einen neuen König gewählt, den Noct für ca. 10 Jahre vertreten wird... Wie alt war Nyx nochmal? Oh warte... Gnade der Götter und Segen der alten Könige? Wäre das nicht eine Lunafreya/Noct Kombination?
*Ende Spoilerwarnung*

Doch nun zur Rede, die macht Noct wirklich sehr gut. Allerdings befürchte ich, dass seine Vorhersage das die ersten Gebäude in einer Woche als Rohbau stehen könnten zu positiv ist. Sorry, da kommt der Bauingenieur aus mir raus: Zunächst mal müsste das Baufeld geräumt werden, die alten Ruinen sind wahrscheinlich nicht zu retten, daher muss alles weg. Das dauert zwar nur einen Tag für ein normales Ein- oder Zweifamilienhaus aber damit alleine ist es ja nicht getan. Anschließend müssen die Fundamente betoniert werden, samt Stahleinlagen. Bis der Beton ausgehärtet ist, dauert es bereits eine Woche. Anschließend erst kommt die Abdichtung und es wird gemauert. Um die Woche zu halten, benutzt die Baufirma Stahlbetonfertigteile oder Holzrahmenbaufertigteile. Das bedeutet jedoch das die Häuser alle ziemlich gleich aussehen werden. Mal ganz davon abgesehen, dass die Baufirma ganz schön Produzieren müsste und das bedeutet etwa das irgendwo in Lucis gerade ein Steinbruch mächtig geleert wird um das Material herzustellen oder ganze Wälder werden gerodet (man glaubt kaum wie viele Bäume in so einem Haus verschwinden).

Wahrscheinlich handelt es sich hier um dutzende Baukonzerne die alle tausende von Arbeiter nach Insomnia bringen werden. Zum Glück hat Lucis noch nicht die Idee der öffentlichen Ausschreibung entdeckt, dann würde es erst noch Monate dauern bis die ausführenden Firmen feststehen XDDD
Antwort von:  SoraNoRyu
29.12.2018 15:29
Es ist eben doch ein Unterschied zwischen einem großmäuligen Politiker und einem echten, von den Göttern erwählten König. Letzterer weiß, dass er nur für sein Volk lebt, ersterer kann einfach abtreten, wenn es mal scheiße läuft sind eh die anderen Schuld. Einer TV-Debatte würden beide aus dem Weg gehen - Noct, um nicht die Beherrschung zu verlieren, Rashin, weil sein Redetalent an Noct abprallen würde wie damals auf der Konferenz. Ist halt doch leichter, mit einer unmündigen Masse zu reden als mit jemandem, der Ahnung und Autorität hat.

Ja, der neue König wird in der Tat wie eine Kombination der alten Könige mit der Linie der Kannagi sein.

Von normalen Bauvorgängen habe ich, zugegebenermaßen, nicht viel Ahnung. Ich gehe aber davon aus, dass zumindest die Räumung aller Ruinen und Baustellen bereits im Vorfeld geschehen ist, parallel zum Wiederaufbau der Zitadelle und dem (aus privathand finanzierten) Neubau der Zugstrecke von vor ein paar Kapiteln. Beteiligt sind alle Baufirmen in Insomnia und ein paar aus dem Umfeld, gerade in Galahd sind einige, weil dort fertig, frei geworden die schon mit den Hufen scharren, um weiterzumachen. Sollte zumindest möglich sein, 'die ersten Häuser' (nicht alle) in der Frist fertig zu bekommen.

Das Nordviertel stelle ich mir als eines der ärmeren vor, hier können tatsächlich einförmige Betonbunker hin, wo viele Leute auf wenig Raum Platz haben und trotzdem noch ganz okay wohnen können. Im Westen stehen eher Einfamilienhäuser, da wird dann mehr oder weniger eins nach dem anderen gebaut, oder ein paar auf einmal von verschiedenen Firmen.

Die Arbeitslosigkeit ist jedenfalls gerade auf null, wer nix zu tun hat, hilft bauen.


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