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(500) Days Of Arthur And Eames

von

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Dies ist eine Geschichte über zwei Männer.
 

Der Eine, er wurde lediglich bei seinem Nachnamen Eames gerufen, war in Großbritannien aufgewachsen und vertrat die Ansicht, dass man, wenn man nur lang genug suchte, die eine, richtige Person finden würde. Nicht, weil sie perfekt für einen war, sondern weil ihre Unvollkommenheit einen ergänzte, einen reizte und in einem den Wunsch weckte, sein ganzes restliches Leben an der Seite dieser Person zu verbringen.

Vermutlich hatten seine Eltern damit zu tun. Seine Mutter war zwanzig gewesen, als sie seinen Vater getroffen hatte. Sie hatte ihn umworben, etwas untypisch, doch für ihr untypisches Verhalten war die Familie Eames bekannt. Nach nur wenigen Wochen hatte sie ihn für sich gewonnen, und, so sagte ihr Vater, obwohl sie seinem Frauengeschmack in keinster Weise gerecht wurde, kam er einfach nicht mehr von ihr los.

Eames war noch nicht wirklich auf der Suche nach dieser einen Person, dass es sie gab, das behielt er aber stets im Hinterkopf, und er war zu jeder Zeit darauf vorbereitet, ihr zu begegnen. Jedem Menschen, der neu in sein Leben trat, widmete er seine volle Aufmerksamkeit, nur für den Fall, dass es soweit war. Deswegen ließ er auch niemals eine Chance aus, wild mit allem zu flirten, das sich bewegte.
 

Der Andere, ein gewisser Arthur, beschäftigte sich nicht im geringsten mit dem Thema Liebe. Er arbeitete gewissermaßen als Architekt und war, wie man so schön sagte, mit seinem Job verheiratet, dem er die meiste Zeit seines Lebens widmete. Wenn er nicht arbeitete, dann las oder schrieb er, und in der Regel handelten auch diese Beschäftigungen von seinem Job.

Er schätzte nichts mehr als Präzision und Verlässlichkeit, und da ihm in diesen Bereichen niemand etwas vormachen konnte, war er von den meisten Menschen enttäuscht. Deshalb hatte er auch außerhalb seines Jobs nur wenige Freunde. Weil er sich außerdem auch schon seit er siebzehn war für so ziemlich alle altersgerechte Dinge zu alt empfand, bestand sein Freundeskreis zu einem großen Teil aus Herrschaften, die nicht mehr in sein Beuteschema fallen würden, wenn er denn eines hätte.

Er hatte so gesehen also weder die Zeit noch die Möglichkeit jemanden zu finden, ob er nun perfekt oder eben unvollkommen war. Es sei denn, er würde dieser Person bei der Arbeit begegnen.
 

Und genau dies geschieht auch. Nun, er begegnet der Person nicht bei der Arbeit, vielmehr begegnet er ihr wegen ihr.
 

Arthur trifft Eames am dreiundzwanzigsten Juni in London. Fast im gleichen Augenblick weiß er, dass er ihn nicht im geringsten ausstehen kann.
 

Dies ist eine Geschichte über zwei Männer, die nach ganz unterschiedlichen Dingen suchen. Und, lasst es mich gleich zu Anfang sagen, genau diese werden sie auch finden.

 

 

Tag 1

Irgendetwas an diesem Briten gefiel ihm ganz und gar nicht. Arthur musterte den Fremden skeptisch, achtete aber auf seine gute Schule und ließ davon nichts durchblicken. Alles, was dieser Mr. Eames von ihm zu sehen bekam, war ein höfliches Lächeln.

Als Cobb ihm von einem neuen Teamkollegen erzählt hatte und dass sie diesen in London treffen würden, hatte er sich, wenn er ehrlich war, etwas gänzlich anderes vorgestellt. Die Tatsachen, dass er lediglich Mr. Eames genannt wurde und ein berüchtigter Fälscher war, hatten Arthurs Erwartungen von ihm enorm in die Höhe getrieben. Er hatte fest mit einem sehr wortkargen, kühlen Mann gerechnet, der aufgrund seines Rufes schon ein paar Jahre in diesem Job arbeitete und dementsprechend älter war als Arthur und Cobb. Und er hatte, vielleicht auch nur aufgrund seiner persönlichen Vorstellung von Stil, mit einem Anzugträger gerechnet.

Als dann ein Mann zu ihnen in die Limousine stieg, der nicht viel älter als Arthur und definitiv jünger als Cobb war, und der mit einem breiten, selbstgefälligen Grinsen seine äußerst klischeehafte Zahnfehlstellung präsentierte, wurden Arthurs Vorstellungen alle nacheinander zerstört.
 

Cobb und dieser Eames kannten sich bereits von gemeinsamen Experimenten beim Militär. Arthur war damals zwar ebenfalls dort gewesen, war aufgrund seines Alters und seiner überdurchschnittlichen Intelligenz allerdings anderweitig eingesetzt. Cobb hatte er erst vor einigen Monaten kennengelernt.

Er hatte sich oft gewünscht, lieber wie sie in Träumen bis aufs Äußerste gequält zu werden, als das zu tun, zu dem er verdammt worden war.

„Das ist Arthur“, riss Cobb ihn absichtlich aus seinen Gedanken. Er erkannte es an Arthurs Blick, wenn er an ihre Zeit beim Militär dachte. Erstens war es noch gar nicht lange her, dass sie entlassen worden waren, und fast jeder von Arthurs Gedanken kreiste um dieses Thema, und zweitens waren es die einzigen Momente, in denen Arthur solche Emotionen zeigte. Natürlich heulte er nicht verzweifelt los oder äußerte sich dazu, doch seine glasigen Augen und die hart aufeinandergepressten Lippen sprachen Bände.

Arthur fing sich schnell wieder und streckte die Hand aus. Eames beäugte sie nur mit gehobenen Brauen und zuckte dann die Schultern. Er tat etwas, das vermutlich eine Ar Handschlag werden sollte, wie es die Teenager taten, der wegen Arthurs fehlender Kooperation allerdings eher aussah, als wären ihnen beiden die Hände eingeschlafen. „Arthur, hm?“, meinte Eames amüsiert. „Wie alt bist du?“

„Siebenundzwanzig“, gab Arthur etwas perplex zurück. Wozu wollte er das wissen? Sollte er ihn jetzt auch nach seinem Alter fragen?

„Siebenundzwanzig“, wiederholte Eames aber bereits und verhinderte eine solche Frage somit, „und dann ein Name wie Arthur? Warum nicht gleich Wilhelm oder Mortimer?“ Arthur antwortete nichts, er wusste gar nicht, was er hätte erwidern sollen. Er blinzelte ein paar Mal und verzog die Mundwinkel.

„Wie wär's mit Artie?“, schlug der Brite vor. Arthur warf Cobb einen halb fragenden, halb vorwurfsvollen Blick zu, doch der zuckte nur grinsend die Schultern. Unsicher erhob er daraufhin die Stimme. „Ich möchte eigentlich nicht-“ „Und woher kennst du Artie?“, wandte sich Eames bereits wieder an Cobb. Arthur ließ die Schultern hängen und schüttelte langsam den Kopf, ließ die Beiden dann aber erzählen und hielt sich weitestgehend aus dem Gespräch heraus.
 

Tag 1 (Traum)

Als sie sich in Cobbs Traum befanden, musste Arthur allerdings zugeben, dass Eames seinem Ruf mehr als gerecht wurde. Er hatte wenige Minuten gebraucht, um sich von einem schlanken, aber breitschultrigen Briten in eine spindeldürre, zugegebenermaßen wirklich gutaussehende blonde Russin zu verwandeln. Anerkennend hob Arthur die Brauen, als diese an ihm vorbeistöckelte. Ihr Akzent war perfekt, zumindest soweit er es bewerten konnte.

Sie schien zu bemerken, wie er sie beobachtete, denn mit einem Mal blieb sie stehen und wandte sich mit einem selbstgefälligen Grinsen zu ihm um. „Artie“, sprach sie mit gerolltem R und zwinkerte ihm zu. Arthur verzog das Gesicht vor Unbehagen. Er hatte nicht vergessen, dass das eigentlich Mr. Eames war, der sich hinter diesem Frauenkörper verbarg. „Gefällt dir was du siehst?“ Sie drehte sich einmal komplett vor ihm, bevor sie die Hände in die Hüfte stemmte. „Nicht übel, hm?“

Arthur räusperte sich. „Nicht schlecht“, gestand er, sah die falsche Russin aber herausfordernd an. „Was können Sie noch, Mr. Eames?“ „Bitte.“ Sie hob die manikürten Hände. Nenn' mich Natalya.“ Arthur hörte Cobb im Hintergrund lachen. Er schüttelte leicht den Kopf, um ihr zu bedeuten, dass er nicht vorhatte, dieser Bitte nachzukommen. „Wie lange bräuchten Sie, um, sagen wir, ein Kind zu fälschen?“ Ihre perfekt gezupften Augenbrauen schnellten in die Höhe und ihre knallroten Lippen umspielte ein überraschtes Lächeln.

„Ein Kind?“, wiederholte sie und Arthur nickte. Cobb trat zu ihnen, auch sein Gesicht zierte ein fragender Blick. „Es wird doch bestimmt einmal dazu kommen, dass Sie- dass er ein Kind spielen muss. Viele Subjekte sind Eltern, und wem vertrauen sie, wenn nicht ihren Kindern?“ Er sah beide abwechselnd an. Nach ein paar Sekunden Bedenkzeit nickte Cobb schließlich und Mr. Eames klatschte in die dünnen Hände, offenbar um ihm zuzustimmen.
 

Tag 40

Und tatsächlich hatten sie schon bald die Möglichkeit, in dem sie diese Idee anwenden konnten. Eine Therapeutin, eine gewisse Dr. Vogel, kam auf sie zu, die zu einer ihrer Patientinnen nicht wirklich durchdringen konnte. Eames fälschte die siebenjährige Tochter einer Immobilienmaklerin, die aufgrund ihrer Arbeitswütigkeit sowohl den Kontakt zu ihren Eltern aus auch ihren Ehemann verloren hatte. Ihr Kind war ihr einziger Halt und so fügte sie sich im Traum sofort, als Eames in Form der kleinen Angela auf sie zugelaufen kam.
 

„Das war fast zu leicht!“, meinte Cobb ungläubig und beobachtete den Whiskey in seinem Glas mit einem Grinsen auf dem Gesicht. „Erst erleben wir einen verpatzten Job nach dem anderen, und dann-“ „Und dann das.“ Mr. Eames grinste. Er wedelte mit einem Scheck hin und her. „Ist 'ne Weile her, dass ich mir mein Geld mal ehrlich verdient habe.“

Die Patientin war so dankbar und die Therapeutin so begeistert von ihrer Vorgehensweise gewesen, dass sie sogar bereit war, Cobbs Team an ihre Kollegen weiterzuempfehlen. Glücklicherweise war sie der Überzeugung, dass die Arbeit mit Träumen Zukunft hatte.

Arthur beobachtete wie hypnotisiert, wie Eames den Scheck wieder zurück in seine Tasche beförderte. Es war nichts, was sie finanziell sehr weit brachte. Extraction auf legalem Wege auszuführen, mit dem Einverständnis des Subjektes, war nicht nur selten wirklich erfolgreich, es brachte außerdem nicht wirklich viel Geld ein. Arthur hatte nicht vor, sein Leben lang der Handlanger eines Psychodoktors zu bleiben, dennoch war es für sie alle eine große Chance und für das Erste eine Absicherung, sich weiter mit der Thematik des gemeinsamen Träumens beschäftigen zu können und nicht irgendwann arbeitslos zu sein, oder schlimmer noch, zurück zur Army gehen zu müssen.

„Du hast wirklich großartige Arbeit geleistet“, lobte Cobb Eames zum vermutlich hundertsten Mal. Der Brite ahmte einen leichten Knicks nach – so weit ihm das sitzend möglich war – und grinste selbstüberzeugt. Arthur schüttelte den Kopf, allerdings hatte Cobb recht damit. Nicht nur hatte er die Gestalt des Kindes perfekt einnehmen können, er hatte auch das Verhalten von Kindern intensiv studiert und sehr glaubhaft darstellen können. Und so war es auch bei ihren anderen, noch so kleinen Jobs gewesen. Eames hatte sich immer größte Mühe gegeben, so ertraglos ein Job auch ausgesehen hatte. Nach den vielen Verwandlungen war es fast schon ungewohnt, ihn einmal in seiner wahren Gestalt zu sehen.Vielleicht war Arthur deshalb so fixiert auf den Briten. Sein Glas in Gedanken langsam schwenkend stierte er ihn nahezu an. Vielleicht brauchte er aber auch nur einen fixen Punkt, auf den er sich konzentrieren konnte, damit er nach all dem Alkohol nicht schielte.

Als Eames sich irgendwann beobachtet fühlte, prostete er Arthur lachend zu. „Das alles haben wir natürlich nur unserem Artie zu verdanken. Schließlich war es seine Idee.“ Cobb stimmte lachend zu und leerte sein Glas in einem Zug. Arthur knirschte mit den Zähnen. „Mein Name ist nicht Artie“, meinte er knurrend, wurde dann aber von der ausgelassenen Stimmung angesteckt und musste ebenfalls lachen.
 

Cobb machte irgendwann einen äußerst betrunkenen Eindruck. Eames war schon seit einer Weile verschwunden, doch er hatte darauf bestanden noch etwas zu bleiben. Er kicherte und bekam deutliche Probleme mit der Aussprache, was Arthur, der irgendwann aufgehört hatte weiterzutrinken, ziemlich nervte. Allerdings gönnte er seinem Freund die Ausgelassenheit auch. Nach all den Pleiten und verpatzten Jobs tat ihm diese sicherlich sehr gut. Außerdem würde er die Quittung dafür morgen früh bekommen, was Arthur mit einer ungesunden Menge Schadenfreude erfüllte.

Er beschloss gegen 2 Uhr, dass es für sie beide am besten war nach Hause zu gehen. Er bestellte die Rechnung und staunte nicht schlecht, als er auch Eames' Getränke darauf erblickte.

Ihm blieb nichts anderes übrig als auch diese zu bezahlen, doch er schwor sich, das Geld schon am nächsten Tag vom Briten zurückzufordern.

„Wie kann man 20 Pfund versaufen?“, knurrte er, während er Cobb beim Laufen stützte. „Das sind 30 Dollar!“

Cobb lachte, hielt seinen Blick aber gesenkt und konzentrierte sich darauf, auf dem Fußweg zu bleiben. „Ich glaube nicht, dass ihn interessiert, wie viele Dollar er zahlen müsste“, japste er. Arthur verdrehte die Augen. „Tut es sicher nicht. Es interessiert ihn ja offensichtlich nicht einmal, wie viele Pfund er zahlen muss.“ „Er wird es dir schon zurückgeben.“ „Sollte er auch, ich will nicht für die nächsten zwei Tage nochmal extra zur Bank gehen müssen, um Geld zu wechseln.“

Cobb antwortete nicht sofort, sondern nahm sich Zeit, um sich lautstark zu räuspern. Zumindest klang sein Laut wie irgendetwas dieser Art. Arthur fiel es durch Cobbs Wanken schwer, selbst die Balance zu halten. Nach außen mussten sie aussehen wie zwei Saufkumpanen, die ohne den jeweils anderen als Stütze gar nicht mehr vom Fleck kämen.

Da sich Cobb so etwas vorher aber noch nie geleistet hatte, tat Arthur ihm diesen Gefallen gern. Wie gesagt, die Quittung dafür würde er auch ohne Arthurs Zutun bekommen, und das schon relativ bald.
 

„Wir können auch schon abreisen“, meinte Cobb mit einem Mal beiläufig und riss Arthur damit aus seinen Gedanken. „Was meinst du?“ Cobb blieb stehen, bewegte sich dabei aber unablässig, Arthurs Meinung nach sogar noch mehr als zuvor.

„Wir haben den Rückflug erst in zwei Tagen gebucht, weil ich dachte“, er machte eine ausschweifende Geste, deren Bedeutung Arthur nicht wirklich einleuchtete, „dass wir viel länger für den Job brauchen.“ Arthur nickte langsam. „Kann ich dir nicht verübeln“, meinte er.

„Wir können den Flug gern umbuchen und statt übermorgen Abend auch morgen früh fliegen.“ Er dachte kurz darüber nach, schüttelte dann aber überzeugt den Kopf. „Du glaubst doch nicht tatsächlich, dass ich dich morgen früh aus deinem Hotelzimmer bekomme. Ich habe nicht vor, dich zum Flughafen zu tragen.“ Cobb verzog das Gesicht. Da Arthur der Sache aber nicht ganz abgeneigt war und wirklich gern früher in den Staaten sein wollte, schlug er vor: „Wir können allerdings gern einen oder zwei Flüge früher abreisen. Bis abends zu warten erscheint mir auch ziemlich unsinnig.“

Cobb zeigte sich einverstanden. „Okay“, meinte er und lachte, und Arthur nahm sich vor, es ihm morgen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Nur für alle Fälle.

„Also“, wechselte Cobb das Thema so schnell, wie er das vorherige angeschnitten hatte, „was hältst du von ihm?“ Arthur blinzelte verwirrt und wusste nichts zu antworten, bis Cobb ergänzte, dass er von Eames sprach.

„Oh“, machte Arthur, dann zuckte er die Schultern. „Er ist sehr eigen. Seinen Job macht er ausgesprochen gut, aber freiwillig würde ich mich nicht mit ihm abgeben.“ Zur Betonung seiner letzte Aussage schüttelte er mit arrogantem Grinsen den Kopf.

„Ihr müsst erst noch miteinander warm werden. Glaub mir, ich habe am Anfang genauso reagiert. Okay, nicht ganz so. Aber begeistert war ich auch nicht.“ Arthur antwortete nicht darauf. Wenn sie in zwei Tagen aus London verschwinden würden, gab es keine Möglichkeit und auch gar keinen Grund mehr dafür, mit Eames „warmzuwerden“.

Dieses Mal war es an ihm, das Thema zu wechseln. „Also“, begann er und lächelte, „Mallorie und du seid wieder Eltern geworden? Langsam musst du sie mir wirklich mal vorstellen!“
 

Tag 41

„Wo ist Dom?“, fragte Eames, als er Arthur allein in der Lobby antraf. Er sah ausgeschlafen und überraschend frisch aus für jemanden, der die Nacht zuvor ganz schön tief ins Glas geschaut hatte.

„Der muss sich die Nacht noch einmal durch den Kopf gehen lassen“, meinte er mit einem schadenfrohen Grinsen, das von seinem Gegenüber sofort erwidert wurde. „Ich verstehe. Also werde ich ihn heute wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen, hm?“ „Unwahrscheinlich.“

Arthur beobachtete, wie Eames ungeniert in die kleine Schüssel mit den Erdnüssen griff, die bereits weiß Gott wie lange hier an der Rezeption stand, und an der sich schon weiß Gott wie viele Menschen zu schaffen gemacht hatten.

„Wir“, brachte Arthur leicht zögernd hervor und konnte seinen Ekel nur schwer verbergen, „werden übrigens bereits morgen Mittag abreisen.“ Eames hob die Brauen. „Oh?“, machte er, nickte dann aber. „Ich hatte eigentlich gehofft, noch ein bisschen mit Dom über die alten Zeiten quatschen zu können.“ Er zuckte die Schultern. „Dann muss ich eben mit dir Vorlieb nehmen.“

Es war nicht einfach, höflich zu bleiben, wenn der Gesprächspartner selbst die Personifizierung der Ungehaltenheit war. Zähneknirschend rang Arthur sich zu einem Lächeln durch. „Tut mir leid“, sagte er betont sarkastisch. Doch Eames schien das nicht wirklich wahrzunehmen „Macht ja nichts“, sagte er und klopfte Arthur auf die Schulter. Er bedeutete Arthur mit einem Kopfnicken, ihm zu der breiten Ledercouch zu folgen, auf der zu seiner Überraschung noch niemand saß. Als er Platz genommen hatte, begann Eames bereits wieder zu sprechen.

„Hey, Dom hat mir erzählt, dass du damals auch bei der Army warst. Wie kommt's, dass wir uns nie gesehen haben?“

Arthurs Antwort kam prompt und emotionslos. „Architektur und Szenarioentwicklung“, meinte er und Eames' Grinsen erstarb jäh.

Cobb und Eames waren damals als Testobjekte in Träume gegangen, um einerseits das Töten und Quälen zu lernen, um aber andererseits auch selbst Opfer dieser Missetaten zu werden. Die Leute im Bereich Architektur und Szenarioentwicklung dienten der Armee, um Räume, Orte und Situationen zu schaffen, in denen Personen wie Eames und Cobb gequält werden konnten, und das auf immer wieder neue und innovative Art und Weise. Man mochte meinen, dass es den Gequälten in diesem Fall weitaus schlimmer ergangen war als den Entwicklern. Um sich ihrer Arbeit und eventuellen Fehlern aber bewusst zu werden, mussten sie mit in die Träume, um sich ein klares Bild zu schaffen. Und die Bilder, die Arthur in dieser Zeit zu sehen bekommen hatte, hatten sich unwiderruflich in sein Hirn gefressen und würden ihn wohl für den Rest seines Lebens verfolgen.

„Hey“, kam es von Eames, der mit seiner ruhigen aber durchdringenden Stimme zerfetzte, was sich gerade wieder vor Arthurs geistigen Auge aufbauen wollte. Er sah auf und sah das Gesicht des Briten zum ersten Mal ernst. Auch wenn der Unterschied zwischen seinem und Arthurs ernsten Gesicht noch immer Welten trennte, beruhigte es Arthur, dass Eames ihm in dieser Situation den Respekt entgegenbrachte, den er verdiente.

Eames hob einen Arm und legte ihn um Arthurs Schulter, was ihn nicht nur überraschte, sondern auch ziemlich verwirrte. Hilflos erstarrte er und ließ Eames aussehen, als würde er sich an einer Marmorbüste abstützen. „Wie wär's, wenn ich dich auf einen Kaffee einlade und wir ein bisschen quatschen. Über unwichtiges Zeug, versteht sich.“ Arthur kniff die Augen zusammen, deutlich demonstrierend, dass er den Wink nicht verstanden hatte. Dann aber schaltete er. Eames wollte nicht den Eindruck erwecken, über die Zeit in der Army reden zu wollen. Arthur atmete tief durch, dann nickte er. „Sie schulden mir sowieso noch 30 Dollar.“
 

Tag 42

Überraschenderweise hatte Eames sich kurz vor ihrer Abreise ebenfalls im Flughafen eingefunden. Arthur war gerade damit beschäftigt, seine Hose von Tierhaaren zu befreien, die der arrogante Pudel seiner Sitznachbarin großzügig auf dieser verteilt hatte, als Cobb ihn entdeckte.

„Eames!“, rief er freudig aus und zog sowohl Arthurs Aufmerksamkeit als auch die des Briten auf sich. Arthur war überrascht, dass Eames sich zum zweiten Mal in Folge zu einer solchen Uhrzeit aufgerafft hatte. Laut seiner eigenen Aussage war er schließlich nicht der Typ für frühes Aufstehen, wenn es nicht unbedingt notwendig war.

Eames grinste und nahm seinen alten Freund in den Arm. „Ich wollte euch nicht gehen lassen, ohne euch noch einmal in den Genuss meiner Anwesenheit zu bringen.“ Er klopfte Cobb auf die Schulter. „Wir werden uns ja schließlich wieder eine ganze Weile nicht sehen, hm?“ Dom nickte. „Schätze schon.“

Weitaus höflicher als den Tag zuvor wandte er sich dann auch Arthur zu. „Schade, dass wir nicht mehr Zeit hatten, uns kennenzulernen“, teilte er ihm mit und Arthur war über die Aufrichtigkeit in seiner Stimme verblüfft. Er war gewillt, einen zynischen Kommentar zurückzugeben, so etwas wie „Sie hätten die Hälfte der Zeit, in der sie mich aufgezogen oder beleidigt haben, ja mit dem Kennenlernen verbringen können, dann wüssten sie mittlerweile alles von mir.“ Allerdings war Eames ihm seit dem gestrigen Nachmittag sympathisch genug, damit hinter dem Berg zu halten. „Ja“, entgegnete er stattdessen und lächelte unsicher. Eames klopfte fast schon nervös gegen seine braune Lederjacke, so als wollte er sichergehen, dass sie in ihrer Position blieb. „Wenn du weiter mit Cobb zusammenarbeitest, läuft man sich ja vielleicht noch einmal über den Weg.“ Wieder nickte Arthur.
 

„Das ist unserer“, teilte Cobb nach einer kaum verständlichen Durchsage mit. Er bedeutete Arthur mit einem Kopfnicken, sich zu erheben. Dann wandte er sich Eames noch einmal zu. „Also, mein Freund.“ Er grinste unbeholfen, dann deutete er noch einmal eine halbe Umarmung an. „Wir sehen uns.“ Eames lächelte. „Wehe nicht. Ich weiß, wo du wohnst.“ Cobb lachte und wandte sich dann Arthur zu. „Ich verstaue schonmal das Gepäck.“ Der Schwarzhaarige nickte. Er griff nach seinem Koffer und trat dann unsicher an Eames heran. Er wollte sich selbstverständlich auch noch einmal von dem Briten verabschieden, hatte aber überhaupt keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Für eine Umarmung kannten sie sich nicht gut genug, außerdem wäre Arthur eine solche auch äußerst unangenehm gewesen.

Bevor er an seinem sozialen Unwissen allerdings zerbrechen konnte, begann Eames zu sprechen. „Ich habe noch etwas für dich.“ Überrascht hob Arthur die Brauen. „Wirklich?“, fragte er, ratlos, was dieses Etwas denn sein konnte. Eames nickte und befingerte wieder seine Lederjacke, bevor er mit einer Hand darin verschwand und etwas hervorzog. Es war ein Buch. Sein Umschlag war gelb-bräunlich verfärbt und die Seiten schimmerten beinahe orange. Es schien schon einige Jahre herumgelegen zu haben. Arthur nahm es entgegen und drehte es, bis er den Titel lesen konnte. „Das Haus Der Verschwundenen Jahre?“, entkam es ihm deutlich überrascht. Er sah Eames an, der nur die Schultern zuckte. „Du hast es erwähnt, als wir in der Bar waren.“ Arthur erinnerte sich, konnte allerdings nur schwer glauben, dass Eames das ebenfalls tat, immerhin war der ziemlich betrunken gewesen.

Eames fuhr fort. „Meine Großmutter hat mir nach ihrem Tod einen riesigen Haufen an Büchern vermacht. Ich kann nicht viel damit anfangen, darum stauben sie bei mir nur ein. Und als du es erwähnt hast, konnte ich mich dunkel erinnern, dass ich so eins bei mir rumliegen haben müsste.“ Arthur wendete das Buch in seinen Händen, als hätte er soeben ein Spielzeug geschenkt bekommen, von dem er nicht wusste, wo er es einschalten sollte. „Ist die Erstausgabe. Ich kenne mich bei Büchern nicht aus, aber das ist was Gutes, oder?“ Arthur konnte sein Lächeln nicht verbergen. „Ja, das ist es.“ Er sah vom Buch zu Eames und von Eames zurück auf das Buch. „Wow, ich- Danke.“ „Keine Ursache.“

Arthurs Flug wurde noch einmal ausgerufen, was für ihn bedeutete, dass er sich nun wirklich verabschieden musste. Er deutete mit dem Buch auf Eames. „Danke nochmal. Ich-“ Er zögerte kurz. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“ Er hasste solche Floskeln, und eigentlich gefiel es ihm nicht, dass er das ausgerechnet zu einem so selbstverliebten Menschen wie Eames sagte. Doch dessen Geschenk hatte ihn so aus der Bahn geworfen, dass er es in diesem Moment sogar wirklich ernst damit meinte.

Eames nickte und hob die Hand zum Abschied. „Bleib einfach in Doms Nähe, dann sollte das kein Problem sein.“ Er demonstrierte ihm noch ein letztes Mal seine Zahnfehlstellung, dann wandten sich beide in unterschiedliche Richtungen um und machten sich auf ihren jeweiligen Weg.
 

Die Bitte sich zu setzen und anzuschnallen ertönte, als Arthur gerade damit fertig war, seine Taschen zu verstauen. Er schloss die Klappe des Gepäckfaches, das Buch von Eames behielt er in der Hand. Er hatte zwar noch einige Schecks zu unterschreiben, was er nur zu gern im Flugzeug erledigte, allerdings erschien ihm die Option noch einmal in seine Jugend einzutauchen und dieses Buch zu lesen viel sympathischer. Er ließ sich in den Sitz neben Cobb fallen und schnallte sich an. Dann schlug er das Buch auf und sog den Geruch von altem Papier und Druckertinte in sich auf, als gäbe es nichts besseres im Leben.

Er sah den Aufdruck „Erstausgabe“ und musste schmunzeln. Es war schade, dass Eames so etwas tolles nicht zu würdigen wusste, andererseits freute er sich aber, dass es so wenigstens nicht bei einem Kunstbanausen verrotten musste.

Ihm fiel noch etwas anderes auf der ersten Seite auf. Es war ein kurzer Text, handgeschrieben. „Falls du nicht so lange warten kannst ;)“, stand dort, darunter eine Reihe von Ziffern, offenbar eine Telefonnummer, und eine Unterschrift. Mit etwas Mühe erkannte Arthur, dass dort der Name Eames zu lesen war. Da er nicht annahm, dass Großmutter Eames mit Emoticons vertraut war, folgerte er, dass diese Nachricht von dem Briten selbst dort hineingekritzelt worden war. Sollte sie etwa ihm gelten? Er hatte Eames im Flughafen gesagt, dass er hoffte, ihn wiederzusehen. Aber wie um Himmels Willen hätte er das vorhersehen sollen?

Verwirrt starrte er eine Weile auf die Zeilen, ohne sich auch nur im geringsten zu bewegen, offenbar lange genug, dass Cobb darauf aufmerksam wurde. Der überflog den kurzen Text und blickte dann zu Arthur, bevor er sich entschied, dass ein amüsiertes Kopfschütteln die beste Reaktion auf diesen Fund war.
 

Tag 80

Arthur betrat das Haus der Cobbs und die Schönheit Mallories umhüllte ihn sofort wie eine warme Sommerbrise. Sie war sehr schlank und modisch gekleidet; Sie trug ein beiges Kleid, das bis zu ihren Knien reichte, farblich dazu passende Riemenschühchen und ein kleines Barett, das ihm nur zu deutlich machte, aus welchem Land sie stammte. Ihr braunes Haar trug sie kurz, wodurch sie sehr jung wirkte, beinahe jünger als Arthur.

Als sie ihn entdeckte, begannen ihre unglaublich großen Augen zu strahlen. Schnell kam sie auf ihn zu und begrüßte ihn mit einer herzlichen Umarmung. Arthur sog den wohligen Duft von Pfirsichen in sich auf.

„Hallo, du musst Arthur sein“, säuselte sie und er erwischte sich dabei, wie er sich über ihre perfektes Englisch wunderte. Er erinnerte sich daran, dass sie in Paris zweisprachig studierte. Er nickte und lächelte breit. „Schön, dich endlich kennenzulernen.“ Sie nickte und wandte sich aufgeregt zu Cobb um. Arthur wunderte sich etwas, denn auch Cobb wirkte irgendwie angespannt. „Was- Was ist denn los?“, wollte er mit schiefgelegtem Kopf von seinem Freund wissen. Als dieser an ihn herantrat, grinste er aber. „Mal und die Kinder ziehen nach Amerika“, teilte er ihm mit und Mallorie hüpfte vor Freude auf und ab. Arthur musste nun ebenfalls grinsen. „Großartig!“ Er zog Cobb in eine kurze Umarmung und auch Mallorie nahm er erneut in den Arm. „Und wann ist es soweit?“

Mallorie schmunzelte. „In zwei Monaten. Die Kinder packen schon. Sie sind sehr aufgeregt.“
 

Nach dem üppigen Essen bot Mallorie ihnen an, schnell eine Flasche Wein aus dem Geschäft an der Ecke zu besorgen. Als sie die Wohnung verlassen hatte, trat Arthur an Cobb heran, der gerade damit beschäftigt war, die Fotografien auf dem Kaminsims zu betrachten. Sie zeigten Dom, Mallorie und die Kinder.

„Was sagen ihre Eltern dazu?“, wollte er wissen und Cobb wusste sofort, was er meinte. Er schüttelte den Kopf. „Du kannst es dir ja denken. Miles hätte uns lieber in Frankreich, aber er kommt zurecht.“ „Und ihre Mutter?“ Ein bitteres Lächeln huschte über seine Lippen. „Marie hätte Mal ebenfalls am liebsten in Frankreich. Allerdings ganz ohne mich.“ „Nach vier Jahren Ehe und zwei Kindern hat sie sich immer noch nicht mit dir abgefunden?“ Wieder ein Kopfschütteln. „Nicht im geringsten. Sie glaubt, ich handele Mal nur Ärger ein und dass sie mit mir in Gefahr ist. Wegen des Jobs, wegen der Entfernung... Sie traut den Staaten nicht. Und noch weniger traut sie mir.“ Arthur seufzte. Mal war mit der Reise in die Träume anderer groß geworden. Er wusste, dass Cobb diesen Beruf erst durch ihren Vater erlernt und sie dadurch auch erst kennengelernt hatte, und fand die Haltung ihrer Mutter deshalb äußerst fragwürdig. Allerdings wusste er auch, dass sie Mals Vater seit ihrer Scheidung genau so sehr verabscheute wie Cobb. Vermutlich erinnerte er sie einfach zu sehr an Miles.
 

„Wo wir gerade von Sympathie sprechen“, riss Dom ihn aus seinen Gedanken, „ich denke, wir werden bald wieder mit Eames zusammenarbeiten.“ Arthur brauchte einen Moment, um diese Information zu verarbeiten. „Wie findest du das?“ Cobb sah ihn fragend an, ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen. „Wie soll ich das schon finden?“, entgegenete er gelangweilt, doch Arthur überlegte. Wie fand er das? Der Mann wusste, was er tat. Doch Arthur konnte ihn nicht durchschauen. Die Nummer hatte er nie gewählt.

Hinter ihm gab es ein Geräusch, und als er herumfuhr, sah er Mal, die gerade wieder zur Tür hineinkam, in der Hand eine Flasche Wein. Lächelnd hielt sie diese in die Höhe, und Arthur wurde es warm. Es schien, als würde sie leuchten. Er erwiderte ihr Lächeln.

 

Tag 101

„Ich habe einen größeren Job angenommen“, verkündete Cobb ohne Umschweife. Arthur sah interessiert von seinem Salat auf. „Gut“, erwiderte er. Er hatte sich zugegebenermaßen ziemlich gelangweilt, so ganz ohne Aufgabe. „Worum geht es?“

Cobb erzählte ihm von einem Militärprojekt. Arthur wurde schlecht. „Ich wollte eigentlich nicht mehr mit dem Militär zusammenarbeiten“, erinnerte er seinen Freund mit belegter Stimme. Dieser nickte. „Ich weiß, ich weiß. Aber dieses Mal geht es ja genau in die andere Richtung.“ Er lächelte. „Wir sollen einem General das Quälen austreiben.“ Arthur wäre die Kinnlade heruntergeklappt, wenn das nicht unprofessionell gewirkt hätte. „Wirklich?“, fragte er ungläubig und Cobb nickte wieder, während sein Lächeln zu einem breiten Grinsen wurde. „Ich dachte mir, dass dir das gefällt.“
 

Tag 111

„Es passiert schon nichts, keine Angst.“ Arthur schnaubte. „Ich habe keine Angst um Sie, Eames. Solange Sie sich nicht um die Stelle eines Mathematikprofessors bewerben.“

Eames hob überrascht die Brauen. Er öffnete den Mund, um zu kontern, blieb aber erfolglos. Er lachte. „Wow, Artie. Du bist ja richtig schlagfertig.“ Ohne, dass Arthur es verhindern konnte, beugte er sich zu ihm hinunter, bis seine Lippen keinen Zentimeter mehr von Arthurs Ohr entfernt waren. „Wie aufregend“, raunte er und der Schwarzhaarige bekam eine Gänsehaut.

 

Tag 480

„Ach, Arthur, wegen des Kusses“, sagte Eames und wandte sich noch einmal halb zu ihm um, „keine Sorge.“

Arthur hatte das Gefühl zu vibrieren. Die Genugtuung von vorhin war viel zu schnell abgeflacht. Jetzt fühlte er sich leer und irgendwie... enttäuscht. Er hob die Brauen. „Keine Sorge?“, wiederholte er heiser. Dann legte er den Kopf leicht schief und versuchte mit letzter Kraft, eine skeptische Miene aufzuelegen. „Warum um alles in der Welt sollte ich mir Sorgen um dich machen, Eames? Hast du vor, an einem Buchstabierwettbewerb teilzunehmen?“

Eames hob überrascht die Brauen. Er starrte ihn lange an, dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab und verließ die Lagerhalle. Arthur bekam eine Gänsehaut.
 

Tag 124 (Traum)

„Shh“, kam es von Eames' weiblicher Version, und er hob den rot lackierten Finger an die vollen Lippen. „Hast du das gehört?“ Arthur lauschte, dann schüttelte er den Kopf. „Was soll ich gehö-“ „Shh!“, wurde er erneut unterbrochen, „da kommt jemand.“ Arthur wollte erneut etwas entgegnen, da schob Eames nun aber ihm den Finger vor die Lippen. Sein schlanker Frauenkörper beugte sich vor, um um die Ecke lugen zu können. Und so schnell, wie er das getan hatte, war er auch schon wieder zurück. Seine geschminkten Augen waren vor Adrenalin weit aufgerissen, die riesigen Pupillen verdeckten beinahe seine gesamte Iris.

Arthur stieß Eames' Hand weg. „Wer ist da?“, flüsterte er so leise wie möglich. Wieder wandte Eames sich um, und dieses Mal konnte auch Arthur etwas hören. Es waren Schritte. Langsame Schritte, so als wäre jemand auf Patrouille. Wenn sie nur leise genug waren und keine Aufmerksamkeit erregten, würde die Person vermutlich einfach an ihnen vorbeilaufen. Als Eames sich Arthur wieder zuwandte, sah der aber gar nicht so aus, als wäre das eine einfache Patrouille. Er sah höchst alarmiert aus, blickte Arthur an, als hätten sie einen elementaren Fehler gemacht. Arthur spürte, wie sein Herz zu hämmern begann. „Was?“, zischte er, nun noch leiser. „Eames, was-“

„Erstens“, unterbrach Eames ihn und rückte ihm förmlich auf den Leib; Er spürte den schlanken Körper des verwandelten Briten direkt an seinem, ihre Gesichter trennte kein Zentimeter mehr. „Erstens“, wiederholte Eames, „ist mein Name Natalya. Und zweitens: Verhalte dich ganz natürlich.“

Noch ehe Arthur fragen konnte, was er damit nun schon wieder meinte, spürte er weiche, volle Lippen auf den eigenen, und die Schritte im Hintergrund wurden lauter und schneller...
 

Tag 125

Als Eames das Versteck betrat, konnte Arthur ihm nicht einmal in die Augen schauen. Der Brite schlenderte in aller Seelenruhe an den Tisch und setzte sich. Lächelnd blickte er in ein Gesicht nach dem anderen. Als er allerdings nichts als verzogene Mienen und neutrale Blicke erntete, seufzte er. „Kommt schon, Leute. Dann wissen wir es wenigstens für das nächste Mal.“ Cobb warf Arthur einen vernichtenden Blick zu. Es war seine Schuld, dass das passiert war. Ihm hätte auffallen müssen, dass dieser General verdammt nochmal darauf trainiert worden war, sich gegen solche Vorgriffe zu verteidigen. Arhur verfluchte sich und seine Unkonzentriertheit. Er war noch nie zuvor so unbedacht an eine Recherche herangegangen.

Er schwor sich bei seinem Leben, dass ihm so ein Fehler nie wieder unterlaufen würde.

 

Tag 500 (Traum)

Es war wieder passiert. Arthur konnte es nicht glauben. Er hatte sich geschworen, nie wieder so unkonzentriert zu sein, dass er bei der Recherche etwas übersah. Doch genau das war passiert. Und wieder war es die Tatsache, dass das Subjekt darin geschult worden war, sein Unterbewusstsein zu verteidigen. Saito war angeschossen worden. Er hatte das gesamte Team gefährdet. Ihm rauschten die Ohren. Nebenbei bekam er mit, dass Eames mit seiner Waffe fuchtelte und Cobb auf ihn losging. Nur langsam kam er in das Gespräch zurück. „Limbus“, hörte er Cobb nur sagen, doch er schaltete schnell. Er hatte alles vermasselt.
 

Tag 125

Als alle weg waren, trat Arthur an Eames heran. „Sie-“ er stockte. Nach allem, was passiert war, hatte er nicht mehr das Gefühl, ihn siezen zu müssen. Der Brite hatte es ihm zwar zuvor schon unzählige Male „verboten“, doch nun sah Arthur darin auch wirklich keinen Sinn mehr. „Du hast nicht vor, über gestern zu reden, hm?“ Eames sah auf. „Wie?“, fragte er verblüfft. Er kratzte sich den Kopf. „Was soll ich dazu noch sagen? Hör' mal, wenn du drauf stehst, dass man dir die Schuld für alles gibt, dann mach' ich das natürlich gern für dich, aber ich denke, Dom ist schon wütend genug für zwei.“ Arthur hob eine Braue. „Das... Das meinte ich nicht.“ „Nicht?“ „Nein. Eames, du weißt genau, was ich meine.“ Er erwartete ein breites Grinsen, blickte aber in vollkommen ratlose Augen. Nun lass es mich doch nicht noch aussprechen, flehte Arthur innerlich. Er seufzte. „Der- Der Kuss.“ Es dauerte einige Sekunden, bis Eames den Mund öffnete und stumm ein „Ah!“ mit den Lippen formte. Dann wandelte sich sein Blick wieder in Ratlosigkeit. „Worüber willst du da reden?“

Arthur zuckte zurück, als müsste er einem Schlag ausweichen. „Worüber ich reden will?“, fragte er fassungslos. „Wie wäre es mit dem Warum? Über das Warum will ich reden! Warum hast du mich geküsst?“ Eames zuckte die Schultern. „Ich wollte von uns ablenken.“ Wieder hatte Arthur das Bedürfnis, einem nicht vorhandenen Schlag auszuweichen. Er kniff die Augen zusammen. „Das hat ja nicht wirklich funktioniert“, kommentierte er. „Nein, aber einen Versuch war's wert.“

„Etwas Besseres ist dir nicht eingefallen, um von uns abzulenken?“ Wieder zuckte Eames die Schultern. „Nein.“ Nach einer kurzen Pause zeigte er dann endlich das Grinsen, das Arthur schon so viel früher erwartet hatte. „Zumindest nichts, das mir so viel Spaß gemacht hätte.“
 

Tag 500 (Traum)

„Idiot“, murmelte Arthur, als Eames im Frauenkörper grinsend an ihnen vorbeistakste, offenbar war er mit Fischer fertig. Ariadne sah ihn fragend an. „Wie?“ Er winkte ab. „Schon gut.“ Sie nickte und sah sich um, als ihr auffiel, dass sie beobachtet wurden. Arthur versuchte ihr die Lage zu erklären, schweifte mit dem Blick trotz Professionalität aber immer wieder zum nun blonden und überaus schlanken Eames. Er erinnerte sich an ihren Auftrag, bei dem der Brite diese Figur schon einmal verwendet hatte. An den Kuss, seit dem Arthur nicht mehr klar denken konnte.

Eames' weibliche Gestalt wurde von einem Mann in Anzug angesprochen. Arthur formte die Augen zu Schlitzen. Blitzschnell reagierte er. „Schnell, geben Sie mir einen Kuss“, flüsterte er Ariadne zu, die dieser Bitte erstaunlicherweise sofort nachkam. „Sie schauen uns immernoch an“, flüsterte sie danach zurück. Arthur zuckte die Schultern, weil er nicht recht wusste, was sie meinte. „Ja, aber den Versuch war's wert“, wiederholte, was auch Eames damals gesagt hatte.

Mit einem letzten Blick zum Briten, der das Ganze hoffentlich gesehen hatte, erhob er sich und forderte Ariadne auf ihm zu folgen.

 

 

Tag 126

„Also“, Eames lehnte an der alten Theke im Lager, „es ist Zeit, auf Wiedersehen zu sagen.“ Arthur, der seit zwei Tagen keinen klaren Gedanken fassen konnte, starrte bereits eine ganze Weile an die Wand. Er antwortete mit einem halbherzigen „Mhh“.

„Wow. Liebevoll.“ Der Brite stieß sich ab und umrundete den Tisch, an dem Arthur saß, bis er ihm gegenüber stand. „Was beschäftigt dich?“ Arthur blickte zu Eames auf, blieb erst an einem Fleck auf dessen Hemdkragen hängen, ehe er ihm in die Augen sehen konnte. Ohne es kontrollieren zu können, wanderte sein Blick zu Eames' Lippen. Sie sahen so ganz anders aus als die, die ihn geküsst hatten, waren viel rauer und tatsächlich größer als die von der Figur Natalya. Er fragte sich, ob sie sich genau so anfühlen würden, ob es Natalya oder doch Eames war, den er gespürt hatte. Ob-

„Du könntest mich anrufen, weißt du?“, sagte Eames ruhig. Die Lippen seines Gegenübers zierte ein schelmisches Lächeln, so als hätte er die Gedanken in seinem Kopf gerade laut ausgesprochen. Arthur errötete. Schnell suchte er wieder Augenkontakt, als hätte er die ganze Zeit nichts anderes getan, doch Eames' neugieriger Blick zwang ihn, beschämt beiseite zu schauen. „Was?“, entkam es ihm leiser, als er wollte. Er schloss die Augen, wütend auf sich selbst. Er zwang sich, sich zusammenzureißen. „Warum sollte ich das tun?“, sprach er nun deutlich lauter und selbstbewusster aus. Erneut schaute er Eames in die Augen, und dieses Mal hielt er dem Blick des anderen stand.

Eames schien sich auf das Innere seiner Wange zu beißen, offenbar überlegt er, was er antworten sollte. „Nun,“ begann er. Er legte den Kopf schief. „Damit wir uns wiedersehen können. Damit wir- weitermachen können, wo wir aufgehört haben.“

Es gab zwei Dinge, die Arthur auf den Tod nicht abkonnte. Das eine war, wenn er für weniger gehalten wurde, als er war. Das andere, und das ging vermutlich damit einher, war, wenn jemand glaubte, die Kontrolle über ihn zu haben. Eames' unsicheres Auftreten kaufte er ihm keine Sekunde ab. Er spielte mit ihm, glaubte, dass er ihm verfallen war, nur wegen eines dummen Kusses. Eines echt guten Kusses. Eines prickelnden Kuss-

„Nein.“

„Nein?“ Eames blickte irritiert drein. „Denkst du, dass du meine Nummer nicht hast? Die habe ich nämlich in das Buch-“ „Das weiß ich.“ Arthur stand auf. Blickte Eames bestimmt in die Augen. Er zwang sich, nirgends sonst hinzuschauen, die Kontrolle zu behalten.

„Trotzdem, nein.“ Er ließ noch einige Sekunden verstreichen, sog die überforderte, verletzte Miene des Briten ein, ehe er an ihm vorbei schritt und sich auf dem Weg aus dem Lager machte.

 

Tag 129

Aus irgendeinem Gund hatte er das Buch in der Hand. Nicht nur das, er hatte es aufgeschlagen, auf der Seite, auf der Eames seine Nummer eingeschrieben hatte. Intensiv studierte er die Buchstaben, die Zahlen. Fuhr mit dem Daumen über das Papier, dass durch den starken Aufdruck des Stiftes eingedrückt war. Betrachtete die kindliche Handschrift und die Deutlichkeit der Buchstaben, als hätte Eames sich sehr viel Mühe mit dem Text gegeben, obwohl er wirklich simpel war. Seufzend griff er nach seinem Telefon, wiegte es in seiner Hand, als müsste er das Gewicht abschätzen. Mit dem Hörer in der einen und seinem Lieblingsbuch aus der Kindheit in der anderen Hand überlegte er, was er tun sollte. Was er überhaupt tun wollte.

Ihn beschlich das Gefühl, wenn er jetzt nicht anrief, würde er etwas verpassen. Würde er eine Chance vorbeiziehen lassen, die er nicht noch einmal bekäme. Er kannte so ein Gefühl kaum. Es war eine Art innerer Unruhe, Neugierde. Arthur hatte so etwas noch nie empfunden, außer beim Lesen dieses Buches in seiner Kindheit. Als er es gefunden hatte, im Schrank seiner Mutter, und so viel wie möglich darin las, immer wenn er die Möglichkeit dazu bekommen hatte. Er erinnerte sich an das Kribbeln, wenn er sich wieder zum Schrank schlich, um zu erfahren, wie es weiterging.

Dieses hier hatte er nie lesen können. Im Flugzeug damals, nachdem er es von Eames bekommen hatte, hatte er die ersten paar Seiten gelesen, doch er konnte sich einfach nicht darauf konzentrieren. Viel zu sehr hing er mit den Gedanken den vergangenen Tagen nach, und der Telefonnummer.

„Was soll's“, sagte er, obwohl niemand außer ihm da war. Mit einer unbehänden Bewegung versuchte er, während er das Buch hielt, die Nummer in das Tastenfeld einzugeben, dabei allerdings fiel ihm dieses aus der Hand. Dumpf fiel es auf den Boden, wobei mehrere Seiten auf dem Boden geknickt wurden. „Scheiße“, entwich es Arthur. Als er es wieder aufheben wollte, fiel etwas heraus. Mehrere gelbe Zettel schwebten leise raschelnd zu Boden. Verblüfft hob Arthur einen davon auf. Er hatte sie nie bemerkt. Er drehte den Zettel um und sah, dass ein Kind offenbar das Alphabet geübt hatte. Doch wer? Das Buch war aus den Neunzigern. Eames selber wirkte nicht, als hätte er das Buch vor dem Antritt seines Erbes je in der Hand gehalten. Er hob einen weiteren Zettel auf. Darauf standen ganze Worte. „Hilfe“ stand einige Male darauf, genau wie „Hoffentlich“. Und irgendwelche Ziffern. Er hob weitere Zettel auf, teilweise waren ganze Sätze zu lesen. Und wieder Ziffern. Arthur kniff die Augen zusammen und versuchte, sich auf diese zu konzentrieren. Plötzlich wurde ihm klar, dass es keine einfachen Ziffern waren, sondern Daten. Und diese lagen noch gar nicht so lange zurück, ein paar Monate nur. Tatsächlich fiel das Datum, das er gerade betrachtete, in den Zeitraum, in dem Arthur mit Dom in England war, um Eames zu treffen. Er wühlte sich durch die anderen Zettel, sie alle waren mit einem Datum dieses Zeitraums versehen. Verwirrt nahm Arthur das Buch wieder zur Hand und blätterte zum Anfang. Er hielt einen Zettel neben den Text von Eames, und erkannte eine verblüffende Ähnlichkeit.

„Er- Er kann nicht schreiben“, entkam ihm die Erkenntnis.
 

Tag 267

Sie hatten sich alle einige Wochen nicht gesehen. Ein Mitglied ihres Teams hatte sich ausgeklinkt, offenbar hatte sie irgendwo jemanden kennengelernt und von den illegalen Aktivitäten erst einmal die Nase voll gehabt. Ein weiteres Mitglied, Mitch, würden sie so schnell wohl auch nicht wiedersehen, denn laut Zeitung und Fernsehen befand er sich wegen diversen Kleinkriminaltitäten und exzessivem Drogenmissbrauchs hinter Gittern. Arthur mochte Mitch, doch er betrauerte das Anlernen neuer Kollegen mehr als sein Fehlen in der Gruppe. Neue Mitarbeiter bedeuteten immer Stress.

Von eben jenem erholte Arthur sich gerade. Nach ihrem letzten Job war er in London geblieben und hatte sich eine kleine Ferienwohnung direkt neben dem Hyde Park gemietet, während Cobb und Mal zurück in die Staaten geflogen waren. Sie hatten zur Zeit wohl Schwierigkeiten, sich von etwas zu erholen, von dem Arthur nur wenig wusste. Heute war ihr fünfter Hochzeitstag und Arthur hoffte für die Beiden, dass sie irgendwie abschalten konnten. Er wusste, dass sie bereits Abend haben mussten, während er noch in der Nachmittagssonne des Hyde Parks lag und Goethe las.

„Oh man, dir muss wirklich mal einer zeigen, wie man sich anständig die Zeit vertreibt.“ Arthur machte sich nicht die Mühe hinter sich zu schauen, als er Eames' Stimme vernahm. „Mir ist klar, dass du mit einem Buch nicht wirklich viel anfangen kannst“, erwiderte er, „dennoch gibt es Leute, die Spaß am Lesen haben. Es soll sogar einige Verrückte geben, die sich noch über die Zeitschrift hinaus mit dem geschriebenen Wort auseinandersetzen.“ Eames tat Arthurs arroganten Kommentar mit einem Schulterzucken ab. „Alles Spießer, wenn du mich fragst.“ „Ich frage dich aber nicht.“ Er klappte sein Buch zu. „Eames, warum bist du hier?“

Eames lief um Arthur herum, bis er direkt vor ihm stand. Lachend blickte er zu ihm herab „Hey, du bist hier der Ausländer. Ich lebe hier, falls du dich erinnerst. Wenn überhaupt sollte ich dich fragen,was du hier tust.“ Arthur zuckte die Schultern. „Ich mache hier Urlaub. Eigentlich bedeutet das, dass man seine Kollegen NICHT sieht. Wir machen da also definitiv etwas falsch.“ Eames lachte wieder. „Du machst Urlaub? Klar doch, Darling. Und dass du genau neben meinem Appartement Urlaub machst, ist natürlich reiner Zufall, hm?“

Arthur biss sich auf die Unterlippe. Das konnte doch nicht wahr sein! „Ja, ist es“, gab er todernst zurück, doch Eames schüttelte den Kopf. „Ich glaub' dir kein Wort, Artie.“ Arthurs Augen formten sich zu Schlitzen. „Du bildest dir doch nicht tatsächlich ein, dass-“

Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment wurde er vom schrillen Klingeln seines Telefons unterbrochen. Mit einem genervten Stöhnen, von dem er nicht wusste, ob es Eames oder dem Gerät galt, zog er es unbehände aus seiner Hosentasche. Nach einem kurzen Blick aufs Display ging er ran. „Cobb, was gibt’s? Ich dachte, ihr feiert Hochzeits-?“
 

Als er auflegte, grinste Eames ihn an. „Muss ja ein toller Hochzeitstag sein, wenn Cobb Zeit findet, mit dir zu telefonieren.“ Arthur erhob sich zittrig, und als er nach vorn stolperte und mit leerem Blick durch Eames hindurchstarrte, verlor sich dessen Grinsen sofort wieder und er hob besorgt die Brauen. „Was?“, fragte er. „Was ist passiert?“

Das Telefon rutschte Arthur aus der Hand und schlug dumpf auf dem Rasen auf. Beinahe zeitgleich wurden Arthurs Knie so weich, dass er zu Boden sackte. Zu spät griff Eames nach ihm, konnte ihn nur noch hochhieven und ihn fest an seinen eigenen Körper drücken. „Scheiße“, fluchte er mit deutlicher Panik in der Stimme, „was ist passiert? Verdammt, Arthur, was ist los?“

Arthur brauchte einige Sekunden, bis ihm der Name „Mal“ beinahe tonlos über die Lippen kam. Gleichzeitig begannen ihm heiße Tränen über die Wangen zu laufen. Er heulte. Verdammt, er heulte vor Eames. Der Brite wankte etwas nach hinten. Nicht, weil Arthur sich so kräftig gegen ihn drückte, sondern weil er genau wusste, was los war. „Scheiße“, murmelte er.
 

Tag 267

Eames bugsierte Arthur den Flur entlang. An einem Tag, der so nie zuvor dagewesen war. Arthur, der nie zuvor vor ihm geheult hatte. Mal, die nie zuvor tot gewesen war.

Eames' starke Arme umschlangen Arthurs schlanken Körper fest, weniger, um ihm Halt zu geben, sondern vielmehr, um sich selbst an etwas festzuhalten. Irgendetwas Reelles zu haben, an dem er sich orientieren konnte.

Auch über sein Gesicht liefen mittlerweile Tränen. Arthur jaulte und stolperte in Eames' Wohnung, schubste den Anderen verzweifelt vor sich her, bis dieser rücklings zu Boden fiel und den Schwarzhaarigen mit sich riss.

Wie zwei Fische ohne Wasser zappelten sie und wälzten sich am Boden, verkrampften vor körperlichen und seelischen Schmerzen. Sie mussten in diesem Moment ein furchtbar lächerliches Bild abgeben.

Zittrig griff Arthur in seine Hosentasche und holte seinen gezinkten Würfel hervor, der ihm aber sofort aus den Händen glitt. Er kam zum Liegen und zeigte zwei Augen. Er griff hastig nach dem roten Utensil und warf es mehrere Male, immer wieder die Zwei zu Gesicht bekommend. Von der Wahrheit erschlagen ignorierte Arthur, dass er Eames damit sein Totem preisgegeben hatte.

Er vergrub das Gesicht stumm in den Händen und wand sich, als wäre seine Haut am gesamten Körper verbrannt. Als er die Hände kurz wegnahm, um etwas Sauerstoff zu bekommen, sah er, wie Eames seinen Pokerchip rieb und drückte und es offensichtlich nicht wahrhaben konnte, dass er nachgab und plötzlich zwei dünne Chips daraus wurden, die sich voneinander entfernten. Er ließ sie los und sofort zog eine Art Magnetismus, von der Arthur vorher nichts gewusst hatte, sie wieder zusammen und ließ sie wieder wie einen einzelnen Pokerchip aussehen.

„Eames“, zog Arthur dessen Aufmerksamkeit dann mit erstickter Stimme auf sich. Der Angesprochene sah ihn an und wirkte um Jahrzehnte gealtert, seine Haut war bleicher als die Arthurs und mit Falten übersät, seine Augen waren rot und verquollen und nass. Der entsetzte Blick des Briten verriet ihm, dass es um ihn selbst nicht anders stand. Eames setzte sich halb auf und rutschte mit ungelenken Bewegungen auf ihn zu, streckte einen Arm nach ihm aus und strich ihm überfordert über die Schulter. Arthur schloss seine Augen bei der Berührung. „Sie hat sich umgebracht, Eames“, flüsterte er, vom Schreien und Weinen bereits heiser. „Cobb hat mich angerufen und gesagt, sie hat sich um- Wieso tut sie so etwas?“
 

Tag 267

Eames hatte offenbar keinen blassen Schimmer, was er darauf erwidern sollte.

Wankend erhob er sich und taumelte zu seinem Kühlschrank, den er öffnete, um eine Wodkaflasche hervorzuholen. Er hob sie hoch, sodass Arthur sie sehen konnte. Der Schwarzhaarige musterte die Flasche für einige Sekunden, dann ließ er die Schultern sinken und murmelte: „Ich trinke keinen Wodka, Eames.“ „Umso besser.“ Er machte sich nicht die Mühe, zwei Gläser zu holen und wankte zurück, ließ sich neben Arthur wortwörtlich zu Boden fallen und drückte ihm die Flasche gegen den Oberkörper.

Arthur wischte sich mit dem Oberarm über das Gesicht, griff nach der Flasche und schraubte sie schnaufend auf. „Sehr erwachsen“, meinte er schwach, „wenn das deine Art der Problembewältigung ist.“ „Ist es“, antwortete Eames. Arthur unterdrückte erneute Tränen und nahm einen großzügigen Schluck aus der Flasche. Panisch riss er die Augen auf, als die Flüssigkeit seine Kehle erreicht, setzte ab und schleuderte Eames die Flasche entgegen, der sie nicht rechtzeitig zu fassen bekam und als Konsequenz Alkohol auf seine Jacke geschüttet bekam. „Scheiße!“, fluchte er zeitgleich mit Arthur. Dieser fügte allerdings noch „Ich hasse Wodka!“ hinzu.
 

Tag 268

„Kann ich dich wirklich gehen lassen?“, fragte Eames leise und blickte den Hausflur hinunter, als würde er erwarten, dort jemanden vorzufinden. Arthur nickte langsam. Geistesabwesend starrte er auf das Klingelschild neben der Tür. „W. Eames“, las er, wieder und wieder, ohne es wirklich zu registrieren. „Hey“, meinte Eames, nun etwas lauter. Arthur sah auf. Die blaugrauen Augen des Briten waren noch immer glasig, dennoch blickten sie ihn aufmerksam und durchdringend an. „Kann ich dich wirklich gehen lassen?“
 

Tag 267

Über Menschen, die ihre Gefühle in Alkohol ertränkten, hatte Arthur bisher nur gespottet. Als er nun allerdings selbst in der Situation war, in der der brennende Schmerz in der Brust durch ein betäubendes Rauschen im gesamten Körper ersetzt wurde, das ihm das Gefühl gab, sich auf seichtem Wellengang zu befinden, konnte er sich keinen einfacheren und besseren Weg dafür vorstellen. Die Folgen, die dieser Abend haben würde, und dass die Trauer zwar verdrängt, aber nicht verschwunden war, blendete er vollkommen aus. Wichtiger war, dass es ihm besser ging, und dass das Bild von Mal langsam aber sicher in einem Ozean von Wodka versank.

Er versuchte aufzustehen und krallte sich dabei mit einer Hand in Eames' Jacke und mit der anderen in die hinter ihm befindliche Couch. Ungelenk verlagerte er sein Gewicht auf die Beine und drückte die Knie durch, kam allerdings viel zu schnell ins Wanken und rutschte erfolglos wieder zu Boden – das Ganze mit lautem Schnaufen kommentierend. Eames kicherte dümmlich, während ihm noch immer Tränen über das Gesicht liefen.

„Schnauze“, lallte Arthur und zog eine Grimasse, die jedem traurigen Clown Konkurrenz machen konnte. Er versuchte erneut aufzustehen, fand sich kurioserweise aber auf dem Rücken wieder. Für einen kurzen Moment konnte er schwören, dass der Deckenventilator aussah wie Mal.

Eames wischte sich über das Gesicht, blinzelte ein paar Mal, und entschied dann, auch Arthur über das Gesicht zu wischen. Der versuchte den Briten mit wildem Armgefuchtel zu vertreiben, wirkte damit aber in die entgegengesetzte Richtung. Tatsächlich kippte Eames deswegen nämlich vornüber und erdrückte Arthur beinahe mit seinem Gewicht.

Arthur war nicht unbedingt schwach, doch einen Kraftprotz wie Eames auf sich liegen zu haben schnürte ihm geradewegs die Luft ab. Schmerzen empfand er keine, er wusste aber nicht, ob das wirklich an Eames oder an der Wunderwaffe Wodka lag.

„Geh runter von mir“, presste er hervor, während er das Gefühl hatte, eine eiserne Decke würde sich über ihn legen. Sie war schwer, zu schwer, doch da war noch etwas. Die Decke, die eigentlich Eames war, strahlte eine unglaubliche Wärme aus. Wärme, die ihm Arthur nicht zugetraut hätte, nach allem, was passiert war. Wärme, die Arthur nicht erwartet hätte. Wärme, die Arthur noch nie dringender gebraucht hatte. Nur halb in dem Wissen, was er da tat, zwängte er die Arme unter Eames' Körper hervor und schlang sie um dessen breite Schultern.

„Arthur?“, vibrierte es dumpf gegen seinen Brustkorb. Eames versuchte sich zu erheben, wenigstens soweit, dass sie sich in die Augen schauen konnten. Dann warf er dem Schwarzhaarigen einen fragenden Blick zu. „Was soll-“, begann er, doch Arthur schüttelte nur den Kopf. Er wollte nicht reden. Er wollte nichts erklären. Er wollte nur diese Wärme, er wollte Eames' Wärme. Er wollte... Er wollte Eames.

Nicht so, hallte es in seinem Kopf. Nicht so, wie Eames immer behauptet. Nicht so. Nur, weil...

Weil Mal gerade gestorben war, darum.

Er griff nach Eames' Kragen und zog diesen zu sich herunter. „Nicht so“, murmelte er leise. Ein letztes Mal blickte er in die roten und verquollenen und nassen Augen, dann zerrte er Eames in den wohl verzweifeltesten Kuss, den die Welt je gesehen hatte.
 

Er schien Eames furchtbar überrumpelt zu haben. Der Brite fiel wortwörtlich in den Kuss, seine Zähne schlugen lautstark gegen Arthurs, was diesem leider bewies, dass er doch noch Schmerz empfand und der Wodka ihn nicht vollends betäubt hatte. Mehrmals stießen sie mit den Köpfen gegeneinander, ihre Nasen kamen sich ins Gehege und allgemein war das nicht gerade das, was man unter einem leidenschaftlichen Kuss verstand. Doch Leidenschaft spielte hier auch gar keine Rolle.

Arthur schloss die Augen, durch den Rausch begann sich alles zu drehen. Eames' Wärme schien von allen Seiten zu ihm zu dringen, er spürte Hände, die ihn überall berührten, nach ihm griffen und an seiner Kleidung zerrten.

 

Tag 268

Arthur fühlte sich, als würde jemand geradewegs in seine Seele schauen. Er wandt den Blick von Eames ab. Er öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, schloss ihn dann aber wieder, ohne dies getan zu haben. Er nickte erneut, um Eames' Frage zu beantworten. „Hmm“, machte er dann, vergeblich bemüht, besagter Antwort mehr Ausdruck zu verleihen. Eames seufzte. „Na gut.“ Seine Stimme klang ruhig, verständnisvoll. Ganz im Gegenteil zum vorherigen Tag. Vorsichtig legte er eine Hand an Arthurs Hüfte und zog ihn noch einmal zu sich. Er küsste Arthur, ebenfalls ganz anders als gestern. Zu erst einmal waren sie nicht mehr betrunken. Dieses Mal verletzte sich auch niemand, ihre Bewegungen liefen weicher, aufeinander abgestimmt ab. Und für einen kurzen Moment konnte Arthur etwas in sich aufkommen spüren, das am Vortag vollkommen gefehlt hatte...

Leidenschaft.

Leidenschaft?

Verblüfft hob Arthur die Brauen, als er sich von ihm löste.

Eames' Gesicht zeigte keinerlei Emotion, doch er war sich sicher, dass er es gespürt hatte. Arthur versuchte die Kontrolle über seine Gesichtszüge zu behalten, wurde aber sichtlich panisch. Er wollte nicht, dass Eames sich einbildete, dass er dass hier wollte, weil er- weil er verliebt war. Gewiss nicht!

Nun fühlte Eames sich wohl etwas zu offensichtlich angestarrt, denn er kratzte sich verlegen den Kopf und sah wieder den Flur hinunter. „Also dann“, meinte er, noch immer mit sehr ruhiger und vom Weinen und Schreien geschundener Stimme. Arthur nickte nur stumm.
 

Tag 450

Selbstverständlich traf er das erste Mal auf Eames, als er gerade vollkommen allein war. Cobb war mit Ariadne bei Miles, als die Türen der Lagerhallen aufschwangen und Schritte zu hören waren, erst sehr schnell und laut, dann etwas langsamer, zögerlicher, bis sie schließlich komplett verhallten. Arthur schloss kurz die Augen, ehe er sich umwandte. Unzufrieden stellte er fest, dass sein Herz wie wild raste. „Hallo, Eames“, meinte er und gab sich Mühe, ihn nicht sofort neugierig zu mustern, sondern sachlich und mit einem höflichen Lächeln auf ihn zuzugehen.

Der Brite war braungebrannt, die Sonne Mombasas schien ihm gut bekommen zu sein.

„Artie“, entgegnete er grinsend, und machte sich im Gegensatz zu Arthur keine Mühe, irgendeine Art von Höflichkeit zu zeigen. Mit den Händen in den Hüften ließ er den Blick von Arthurs Haar bis zu seinen Schuhen schweifen, einmal, zweimal. Dann hob er die Brauen und nickte anerkennend. „Gut siehst du aus. Hast endlich ein paar Muskeln bekommen, hm?“ Arthur verwarf sein Vorhaben und rollte die Augen.

 

Tag 479

Irgendwie waren sie dann doch ins Plaudern gekommen. Die Sticheleien hier und da waren zwar teilweise anstrengend, doch irgendwie schaffte der Brite es, damit die Stimmung zu lockern. Eames hatte an die Decke gestarrt und ihn ganz unbefangen gefragt, was er ursprünglich einmal werden wollte.

"Ursprünglich?" Arthur drehte den Kopf und er sah den Briten nicken. "Bevor du in das alles hier hineingezogen wurdest. Bevor die Army dein Leben versaut und deine Seele geschunden hat." Arthur musste sich bei diesen deutlichen Worten auf die Zunge beißen. Unweigerlich tauchten wieder Bilder vor ihm auf, von denen er schon zu oft versucht hatte, sie für immer zu begraben. "Warum bist du ursprünglich zur Army gegangen, was wolltest du machen?" Arthur schluckte und blinzelte einige Male, bis die Bilder langsam verschwanden und Eames wieder vor ihm auftauchte. Er fixierte ihn, um ja nicht wieder abzuschweifen.

"Ich wollte Architekt werden", gab Arthur zurück und er sah, wie Eames' Brauen in die Höhe schossen. "Nicht in der Army", erklärte er sich deshalb, "da war ich wegen meines Vaters. Er war selbst jahrelang in der Army gewesen und-" Arthur stockte. Nun wandte Eames den Blick von der Decke ab, um Arthur sehen zu können. "Und was?", wollte er wissen, seine Stimme war noch immer furchtbar ruhig. Arthur seufzte kaum hörbar. "Er hat mich in die Abteilung Architektur und Szenarioentwicklung geschleust, obwohl ich vorerst nicht deren Erwartungen entsprochen hatte. Er dachte mir damit einen Gefallen zu tun." Eames verzog das Gesicht. "Ich mache ihm keinen Vorwurf, versteh' mich da nicht falsch. Er wollte mir nur zeigen, dass er meinen Wunsch Architekt zu werden akzeptiert. Er konnte ja nicht ahnen-" "Weiß er es denn heute?" Arthur deutete ein leichtes Kopfschütteln an. "Das könnte ich ihm nicht sagen." Er spürte, wie es ihm die Kehle zuschnürte. "Ich wollte Boxer werden", sprach Eames plötzlich von sich, doch Arthur wusste, dass es kein Zeichen von Unhöflichkeit war. Er hatte verstanden, dass Arthur nicht mehr von sich preisgeben konnte, wollte und würde, und hatte deshalb das Thema gewechselt. Arthur war ihm sehr dankbar dafür. "Boxer", wiederholte er mit dem letzten Bisschen Stimme, das er zutage befördern konnte. Eames nickte lachend.

"Hat meiner Mutter das Herz gebrochen", erinnerte er sich. Arthur lächelte. „Ist das überhaupt ein richtiger Beruf? Verdient man da denn Geld?" Arthur musste lachen, Eames mochte noch so ein guter Gestaltwandler sein, im Stimmenverstellen war er grauenhaft.

„Aber wieso ausgerechnet Boxer?“ Arthurs Blick wanderte unauffällig zu Eames' von Muskeln definierten Schultern, ehe er ihm schnell wieder in die Augen sah. Eames' Grinsen verriet ihm, dass er nicht schnell genug gewesen war.

„Ich war früher im Verein“, erklärte der Brite sich aber, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren. „Das war allerdings eher Zufall, meine Schwester musste mich einmal babysitten, weil meine Eltern auf Geschäftsreise waren. Und sie hatte dort angefangen, um irgendeinem schmierigen Typen zu imponieren“. Arthur lachte. Eames klang ziemlich eifersüchtig.

Er hat eine Schwester, hallte es in seinem Kopf. In seiner Vorstellung war der Brite bisher ein verwöhntes Einzelkind gewesen, dessen Lieblingsbeschäftigungen aus dem Betrachten des eigenen Spiegelbildes und dem Herumschubsen des Kindermädchens bestanden hatten.

„Einer der Trainer hatte zu der Zeit selbst einen Sohn in meinem Alter, der schon einiges auf dem Kasten hatte. Während Karen also mit Mister Schmalzlocke geflirtet hat, hat er hat mir einige Tricks und Kniffe beigebracht.“ Eames grinste. „Hat deine Mutter es irgendwann akzeptiert?“ Der Brite schüttelte den Kopf. „Irgendwann hat sie es einfach ignoriert. Hat sich vorgemacht, dass ich Polizist werden würde. Billy, hat sie gesagt, aus dir wird irgendwann mal ein Hüter des Gesetzes.“ Er kicherte dümmlich. „Wie falsch sie damit lag.“

Arthur horchte auf. „Billy?“, wiederholte er überrascht. „Billy wie die Kurzform von William?“ Eames nickte nur und beschäftigte sich weiter mit seinen Aufzeichnungen.

„Dein Vorname ist William“, betonte er erneut, als wäre es gerade besonders notwendig, dies zu besprechen. Eames hob eine Braue. „Und dein Vorname ist Arthur“, entgegnete er unbeeindruckt. „Ist das ein Spiel? Hab' ich jetzt gewonnen?“

Arthur schüttelte den Kopf. „Dein Vorname ist William und du machst dich über meinen altmodischen Namen lustig?“ Eames sah auf und starrte Arthur ratlos an. Seufzend erklärte dieser sich. „Damals in London, als Cobb uns vorgestellt hat. Du weißt schon, in meinem Alter so ein Name. Warum nicht gleich Mortimer.“ Eames brauchte einige Sekunden, ehe er verstand. Er grinste. „Du erinnerst dich daran noch?“ Arthur zuckte die Schultern. „Selbstverständlich.“ Eames' Grinsen wurde noch breiter. „Weil... mich das damals sehr genervt hat. Und du mich dann Artie genannt hast“, versuchte Arthur einzulenken, als er verstand, was er da angerichtet hatte. „Schon klar.“ Eames zuckte kurz mit den Augenbrauen, ehe er sich mit einem selbstgefälligen Kopfschütteln wieder seinen Aufzeichnungen widmete. Verdammt, dachte Arthur.

 

Später stellte Eames dem Team vor, welchen Gedanken sie Fischer einpflanzen wollten. Er wollte die Beziehung von ihm und seinem Vater verändern, und dabei würde Robert Fischer Jr., wenn er aufwachte, keinen Schaden davon tragen. Im Gegenteil, er hätte endlich das Gefühl, dass sein Vater ihn liebte. Arthur musste zugeben, dass dieser Gedankengang ehrenhaft, und noch dazu wiklich intelligent war. „Eames, ich bin beeindruckt“, fasste er zusammen, was er dachte. Der Brite grinste, schüttelte dabei aber den Kopf. „Deine Herablassung weiß ich wie immer sehr zu schätzen, Arthur. Danke.“ Auch Arthur musste grinsen. Vielleicht konnten sie ja doch auf einer Ebene miteinander umgehen. Und vielleicht, aber nur vielleicht, konnte Arthur sich eingestehen, was die ganze Zeit irgendwo tief in ihm schlummerte.

 

Tag 480

„Fischer wird sich in einer Bar des Hotels wiederfinden.“ Arthur deutete mit einer ausschweifenden Bewegung über ein kleines Szenario, das er mit Ariadne zusammen erstellt hatte. Ihr „Publikum“, bestehend aus Yusuf, Eames und Cobb, hörte ihnen aufmerksam zu. „Sie heißt Bar Valfierno“, fügte Arthur hinzu. Er beobachtete die Reaktionen der Anderen, besonders die von Eames. Eduardo de Valfierno hatte 1911 den Diebstahl der Mona Lisa aus dem Louvre in Paris arrangiert und durchgeführt. Außerdem hatte er das Gemälde mehrmals fälschen lassen. Vom Meisterfälscher Eames hatte Arthur deshalb erwartet, dass er bei diesem Namen besonders die Ohren spitzen würde. Doch wie auch bei Yusuf und Cobb blieb Eames' Gesichtsausdruck unverändert; ein leichtes Lächeln ruhte auf seinen Lippen und er warf Arthur einen abwartenden Blick zu, offenbar in dem Glauben, dass er jeden Moment weitersprechen würde. Arthur ließ die Schultern sinken.
 

Nach der Vorstellung gab Cobb allen eine kurze Pause. Diese nutzte Arthur, um an ein paar Skizzen zu feilen. Er hatte sich neben dem Kühlschrank an eine Theke gelehnt und tippte gerade rhythmisch mit dem Bleistift gegen diese, als Eames in die Küche trat.

„Valfierno also, hm?“ Überrascht sah Arthur von seinen Notizen auf. „Hm?“, machte er perplex. „Was meinst du?“ Eames zuckte mit den Augenbrauen, als befände er sich in einer Disco und wäre dabei ein Mädchen aufzureißen. Das Ganze als dumme Zeitverschwendung abtuend widmete Arthur sich wieder seiner Arbeit.

„Ich weiß, wer das ist“, teilte Eames ihm mit. Arthur zuckte nur mit den Schultern. „Herzlichen Glückwunsch.“ Dann aber wurde er stutzig. Erneut sah er auf. „Warum hast du dann nicht reagiert, als ich euch vorhin die Bar gezeigt habe?“

Eames blieb stehen und sah Arthur an, als hätte der ihm gerade vorgeschlagen, von nun an nur noch auf seinen Händen zu laufen.. „Was? Vor all den Anderen?“, fragte er mit deutlicher Überraschung in der Stimme. „Wieso denn nicht?“ Arthur versuchte aus der Reaktion seines Gegenüber schlau zu werden. „Was wäre daran denn so schlimm gewesen? Er hat ein Meisterwerk gefälscht, das ist doch genau deine Abteilung.“

Eames schien mit dieser Antwort nicht zufrieden zu sein. „Meine Abteilung“, wiederholte er leise und hob die Brauen. Arthur schloss aus seiner Haltung, dass er heute nicht mehr dazu kommen würde, vernünftige Aufzeichnungen zu machen, darum klappte er sein Notizbuch zu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist los?“, wollte er von Eames wissen. Der grinste nun, was Arthur vollständig den Faden des Gesprächs verlieren ließ.

„Wie bist du auf den Namen gekommen?“ Arthur verstand nicht. „Wieso ausgerechnet Valfierno?“, versuchte Eames es erneut, sein Grinsen beibehaltend, ganz so, als würde er die Antwort auf seine eigene Frage bereits kennen. Arthur dachte nach. „Naja, ich-“ Er zuckte die Schultern. „Ich sag' dir, wieso.“ Eames lief um die Theke herum, die den Weg zwischen ihm und Arthur blockiert hatte. Er deutete mit einem Finger auf den Schwarzhaarigen. „Aus dem gleichen Grund, aus dem du wieder und wieder Gemälde von britischen Nachkriegsmalern für deine Szenarien nutzt. Cobb hat mir davon erzählt. Du kannst nicht aufhören an mich zu denken.“ Sein Grinsen wurde noch viel breiter, Arthur bildete sich sogar ein, dass er triumphierend die Nase in die Höhe hob. Er beobachtete den Briten irritiert, bis dessen Worte ihn wirklich erreichten. Du kannst nicht aufhören an mich zu denken.

„WAS?“, presste er geschockt hervor und konnte seine Ungläubigkeit nicht verbergen. „Wie- Wie kommst du darauf? Was hat das mit dir zu tun?“

Eames' Gesichtsausdruck blieb der gleiche. „Ach, komm schon, Artie.“ Er kam noch ein paar Schritte auf den Schwarzhaarigen zu. Arthur blieb vorerst stehen, er hatte schließlich keine Angst vor Eames. Als dieser ihm dann aber wirklich ziemlich nahe kam, so nahe, dass jegliche Begrifflichkeit der Intimzone den Raum für immer verlassen hatte, schritt er unsicher rückwärts.

Eames hielt dies aber nicht auf, er folgte seinem Gegenüber mit jedem Schritt, bis dieser mit dem Rücken hart gegen den Kühlschrank stieß. Schmerzerfüllt verzog Arthur das Gesicht, nur eine Sekunde darauf entgleisten ihm seine Gesichtszüge aber bereits wieder, da Eames' Grinsen direkt vor ihm auftauchte. Er spürte den Atem des Briten auf seinen Lippen, während er in blaue Augen starrte, die in dem schwachen Licht beinahe sturmgrau anmuteten. Angespannt ballte er die Hände zu Fäusten. „Was soll das, Eames?“, wollte er wissen und fragte sich, warum er plötzlich flüsterte. Der Kehle des Briten entkam ein raues Glucksen.

„Du warst unter tausenden und abertausenden Aufzeichnungen vergraben und hast dir eine glaubhafte Kulisse für ein Hotel ausgedacht, als dir der Gedanke einer Bar kam, hm?“ Eames flüsterte zwar nicht, doch seine Stimme war nun ebenfalls viel ruhiger, viel tiefer. „Doch irgendwie ist dir eine bestimmte Person einfach nicht aus dem Kopf gegangen.“ Arthur starrte weiter in die Augen seines Gegenübers, die amüsiert zurückstarrten. „So ein Fälscher, der einfach viel zu gut in dem ist, was er tut. Und noch dazu sieht er so verdammt gut aus.“ Arthur hätte lachen wollen, wenn diese Situation nicht so unglaublich beklemmend gewesen wäre. „Eames, du-“, begann er, wurde jedoch jäh unterbrochen. Er spürte etwas an seinem Mund und schielte nach unten. Eames hatte ihm seinen Zeigefinger vor die Lippen geschoben. Unweigerlich tauchten die Bilder von ihrem gemeinsamen Ausflug in die Gedanken des Generals vor Arthurs geistigem Auge auf. Doch das hier war anders. Zuallererst einmal war dies hier kein Traum, Eames war keine Frau, sondern stand in seiner tatsächlichen Form vor ihm, und in Gefahr befanden sie sich auch nicht.

„Deine Gedanken an mich bist du einfach nicht losgeworden, und irgendwann sind sie sogar in deine Arbeit eingeflossen.“ Eames sah kurz zur Seite. „Du kannst froh sein, dass ich so intelligent bin und weiß, wer Valfierno ist. Sonst hätte ich deine Schwärmerei gar nicht bemerkt!“

Arthur hob eine Hand und griff nach der von Eames, die er ihm an den Mund gelegt hatte, um sich von ihr zu befreien. Sobald er ihn aber berührt hatte, wendete Eames das Blatt und fixierte Arthurs Hand mit seiner am Kühlschrank. Den Abstand zwischen ihren Gesichtern verringerte er dann auf ein Minimum – auch wenn Arthur geglaubt hatte, dass das bereits geschehen war.

„Eames“, begann er erneut, und dieses Mal wurde er nicht unterbrochen. „Hör' auf, dir Dinge einzureden.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich wusste ja, dass du eingebildet bist. Aber so viel Ego hätte ich selbst dir nicht zugetraut.“ Er versuchte so herablassend wie möglich zu klingen, doch Eames schien das nicht im geringsten zu interessieren.

„Komm schon“, raunte er nur. Seine freie Hand kam in Arthurs Sichtfeld, ehe sie wieder verschwand und er spürte, wie sie sich an den oberen Knöpfen seines Hemdes zu schaffen machte. Panisch riss er die Augen auf. „Eames!“, zischte er. Der Brite aber fuhr unbeirrt vor. „Sag mir, dass ich recht habe.“ Er öffnete lediglich die ersten beiden Knöpfe und zerrte den Stoff etwas beiseite. Arthur spürte, wie er seine warme Hand auf seine Haut legte und sie langsam zu wandern begann. Seine Nackenhaare stellten sich zur Armee auf, und seine Haut kribbelte, als würde er in kochendem Wasser sitzen. Eames' Finger strichen langsam über seine linke Brust, bis sie plötzlich abrupt innehielten. „Ah“, machte Eames, und erneut schlich sich das laszive Grinsen auf seine Lippen. „Da haben wir sie ja, die Wahrheit.“ Arthur blinzelte irritiert. „Was?“ „Die Wahrheit.“ Eames lachte, dann vergrub er sein Gesicht in Arthurs Halsbeuge. Arthur biss sich auf die Unterlippe, als er Eames warmen Atem spürte. Seine Worte drangen nur noch gedämpft an Arthurs Ohr. „Wenn du es schon nicht zugeben willst, dann tut es wenigstens dein Herz. Und der junge Sportsfreund hier hämmert wie ein Presslufthammer.“

Arthur öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch im nächsten Moment spürte er heiße Lippen, die seine zum Schweigen brachten.
 

Eames hatte recht gehabt, Arthurs Herz hatte sich nicht gerade in feiner Zurückhaltung geübt. Nun konnte er es auch selbst spüren. Fast schmerzhaft hämmerte es gegen seine Rippen, und Arthur war sich sicher, dass es jeden Moment aus seiner Brust springen und Eames ernsthaft verletzen würde. Wenn er das nicht selbst vorher getan hätte.

Der arrogante Mistsack kicherte in den Kuss. Sein gesamtes Gewicht stemmte Arthur gegen den Kühlschrank und gab ihm keine Möglichkeit der Situation zu entkommen. Arthur war ihm völlig ausgeliefert. Während Eames seine Lipppen, seinen Hals und auch sonst jeden Zentimeter seines Körpers mit Küssen versorgte, kehrten in Arthur die Erinnerungen wieder. Erinnerungen an ihren ersten Kuss, im Traum des Generals. An ihren zweiten Kuss, als die Nachricht von Mals Tod über ihnen hereingebrochen war. An ihren dritten, vierten, fünften, und sechshundertsten Kuss, als sie nicht erwachsen genug gewesen waren, mit Mals Tod umzugehen. An ihren sechshundertundersten Kuss, der etwas mehr bedeutet hatte als die anderen. Mehr als nur „zum Glück warst du da“. Mit jedem dieser Küsse hatte Arthur sich ein Stückchen mehr fallen lassen. Und jetzt, bei ihrem sechshunderundzweiten Kuss, wusste er, dass er ein weiteres Mal nicht einfach gehen konnte.
 

Arthur hatte das Gefühl, vollkommen die Kontrolle verloren zu haben. Und wenn Arthur etwas nicht händeln konnte, dann war es Kontrollverlust. Und seine Reaktion darauf sah immer gleich aus: Erst wurde er unsicher, dann wurde er wütend. Und dann wurde er wirklich, wirklich wütend.

„Du liegst falsch“, zischte er böse, was Eames in seiner Tätigkeit innehalten und aufsehen ließ. Seine fragender Blick machte Arthur nur zu deutlich, dass er gerade unaufmerksam genug war, um sich von ihm zu befreien. Mit aller Kraft, die er gegen den Kühlschrank gepresst aufbrinegn konnte, stemmte er sich gegen Eames und drückte diesen von sich. Dass dieser überrumpelt nach hinten stolperte, reichte ihm aber noch nicht. Blind vor Wut drückte er ihn nun seinerseits gegen die hinter ihm liegende Wand. Eames' Augen waren weit aufgerissen, es sah beinahe so aus, als hätte er Angst vor Arthur.
 

„Du-“, knurrte Arthur. Er unterdrückte das Bedürfnis, dem Briten einfach eine reinzuhauen. „Du bildest dir ein, dass du-“ Eames öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Arthur ließ ihm keine Chance. „KEIN. WORT.“ Er war so furchtbar wütend, dass ihm schwindelig wurde. Beinahe vergaß er sogar, worum es ihm überhaupt ging. „Du stolzierst hier rum, als wärst du der Mittelpunkt der Erde.“ Er drückte die Hände gegen Eames' Brustkorb, um ihn noch weiter gegen die Wand zu drängen. Allerdings konnte er das Gefühl nicht ertragen, ihn zu berühren, weshalb er stattdessen fahrig nach dem Kragen des Briten griff, so fest, dass er ihm fast die Luft abschnürte. „Bilde dir bloß nicht ein, dass du mich in der Hand hättest. Ich bin nicht... Nicht...“ Mit Entsetzen musste Arthur feststellen, dass Eames' Blick sich milderte und seine Mundwinkel zu einem Grinsen verkamen. „Wahnsinnig verliebt in mich?“, fragte er mit der selben selbstgefälligen Art wie immer. Arthur sah rot. Er zog den Briten zu sich heran, um ihn kurz darauf mit aller Macht gegen die Wand zu schubsen, dann hob er die zur Faust geballte Hand. Eames riss überrascht die Brauen hoch. Arthur holte aus und-

„Kommt mal alle her“, drang Cobbs Stimme an Arthurs Ohr, „Ariadne will uns etwas zeigen.“ Er hörte Schritte und kurz darauf Stimmen, die durcheinander redeten. „Wo ist Mr. Eames?“, wollte Saito wissen, und kurz darauf wurde auch nach ihm gefragt.

Arthur ließ die Hand sinken. Er kochte noch immer vor Wut, doch die Unterbrechung hatte ihn daran erinnert, dass er nicht der Typ für Schlägereien war – und dass er Eames sowieso unterlegen gewesen wäre.

Ohne den Briten eines weiteren Blickes zu würdigen verließ er die Küche und trat zu den anderen.

Cobb sah überrascht drein, als er Arthur zu Gesicht bekam. Interessiert beobachtete er, wie kurz nach dem Schwarzhaarigen auch Eames aus der Küche trat. Sein Gesicht bekam einen undefinierbaren Ausdruck. „Sollte ich etwas wissen?“, fragte er Arthur mit einem Grinsen. Dem fiel erst jetzt auf, dass sein Hemdknopf noch immer geöffnet war. Eames' Jackett musste durch das Geziehe und Geschubse auch sehr zweideutig aussehen. Schnell schüttelte er den Kopf. „Niemals im Leben“, zischte er und war froh, dass Cobb nicht wusste, was für eine riesige Lüge das war.
 

Ariadne blickte nervös in die Runde. Obwohl sie so ein temperamentvolles Wesen sein konnte, war sie noch immer nicht selbstbewusst genug, sich unter all den Männern wohlzufühlen. Arthur konnte das aber auch verstehen, bis auf ihn selbst waren die anderen mindestens zehn Jahre älter als sie. Er nickte ihr zu, um ihr Mut zu machen. Sie lächelte dankbar.

„Also, Eames und ich haben an etwas gearbeitet“, erklärte sie, und sofort begannen Arthurs Ohren zu dröhnen. Er konnte diesen Namen nicht mehr hören. Er spürte den Atem des Briten auf seinem Hals. Hektisch legte er eine Hand über die Stelle, was es aber nicht unbedingt erträglicher machte.

Eames trat nun zu Ariadne vor und lächelte in die Runde, als wäre nichts vorgefallen. Arthur wäre am liebsten einfach gegangen. „Wir haben uns überlegt“, konnte er noch aufschnappen, eher er komplett abschaltete. Das war nicht sehr professionell, das wusste er selbst, doch sein Kopf schmerzte ihm und er konnte kaum verarbeiten, was gerade alles passiert war.
 

Als er sich wieder in das Gespräch einklinkte, reichte Ariadne Eames gerade ein Stück Kreide, womit dieser sich zu einer der Tafeln umwandte. Ohne, dass er viel dagegen tun konnte, entwich Arthur ein ungläubiges Lachen. Sowohl der Brite als auch Ariadne schauten fragend zu ihm. Er schüttelte den Kopf.

„Was?“, wollte nun Cobb wissen und blickte ebenfalls irritiert zu ihm. „Siehst du irgendein Problem?“ Arthur hob entschuldigend die Hände, „Nein, nein, schon gut. Ich bezweifle nur, dass ausgerechnet Eames etwas an die Tafel schreiben sollte.“ Der Angesprochene hob die Brauen. „Hm?“ Er rieb sich kurz über die linke Schläfe und Arthur entdeckte eine kleine Schramme. Offenbar war Eames nicht gänzlich unverletzt davongekommen. Wenn es auch unbedeutend war, Arthur verschaffte es eine angenehme Genugtuung.

Mit überprüfendem Blick, ganz so als würde er über nicht vorhandene Brillengläser hinweg schauen, sah Eames zu Arthur. „Ich bin es ja gewohnt, von dir unterschätzt zu werden, Artie, aber-“ „Du weißt doch nicht einmal, wie man unterschätzt schreibt.“ Eames weitete die Augen perplex. Mit offenem Mund starrte er Arthur an. Auch die Anderen wirkten irgendwie... betroffen. Verwirrt zuckte Arthur nur die Schultern. „Wirklich wahr“, sagte er, als hätten sie schlichtweg Probleme, ihm das Gesagte zu glauben. Er ließ eine kurze Pause, ehe er sich erklärte. „In dem Buch, das du mir geschenkt hast, lagen ein paar lose Zettel drin. Schreibübungen.“ Arthur sah, wie Eames' Blick glasig wurde. Er lachte. „Anhand der Schrift hatte ich ursprünglich gedacht, dass sie aus deinen Grundschulzeiten wären, und du sie einfach in das Buch gestopft und dort vergessen hättest. Dann allerdings habe ich gesehen, dass sie mit diesem Jahr datiert wurden.“

Er sah Eames herausfordernd an und genoss das betretene Schweigen.

 
 

Tag 500 (Traum)

Arthur war nicht unbedingt nervös, doch die Schuldgefühle fraßen ihn innerlich auf. Er schaffte es einfach nicht, die Personen auf dem Dach zu erwischen. Immer und immer wieder kam er aus seiner Deckung und nahm Ziel, traf aber einfach nicht. Er hörte, wie Kugeln haarscharf an seinem Ohr vorbeisirrten. Wenn die anderen bisher auch ebenso wenig Glück gehabt hatten wie er, viel hatte dieses Mal nicht gefehlt. Zähneknirschend warf er sich erneut in seine Deckung zurück, als er plötzlich Schritte hinter sich vernahm.

„Wir dürfen nicht aufhören von Größerem zu träumen, Darling“, ertönte es und er wandte sich um. Eames kam zu ihm an das Tor, in seinen Händen ein Granatwerfer. Überrascht und gleichermaßen beeindruckt beobachtete Arthur, wie der Brite die Waffe anlegte und mit einem einzigen Schuss das, was sein Gegner bis eben als Deckung benutzt hatte, in einer riesigen Explosion zunichtemachte – die Person mit einbegriffen.

Er würdigte Arthur keines Blickes, sondern wandte sich sofort danach wieder von ihm ab und verschwand zurück zu Saito. Arthur wollte etwas sagen, sich wenigstens bedanken, doch er biss sich stattdessen auf die Zunge und schloss das Tor, ehe er sich ebenfalls wieder zu den anderen begab. Das Wort Darling dröhnte in seinen Ohren, noch lauter als der Knall des Granatwerfers.
 

Tag 500 (Traum)

Arthur warf einen Blick auf den Boden, auf dem Eames es sich gerade bequem gemacht hatte. Er griff nach einem der Schläuche, die aus dem PASIV ragten und kniete sich damit neben ihn.

Der Brite öffnete die Manschette seines Ärmels. „Die Security wird dir auf den Fersen sein“, meinte er so beiläufig, als würden sie über das Wetter reden. Arthur warf einen kurzen Blick zur Tür, als erwartete er besagten Schutztrupp jeden Moment in den Raum stürzen zu sehen. Dann widmete er sich der Nadel, die es in Eames' Vene zu drücken galt. „Und ich werde sie mit Vergnügen auf die falsche Fährte locken“, antwortete er und musste etwas grinsen, als Eames es nicht schaffte, ein schmerzerfülltes Stöhnen zu unterdrücken. Darüber offenbar selbst amüsiert, zierte seine Lippen ein breites Grinsen. „Sei bloß vor dem Kick zurück“, bat er Arthur und streifte mit dem Daumen über dessen Hand, während er einen leichten Druck ausübte, ganz wie bei einem Händedruck. Arthur schnürte es beinahe die Kehle zu. Er erinnerte sich an das Gesicht des Briten, als er ihn vor allen anderen bloßgestellt hatte. Verloren. Enttäuscht. Er schluckte. Der Druck auf seiner Hand fühlte sich so warm an. Er hatte ihn nicht verdient. „Geh schlafen, Mr. Eames“, presste er hervor, ehe er von ihm abließ und sich lieber Cobb zuwandte. Dass dieser offenbar gerade mit etwas anderem beschäftigt war, kam ihm ganz gelegen, so konnte er in Ruhe ein-, zweimal durchatmen, bevor er sich dem schwierigen Teil widmen musste. „Bist du soweit?“
 

Tag 500

Ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmte ihn, als er an das Gepäckband trat. Cobb kreuzte seinen Weg und er lächelte ihm zu, allerdings wurde er von seinem Freund nicht wahrgenommen. Verständlich, er hatte jetzt weitaus wichtigeres im Kopf. Der Fischerjob war geschafft, und das bedeutete, dass er zurück zu seinen Kindern konnte. Arthur freute sich unendlich für ihn.
 

Er entdeckte seinen Koffer und zog ihn aus dem Wirrwarr an Gepäck, als er in Reichweite war. Mit etwas Anstrengung hievte er ihn auf seinen Rolli. Yusuf, der direkt neben ihm auf seine Taschen wartete, nickte ihm mit einem Lächeln zu. Gewohnt unauffällig erwiderte er das Lächeln und murmelte ihm leise zu: „Gute Arbeit. Wir sehen uns bestimmt wieder.“, bevor er sich ohne weitere Verabschiedung entfernte. Er hoffte wirklich, dass das stimmte. Yusuf war ein ausgesprochen guter Chemiker und die Arbeit mit Sedativen hatte Arthur sehr gefallen. Außerdem war der Mann ein wirklich sympathischer Mensch und Arthur hoffte, dass er irgendwann wieder auf ihn treffen würde, wie auch immer ihre Zukunft aussehen mochte.
 

Arthur sah Eames in der Nähe des Ausgangs stehen und sein Magen verkrampfte sich. Er erkannte, dass kein Weg an ihm vorbeiführte, und da der Brite genau in seine Richtung schaute, würde Zögern oder gar Umkehren unglaublich lächerlich wirken. Deshalb entschloss er sich für die Flucht nach vorn: Direkt an ihm vorbei, ohne einen Blick, ohne ein Wort.

Schnellen Schrittes schob er seinen Rolli vor sich her, den Blick dabei stur nach vorn gerichtet. Als er auf Eames' Höhe war, spürte er, dass dieser ihn beobachtete. Seine Nackenhaare stellten sich auf und seinen gesamten Körper erfasste ein warmes Kribbeln. Er reagierte nicht auf den Briten und fuhr einfach weiter, durch die automatischen Türen und vorbei an all den Menschen, die auf irgendjemanden warteten. Er hatte sich vor dem Abflug einen Mietwagen zum Flughafen bestellt, dessen Schlüssel sich bereits in seiner Hosentasche befand. So konnte er in aller Seelenruhe und vor allem ganz allein zurück nach Hause fahren. Ihn erwarteten etwa zwei Stunden Fahrt, auf die er sich, wenn er ehrlich war, schon sehr freute.

Er durchquerte ein weiteres Mal automatische Schiebetüren, ehe er nach draußen trat. Er atmete tief durch. Die Luft Los Angeles' war nicht unbedingt das, was man sich unter dem „Geruch der Freiheit“ vorstellte, doch Arthur war hier groß geworden und fühlte sich sehr wohl. Vermutlich hätte aber nicht einmal eine riesige Regenwolke, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgte seine Laune senken können.
 

Er zückte die Autoschlüssel und betätigte die Fernentriegelung. Nur etwa zwanzig Meter von ihm entfernt blinkten die Scheinwerfer eines silbernen Mercedes auf. Arthur lächelte zufrieden und steuerte auf das Auto zu. Er stellte seinen Rolli ab, um den Kofferraum zu öffnen. Gerade, als er das tun wollte, wurde er jedoch unterbrochen.

„Arthur“, ertönte es hinter ihm und der Angesprochene fuhr zusammen. Er wusste, dass es Eames war, ohne sich umdrehen zu müssen. Wieder durchfuhr ihn ein Kribbeln und er bekam eine Gänsehaut, die ihm beinahe Schmerzen bereitete.

„Was“, wollte er wissen, ohne es wie eine Frage klingen zu lassen. Erneut setzte er an, den Kofferraum zu öffnen. Danach drehte er sich gerade so weit um, dass er seinen Koffer zu fassen bekam, um diesen in seinem Auto zu verstauen, sich Eames aber nicht zuwenden zu müssen. Dieser schwieg allerdings, bis Arthur damit fertig war und sich notgedrungen doch zu ihm umdrehen musste.

„Ich hatte gedacht, dass wir wenigstens noch einmal miteinander reden, bevor wir uns nicht mehr sehen.“ Arthur schluckte. Sie würden sich nie mehr sehen, das stimmte. Er fühlte, wie sich ein felsengroßer Knoten in seiner Magengegend bildete. Betont augenrollend zuckte er die Schultern. „Das haben wir hiermit getan“, zischte er und klang noch viel abweisender, als er es geplant hatte. Seufzend fuhr er sich durchs Haar. „Also, war's das?“

Eames war deutlich überrascht über diese Antwort, deshalb vergingen erst einige Sekunden, bevor er erneut das Wort ergriff. „Ich- Ich weiß nicht recht, was ich mir hiervon erhofft habe, aber-“ „Ich auch nicht.“ „-ich wollte wenigstens auf Wiedersehen sagen.“

Arthur verfluchte den Briten dafür, dass ihm das Glücksgefühl, dass ihn zuvor noch durchströmt hatte, vollkommen vergangen war. Seinetwegen. Er seufzte gedehnt. „Nun, ich denke „Auf Wiedersehen“ ist etwas unglücklich formuliert.“
 

Eames sah ihn eine Weile an und wirkte... verloren. Arthur hatte ihn noch niemals, nach allem, was war, so verloren gesehen. Er schien mit den Worten zu ringen, entschied sich dann aber letztendlich dafür, den Mund zu schließen und einfach kehrtzumachen. Arthur biss sich auf die Unterlippe, bis er den bleiernen Geschmack seines eigenen Blutes wahrnahm. Eames hatte sich nach allem von ihm verabschieden wollen. Nach allem, was passiert war, dem ganzen Hin und Her und ihrer fragwürdigen Beziehung zueinander, und besonders nach der Demütigung, die Arthur ihm angetan hatte. Da sollte doch ARTHUR derjenige sein, der um das Gehör des anderen bitten musste. Er sollte derjenige sein, der vom anderen kein Gehör geschenkt bekam. Der weggeschickt wurde. Und doch spielte ER die beleidigte Leberwurst, und wieso? Weil er verdammt nochmal Gefühle für diesen Menschen entwickelt hatte und nicht erwachsen genug war, damit vernünftig umzugehen. Nur, weil er seinen Stolz nicht herunterschlucken und zugeben konnte, dass er diesem dreckigen, schleimigen, selbstverliebten Mistarsch mit jeder Faser seines Körpers verfallen war.

„Eames, warte.“

Die Worte hatten Arthurs Mund ohne seine Erlaubnis verlassen, und in der Hoffnung, sie würden wieder dorthin zurückkommen, hatte er ihn auch noch nicht geschlossen. Als er allerdings merkte, dass Eames sich zu im umwandte und tatsächlich wie aufgetragen wartete, und zwar auf ein Gespräch, seufzte er und schloss den Mund, um sich etwas Vernünftiges einfallen zu lassen.
 

„Es... Es tut mir leid“, murmelte er und schaffte es nicht einmal, dem Anderen dabei in die Augen zu schauen. „Dass... Ich... Alles.“ Da er Eames nicht ansah, erkannte er nicht, dass dieser nickte. Den Schritt, den er auf Arthur zumachte, sah er allerdings. Er starrte auf Eames' Füße, als gäbe es zu diesem Zeitpunkt nichts wichtigeres in seinem Leben.
 

Er wusste nicht, was Eames in der Zeit tat, in der er die Schuppen seiner Schlangenlederschuhe zählte. Er wollte es auch nicht erfahren, weil er den Kopf nicht heben, die Situation nicht voranbringen wollte. Gerade hier, jetzt, so, konnte Arthur aushalten, was geschah.

„Ich habe diese Schreibübungen deinetwegen gemacht“, kam es nach Minuten des Schweigens von Eames. Arthur zog die Brauen zusammen und schaffte es endlich, ihn anzuschauen. „Wie? Meinetwegen?“ Eames nickte und sah drein, als wäre er sechs Jahre alt und hätte seiner Mutter gerade gestanden, dass er die Bonbons aus dem Vorratsschrank gestohlen hatte. „Ich bin es ja gewohnt, nicht gerade der Hellste in einer Gruppe von Menschen zu sein. Ich hab' in der Schule nie wirklich aufgepasst, und „Mathe“ und „Englisch“ waren für mich jahrelang nur Synonyme für „Rauchen“ und „mit Mädchen knutschen“. Nicht, dass ich das wirklich bereue.“ Ein kleines Grinsen fand den Weg auf seine Lippen, verschwand aber genau so schnell wieder. „Normalerweise macht es mir nichts aus, dass ich eben nicht gut schreiben kann und vom Rechnen auch nicht die größte Ahnung habe. Außerdem habe ich mir mittlerweile nachträglich genügend Wissen angeeignet, dass ich mich als mehr oder weniger intelligent bezeichnen kann.“ Ohne es wirklich zu bemerken, nickte Arthur.

„Versteh' das nicht falsch, aber-“ Eames kratzte sich am Hinterkopf und Arthur hatte das Gefühl, ihn nie so verletzlich gesehen zu haben, nicht einmal in der Nacht von Mals Tod. „Ich habe mich noch nie von einem gebildeten Menschen so beeindrucken lassen wie von dir.“ Arthur hob eine Braue. Er wusste weder, wie Eames das meinte, noch wie er darauf reagieren sollte. Nachdem er ihm keine Antwort gab, fuhr er fort. „Normalerweise bin ich arrogant genug, niemandem etwas beweisen zu wollen. Ich bin der Beste auf meinem Gebiet, da lässt man sich nur noch schwer von anderen beeindrucken. Aber du...“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Mein Gott, du bist so jung, hast schon so viel erlebt und bist trotzdem so... so...“

Erneut biss Eames sich auf die Unterlippe, das letzte Wort offenbar lieber für sich behaltend. In seinen Augen spiegelte sich aufrichtige Wertschätzung wieder. Arthur konnte nicht fassen, was er gerade gehört hatte. Eames hatte geradezu von ihm geschwärmt. „Ich bin nicht-“, versuchte er sich selbst aus den ganzen Komplimenten zu befreien, doch ein anderer Gedanke drängelte sich ungeniert vor. „Und darum wolltest du mich beeindrucken? Darum hast du die Schreibübungen gemacht?“ Es dauerte einige Sekunden, ehe Eames peinlich berührt nickte.
 

Arthur wusste gar nichts mehr. Sein Kopf war leer. Eames hatte die Schreibübungen gemacht, um Arthur zu beeindrucken. Eames hatte Arthur für jemanden gehalten, den man beeindrucken musste. Er hatte ihn beeindrucken wollen. Und Arthur hatte sich so über ihn lustig gemacht. Hatte das Wissen über den Briten ausgenutzt für ein paar Minuten Triumph und Überlegenheit. Und dafür hatte er sogar in Kauf genommen, ihn vor dem gesamten Team lächerlich zu machen.

„Oh Gott“, entkam es ihm, und er erinnerte sich zurück...
 

277

Und für einen kurzen Moment konnte Arthur etwas in sich aufkommen spüren, das am Vortag vollkommen gefehlt hatte...

Leidenschaft.

Leidenschaft?

Verblüfft hob er die Brauen, als er sich von ihm löste.

Eames' Gesicht zeigte keinerlei Emotion, doch er war sich sicher, dass er es gespürt hatte.

Vielmehr noch: Sie war auch von ihm ausgegangen. Arthur erinnerte sich an Eames' Hand, die nach seiner gesucht und sie umschlossen hatte, während die andere ihn an der Hüfte näher gezogen hatte. Eingenommen von seinen eigenen Gefühlen hatte er das damals schlichtweg nicht wahrgenommen.
 

Nun fühlte Eames sich wohl etwas zu offensichtlich angestarrt, denn er kratzte sich verlegen den Kopf und sah wieder den Flur hinunter. „Also dann“, begann er, noch immer mit sehr ruhiger und vom Weinen und Schreien geschundener Stimme, „ich kann dich auch wirklich allein lassen, ja?“

Wieder diese Frage. Auch die hatte Arthur damals nicht registriert. Langsam dämmerte ihm, dass Eames nicht gefragt hatte, weil er besorgt gewesen war. Zumindest nicht ausschließlich deshalb. Er hatte nicht gewollt, dass Arthur ging. Er hatte ihn bei sich behalten wollen.

 

480

Ihm fiel der Tag ein, an dem Eames ihn bedrängt hatte. Doch jetzt, wo er erneut darüber nachdachte, dämmerte ihm etwas. Eames hatte ihn nicht gegen den Kühlschrank gedrückt. Arthur hatte ihn gezogen. Als würde eine Tür aufgestoßen, sah, spürte Arthur plötzlich, was damals geschehen war. Sah seine Hände, die Eames mit sich zogen, an seiner Krawatte nestelten und sie lockerten. Spürte, wie er mit seinen Lippen die des Briten versiegelte. Erkannte, dass sie beide durchaus gleichermaßen an dem kleinen Zwischenfall beteiligt waren. Dass Eames einen, Arthur aber den zweiten seiner Hemdknöpfe geöffnet hatte. Dass sie beide das Gefühl hatten, das richtige zu tun. Ehe Arthur die Kontrolle verlor.

 

Tag 500

„Ich...“ Arthur wusste nicht, was er sagen sollte. Er zweifelte an sich, weil er elementare Teile ihrer Geschichte ausgeblendet hatte, weil er sich selbst soweit manipuliert hatte, dass er sie einfach vergessen und durch falsche Tatsachen ersetzt hatte. Gott, er wusste nicht einmal, dass er das konnte.

„Die Arbeit macht einen mürbe“, sagte Eames, als hätte er eine Ahnung, worüber Arthur nachdachte. Arthur blickte in seine Augen, die Wärme und Verständnis ausstrahlten. Er schüttelte den Kopf. „Wie machst du das?“, fragte er ihn. „Wie kannst du nach allem, was ich- Wieso bist du hier? Ich bin-“ „Schrecklich“, ergänzte Eames. Arthur nickte, schaute aber etwas skeptisch drein, weil er es irgendwie besser gefunden hätte, wenn er ihm widersprochen hätte. Doch der zuckte die Schultern. „Na und? Bin ich auch.“ „Du hast mich aber nicht so verletzt wie ich dich.“ Wieder ein Schulterzucken. „Du bist alles, was ich nicht bin. Das ist doch aufregend.“ Arthur öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, doch dieses Mal dachte er vorher nach. Eames hatte recht. Er hatte immer gedacht, dass die Person, die er irgendwann mal an seiner Seite wissen wollte, war wie er: Präzise und verlässlich. Doch nach allem, was passiert war, war Arthur vielleicht einfach nicht so verlässlich, wie er selbst dachte. Präzise zu arbeiten war ihm seit über einem Jahr auch nicht mehr gelungen. Er suchte niemanden wie sich selbst. Er wusste ja gar nicht, wer er wirklich war. Er sah Eames an. Der Brite arbeitete sehr präzise, konnte sich Schwächen aber eingestehen. Und diese hielten ihn nicht auf. Er arbeitete kontinuierlich an sich. Selbst der Tatsache, dass er nicht schreiben konnte, hatte er sich gestellt.

Ohne es zu bemerken, hatte Arthur eine Hand nach Eames ausgestreckt und ihn zu sich herangezogen. Aufmerksam musterte er sein Gesicht, und blieb ungeniert an seinen Lippen hängen. „Du... könntest mich anrufen, weißt du?“, sagte Eames lächelnd und versuchte nachzuäffen, wie er es damals gesagt hatte, als sie sich das zweite Mal voneinander verabschiedet hatten. Arthur schüttelte den Kopf. „Was? Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?“ Eames' Lächeln erstarb. Unsicher wand er sich aus Arthurs Griff und machte einen Schritt zurück. Arthur rollte die Augen.

Erneut zog er ihn zu sich, doch dieses Mal überbrückte er den letzten Zentimeter zwischen ihnen selbst und küsste Eames. Das elektrisierende Gefühl durchfuhr seinen gesamten Körper, und als er Eames Hände an seinem Gesicht spürte, glaubte er zerspringen zu müssen.

Als sie sich voneinander lösten, lächelte Arthur. „Ich brauche dich in Zukunft nicht anrufen“, sagte er leise. Eames lachte. „Ja, jetzt habe ich es auch kapiert. Danke“.
 

Tag 1

Arthur schreckte aus dem Schlaf, als sein Handy auf dem Nachtschrank wie wild zu vibrieren begann. Er setzte sich auf, weil das für ihn die schnellste Möglichkeit darstellte, wirklich wach zu werden. Dann griff er schlaftrunken nach seinem Handy und blinzelte ein paar Mal, bis er erkennen konnte, was auf dem Display stand.

Ein Grinsen huschte über seine Lippen, als er las, wer ihn anrief.

„Ist nicht ganz deine Zeit, oder?“ Er warf einen Blick auf die Uhr. Sieben Uhr fünfzehn. Vom anderen Ende war ein raues Lachen zu hören. „Vielleicht liegt es am Jetlag.“ „Vielleicht.“ Arthur gähnte gedehnt. „Was machst du?“, fragte er müde. Auf der anderen Seite knackte es. „Ich glaube, es ist Frühstück, aber es hat sich mir noch nicht vorgestellt.“ Arthur schüttelte lachend den Kopf. „Frühstück klingt gut“, murmelte er dann und streckte sich. Auf seinem Flur rumpelte etwas, dann öffnete sich die Schlafzimmertür.

„Sehr gut“, sagte Eames als er hereinkam, ein Tablett in beiden Händen und sein Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt. Behutsam stellte er das Frühstück, ein paar Baguettes und Rührei, auf dem Nachttisch neben Arthur ab. „Du, ich muss Schluss machen“, sagte er und grinste, „mein Lover will jetzt essen.“ Dann legte er auf und auch Arthur legte sein Handy beiseite.

„Du bist echt ein Idiot“, ließ Arthur ihn wissen und nahm sich ein Baguette. Der Brite ließ sich aufs Bett fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Schau mal unter den Teller“, sagte er nur.

Verblüfft tat Arthur, was ihm aufgetragen wurde, und hob den Teller an, auf dem das Rührei dampfte. Darunter befand sich ein gelber Zettel. Arthur grinste. In der Schrift eines Kindes stand dort: „Selber Idiot.“



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