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Die Leute von Millers Landing

von

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Rauch und Flammen

Alexander hatte seit Jahren keine einzige Nacht mehr ruhig durchgeschlafen, doch heute wirkte sich diese Ruhelosigkeit zum ersten Mal zu seinem Vorteil aus. Als er den Spiritusgeruch wahrnahm, dachte er sich zunächst noch nicht viel dabei, doch sehr bald danach roch er den Rauch und da begann es auch schon, sehr warm um ihn herum zu werden. Alexander sprang aus dem Bett und sah aus dem Fenster zur Straße hinaus. Unbarmherzige Flammen züngelten aus der Schneiderei und in ihrem Schein erkannte er den Sheriff, der auf der Straße stand und das Schauspiel offenbar genoss.
 

Der Gesetzeshüter machte keinerlei Anstalten, irgendetwas gegen das Feuer zu unternehmen. Im Gegenteil, vielmehr wirkte er wie jemand, der überaus zufrieden mit sich selbst und seinem Werk war.
 

Es war immer schon nur eine Frage der Zeit gewesen, dass der bigotte Mistkerl seinen Verstand verlieren würde, dachte Alexander beiläufig!
 

Der Schneider war ein vorsichtiger und misstrauischer Mann; dazu hatte sein bisheriges Leben ihn erzogen. Er hatte immer schon geahnt, dass ihm früher oder später irgendwer nach dem Leben trachten würde, so dass ein rascher Rückzug nötig wäre, denn er war sich deutlich bewusst, wie die Leute in Millers Landing über ihn dachten.

In Gedanken hatte er seine Flucht bereits unzählige Male durchgespielt und nun war der Moment offenbar tatsächlich gekommen!
 

Eilig griff er sich ein paar Dinge: Papiere, Jacke und Hose, Bargeld und Schmuck, stopfte sie in eine Tasche und rannte zum anderen Fenster, welches zum Hof hinaus führte, sprang hinaus auf das Vordach der Terrasse, warf die Tasche hinunter und ließ sich dann selbst am Rand des Daches herab.
 

Er blickte sich noch einmal um, sah sein Lebenswerk in Flammen aufgehen und musste schlucken. Dann eilte er einfach los.
 

Alexander ahnte, dass er nicht der Einzige war, dem der Hass des Sheriffs galt.

Möglicherweise war dieser gar verantwortlich für das Verschwinden der Frauen drüben im roten Haus?

Vielleicht gab ja etwas, was er tun konnte?

Alexander schulterte die Tasche und rannte los.

In einer engen Gasse hielt er inne um sich rasch Hose und Jacke über den Pyjama zu ziehen. Seine Lungen brannten vom Rauch.
 

Inzwischen hatte Melody sowohl sich selbst als auch Justine Carpenter befreit und stand nun über der Leiche von Bob Carmichael. Sie stieß ihn mit dem Fuß an und flüsterte:

„Du hast mich nicht gekriegt, Bastard!“
 

Justine hatte sich unterdessen Shy zugewandt und begutachtete im Lampenschein die Würgemale an deren Hals:

„Ich weiß nicht, wie sie überlebt haben, Miss Shy. Es scheint ein Wunder zu sein!“ An alle gewandt fügte sie hinzu: „ Was war hier bloß los, zum Teufel? Lassen sie uns schnell zusehen, dass wir von hier weg kommen, ehe der Sheriff zurückkommt und sich überlegt, dass er keine Zeugen hinterlassen möchte.“

Sie und Regine hakten Shy unter, um sie zu stützen und Melody ging mit den beiden Öllampen vorweg. Zu viert verließen sie nach einem beschwerlichen Marsch von einer halben Stunde endlich den Stollen und sogen gierig die frische Nachtluft ein.

Sie erklommen den Hügel nahe der Mine und blickten auf Millers Landing hinab.
 

Von mehreren Orten sahen sie Rauchsäulen aufsteigen!
 

Die Schneiderei war Snyders erstes Ziel gewesen, weil es in der Nähe war.

Als nächstes war er hinüber zur Schule gegangen. Es musste schließlich verhindert werden, dass die Jugend dort weiterhin vom Bösen korrumpiert wurde!
 

Sowohl das Schulgebäude selbst, als auch das Haus der Lehrerinnen hatte Snyder nun den reinigenden Flammen übergeben und war sehr zufrieden mit sich.
 

Er hatte jedoch nicht die Zeit gehabt, sich weiter aufzuhalten, denn sein Werk war an diesem Punkt noch lange nicht beendet gewesen.

Er hatte einen weiteren Zwischenstopp im Gemischtwarenladen machen müssen, um noch mehr von dem Spiritus auf den Handkarren zu laden.
 

Spiritus!

Geist!

Heiliger Geist!

Wie passend, dachte er und musste lachen.
 

Er war bei seinem Werk von niemandem behelligt worden, denn alle braven Bürger schliefen zu dieser späten Stunde bereits.
 

Die Kirche und das Pfarrhaus waren dunkel und still gewesen, als Snyder sich ans Werk gemacht hatte.

Die Brutstätte des Dämonen hatte natürlich nicht weiterbestehen dürfen!

Dies war kein Gotteshaus mehr!
 

Das Freudenhaus war das letzte Ziel des Rächers gewesen und nun stand er da, genoss den prächtigen Anblick der Flammen und wartete auf die, die es hinaus schaffen mochten. Niemand durfte entkommen!
 

Plötzlich war überall Rauch!

Die Wachen hatten immer wieder um das Haus patrouilliert, waren dann wieder zurückgekehrt, um sicherzustellen, das niemand eindrang, doch damit, das jemand ein Feuer legen und somit verhindern würde, dass sie ihrerseits hinauskämen, hatte niemand gerechnet!
 

Das „Yasemines“ hatte nur wenige Minuten vor dem Wohnhaus zu brennen begonnen. Der Brandbeschleuniger, der überall um das Haus verteilt worden war, hatte dafür gesorgt, dass das trockene Holz des Gebäudes sehr schnell Feuer gefangen hatte und nun waren alle Ausgänge; alle Fenster und Türen, die ins Freie führte von gierigen Flammen umzüngelt.
 

Im Wohnhaus herrschte das absolute Chaos; Schreie, Durcheinanderlaufen, Hilflosigkeit und Angst.

Tiny versuchte sich so gut wie möglich einen Überblick darüber zu verschaffen, wer sich wo befand und wie er helfen konnte. Er hatte Mia und Lois auf dem Arm und Sam und Joe waren an seiner Seite. Dann traf er eine Entscheidung. Er gab je eines der weinenden Mädchen an die beiden Jungen weiter und befahl:

„Schafft sie hier raus und bewaffnet euch! Der Brandstifter könnte noch in der Nähe sein!“
 

Joe blickte unzufrieden zu seinem Liebhaber hinauf und wollte wissen:

„Und was machst du?“
 

„Ich helfe den Anderen!“ gab er zurück.
 

Joe schüttelte den Kopf und bestimmte:

„Ich lasse dich hier nicht zurück!“
 

„Bitte Joe. Mach´ was ich dir sage, nur ein einziges Mal! Tust du das bitte für mich? Ich komme nach. Versprochen! Mir wird schon nichts geschehen!“ Er deutete auf das kleine Mädchen in seinem Arm: „Sieh sie dir an! Sie muss hier raus!“
 

„Komm!“ flehte nun auch Sam: „Hilf mir bitte!“
 

Joe schluckte. Er küsste Tiny und flüsterte:

„Wehe, du lässt mich allein zurück! Das würde ich dir nie verzeihen!“
 

Dann fasste er das Kind auf seinem Arm fester und rannte hinter Sam her, die Treppen hinab. Unten sah er, dass sie durch die Tür nicht hinaus kommen würden, weil die gesamte Veranda bereits lichterloh brannte. Dann erkannte er Christian, Noah und Helena die zuvor unten Wache gehalten hatten und die nun dabei waren, das Fenster des Gemeinschaftsraumes einzuschlagen. Joe setze das Mädchen kurz ab und half ihnen dabei.

Helena, Christian und Noah sprangen als erstes hinaus und und nahmen dann die Mädchen entgegen.
 

Sam war der Nächste der durch das Fenster kletterte.

Nun blickten alle erwartungsvoll auf Joe, doch der schüttelte den Kopf:

„Ich werde hier gebraucht!“ verkündete er: „Nehmt euch vor dem Brandstifter in Acht, sucht euch Waffen und helft allen, die hinauszukommen versuchen. Passt auf die Mädchen auf!“

Dann verschwand er vom Fenster.
 

Joe kamen an der Treppe einige der Frauen entgegen, denen es offensichtlich schwer fiel, sich in Hitze, Rauch und Dunkelheit zu orientieren und so wies er Susanna Bishop, Claire Mcclaine Dorothy Klugman und Carolyn Hoffman, sowie Rebecca und Felicity den Weg zum eingeschlagenen Fenster, sog selbst gierig ein wenig von der frischen Nachtluft ein, ehe er sich, mit dem Kragen seines Pyjamas vor dem Gesicht wieder zurück zur Treppe machte, denn im Haus befanden sich noch etliche Personen, welche den Ausgang noch nicht gefunden hatten.

Mit Entsetzen stellte Joe fest, dass die Flammen sich rasend schnell ausbreiteten.
 

James kam mit dröhnendem Schädel wieder zu Bewusstsein. Er fand sich auf dem kalten Boden des Sheriffdepartments wieder und nach und nach fiel ihm alles wieder ein, die Entführungen, der entkommene Gefangene, der Sheriff, der den Verstand verloren hatte.
 

Oh, Gott, dachte er entsetzt!

Sicherlich war es mittlerweile bereits zu spät für alle seine Freunde!

Der Deputy rappelte sich mühsam auf, ignorierte seinen schmerzenden Kopf, trat aus dem Gebäude und da sah er es: Die Schneiderei stand lichterloh in Flammen!
 

Er läutete die große Glocke vor dem Department, um die Bewohner der Stadt auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Zum Glück hatten sich die Flammen des alleinstehenden Gebäudes noch nicht auf die umstehenden Häuser ausgebreitet.

Und nun entdeckte James etwas, das beinahe sein Herz aussetzen ließ: Einen roten Lichtschein am Horizont, zu früh für die Morgendämmerung und es war überdies die falsche Himmelsrichtung.

Er wusste sofort, was das bedeutete.

Seine Füße setzten sich in Bewegung. Er überließ die Stadt sich selbst.

Ein leichter Nieselregen setzte ein.
 

Der Sheriff hatte ihn entdeckt! Der kleine Teufel hatte es aus den Flammen heraus geschafft und gerade folgten ihm durch eines der Fenster einige seiner Jüngerinnen.

Snyder machte einen großen Bogen, damit er sich dem Teufel von hinten nähern konnte.

Der Junge hörte ihn nicht, denn er war abgelenkt vom Brüllen des Feuers, von den Stimmen, die durcheinanderredeten und vom Regen, der eingesetzt hatte und langsam heftiger wurde.
 

Justine und Melody stützten Shy und Regine folgte ihnen. Keine von ihnen sagte ein Wort. Sie fürchteten das Schlimmste als sie das Feuer von Ferne sahen und ihre Schritte wurden immer schneller, je näher sie den beiden brennenden Gebäuden kamen.
 

Joe war mittlerweile wieder oben im ersten Stock, wo er Kathryn, Lydia und Alice fand:

„Helena?“ rief Alice aufgebracht:
 

„Sie ist schon draußen!“ versicherte Joe: „Was macht ihr denn noch hier? Verschwindet!“ rief er aus. Dann entdeckte er Tiny, der versuchte Mollys Zimmertür aufzubrechen:
 

„Durch die hohen Temperaturen hat sich irgendwie der Rahmen verzogen, oder so etwas. Die Tür öffnet sich nicht!“ erklärte Kathryn mit schriller Stimme.
 

Nun vernahm Joe auch die Stimmen von Molly und den beiden Jungen auf der anderen Seite der Tür, wie sie in Panik riefen und weinten:

„Thomas und ich schaffen das hier schon!“ versicherte er den Anderen: „Lauft, ehe hier alles in sich zusammenstürzt!“
 

Tiny wandte sich nach ihm um und rief:

„Verdammt, was machst du hier? Wirst du jemals auf das hören, was ich dir sage?“
 

Joe schüttelte den Kopf:

„Nein, ich schätze nicht. Du kannst mich später bestrafen! Jetzt haben wir zu tun!“
 

Als James an den beiden roten Häusern ankam, erblickte er einige Leute im Schein der Flammen: fünf der Damen aus Boston, Sam mit den Mädchen und Christian; doch niemand von ihnen schaute auf das flammende Inferno. Vielmehr waren all´ die entsetzten Blicke auf den Sheriff gerichtet, der dem zitternden Noah seine Pistole unter das Kinn hielt.
 

Den Deputy hingegen hatte bislang noch niemand entdeckt.
 

Schweren Herzens ließen Kathryn, Lydia und Alice die beiden Männer zurück und liefen die Treppe hinab, welche mittlerweile bereits von den Flammen erreicht worden war. Sie wollten direkt zum offenen Fenster laufen, denn es war so unerträglich heiß im Gebäude und der Qualm biss sich in Augen, Nase und Lungen fest, doch da entdeckte Alice zufällig etwas, das in der Nähe des Eingangs lag. Beinahe hätte sie es im Rauch übersehen, doch dann regte es sich. Während die anderen aus dem Fenster kletterten, wandte Alice sich dem Bündel am Boden zu.

In diesem Moment viel draußen ein Schuss!
 

Tiny und Joe zählten bis drei und dann warfen sie sich mit Macht gegen die verschlossene Tür.

Nichts!

Sie versuchten es ein zweites Mal und endlich barst das Holz. Die Zwei fielen mit der Tür ins Zimmer und sahen, das Molly in ihrer Verzweiflung bereits im Begriff war, mit den Jungs aus dem Fenster zu springen.
 

„Stopp!“ rief Tiny in allerletzter Sekunde. Er schnappte sich die Jungs und lief in Richtung Treppe, während Joe die verzweifelten Molly unterfasste und hinter sich her zog.

Als sie alle die Stufen erreichten, stürzten diese krachend in sich zusammen.
 

Alexander kam gerade recht um Zeuge einer Szene zu werden, in dessen Mittelpunkt sich der Sheriff und der Sohn des Geistlichen befanden:

„Bekenne, dass du der Dämon bist, der die ganze Stadt in ihr Unglück stürzen will! Bereue, ehe ich dich zurück in die Hölle schicke, damit deine Seele Erlösung finden kann!“
 

Der Sheriff bohrte dem weinenden und bebenden Noah seinen Revolver unter sein Kinn, bereit ihm in den Kopf zu schießen:
 

„Wovon sprechen sie denn bloß?“ fragte der Junge schluchzend.
 

Dies ließ den Sheriff seinen Griff und den Druck seiner Waffe nur noch erhöhen.
 

Lydia Snyder trat, mit vor der Brust verschränkten Armen vor und fragte empört:

„Was soll das Hubert? Du bedrohst ein Kind? Du redest ja komplett wirres Zeug! Lass´ ihn los und komm´ zur Vernunft!“
 

„Du kommst auch noch dran, Hexe!“ erwiderte er: „Ihr werdet alle eurem Anführer folgen, wenn ihr euch nicht vom Bösen abkehrt!“

In diesem Moment ertönte hinter dem Sheriff eine vertraute Stimme, die behauptete:

„Sie haben den Falschen, Boss! Ich bin der Dämon, den sie suchen!“
 

Snyder lockerte den Griff um den Jungen und wendete sich James zu.
 

Der Deputy war sich dessen bewusst, dass die Chancen, versehentlich Noah zu verletzen bei dem Versuch, den Sheriff aufzuhalten beträchtlich waren.

James hörte in seinem Kopf plötzlich die Stimme seines Vaters, die ihm zu verstehen gab, dass er ein Schwächling und ein Idiot sei und dass er es gar nicht schaffen KONNTE, weil er doch noch nie etwas richtig gemacht hatte!
 

Dann fiel sein Blick auf das Gesicht von Kathryn, die ihm mit einem kleinen Lächeln zunickte.
 

James zielte und drückte ab.
 

Alice zuckte zusammen, als sie das Poltern der einstürzenden Treppe hörte und hoffte inständig, dass niemand mehr dort oben sein mochte, doch im Augenblick musste sie die beinahe bewusstlose Margarete aus dem Haus schaffen.

Als sie sie zum Fenster geschleppt hatte, rief sie nach den Anderen, damit sie ihr die Frau abnehmen mochten.
 

„Verflucht? Und was nun?“ fragte Joe entsetzt, als sie zu fünft am Absatz von dort standen, wo sich soeben noch eine Treppe befunden hatte:

„Ich werde euch hinunter heben!“ erklärte Tiny: „Mit dir fange ich an Molly und dann kommen die Jungs!“

Er legte sich an den Treppenabsatz ließ Molly hinab und als sie auf dem Schutthaufen einen einigermaßen sicheren Halt gefunden hatte, reichte er ihr dann nach und nach ihre beiden Söhne, welche sie unten entgegennahm und dann mit den Kindern in Richtung des eingeschlagenen Fensters rannte:
 

„Jetzt du!“ sagte Tiny zu Joe.
 

Dieser schüttelte den Kopf:

„Und was ist mit dir? Ohne dich gehe ich nirgendwo hin!“
 

„Ich werde springen!“ behauptete Tiny:
 

„Das ist Blödsinn!“ rief Joe aufgebracht unter Husten: „Du brichst dir den Hals, wenn du auf den Treppentrümmern landest und ich kann dich unten allein nicht auffangen.“ Er hakte sich bei Tiny unter:

„Ich werde hier bei dir bleiben bis zum Schluss!“ Versicherte er ernsthaft: „Es ist in Ordnung, Thomas! Ehrlich! Du hast mich in der kurzen Zeit, in der wir uns kennen so unglaublich glücklich gemacht. Das reicht für ein ganzes Leben. Von mir aus darf es hier enden.“
 

Tiny schüttelte unwillig den Kopf, während Tränen in seinen Augen standen:

„Entweder du gehst freiwillig, oder ich schaffe dich mit Gewalt runter!“ erklärte er zornig:
 

„Nicht!“ bat Joe sanft: „Ich würde es dir nie verzeihen!“
 

Tiny zog den jungen Mann, den er so sehr liebte fest in seine Arme und ließ ihn nicht mehr los.
 

Es regnete mittlerweile in Strömen!

Nachdem der Schuss gefallen war, waren sowohl der Sheriff, als auch Noah in sich zusammengesackt, landeten auf der nassen Erde und selbst James war sich nicht sicher, wen von beiden er nun getroffen hatte.
 

Christian stürzte auf die beiden Körper am Boden zu, wälzte den Sheriff von dem Jungen herunter und entdeckte das Loch, welches in der Brust Snyders klaffte. Noah lag am Boden und seine Augen waren schreckgeweitet:

„Ist gut!“ murmelte Christian: „Ich hab´dich! Nichts passiert!“
 

Noah gelang es, sich aus seiner Erstarrung zu lösen. Er klammerte sich an den Oberkörper seines Freundes und dieser wiegte ihn ein wenig und flüsterte ihm immer wieder in sein Ohr, dass nun alles gut werden würde.
 

Lydia trat an die Seite des Leichnams ihres Mannes und schaute auf ihn hinab. Dann hob sie den Blick wieder, richtete ihn auf James und erklärte in unnatürlich gefasstem Ton:

„Sie hatten keine Wahl, Deputy Chester!“
 

James schluckte. Er zitterte ein wenig.
 

Kathryn lief auf ihn zu, nahm ihm die Waffe aus der Hand, legte sie auf den Boden und dann schloss sie ihn in ihre Arme:

„Ist in Ordnung, mein Liebling! Du hast es richtig gut gemacht!“ versicherte sie ihm leise.
 

Oben am Absatz der zerstörten Treppe hielte Joe und Tiny einander immer noch fest. Sie vernahmen das Prasseln des Regens auf dem Dach und wussten doch, dass sie diese Rettung für sie zu spät kam. Die Flammen fraßen sich immer näher und näher.

Und in diesem Moment vernahmen sie unter sich eine Stimme:
 

„Braucht ihr Hilfe, Männer?“ wollte Alice wissen.
 

Die beiden mussten ein wenig Lachen.

Nun hob Tiny Joe rasch auf dieselbe Weise herunter, wie zuvor Molly und ihre Söhne und als er selbst über den Rand hinabließ, wurde er unten von Alice und Joe aufgefangen. Die drei eilten in den Gemeinschaftsraum Raum mit dem Notausgang und kletterten hustend und würgend hinaus ins Freie, wo der Regen es übernommen hatte, das Feuer in weiten Teilen zu löschen und Ruß und Schmutz von allen, die in dem brennenden Haus gewesen waren abzuwaschen.
 

Tiny blickte sich um und konnte es nicht fassen. Alle hatten es hinausgeschafft und auch die Verschwunden waren wieder bei ihnen?
 

Er zog Joe an sich und murmelte heiser:

„Ich liebe dich wie wahnsinnig, du kleiner Verrückter!“
 

Helena entdeckte Alice, doch anstatt sie zu umarmen oder sie zu küssen, verlieh sie ihrer Wiedersehensfreude anders Ausdruck. Sie boxte sie so fest sie konnte in den Oberarm:

„Ich dachte, du hast es nicht geschafft, du Miststück!“ brachte sie zornig hervor. Dann brach sie in Tränen aus.
 

Alice konnte nicht anders, sie lachte!

Dann krümmte sie sich vor Husten.
 

Es kam irgendwie ganz von allein: Alle Überlebenden rückten einander immer näher, bildeten schließlich so etwas wie einen Kreis und legten die Arme umeinander. Christian stand dabei neben Alexander und fragte erstaunt:

„Was tun sie denn hier, Sir?“
 

„Ich denke, ich muss dir sagen, dass ich deine Ausbildung nicht fortsetzen kann!“
 

Christian blickte ihn unglücklich an und wollte wissen:

„Habe ich denn meine Sache nicht gut gemacht?“
 

„Du hast es wunderbar gemacht, meine Junge, doch leider gibt es kein Geschäft nicht mehr. Mein Haus war das Erste, das der Mistkerl angesteckt hat!“
 

Christian hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund.

Dann zog er den Schneider fester in seine Arme:

„Es tut mir so wahnsinnig leid!“ murmelte er.
 

Der Regen löschte das Feuer, doch es blieb beinahe nichts übrig, was sich zu retten lohnte und man versuchte es in diesem Augenblick auch gar nicht erst. Gemeinsam gingen sie hinüber zum Haus des Doktors. Ursprünglich hatten sie zur Schule gehen wollen, um sich dort auszuruhen, doch als Rebecca und Felicity die beiden Rauchsäulen am Horizont gesehen hatten, wo die Schule und ihr Haus hätte stehen sollen, hatten sie mit den Anderen bleich und wortlos die Richtung gewechselt.
 

Der Doktor und seine Frau hatten sich in aller Kürze erklären lassen, was vorgefallen lassen. Dann hatte der Doktor, der Zugang zur Notversorgungsausrüstung der Stadt hatte, Feldbetten und alles Nötige herbeischaffen lassen und versorgte nun Verbrennungen, Rauchvergiftungen und anderer Verletzungen.
 

Noah hatte sich bis gerade eben zwischen Alice und Christian befunden und sich von beiden abwechselnd oder auch mal gleichzeitig halten lassen, weil er einfach nicht hatte aufhören können zu zittern.

Nun verkündete er:

„Ich muss meinen Eltern alles erklären! Sie machen sich bestimmt Sorgen um mich.“
 

„Darf ich dich begleiten?“ wollte Christian wissen.
 

Alice hätte ihn auch gern begleitet, doch konnte sie sich als Flüchtling ja leider nirgends blicken lassen.
 

Noah war dankbar, dass Christian mit ihm kam, doch ein wenig unbehaglich war ihm dennoch, weil er sich fragte, welche Rückschlüsse insbesondere seine Mutter über seine Gesellschaft ziehen würde.

Wie sich zeigen sollte, würde diese Befürchtung keine Rolle mehr spielen.
 

Als die beiden Jungen ihr Ziel erreichten, standen weder die Kirche noch Noahs Elternhaus noch. Beides war nur noch ein qualmender Haufen Schutt und davor saß der Reverend und hatte den leblosen Körper seiner Frau auf seinem Schoß.
 

Noah ging neben den beiden mit einem Ruck in die Knie:

„Was ist hier geschehen?“ wollte er eigentlich fragen, doch heraus kam nur ein entsetztes Krächzen.
 

Sein Vater verstand ihn dennoch, blickte auf und zog ihn an sich.

Erst nach einer Weile fand Noah endlich seine Stimme wieder und erklärte:

„Wir müssen dich zum Doktor bringen. Und Mutter auch!“
 

Sie luden die Leblose auf einen Handkarren und machten sich auf den Rückweg.

Der Doktor konnte später nur noch den Tod von Gretchen Schultz feststellen.
 

„Hast du wieder einmal etwas auf deinen armen, schönen Kopf gekriegt, mein armer Liebling?“ fragte Kathryn und deutete auf James verbundenen Schädel.
 

Der Deputy zuckte mit den Schultern und brachte ein mühsames kleines Lächeln zustande.

Die Rothaarige hockte sich neben ihn und blickte ihn verstohlen von der Seite an. Irgendwann suchten ihre Finger die seinigen und verschränkten sich mit ihnen.

Justine sah es aus der Ferne und nickte Kathryn zu, ehe sie sich abwandte und verschwand.
 

Melody setzte sich auf das Feldbett zu ihrer Zwillingsschwester. Diese trug einen Verband um ihren Kopf und erinnerte Melody damit schmerzhaft an damals, als Margarete die Verletzungen durch Carmichael mehr schlecht als recht überlebt hatte.
 

Margarete war bei dem Versuch aus der brennenden Haustür zu kommen, ein Balken auf den Kopf gefallen, doch niemand hatte es gesehen.

Hätte Alice sie nicht zufällig entdeckt und aus dem Inferno heraus geschafft, wäre sie darin unweigerlich umgekommen:

„Du musst endlich damit aufhören, immer wieder beinahe zu sterben, Schwesterchen!“ murmelte sie in dem Versuch, einen Scherz zu machen, doch anstatt zu lachen brach sie in Tränen aus.
 

Margerete schlang sich fest um sie und es dauerte nicht lange, ehe auch sie weinte.

Erst weinten die beiden um die Verletzungen, die ihnen das Leben zugefügt hatte, dann weinten sie weil sie alles verloren hatten und dann weinten sie vor Freude, weil sie eben nicht alles verloren hatten!

Alle ihre Freunde hatten wie durch ein Wunder überlebt und sie hatten einander endlich wiedergefunden.
 

Nach einer Ewigkeit, als endlich alles betrauert war, rieb sich Melody mit dem Ärmel über Augen und Nase und sagte:

„Ich will dir etwas sagen, was noch keiner wissen darf: Du wirst Tante!“
 

Margarete riss überrascht die Augen weit auf und dann legte sie den Kopf in den Nacken und lachte aus voller Kehle.
 

Melody war zunächst verblüfft und dann auch ein wenig verletzt über diese Reaktion, bis sie erfuhr, was zur Belustigung ihrer Schwester geführt hatte:

„Du auch, Süße!“
 

„Aber wie...?“ wollte sie wissen.

Margarete erklärte es ihr.

Und dann lachten sie beide!
 

Am folgenden Tag, nachdem alle sich ein wenig erholt hatten, machten man sich daran in den Trümmern der abgebrannten Häuser nach irgendetwas umzusehen, was das Feuer überlebt hatte. Da waren ein paar Küchengegenstände, wenige Möbel, persönliche Habe, doch das allermeiste war für immer verloren.
 

Gegen Mittag kamen Joe, James, Alice, Helena, Christian, Noah, Alexander, die beiden Lehrerinnen und die Bewohnerinnen und Bewohner des abgebrannten Roten Hauses zusammen, um zu beraten, wie es nun mit ihnen weitergehen sollte.

Sie alle waren unendlich erschöpft, ratlos und traurig und als Helena eine Idee äußerte, stimmten die Anwesenden zu, ohne lange darüber nachzudenken.

Diese Lösung erschien so gut, wie jede andere und hier zu bleiben war keine Option.
 

Später am Nachmittag hatte Kathryn noch einen schweren Gang vor sich und James begleitete sie dabei. Sie hatte fünf Rosen vom Strauch vor dem ehemaligen roten Haus gebrochen und nun näherten sie sich der einsamen Grabstätte von Elizabeth. Heute jährte sich ihr Todestag zum fünften Mal.

James blieb eben da stehen, wo er sich vor genau einem Jahr vor Kathryn verborgen hatte, um nicht von ihr dabei entdeckt zu werden, wie er sie beobachtete. Heute war er hier, weil sie den schweren Gang nicht allein machen wollte.
 

Und irgendwie hatte James auch das Gefühl, sein Hiersein sei auch ein Symbol.

Kathryn war nun endlich bereit für ihn.
 

James konnte sehen, das Kathryns Lippen sich bewegten, doch was sie dem einsamen Grabstein zu berichten hatte, konnte er nicht verstehen und versuchte es auch nicht, denn es ging ihn nichts an.
 

„Hallo, meine Liebste!“ murmelte Kathryn und weinte ein wenig: „Ich bin es; Kathy!“ Sie schluckte: „Bitte sei mir nicht böse, aber ich muss wohl fortgehen. Die Lebenden brauchen mich.“ Sie hielt einen Moment inne, ehe sie hinzufügte: „Ich kann es eigentlich kaum erwarten, irgendwann wieder bei dir zu sein, aber heute ist leider noch nicht der Tag.“

Sie blickte über ihre Schulter zurück zu dem jungen Mann mit den zu langen schwarzen Locken: „Ich frage mich immer wieder, ob du ihn gemocht hättest, Liz, aber ich glaube, das hättest du. Ihr seid euch ähnlich auf eine bestimmte Art.“

Sie blinzelte, um weitere Tränen daran zu hindern, sich ihren Weg zu bahnen:

„Ich liebe dich! Ich werde dich nie vergessen und in einem Jahr komme ich wieder hierher!“ Versprach sie.
 

Dann erhob sie sich und machte sich auf den Weg zurück zu ihrer Familie.



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