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Zwei Seiten einer Medaille

von

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„Amber?! Was meinst du damit?! Ich hab doch gar nichts getan!“ Ich klopfte an ihre Tür, doch es kam keine Reaktion. „Amber?!“ Nichts. Ich hörte nur ein leises Schluchzen und spürte, wie mein Herz dadurch schwerer wurde. Was war geschehen?
 

Kurz wanderte mein Blick zu der Treppe. Sollte ich runtergehen? Ich wusste schließlich, dass dort unten meine Eltern waren. Es war doch zu schön um wahr zu sein, dass ich seinen Schlägen entkommen war. Sollten sie mich jetzt schon wieder einholen? Aber ich wollte wissen, was diese Anschuldigung sollte. Amber gab mir zwar sehr gerne die Schuld an allem. Selbst am schlechten Wetter, doch noch nie hatte ich sie so aufgewühlt erlebt.
 

Ich atmete tief durch und machte mich dann an den Abstieg. Es war ein seltsames Gefühl, das sich mit jeder Stufe tiefer in meine Seele bohrte. Eiskalt, hart und grausam legte es sich um mein Herz und drückte langsam zu. Das Blut, das durch meine Adern gepumpt wurde, fühlte sich wie zähflüssiger Gummi an. Mein ganzer Körper begann taub zu werden und ich schluckte trocken, während ich weiterging.
 

Nicht stehen bleiben. Ich wusste, dass ich umkehren würde, wenn ich jetzt meine Bewegung stoppte. Ich musste vorwärts gehen und durfte nicht zurück sehen. Nicht an mein Zimmer denken und vor allem nicht daran, was mich dort unten erwarten konnte.
 

Mein Gott, ich war ein Mann! Ich sollte diese Angst nicht haben, die sich immer weiter in Panik verwandelte und kalten Schweiß auf meinen Handinnenflächen ausbrechen ließ! All das sollte so nicht sein! Ich sollte mich wehren! Stolz da stehen und mich nicht vor einem alten Mann fürchten! Er konnte mir doch nichts tun!
 

So aufbauend wie meine Gedanken auch waren, so merkte ich, wie ich mit jedem Schritt kleiner wurde. Meine Schultern sanken ein und ich begann leicht zu zittern. Zögernd ging ich weiter. Jede Bewegung fiel mir unglaublich schwer, doch ich zwang mich, obwohl alles in mir nach Flucht schrie. Ich hatte doch diesen Sieg! Wieso verlieh er mir keine Kraft?
 

Schließlich kam ich am Wohnzimmer an. Meine Mutter saß auf der Couch und von meinem Vater fehlte jede Spur. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und war kurz davor wieder umzudrehen, doch dann bemerkte ich das leichte Beben ihrer Schultern. Erneut musste ich trocken schlucken, bevor ich dann weiterging.
 

Ganz vorsichtig näherte ich mich ihr. Streckte meine Hand aus und berührte sie zögerlich an der Schulter. Sofort zuckte sie unter der Berührung zusammen und sah mich panisch an. Als sie aber erkannte, wer ich war, entspannte sie sich und ihre Gesichtszüge wurden wieder zu Stein. Ich konnte sehen, wie eines ihrer Augen blau wurde und auch eine Wange sich umfärbte. Ihre Hände zitterten leicht, doch sie streckte ihren Rücken durch. Versuchte Stärke zu zeigen, wo keine Stärke mehr war.
 

„Was willst du, Nathan? Solltest du nicht lernen oder im Bett sein? Es ist schon spät.“ Sie starrte wieder nach vorne in das Feuer des Kamins. Versuchte mit aller Macht zu verhindern in mein Gesicht zu sehen und ich wollte ihr diese Stärke wirklich glauben, doch ich spürte das leichte Beben ihres Körpers und sah die Verletzungen.
 

„War das Vater?“ Ich sprach nicht aus, was ich meinte. Wir beide wussten es auch so, doch es dauerte lange und das Zittern ihres Körpers nahm zu. „Das ist nicht von Bedeutung.“ Sie blieb so kalt und distanziert wie immer. Versuchte perfekt zu sein, obwohl ihre heile Welt immer mehr zerbrach. Warum versuchte sie diese mit aller Kraft irgendwie zusammen zu halten? Sah sie nicht, dass es sinnlos war?
 

„Nur weil ich nicht...“ Ich stoppte und spürte, wie ich mich plötzlich schuldig fühlte. Dieses Gefühl legte sich schwer über meine Schultern und machte mir kurz das Atmen schwer. Ich wusste, dass es kein Recht hatte zu existieren, dennoch war es da und begann mich langsam zu zerfressen.
 

„Es ist nicht von Bedeutung.“ Ihre Stimme war scharf und sie sah mich ermahnend schon fast drohend von der Seite an. Glaubte sie wirklich, dass es Sinn machte das Ganze zu verschweigen? Hatte sie denn nicht gesehen, dass es nichts brachte?
 

„Wo ist Vater jetzt?“ Ich versuchte einen Themenwechsel und sie wandte sich wieder dem Feuer zu. „Er ist raus gegangen.“ Irgendwie erleichterte mich diese Antwort ein wenig. Zumindest konnte er jetzt nicht auch noch auf mich losgehen. Es reichte wenn einer von uns litt, oder?
 

„Was wirst du jetzt tun?“ Ich fühlte mich immer noch schuldig und hoffte, dass ich ihr irgendwie helfen konnte. Auch wenn sie nie für mich da war. „Ich bleibe hier sitzen.“
 

Erneut trat Stille zwischen uns und ich holte tief Luft, bevor ich dann meine Hand von ihrer Schulter nahm. Sie sah nicht zu mir herüber, sondern starrte weiter in das Feuer und ich verstand es nicht. Warum sah sie nicht, dass dies alles falsch ist? Wieso blieb sie so ruhig, obwohl ihr Körper immer noch leicht zitterte? Woher nahm sie dieses Vertrauen?
 

Unschlüssig steckte ich meine Hände in die Hosentasche und folgte ihrem Blick eine Weile, doch es berührte mich nicht. Für mich war das nur ein Feuer. Ich erkannte nicht das, was sie dort zu sehen glaubte. Aber ich wusste jetzt, warum Amber so aufgelöst war und ich wusste nicht, ob ich wirklich etwas kaputt gemacht hatte. Vielleicht würde sich endlich etwas ändern?
 

Ich wandte mich ab und ging wieder nach oben. Kaum betrat ich die erste Treppenstufe öffnete sich die Haustür und fiel kurz darauf wieder zu. Schuhe wurden auf den Boden geschmissen und mein Blick begegnete dem meines Vaters. Sofort verfinsterte sich seiner und ich stürmte ohne wirklich den Grund zu begreifen los. Ich musste nur mein Zimmer erreichen, dann würde alles gut werden. In mein Zimmer und den Riegel vorlegen. Zimmer und Riegel. Sicherheit.
 

Die Stufen flogen an mir vorbei. Meine Hand glitt über das Geländer um mich vor einem Sturz zu bewahren. Zog mich höher und versuchte mich so noch mehr zu beschleunigen. Oben angekommen. Nur nach links. Dort war die Tür. Ich streckte meine Hand aus. Die Klinke. Ich musste sie berühren. Drücken und hindurch schlüpfen. Nur noch wenige Zentimeter. Spürte das kalte Metall und wollte es umschließen.
 

Der Aufprall war hart und riss mich von den Füßen. Ich rutschte kurz über den Boden. Schmerz durchzog meinen Körper. Ich spürte sein Gewicht auf mir. Hob schützend die Arme. Wollte ihm entkommen. Doch es ging nicht. Ich konnte nur mein Gesicht schützen. Spürte die Schläge. Versuchte die Worte nicht zu hören.
 

„Du Versager! Nie wieder sollst du es wagen dich gegen meine Worte zu erheben! Du bist es nicht wert! Ich habe das Sagen und du musst gehorchen!“ Ich roch den Alkohol, der mich leicht würgen ließ. Noch nie war dies passiert. Mein Vater hatte vorher noch nie getrunken, doch jetzt legte sich dieser Gestank schwer auf meine Lunge. Begleitete jeden Satz und jeden Schlag von ihm. Trieb die Übelkeit durch meinen ganzen Körper, doch sie wurde von dem Schmerz überdeckt.
 

Ich wusste nicht wann es aufhörte. Irgendwann bestand mein Körper nur noch aus Schmerzen und ich rollte mich so gut es ging zusammen sobald er sich erhob. Ich spürte, wie er sich über mich erhob und fühlte mich nur noch klein und unbedeutend. Traute mich nicht ihn anzusehen, sondern versteckte mein Gesicht weiter hinter meinen Armen. Ich wollte ihn nicht sehen. Nicht erkennen, dass alles vorher nur eine falsche Hoffnung war. Es würde nicht aufhören. Nicht solange ich hier blieb und er auch da war.
 

„Ich hoffe, dass du es endlich begriffen hast. Du hast zu gehorchen und dankbar für meine Weisung zu sein. So etwas wie heute will ich nie wieder erleben.“ Seine schweren Schritte entfernten sich und ich blieb liegen. Ließ die Machtlosigkeit in mein Herz und spürte, wie jegliche Hoffnung in mir starb. All die Höhenflüge, die ich vorhin hatte, waren zu einem grausamen Absturz geworden. Es würde niemals enden. Nicht solange ich hier war. Mit jedem schmerzhaften Atemzug wurde mir dies bewusster. Dieser Ort war kein Zuhause mehr für mich. Er war meine Hölle aus der ich entkommen musste. Irgendwie entkommen. Durchhalten und entkommen. Denn nur wenn ich jetzt aufgab, dann würde ich endgültig untergehen und das wollte ich nicht.
 

Ich wollte standhaft bleiben, um irgendwann von hier zu fliehen. Weiterzuziehen und endlich zu leben beginnen...



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