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Hufgetrappel

Was es sonst noch zu erzählen gibt
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich hätte dieser OS schon gestern online gehen sollen, aber ich habe einfach zu spät damit angefangen *drop*

Diese Geschichte gehört gewissermaßen in zwei Projekte:
1.) Das SaniPress-'verse, zu welchem ja mittlerweile schon mehrere Geschichten online sind (Froschhüpfer, Fliegenfang und Vogelgezwitscher). Auch wenn ich schon länger nichts mehr zu diesem Projekt hochgeladen habe, heißt das nicht, dass es abgebrochen ist. Es gibt noch sehr viele Geschichten dazu zu erzählen, kleine wie große, mit einer gewaltigen Mischung an Charakteren, Stilrichtungen und Genres. Von daher freue ich mich, in diesem OS das Projekt mit dem zweiten verbinden zu können.

2.) Vor kurzem habe ich Wie Du hochgeladen, meine OS-Sammlung für die Welttiertage. Der Weltschildkrötentag, den ich auch schon letztes Jahr gewürdigt habe, gehört mit in diese Sammlung. Auch dieses Jahr durfte ein Beitrag für meine liebsten Lieblingstiere auf der Welt nicht fehlen!

Irgendwie ist der OS ein bisschen merkwürdig geworden, glaube ich. Mini!Grandine hat es mir schwer gemacht und irgendwie ist sehr viel Weiß-Dine-Broship mit rein gekommen. Das hatte ich so vorher gar nicht auf dem Schirm für diesen OS, ist aber vielleicht besser so? Weil ja nicht jeder so ein Schildkröten-Fan wie ich ist^^'

Viel Spaß beim Lesen und vielen Dank im voraus für jeden Kommentar!
LG
Yosephia Komplett anzeigen

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Schildkrötengeschichten

„Also dann, Layla, was brauchst du alles?“

Als gehörte ihr die ganze Welt, stand Anna Eucliffe mitten im Zoofachgeschäft, die Arme in die Hüften gestemmt, und blickte auf ihre Tochter hinunter. Die Zehnjährige hielt eine lange Liste in der Hand und versuchte, den ersten Stichpunkt zu entziffern. Immer wieder zuckte ihr Blick im Geschäft hin und her und sie trat von einen Fuß auf den anderen, ganz offensichtlich furchtbar aufgeregt.

Grandine stand schmollend neben ihrer Mutter. Bevor sie aufgebrochen waren, hatte sie gebettelt und gefleht, damit sie auch schon ein Tier aussuchen durfte, aber Anna war unerbittlich geblieben. Grandine sollte noch vier Jahre bis zu ihrem zehnten Geburtstag warten, dann wäre sie an der Reihe. Ihre Geschwister hätten immerhin auch so lange warten müssen. Sie sei noch nicht alt genug, um sich um ein Tier kümmern zu können. Und heute war Laylas Geburtstag und das sollte Grandine ihrer Schwester nicht verderben.

Dennoch hatte sie geweint. Weil es ungerecht war, dass sie die Jüngste war und immer alles als Letzte bekam. Weißlogia war schon vierzehn und durfte viel länger wach bleiben und alleine zur Schule gehen und er hatte seinen Hund Bilbo. Und nun bekam Layla eine Katze und weil Grandine nicht alleine Zuhause bleiben durfte, musste sie hier dabei zusehen, wie ihre Schwester sich alles für ihre Katze aussuchen durfte.

Demonstrativ schniefend rieb Grandine sich die geschwollenen Augen, woraufhin Weißlogia ihr sachte den Kopf tätschelte. Böse blickte sie zu ihrem Bruder auf, doch der hob nur entschuldigend die Schultern. Dieser Fiesling wusste ganz genau, wie gerne Grandine auch einen Hund hätte, aber er hatte Grandine vorhin nicht geholfen! Zur Strafe drehte sie ihm wieder den Rücken zu.

„Katzenfutter“, las Layla schließlich vor und hob eifrig den Blick.

„Sehr wichtig“, sagte Anna ruhig. „Was für Futter?“

„Ähm…“

Als Layla nicht sofort antwortete, winkte Anna sie zu einem Regal hinüber, das alle möglichen Katzenfuttersorten enthielt. „Deine Arielle ist noch ein Kätzchen, wenn sie zu uns kommt. Was für ein Futter braucht sie also? Eines für Senioren?“ Anna deutete auf einige Tüten und Dosen. „Oder für Junioren?“

„Für Junioren?“, versuchte Layla es vorsichtig.

„Gut. Wie viel?“

Während Anna so fortfuhr und mit Layla zusammen geeignetes Futter heraussuchte, welches das Mädchen in den Einkaufskorb legte, der von Weißlogia geschoben wurde, blieb Grandine stehen und sah sich gelangweilt und noch immer beleidigt im Geschäft um.

Sie war hier schon oft gewesen, wenn Weißlogia sie und Layla von der Schule abgeholt und auf dem Heimweg noch schnell Hundefutter eingekauft hatte. Er hatte nie so lange gebraucht wie Layla jetzt und er hatte Grandine immer an der Hand gehalten, weshalb sie nie über die Hundeabteilung hinaus gekommen war.

Dieses Mal hielt sie keiner an der Hand. Layla war viel zu aufgeregt und Anna und Weißlogia konzentrierten sich nur auf sie. Wie unfair das doch war!

Verstohlen blickte Grandine noch mal zu ihrer Mutter, welche Layla gerade erklärte, welche Marke Katzenfutter gut war, dann ging sie einfach los. Auf sie achtete sowieso keiner, also konnte sie sich hier auch umsehen. Weiter hinten im Laden konnte sie Vögel hören, die wollte sie sich ansehen!

Auf dem Weg dorthin kam sie an Aquarien vorbei, aber die waren furchtbar langweilig. Ein Junge in ihrer Klasse gab immer damit an, dass seine Eltern ein riesengroßes Aquarium hätten, aber wenn Grandine sich jetzt diese Fische ansah, verstand sie nicht, was daran so toll sein sollte.

Weiter ging es an ein paar leeren Becken vorbei. Als Grandine die Schilder daneben zu entziffern versuchte, zuckte sie beim Wort „Spinne“ zusammen. Wieso wollte jemand eine Spinne kaufen? Die gab es doch überall und sie waren gruselig! Oder eklig, wenn Bilbo sie fraß…

Als nächstes musste Grandine um eine Ecke gehen und dann stand sie vor einer großen Glasscheibe, hinter der sich eine Kammer mit Schildkröten befand. Der Boden war sandig, darauf verteilt waren einige Steine und Stämme, eine große, flache Schale mit Wasser, eine andere Schale mit Löwenzahn, an dem sich gerade eine Schildkröte gütlich tat. Ingesamt waren es fünf Schildkröten mit gelbbraunen Panzern, alle vielleicht so groß, dass Grandine sie auf beiden Händen halten müsste.

„Hm…“

Langsam ging Grandine in die Hocke, stützte die Ellenbogen auf den Knien ab und das Kinn in den Handflächen, den Blick auf eine Schildkröte gerichtet, die auf einen Stein unter einer Lampe kletterte. Warum sie das wohl tat? Grandine wäre es ja viel zu heiß unter der Lampe. Aber diese Schildkröte streckte dort den Hals aus und schloss die schwarzen Knopfaugen. Ob ihr das gefiel?

Grandines Blick wanderte wieder zu der Schildkröte, die gerade Löwenzahn fraß. Sie war dabei wirklich sehr langsam, wurde nur dann schnell, wenn sie das zahnlose Maul zuschnappen ließ. Vor jedem Happen schwankte ihr Kopf ein wenig, ehe sie ihn schräg legte, um das Blatt im richtigen Winkel zu treffen. Manchmal schob sie dabei das Blatt mit der platten Nase weg, aber sie ließ sich nie davon beirren, setzte einfach noch mal neu an und schnappte wieder zu.

Irgendwann konnte Grandine ihre Aufmerksamkeit wieder der Schildkröte unter der Lampe widmen – und stellte dabei fest, dass es nun drei Schildkröten waren, die auf dem Stein saßen. Eine hatte den Kopf auf dem Panzer der Schildkröte vor ihr abgelegt und sah wirklich so aus, als würde sie schlafen.

„Dine!“

Erschrocken zuckte Grandine zusammen und landete dabei auf dem Hosenboden. Neben ihr stand auf einmal Weißlogia, der unheimlich erleichtert wirkte.

„Dine, du darfst doch nicht einfach so weg laufen, du hast uns Angst eingejagt“, erklärte Weißlogia und ging in die Knie, um ihr auf die Beine zu ziehen.

Bockig knickte das Mädchen die Beine ein, um das Unternehmen ihres Bruders zu vereiteln. „Ich will nicht zurück, Mama ist gemein! Und du auch! Du bist doof!“

„Mensch, Dine, das sind Mas Regeln, dass du erst mit zehn ein Haustier haben darfst. Lay und ich mussten auch so lange warten.“

„Ich will aber jetzt ein Haustier haben!“, war die bockige Entgegnung.

Weißlogia stöhnte genervt und stand wieder auf, um ruppig eine Hand anzubieten. „Wenn du jetzt artig bist und mit mir zurück zu Ma gehst, darfst du ab sofort immer mit kommen, wenn ich mit Bilbo Gassi gehe, versprochen.“

Misstrauisch blickte Grandine zu ihrem Bruder auf. „Darf ich auch die Leine halten?“

Weißlogia ließ sich Zeit mit der Antwort, verzog mehrmals unwillig das Gesicht. „Nur wenn du auf mich hörst und Bilbo richtig führen kannst“, druckste er schließlich herum.

„Das kann ich! Bilbo ist ganz artig bei mir!“, rief Grandine leidenschaftlich und sprang auf die Beine, um den Bauch ihres Bruders zu umarmen.

Über sich hörte sie ein Seufzen und sie spürte ein Tätscheln auf dem Kopf, aber sie kuschelte sich dennoch für eine Weile an Weißlogia, weil sie sich schon so sehr darauf freute, bald mit Bilbo Gassi gehen zu dürfen!

„Jetzt lass’ uns zurück gehen“, entschied Weißlogia schließlich und ergriff eine ihrer Hände, um sie mit sich zu ziehen, vorbei an den Spinnen und den Fischen. „Und versuch’, dich für Lay zu freuen. In vier Jahren darfst du deinen eigenen Hund haben.“

„Ich will keinen Hund mehr.“

Dafür erntete sie einen verdutzten Blick. „Willst du auch lieber eine Katze?“

„Nein, ich will eine Schildkröte!“
 

Es waren nur noch drei Schildkröten, aber dafür waren sie mittlerweile etwas größer. Alle drei lagen sie unter der Wärmelampe und machten sich nicht das Geringste daraus, dass sich vor ihrem Terrarium ein Mädchen die Nase an der Scheibe platt drückte.

„Dine…“ Mit einem Seufzen zog Weißlogia seine Schwester am Ärmel von der Scheibe fort. „Du sollst doch nicht an die Scheibe fassen. Die Verkäufer ärgern sich immer darüber.“

Zur Antwort zog Grandine eine Grimasse. „Ich will doch nur gucken.“

„Du kannst auch von hier aus gucken“, erwiderte Weißlogia entnervt. „Außerdem ist es ja nicht so, als gäbe es da heute viel zu sehen. Oder überhaupt jemals“, fügte er etwas leiser hinzu und blickte skeptisch zu den Schildkröten.

„Du verstehst das nicht! Schildkröten sind toll!“, erklärte Grandine eifrig und stampfte mit dem Fuß auf.

„Ja ja… Können wir jetzt gehen? Ich habe schon längst alles, was ich brauche.“ Weißlogia deutete auf den Einkaufswagen neben sich, in dem zwei große Säcke Trockenfutter und eine neue Leine lagen.

„Noch nicht, ich brauche noch etwas!“, rief Grandine und schüttelte die Hand ihres Bruders ab, um in den vorderen Bereich des Ladens zu flitzen, wo sich in einem hohen Regal diverse Ratgeber zur Haltung aller möglichen Tiere befanden.

Die Verkäuferin, die gerade an der Kasse ein Regal mit allen möglichen Baldriankissen für Katzen bestückte, blickte skeptisch in Grandines Richtung. Mittlerweile war das Mädchen hier wohl bekannt, das jedes Mal seine älteren Geschwister begleitete, wenn diese Futter für ihre Haustiere kaufen mussten. Einige der Verkäufer störten sich wohl daran, dass Grandine andauernd beim Schildkrötenterrarium herumlungerte und jedes Mal Fragen zur Haltung der Reptilien stellte, wenn ein Verkäufer auch nur in die Nähe kam – Fragen, die mit der Zeit immer konkreter und damit auch komplizierter geworden waren.

„Da ist es!“, jauchzte Grandine und streckte sich, um aus dem obersten Regal ein Buch über Schildkröten zu ziehen. Als sie letzte Woche mit Layla hier gewesen war, hatte sie einen der netteren Verkäufer nach einem guten Buch gefragt. Er hatte ihr einen Titel empfohlen, der gerade nicht vorrätig gewesen war und ihr mit einem Augenzwinkern versichert, dass es in den nächsten Tagen hier im Regal stehen würde. Es gab hier auch Verkäufer, die Grandine mochten.

„Weiß, hilf mir mal!“, flehte Grandine und blickte zu ihrem Bruder hoch, der letztes Jahr nach seinem sechzehnten Geburtstag auf einmal einen ordentlichen Schuss nach oben gemacht hatte und nun noch viel größer auf sie wirkte als vorher schon.

„Ma, würde dir jetzt erklären, dass das Bitte heißt“, murmelte Weißlogia und zog das gewünschte Buch aus dem Regal, hielt es jedoch knapp außerhalb der Reichweite des Mädchens.

Schmollend verzog Grandine das Gesicht. „Du bist echt doof, seit du so erwachsen tust, um Violet zu beeindrucken.“

„Ich bin erwachsen, du Dreikäsehoch“, erwiderte der junge Mann und verdrehte die bernsteinfarbenen Augen. „Und ob ich Violet beeindrucken will oder nicht, geht dich nichts an.“

„Mama sagt immer, dass man nicht erwachsen ist, solange man es immer wieder sagt.“

„Das ist eine komische Art, Bitte zu sagen“, schnaubte Weißlogia und drehte das Buch herum, um den Titel lesen zu können. „Warum willst du eigentlich jetzt schon einen Ratgeber kaufen? Du hast doch noch zwei Monate Zeit bis zu deinem Geburtstag.“

„Aber ich will eine Liste schreiben mit Sachen, die ich für Schildkröten brauche“, erklärte Grandine und streckte sich angestrengt, um an das Buch heran zu kommen. „Mama hat gesagt, dass ich ganz viel wissen muss, wenn ich Schildkröten haben will.“

„Was ich, ehrlich gesagt, immer noch nicht verstehe“, murmelte Weißlogia und gab Grandine schließlich das Buch. „Warum nimmst du nicht auch einfach einen Hund oder eine Katze? Oder zwei Kaninchen oder so? Die magst du doch auch alle.“

„Aber Schildkröten mag ich lieber!“, verkündete Grandine inbrünstig und ergriff das Buch, um es sich an die Brust zu drücken.

„Dich versteh’ mal einer…“

Kopf schüttelnd zersauste Weißlogia die Haare seiner Schwester und schob dann seinen Einkaufswagen zur Kasse. Grandine streckte ihm die Zunge raus und blickte dann auf das Buch in ihren Händen hinunter. Auf dem Cover war eine Encasische Landschildkröte abgebildet. Sie blickte unbeeindruckt am Betrachter vorbei, an ihrem Maul klebte noch der Rest eines Blatts.

Nicht zum ersten Mal wurde Grandine von einer schwer zu beschreibenden Aufregung gepackt. Sie wusste schon seit fast vier Jahren, was für ein Haustier sie an ihrem zehnten Geburtstag haben wollte, und als ihre Mutter sie vor einem halben Jahr danach gefragt hatte, hatte sie sich beinahe überschlagen vor Vorfreude, als sie erklärt hatte, dass sie Schildkröten wollte. Freilich war sie damit auf wenig Verständnis gestoßen, aber zumindest hatte ihre Mutter sich die Zeit genommen, sich erst einmal über die Reptilien zu informieren, ehe sie Grandine Bedingungen gestellt hatte: Grandine musste in ihrem Kinderzimmer einen guten Platz für das Terrarium schaffen und sie musste sich ordentlich informieren. Und natürlich musste sie sich alleine um alles kümmern, so wie ihre älteren Geschwister sich auch jeweils selbstständig um ihre jeweiligen Haustiere kümmerten.

Deshalb hatte Grandine schon eine Weile ihr Taschengeld gespart, um sich ein gutes Buch kaufen zu können. Denn sie konnte vielleicht nicht richtig erklären, was es war, das sie so sehr faszinierte, wenn sie die Schildkröten beobachtete, aber sie konnte ihrer Familie zumindest beweisen, dass sie sich gut um die Tiere kümmern konnte!

Voller Vorfreude und auch mit einem gewissen Triumphgefühl legte Grandine ihr Buch hinter den Sachen ihres Bruders aufs Kassenband und zog dann ihre Geldbörse aus ihrer Schultasche. Die Kassiererin zog skeptisch die Augenbrauen hoch, als sie das Buch zum Einscannen aufnahm, und öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, aber Weißlogias Räuspern ließ sie inne halten. Achtlos zuckte sie schließlich mit den Schultern und nannte einfach nur den Preis.

Stolz gab Grandine ihr die glatte Summe und grinste dann selig zu ihrem Bruder hoch. Der war gerade damit beschäftigt, die Leine in seine eigene Schultasche zu stopfen, aber auf seinen Lippen lag ein nachsichtiges Lächeln.
 

„Na, kannst du dich noch nicht verabschieden?“

Mit einem wehmütigen Lächeln blickte Grandine auf, als ihr Bruder neben ihr stehen blieb. Er hielt Sting im Arm, welcher eifrig Spuckeblasen produzierte und vor sich hin brabbelte.

„Wundert es dich immer noch?“

„Schon lange nicht mehr“, schmunzelte Weißlogia und blickte in das Gartengehege, welches sie vor fünf Jahren für Grandines Schildkröten errichtet hatten.

In den vier Jahren davor hatte Grandine mangels besserer Informationen die Reptilien im Terrarium gehalten. Es mochte in der Anfangszeit ausreichend groß gewesen sein, aber als Grandine im Internet Kontakt zu anderen Terrarianern aufgenommen hatte, hatte sie irgendwann festgestellt, dass die drei Schildkröten, die sie zu ihrem zehnten Geburtstag mitsamt allen Zubehörs erhalten hatte, etwas Besseres brauchten: Ein sehr viel größeres Gartengehege mit beheizbarem Gewächshaus. Es hatte Grandine einiges an Überwindung gekostet, ihrer Mutter diese Erkenntnis zu gestehen, aber die hatte es erstaunlich milde aufgenommen. Getreu ihren Prinzipien, dass man zu der Verantwortung stehen sollte, die man sich einmal aufgebürdet hatte, hatte sie eingewilligt, dass das Gartengehege mit allem drum und dran Grandines kombiniertes Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk sein sollte.

Und so hatte Grandine mit der Hilfe ihrer Geschwister dieses Gehege hier gebaut. Für einige Sachen wie die Errichtung des Gewächshauses hatten sie professionelle Hilfe gebraucht, aber den Großteil der Arbeit hatten sie alleine gemacht. Sogar Violet hatte mit angepackt, wenn sie für ein Wochenende mal aus Magnolia gekommen war. Dabei hätte Grandine es damals wirklich verstanden, wenn ihr Bruder und seine Freundin die wenigen gemeinsamen Momente, die sie nur noch hatten, seit Violet in Magnolia an der Musikakademie studierte, lieber anders genutzt hätten.

In den Folgejahren hatte Grandine noch viele Verbesserungen vorgenommen und zwei weitere Schildkröten dazu geholt, die im Tierheim nicht die Pflege bekommen konnten, die sie eigentlich brauchten. Sie hatte wirklich sehr viel Zeit und Geld in die artgerechte Haltung ihrer geliebten Tiere gesteckt.

Umso schmerzhafter war es, sie jetzt zurücklassen zu müssen.

„Sie werden mir echt fehlen“, seufzte Grandine und beobachtete, wie Hermes, die kleinste der Schildkröten, in das flache Wasserbecken stakste, um das Maul ins Wasser zu halten. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich sie hier lasse.“

„Du kannst sie nicht mit nach Magnolia nehmen, Dine.“

Das wusste Grandine nur zu gut. Weil ihre Mutter schon immer jemand gewesen war, der gerne vorsorgte, musste sie sich keine Sorgen machen, wie sie ihr Studium an Fiores bester medizinischer Fakultät und eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Campus finanzierte. Für Essen, Lehrbücher und alles andere für den täglichen Bedarf würde sie auch Geld von ihrer Mutter bekommen. Aber es kam nicht in Frage, dass Grandine ihre Schildkröten mit nach Magnolia nahm. Dafür bräuchte sie ein Haus mit Garten und abgesehen davon, dass Anna das sowieso nicht finanzieren würde, wollte Grandine auch gar nicht erst darum bitten. Solch einen Luxus musste sie sich selbst irgendwann verdienen.

Grandine blickte wieder auf, als ihr Bruder den freien Arm um ihre Schultern schlang. „Mach’ dir keine Sorgen. Lay und ich werden uns gut um deine Meute kümmern. Wir wissen, wie es läuft, du warst eine gute Lehrerin.“ An Weißlogias Lippen zupfte ein amüsiertes Grinsen.

Verlegen kratzte Grandine sich an der Nase. Es war sicherlich übertrieben gewesen, dass sie für ihre Geschwister fünfzig computerbeschriebene, teilweise sogar bebilderte Seiten verfasst hatte, in denen Hinweise für so ziemlich alle Dinge standen, die bei der Haltung von Schildkröten zu beachten waren – inklusive der jeweiligen Besonderheiten von diesen speziellen Schildkröten hier. Insbesondere, da Weißlogia und Layla sich auch früher schon immer wieder mal um die Tiere gekümmert hatten, wenn ihre Schwester wegen einer Klassenfahrt oder etwas ähnlichem nicht da gewesen war. Aber irgendwie hatte es Grandine dann einfach gepackt, als sie eigentlich nur ein paar Hinweise hatte nieder schreiben wollen.

„Wir schicken dir regelmäßig Fotos“, versprach Weißlogia und als wollte er zustimmen, stieß Sting ein Quietschen aus.

„Das wird nicht dasselbe sein“, seufzte Grandine. „Aber dennoch Danke.“

„Dafür brauchst du nicht zu danken“, erwiderte ihr Bruder und drückte sanft ihre Schulter. Bei seinen nächsten Worten konnte er sich ein schiefes Lächeln nicht verkneifen. „Irgendwie mag ich die Kerlchen ja mittlerweile auch.“

Aller Wehmut zum Trotz entfuhr Grandine ein Kichern. Nach dreizehn Jahren, in denen ihr Bruder sie immer wieder gefragt hatte, was sie eigentlich an den Schildkröten so toll fand, gab er nun zum ersten Mal zu, dass sie doch gar nicht so schlecht waren!

„Wer hätte gedacht, dass ich aus dir mal einen Schildkröten-Fan machen würde!“

„Nun werd’ mal nicht übermütig“, schnaubte Weißlogia und stand auf, wobei er seine Schwester gleich mit in die Höhe zog. „Ich habe nur gesagt, dass ich diese Schildkröten hier mag. Das heißt noch lange nicht, dass ich mir auch so eine nerdige Bibliothek zulege und Schildkrötenfiguren sammel’.“

„Ach“, kicherte Grandine und hakte sich bei ihrem Bruder unter, während sie gemeinsam das Gehege verließen und zurück zum Haus gingen, „das ist nur noch eine Frage der Zeit.“

„In deinen Träumen vielleicht, Schwesterchen.“

Lachend hielt sie die Verandatür für Weißlogia auf. Doch bevor sie ihm ins Haus folgte, wo die Stimmen der restlichen Familienmitglieder zu hören waren, die an Grandines Abschiedsessen teilnahmen, warf sie noch mal einen Blick zurück zu dem Gehege.

Es war bestimmt nicht ihre Absicht, als Ärztin stinkreich zu werden – sie wollte die Art Arzt werden, die sich um das Wohl ihrer Patienten kümmerte! –, aber für sie stand jetzt schon fest, dass sie so früh wie möglich mit dem Sparen anfangen würde, damit sie eines Tages ihre geliebten Schildkröten zu sich nach Magnolia holen konnte.

Denn sie für ihren Teil war wirklich ein Schildkröten-Fan und konnte sich ein Leben ohne diese Tiere definitiv nicht mehr vorstellen.



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