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Nocturne

von

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Abenddämmerung

Nichts als Schwärze füllte die Welt hinter der eisig kalten Scheibe aus. Gelegentlich blitzten Lichter auf, doch waren so schnell vergangen, dass lediglich die Erinnerung an sie bestehen blieb. So, wie das Abbild der Sonne und das Gefühl der Wärme jener Strahlen letztlich nur noch Erinnerungen waren, die mit einer jeden vergangenen Nacht schwerer ins Gedächtnis zu rufen waren.
 

Noch mehr Dunkelheit, und Ivan begann automatisch seine eigene Reflexion im Spiegelbild der Fensterscheibe zu betrachten. Die Gerüchte, die Märchen und Sagen stimmten nicht. Untote besaßen ein Spiegelbild. Ein Antlitz, welches sie zu verhöhnen schien, ähnelten sie doch so sehr den Menschen, ohne ihnen jemals wieder nah sein zu können. Ivan konnte nichts gegen den Funken Neid tun, der ihn befiel, als er die anderen Passagiere des Zuges durch das Abbild der Scheibe betrachtete. Einige lasen Zeitung, andere taten es ihm gleich und betrachteten die Nacht die sich schon vor einigen Stunden nieder gesenkt hatten. Doch die meisten schliefen. Etwas, worum der Russe sie beneidete. Nicht etwa, weil er es ihnen nicht gleich tun könnte. Oh, nein. Er konnte im Gegensatz zu ihnen jedoch nie wieder von den ersten Sonnenstrahlen geweckt werden. Zumindest nicht, wenn er nicht Sekunden darauf einen qualvollen Verbrennungstod sterben wollte. So blieb ihm nichts übrig sich zur Ruhe zu begeben, wenn die Menschen erwachten. Sie wandelten auf der gleichen Erde und lebten doch in völlig anderen Welten.
 

Und war dies nicht der Auslöser? Der Grund für seine wahnwitzige Idee; seinen Plan? Reiste er nicht nur nach Wien, weil er so, so sehr das Leben spüren wollte? Weil die Sehnsucht nach Licht und Wärme und Menschlichkeit ihn wahnsinnig werden ließ? Vielleicht. Wenn ja, dann waren dies Wahrheiten, die er nicht bereit war sich einzugestehen. Stattdessen trieb ihn eine viel oberflächlichere Emotion an. Etwas, was vernichtender und unnachgiebiger und endgültiger war als bloße Sehnsucht: Hass. Und der Entschluss, nach all diesen Jahren die er nun schon in vollkommener Abstinenz gegenüber dessen lebte, was sein untotes Dasein auszeichnen sollte, letztlich doch einen Mord zu begehen. Sein erster – und womöglich auch letzter, war es doch ungewiss, ob er überhaupt in der Lage sein würde ihn zu töten. Denjenigen, der ihn zu diesem trostlosen Leben verdammt hatte.



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