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Glücksverfluchte

Die Champions von Asteria
von

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Das Ende der Welt

Blut. Blut war das Erste, was er sah, als seine Augen sich langsam öffneten. Wie ein dünner, warmer Bach roter Tinte lief es seinen Arm entlang, der auf dem glühend heißen Boden lag, teilte sich in mehrere Deltas und tropfte in langen, klebrigen Bahnen aus seiner Handfläche. Es brauchte nicht viel, damit er erkannte, dass das sein Blut war. Verdammt viel von seinem Blut.

Arme, Beine, Torso und selbst sein Gesicht waren zerschnitten und trieften nur so vom rostfarbenen Lebenssaft und in nicht wenigen Wunden steckten noch dünne Glasscherben und -splitter, die wie dünner Frost im Lichte schimmerten.

Das metallische Aroma breitete sich in seinem Mund und seiner Nase aus, benebelte jeden seiner Sinne wie ein dünner, doch zugleich zentnerschwerer Schleier, versetzte ihn in einen Zustand melancholischer Trunkenheit und sägte an seinem letzten Quäntchen Verstand, das versuchte zu begreifen, was eigentlich geschehen war.

Er versuchte aufzustehen, sich auf seine Arme zu stützen, doch nur die kleinste Belastung sorgte für unendliche Schmerzen, die sich in seinen Kopf fraßen und auf ihn mit aller Gewalt einhämmerten. Es brauchte einen Moment, bis er die Quelle dessen erkannte: Sein linker Unterarm war zur Seite abgeknickt und die zerborstene Schiene hatte sich einen Weg aus seiner fleischlichen Hülle gebahnt. Ihm wurde sofort speiübel und noch ehe er sich zurückhalten konnte, schoss ätzender Magensaft aus Mund und Nase auf den Boden. Das helle Sekret vermischte sich mit seinem Blut zu einer übelriechenden Masse.

Von Schwäche übermannt fiel er zur Seite. Jeder noch so kleine Atemzug war anstrengend und schmerzhaft, als würde etwas auf seine Brust drücken und in ihn stechen. Wahrscheinlich waren einige Rippen zertrümmert und wenn er mit seiner Zunge über seine Zahnreihen fuhr, dann tauchten hier und da Lücken auf, die es vorher nicht gab. Deswegen pochte wohl auch sein Mund.
 

Einige Momente blieb er so liegen und lauschte nur, zu schwach zum Aufstehen und Weitermachen... er wusste sowieso nicht, womit. Gerade starrte er nur auf die große, dunkle Wand aus Eisen, die sich vor ihm aufgebaut hatte.

Wohin sollte er nur gehen? Was sollte er tun? Aber immerhin: Langsam, ganz langsam kamen die Erinnerungen daran zurück, was zuletzt geschehen war. Was geschehen war, bevor die Welt um ihn für eine unbestimmte Zeit in Schwärze getaucht wurde.
 

Er schloss die Augen. In dem Moment der Finsternis tauchte ihr Gesicht vor ihm auf. Sie schob ihr langes Haar hinter die spitzen Ohren und grinste keck. Der Fahrtwind brachte die schwarzblauen Strähnen zum Tanzen. Sie lachte herzlich und starrte weiter aus dem Fenster, winkte in die Ferne, als wolle sie die Landschaft grüßen. Eine Zeit lang tat sie nichts anderes, aber dies mit einer fast schon kindlichen Freude.

Dann beugte sie sich vor und schaute ihn mit ihren durchdringenden, fast schon farblosen Augen an. Das Gewand rutschte leicht von ihrer Schulter und lockerte den zuvor noch streng geschlossenen Ausschnitt. Er ließ es sich nicht nehmen, seinen Blick zu ihrem wohlgeformten Vorbau schweifen zu lassen und erhoffte noch mehr erkennen zu können. Sie rekelte sich, musste seine Neugier bemerkt haben und erfreute sich scheinbar dieser Aufmerksamkeit. Er fühlte sich dennoch ertappt und schnell huschten seine Augen wieder nach oben.

Sie errötete. Ihre Lippen bewegten sich, formten unanständige Wörter, während ihre Hände zu seinem Schritt wanderten und sie langsam auf die Knie sank. Seine Hände krallten sich in das Holz, auf dem er saß und er warf den Kopf in den Nacken. Aus dem Augenwinkel nahm er noch ein rotes Schimmern wahr, das aus der Ferne auftauchte und in wahnsinniger Geschwindigkeit größer wurde. Plötzlich verblasste alles.
 

Wieder tauchte die Gegenwart vor ihm auf. Unter dem dumpfen Rauschen in seinen Ohren vernahm er zorniges Donnergrollen und fremde Schreie, doch er konnte sie nicht orten. Sie konnten unfassbar nah sein – oder meilenweit entfernt. Es schien, als würden sie wandern – zu ihm hin, durch ihn durch, von ihm weg. Mit seltsamem Zischen und Rauschen, vorwärts und rückwärts, leise und laut.

In regelmäßigen Abständen flackerte ein gleißender Funke auf, erhellte für einen Moment die sonst so finstere Welt um ihn in einem orangenen Licht. Die Luft waberte. Es musste schwülwarm sein, doch sein Körper fror so sehr, als läge er in einem Eisbad.

Langsam drehte er sich auf den Rücken und starrte das erste Mal bewusst in den Himmel. Über ihn hatten sich dunkelgraue Wolken geformt, die wie Wellen bei schäumender See aufeinander schlugen und den Himmel komplett über sich bedeckten. Er wusste nicht, ob es darüber gerade noch mitten am Tag war, oder bereits finsterste Nacht. Sonne oder Mond, sie beide waren von den Schwaden verschluckt worden.

Die einzige Lichtquelle waren jene sonderbaren, schweifförmigen Blitze, die aus den Wolken in regelmäßigen Abständen hervorzuckten und sich wie lange Bänder über den Himmel bewegten, während alles herum für den Hauch einer Sekunde in einem unheilvollem Rot-Orange erleuchtet wurde. Der Himmel brannte. Die Wolken waren Asche und Holz, die Blitze Glut und Flamme, der Donner Knistern und Knacken.

Mit jeder verstrichenen Sekunde verschlechterte sich sein Zustand weiter. Etwas fraß ihn von innen auf, zerspaltete sein Inneres und verwandelte es sukzessive in Brei. Es kam von außen, wie ein Nebel, doch nicht nass. Er konnte nicht einmal sagen, ob es sich überhaupt nach etwas anfühlte, aber es war da, keine Frage.

Er würde hier sterben, wenn er liegen blieb. Wahrscheinlich war er sowieso schon so gut wie tot, doch etwas trieb ihn dazu an, aufzustehen. Die Zähne zusammengepresst und mit der Unterstützung seines heilen Arms zwang er sich zu der Metallwand, klammerte sich an den kleinen Rillen in der Struktur und zerrte sich daran hoch.

Unter ihm löste sich schmatzend sein Hemd vom Oberkörper, während er sich streckte. Es war verschlissen und entblößte eine dicke Fleischwunde, die sich gerade so anfühlte, als würde sie weiter aufreißen. Doch er ignorierte das, kämpfte sich weiter nach oben, bis er wieder auf seinen wackeligen Beinen stand. Sein Augenlicht verlor an Kraft, jede Bewegung zerrte seine Knochen in endlose Weiten. Während er auf seine Hand starrte, schien es ihm fast, als würde sie durchsichtig werden, als könne er direkt auf jede Ader und jeden Muskel starren. Sein Magen drehte sich nun endgültig auf links.

Pause. Er brauchte eine Pause. Was er hier tat beschleunigte definitiv seinen Tod, doch je mehr er sich bewegte, desto klarer wurde sein Kopf. Und je klarer sein Kopf wurde, desto weiter verschwanden die Geräusche, die er noch zuvor zu hören gedacht hatte. Die Schreie, vorher noch allgegenwärtig, entpuppten sich als Echos aus der Vergangenheit, getragen von dem schemenhaften Nichts um ihn herum. Wenn es noch jemanden gegeben hatte, dann war dieser schon weit entfernt. Es gab nichts um ihn herum. Es würde ihn niemand retten, wenn er liegen blieb und es gab auch niemanden, der mit ihm hier zusammen sterben würde. Er war allein.
 

Zumindest glaubte er das. Noch hatte er niemanden erkannt – sei es tot oder lebendig – und noch hatte er nicht mehr gesehen, als die kalte, stählerne Wand vor ihm. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie deplatziert diese hier doch wirkte. Bedacht setzte er einen Fuß neben den anderen, während er sich an die Wand presste und so langsam bis zur Kante vordrang. Die Mauer machte einen Knick und dahinter erstreckten sich weitere metallische Gebilde – Geländer und Rohre – und die Mauer schien eine große, rechteckige Kuhle zu besitzen, die an der oberen Seite eine Art Hebel besaß.

Es dauerte einen Moment, bis er verstand, dass dies eine auf der Seite liegende Tür war und noch drei weitere benötigte er, um das große Ganze zu begreifen: Was er vor sich gesehen hatte, war keine Mauer – es war ein Dach. Und alles zusammen gehörte zu einem entgleisten Zugwagon, der auf der Seite lag. Er schaute sich um. Ein Teil des restlichen Zugs war schemenhaft in weiter Entfernung zu erkennen, ebenfalls von seiner angestammten Schiene gerissen.
 

Welche Kraft konnte Züge so weit wegschleudern? Langsam stolpernd, drehte er sich um und starrte in eine karge Landschaft, ohne Bäume, ohne Häuser, ohne Täler oder Berge, die die Weitsicht hätten bremsen können. Einzig die restlichen Wagons – manch einer gar senkrecht in den Boden gerammt, wie ein schiefer Turm – und die Schienen auf dem Boden bildeten eine Art Orientierungsmöglichkeit. Doch abseits dessen, schien jene trostlose Umgebung sich bis zum Horizont in der Ferne zu erstrecken.

Der Boden war mit Blut getränkt, eingefärbt in wirren, abstrakten Zeichnungen eines exzentrischen Künstlers und wie ein Haufen schwarzer Punkte lagen an allen Ecken und Enden deformierte Körper unterschiedlichster Lebewesen – manche noch frisch, andere halb verwest und wieder andere so verbrannt, dass sie kaum von Kohle zu unterscheiden waren.

Und am Horizont, am Ende der endlosen Bahngleise, schoss ein rot-orangenes Licht in schwingenden Schwaden in den Himmel und brachte immer neue jener exzentrischer Wolken hervor, die sich donnernd scheinbar über den ganzen Kontinent ausbreiteten. Er hatte sich es sicherlich nie vorgestellt und noch weniger geglaubt, es jemals mit eigenen Augen sehen zu können. Und dennoch wurde es ihm immer weiter bewusst, während er die Schienen entlang humpelte, kontinuierlich auf die Flamme am Horizont zuwandernd:
 

Das war das Ende der Welt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Phinxie
2018-02-21T12:43:15+00:00 21.02.2018 13:43
Hui, endlich ist es oben <3
Eine schöne Ablenkung für mich in meiner derzeitigen Gefühlslage ;)

Aber zuallererst: Danke für die Erwähnung :) Aber es ist natürlich nur selbstverständlich, dass du einen Kontinent auf dieser Welt haben darfst, denn je mehr sich dort befinden, desto lebendiger wird der Planet an sich werden <3 Ich sollte mich zudem eher geehrt fühlen, dass du eine Geschichte in 'meinem' Universum schreiben magst - bzw, es ist nicht mehr mein Universum, es ist jetzt natürlich unser Universum :D

Und nun zu deiner Geschichte:
Den Prolog kannte ich ja schon und ich habe dir, trotz meiner Schwierigkeiten, das gesprochene Wort so gut rüberzubringen wie das geschriebene, meine Meinung dazu gesagt. Nichtsdestotrotz kriegst du erneut einen Kommentar geschrieben :P

Ich finde es echt klasse, dass du das erste Ende, das ich gelesen hatte, verworfen und entschieden hast, den Prolog umzuschreiben. Dieses Ende hier gefällt mir dahingehend eindeutig besser, weil es offen ist und der Leser sich nun tausende Fragen stellen mag: Wird dieser Charakter für die Geschichte von einer Relevanz sein? Wann wird er wieder auftauchen? Wer ist er überhaupt? Was ist passiert?
Die Fragen werden in Zufunkt beantwortet werden und ich selbst freue mich wahnsinnig drauf!

Zum Schriftbild: Ich liebe deine Beschreibungen und die Szenerie, die du aufbaust. Man kann sich in den Charakter rein versetzen, auch wenn man nicht einmal den Namen kennt. Ich merke richtig, wie ich mir den Ort, den du beschreibst, bildlich vorstellen kann und kann das Grauen und den Horror, den du erwähnst, regelrecht nachempfinden. Ich glaube, es ist ein Lob an dich, wenn ich sage, ich wollte nicht an diesen Ort :P
Du baust Spannung auf und spornst den Leser sofort zum Weiterlesen an - umso besser, dass du das erste Kapitel gleich mit hochgeladen hast, denn diesem werde ich mich jetzt sofort auch widmen!

Der Kommentar hier ist kürzer als meine anderen, aber auch nur, weil ich dir ja, wie gesagt, schon vorher etwas dazu gesagt habe :3

Und natürlich kriegst du auch bei dieser Geschichte hier wieder immer ein Kommentar von mir geschrieben - wer wäre ich denn, wenn ich dies nicht täte? :P
Ich werde bestimmt viel Spaß mit der Geschichte haben und freue mich zudem auf ein langes Abenteuer, das mich in Asteria erwarten wird :3


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