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For Hearth and Home

2nd in Command
von

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Der Drucker piepte.

„Verflucht noch eins ...!“, raunte der Mann. „Nicht schon wieder Papierstau!“

Er zog den Papierschacht auf und lugte hinein. Tatsächlich, ein Blatt hing fest. Er griff danach und zog es heraus, schob den Schacht wieder zu und wartete auf die nächste Reaktion des Gerätes. Es piepte erneut.

„Druck doch einfach!“

Er wählte ok und hörte zufrieden zu, wie erneut Papier eingezogen wurde, nur dieses Mal ohne den technischen Defekt.

„Spinnt er wieder?“, fragte jemand im Vorbeigehen.

„Immer!“

„Sir, wieso bestellst du keinen Neuen?“

Drautos sah Nyx angefressen hinterher. Als ob es so einfach wäre, mit dem mageren Budget, das ihm zur Verfügung stand, auch noch einen passablen Drucker zu kaufen. Keines von den billigen Geräten, wie gerade eines vor ihm stand und welches ein halbes Jahr nach dem Kauf zu Zicken begonnen hatte. Den Fehler würde der Kommandant der Königsgleve nicht noch einmal machen. Nächstes Mal stand eines der teureren Geräte auf der Einkaufsliste, eines, das auch Tackern und Lochen konnte.

„... Dafür muss ich euch das Gehalt etwas kürzen, aber es dient ja zum Wohle aller ...“, murmelte er. „Oder noch besser, mein zukünftiger Stellvertreter darf sich darum kümmern.“

Zufrieden griff er nach den Papieren.

„Sogar ohne Kleckereien.“

Drautos hielt drei Seiten eines Dokuments in der Hand, welches er am Abend zuvor endlich hatte fertigstellen können. Es handelte sich um eine Stellenanzeige für den Posten des stellvertretenden Kommandanten der Königsgleve. Also seine rechte Hand, die ihn bei Abwesenheit vertreten oder auch seinen Posten kurzfristig übernehmen könne, wenn ihm etwas zustieß. In der Woche zuvor hatte er für diese Position die Freigabe bekommen und sich dann umgehend an die Beschreibung der Stelle für Bewerber gemacht.

Er brummte und ging in sein geräumiges Büro. Dort lagen einige andere Dokumente in einer hellgrauen Mappe. Der Schichtplan für den kommenden Monat mit den Bereitschaftsdiensten und Urlauben, der wöchentliche Bericht über die Truppenbewegungen des Imperiums. Wichtige Hinweise, die Drautos von Cor von der Königsgarde erhielt und die mittlerweile unersetzlich waren für die Einsätze, die der Kommandant seine Leute ausführen ließ. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, wie der General an seine Informationen kam, wo es doch eigentlich seine Hauptaufgabe war, die Königsfamilie und den Palast zu beschützen.

„Wollen doch mal sehen, wer von ihnen genug Eier in der Hose hat“, murmelte der Kommandant, griff sich die Mappe mit den Papieren und verließ sein Büro wieder. Zum Besprechungsraum war es nicht weit, nur einmal den kurzen Gang entlang in das gegenüber liegende Zimmer.

„Morgen“, murmelte er, als er den Raum betrat.

Die Anwesenden beendeten ihre Gespräche und stellten sich in Reih und Glied auf, manche erwiderten den Gruß. Drautos nahm seinen gewohnten Platz auf der Wandseite ein und musterte seine Leute.

„Ulric! Was soll das windschiefe Grinsen?!“, mahnte er.

Der Gescholtene schluckte mehrmals bei dem Versuch, seine Gesichtsmuskeln zu entspannen.

„Nichts, Sir!“

„Das will ich auch hoffen! Also“, fuhr der Kommandant fort und öffnete seine Mappe. „Der Schichtplan für nächsten Monat stand ja bereits so fest. Khara, wenn du nicht endlich lernst, deinen Urlaubsantrag richtig einzureichen, wirst du in Zukunft nicht mehr berücksichtigt, ist das klar?“

„Ja“, piepste jemand aus der zweiten Reihe.

Ein anderer kicherte. Drautos ignorierte es und gab den Schichtplan einer Gleve aus der ersten Reihe.

„Ans schwarze Brett damit!“

Die Frau nickte.

„Kommen wir zum nächsten Punkt, die Einsätze für diese und nächste Woche. Spart euch eure Fragen wie immer für nach meinem Bericht.“

Die Männer und Frauen sahen ihn erwartungsvoll an.

„Aus zuverlässiger Quelle wurde mir berichtet, dass sich das Imperium zuletzt vermehrt in der nördlichen Cleigne Region herumtreibt. Was sie dort wollen, ist bisher ein Rätsel. Gutsco!“

„Sir?“

„Stell einen Trupp zusammen! Ihr brecht nach dem Meeting auf und schaut euch die Sache an!“

„Sir!“

„Lasst euch nicht in einen Hinterhalt locken. Euer Auftrag lautet Informationsbeschaffung. Erst im Anschluss werden wir weitere Schritte unternehmen, sollte dies nötig sein.“

„Verstanden, Sir!“

Drautos händigte Gutsco einige geheftete Papiere aus.

„Gut, weiter im Programm.“

Der Kommandant ließ seinen Blick über die Köpfe schweifen. Er blieb an einem dunkelbraunen Haarschopf hängen, dessen Besitzerin ihn erwartungsvoll ansah.

„Crowe, Jenica, kommt nachher zu mir ins Büro“, meinte er in versöhnlicherem Ton. „Ich habe einen Spezialauftrag für euch.“

„Sir! Geht es um den Geburtstag, Sir?“, fragte die Brünette.

„Ich hab‘ mir schon Gedanken gemacht, Sir ...“, fügte Jenica hinzu.

Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, doch er antwortete nicht auf das Geplänkel. Die beiden Frauen hatten sich schon letztes Jahr darüber gefreut, dass sie sich im Namen der Königsgleve um ein Geschenk für den jungen Prinzen kümmern durften. So war Drautos die lästige, doch notwendige Aufgabe los und er konnte trotzdem vor den anderen königlichen Ratgebern damit glänzen, was sich seine Einheit Tolles für den kleinen Noctis ausgedacht hat.

„So, der letzte Punkt für heute ist bisher einmalig in der noch jungen Geschichte der Königsgleve“, begann er theatralisch.

Jemand murmelte etwas in der zweiten Reihe. Nyx verzog einen Mundwinkel.

„Wie ihr alle mitbekommen habt, ist unsere Einheit in den letzten Monaten ziemlich angewachsen. Mehr Personal bedeutet auch mehr Arbeit. Die kann ich inzwischen alleine nicht mehr stemmen. Deshalb ist ab sofort der Posten meines Stellvertreters ausgeschrieben.“

Ein Raunen ging durch den Raum, manche Gleven fingen gar das Tuscheln an. Drautos beachtete sie ausnahmsweise nicht weiter und holte stattdessen das letzte Dokument aus seiner grauen Mappe hervor. Es war die dreiseitige Stellenausschreibung, um die er kurz zuvor noch mit dem Drucker gekämpft hatte. Gut sichtbar hielt er es in die Höhe.

„Hier stehen alle wichtigen Details drin.“

Der Kommandant reichte die Seiten der Gleve in der ersten Reihe, damit diese die Ausschreibung ebenfalls an das schwarze Brett hängen konnte. Luche räusperte sich.

„Was ist?“

„Sir? Wäre denn eine Sekretärin nicht besser geeignet, dich zu entlasten?“

„Hah! Rührt euch!“

Die Gleven entspannten sich sichtlich.

„Lazarus, es geht hier nicht nur um Schreibtischarbeit, wobei das auch ein wichtiger Aspekt des Stellvertreters sein wird. Konkret geht es darum, mich einerseits zu entlasten. Andererseits bin ich auch nicht mehr der Jüngste, wie der ein oder andere von euch gelegentlich süffisant anmerkt.“

Nyx starrte einen undefinierten Punkt an der Decke an. Drautos verschränkte die Arme.

„Vielleicht entscheide ich mich auch dazu, vorzeitig in Rente zu gehen.“

Manche Gleven starrten ihn ungläubig an, darunter der Blondschopf, der die Frage nach der Sekretärin gestellt hatte.

„Bis dahin muss der Stellvertreter soweit sein, dass er meine Aufgaben von heute auf morgen übernehmen kann.“

„Sir, denkst du wirklich ans Aufhören?“, fragte Tredd Furia.

Der junge Mann mit den rötlichen Haaren hatte sich mit verschränkten Armen gegen eine der Säulen gelehnt, die auf der Fensterseite eingelassen waren.

„Nein. Wo kämen wir denn da hin, wenn ich einfach so das Handtuch werfe“, konterte der Kommandant.

„Der König wär wohl auch wenig begeistert ...“

„Das sowieso“, fuhr Drautos fort. „Dennoch kann es passieren, dass ich unerwartet ausfalle, und ...“

„Schleppst du ‘ne Krankheit mit dir rum?“, fragte Nyx.

„Nein, verdammt! Der letzte Gesundheitscheck war zu hundert Prozent im grünen Bereich. Hör auf, dir irgendwas auszudenken!“, fluchte der Alte, unsicher, ob Ulric die Frage ernst gemeint hatte oder nicht. „Trotzdem kann es passieren, dass mich einer auf der Straße anfährt, und ...“

Drautos warf die graue Mappe schneller nach ihm, als Nyx einen Kalauer darüber zum Besten geben konnte. Einige der Anwesenden kicherten.

„Ich sollte vielleicht erwähnen, dass das Gehalt des Stellvertreters bei weitem besser sein wird, als das einer normalen Gleve. Und es gibt ein paar Urlaubstage mehr im Jahr ...“, setzte er fort, nachdem sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. „Also, diejenigen unter euch, die meinen, dass sie für die Position geeignet sind, können ihre Bewerbung bis Ende nächster Woche bei mir einreichen. Denkt daran, dass es bei dieser Position nicht mit einem einfachen Bewerbungsgespräch und einem Praxistest getan sein wird, so wie ihr es von der Musterung her kennt. Ich werd‘ die Bewerber auf Herz und Nieren testen, das Auswahlverfahren wird sich über einige Wochen hinziehen. Wenn ihr es euch zwischendrin anders überlegt, ist das natürlich kein Problem. Trotzdem würde ich den zusätzlichen Zeitaufwand gerne vermeiden. Von allen, die sich nicht um die Stelle bewerben, erwarte ich, dass sie die Bewerber nach Leibeskräften unterstützen. Wir sind ein Team, vergesst das nicht!“

Der Kommandant sah seine Leute der Reihe nach ausdruckslos an.

„Sir?“

„Ja?“

„Fällst du die Entscheidung komplett alleine?“, hakte Luche nach.

„Im Endeffekt ja. Jedoch bin ich nicht der Einzige, den ihr überzeugen müsst.“

Die Gleven sahen ihn erwartungsvoll an, aber er ging nicht weiter darauf ein.

„Also. Lest euch als Erstes die Stellenbeschreibung durch. Dort steht das Wichtigste zu Aufgabengebiet und Anforderungen drin. Ihr findet sie auch in unserer internen Datenbank. Falls ihr Fragen dazu habt, steht euch meine Tür jederzeit offen.“

Einige nickten, andere warfen sich gegenseitig Blicke zu.

„Das wär’s für heute. Für Heimat und Ehre!“

Die Gleven nahmen Haltung an und wiederholten den Spruch im Chor.

„Crowe, Jenica, ihr kommt gleich mit zu mir ins Büro.“

Die beiden Frauen folgten dem Kommandanten mit einem Meter Abstand auf den Gang hinaus.

 

* * *

 

Das Fleisch brutzelte über den offenen Flammen vor sich hin, der Geruch, der in der Luft hing, regte auch noch den sattesten Passanten an, der sich in die Untiefen von Insomnia wagte. Es ging auf halb neun Uhr abends zu, die Straßen der Lucisschen Hauptstadt waren belebt wie eh und je und würden auch in den nächsten Stunden nicht verwaisen. Die fünf Freunde saßen an dem großen Tisch zusammen, wie jeden Dienstag um diese Zeit. Bisher hatten sich die Gespräche um Belanglosigkeiten gedreht. Keiner von ihnen wollte der Erste sein, der das Thema ansprach, das ihr Kommandant heute offen gelegt hatte.

„Und? Was habt ihr euch dieses Jahr als Geschenk für den Prinzen überlegt?“, fragte Libertus Crowe, die neben ihm saß und sich ihr drittes Galahdische Fleichspießchen mit Soße schmecken ließ.

„Ich hab mir gar nichts ausgedacht“, antwortete die Brünette, nachdem sie ihren Bissen mit etwas alkoholfreiem Bier hinunter geschluckt hatte. „Jenica hatte scheinbar nur drauf gewartet, dass er uns die Aufgabe wieder aufbrummt.“

„Ah?“, meinte Libertus während dem Kauen.

Crowe sah ihn missmutig an.

„Jedenfalls hatte sie schon einen groben Plan, was wir machen könnten und der Kommandant war angemessen beeindruckt. Aber das wird jede Menge Arbeit.“

„Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“, forderte Luche. „Erzähl endlich, was es wird.“

„Dann ist es ja keine Überraschung mehr“, konterte die Brünette und aß ungerührt weiter.

Der Blondschopf verdrehte vielsagend die Augen, sagte aber nichts weiter.

„Können wir denn irgendwie dabei behilflich sein?“, fragte Nyx.

„Ich glaube nicht. Außer natürlich, du bist ein Experte im Umgang mit Nähmaschinen. Dann könntest du sogar Jenicas Oma ersetzen.“

„Eine Nähmaschine?“

„Ja, und jetzt lass mich essen, ich hab Hunger!“

Ulric schüttelte den Kopf und nahm einen Zug von seinem Bier. Er war einige Minuten vor den anderen bei der Spießbude ihres Vertrauens angekommen und hatte den Tisch erfolgreich gegen andere potentielle Gäste verteidigt, sehr zum Leidwesen des Betreibers der Bude. Sie schwiegen wieder beharrlich und konzentrierten sich auf ihr Essen. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend.

„Was ist euch denn über die Leber gelaufen?!“, rief ihnen der Wirt über seine Spieße hinweg zu.

Pelna hob den Kopf und sah Libertus gedankenschwer ins Gesicht, ohne etwas zu sagen. Luche räusperte sich. Nyx hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und zwirbelte eine seiner Haarsträhnen zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein Holzspießchen flog sauber abgeleckt auf den Resteteller.

„Ich bin pappsatt!“, meinte Crowe in die Stille hinein.

„Bei der Menge würde selbst ich verhungern“, kommentierte Pelna.

„Du bist immer am Verhungern, egal, wie viele Buffets du zuvor leergeräumt hast.“

Der Witz mochte nicht so recht zünden, weder bei seinem Verfasser, noch bei den anderen.

„Und hat er euch noch was erzählt?“, fasste sich Luche ein Herz.

„Nein. Jedenfalls nicht von sich aus“, war die plumpe Antwort.

Der Blondschopf sah Crowe erwartungsvoll an.

„Ich war schon fast zur Tür raus, als Jenica fragte, wer die anderen sind, die die Bewerber überzeugen müssten.“

Libertus, obwohl noch nicht fertig mit seinem Abendessen, legte den Spieß vor sich auf den Teller.

„Will sie sich etwa bewerben?“

Die einzige Frau in der Freundesgruppe schüttelte den Kopf.

„Ich glaube nicht. Jedenfalls hat der Kommi was von Cor und noch ein oder zwei weiteren Personen gefaselt, die ihm bei der Entscheidungsfindung helfen sollen.“

„General Cor?!“

„Eben derjenige.“

Die Männer sahen sich nacheinander an.

„Oh man, dann kann ich’s ja gleich vergessen“, meinte Libertus und nahm seinen Fleischspieß wieder zur Hand.

„Cor wird keiner der Bewerber überleben.“

„Vielleicht macht er ja auch nur die Bewerbungsgespräche mit, wer weiß.“

Nyx lachte scheel, ohne auf Pelnas Einwurf einzugehen.

„Hat er was von den anderen gesagt?“, bohrte Luche weiter.

„Nur genuschelt.“

„Und da sagt er noch, bei Fragen stünde uns seine Tür immer offen ...“, brummte Ulric.

„Du vergisst seine Menschenkenntnis. Es war auch für mich nicht schwer zuerkennen, dass Jenica kein Interesse an dem Posten hat, sondern nur ihre Neugier befriedigen wollte“, erklärte Crowe. „Das hat Drautos auch gemerkt. Vielleicht will er nur denjenigen Rede und Antwort stehen, die eine Bewerbung um den Posten auch tatsächlich anstreben.“

„Trotzdem frag ich mich, warum ihm das jetzt auf einmal einfällt. Ein Stellvertreter wär doch von Anfang an gut gewesen.“

Niemand erwiderte etwas auf Libertus‘ Überlegung.

„Oder warum er sich keine Sekretärin sucht, die den Papierkram erledigt.“

„Die lenkt ihn vielleicht zu sehr ab ...“

Der Blondschopf schlug sich an die Stirn, stand auf und verschwand einmal um die Ecke hinter die Bude, wo sich Gästetoiletten befanden. Die anderen sahen ihm hinterher.

„Na? Was glaubt ihr?“, fragte Libertus. „Ob er sich um die Stelle bewerben will?“

„Wie kommst du darauf?“, wollte Pelna wissen.

„Überleg doch mal. So, wie er die ganze Zeit auf dem Thema herum reitet. Und er hat in der Vergangenheit ja nicht nur einmal davon gefaselt, zur Königsgarde wechseln zu wollen.“

„Quatsch. Luche ist nicht der Typ für den Schreibtisch.“

Sie kamen nicht dazu, das Thema weiter zu vertiefen. Das Objekt ihres Interesses kam gerade mit frisch gewaschenen Händen an den Tisch zurück.

„Was ist los?“, fragte er, als er das Schweigen bemerkte.

„Nichts“, log Nyx. „Hey Crowe, hat er nicht mal was zur Höhe des Gehalts gesagt?“

„Geh doch hin und frag ihn selbst, wenn du es so unbedingt wissen willst.“

„Kein Grund, gleich pampig zu werden.“

Die Brünette ersparte sich eine Antwort, stand auf und griff nach ihrer Lederjacke, die über der Stuhllehne hing.

„Luche. Hast du Bock, die Strecke bis zur Mall mit mir zu laufen?“

Lazarus sah sie perplex an.

„Klar“, antwortete er nach einigem Zögern und stand wieder auf.

„Also, Jungs“, meinte die Frau mütterlich. „Sauft nicht mehr zu viel. Wir sehen uns morgen.“

Luche winkte ihnen kurz und gemeinsam machten sich die beiden auf den Heimweg.

„Nyx war noch nie gut im Lügen“, meinte der Blondschopf lapidar, nachdem sie die Treppen bis zur Hauptstraße erklommen hatten.

„Stimmt.“

„Also? Worüber habt ihr gesprochen, während ich kurz weg war?“

„Nur, ob du dich bewirbst.“

„Hm.“

Crowe sah ihn schief von der Seite her an. Ihr Begleiter hatte die Hände im Nacken verschränkt und schlenderte gemächlich auf dem Gehweg dahin. Hin und wieder wurden sie von Passanten angerempelt, Frauen, die zu später Stunde die Läden mit dicken Einkaufstüten verließen, Männer, die von der Arbeit nach Hause hetzten, Jugendliche, die sich mit ihren Freunden trafen, um wahlweise Parks oder Spielhöllen unsicher zu machen. Insomnia, die Hauptstadt von Lucis, schien niemals den Atem anzuhalten.

„Und?“

„Was und?“, konterte Luche.

„Na! Bewirbst du dich nun oder nicht? Lass du dir doch auch nicht alles aus der Nase ziehen!“, erkundigte sich Crowe freundschaftlich.

„Vielleicht.“

„Oh man.“

„Entschuldige. Ich würd‘ gern eine Nacht darüber schlafen, bevor ich mich entscheide.“

„Klar. Vergiss aber nicht, was ich dir beim letzten Mal auch schon angeboten habe.“

„Dass du mir bei der Bewerbung hilfst? Danke!“

Lazarus grinste sie an.

„Ich mein’s ernst. Lass mich wenigstens über dein Schreiben drüber lesen.“

Sie gingen weiter die Straße entlang.

„Ehrlich gesagt bin ich ziemlich unschlüssig“, offenbarte der Mann.

„Warum?“

Crowe klang überrascht.

„Du hast doch schließlich nichts zu verlieren.“

„Das natürlich nicht. Aber die Absage von der Königsgarde hat mir doch zu Denken gegeben. Und wenn Cor einer der Entscheidungsträger ist ...“

„Du hast mir nie erzählt, warum du abgelehnt wurdest.“

Luche antwortete nicht sofort darauf. Seine Begleiterin ließ ihm den Moment der Stille im Großstadtlärm, damit er seine Gedanken und Gefühle sortieren konnte. Natürlich hatte sie Recht, er hatte tatsächlich nichts zu verlieren. Bei der nun ausgeschriebenen Stelle würde er lediglich die Karriereleiter nach oben klettern. Das war etwas anderes, als wäre er damals bei der Königsgarde genommen worden, und hätte seinen Kollegen von der Gleve den Rücken kehren müssen. Außer Crowe hatte Luche damals niemanden eingeweiht, dass er sich bei der Garde beworben hatte, die indirekt mit der Königsgleve konkurrierte. Nicht einmal dem Kommandanten hatte er es gebeichtet. Wenn dieser jetzt den General in den Bewerbungsprozess einbezog und Luche sich um die Stelle bewarb, stand es außer Frage, dass Drautos von der gescheiterten Bewerbung bei der Garde erfuhr. Und sicher würde Cor ihm auch die wahren Gründe erzählen, warum er ihn abgelehnt hatte.

‚Anders als die höflichen Floskeln, die sie mir aufgetischt haben ...‘

Der Blondschopf war noch immer enttäuscht, dass er damals keine ehrliche Antwort bekommen hatte. Frustriert erzählte er Crowe die Geschichte.

„Warum hast du mir das nicht viel eher erzählt?“, fragte sie erstaunt.

„Na ja. Verstehst du wenigstens jetzt, in welcher Zwickmühle ich mich befinde?“

Sie nickte verständnisvoll.

„Ich finde trotzdem, dass du dich für die Stelle bewerben solltest. Es war ja nicht zu übersehen, dass du etwas mehr Interesse an dem Posten hast, als die anderen. Auch wenn du dich ziemlich lange zurückgehalten hast“, schmunzelte sie.

„Hab ich das?“

Luche grinste kurz zurück, wurde dann aber wieder ernst.

„Vielleicht sollte ich morgen echt mal hingehen und fragen. Mich würde es schon interessieren, wie die Bewerbungsphase genau ablaufen soll. Und vor allem, wer neben Cor die anderen Beteiligten sind.“

Sie blieben an der Kreuzung stehen.

„Wieso bewirbst du dich eigentlich nicht?“

Crowe lachte herzlich.

„Danke für die Blumen, aber so ein Stellvertreterposten ist einfach nichts für mich.“

„Warum?“

„Zu viel von allem.“

Der Blondschopf sah sie schief an.

„Lass gut sein, das hat schon alles so seine Richtigkeit, wo ich jetzt bin. Ich bin glücklich, hab meine Freunde direkt um mich, was will ich mehr?“

„Dann solltest du vielleicht eine Familie gründen ...?“

„Jetzt fang du nicht auch noch an! Mir reichen die dämlichen Witze, die Nyx ständig macht.“

Luche zwinkerte.

„Also, schlaf eine Nacht drüber, wie du gesagt hast. Und morgen setzen wir uns an dein Bewerbungsschreiben.“

„Musst du nicht Jenica bei dem Nähmaschinenprojekt zur Hand gehen?“

„Nicht wirklich. Sie will dem Prinzen einen Spiderman-Anzug in seiner Größe nähen.“

„Oh!“

„Ja. Hat gemeint, ich sei da eher hinderlich, als hilfreich.“

„Ah ...“

„Ich will mich nicht aufdrängen.“

„Ist wohl besser so. Aber Spiderman?“

„Der Kommandant hat gewusst, dass der Prinz derzeit scheinbar darauf abfährt.“

Luche schüttelte ungläubig den Kopf.

„Also, machs gut. Flausch Princess von mir. Wir sehen uns dann morgen.“

Die beiden umarmten sich.

„Lass dich nicht belästigen auf deinem Heimweg“, rief er Crowe hinterher.

Sie winkte ihm noch mal und war dann in der Menschenmenge verschwunden.

 

* * *

 

Der Schlüssel drehte sich im Schloss, die Tür ging auf und Luche trat in seine Zweizimmerwohnung. Er warf seinen Schlüsselbund auf das Sideboard und zog nacheinander Jacke und Schuhe aus. Es war mucksmäuschenstill in seiner kleinen Behausung. Die Nachbarn, die man häufig durch die hellhörigen Wände streiten hörte, waren scheinbar schon zu Bett gegangen.

Der Blondschopf schlurfte in sein Schlafzimmer hinüber, schaltete das Licht an und zog dann die Lederhose aus, die zur Standardausrüstung der Gleven gehörte und die den meisten gerade mal bis über die Knie ging. Seine Waden waren schon wieder angeschwollen, aber es half alles nichts. Die nächste Stiefelgröße war ihm einfach zu groß, als dass er bequem in ihnen hätte laufen können.

„Hm“, meinte er an niemand bestimmten und zog dann auch noch sein T-Shirt aus.

„Meow“, kam es von seinem Bett her.

„Da bist du!“

Luche drehte sich zu der weißen Stubentigerin um, die bisher lautlos auf dem Bett gelegen und offensichtlich nur darauf gewartet hatte, dass er seinen Oberkörper entblößte. Sie beäugte ihn mit großen Pupillen und begann, leise zu schnurren.

„Meow!“

„Na, kriegst ja gleich noch mal was!“, versicherte er schnell und warf ihr sein getragenes T-Shirt hin.

Interessiert begann Princess, wie er sein Haustier getauft hatte, daran herumzuschnuppern, bevor sie es sich endgültig darauf bequem machte. Der Mann trat an die Fensterfront und zog die Vorhänge fast komplett zu. Selbst nachts war Insomnia taghell erleuchtet. Danach ging er zu seinem Schreibtisch, der über zwei Schubladen verfügte und zog die untere auf. In ihr lag die Bewerbungsmappe, die dort mittlerweile seit einigen Monaten ihr trauriges Dasein fristete. Er nahm sie heraus, griff nach der Packung Dreamies Katzenleckerlis, die auf dem Tisch lag, und setzte sich zu Princess auf das Bett. Das Schnurren wurde intensiver. Das weiße Fellknäuel rollte sich herum und stupste ihn mit der Pfote an, aber Luche ignorierte es zunächst. Stattdessen öffnete er die Mappe. 

Die Unterlagen waren in der Versenkung verschwunden, just an dem Tag, an dem er sie zusammen mit einer Absage der Königsgarde wieder bekommen hatte. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, sie bei Gelegenheit noch einmal durchzuarbeiten, hatte es dann aber vergessen. Der Blondschopf erinnerte sich noch gut an jenen schicksalhaften Tag.

Es war Frühling. Nach tagelangem Dauerregen hatten die Wolken aufgerissen und die Sonne schickte warme Strahlen nach Lucis. Bei vielen hatte der Wetterumbruch die Stimmung gehoben, die Leute trafen sich in den Parks, schleckten die erste Eiscreme der Saison und waren auch ansonsten ziemlich gut gelaunt. Auf Luche hatte die positive Laune der Leute abgefärbt. Als gegen Mittag der Anruf der Königsgarde kam, hatte er sich geradezu euphorisch auf den Weg in ihr Hauptquartier gemacht. Nur, um dann mit einer Ablehnung konfrontiert zu werden. 

‚Der General hatte nicht mal den Anstand, mir seine Gründe persönlich darzulegen‘, dachte er verärgert.

Der Blondschopf hatte sich für den Rest des Tages bei Drautos krank gemeldet und war nach Hause gegangen, um seinen trüben Gedanken nachzuhängen. Luche spürte, wie seine Gefühle wieder ins Negative abdrifteten, wie seine Motivation sank. Das Thema wühlte ihn selbst Wochen später noch auf.

„Meow!“

Princess riss ihren Besitzer aus seinen Träumereien. Er legte die Papiere beiseite und griff nach den Katzenleckerlis.

„Na komm!“

Er hielt eines einen halben Meter in die Höhe. Seine Katze machte artig Männchen, hielt sich mit den Pfoten an seiner Hand fest und schnappte nach dem Leckerli.

„Brav!“, lobte er.

Luche gab ihr ein Zweites auf dieselbe Art und Weise und legte die Packung auf den Nachttisch. Danach schmuste er ausgiebig mit seinem Haustier. Princess war die Einzige, der er sich offenbaren konnte. Niemand war so verschwiegen wie sie. Das war der Vorteil, eines Haustiers.

„Na komm, dann kriegst du noch mal was Richtiges zwischen die Beißer.“

Der Blondschopf hob sie hoch und ging mit ihr in seinen Allzweckraum hinüber, der sowohl ein Wohnzimmer, als auch eine Küchenzeile beherbergte. Wie er vermutet hatte, hatte Princess den Futterspender über den Tag hinweg komplett geleert. Er setzte sie ab und öffnete einen der Hängeschränke, um eine Dose Feuchtfutter daraus hervorzuholen. Die Katze strich ihm schnurrend um die Beine. Schnell hatte er das Hähnchenragout in einen sauberen Fressnapf gegeben und es ihr hingestellt. Luche sah seinem Stubentiger zu, wie sie die Portion hinunter schlang.

„Darauf brauchst du aber nicht jeden Tag zu hoffen“, meinte er. „Sonst wirst du fett.“

Princess schleckte die letzten Reste aus der Schale und sah ihn dann erwartungsvoll an.

„Na!“

Er löschte das Licht in dem Zimmer und auf dem Gang und ging wieder ins Schlafzimmer. Schnell war er unter seine Bettdecke gekrochen und starrte in die Luft. Princess kam nach einer Weile, sprang zu ihm auf die Decke und fing an, sich zu Putzen. Flüchtig kraulte Luche ihr Köpfchen, worauf sich das weiße Fellknäuel neben ihm zusammenrollte und zufrieden schnurrte. Kurz darauf war auch ihr Besitzer eingeschlafen.



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