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Eine (mutige) Entscheidung

Die Umgebung verschwamm. Dunkelheit umfing mich, wurde dann aber vom Schein einer Fackel abgelöst. Mit jeder Sekunde, die verging, konnte ich mehr und mehr um mich herum erkennen. Ich befand mich an einem Ort, der mir vertraut wirkte, und dabei doch völlig fremd.
 

Hohe Säulen stützten einen rechteckigen Raum, versehen mit fremdartigen Zeichen. Manche wirkten wie Vögel, andere wie Käfer, Katzen, Augen und Dinge, die ich nicht beschreiben konnte. Von der Decke hingen Feuerschalen, deren Flammen das Gemäuer erhellten.
 

„Wo bin ich?“, fragte ich mich selbst und wurde prompt mit einer Antwort belohnt.
 

„Ich glaube, wir befinden uns in einer Art Erinnerung, die aber die Realität widerspiegelt.“
 

Mahad erschien neben mir, zur Abwechslung einmal körperlich. Auch er sah sich verwundert um, berührte die Säulen und fuhr die Schriftzeichen nach. Die umliegenden Wände waren auch beschrieben.
 

„Das sagt jetzt gar nichts aus, Mahad“, rollte ich mit den Augen und beobachtete mein anderes Ich, wie es leise vor sich hin murmelte.
 

„Ich weiß. Es ist aber die beste Antwort, die ich dir geben kann, David. Das hier übersteigt sogar mein Wissen.“ Er klang besorgt.
 

„Warum hast du mir eigentlich nicht erzählt, dass du einmal im Besitz eines Göttermonsters gewesen bist?“
 

„Weil ich es selbst nicht wusste.“
 

Seine Antwort verblüffte mich. Wie soll das möglich sein? Mahad konnte sich doch an sein voriges Leben erinnern? England, Ägypten, und alles, was noch dazwischenlag. Oder etwa nicht?
 

„Manchmal habe ich das Gefühl, als würde ein dunkler Schleier über mir liegen. Ich kann mich noch so sehr anstrengen, die Erinnerung ist greifbar, entgleitet aber dann doch meinen Händen.“
 

„Und was machen wir jetzt? Hier Wurzeln schlagen interessiert mich ehrlich gesagt nicht.“
 

„Wir müssen aus einem bestimmten Grund hier gelandet sein.“
 

„Seid ihr auch.“
 

Eine dritte Stimme meldete sich zu Wort, die uns beide herumfahren ließ. Im Schatten der Fackeln klatschte jemand. Dazu erklang ein manisch anmutendes Gelächter. Mir wurde schwindlig und schlecht zeitgleich, als jemand aus der Dunkelheit vor uns trat. Das war…
 

„Das bin ja ich!“, rief ich.
 

Tatsächlich: Da stand eine exakte Kopie von mir, zumindest auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinsehen wich ich zurück.
 

„Was hast du geglaubt, wie die Finsternis in deinem Herzen aussehen würde? Hübsch, anmutig und mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen?“, lachte mein verzerrtes Ebenbild.
 

Dunkle Ringe umrahmten pechschwarze Augen, die so finster waren, dass ich glaubte, mich darin verlieren zu müssen. Die Adern traten an Hals, Kinn und den Wangen hervor, gleiches galt für die Schläfen. Das diabolische Grinsen hatte Wahnwitziges, fast schon etwas Irres an sich.
 

„Egal wer du bist, verschwinde“, fauchte ich und klang dabei deutlich weniger überzeugend, als ich gehofft hatte.
 

„Ich kann nicht verschwinden, da ich ein Teil von dir bin“, säuselte die manifestierte Dunkelheit zärtlich.
 

„Das bist du nicht“, mischte sich Mahad ein und machte einen Schritt nach vorne.
 

„Ah ja, der große Mahad. Ich erinnere mich noch gut an unsere gemeinsame Auseinandersetzung. Du hattest tatsächlich geglaubt, mich bezwungen zu haben. Frei zu sein, als du dich für den Pharao geopfert hast.“
 

Mit einem Fingerzeig auf Mahad verblasste dieser. Er warf mir noch einen panischen Blick zu, bevor sein Antlitz endgültig verschwand.
 

„Was hast du gemacht?“, schrie ich mein Gegenüber an.
 

„Uns ein wenig Privatsphäre verschafft, das ist alles. Reg dich ab.“
 

Ich verspürte mit jedem Moment, der verging, immer mehr Hass auf das Ding vor mir. Das sollte ich sein? Das sollte ein Teil von mir sein? Niemals. Ich war nicht so hässlich, so abstoßend, so…
 

„Mächtig“, vervollständigte die Kopie meine unausgesprochenen Gedanken.
 

„Hast du nicht begriffen, was du erreichen kannst, wenn du dich der Dunkelheit hingibst? Was war Johnson schon für ein Gegner, als ich die Kontrolle bekommen habe? Wie war es, Slifer in die Welt zu holen?“
 

Unweigerlich machte ich einen Schritt nach hinten. Ich dachte an Johnson, der, geschunden und komplett wahnsinnig, aus dem Gerichtssaal gestürmt war. Daran, wie ich die gesuchten Antworten aus ihm herauspressen wollte, und es auch teilweise geschafft hatte. Wie Slifer den Götterdrachen vernichtete, mühelos.
 

„Ja, das ist es. Spürst du die Kraft, die deine Adern durchströmt? Johnson hatte so große Angst vor dir, dass er sich fast in die Hosen gemacht hat. Der Schwarze Totenkopfdrache hat ihn beinahe bei lebendigem Leib verbrannt, trotz der Tatsache, dass nur sein Geist in einer Welt existierte, die sich deinen Regeln und deinem Willen eigentlich gar nicht hätte beugen dürfen.“
 

Je länger das Ding mit mir sprach, desto weicher wurden seine Worte. Unweigerlich starrte ich auf meine rechte Hand, auf deren Rücken sich bereits dicke Linien abzeichneten, die unablässig pulsierten.
 

„Ich habe dir damals die Kontrolle nicht überlassen!“, rief ich und schüttelte energisch den Kopf.

„Das ist eine Lüge!“
 

Mein Spiegelbild warf lachend den Kopf in den Nacken.
 

„Wie man sich selbst nur so belügen kann. Die Angst, Mokuba, Serenity und auch damit Joey zu verlieren, gab mir Substanz, Kraft und Form. Du hast mich willig eingelassen, um Johnson zu bestrafen.“
 

Das stimmte nicht! Ich war ein guter Mensch. Johnson Schicksal bedauerte ich. Er tat mir leid, trotz all der Dinge, die er getan hatte. Ich verspürte auch Mitleid für andere, sogar für Kaiba. Dieses Monster versuchte nur mich zu verunsichern.
 

„Du hast also wirklich mit jedem Mitleid? Was ist mit Joeys Vater?“
 

„Das, das hat hier nichts zu suchen“, wiegelte ich kleinlaut ab und wich weiter zurück.
 

„Oh, habe ich da einen wunden Punkt gefunden? Du hast also mit dem Säufer, dem Taugenichts, dem Trunkenbold, der missratenen Existenz, die deinem Liebsten so viel Kummer bereitet, tatsächlich Mitleid? Du wünschst ihm also nicht, dass er genauso leiden muss wie Joey? Was ist denn mit Joeys Mutter?“
 

Mein Gegenüber machte einen Schritt nach vorne und grinste höhnisch.
 

„Für die hast du doch auch nicht viel übrig, wenn wir uns einmal ehrlich sind.“
 

Ich schüttelte erneut den Kopf. Das stimmte alles nicht. Klar verabscheute ich Joeys Vater, und, wenn es stimmte, was da vorgefallen war, dann auch seine Mutter, aber ich würde ihnen nie etwas Schlechtes wünschen! Niemals.
 

„Alles was dein ist, gehört rechtmäßig mir. Und mein soll es sein.“
 

Damit kam mein böser Zwilling auf mich zu, während ich immer weiter zurückwich. Die letzten Sätze beunruhigten mich noch mehr. Mein Puls raste. Ich wollte nicht, dass dieses Ding von mir Besitz ergriff, nicht noch einmal. Zu lebhaft waren die Schmerzen noch in Erinnerung, und das, was ich dabei angestellt hatte.
 

Als ich mit dem Rücken gegen eine Wand stieß, wurde mir erneut speiübel. Dieser Raum hatte keinen Ausgang, im Gegenteil: Alles hinter dem heranrückenden bösen Ich wurde von der Dunkelheit verschluckt.
 

Meine Finger versuchten sich panisch in den kalten Stein zu krallen, ihn zum Nachgeben zu bewegen, irgendwie Halt zu finden, doch ich konnte nicht. Er kam immer näher und grinste dabei höhnisch, genoss es, wie ich mich sträubte.
 

„Ich habe sehr lange darauf warten müssen, endlich wieder frei zu sein. Nun ist dieser Moment zum Greifen nahe. All die Jahre des Herumsitzens, wie Sandkörner in der Wüste zu zählen. Ein Augenblick glich einer Ewigkeit.“
 

Die widerlich anmutende Hand wurde ausgestreckt, bewegte sich auf mein Gesicht zu. Ich schloss die Augen und drückte meine Wange gegen den kalten Sandstein. Nur noch wenige Zentimeter trennten mich von einem dunklen Schicksal. Mein Herz hämmerte mir bis zum Hals. In mir verkrampfte sich alles. Ich wollte schreien, davonlaufen, konnte aber nicht.
 

„Wovor hast du Angst?“, fragte ich mich selbst.
 

Ich fürchtete mich, ein Monster zu werden, eine Abscheulichkeit, die mit ihrer Dunkelheit seine Freunde in den Abgrund riss. Mein Versprechen gegenüber Joey nicht halten zu können, gegenüber Yugi…
 

„Nur wer die Dunkelheit in seinem Herzen annimmt…“, ging es mir durch den Kopf.
 

In genau diesem Moment machte es Klick in meinem Schädel. Der Ring konnte nur Vorhandenes verstärken, nicht aus dem Nichts heraufbeschwören. Das vor mir war kein Monster, keine alles verschlingende Dunkelheit – das war einfach ich, ein Teil von mir. Das war tatsächlich ich. Vor mir musste ich mich nicht fürchten. Ob ich es gut fand oder nicht, das vor mir war einfach ein Stück meiner selbst. Ich konnte mich dagegen sträuben, wie ein Kind auf den Boden werfen, mit den Armen und Beinen strampeln, und hoffen, dass dem nicht so war, oder es einfach annehmen.
 

Langsam öffnete ich die Augen und wagte einen Blick auf mein Gegenüber. Das finstere Ich war zur Salzsäule erstarrt. Ungläubig wurde ich angeschaut, während die schwarzen Adern im Gesicht stärker zu pulsieren begannen.
 

„Unmöglich“, keuchte die Gestalt.
 

„Nein“, sagte ich entschlossen und schlug die ausgestreckte Hand beiseite. „Du irrst dich. Ich habe die Fehler in meinem Leben gesehen, und auch den Schatten, der mich verfolgt. Du bist ein Teil von mir und ich werde dich akzeptieren.“
 

Aus irgendeinem Grund wusste ich, was zu tun war.
 

Ich streckte den rechten Arm aus und eine uralte Apparatur erschien daran. Mit einem metallischen Laut fuhr die Gerätschaft aus. Das verblichene Gold glänzte matt im Schein der wiederaufkeimenden Fackeln. Eine Vertiefung war darin eingelassen worden, groß genug, um etwas darin erscheinen zu lassen, oder hineinzulegen.
 

„Mag sein, dass ich dich gefürchtet habe, doch das werde ich nicht länger tun. Ich werde auch keine Angst mehr vor der Zukunft haben, denn mich begleiten Freunde und meine Familie auf dem Weg, den ich gehen muss.“
 

Ich machte einen Schritt nach vorne und die Gestalt einen zurück.
 

„In siebzehn Jahren war ich so von Angst und Hass zerfressen, von Selbstzweifeln und Zorn. Du hast Recht, was ich mit Johnson angestellt habe, war falsch. Ich werde noch viele Fehler machen, die schlimm sein werden, schlimmer, als die der meisten anderen Menschen. Von meinen Entscheidungen hängt viel ab, sehr viel sogar. Aber ich werde aufhören in der Vergangenheit zu leben oder meinen Weg zu hinterfragen.“
 

Ein weiterer Schritt folgte. Die Apparatur, die mich nun stark an eine Duel Disk erinnerte, glühte hell auf. Das Licht wurde so hell, dass mein böser Zwilling sich stöhnend die ausgestreckte Hand vor die Augen hielt.
 

„Ich werde dich nicht mehr Herr über mich sein lassen. Nie wieder.“
 

Eine ungewohnte Kraft durchströmte mich. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich stark. Das hier musste ich alleine machen, und das würde ich. Diese Entschlossenheit und Stärke trieben mich an auch die nächsten Schritte mutig zu gehen.
 

„Ich habe immer daran gezweifelt, gut genug für andere zu sein. Mich an sie geklammert, wie ein Rettungsanker. Dabei brauche ich das gar nicht. Ich bin selbst ein Fels in der Brandung, eine Mauer, unerschütterlich. Wenn ich nicht gerade kleingehalten werde.“
 

Die Erde bebte. Stein und Staub rieselten von der Decke. Die Schriftzeichen an den Wänden glühten blau auf. Ich wusste nun auch wo ich war: In meinem Geist. Hier war ich der Herr, und ich bestimmte die Spielregeln.
 

„Du kannst nicht…“, krächzte mein böses Spiegelbild verzweifelt.
 

„Natürlich kann ich. Dies ist mein Geist, es sind meine Regeln und du bist ein Teil von mir.“
 

Ich streckte die Duel Disk in die Höhe. Der Lichtschein erhellte den Raum, füllte ihn gänzlich mit Energie und einer angenehmen Wärme aus. Blitze zuckten an meinem Arm entlang, gingen auf mich über. Mein ganzer Körper wollte sich verkrampfen, doch ich biss die Zähne zusammen und stemmte mich dagegen.
 

„Ich rufe eine Macht, so uralt, dass selbst die Finsternis sie fürchten muss. Ich werde seinen Beinamen verändern.“
 

Hinter mir bildeten sich tausende kleine blaue Funken, wie ein strahlender Nebel. Sie leuchteten heller als Sterne. Langsam nahmen sie Form und Gestalt an, bildeten das, was ich mir so sehr an die Seite wünschte.
 

„Er soll nicht mehr als Peiniger bekannt sein, sondern wieder als das, was er einst war: Ein göttlicher Soldat.“
 

Mit einem ohrenbetäubenden Brüllen spreizte Obelisk seine Flügel hinter mir und ballte die rechte Hand zur Faust. Der steinerne Krieger stand da, in all seiner Pracht. Ich fürchtete ihn nicht mehr, wusste ich doch, dass auch er ein Teil von mir war. Das war meine Karte, ein Stück meiner Seele, genauso wie der Schwarze Magier, der Schwarze Rotaugendrache und die Exodia. Nicht das Monster war böse, sondern die Hand, die sie führte. Obelisks schreckliche Kraft konnte auch Gutes bewirken.
 

„Du weißt, dass du ihn nicht kontrollieren kannst“, fauchte die personifizierte Dunkelheit und wich immer weiter zurück, den Arm vor ihr Gesicht geschlagen.
 

„Ich kann – Obelisk.“ Ich sah nach hinten, wie der Koloss ausholte. Blitze umspielten seine Faust, bevor diese auf mein Spiegelbild niedersauste, welches in tausend Teile zersprang. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Als ich sie wieder öffnete, wusste ich, dass sie pechschwarz waren.
 

„Man kann das Schicksal vielleicht nicht verändern, aber man kann dagegen ankämpfen.“
 

„Wer sich seiner Bestimmung willig ergibt, der ist ein Narr.“
 

Ich machte einen glücklichen Laut, als Mahad plötzlich wieder vor mir stand, mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre dem Ägypter in die Arme gesprungen.
 

„Das war äußerst mutig von dir.“ Ehrfürchtig sah Mahad zu Obelisk auf, der nun wieder, wie eine Statue, dastand. Mein stummer Wächter, mein Beschützer.
 

„Ähm, ja.“ Ich kratzte mich verlegen am Hals. Die Duel Disk an meinem Arm war verschwunden.
 

„Damit ist dir gelungen, woran viele Männer und Frauen vor dir gescheitert sind. Ich bin stolz auf dich.“
 

Die Szene verblasste und ich spürte Joeys warmen Atem auf meiner Haut. Das, und sein lautes Schnarchen. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Ich fühlte mich frei, als hätte man mir eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Satra0107
2020-06-10T14:10:30+00:00 10.06.2020 16:10
Wow,ein geiles Kapitel! 😮

Das war sehr spannend und super geschrieben, wie David da mit dem bösen Ich umgeht.
Ist das böse im Ring jetzt verschwunden?

Jetzt ist er hoffentlich bereit für das Turnier.


Antwort von:  SuperCraig
11.06.2020 23:14
Ich will nicht zu viel verraten, aber nein, es ist nicht verschwunden.

Einen Wesenszug, einen Teil von sich selbst auszulöschen, das geht nicht, oder nur sehr schwer, und hinterlässt eine Lücke, die gefüllt werden muss.

Er hat eher gelernt, zu akzeptieren, dass er, wie jeder andere auch, eine "Schattenseite" hat, und dass es nichts Verwerfliches ist, sowas zu haben.

Danke für deinen Kommi! :D


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