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Uxolo

T'Challa / Erik
von

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Uxolo

Tell me who's gonna save me from myself

When this life is all I know...?


 

(The Weeknd, Kendrick Lamar: "Pray For Me")
 


 

„Ich halte das für keine gute Idee.“

Die Bemerkung ließ T’Challa aufblicken und er sah Shuri über die Trage hinweg an, die zwischen ihnen schwebte, während sie zügig auf das Labor zuschritten.

„Ihn nicht seinem Schicksal zu überlassen?“, entgegnete er mit einer Stimme, die mehr Selbstsicherheit enthielt, als er in diesem Moment tatsächlich spürte. Er war müde und am Rande seiner Kräfte; nach seinem Kampf mit Erik hatte er noch nicht die Zeit gehabt, sich auszuruhen – nicht, nachdem er gemerkt hatte, dass das Herz seines Cousins wider Erwarten noch immer schlug.

Genauso unnachgiebig, wie der Rest von ihm, dachte er.

„Ihm seine Mitsprache in dieser Sache zu nehmen“, sagte seine Schwester in diesem Moment. „Er hatte seine Entscheidung bereits getroffen. Nun wird er dich für immer dafür hassen, dass du ihn gerettet hast.“

Shuri hatte Recht und T’Challa wusste es.

Doch von dem Moment an, in dem er erfahren hatte, wer der Mann, der bewusstlos zwischen ihnen auf der Trage lag, in Wirklichkeit war, erfüllte ihn ein solcher Zorn über die Ungerechtigkeit, die Erik widerfahren war – die ihm durch seine eigene Familie widerfahren war – dass T’Challa ihn nicht einfach hatte sterben lassen können.

Ja, der andere würde ihn vermutlich für den Rest seines Lebens hassen.

Aber wenigstens würde er leben.

Und ein kleiner, aber sehr hartnäckiger Teil von T’Challa hoffte, dass ihr Cousin seine zweite Chance besser nutzen würde.

„Dann soll es so sein“, erwiderte er. „Ich hoffe, dass dies das letzte Mal sein wird, dass ihm ein Mitglied seiner Familie Unrecht antut.“

Shuri seufzte, doch dann griff sie nach seiner Hand und drückte sie kurz.

„Mutter wird uns umbringen“, sagte sie. „Von den Stammesführern ganz zu schweigen.“

Sie erreichten das Labor und lautlos öffneten sich die Türen vor ihnen.

T’Challa lächelte nur grimmig, während sie eintraten.

„Lass das meine Sorge sein.“
 

„Seid Ihr von Sinnen?“

Okoye warf ihm einen Blick zu, der jeden anderen Mann in die Knie gezwungen hätte, doch T’Challa, der seit seiner Kindheit mit ihm vertraut war, ließ sich davon nicht beeindrucken.

„Er wird versuchen, Euch umzubringen, sobald er wieder auf den Beinen ist, das muss Euch doch klar sein, mein König!“

T’Challa sah seine langjährige Freundin und Beschützerin nur gelassen an.

„Das ist ein Risiko, das ich mit Freuden eingehe, wenn es Frieden zwischen uns bedeutet.“

„Es wird niemals Frieden zwischen Euch und ihm geben!“, entgegnete Okoye scharf. „Selbst wenn er Euch nicht erneut nach dem Leben trachten sollte, so wird er doch zumindest früher oder später versuchen, den Thron ein zweites Mal an sich zu reißen! Vergesst nicht, dass er noch immer ein Anrecht darauf hat!“

Doch T’Challa ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Dann werde ich meinen Thron eben ein zweites Mal verteidigen“, antwortete er.

Okoye schnaubte, sichtbar frustriert von seiner Uneinsichtigkeit.

Schließlich gab sie es jedoch auf.

„Ich traue ihm nicht, aber wenn es Euer Wunsch ist, dann soll es so sein“, stieß sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Ich werde jeden seiner Schritte überwachen, und sobald er auch nur eine falsche Bewegung in Eurer Nähe macht...“

T’Challa legte die Hand auf ihren Unterarm.

„Dann wird er deinen Zorn zu spüren bekommen, daran zweifle ich nicht“, unterbrach er sie sanft.

„Danke, Okoye.“

Seine Leibwächterin stieß einen leisen Fluch aus, doch dann straffte sie sich und nickte ihm zu.

T’Challa fragte sich, ob sie deshalb kooperierte, weil sie noch immer ein schlechtes Gewissen hatte, dass sie seine Mutter, seine Schwester, sowie Nakia nach Eriks Thronübernahme im Stich gelassen hatte. Er hatte ihr keine Vorwürfe gemacht – er wusste, dass ihre Loyalität einzig und allein Wakanda galt, unabhängig davon, wer auf dem Thron saß – doch er wurde das Gefühl nicht los, dass die Entscheidung sie sehr mitgenommen hatte und sie seitdem Vergebung suchte.
 

Den Rat zu überzeugen, Erik gegenüber Gnade walten zu lassen, war weitaus schwieriger.

Die Stammesführer verlangten nach all dem Chaos und der Zerstörung, die die kurze Herrschaft seines Cousins angerichtet hatte, nach dessen Hinrichtung, und nur durch viel Geduld und Feingefühl gelang es T’Challa – mit der überraschenden Unterstützung seiner Mutter – sie von diesem Vorhaben abzubringen, und eine gewaltfreiere Methode in Betracht zu ziehen.

„Shuri hat eine Möglichkeit gefunden, die Kräfte des Krauts in ihm zu unterdrücken“, erklärte er dem Rat ruhig. „Ohne sie ist er derselbe Mann, der er war, bevor er in unser Land kam.“

„Reicht das nicht schon?“, fragte M’Baku und hob eine Augenbraue. „Er hat Euch schließlich auch ohne seine Kräfte im Zweikampf besiegt, wenn ich mich recht entsinne.“

Die anderen Stammesführer nickten.

T’Challa atmete tief durch. Zeit, ihnen sein Vorhaben zu erklären.

„Ich habe nicht vor, ihn unbeobachtet im Palast umherlaufen zu lassen“, erwiderte er, wobei er gedanklich ein ‚noch nicht‘ hinzufügte. „Ich habe diese Sache bereits mit Okoye besprochen und die königliche Leibgarde hat sich bereiterklärt, ihn im Auge zu behalten.“

Er streckte die Hände aus und kehrte die Handflächen nach oben.

„Wir sollten seine Anwesenheit als Chance betrachten“, fuhr er fort. „Erik kennt die Welt außerhalb von Wakanda mindestens ebenso gut, wie unser Geheimdienst. Er versteht die amerikanische Lebensweise wie kein anderer unter uns, hat er sie doch selbst gelebt. Er spricht fließend unsere Sprache, er ist in hohem Maße gebildet und er ist sehr an dem Wohl derjenigen interessiert, die die Farbe unserer Haut teilen.“

Seine Stimme wurde leiser, ernster. „Es stimmt, dass er mit seinem Handeln großes Leid angerichtet hat – doch genau aus diesem Grund soll er auch die Gelegenheit bekommen, Buße zu tun, und seine Energie stattdessen in die Unterstützung der Benachteiligten rund um den Globus zu stecken. Er wollte, dass wir uns der Welt öffnen, also soll er sich auch an dieser Aufgabe beteiligen. Ihn von unserem Annäherungsprozess auszuschließen wäre verschenktes Potential.“

Es würde Zuri nicht zurückbringen, das war ihm klar, doch genauso wenig würde es auch N’Jobu wieder zum Leben erwecken. Es hatte auf beiden Seiten sinnloses Blutvergießen gegeben, und T’Challa würde dem endgültig ein Ende bereiten.

Und so einigte man sich Stunden später schließlich darauf, Erik im Palast zu behalten, wenn auch unter Dutzenden von Auflagen, die T’Challas Sicherheit und die der königlichen Familie gewährleisten sollten.

Doch es war ein Kompromiss, mit dem T’Challa leben konnte.

Die Frage war nur, ob Erik mitspielen würde.
 

Sein Cousin erwachte einen Tag später aus dem künstlichen Koma, in das Shuri ihn mit Hilfe der Kimoyo-Perlen versetzt hatte, um ihn heilen zu können.

Und es lief in etwa so gut, wie erwartet.

„Du solltest ins Labor kommen, Bruder“, hörte T’Challa die Stimme seiner Schwester über den Intercom. „Sofort!“

Er entschuldigte sich unverzüglich bei den Handelsvertretern der Stämme, mit denen er sich gerade besprochen hatte, und vertagte das Treffen auf einen späteren Zeitpunkt.

Als er das Labor keine zehn Minuten später erreichte, war bereits die Hälfte der Dora Milaje dort versammelt, um Erik in Schach zu halten. Ihr Cousin war noch immer etwas benommen nach der langen Bewusstlosigkeit, und seine Bewegungen waren schwerfällig und unkoordiniert, doch der Hass in seinen Augen war derselbe, wie bei ihrer letzten Begegnung, und er erschütterte T’Challa bis ins Mark.

„Was habt ihr getan?“, stieß Erik hervor, bebend vor Wut, während er versuchte, den Ring von Speeren, die die Leibgarde auf ihn gerichtet hatte, zu durchbrechen. „Was habt ihr getan?!“

„N’Jadaka“, sagte T’Challa ruhig und schritt zwischen den Wächterinnen hindurch auf seinen Cousin zu. Seine Hände hatte er auf dem Rücken verschränkt, um seine Nervosität zu verbergen. T’Challa hatte für gewöhnlich keine Angst, seine Gefühle zu offenbaren, doch dies war nicht der richtige Moment, um Schwäche zu zeigen.

Nicht ihm gegenüber.

Erik wirbelte zu ihm herum.

Du!

Er stürzte auf T’Challa zu und presste ihn mit dem Unterarm gegen eine der gläsernen Wände.

Shuri schlug entsetzt eine Hand vor den Mund, während Okoye einen warnenden Ruf ausstieß und einen Schritt auf ihn zu machte. Doch T’Challa wies sie mit einer Handbewegung an, Distanz zu wahren.

„Du hast kein Recht, mich bei diesem Namen zu nennen!“, zischte Erik, während sich der brennende Blick seiner dunklen Augen in den seines Gegenübers bohrte.

„Es tut mir leid“, erwiderte T’Challa leise.

Der andere starrte ihn einen Moment lang an, als hätte er nicht mit diesen Worten gerechnet, doch dann wurde der Druck auf seine Brust stärker und T’Challa hatte Mühe, nicht das Gesicht vor Schmerz zu verziehen.

„Was für ein krankes Spiel spielst du hier?“, raunte Erik, sein Gesicht dem von T’Challa so nahe, dass dieser seinen warmen Atem auf der Wange spüren konnte. „Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, dass ich nicht in deinem goldenen Käfig leben will. Und was tust du? Verdammst mich zu ewiger Gefangenschaft!“

„Es tut mir leid“, wiederholte T’Challa, weil es alles war, was er sagen konnte.

„Spar dir dein verdammtes Mitleid und beantworte mir nur eine Frage: warum?“, entgegnete sein Cousin hasserfüllt. „Warum hast du mich gerettet? Antworte mir!“

T’Challa hob mühsam eine Hand und legte sie auf den Arm des anderen.

„Weil ich nicht mein Vater bin, Erik“, stieß er mit rauer Stimme hervor. Der Druck auf seinen Brustkorb wurde allmählich unerträglich, doch er wusste, dass er es verdient hatte. Er hatte es bereits in dem Moment gewusst, in dem er den schwachen Puls des anderen Mannes unter seinen Fingerspitzen gespürt hatte und beschlossen hatte, ihn zu heilen.

„Mein Vater hat deinem Vater einst ein großes Unrecht angetan“, fuhr er fort. „Hat dir ein großes Unrecht angetan. Und ich habe nicht vor, dieses Unrecht zu wiederholen. Hasse mich für diese Entscheidung, wenn es das ist, was dir Frieden gibt. Aber bei Bast, erwarte nicht von mir, dass ich deinem Leben ein Ende setze. Denn das kann ich nicht, Erik. Das kann ich schlichtweg nicht.“

Sein Cousin musterte ihn, als würde er auf seinem Gesicht nach dem Anzeichen einer Lüge suchen. Doch alles, was er in T’Challas Augen fand, war Offenheit und Mitgefühl.

Mit verächtlicher Miene ließ er ihn schließlich los und stieß ihn von sich.

„Sei verdammt“, sagte er mit kalter Stimme. „Ich werde dir diesen Verrat niemals verzeihen, hörst du? Niemals.“

Und das war das letzte, was er sagte, bevor er seine Hände ausstreckte und zuließ, dass Okoye ihn in Handschellen aus Vibranium legte.

Shuri trat neben ihren Bruder, als die Dora Milaje ihren Cousin abführten, und streckte die Hand nach seinem Oberkörper aus. Doch T’Challa hielt ihre Finger fest und sah sie an.

„Es geht mir gut“, sagte er leise. „Sorge dich nicht.“

Seine Schwester schwieg für einen Moment.

„Was du gesagt hast...“, begann sie dann.

„Ich habe jedes einzelne Wort ernst gemeint“, unterbrach T’Challa sie mit fester Stimme.

Sie seufzte. „Daran zweifle ich auch nicht. Aber Bruder, du weißt auch, dass du dich nicht für jedes seiner Vergehen und alles, was ihm zugestoßen ist, selbst verantwortlich machen musst, oder? Er ist ein erwachsener Mann, und zum Mörder zu werden, um sein Geburtsrecht einzufordern, war seine Entscheidung, nicht die von Vater... oder von dir.“

Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln.

„Ja, Shuri, das weiß ich.“

Doch wen er tatsächlich mit diesen Worten überzeugen wollte – sie oder sich selbst – das wusste T’Challa nicht.

Seine Schwester schien ihm jedoch zu glauben, denn sie knuffte ihn nur am Arm.

„Komm schon, lass mich etwas gegen die blauen Flecken tun“, sagte sie dann und T’Challa folgte ihr, dankbar für den Themenwechsel. Und während sie mit flinken, warmen Fingern seinen Brustkorb untersuchte, fiel auch endlich wieder die Spannung von ihm ab, die während der Auseinandersetzung mit Erik auf ihm gelastet hatte.
 

Erst eine Woche später wagte T’Challa eine erneute Konfrontation mit seinem Cousin.

Man hatte Erik mehrere Gemächer zur Verfügung gestellt, die denen der königlichen Familie in nichts nachstanden, sah man von den außerordentlich dicken, mit Vibranium verstärkten Glasscheiben und der erhöhten Anzahl von Leibwächterinnen ab, die sie bewachten.

Als T’Challa eintrat, war Erik gerade dabei, mit einer Hand Liegestütze zu machen. Sein Oberkörper war nackt, und der Schweiß, der sich zwischen den Narben auf seinem Rücken gesammelt hatte, zeugte davon, dass er schon seit einer Weile mit seinen Übungen beschäftigt war. Für einen Moment sah T’Challa mit einem Anflug von Faszination dabei zu, wie sich die Muskeln unter der dunklen Haut bewegten, bevor er seinen Blick wieder losreißen konnte und ihn stattdessen auf das konzentrierte Gesicht seines Cousins richtete.

Dieser bemerkte sein Eintreten erst, nachdem er sich wieder erhoben hatte. Während er sich mit einem Handtuch den Schweiß vom Hals tupfte, fiel sein Blick auf T’Challa, der in respektvollem Abstand neben der Tür stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

Sofort verhärtete sich der Ausdruck auf seinem Gesicht.

„Was willst du?“, fragte Erik ohne lange Einleitung. T’Challa spürte, dass noch immer Wut hinter seiner Fassade brodelte, doch sie war längst nicht mehr so groß, wie nach seinem Erwachen.

„Ein paar Dinge mit dir besprechen“, entgegnete er. „Und sehen, wie es dir geht.“

„Ich lebe“, sagte Erik und wandte T’Challa den Rücken zu, bevor er sich ein T-Shirt überstreifte. „Das wolltest du doch, oder? Mich am Leben erhalten, um dir nicht die Hände schmutzig zu machen, so wie dein Daddy damals.“

Seine Bemerkung versetzte T’Challa einen Stich, doch er fing sich schnell wieder. Er wusste, dass der andere ihn nur provozieren wollte, und er hatte nicht vor, sein Spiel mitzuspielen.

„Wenigstens hatte dein Vater die Stärke zu tun, was er für richtig hielt“, fuhr Erik mit bitterer Stimme fort. „Im Gegensatz zu dir.“

„Ich sagte dir, dass ich nicht vorhabe, ein Unrecht mit einem anderen Unrecht zu begleichen“, erwiderte T’Challa leise, „und ich halte mein Wort. Solange du in Wakanda bist, soll dir nichts geschehen.“

Erik fuhr herum und dieses Mal trat T’Challa unbewusst einen Schritt zurück, als er den Hass in seinen Augen sah.

„Und wie lange soll das sein?“, verlangte sein Cousin zu wissen. „Wie viele Jahre muss ich in diesem Gefängnis verbringen, bis du es nicht mehr nötig hast, mir ins Gesicht zu sehen, um dir einzureden, was für ein gnädiger und barmherziger Herrscher du bist?“

Dieses Mal konnte T’Challa nicht verhindern, dass ihm seine beherrschte Miene für einen Augenblick entglitt, und er konnte an Eriks grimmigem Lächeln erkennen, dass ihm sein Kontrollverlust nicht entgangen war.

T’Challa schloss für einen Moment die Augen und atmete ruhig durch. Dann richtete er den Blick wieder auf den anderen Mann.

„Das ist der andere Grund, weshalb ich hier bin, um mit dir zu sprechen“, sagte er.

Erik verschränkte die Arme vor der Brust. „Tatsächlich.“

„Ja.“ T’Challa trat auf seinen Cousin zu, blieb jedoch mit genügend Abstand stehen, um ihm nicht das Gefühl zu geben, dass er ihn in die Enge treiben wollte.

„Ich brauche deine Hilfe“, sagte er dann.

Für einen Augenblick starrte Erik ihn wie versteinert an, so wenig schien er mit diesen Worten gerechnet zu haben, und es erfüllte T’Challa mit einer gewissen Genugtuung, die unverhohlene Überraschung auf seinem Gesicht zu sehen.

Doch Erik fand schnell seine Sprache wieder.

„Ist das so.“ Er machte seinerseits einen Schritt auf T’Challa zu, der nicht zurückwich, sondern seinen Blick nur gelassen erwiderte. „Wofür brauchst du sie, oh großer König? Und wieso glaubst du, dass du sie von mir bekommst?“

„Weil wir das gleiche Ziel haben“, entgegnete T’Challa und musterte ihn aufmerksam. „Und weil es niemanden gibt, der so qualifiziert für diese Aufgabe ist, wie du.“

„Hah...!“, machte Erik und lachte humorlos auf. Doch sein Interesse war geweckt, das war nicht zu übersehen, und das ließ T’Challa hoffen.

„Na schön“, sagte er schließlich. „Lass hören.“

T’Challa schenkte ihm ein kurzes, aber dankbares Lächeln.

„Du hattest Recht“, sprach er dann, „als du sagtest, dass wir nicht vor dem Elend und der Unterdrückung auf der Welt die Augen verschließen können. Überall gibt es Menschen, die unsere Hautfarbe teilen, und die unter absolut unwürdigen Bedingungen ihr Dasein fristen und Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind. Es ist an der Zeit, unseren Reichtum und unsere technologischen Errungenschaften zu teilen, um ihr Leben zu verbessern.“

Erik schwieg einen Moment, während er sich diese Worte durch den Kopf gehen ließ.

„Nur mit ihnen zu teilen“, sagte er schließlich.

„Mit allen Menschen zu teilen“, korrigierte T’Challa. „Ein friedliches Zusammenleben lässt sich nur ermöglichen, wenn niemand mehr benachteiligt wird.“

„Einen solchen Frieden wird es nie geben“, entgegnete Erik. Ein seltsamer Ausdruck war in seine Augen getreten. „Glaub mir. Ich habe auf den Schlachtfeldern dieser Welt gesehen, wozu Menschen fähig sind. Es wird immer Kriege geben. Wakandas Waffen werden sie nur noch schrecklicher und verheerender machen, als je zuvor.“

„Und genau darum brauchen wir Diplomatie“, sagte T’Challa. „Und darum ist es auch so wichtig, den anderen Nationen aufzuzeigen, wie viele Gemeinsamkeiten wir haben, die uns verbinden – und dass unsere Unterschiede etwas sind, worauf wir stolz sein können.“

Er hielt dem anderen die Hand hin.

„Komm mit mir“, bat er. „Hilf mir, eine Brücke zu schlagen und unser Wissen nach außen zu tragen. Nicht im Geheimen, sondern für alle Welt sichtbar.“

Erik ignorierte die ihm dargebotene Hand und gab nur ein abfälliges Schnauben von sich, dann wandte er sich ab und trat auf das Fenster zu, um auf die Stadt hinabzusehen.

„Du bist schlimmer als dein Vater“, sprach er schließlich. „Wenigstens war er kein Träumer, sondern Realist.“

T’Challa straffte sich. Die Bemerkung verletzte ihn. „Immerhin habe ich den Mut, eine diplomatische Herangehensweise zu versuchen, anstatt schon vorher aufzugeben.“

Erik drehte sich um und sah ihn stirnrunzelnd an. „Nennst du mich einen Feigling?“

T’Challa zuckte nonchalant mit den Schultern. „Ich spreche nur das Offensichtliche aus.“

Der andere trat wieder auf ihn zu, und dieses Mal kam er T’Challa so nahe, dass nur wenige Zentimeter die beiden Männer voneinander trennten. Minutenlang sahen sie sich an, ohne ein Wort zu sagen, und Erik musterte ihn, als versuchte er, ein Rätsel zu lösen.

Schließlich trat er wieder einen Schritt zurück, und T’Challa atmete leise auf. Er wusste nicht, wieso, aber die Nähe des anderen hatte ihn seltsam nervös gemacht.

„Du hast eine Chance“, sagte Erik leise. „Wenn mir nicht gefällt, was du mir zu zeigen hast, war dies das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen haben.“

T’Challa nickte. Eine Chance war alles, was er sich erhofft hatte.

„Danke, Erik“, erwiderte er. „Wir werden heute Nachmittag aufbrechen.“

Sein Cousin verzog den Mund zu einem humorlosen Lächeln. „Keine Sorge. Es ist nicht so, als ob ich heute noch irgendetwas vorhätte.“

T’Challa erwiderte das Lächeln kurz, bevor er sich abwandte und ging.

Was auch immer die Reise für sie bereithalten würde, es würde auf jeden Fall ein interessanter Ausflug werden.
 

„Ich halte das für keine gute Idee“, sagte Shuri, als sie am Nachmittag auf der Landeplattform vor dem Palast standen und zusahen, wie die Dora Milaje Erik zum Flugzeug eskortierten.

„Und ich habe gerade ein merkwürdiges Déjà-vu“, entgegnete T’Challa, dessen Augen ihrem Blick folgten.

Seine Schwester boxte ihm leicht gegen den Oberarm.

„Du bist so ein Idiot“, sagte sie und T’Challa lachte auf.

Das Geräusch ließ Erik kurz zu ihnen hinübersehen, bevor er wieder den Blick abwandte und einen Moment später im Bauch des Flugzeugs verschwand.

„Deine Schwester hat Recht“, sagte Nakia, die neben den beiden stand. „Er wird dich umbringen, sobald er eine Gelegenheit bekommt, und anschließend verschwinden. Was du vorhast, ist unvernünftig und riskant. Du kannst ihm nicht trauen.“

„Vielleicht hast du Recht“, erwiderte T’Challa sanft und zog sie zum Abschied in seine Arme. „Und vielleicht wird Erik uns alle überraschen.“

„Bast stehe uns bei“, murmelte Shuri, bevor auch sie ihn umarmte.

„Ich bin in deinem Ohr, wenn du mich brauchst“, erinnerte sie ihn dann, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten.

Nakia verzog das Gesicht. „Das klingt schmutzig.“

„Nicht wahr“, entgegnete Shuri strahlend.

T’Challa verdrehte nur die Augen.

Er umarmte ein letztes Mal seine Mutter, dann wandte er sich ab und stieg die Rampe empor, die in den Bauch des Raumschiffs führte.

Dort erwarteten ihn bereits Okoye und Ayo, die ihn als Repräsentantinnen seiner Leibwache begleiten würden, sowie Erik, dessen Hände einmal mehr in Handschellen gelegt waren und der seinen Blick kühl erwiderte.

T’Challa sah auf die Handschellen herab.

„Nehmt sie ihm ab“, sagte er. Die beiden Leibwächterinnen tauschen einen Blick und selbst Erik hob überrascht eine Augenbraue.

„Mein König, ich möchte von diesem Vorhaben abraten“, sagte Okoye, der deutlich anzusehen war, was sie von der Idee hielt.

Doch T’Challa sah sie nur ruhig an.

„Nehmt sie ihm ab“, wiederholte er. „Er ist ein Abgesandter Wakandas und soll auch als solcher wahrgenommen werden – und nicht als Verbrecher.“

Ayo holte die Schlüssel hervor, doch Okoye hielt ihr Handgelenk fest, bevor sie die Handschellen lösen konnte.

„Mein König“, sagte sie mit eindringlicher Stimme, „Ihr solltet Euch das noch einmal gut überlegen! Ihr wisst, wozu er fähig ist.“

„Ja“, entgegnete T’Challa, „das weiß ich. Und er weiß auch, wozu ich fähig bin.“

Er hob die Hand und legte seine Finger auf die Kette um seinen Hals.

Wäre der Blick, den Okoye ihm daraufhin zuwarf, noch ein wenig intensiver gewesen, hätte sie ihm zweifellos ein Loch in die Stirn gebohrt.

Stattdessen ließ sie Ayos Hand nach kurzem Zögern wieder los, und die andere Frau löste Eriks Handschellen.

„Geht doch“, meinte dieser und grinste, während er sich die Handgelenke rieb.

Okoye sagte kein weiteres Wort, sondern wandte sich ab und trat ins Cockpit, um das Flugzeug zu starten.

Ayo setzte sich derweil auf den Platz neben Erik, während T’Challa sich seinem Cousin gegenüber niederließ.

Es sollte ein langer, stiller Flug werden.
 

Das Flugzeug wechselte in den Tarnmodus, sobald sie die Grenze der Vereinigten Staaten überquerten. Nach all ihren Erfahrungen mit Superhelden hätte noch ein futuristisch anmutendes Flugzeug mehr die Bevölkerung vermutlich auch nicht weiter überrascht, aber T’Challa wollte lieber auf Nummer sicher gehen.

Es war bereits dunkel, als sie schließlich auf einem schmutzigen Hinterhof landeten.

„Komm“, sagte T’Challa an Erik gewandt und erhob sich. „Ich möchte dir etwas zeigen.“

Sein Cousin warf ihm einen misstrauischen Blick zu, doch er stand auf und folgte T’Challa die Rampe hinab nach draußen.

Sobald er erkannte, wo er war, weiteten sich seine Augen.

„Ist das etwa...“

„Ja“, sagte T’Challa leise, während Erik ungläubig das Haus anstarrte, in dem er aufgewachsen war.

Obwohl sein Gesicht im Schatten lag, konnte T’Challa sehen, dass der Anblick nicht ohne Wirkung auf ihn blieb, und zum ersten Mal seit jenem Sonnenuntergang auf den Klippen des Berges sah er wieder Emotionen, die sein Cousin sonst sorgfältig hinter einer ausdruckslosen Miene verbarg.

Es dauerte einige Zeit, bis der andere sich wieder beruhigt hatte, doch schließlich holte Erik tief Luft und sah ihn an.

„Warum hast du mich hierher gebracht?“, fragte er mit rauer Stimme.

T’Challa legte den Kopf in den Nacken und sah zu der Wohnung hinauf, in der sein Vater damals seinen Onkel ermordet hatte.

„Wenn du darüber entscheiden könntest, was mit diesem Gebäude passiert, was würdest du tun?“, fragte er.

Erik überlegte nicht lange.

„Es abreißen“, entgegnete er.

„Aber dies war deine Heimat“, gab T’Challa zu bedenken.

Erik schnaubte nur.

„Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, dass meine Heimat da ist, wo ich sie mir selbst erschaffe“, erwiderte er. „Dieses Haus bedeutet mir nichts.“

T’Challa dachte einen Moment lang über diese Worte nach.

„Okay“, sagte er dann.

Erik starrte ihn an.

Okay?“, wiederholte er. „Was soll das bedeuten?“

„Wenn du willst, dass es verschwindet, dann wird es verschwinden“, erklärte T’Challa ruhig. „Ich habe es vor zwei Tagen gekauft; ich entscheide, was damit passiert.“

Erik sah ihn an, als wäre er nicht ganz bei Sinnen. „Du hast es gekauft?“

T’Challa nickte. „Und die beiden Häuser links und rechts davon auch.“

Der andere Mann schüttelte den Kopf.

„... du bist wahnsinnig.“

„Glaub mir, du bist nicht der erste, der zu diesem Schluss kommt“, erwiderte T’Challa und schenkte ihm ein Lächeln.

Erik blinzelte... und legte plötzlich den Kopf zurück, um schallend zu lachen.

Und zum ersten Mal, seitdem T’Challa ihn kennengelernt hatte, war es kein spöttisches oder humorloses Lachen, sondern ein Lachen, das von Herzen kam, und das einen Knoten in T’Challas Brust zu lösen schien. Eriks Gelächter entlockte auch ihm ein leises Lachen, und als sie wenig später an Bord des Flugzeugs zurückkehrten, sah Okoye sie an, als hätten sie beide den Verstand verloren.

Es hätte T’Challa nicht gleichgültiger sein können.
 

Sie verbrachten die Nacht in einem von außen etwas unscheinbaren, aber luxuriös ausgestatteten Hotel in Downtown Oakland.

Es missfiel T’Challa, seinem Cousin wieder Handschellen anzulegen, und so bat er seine Leibwächterinnen, gemeinsam auf Erik aufzupassen, während er selbst ein eigenes Zimmer bezog. Okoye leistete Widerstand, was er nicht anders erwartet hatte, aber nachdem T’Challa ihr mehrmals versichert hatte, dass er eine Nacht lang auch auf sich allein aufpassen konnte, gab sie schließlich widerwillig nach.

Der Abend verlief ereignislos, und nach einer kurzen Mahlzeit begab sich T’Challa schließlich ins Bett.

Mitten in der Nacht wurde er von dem leisen Knarren seiner Zimmertür geweckt, doch bevor er nach der Kette um seinen Hals greifen konnte, die er selbst im Schlaf nicht ablegte, spürte T’Challa ein warmes Gewicht auf seiner Brust, sowie zwei kräftige Hände, die sich um seine Handgelenke schlossen und sie neben seinem Kopf auf die Matratze pressten.

„Was zum-!“, begann er, bevor ihn eine wohlbekannte Stimme unterbrach.

„Du hättest wirklich auf das Miststück hören sollen, mein König“, raunte Erik spöttisch an seinem Ohr.

T’Challas Augen weiteten sich in der Dunkelheit.

„Was hast du mit ihnen gemacht?!“, rief er und begann, sich unter dem anderen hin- und herzuwinden, um sich zu befreien. Doch Erik war eindeutig in der überlegeneren Position und hielt ihn mit Leichtigkeit fest.

„Keine Sorge, es geht ihnen gut“, erwiderte er. „Sie schlafen lediglich.“

Er zögerte kurz, bevor er hinzufügte. „Jedenfalls für den Moment.“

„Ich warne dich...!“, stieß T’Challa hervor.

„Oh, jetzt beruhige dich“, seufzte sein Cousin. „Ich habe nicht vor, sie umzubringen. Zufrieden?“

T’Challa atmete mehrmals tief durch und schloss die Augen.

„Warum bist du hier?“, fragte er.

„Ist das nicht offensichtlich?“, erwiderte Erik, dessen Stimme mit einem Mal sanft wurde. „Natürlich um dich zu töten.“

Er hätte mit der Antwort rechnen müssen – und doch schmerzte der Verrat mehr, als T’Challa jemals gedacht hätte.

„Warum erst jetzt?“, fragte er leise. „Warum hast du so lange damit gewartet?“

„Weil ich Wakanda sonst niemals lebendig verlassen hätte, das weißt du ebenso gut wie ich“, antwortete Erik.

Natürlich. Er hatte die Geduld seines Cousins einmal mehr unterschätzt.

T’Challa öffnete wieder die Augen und nun konnte er in der Dunkelheit schwach den Schatten des anderen über sich sehen.

„Ich bedaure, dass es dazu kommen musste“, sagte er, als Erik mit einer Hand seine Handgelenke über seinem Kopf festhielt, während sich seine andere Hand um T’Challas Kehle schloss und erbarmungslos zudrückte.

„Ich nicht“, erwiderte Erik mit tonloser Stimme.

„Ich weiß“, wisperte T’Challa und holte ein letztes Mal Luft, bevor der andere Mann ihm endgültig die Kehle zudrückte. „Und ich... verzeihe dir... Erik.“

Im Dämmerlicht sah T’Challa, wie sich Eriks Augen weiteten, dann wurde ihm schwarz vor Augen.
 

Es war immer noch Nacht, als T’Challa wieder zu Bewusstsein kam.

Sein Hals schmerzte so sehr, dass es ihm fast die Tränen in die Augen trieb, und jeder Atemzug brannte wie Feuer in seiner Kehle.

Er hustete mehrmals, bevor er sich aufrichtete und sich in seinem Zimmer umsah. Er war allein, doch die Nachttischlampe neben seinem Bett leuchtete und die Tür zum Balkon stand offen.

Es kostete T’Challa einiges an Kraft, sich zu erheben, und mühsam schleppte er sich auf den Balkon hinaus.

Dort erblickte er Erik, der die Arme auf das Geländer gestützt hatte, und auf die nächtliche Bucht hinaussah, auf deren gegenüberliegender Seite die Lichter von San Francisco leuchteten.

T’Challa sagte kein Wort, als er neben ihn trat, und Erik sah ihn auch nicht an.

Sie schwiegen lange Zeit, während sie den Blick über die nächtliche Stadt schweifen ließen, jeder von ihnen tief in Gedanken versunken.

Doch schließlich war es Erik, dessen leise Stimme die Stille durchbrach.

„Ich war zwei Jahre alt, als meine Mutter starb.“

T’Challa sah ihn aufmerksam an; es war das erste Mal, dass der andere sie erwähnte.

„Sie verblutete mitten auf der Straße, keine vier Blocks von diesem Hotel entfernt. Es war Raubmord, sagten sie meinem Vater später, aber genau hat er es nie erfahren. Doch er erkannte damals, wie sehr Afroamerikaner – Menschen wie meine Mutter – von rassistisch motivierter Gewalt bedroht waren.“

Er hielt einen Moment lang inne, als müsste er sich überwinden weiterzusprechen. Schließlich fuhr er fort:

„Bis heute bin ich davon überzeugt, dass ihr Tod der Auslöser für meinen Vater war, sich für die Interessen der unseren einzusetzen... was letztendlich zu seinem Verrat an Wakanda führte. Und zu seinem Tod.“

T’Challa schwieg.

Es gab keine Worte, die den Schmerz hätten lindern können, der in Eriks Stimme mitschwang. Stattdessen legte er eine Hand auf dessen Schulter, um ihn spüren zu lassen, dass er trotz allem, was sich an diesem Abend zugetragen hatte, für ihn da war – und der andere, der den Kontakt in diesem Moment zu brauchen schien, schüttelte sie nicht ab.

„Du hast Recht“, begann Erik schließlich wieder zu sprechen, wobei er T’Challa einen ruhigen Blick zuwarf, „du bist nicht dein Vater. Deine Worte vorhin... sie haben mir klargemacht, dass du niemals in der Lage gewesen wärst, deinen eigenen Bruder zu töten.“ Seine Stimme wurde leiser. „Oder ein Kind zurückzulassen.“

T’Challa starrte ihn an. Er wusste nicht, was er daraufhin erwidern sollte – doch er spürte auf einmal, dass sich etwas, was er im Augenblick noch nicht benennen konnte, zwischen ihnen geändert hatte. Etwas fundamental Wichtiges.

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch, als Erik plötzlich die Hand ausstreckte und mit den Fingerkuppen vorsichtig über die dunklen Abdrücke auf T’Challas Hals fuhr. Die Geste war so sanft, so intim, dass ein Schauer über T’Challas nackten Oberkörper lief und seine Pupillen sich weiteten.

Und seine Reaktion schien Erik nicht zu entgehen, denn er hielt plötzlich inne... nur um anschließend die Handfläche an T’Challas Wange zu legen und mit dem Daumen langsam über seine Unterlippe zu streichen.

T’Challas Augen fielen zu und er schmiegte das Gesicht an die warme Hand.

Sein Verstand sagte ihm, dass er dies hier nicht genießen sollte – weder die Berührungen, noch die unerwartete Zärtlichkeit, mit der die raue Fingerkuppe über seine Haut fuhr – doch in diesem Moment kümmerte es ihn nicht. In diesem Moment brauchte er die Nähe und Geborgenheit, die der andere ihm gab... brauchte die Versicherung, dass Erik fähig war, mehr für ihn zu empfinden, als Hass und Enttäuschung.

Doch der Moment war viel zu schnell auch schon wieder vorbei.

„Shit“, flüsterte Erik plötzlich und ließ abrupt seine Hand sinken.

Verwirrt öffnete T’Challa die Augen und sah den anderen Mann an. Doch Erik wich seinem Blick aus.

„Lass uns reingehen“, sagte er stattdessen und wandte sich ab. „In der Minibar müssten Eiswürfel sein, die sollten gegen die Schwellung an deinem Hals helfen.“

T’Challa schwieg, als er hinter Erik ins Zimmer trat und sich auf sein Bett setzte.

Seine Augen folgten seinem Cousin aufmerksam, während dieser ein Dutzend Eiswürfel in ein Handtuch wickelte, bevor er sich zu T’Challa setzte und das Bündel vorsichtig an seine Kehle presste.

„Halt still“, murmelte Erik, wobei er es sorgfältig vermied, T’Challa anzusehen. „Das wird eine Weile dauern. Ich habe dich ganz schön erwischt...“

Es war keine Entschuldigung, nicht wirklich, doch die Bemerkung gab einmal mehr ein Stück von Eriks Seele preis, das er bisher sorgsam zu verbergen versucht hatte, und T’Challa fragte sich, wie oft der andere Mann bereits selbst Opfer dieser Art von Gewalt geworden war.

„Ich mache dir keine Vorwürfe“, entgegnete T’Challa sanft. „Außerdem war es ein Risiko, das ich bereit war einzugehen, als ich dir diese Reise vorschlug.“

Erik hob eine Augenbraue.

„Du hast damit gerechnet, dass ich versuchen würde, dich umzubringen?“ Er schnaubte leise. „Vielleicht bis du doch nicht so dumm, wie ich dachte... auch wenn deine Vorkehrungen für einen solchen Fall stark zu wünschen übriglassen.“

Es war jedoch keine Schärfe in seiner Stimme und ein schwaches Lächeln legte sich auf T’Challas Lippen.

Möglicherweise bestand doch noch Hoffnung, dass sie eines Tages eine gemeinsame Basis finden würden.
 

Okoye und Ayo stürmten zwanzig Minuten später ins Zimmer, wo sie die beiden jungen Männer auf dem Bett sitzend vorfanden, in eine angeregte Unterhaltung über US-amerikanische Popkultur vertieft.

„Was soll das heißen, du hast noch nie Scoobie-Doo gesehen?“, fragte Erik gerade. „Von welchem Planeten kommst du?“

„Ich, ah, hatte in meiner Kindheit leider andere Pflichten“, erwiderte T’Challa mit einem schwachen Lächeln. „Um meine Lektionen nicht zu vernachlässigen, hatte ich nicht die Zeit, mehr als eine Stunde wöchentlich fernzusehen.“

Wöchentlich?“ Erik verdrehte die Augen. „Das erklärt so vieles.“

„Mein König“, sagte Okoye, nachdem sie ihre Sprachlosigkeit überwunden hatte, „wir sollten unverzüglich zum Flugzeug zurückkehren. Dieser Mann hat einmal mehr seine Gewaltbereitschaft gezeigt und bewiesen, dass er nicht vertrauenswürdig ist.“

„Oh, jetzt komm schon!“, stöhnte Erik. „Euer geliebter Herrscher ist immer noch am Leben und keiner von Euch hat ernsthafte Verletzungen davongetragen, obwohl ich genügend Gelegenheiten hatte, Euch alle umzubringen.“

„Erik“, sagte T’Challa leise. „Du machst es gerade nicht besser.“

Er erhob sich vom Bett und legte das mittlerweile völlig durchnässte Handtuch beiseite. Seine Kehle schmerzte noch immer ein wenig, doch zumindest das Atmen tat nicht länger weh.

Okoyes Augen weiteten sich, als sie die dunklen Abdrücke an seinem Hals sah. Sie musste nicht fragen, was passiert war.

„Woah, hey, pass auf, wo du das Ding hinhältst!“, rief Erik und hob die Arme, als die Leibwächterin ihren Speer auf seine Brust richtete.

„Darf ich ihn durchbohren, mein König?“, stieß sie hervor, die Stimme erfüllt mit kalter Wut.

„Nicht heute“, erwiderte T’Challa nur gelassen und musste schmunzeln, als Erik für einen Moment tatsächlich verletzt aussah.

„Und ich dachte, wir würden langsam anfangen, uns zu verstehen“, sagte sein Cousin verbittert, bevor er seine Handgelenke ausstreckte, damit Okoye ihm einmal mehr die Handschellen anlegen konnte.

„Nur weil ich dir nicht bedingungslos vertraue, bedeutet es nicht, dass ich dich nicht schätze“, erwiderte T’Challa, und zu seiner eigenen Überraschung meinte er seine Worte vollkommen ernst.

Obwohl der andere ihm einmal mehr nach dem Leben getrachtet hatte, empfand T’Challa fast schon so etwas wie Sympathie für ihn. Der Anblick des leeren Wohnhauses hatte ihm einmal mehr bewusst gemacht, dass Erik nie wirklich die Chance gehabt hatte, ein anderes Leben zu leben, als dieses. T’Challa konnte sich nicht einmal vorstellen, wie es ihm selbst ergangen wäre, hätte er als Junge plötzlich ohne Vater und Mutter dagestanden, ein Fremder in einem Land, das ihn aufgrund der Farbe seiner Haut niemals gänzlich akzeptieren würde.

Und wie er es auch drehte und wendete: trotz seines sehr berechtigten Hasses auf ihn hatte Erik ihn verschont. – Etwas, was er noch vor einer Woche nicht getan hätte, daran bestand für T’Challa kein Zweifel.

Und auch kleine Schritte waren Fortschritte.

T’Challa konnte Okoye mit Mühe und Not dazu überreden, die Mission nicht vorzeitig abzubrechen, sondern Erik stattdessen zurück zu seinem Zimmer zu eskortieren und dieses Mal zusätzliche Schutzmaßnahmen zu treffen, damit er seine Wächterinnen nicht erneut überwältigen konnte.

Wenig später sank T’Challa ein zweites Mal in einen traumlosen Schlaf, und dieses Mal schlief er bis zum Morgen durch.
 

„Warum sind wir schon wieder hier?“, fragte Erik irritiert, als sie am nächsten Vormittag erneut vor dem verlassenen Wohnhaus standen. „Ich dachte, du wolltest mir den Gefallen tun, es abzureißen. Oder stehst du doch nicht zu deinem Wort?“

„Keine Sorge, mein Entschluss steht fest“, erwiderte T’Challa. Er drehte das Gesicht zur Seite und sah seinen Cousin ruhig an. „Doch wo etwas endet, besteht auch die Chance eines Neubeginns. Die Frage ist nur – was willst du hier beginnen lassen, Erik...?“

Der andere starrte ihn an und allein der überraschte Ausdruck auf seinem Gesicht war den Kauf des Gebäudes fast schon wert gewesen.

Doch Erik begriff schnell, dass T’Challa seine Worte vollkommen ernst meinte, und richtete den Blick wieder auf das heruntergekommene Gebäude.

Für eine Weile herrschte Stille, als er nachdachte und zweifellos all die Optionen durchging, die Wakanda als die Übermacht darstellen würden, die es war.

Als er schließlich zu sprechen begann, war seine Antwort jedoch ganz und gar nicht das, womit T’Challa gerechnet hatte.

„Als ich in der dritten Klasse war, fiel unsere Klimaanlage aus. Mein Vater fand keine Möglichkeit, sie zu reparieren, und wir hatten nicht das Geld, um eine neue zu kaufen.“ Eriks dunkle Augen ruhten auf der kleinen Wohnung direkt unter dem Dach. Ein bitterer Zug lag um seinen Mund. „Als dann der Sommer kam, heizte sich die Wohnung tagsüber manchmal auf über vierzig Grad auf. Es war die Hölle. Ich verbrachte viel Zeit bei Freunden oder im Park, um meine Hausaufgaben zu erledigen oder um zu lernen, denn selbst abends, wenn es kühler wurde, fand ich in meinem Zimmer nicht die Ruhe dafür. Die Wände unserer Wohnung waren dünn wie Papier, und wenn sich mal gerade nicht wieder die Nachbarn stritten, dann waren es der Straßenlärm oder die Musik, die von unten heraufschallten, und das Lernen erschwerten... Und ich war nicht der einzige; es gab viele, denen es ähnlich ging wie mir, oder die unter noch beschwerlicheren Verhältnissen zu leben hatten.“

T’Challa schwieg. Er hatte immer gewusst, wie privilegiert er aufgewachsen war, und er wusste, dass auch außerhalb der Königsfamilie kein Kind in Wakanda in ärmlichen Verhältnissen leben musste – doch Eriks Erzählung führte ihm plötzlich deutlich vor Augen, wie viel schlechter es der andere gehabt hatte, selbst zu der Zeit, als sein Vater noch am Leben gewesen war.

„Ein Ort des Wissens“, fuhr Erik fort und plötzlich war ein Funkeln in seinen Augen, „eine kostenfreie Schule mit guter Ausstattung, einer Bibliothek zum Lernen und exzellenten Lehrern für Kinder, die aus Familien mit niedrigen Einkommen stammen... ich denke, das wäre ein guter Ersatz für diese Bruchbude.“

T’Challa spürte ein seltsames Flattern in der Brust.

„Erik...“, begann er, sein Tonfall auf einmal seltsam rau, und er wurde das Gefühl nicht los, dass ein Kloß in seinem Hals steckte.

Der andere Mann sah ihn nicht an.

„Nah“, erwiderte er nur abfällig und winkte plötzlich ab, als würde ihm in diesem Moment bewusst werden, wie viel von sich selbst er T’Challa offenbart hatte. „Vergiss, was ich gesagt habe. Es gibt eine Reihe von wesentlich sinnvolleren Zwecken, die dieser Ort erfüllen könnte...“

„Erik“, wiederholte T’Challa, und dieses Mal war seine Stimme fester.

Erik sah auf, eine Herausforderung in seinem Blick, als rechnete er damit, dass T’Challa seine Idee verspotten würde.

Doch das Gegenteil war der Fall.

„Ich halte das für einen wundervollen Vorschlag“, sagte T’Challa und schenkte dem anderen ein offenes Lächeln. „Eine bessere Nutzung unserer Ressourcen könnte ich mir nicht vorstellen.“

Erik starrte ihn an.

„Mmh-hm“, machte er dann nur und richtete den Blick auf einen Punkt in der Ferne, einen Ausdruck auf dem Gesicht, den T’Challa nicht identifizieren konnte.

„Ich werde Shuri unverzüglich davon in Kenntnis setzen und sie bitten, Ideen für das Projekt zu sammeln.“

T’Challa wandte sich ab und aktivierte eine der Kimoyo-Perlen an seinem Handgelenk, um eine Verbindung zu seiner Schwester herzustellen.

Im nächsten Moment flackerte über seiner Handfläche ihr Hologramm auf.

„Hallo, großer Bruder“, begrüßte sie ihn grinsend. „Na, wie läuft die Reise mit Charles Manson bisher?“

„Hey!“, rief Erik aus dem Hintergrund. „Das habe ich gehört!“

Shuri formte mit ihren kleinen, holografischen Händen einen Trichter vor dem Mund.

„Das hoffe ich!“, gab sie zurück.

T’Challa verdrehte die Augen. „Ruhe, alle beide!“

Er ging ein paar Schritte weiter, um ungestört mit seiner Schwester sprechen zu können. Während er Shuri Eriks Idee erklärte und sie bat, sich nach einem geeigneten Architekten für das Projekt umzusehen und sich um die rechtlichen Fragen zu kümmern, wandte er Erik den Rücken zu. Doch sein Vertrauen in den anderen Mann war mittlerweile groß genug, dass er mit keinem weiteren Angriff rechnete, und während seines zehnminütigen Gesprächs mit seiner Schwester wurden sie nicht einmal unterbrochen.

Nachdem sie schließlich das Nötigste besprochen hatten und er sich wieder von Shuri verabschiedet und den Holoprojektor deaktiviert hatte, wandte T’Challa sich um...

... nur um festzustellen, dass Erik nicht mehr da war.

Besorgt ließ er seinen Blick über den Hof schweifen, und sein Herzschlag beruhigte sich erst dann wieder, als er seinen Cousin am anderen Ende in einem umzäunten Bereich erblickte, in ein Gespräch mit einer Gruppe von Jungen vertieft.

„... wird das nie was“, hörte T’Challa ihn sagen, als er sich näherte. „Wenn ihr nur wild hin und herspringt, wird euer Gegner eure Abwehr sofort durchbrechen.“

„Was sollen wir dann machen?“, fragte einer der Jungen, der einen Basketball in der Hand hielt.

„Hier, ich zeige es euch am besten“, erwiderte Erik und stellte sich zwischen die Kinder und den Korb. „Kommt schon, greift mich an!“

Für die nächsten paar Minuten versuchte die Gruppe erfolglos, Eriks Verteidigung zu umgehen, um einen Treffer zu landen.

„Wow!“, rief der Junge, dem der Basketball gehörte, schließlich atemlos. „Du bewegst dich wirklich kaum, und wir kommen trotzdem nicht vorbei!“

„Sag ich doch“, entgegnete Erik und lächelte. „Alles eine Frage der Technik.“

Er sah auf und sein Blick begegnete dem von T’Challa. Dieser rechnete damit, dass Erik sich wieder vor ihm verschließen würde, doch das Lächeln auf seinen Lippen blieb.

„Sorry, ich muss los“, sagte er dann und nickte den Jungen zu.

„Komm bald wieder!“, rief eines der Kinder und Erik tauschte einen kurzen Blick mit T’Challa.

„Mal sehen“, erwiderte er, bevor er sich endgültig abwandte und sich zu seinem Cousin gesellte.

„Du kannst gut mit Kindern umgehen“, bemerkte T’Challa mit leiser Stimme.

Der andere zuckte jedoch nur mit den Schultern.

„Liegt vermutlich daran, dass ich mich selbst in ihnen sehe“, meinte er. „Alte Angewohnheit, die ich leider bis heute noch nicht ablegen konnte.“

T’Challa dachte nach.

„Wenn du willst, kannst du jederzeit hierher zurückkehren“, sagte er dann.

Erik schnaubte leise. „Das meinst du nicht ernst.“

„Warum sollte ich dir etwas verwehren, von dem ich weiß, dass es dich glücklich macht?“, fragte T’Challa sanft.

Erik lachte auf.

„Du hast mir den Thron verwehrt“, entgegnete er mit einem Anflug von Verbitterung.

„Hat er dich denn glücklich gemacht...?“, fragte T’Challa.

Das plötzliches Schweigen ließ ihn zu dem anderen Mann hinübersehen, und als T‘Challa sein Gesicht sah, wurde ihm klar, dass dies das erste Mal war, dass jemand Erik diese Frage stellte.
 

Sie aßen zum Mittag nicht weit entfernt bei McDonald‘s, was Eriks Vorschlag gewesen war.

Okoye und Ayo hatten darauf bestanden, sie zu begleiten, doch T’Challa hielt es für eine schlechte Idee, zwei bewaffnete Kriegerinnen in ein Fast-Food-Restaurant mitzunehmen, in dem sich hauptsächlich Familien mit kleinen Kindern aufhielten.

„Das sieht nicht sehr nahrhaft aus“, meinte T’Challa zweifelnd, nachdem er und Erik sich in einer ruhigen Ecke des Restaurants mit ihren Tabletts niedergelassen hatten, und beäugte misstrauisch das Menü, das sein Cousin für ihn bestellt hatte. Schließlich entschied er sich für die Pommes.

„Du bist eindeutig zu verwöhnt“, erwiderte der andere ungerührt und nahm seinen Burger aus der Verpackung, um genüsslich hineinzubeißen.

„Als Kind war McDonald’s immer ein Highlight für mich und jedes Jahr an meinem Geburtstag kam mein Vater mit mir hierher“, erzählte er kauend. „Nach seinem Tod habe ich versucht, die Tradition weiterzuführen, wann immer ich das Geld und die Gelegenheit dazu hatte.“

T’Challas Augen weiteten sich, als ihm die Implikation bewusst wurde.

„Soll das heißen, dass heute dein Geburtstag ist?“, fragte er. „Tut mir leid, ich hatte keine Ahnung...“

Doch Erik schüttelte nur den Kopf.

„Nah“, entgegnete er mit einer für T’Challa fast unerträglichen Gelassenheit. „Mein Geburtstag war schon vorletzte Woche. Und ohne dich wäre er auch mein Todestag gewesen.“

T’Challa starrte ihn an, während Scham und Schuld in ihm kämpften.

Erik, dem sein Blick nicht entging, seufzte auf. „Shit, jetzt sieh mich nicht an, wie ein Reh im Scheinwerferlicht, das sollte kein Vorwurf sein. Es war nur eine Feststellung.“

Das machte es nur wenig besser.

T’Challa ließ sein Essen wieder sinken. Er hatte plötzlich keinen Hunger mehr.

„Es tut mir leid“, sagte er leise.

Erik runzelte die Stirn. „Was?“

„Dass ich mich über deinen Wunsch zu sterben hinweggesetzt habe“, erwiderte T’Challa, ohne den anderen anzusehen. „Ich erkenne nun, wie arrogant und selbstgerecht mein Verhalten war.“

„Hm“, machte Erik nur, bevor er nach dem Pappbecher mit Cola griff, der neben seinem Tablett stand, und daraus trank.

„So viel Selbstreflexion hätte ich dir gar nicht zugetraut“, meinte er, nachdem er ihn wieder abgesetzt hatte, doch es war kein Spott in seiner Stimme.

„Mein Vater meinte einst, um ein guter König zu sein, muss ich stets mein eigenes Verhalten hinterfragen“, sagte T’Challa mit einem Anflug von Nostalgie. Bei Bast, wie er seinen Vater doch in Momenten wie diesen vermisste. Was auch passiert war, T’Chaka hatte auf alles eine Antwort gehabt und es stets geschafft, seinem Sohn seine Ängste zu nehmen.

Eriks Blick verhärtete sich. „Dann muss er selbst wohl ein schlechter König gewesen sein.“

Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte T’Challa ihm widersprochen, doch nicht dieses Mal. Er wusste genau, woran Erik dabei dachte, und aus seiner Perspektive würde T’Chaka nie etwas anderes als ein furchtbar fehlerhafter Mensch sein.

Sie beendeten ihre Mahlzeit in Schweigen. Das hieß, Erik beendete seine Mahlzeit, bevor er T’Challas Tablett zu sich herüberzog und auch sein Menü verspeiste. T’Challa fragte sich, ob es daran lag, dass der andere in der Vergangenheit zu oft Hunger gelitten hatte, um Essen zu verschwenden, und es versetzte ihm einmal mehr einen Stich.

Er hatte an jenem Abend auf den Klippen über der Stadt gedacht, er würde Erik kennen. Nun wurde ihm klar, dass er es nie wirklich getan hatte.
 

„Wohin geht es jetzt?“, fragte Erik, nachdem sie McDonald‘s wieder verlassen hatten und zum Flugzeug zurückkehrten.

„Vorerst nirgendwohin“, erwiderte T’Challa, die Hände in den Taschen seines schlichten, dunkelgrauen Hoodies vergraben, den er gegen seine königlichen Roben eingetauscht hatte. „Außer zurück nach Wakanda.“

Er zögerte. „Es sei denn, du willst noch einen weiteren Ort besuchen...?“

Erik dachte für einen Moment nach.

„Einen Ort gäbe es da tatsächlich noch“, meinte er nach einer Weile.

T’Challa versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Er genoss ihre gemeinsame Reise mehr, als er je gedacht hätte, und er hätte es bedauert zurückzukehren, wenn sie gerade erst damit begonnen hatten, sich besser kennenzulernen.

Er forderte Erik mit einer Geste auf, die Führung zu ergreifen, während Okoye und Ayo ihnen in gebührendem Abstand mit dem Jet folgten.

„Dann lass uns gehen.“
 

Er hätte wissen müssen, wohin Erik ihn bringen würde, als sie an einer Straßenecke in einen kleinen Laden traten, um einen Strauß Blumen zu kaufen.

„Hallo, Baba“, sagte Erik leise, als sie wenig später auf dem Friedhof an das Grab herantraten. „Hallo, Mama.“

Er beugte sich vor, um die Blumen auf die mit Unkraut überwucherte Erde zu legen.

Es waren schlichte Gräber mit schlichten Kreuzen aus Stein, deren Namen schon leicht verwittert waren.

T’Challa starrte das Grab seines Onkels an. Er wusste nicht, was er fühlen sollte.

„Der halbe Block hat damals Geld gespendet, damit mein Vater ein Grab an ihrer Seite bekam“, erzählte Erik und richtete sich wieder auf. „Er hatte viele Freunde in der Gemeinde.“

T’Challa blinzelte. Er spürte plötzlich ein Brennen in den Augen.

„Hätten sie ihn doch nur zurückgebracht“, murmelte er. „Und ihn in einem Grab beigesetzt, das eines Prinzen Wakandas würdig ist.“

„Ich vermute, dein Vater wollte nicht an seinen Bruder erinnert werden, wann immer er die königlichen Gräber besuchte“, erwiderte Erik schulterzuckend. Dann fügte er hinzu: „Außerdem hätte mein Vater es nicht gewollt.“

„Dennoch“, sagte T’Challa mit rauer Stimme. „Es war nicht richtig.“

Erik sah auf und musterte ihn für eine Weile nachdenklich, doch er gab keine Antwort.

Schließlich wandte T’Challa sich ab. Er fühlte sich hier seltsam fehl am Platz.

„Ich kann im Flugzeug warten, falls du noch Zeit brauchst...“

Erik schüttelte jedoch nur den Kopf und trat neben ihn.

„Ich hatte fünfundzwanzig Jahre Zeit, um mich von meinem Vater zu verabschieden“, entgegnete er.

Dann sah er T’Challa an und wieder trat ein nachdenklicher Ausdruck in seine Augen. „Im Gegensatz zu dir.“

T’Challa sah ihn verständnislos an.

„Was...?“

Erik streckte die Hand nach ihm aus, um mit den Fingerkuppen sanft über seine Wange zu wischen. Als er sie hochhielt, sah T’Challa, dass sie nass waren.

Seltsam, er hatte gar nicht bemerkt, dass er geweint hatte.

„Manchmal vergesse ich bei all unseren Differenzen, dass auch du einen Vater verloren hast“, sagte Erik leise.

T’Challa starrte ihn an.

Der Mann, der ihn und seine Familie attackierte hatte wegen eines Unrechts, das sein Vater begangen hatte, und der mehrfach versucht hatte, ihn zu töten, sprach ihm plötzlich sein Beileid aus.

Es war mehr, als T’Challa ertragen konnte.

Er machte einen Schritt auf Erik zu und schloss ihn in die Arme.

Der andere war für einen Moment wie erstarrt, als er spürte, wie T’Challa das Gesicht an seine Schulter presste. Doch dann schlang er seinerseits die Arme um ihn und legte das Kinn auf seine Schulter, während er eine Hand in T’Challas kurzen Haaren vergrub.

„Ich weiß“, murmelte er. „Ich weiß...“

Mehr sagte er nicht, doch es war genau das, was T’Challa in diesem Augenblick brauchte, und es dauerte lange, bis sie sich nicht mehr aneinanderklammerten wie die verlorenen Jungen, die sie waren.
 

Auf dem Rückflug nach Wakanda herrschte ähnlich wie auf dem Hinflug Stille an Bord des Jets, doch es war eine entspannte Stille.

Einmal mehr saßen sie sich gegenüber, doch dieses Mal hatte Erik mehr für T’Challa übrig, als kalte Blicke. Ein seltsamer Ausdruck trat auf sein Gesicht, wann immer sich ihre Blicke trafen, und die Luft zwischen ihnen schien sich immer mehr aufzuladen, wie vor einem Gewittersturm.

Sie landeten bei Sonnenuntergang vor dem königlichen Palast, wo sie bereits von Shuri erwartet wurden.

„Willkommen zu Hause!“, rief sie, während sie ihrem Bruder lachend um den Hals fiel.

Sie hatte sogar ein knappes Nicken für ihren Cousin übrig.

„Erik.“

„Hey, Cousinchen.“

Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören, doch Shuri war klug genug, nicht darauf einzugehen.

„Ich sehe, du bist wohlauf“, wandte sie sich wieder an ihren Bruder. „Die Pläne für die Schule laufen bereits auf Hochtouren. Ich habe schon ein paar fabelhafte Designvorschläge für das Schulgebäude bekommen, und wir haben angefangen, in Oakland und der Umgebung nach geeigneten Lehrern zu suchen.“

Sie strahlte. „Ich verspreche dir, das wird die beste Schule werden, die die Stadt je gesehen hat.“

„Sie soll nur die erste von vielen ihrer Art rund um den Globus werden“, sagte T’Challa, der sich über ihren Enthusiasmus freute. „Wir haben das Geld und die Mittel, es möglich zu machen. Und vielleicht wird es andere dazu inspirieren, unserem Beispiel zu folgen.“

„Ich gebe zu, es war nicht ganz das, womit ich gerechnet hatte, als du meintest, dass wir unsere Ressourcen teilen sollten, aber ich halte es für eine großartige Idee“, entgegnete Shuri lächelnd.

„Es war Eriks Idee“, sagte T’Challa.

Seine Schwester starrte ihn an und sah dann zu ihrem Cousin hinüber.

„Ist das dein Ernst?“, fragte sie.

T’Challa zuckte nur unschuldig mit den Schultern. „Ich habe ja gesagt, dass er uns alle überraschen wird.“

„Ich habe gelegentlich auch gute Ideen“, fügte Erik nicht ohne ein gesundes Maß an Selbstzufriedenheit hinzu.

Shuri stöhnte auf.

„Bast, schenk mir Kraft.“

T’Challa lächelte nur.
 

Es war bereits dunkel, als T’Challa Erik zu seinen Gemächern begleitete.

„Und wieder zurück ins Gefängnis“, kommentierte der andere Mann trocken, als sie die Tür erreicht hatten.

„Ich werde dafür sorgen, dass du dich von jetzt an frei im Palast bewegen kannst“, versicherte T’Challa ihm.

Dann warf er dem anderen einen hoffnungsvollen Blick zu.

„Ich hoffe, dies war nicht unser letzter gemeinsamer Ausflug“, sagte er.

Erik hob eine Augenbraue. „Das kommt darauf an, was du als nächstes vorhast.“

T’Challa räusperte sich. „Ich werde in zwei Wochen vor den Vereinten Nationen sprechen.“

Das klingt, als könnte es interessant werden“, entgegnete Erik und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich überlege es mir.“

„Danke, Erik“, erwiderte T’Challa mit einem Lächeln.

Und damit war alles geklärt.

Dies war der Moment, Erik eine gute Nacht zu wünschen und zu seinen eigenen Gemächern zurückzukehren... doch etwas hielt ihn zurück. Vielleicht war es die Tatsache, dass sie fast zwei Tage am Stück miteinander verbracht hatten, oder vielleicht war es auch die eigenartige Spannung zwischen ihnen, die zugenommen hatte, seitdem sie gelandet waren.

T’Challa suchte nach Worten.

„Erik, ich...“, begann er, doch der andere unterbrach ihn mit leiser Stimme.

„Du spürst es auch, oder?“

Er streckte die Hand aus, als wollte er sie an T’Challas Wange legen, hielt jedoch im letzten Moment inne.

„Ich sollte dich hassen, aber ich finde in mir nicht länger die Kraft dazu“, sagte er. „Was machst du nur mit mir...?“

T’Challa griff nach seiner Hand und drückte sie warm.

„Dir zeigen, dass du mit Kooperation mehr erreichen kannst“, entgegnete er sanft.

Eriks Mundwinkel hob sich. „Ist das so...?“

„Mm-hm“, macht T’Challa.

Erik starrte ihn einen Augenblick lang an, als hätten T’Challas Worte einen Nerv in ihm getroffen, dann zog er seine Hand wieder zurück.

„Shit, wenn du mich weiter so mit deinen braunen Rehaugen ansiehst, komme ich noch auf dumme Ideen“, murmelte er.

T’Challa nahm ihm die Entscheidung kurzerhand ab, indem er sich vorlehnte...

... und ihn küsste.

Es war nur eine kurze, warme Berührung ihrer Lippen, doch endlich, endlich entlud sich auch die Spannung um sie herum.

Und T’Challa begriff, dass es das war, was ihm gefehlt hatte.

Dem Lächeln des anderen Mannes nach zu urteilen, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten, ging es jedoch nicht nur ihm so.
 

Als er schließlich zu seinen Gemächern zurückkehrte, lag noch immer ein Lächeln auf T’Challas Lippen.

Was für Herausforderungen die Zukunft auch für ihn bereithalten würde, eines war nun sicher: er würde ihnen nicht länger allein entgegensehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: Kathey
2018-03-26T06:19:17+00:00 26.03.2018 08:19
„Darf ich ihn durchbohren, mein König?“, stieß sie hervor, die Stimme erfüllt mit kalter Wut.
„Nicht heute“, erwiderte T’Challa nur gelassen und musste schmunzeln, als Erik für einen Moment tatsächlich verletzt aussah.

Ich liebe dich dafür :"DDDDDDDD ♥
Als jemand, der den Film auf Deutsch gesehen hat: Passt alles einwandfrei! ♥ Die Anreden, die Sprechweisen, die Charaktere in ihrer Gesamtheit. Ugh, Okoye, mit ihrer stabbity stab stab-Persönlichkeit, und Erik, du wundervoller Penner T_________T Ich danke Marvel wirklich für seine Existenz, weil er so ekelhaft nachvollziehbar war.
Was ich damit sagen will, DANKE für diese FF, auch, wenn ich das Pairing jetzt noch nicht so auf dem Schirm hatte, es ist so unfassbar passend und nachvollziehbar. Kooperation T'Challa, ist klar, ist klar :")
Was für königliche Idioten ;_; ♥
Antwort von: Morwen
27.03.2018 21:20
Arwww, you're welcome! xDD ♥
Und danke für den lieben Kommentar! ;3;

Seltsamerweise habe ich das Pairing auch nicht gleich "gesehen", das kam irgendwie erst später, nachdem ich zwei Wochen Zeit hatte, über den Film nachzudenken, weil er mich einfach so lange beschäftigt hat. Aber als mir dann endlich auffiel, wie brillant Eriks Charakter eigentlich war (und wie verdammt nachvollziehbar ♥), war es um mich geschehen. *-*
(Und ich verstehe jetzt auch, wieso Michael B. Jordan Parallelen zu Professor X/Magneto gezogen hat, weil die Grundsatzdiskussion dahinter tatsächlich eine ähnliche ist. Seitdem... shippe ich sie härter, als ich jemals erwartet hätte. xD)

Danke noch mal! ♥
Morwen~
Von:  Peacer
2018-03-18T23:08:56+00:00 19.03.2018 00:08
Wow. Genau das habe ich gebraucht. Richtig gut geschrieben, die Charaktere waren so IC, dass man sie genauso im Film übernehmen könnte. Die Emotionen waren einfach nur perfekt, Erik mit seinem Hass, T'Challa voller Vertrauen, beide mit ihren Macken. Shuri <3. Einfach brilliant. Danke. :D
Antwort von: Morwen
19.03.2018 20:32
Hallo~!

Wow, vielen lieben Dank! Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich nach diesem furchtbaren Tag über deine netten Worten freue. :) <3

Ich gestehe, als ich die FF geschrieben habe, habe ich nicht damit gerechnet, dass sie jemand liest, geschweige denn kommentiert. Aber es freu tmich sehr, dass es noch mehr Leute gibt, die der Film und die Beziehung zwischen T'Challa und Erik ebenso bewegt hat, wie mich.
Vielen, vielen Dank, wirklich, das macht mir direkt Lust, an der Fortsetzung weiterzuarbeiten. :)

Liebe Grüße,
Morwen~


P.S.: Fuck yeah, Shuri! *-* <3


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