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Crystal of the Dark

von

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Mentale Kommunikation

Kapitel 8: Mentale Kommunikation
 

Es ist Samstagabend und zum zweiten Mal in dieser Woche befinde ich mich weit außerhalb der Stadt an einem wunderschönen See mitten in den Bergen. Alles wirkt so friedlich. Die laue Nachtluft weht durch mein dichtes Fell und lässt die Blätter der Bäume einige Meter weiter leise rascheln. Es könnte so schön sein...
 

Wäre da nicht ein gewisser blauhaariger Dämonenausbilder, der mich gerade dezent grießgrämig mustert. Leider, wie ich zugeben muss, zurecht. Denn ich tue alles, außer ihm konzentriert zuzuhören. Aber was erwartet er denn bitteschön auch von mir? Ich habe mich erst gestern mit dem Gedanken anfreunden müssen, meine beste Freundin für immer zu verlieren. Und das nur, damit das Geheimnis der drei Welten gewahrt bleibt.
 

Wütend verschränkt Ian die Hände vor seiner Brust und funkelt mich böse an. Der stechende Blick seiner grünen Augen lässt mich zusammenfahren. Dabei hat er nicht einmal etwas gesagt. Oder habe ich es nur überhört, weil ich mit meinen Gedanken schon wieder ganz woanders gewesen bin?
 

"Du willst mich nicht wirklich wütend erleben, Aki." kommt es sehr gefasst von ihm. Seine Stimme ist eindeutig zu ruhig und ich ziehe meinen Kopf etwas ein.

"Ich bin ja gewillt, dir etwas beizubringen aber du musst auch gewillt sein zu lernen. Sonst können wir uns das hier schenken." Und da ist er wieder, der kalte Eisblock.

Ich schüttel kurz meinen Kopf, versuche, mich nur auf Ian zu konzentrieren und sehe ihn an. Kurz huscht ein zufriedener Ausdruck über seine Züge. Aber wirklich nur ganz kurz.
 

"Also noch einmal von vorne." beginnt er im oberlehrerhaften Tonfall. "Mentale Kommunikation. Du hast ja gestern bereits Bekanntschaft damit gemacht. Im Grunde ist es nichts anderes, als das Eindringen deines Geistes in den eines anderen - oder mehrerer - um Gedanken zu übertragen, ohne dass andere es hören können. Einzige Ausnahme sind Ausbilder, da diese ja in der Lage sind, jedwede Gedanken ihrer Spezies zu lesen."

Somit könnte ich bewusst mit Ian kommunizieren, obgleich ich mich in meiner dämonischen Gestalt befinde?

"Ganz genau. Im Übrigen ist es die gängige Kommunikation im Wolfsrudel. Du solltest sie also beherrschen, bevor ich auch nur in Erwägung ziehe, dich in die Untere Welt zu bringen."

Was muss er da bitte erst in Erwägung ziehen? Ich denke, ich gehöre in die Untere Welt - vielleicht würde ich sogar besser lernen, wenn ich nur endlich einmal dorthin könnte. Warum nur gehen mir gerade wüste Beschimpfungen auf meinen Mentor durch den Kopf?
 

Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst, dass er sie hören kann, aber unterdrücken kann ich es auch nicht. Will ich auch gar nicht. Wozu auch? Er hat selbst gesagt, dass das hier lediglich eine Mentor- Schüler- Beziehung ist. Kein Grund also, nett zu ihm zu sein. Der Zug ist abgefahren.

"Ein bisschen Respekt wäre trotzdem angebracht, Aki." kommt prompt der Tadel, mit dem ich bereits gerechnet habe.

Ja, ja. Ich werde ihm schon nicht den Kopf abbeißen...

"Ich bezweifle, dass du dafür auch nur nahe genug an mich heran kommen würdest." Spöttisch verzieht er seine Mundwinkel und mir entfleucht ein drohendes Knurren.

"Na komm, versuch's doch." Der feine Regen aus Eiskristallen und Tröpfchen umgibt ihn wieder und er wechselt von seiner menschlichen zu seiner dämonischen Gestalt. Ist ihm eigentlich bewusst, dass das verdammt unfair ist? Er kann fliegen - ich nicht!
 

Dennoch gehe ich auf seine Herausforderung ein und sprinte auf ihn zu. Aber wie schon in der kleinen Wohnung weicht er mir auch hier mit Leichtigkeit aus. Noch mehr, da er in seiner Bewegung nicht eingeschränkt wird durch kleine Räume und Wände.

Ich setze ihm nach, springe und versuche, nach seinem Bein zu schnappen - und bin selbst davon überrascht, wie hoch ich springen kann! Elegant lande ich wieder auf meinen Pfoten, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan. Beflügelt von diesem unbeschreiblichen Gefühl, wiederhole ich es noch einmal. Dieses Mal mit mehr Kraft.
 

Ganz ehrlich: Nur fliegen ist schöner! Ich habe so einen Spaß dabei, dass der eigentliche Grund, warum ich überhaupt das erste Mal gesprungen bin, völlig in den Hintergrund rückt. Immer wieder stoße ich mich kraftvoll ab und versuche, noch ein kleines Bisschen höher zu kommen, als beim vorangegangenen Sprung.
 

Nicht nur mein Körper scheint völlig losgelöst zu sein, auch mein Geist ist befreiter. Ich kann nicht sagen, wieso das so ist. Vielleicht tut die klare Nachtluft ihr Übriges dazu. Oder Ian hat wieder irgendetwas gemacht, wovon ich noch keine Ahnung habe.

Als ich wieder sicher auf meinen Pfoten lande, den weichen Boden unter mir spüre, schaue ich hinauf zu meinem Mentor, dessen Miene gerade unergründlich ist. Ich strecke meinen Geist nach ihm aus - es passiert fast automatisch - und werde mit einer mächtigen Aura konfrontiert. Beinahe ehrfürchtig sehe ich zu ihm hinauf. Ich habe ja gewusst, dass er alles andere als schwach ist, aber diese Macht überrascht mich dann doch.
 

Abgeschreckt von diesen überwältigenden Empfindungen ziehe ich meinen Geist wieder zurück. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man sich die Finger an einer Herdplatte verbrennen.

Ian landet direkt vor meiner Nase und sieht mich fragend an. "Was hat dich aufgehalten? Du hattest es doch schon fast geschafft."

Was genau habe ich fast geschafft? Falls er mein ursprüngliches Vorhaben damit meint, ihm den Kopf abzubeißen...

"Nein, das meinte ich nicht. Für dieses Unterfangen bist du mindestens 200 Jahre zu früh dran." Ein überlegenes Grinsen huscht über seine Lippen. "Ich meinte das Eindringen deines Geistes. Dabei war ich noch gar nicht dazu gekommen, dir zu erklären, wie du das anstellen sollst. Ich bin ehrlich gesagt etwas überrascht, dass es dir so einfach gelungen ist, aber ich schätze, das liegt an deinen Genen."
 

Ja. Nein. Egal. Moment - was? Ich bin verwirrt.
 

"Das hab ich mir gedacht. Um auf mentaler Ebene mit jemandem kommunizieren zu können, musst du deinen Geist lösen, ihn befreien. Nur so bist du in der Lage, den Geist eines anderen Dämons zu berühren. Mich würde allerdings interessieren, warum du dich wieder zurückgezogen hast, nachdem du meinen Geist berührt hattest."

Weil ich mich daran verbrannt habe!

"Oh." ist alles, was er dazu zu sagen hat. Nachdenklich tippt er sich an sein Kinn und mustert mich eingehend. "Aber das kann eigentlich gar nicht sein..." murmelt er leise.

Ich lege den Kopf schief. Warum soll es nicht sein können? Kann er mit mir auch in verständlichen Sätzen reden?

Überrascht sieht er mich an. War das Gemurmel etwa nicht für meine Ohren bestimmt gewesen? Dann wird er sich wohl angewöhnen müssen, Dinge zu denken, statt sie auszusprechen, denn ich habe verdammt gute Ohren!
 

Kopfschüttelnd lacht er mich an. "Ich bin es einfach nicht gewohnt, mit Erddämonen zu arbeiten. Ich vergesse daher hin und wieder ihre Qualitäten." Er kommt zu mir und streichelt mir über den Kopf. "Dennoch ist es ungewöhnlich. Ich begreife ja, dass es, dank deiner Abstammung, ein Leichtes für dich ist, die mentale Kommunikation zu erlernen. Aber das, was du gespürt hast, ist eine eher seltene Gabe, die nur wenigen, sehr talentierten Dämonen und Engeln vorbehalten ist."

Bedeutet in meine Sprache übersetzt jetzt was?

"Die Gabe, die Kraft eines Wesens über den eigenen Geist wahrzunehmen, ist etwas ganz Besonderes." Aufmunternd lächelt er mir zu.

Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen, weil ich mir jedes Mal, wenn ich auf ein mächtiges Wesen treffe, die Finger verbrenne?! "Bullshit!"
 

Ian blinzelt mich überrascht an. "Dir ist bewusst, was du gerade getan hast, oder?"

Ähm, nein?

"Also ein Zufallstreffer? Aber ein interessanter. Du scheinst ohne Probleme in meinen Geist eindringen zu können, wenn ich dich berühre. Oder hast du eben einen Schmerz verspürt?" Seine Hand ruht auf meinem Kopf. "Versuch es bitte noch einmal."

"Was genau soll ich versuchen?" Und dann fällt es auch mir auf. "Ich kann's!"

"Ja. Irgendwie. Das scheint bei dir eher intuitiv zu passieren." Er nimmt seine Hand weg und geht zwei Schritte rückwärts. "Versuch es jetzt einmal." Auffordernd streckt er seine Arme von sich.
 

Wie soll ich etwas steuern, was intuitiv passiert? Na gut, versuchen kann ich es ja. Ian fixierend, rufe ich mir das Gefühl in Erinnerung, als ich das erste Mal meinen Geist befreit hatte. Und dann sehe ich etwas, das da vorher definitiv noch nicht gewesen ist!
 

Mein Mentor ist umgeben von blau und einigen grün leuchtenden Verwirbelungen. Ihre Energie ist geradezu greifbar. Auch um mich schwirren vereinzelte Verwirbelungen in einem goldbraunen Ton. Aber längst nicht so viele wie bei Ian. Ihre Kraft ist auch eher... mickrig im Vergleich zu seiner. Gebannt beobachte ich die Verwirbelungen, wie sie sich um mich und den Magier herum bewegen. Ob ich sie willentlich steuern kann?
 

Ian nicht aus den Augen lassend, konzentriere ich mich auf eine Verwirbelung, die direkt vor meiner Nase umher tanzt. Ich will, dass sie sich den blauen Wirbeln nähert - nur den blauen! Die grünen sind mir irgendwie unheimlich - warum, kann ich selbst nicht so genau sagen. Und tatsächlich! In schnörkelnden Bahnen bewegt sie sich in die gewünschte Richtung. Doch als sie den blauen Wirbel berührt, durchzieht mich wieder der gleiche Schmerz, wie schon zuvor und erneut trete ich den Rückzug an.
 

"Nicht! Zieh dich nicht jedes Mal zurück, nur weil du einen leichten Schmerz verspürst. Überwinde diese kleine Hürde. Du wirst merken, danach ist es nicht mehr unangenehm."

Etwas widerstrebend wiederhole ich das Ganze noch einmal. Die Verwirbelungen umspielen einander, scheinen miteinander zu tanzen und dann entlässt das Blau mein Goldbraun und der Schmerz verschwindet. Mein kleiner Wirbel allerdings befindet sich nun inmitten von Ians.
 

"Hat es geklappt? Es hat geklappt, oder? Kannst du diese ganzen Verwirbelungen eigentlich auch sehen? Sie sind wunderschön. Du hattest Recht, der Schmerz vergeht, sobald mein Geist eingedrungen ist. Ist das eine Art Schutzmechanismus?"

"Langsam, langsam, Aki. Nein, das ist kein Schutzmechanismus. Du nimmst die Berührung des Geistes nur anders wahr, als die meisten anderen. Damit zusammen hängt auch das, was du siehst. Ich selbst bin nicht in der Lage diese... Verwirbelungen, wie du sie nennst, zu sehen."

"Schade. Empfinde ich also immer einen gewissen Schmerz, wenn ich versuche, mit jemandem auf dieser Ebene zu kommunizieren, der wesentlich stärker ist, als ich?"

"Ja. Aber du gewöhnst dich mit der Zeit daran. Dagegen solltest du eine gewisse Überlegenheit verspüren, wenn du in den Geist von jemandem eindringst, der schwächer ist, als du."

"Es ist also so etwas, wie ein Frühwarnsystem."

"Könnte man so sagen, ja. Du musst nämlich den Geist eines anderen nicht zwangsläufig berühren, um seine Stärke zu ermitteln. Du siehst es anhand der Aura."

"Die Verwirbelungen!"

"Genau." Ian hält kurz inne und mustert mich wieder abschätzend. "Das klappt ja schon ganz gut. Lass uns testen, auf welche Entfernung du die mentale Kommunikation aufrecht halten kannst." Damit geht er gemächlichen Schrittes von mir weg. Erst einige hundert Meter weiter bleibt er stehen und blickt in meine Richtung.
 

Ich bin mir ganz sicher, dass da ein herausforderndes Leuchten in seinen Augen ist! Es hat durchaus seine Vorzüge, ein Wolf zu sein - als Mensch würde ich Ian kaum noch sehen können. Also schön. Ich löse meinen Geist und sehe sofort die Verwirbelungen wieder. Wie schon zuvor, schicke ich einen kleinen Teil davon in die Richtung des Magiers. Es ist das gleiche Spiel - ein kurzes Umspielen, ein Tanz, dann ist mein Teil des Geistes mitten in seinem.
 

Ein kurzes Nicken seinerseits signalisiert mir, dass ihm das nicht entgangen ist. Und schon setzt er sich wieder in Bewegung, geht noch weiter von mir weg, verschwindet im Wald. Ein wenig nervös macht es mich schon, dass ich ihn jetzt nicht mehr sehen kann. Unruhig erhebe ich mich und tappse von einer Pfote auf die andere.
 

"Nervös?" Der Schalk ist deutlich heraus zu hören. Er macht das also mit Absicht - dieser...!

Nein! Ich werde mich jetzt nicht dazu hinreißen lassen, ihn zu verfluchen. Irgendetwas sagt mir, dass es gerade besser wäre, mich darauf zu konzentrieren, Ians Aura wiederzufinden.
 

Wie genau soll ich das eigentlich machen? Ich sehe ihn ja nicht mehr. Vermutlich werde ich später im Rudel das gleiche Problem haben. Schwer vorstellbar, dass alle immer aufeinander in Sichtweite hocken. Es muss also einen Trick dabei geben, wie ich jemanden... finden kann, ohne ihn sehen zu können.

"Kluges Mädchen. Und was machst du nun?" hallt seine Stimme erneut durch meinen Geist.

Es scheint ihm ein diebisches Vergnügen zu bereiten, mich zu ärgern. Wart's nur ab! Ich finde dich schon.
 

Denk nach, Aki - wie kannst du jemanden finden, den du nicht sehen kannst?

Ich schließe meine Augen und sofort scheint sich mein Geruchs- und Hörsinn zu verstärken. Stimmt ja. Ich bin ein Wolf. Doch so sehr ich mich auch anstrenge, hören kann ich Ian nicht. Und durch die klare Nachtluft wird sein Geruch ebenfalls überlagert.
 

So geht es also schonmal nicht.
 

Was kann ich noch? Grübelnd scharre ich in der Erde und dann kommt mir eine Idee. Mein Element! Vielleicht kann ich...

Ich suche den Boden um meinen Pfoten herum ab. Ich bin mir nicht sicher, wonach ich suche. Aber irgendetwas muss es doch geben, womit ich einen Teil meines Geistes verbinden kann. Aber da ist nichts. Absolut gar nichts! Wütend schnaube ich und spüre zur selben Zeit, wie Ian meinen Geist streift. In diesem Bruchteil einer Sekunde kann ich sein Lachen ganz deutlich vernehmen.
 

Ich ringe um Fassung. Ich darf mich nicht von ihm provozieren lassen! Ich muss irgendetwas Grundlegendes übersehen. Seufzend senke ich den Kopf und nehme dabei den frischen Geruch von jungem Gras wahr. Ich mag diesen Duft. Er ist ganz individuell. Genau wie der von Laub- oder Nadelbäumen.

Ja natürlich! Warum bin ich da nicht schon früher drauf gekommen? Das ist es! Alles hat seinen ganz eigenen, individuellen Geruch, Geschmack und Struktur. Wenn der Wind über Grasland weht, klingt es anders, als wenn er die Blätter der Bäume zum Rascheln bringt. Verändert man die Struktur, verändert man auch den Klang, die Eigenarten - und das geschieht bereits durch einfache Berührungen. Zum Beispiel, wenn jemand an einer bestimmten Stelle steht - die Struktur des Untergrunds verändert sich - oder auf einem Baum sitzt - das zusätzliche Gewicht erzeugt ein leises Knarzen.

Ich muss also nur nach einer Anomalie in der Struktur der Erdelemente suchen .
 

Es dauert etwas, denn nicht nur Ian hinterlässt diese Spuren, sondern auch jedes verdammte Lebewesen in diesem Wald! Aber schlussendlich finde ich ihn und schaffe es sogar, mit meinem Geist bis zu ihm vorzudringen.

"Das hat ja ganz schön gedauert. Ich will nicht gemein sein, aber dir ist hoffentlich bewusst, dass das nicht der richtige Weg war, mich zu finden."

"Das ist nicht dein Ernst!? Wie sollte es denn sonst gehen?"

"Hast du dir einmal Gedanken darüber gemacht, was die Feuerdämonen in deiner Situation getan hätten? Wind, Erde und Wasser sind überall um uns herum in teilweise kleinsten Molekülen. Aber Feuer?"

"Reicht es nicht einfach, dass ich dich gefunden habe?" knurre ich genervt zurück. Ich gebe es ungern zu, aber die ganze Aktion ist anstrengender gewesen, als es vielleicht den Anschein hat. Wäre er noch weiter weg gewesen, hätte ich ihn vermutlich nicht mehr mit meinem Geist erreicht . Denn das Ausstrecken zu einem anderen, weit entfernten Geist und das Verbinden mit diesem hat Muskelkater-Potential - Muskelkater für meine grauen Zellen! Das muss man sich erst einmal vorstellen - allein davon bekomme ich schon Kopfschmerzen...
 

Plötzlich taucht Ian wieder direkt vor mir auf - wie macht er das nur so schnell? Langsam werde ich neidisch. Er streicht mir über den Kopf, wuschelt über meine Ohren und klopft mir auf den Hals. Jetzt komm ich mir wirklich vor, wie ein Pferd!

"Degradier dich nicht selbst, Aki. Du gehörst zur Familie der Wolfsdämonen, einer der stolzesten vom Stamm der Erddämonen. Was dein Blut und deine Herkunft angeht, bist du sogar mir ebenbürtig." Ein charmantes Lächeln umspielt seine Lippen. Aber der unterschwellige Ärger verraucht deswegen noch lange nicht.
 

"Warum behandelst du mich dann wie ein Hündchen?"

"Weil du noch ganz am Anfang deiner Ausbildung stehst und mir somit weit unterlegen bist." Sein Grinsen wird wieder überheblich. Ich hasse es, wenn er mich so ansieht! Warum kann er nicht freundlich zu mir bleiben ? Das steht ihm ohnehin viel besser.
 

Trotzig drehe ich meinen Kopf zur Seite, damit ich ihn nicht mehr ansehen muss. Doch Ian setzt sich vor mich ins Gras und schaut von schräg unten zu mir herauf.

"Du willst es nicht verstehen, kann das sein?"

"Ich weiß nicht, was du meinst!"

"Doch, das weißt du ganz genau! Aki, wir sind grundverschieden. Wir wären uns nie begegnet, wenn Erina mich nicht darum gebeten hätte, dich auszubilden."

Ich horche auf. Ich dachte, meine Mutter hätte... Und dann fällt der Groschen: Erina ist der Name meiner Mutter. Irgendwie wird mir gerade warm ums Herz. Einfach nur, weil ich ihren Namen gehört habe. Ist das immer so bei Dämonen?
 

Ian schenkt mir ein warmes Lächeln und streicht mir sacht über die Stirn. "Ja, das ist bei uns so. Wenn wir den Namen einer geliebten Person oder eines Familienmitglieds hören, stellen sich diese Gefühle ein. Immer. Es ist eine tiefe, unzertrennliche Verbundenheit. Und ja, deine Mutter wird Erina gerufen - es ist nicht ihr wahrer Name, aber ich bin mir mehr als sicher, dass dieser mindestens genauso klangvoll ist."

"Kannst du mir nicht etwas über meine Mutter erzählen?" bitte ich ihn.

"Ich habe vorher nie mit ihr zu tun gehabt. Ich kann dir also nur von meinen ersten Eindrücken berichten und dem, was ich über sie gehört habe."

Ich lege mich neben ihn ins nachtkalte Gras. Es ist mir gleich, was und wie viel er weiß - solange ich nur endlich irgendetwas erfahre.
 

"Erina ist eine bildhübsche Frau. Ihre Haare sind lang und schneeweiß - genau wie ihr Wolfsfell. Ihre eisblauen Augen strahlen unendliche Güte und Liebe aus. Trotz ihrer zierlichen Erscheinung hat sie einen unglaublich starken Willen. Man sagt, ihre Willensstärke und ihr Sturschädel werden nur von ihrer Liebe zu ihrer Familie übertroffen. Damit wäre zumindest geklärt, woher du deinen Dickkopf hast." Neckend wuschelt er mir über den Kopf.

Eigentlich müsste ich jetzt leicht angefressen sein, bin ich aber nicht. Im Gegenteil. Ein unendliches Glücksgefühl durchströmt mich. Ich habe etwas mit meiner leiblichen Mutter gemein.
 

"Erina ist stark und stolz. Niemand würde es wagen, ihr die Rolle als Alpha des Rudels streitig zu machen. Und falls doch, müsste derjenige sich warm anziehen! Nicht nur sie ist eine ausgesprochene Kämpfernatur, sondern auch ihr Gefährte - dein Vater. Ich bin ihm nie begegnet, aber man sagt, sein Fell soll glänzen, wie der Silberstreifen am Horizont, kurz bevor die Sonne aufgeht. Seine Stärke ist mit nichts und niemandem vergleichbar. Es war sein Verdienst, dass die zersprengten Rudel damals zu der großen Schlacht vor 500 Jahren zusammen gefunden haben."

"Es gibt mehr als nur ein Rudel?"

Traurig schüttelt Ian den Kopf. "Nicht mehr. Früher gab es fünf oder sechs größere Rudel und einige kleinere Familienverbände. Dein Vater, Arkor hat sie zu Beginn des Krieges alle ausfindig gemacht und zu einem großen Rudel vereint." Er macht eine Pause. Sein Blick scheint in weite Ferne gerichtet zu sein, als würden die Bilder von damals gerade vor seinem geistigen Auge erneut zum Leben erwachen.
 

Ich will ihn nicht so niedergeschlagen sehen. Es tut mir in der Seele weh, wenn er diesen leidenden Gesichtsausdruck bekommt. Also stupse ich ihn kurz an.

"Wie viele Wölfe hat das Rudel eigentlich?"

"Mit dir zusammen sind nur noch 12 übrig." Seine Stimme hat einen düsteren Klang. "Die meisten Wölfe starben in der alles entscheidenden, letzten großen Schlacht. Man hatte beschlossen, das Rudel, welches ja sowieso den Schutz der Welten zur Aufgabe hatte, als Vorhut gegen die Schatten auszusenden. Eigentlich sollten die Walküren an ihrer Seite sein aber ein Verrat aus den eigenen Reihen der Engel sorgte dafür, dass nichts mehr so lief, wie es ursprünglich geplant war. Zu spät erst bemerkte man den Fehler. In dieser Zeit waren die Wölfe bereits soweit eingekesselt worden, dass es nahezu an ein Wunder grenzte, dass überhaupt welche überlebt haben." Ian hält inne und streicht mir gedankenverloren durch mein Fell.
 

Was für ein grausames Szenario muss das damals gewesen sein. Ich mag gar nicht daran denken. Da läuft es einem ja eiskalt den Rücken herunter!
 

"Ich gehörte damals einer Spezialeinheit an. Unsere Aufgabe bestand darin, dem Rudel den Rücken frei zu halten und es zu unterstützen. Als wir jedoch dort ankamen, fiel es uns schwer zu glauben, dass überhaupt noch irgendwo ein Wolf lebend zu finden wäre. Wir töteten so viele Schatten, wie wir nur konnten. Als dann auch endlich die Walküren eintrafen, haben wir verzweifelt nach dem Rudel gesucht. Gefunden haben wir nur noch 6 von ihnen. Sie hatten sich in einer kleinen Höhle verschanzt. Nur deswegen konnten sie überleben." Seine Hand krallt sich in mein Fell. "Sechs Wölfe. Von einstmals mehr als 200."

"Ian, es ist nicht deine Schuld. Und immerhin konntet ihr überhaupt welche retten." versuche ich ihn etwas aufzumuntern aber der Blick, mit dem er mich bedenkt, ist alles andere als Wohl wollend.

"Aber zu welchem Preis? Wir haben in diesem letzten Gefecht viele gute Dämonen verloren und das nur, weil der senile Greis, der zum damaligen Zeitpunkt noch Herrscher der Engel war, viel zu gutgläubig und blauäugig an die Sache heran gegangen ist! Wir haben gebüßt für einen Fehler, den sie begangen haben!"

Ich schrecke auf beim Klang seiner Stimme und betrachte ihn aufmerksam. Ist das... Hass in seinen Augen? Verachtung? Und plötzlich verändert sich seine ganze Haltung wieder. Er wirkt abgespannt, müde und irgendwie deprimiert.
 

"Ich weiß, ich sollte nicht so reden. Keiner von uns - weder Engel noch Dämonen - hatten bemerkt, was da vonstatten ging." Noch einmal wuschelt er mir durch mein Fell, dann steht er auf, streckt sich und lächelt mir wieder entgegen, als sei nichts gewesen.

"Genug in der Vergangenheit gewühlt! Deine Familie wartet ungeduldig auf deine Rückkehr - wir sollten uns wieder deiner Ausbildung widmen. Also, schließ die Augen!"

"Was? Wieso?" Ich bin mental gerade überhaupt nicht mehr auf Training eingestellt!

"Du verlässt dich zu sehr auf deine Augen. Es mag ja gut und schön sein, dass du die Gabe des Sehens besitzt, aber sie hilft dir hier nicht weiter. Was du brauchst, ist eine Fähigkeit, die jeder Dämon besitzt."
 

Ich rolle mit den Augen, komme dann aber seiner Aufforderung nach.

"Und jetzt lausche. Nicht mit den Ohren, sondern mit deinem Geist."

Mit meinem Geist? Was kann ich eigentlich noch alles mit meinem Geist machen?

"Schieb die überflüssigen Fragen bei Seite! Konzentrier dich und dann sag mir, was du hörst."
 

Ich befreie meinen Geist und konzentriere mich ganz auf das, was dieser mich empfinden lässt. Erstaunt stelle ich fest, dass mein Mentor Recht hat. Ich muss nicht sehen, um erkennen zu können, was um mich herum ist. Selbst meine und seine Aura sind für mich sichtbar auf eine merkwürdige Weise, die ich nur schwer zu beschreiben vermag. Und dann ist da noch etwas. Etwas, das mir zuvor gar nicht aufgefallen ist: Eine Art Klang. Und eine Farbe, die durch diesen Klang erzeugt wird.

"Genau das habe ich gemeint. Du kannst die Augen wieder öffnen, wenn du willst."

"Diese Melodie... hat jeder Dämon eine andere?"

"Ja. Ebenso wie die Engel und jedes andere Wesen, zu dem du eine Bindung aufbaust. Für jeden hörst du einen anderen Klang und kannst die Person somit identifizieren. Außerdem folgt dein Geist diesen Tönen und verbindet sich mit ihnen, wodurch du wiederum in der Lage bist, mit demjenigen mental zu kommunizieren."

"So einfach ist das?"

"Ja, so einfach ist das." Er lächelt mich wieder an und dieses Mal kann ich deutlich erkennen, dass er stolz auf mich ist.
 

"Die Sonne wird bald aufgehen. Gehen wir nach Hause." Ian reicht mir seine Hand und noch ehe ich irgendetwas denken kann, ergreife ich sie mit meiner eigenen.

Seine simple Geste hat ganz allein dazu geführt, dass ich meine menschliche Gestalt angenommen habe und bringt mich zum Schmunzeln.

Es ist so einfach. Fast wie atmen.

Über diesen Gedanken döse ich schließlich weg, während Ian mit mir durch die allmählich endende Nacht fliegt.



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