AB Negativ
Monoton piepten verschiedenste, grosse sowie kleine Monitore ihren Takt, und versicherten Bryan damit, dass Kai noch immer am Leben war. Darüber hinaus war es still im Krankenzimmer. Und weiss. Und steril. Aber allen voran, war die Atmosphäre hier erdrückend. Sehr sogar.
Mit ineinander gefalteten Händen und den Ellenbogen auf den Knien abgestützt, wachte Bryan neben dem Krankenbett des Jüngeren. Für den Hünen selbst, glich es jedoch vielmehr einer Totenwache.
Kai hatte es arg erwischt und so sah er auch aus. Ungebremst hatte ihn der Personenwagen von den Beinen gerissen und ihn wohl wie eine Puppe durch die Luft geschleudert, ehe er auf dem Asphalt aufgeschlagen war. So zumindest, berichteten es die Medien.
Ein dicker Druckverband zierte Kais Stirn, welcher die grosse Platzwunde an seinem Hinterkopf geschlossen halten sollte. Hinzu kam eine gebrochene Schulter, mehrere schlimme Prellungen an den Beinen und am Torso, sowie eine beachtliche Menge gebrochener Rippen – doch das bei weitem Schlimmste an Kai, war seine Farbe.
Er war kreidebleich, ja zeitweise fast schon grau gewesen, wodurch seine Augenringe, welche von dunklem Violett bis hin zu Schwarz reichten, hart aus seinem Gesicht hervorstachen.
Er sieht aus, als wäre er schon einmal gestorben. Dachte sich Bryan und senkte bei diesem Gedanken seufzend den schweren Kopf.
Die letzten 36 Stunden waren unglaublich kräfteraubend gewesen. Unmittelbar nachdem sich der schwere Unfall ereignet hatte war Yuriy, als Kais nächststehende Person, über dessen Einlieferung in die Notaufnahme informiert worden. Umgehend waren er und Bryan zum Krankenhaus aufgebrochen. Es war die Hölle gewesen.
Durch die grosse Anzahl gebrochener Rippen, hatte Kai bereits in der Ambulanz künstlich beatmet werden müssen. Das Ärzteteam hatte ihn noch gerade so unter den Lebenden halten können. Und als wäre das nicht schon genug gewesen, hatte er bei seiner Ankunft in der Notaufnahme bereits soviel Blut verloren, dass er dem Tod für kurze Zeit wohl näher gestanden hatte, als dem Leben. Ob Kai das wohl wusste?
Ein Glück besassen Kai und er die gleiche Blutgruppe – AB Negativ. Infolgedessen hatte Bryan in den letzten Stunden so viel Blut gespendet, dass er beinahe selbst das Bewusstsein verloren hatte – ganz zu Schweigen von seiner furchtbaren Angst vor Nadeln jeglicher Art.
Nun war es etwa 24 Stunden her, seit Kai aus der Notaufnahme entlassen und in sein Krankenzimmer verlegt worden war. Wie gross die Schäden waren, konnte Bryan nur abschätzen. Früher oder später würde der Arzt sie genauer über Kais Zustand informieren und hoffentlich, ja hoffentlich würde Kai schon bald aus diesem Koma erwachen, in welches er gefallen war. Dann könnte er ihnen immerhin erklären, was ihn dazu gebracht hatte, vor dieses verdammte Auto zu laufen.
Bryan seufzte. Kais Tat, blindlings über die Strasse zu hetzen, hatte ihm wohlmöglich den sicheren Tod erspart. Denn in einem waren Yuriy und er sich einig, dass das was Kai widerfahren war, zweifelsfrei kein Unfall gewesen war.
Trotz seiner überbordenden Müdigkeit, waren Bryans Sinne noch immer gespitzt und so hörte er Yuriys Stimme weit im Voraus und noch bevor dieser das Krankenzimmer überhaupt betrat.
«… Wenn du kommen willst, dann komm lieber schnell. Es sieht böse aus.» Yuriy beendete den Anruf abrupt und ohne jegliche Verabschiedung, als er das Krankenzimmer betrat und Bryan dabei vielsagend entgegenblickte. Auch Yuriys Haut hatte eine fahle Farbe. Ob er selbst wohl auch so beschissen aussah?
Seufzend liess Yuriy sein Mobiltelefon in die vordere Hosentasche gleiten und schritt an das Krankenbett heran, neben dem Bryan noch immer vorübergebeugt sass.
«So, es ist raus. Rei wird noch heute Abend in Moskau sein und die Anderen aller Wahrscheinlichkeit nach Morgen am späteren Nachmittag.»
Bryan brach den Blickkontakt ab und strich sich mit den Händen fahrig durch das kurze, struppige Haar. «Ich weiss nicht, ob das so eine gute Idee war Yuriy.» Sein Kopf pochte vor Schmerz und Übermüdung. «Was meinst du damit?» erwiderte Yuriy mit direkter Gegenfrage und band seine rote Haarpracht zu einem Dutt zusammen.
«Das weisst du ganz genau Yuriy. Du hängst das hier an die grosse Glocke. Was wenn noch mehr Leute kommen um Kai zu sehen? Was wenn die falschen Leute kommen? Was dann Yuriy?» Bryans Blick war vorwurfsvoll, die Stimme gesenkt, als er seinen Blick hob und dem Rothaarigen entgegensah.
«Ausser den Blade Breakers wird keiner kommen. Kai hat sich keine Freunde gemacht, auch nicht während der Weltmeisterschaften. Also hör auf dich aufzuregen. Manabu hat uns kontaktiert, schon vergessen?» Bryan schwieg, fühlte sich unverstanden und dass sah man ihm an. «Ausserdem haben sie ein Recht darauf ihn zu sehen, sie sind seine Freunde, Bryan.» setzte Yuriy nach.
Bryan war wütend und müde zugleich, doch allem voran war er voller Sorge. Energisch erhob er sich und trat zügigen Schrittes an Yuriy heran, welchen er um einen halben Kopf überragte. Gefährlich musterten ihn die eisblauen Iriden des Anderen – auch in Ihnen lag die Wut.
«Du weisst so gut wie ich, dass dies kein Unfall war …» zischte Bryan weit bedrohlicher, als gewollt. «… und wir haben bis zum jetzigen Zeitpunkt auch nur die geringste Einsicht über das, was Kai zugestossen ist.» Yuriy legte den Kopf leicht in den Nacken, und erwiderte Bryans Blick so mit einem Hauch von Arroganz.
«Darum sag mir Yuriy, wie hilfreich ist es dann, wenn wir noch andere mit da reinziehen, obgleich wir uns über das Ausmass dieser Tat momentan noch in keinster Weise im klaren sind?». Bryans Blick konnte töten, und als Yuriy einen Schritt zurück machte um Abstand zwischen sich und den Hünen zu bringen, griff dieser grob nach seinem Arm.
Energisch befreite Yuriy sich aus Bryans Griff und hob abwehrend die Hände, als dieser erneut bedrohlich nahe an ihn herantrat.
«Verdammt Bryan, jetzt beruhig dich bitte mal. Wir sind im selben Boot du Idiot!» erwiderte Yuriy verärgert aber bestimmt – nun hatte er Bryans Aufmerksamkeit.
«Mir ist bewusst, dass wir uns sehr glücklich schätzen können, dass Kai überhaupt noch am Leben ist. Wenn er sich wirklich mit ihm angelegt hat, dann hat er grosses Glück gehabt.»
«Und warum strapazierst du dieses verdammte Glück dann so?!»
«Bryan, hör zu.» zischte er scharf und taktierte den Hünen mit einem stechenden Blick. «Ich hab das im Griff. Je mehr wir sind, desto mehr Augen und Ohren haben wir. Denk an die Anderen, denk an Hiromi. Wer weiss, vielleicht hat sie …» «Halt den Mund.» unterbrach Bryan ihn forsch. «Nicht hier.» wisperte er beinahe und wandte seinen Blick zu Kai, welcher immer noch reglos in seinem Krankenbett lag.
Bryan hatte die Hände zu Fäusten geballt, weiss stachen seine Knöchel unter der angespannten Haut hervor. Er seufzte bebend.
«Ich vertraue dir Yuriy, aber wir müssen vorsichtig sein.» Yuriy derweil, legte seine Hand auf Bryans Schulter und drückte diese brüderlich.
«Ganz gleich, in welche Scheisse sich Kai da geritten hat, wir werden ihn raus holen.» versicherte Yuriy. «So wie früher.» Bryan nickte kaum merklich, löste seine verspannten Schultern und schleppte sich zurück zum Krankenbett, wo er sich wieder auf dem unbequemen Stuhl niederliess.
«Lass uns den Bericht des leitenden Arztes abwarten, dann wissen wir wohlmöglich mehr.» und in exakt diesem Moment öffnete sich die Zimmertüre für beide Russen nahezu komplett unerwartet.
«Dr. Beloussow.» begrüsste Yuriy den leitenden Arzt förmlich. «Und wir dachten schon, Sie heute nicht mehr anzutreffen.»